Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum

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Der Kurator 7 Neue Wege 8 Kornar V 9 Leerraum
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DER KURATOR

7 Neue Wege

8 Kornar V

9 Leerraum

von

Arno Wulf

Imprint

Der Kurator - 7. Neue Wege, 8. Kornar V, 9. Leerraum

Arno Wulf

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: ©2013 Arno Wulf

ISBN 978-3-8442-5235-4

Image - Large Magellanic Cloud - Front Cover:

Copyright©Australian Astronomical Observatory / David Malin

Inhaltsverzeichnis

7 Neue Wege Der Eisplanet Der Kurator Professor Mansouri Vaugh II Warten Torquor Kontakt Machtkonsolidierung Die Entscheidung Feierlichkeiten Vermisst Nordkorea New York Terra Armageddon Nukleares Inferno Sternenmeer 8 Kornar V Rebellion Offenbarung Aufstand Planungen Flucht Aufbruch Perspektiven Beschlüsse Die große Leere Grenzüberquerung In der Unterwelt Aufmarsch Marathor III Durch die Wüste Neuanfang Bestandsaufnahme Begegnungen Spiel im Spiel Wiedersehen Zu neuen Ufern Der Doppelplanet 9 Leerraum Terra II Abschlussfeier Attentat Machtwechsel Rede Evolution Machtzentrum Der Obelisk Kerguelen Das Labyrinth Top Secret Zusammenbruch Das Rätsel von Grand Ross Ein unerwarteter Gast Das kosmische Netzwerk Der Zehnte Kongress zur Kosmischen Futurologie Taranor Tepui Dekontamination Die geheime Basis Im Föderationsraum Rückkehr zum Ozeanplaneten Seeausgang Diner über den Fällen Unendlichkeit Der Abgrund Die Sphäre Epilog Glossar Namensverzeichnis Nominale der Föderation

7 Neue Wege
Der Eisplanet

Der Kurator

Knud saß mit Astrid, Admiral Worssorgh, Moluh und Mary unter schattigen Bäumen an der Küste eines namenlosen Ozeans - zehnmal größer als der Pazifik auf Terra. Eine langgezogene Dünung traf auf die vorgelagerten Felsenriffs. 20 Meter hohe Wellen brachen sich etwa 500 Meter vor dem Küstensaum und rollten mit einem tiefen Grollen auf sie zu.

Es war warm - etwa 298 Kelvin. Clark, Mouad, Wahid, Yossi und Mahmoud hatten es sich an sandigen Strandabschnitten, eingebettet zwischen großen Felsen - bequem gemacht. Das, was sie sahen, hatten sie sich niemals auch nur im entferntesten vorstellen können.

Sie standen an der tiefsten Stelle einer Mulde - zugleich Bestandteil einer gigantischen Kugelschale. In allen Himmelsrichtungen stieg der Horizont in der diesigen Ferne stetig an. Der Detailreichtum reduzierte sich zunächst wegen der atmosphärischen Streuung. Nahm dann ab einem Drittel der Firmamenthöhe wieder zu. Hoch über ihnen stand ein K4 Stern, dessen orangegelbes Licht den Innenraum der scheinbar unermesslichen Kugel mit Strahlung und Wärme versorgte.

Wahid schüttelte fortwährend den Kopf. „Das ist doch einfach thermodynamisch nicht möglich, die Strahlung kann doch nirgendwohin abfließen, die ganze Struktur müsste doch den Hitzetod sterben...”

Er musste erst einmal eine Larssen Sphäre mit eigenen Augen gesehen haben, um zu begreifen, was diese Zivilisation in den vergangenen Äonen geleistet hatte. Dieses Bauwerk war zweifellos der Gipfel technologischen Fortschritts: Eine Hohlkugel mit einem Durchmesser von 350 Millionen Kilometer zu konstruieren. Mit einer Fläche von 3,848 ⋅ 1017 Quadratkilometern - entsprechend 7,5 ⋅ 108 mal der der Erde. Dieses gigantische Ökosystem war nur mit knapper Not vor den Verheerungen der Core Explosion gerettet worden. Denn Knud hatte damals auch durchgesetzt, dass nicht nur die technologisch hochstehenden Kulturen zu retten seien, sondern auch alle Zivilisationen, die sich evolutionär auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe befanden. Einige der Lebensformen auf dieser Welt hatten es auf ein genau so hohes Intelligenzniveau wie das der Terraner gebracht. Nur mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie in völliger Harmonie mit der Natur lebten. Rücksichtslose Ausbeutung der Umwelt galt hier als absoluter Frevel. Zudem bildeten alle Lebewesen auf dieser Welt - wie es relativ häufig im Universum vorkam - ein neuronales Netzwerk.

Man merkte es Knud an. Er fühlte sich wohl - er genoss den Aufenthalt an diesem Ort.

Auf dem Saphir war zur selben Zeit die Hölle los: Die Feierlichkeiten zur Rettung des Duwuthrounu - Imperiums hatten begonnen. Dazu kam die offizielle Aufnahme dieses Staatenbundes in die Föderation. Einziger Wermutstropfen war, dass die in die große Magellansche Wolke evakuierten Sonnensysteme und Planeten nicht mehr in die Triangulum Galaxie zurückgeführt werden konnten. Denn das Risiko eines erneuten Angriffs durch Guruthuwrunuh Verbände war immer noch gegeben - auch wenn seit über sechs Monaten nichts mehr von diesen Aggressoren vernommen worden war.

Aber die Regierung unter dem fähigen Ministerpräsidenten Mareghor machte ihre Sache gut - wie Knud und seine Begleiter über einen holografischen Projektor mit wenigen Stunden Zeitverzögerung feststellen konnten. Vertreter unzähliger Planeten hatten sich in Morugh Turghar versammelt, um der Regierung ihren Respekt und ihre Dankbarkeit entgegenzubringen.

Mouad, Wahid, Mahmoud, Yossi und Moluh setzten sich neben Knud.

„Findest du es nicht schade”, fragte Wahid, „dass andere sich jetzt die Lorbeeren einheimsen für Taten, für die du doch verantwortlich warst? Oder nicht vielleicht sogar ein bisschen enttäuscht?”

Knud lachte. Es war ein befreites, herzhaftes Lachen.

„Nein, mein Freund. Ich mag es nicht zu feiern. Ich bin sogar froh, bei dieser offiziellen Zeremonie nicht weiter beachtet zu werden. Bescheidenheit ist nämlich eine der Haupttugenden des Kurators.”

Das Dröhnen der Brandung erfüllte die Luft. Eine steife Brise war aufgekommen.

Knud: „Ich genieße es natürlich auch, wenn meine Arbeit und die meiner Freunde zum Erfolg führt. Aber jetzt haben wir uns alle einige Tage der Ruhe in der Abgeschiedenheit dieser biologischen Arche Noah verdient.”

 

Knud: „Ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben - mit dem, was wir alle erreicht haben. Ich stehe schließlich in der Tradition eines immensen wissenschaftlichen Gremiums, das seit der Gründung dieses Staates den zivilisatorischen Reifeprozess voranbringt. Und das ist mir das wichtigste - ohne Gewalt die Macht und den Einfluss der Föderation zum Nutzen aller zu vermehren. Dass vielleicht zukünftige Generationen irgendwann einmal sagen können: Jaja, Knud, Mouad und Wahid - das waren wirklich zivilisatorisch hochgestellte Persönlichkeiten - in jeder Hinsicht. Und wenn über uns an einem hoffentlich noch fernen Tag dieser Nachruf erklingen sollte, werde ich im Rückblick auf meine Vergangenheit sehr glücklich sein.”

Knud war auch jetzt immer noch von jener zuvorkommenden Bescheidenheit, die Mouad an ihm so mochte.

„Und unterschätzt Mareghor und seine Minister nicht”, ergänzte Knud. „Der Ministerpräsident selbst ist ein exzellenter Stratege, der auch erheblichen Anteil an den politischen Erfolgen in letzter Zeit hatte. Viele seiner Einschätzungen erwiesen sich in der Vergangenheit als absolut zutreffend. Und ohne Wahid und seine mathematischen Fähigkeiten in der Handhabung der Raumzeit wären wir nicht so weit gekommen.”

Mary wandte sich Knud zu. „Worssorgh und ich müssen dir zwei Geheimnisse offenbaren. Ohne die Mithilfe von drei genialen Forschern, die wir in einigen Stunden erwarten, hätten wir in der letzten Zeit nicht so viele Erfolge erzielt.”

„Der eine arbeitet schon seit über 20 Jahren auf dem Gebiet der Physik mit dem Thema ,Kontrolle der Raumzeit’ ”, erläuterte Worssorgh. „Der andere ist inzwischen maßgeblich bei der Beherrschung komplexer geologischer Prozesse beim Bau von Planeten, Ringwelten und Larssen Sphären beteiligt. Der dritte sucht sehr erfolgreich nach Wegen, Paralleluniversen zu erkunden. Wir finden, dass sie für ihre Arbeiten Anerkennung und Respekt verdienen - aus Eurer Hand.”

„Aber wieso werden mir solche Genies nicht schon viel früher vorgestellt? Ihr wisst doch, wie sehr ich darauf erpicht bin, neue Anregungen zu erhalten, mit neuen Denkweisen konfrontiert zu werden.”

„Das sollen die Persönlichkeiten Euch selbst erklären. Sie hatten womöglich zu viel Respekt vor Euch.”

Knud schüttelte verwundert den Kopf.

Worssorgh aktivierte seine Gliedersegmente, drehte sich um und schlängelte sich zu der Liftplattform. Seine Freunde folgten ihm. Diese endete im Schatten einer künstlichen Felsnische hinter ihnen. Ein Bollwerk aus wie von Riesenhand zerschmetterten Granitblöcken erhob sich da - kreuz und quer zwischen dem weißen Korallensand verstreut. Knud musste unwillkürlich an die Seychellen auf Terra denken - auch wenn er die Inseln nur von Urlaubsaufnahmen der Reisebüros auf Sol III kannte.

Er setzte sich in eine Höhle in der Nähe der Küstenlinie, die die Brandung ausgewaschen hatte. Hier war das Rauschen durch Reflexionen eigenartig verstärkt, ja fast schon körperlich - zugleich aber auch sehr beruhigend. Trotzdem verspürte er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder eine eigenartige Nervosität.

Knud folgte mit seinen Blicken den rollenden Brechern, die auf die Küste majestätisch zuliefen. Dann schloss er die Augen und genoss die kühle Seebrise, die wie Samt an seinem Körper entlang strich. Ruhe und Frieden überkamen ihn. Er schlief allmählich ein.

Knud glaubte plötzlich, in der Ferne Ausrufe der Freude zu hören. Von Menschen, die es nicht mehr zu hoffen gewagt hatten, einander jemals wieder zu sehen.

Die Stimmen wurden allmählich leiser und erstarben schließlich ganz. Nur noch der warme Wind und das Rauschen der Wellen umspülten ihn. Er dämmerte erneut in einen Halbschlaf

Plötzlich ein Schluchzen neben ihm - jemand fing scheinbar grundlos an zu weinen.

„Ahmad”, flüsterte die Stimme, tränenerstickt. „Ahmad, bis du es wirklich?”

Knud schrak hoch... Und wurde augenblicklich von Erinnerungen aus dem Irak auf Terra überwältigt.

Nefud stand neben ihm. Er streckte die Hände nach ihm aus.

Knud war wie gelähmt. Zitternd erhob er sich und ging wie in Trance auf den weinenden Mann zu.

„Nefud”, stammelte er, „mein geliebter Nefud!”

Unter Tränen fielen sich beide in die Arme.

„Ja, ich bin es”, schluchzte Knud. „Ich habe dich so vermisst.”

Lange standen sie eng umschlungen da. Sich zärtlich streichelnd. Sie konnten ihr Glück kaum fassen. Aber zugleich traurig und verwirrt.

Knud flüsterte fast unhörbar: „Was soll ich bloß tun - was soll ich bloß tun?”

Nefud liebkoste ihn. Und küsste ihn zärtlich auf die Stirn.

„Schschscht”, flüsterte er. „Es wird alles wieder gut.”

Schließlich legte Nefud ihm zärtlich einen Arm um die Hüfte.

„Komm.”

Sie setzten sich eng umschlungen in den Sand und blickten auf die scheinbar unendliche Fläche, die sich vor ihnen ausbreitete.

Knud konnte immer noch nicht sprechen. Nur mühsam gewann er seine Fassung zurück.

„Ich bin völlig überwältigt”, sagte er schließlich kaum vernehmbar. „Auf der einen Seite bin ich unglaublich froh, dich wieder zu sehen.”

Er blickte Nefud unsicher von der Seite an. „Aber auf der anderen Seite weiß ich nicht, wie ich es dir sagen soll. Denn ich habe inzwischen einen neuen Freund - Mouad heisst er. Ich möchte ihn um nichts auf der Welt enttäuschen - ihn nicht verlieren.”

Nefud drückte ihn an sich.

„Schchscht”, beruhigte Nefud Knud erneut. „Was redest du... Ich will euer Glück auf gar keinen Fall zerstören.”

Eine ganze Zeit lang saßen Knud und Nefud eng umschlungen einfach so da und schwiegen.

„Was hast du seit unseren letzten zärtlichen Momenten damals in Bagdad bloß gemacht?”

Nefud rang nach Worten. Knud konnte ihn kaum verstehen.

„Ich arbeite für die Föderation bereits seit fast 25 Jahren als Wissenschaftler. Dies war die einzige Möglichkeit für mich, über den Verlust von dir - mein Geliebter - hinweg zu kommen.

Ich wollte nur allein sein. Ich habe mich daher in die Welt der Forschung eingegraben. Wollte nichts mehr von all den Problemen auf Sol III hören und sehen. Es musste mir irgendwie gelingen, über den entsetzlichen Trennungsschmerz von damals hinweg zu kommen. Aber ich habe es trotz der langen Zeit niemals geschafft. Selbst jetzt schrecke ich des Nachts immer wieder aus dem Schlaf auf - unendlich traurig.”

Nefud liefen erneut Tränen die Wangen hinab.

„Ich habe dich in meinen Träumen gesucht. Hatte gehofft, dich irgendwann noch einmal wieder zu sehen. Hatte in meiner Verzweiflung unter Wissenschaftlerkollegen nach einem Ahmad Johar gefragt - eigentlich ein völlig aussichtsloses Unterfangen. Und jetzt - entdecke ich dich hier.”

„Wie - du hast versucht, mich zu finden? Und du wusstest nichts von meiner Existenz?”

„Du weisst doch, wie riesig dieser Staat ist. Und Wissenschaftler oder Kommandanten der föderalen Flotte sind recht gut vor der Öffentlichkeit abgeschirmt.”

Knud schluckte. Und begann erneut zu weinen.

„Dein Verlust war für mich so furchtbar”, stammelte er. „Auch ich habe Jahre gebraucht, bis ich wieder halbwegs klar denken konnte.”

Sie umarmten sich wieder und wieder, als wenn sie es immer noch nicht recht fassen konnten, sich erneut lebend zu sehen

„Aber wie um alles in der Welt hast du überlebt? Ich kann mich noch daran erinnern - als wäre es erst gestern - wie du mich gebeten hast, nicht von mir vergessen zu werden. Du bist ohnmächtig geworden, bist schließlich in meinen Armen gestorben.”

Knuds Stimme versagte. Er schluchzte. „Ich bin dann in deine Wohnung gegangen, um deinen Leichnam aufzubahren, um Zeit zu haben, mich von dir zu verabschieden. Aber als ich nur Minuten später zurückkehrte, war dein lebloser Körper nicht mehr da!”

Nefud umfasste Knud mit seinen Armen. Nach einer Weile fragte er:

„Ahmad, hast du vielleicht nicht irgendwann an diesem Tage etwas Wichtiges vermisst?”

Der Angesprochene überlegte: „Nur den ETE...”

Nefud fragte nach: „Was genau hast du kurz vor meinem nahenden Ende mit mir gemacht?”

„Ich habe mich über dich gebeugt, dich intensiv ein letztes Mal umarmt, dich geküsst...”

Nefud schüttelte den Kopf.

„Ich war wohl genau an der Grenze zwischen Leben und Tod. Denn zu meiner völligen Verblüffung erwachte ich in einem wunderschönen Garten - voller betörender Düfte. Ich lag auf einer bequemen Liege. Ein Mann und eine Frau sahen mich freundlich an, die sich mir als Ator und Karon vorstellten.”

Knud schlug sich vor den Kopf. „Der ETE - ich muss ihn ausgelöst haben. Es war eine brandneue Erfindung - du wurdest zur nächsten Raumbasis auf Tau Ceti VIII teleportiert!”

„Genau. Dort betrieben die beiden Wissenschaftler eine kleine Forschungsstation und wunderten sich, wer denn da materialisiert wurde. Auf Grund der Schwere meiner Verletzungen bin ich - immer noch bewusstlos - nach geglückter Stabilisierung meines Kreislaufes so schnell es ging zur besten medizinischen Institution auf Wrkhnon IV gebracht worden. Mein Leben wurde dort gerettet. Und ich habe davon nichts mitbekommen - denn ich war zu diesem Zeitpunkt noch stets ohnmächtig.”

Knud streichelte Nefud zärtlich durch seine Haare - so als wollte er sich erneut vergewissern, dass dies auch wirklich sein einstiger Geliebter war, der ihm gegenüber saß.

Nefud ergriff Knuds Hand, küsste sie liebevoll und fuhr fort:

„Ator und Karon mussten entscheiden, was aus mir werden sollte. Sie ahnten auch - so glaube ich zumindest - was geschehen war, auch wenn sie nie ein Wort mit mir darüber verloren. Toron III, der Heimatplanet der beiden, wurde schließlich zu meinem neuen zu Hause. Dort wurde ich nämlich wach. Der Planet ist der Erde ziemlich ähnlich. Aber trotz der wunderbaren Umgebung kam ich über die entsetzlichen Ereignisse einfach nicht hinweg. Ich war während der ersten paar Monate psychisch völlig zerstört - ich habe noch nie so viel getrauert und geweint. Ich war völlig paralysiert.

Ator und Karon fanden sehr bald heraus, dass ich durch mein Interesse an der Wissenschaft abgelenkt werden konnte. Und da mich das, was ich von ihnen erfuhr, sehr faszinierte, habe ich mich über viele Jahre in die gesellschaftlichen und politischen Grundlagen dieser Zivilisation eingearbeitet. Und dass ich mich jahrzehntelang zudem auf naturwissenschaftliche Forschungen gestürzt habe, rettete ich wahrscheinlich mein Leben: Ich gewann ein gewisses Maß innerer Stabilität zurück.

Es gelang mir schließlich auch, eigene Forschungsprojekte äußerst erfolgreich abzuschließen.

Ator und Karon selbst sind labortechnisch in ihrem Haus hervorragend ausgestattet. Sie führen ein typisches Eremitendasein verschrobener Forscher. Trotzdem habe ich mich dort über lange Zeit unglaublich wohl gefühlt. Ich wollte einfach die Erinnerung an den Irak verdrängen. Wollte über den Gram, über den Verlust von meinem Geliebten hinwegkommen.”

Nefud liefen erneut die Tränen hinab. „Ich habe es bis heute nicht geschafft.”

Knud umarmte ihn. „Was hast du alles durchgemacht - wie musst du gelitten haben.”

Nefud, immer noch so durchtrainiert und zauberhaft schön wie damals, als er ihn zum ersten Mal sah, weinte wie ein Kind. Im Irak war er damals so selbstsicher, so beherrscht. Manchmal auch distanziert. Und jetzt?

Knud drückte ihn erneut an sich: „Komm, es wird alles gut. Du hast mich endlich gefunden.”

Er blickte sich um. Mouad hatte sich in respektvollem Abstand an den Strand gesetzt. Er wirkte zufrieden und glücklich.

Knud winkte ihm. Mouad erhob sich und kam auf Nefud und seinen Mann zu.

Er hockte sich zwischen die beiden in den weichen Sand und legte jedem der beiden einen seiner Arme auf die Schulter.

„Ich bin so froh, dass ihr euch nach so langer Zeit endlich gefunden habt. Ich freue mich aus ganzem Herzen.”

Knud war sichtlich überrascht: „Dann bist du nicht böse auf mich - oder vielleicht sogar enttäuscht?”

„Knud Larssen. Du solltest deinen Mouad inzwischen besser kennen gelernt haben. Erstens habe ich durch dich erfahren, was Toleranz und Akzeptanz bedeuten. Zweitens leben wir in einem Staat, in dem Lebewesen unglaublich viele Kombinationen von Liebesbeziehungen, Sexualität und Freundschaft eingehen und vorleben. Du glaubst doch nicht etwa, dass ich jetzt auf dich sauer sein muss, weil du einen geliebten Menschen, den du unter schrecklichen Umständen vor langer Zeit verloren hast, wiedergefunden hast? Ganz abgesehen davon - ich kenne ihn bereits seit längerem.”

„Wie bitte? Woher?”

Nefud: „Wahid - der ja schon seit geraumer Zeit als brillanter Kopf in dem Wissenschaftlerteam arbeitet, das die Abwehr der Guruthuwrunuh Invasion ermöglicht hat, ist ein von mir sehr geschätzter Gesprächspartner. Irgendwann sind wir neben unserer Forschung auch auf einige private Details gestoßen. Über ihn kenne ich deinen Mouad inzwischen schon einige Monate. Ich weiss deshalb auch, wie viel Mouad für dich empfindet.

 

Und noch etwas - niemand redet davon, dir Mouad auszuspannen. Ich möchte einfach nur ein guter Freund für dich oder vielleicht auch euch sein. Und Mouad war es auch, der darauf bestand, dass ich mich dir gegenüber endlich offenbare. Ich selbst hätte mich niemals getraut, diesen Schritt zu tun. Nach all den Jahren in selbst gewählter Isolation war das Zusammentreffen mit Wahid und Mouad ein Schock für mich. Denn erst durch sie habe ich erfahren, was die Föderation ist.

Ator und Karon trifft übrigens keine Schuld an meiner Unwissenheit. Sie haben immer und immer wieder versucht, mir schonend beizubringen, in welchem Gemeinwesen ich mich befinde. Ich wollte es einfach nicht hören. Ich wollte keine Probleme mehr.”

-

„Auf jeden Fall hast du Mouad irgendwann einmal erzählt, wie sehr du mich noch immer vermisst. Dass du tatsächlich zweimal im Jahr für mich Kerzen entzündest, um dich an mich zu erinnern.”

„Aber warum hast du denn nicht schon wesentlich früher mit ihm Kontakt aufgenommen?”, wollte Mouad von Nefud wissen.

„Ihr beiden wisst, in welchem körperlichen Zustand ich war, als Ahmad mich in Bagdad zum letzten Mal zärtlich umarmt hatte. Ich hatte Angst, dass meine Gefühle für dich die alten Wunden wieder aufreissen würden. Das wollte ich über lange Zeit unbedingt vermeiden. Erst seit Kurzem bin ich psychisch endlich wieder so stabil wie früher.”

Er sah Knud in die Augen.

„Wir beide - Mouad und ich - haben uns schon seit geraumer Zeit vor diesem Zusammentreffen gefürchtet - dass du dich für einen von uns entscheiden müsstest.”

Mouad knuffte Knud zärtlich in die Seite.

„Ich habe noch immer den Eindruck”, begann er, Knud zugewandt, „dass du an die Sache viel verkrampfter heran gehst als ich selbst. Ich kann dir nur sagen: Zum einen würde ich sehr glücklich sein, wenn du Nefud einmal wieder treffen solltest - so habe ich es dir einmal gesagt. Zum anderen - und da sind sich Nefud und ich völlig einig - wollen wir dich nicht in irgend welche seelischen Konflikte stürzen. Persönlich verstehen sich mein Vater und ich mit ihm ausgezeichnet. Du hast”, Mouad nickte Nefud freundlich zu, „ein ausserordentlich ansprechendes Wesen. Warmherzig, offen. Ich möchte gern weiter mit dir befreundet sein.”

Nefud schmunzelte. „Ich sehe in diesem Zusammentreffen auch kein Problem. Die Ambitionen eines Nebenbuhlers verspüre ich nicht. Ich möchte einfach nur leben. Will in die neue Welt eintauchen, die du uns eröffnet hast.”

Knud lachte. „Ich habe für einen Moment wie in meiner Frühzeit auf Terra gedacht. Dass Menschen immer nur als Paar zusammen leben müssen. In der Föderation gibt es jedoch so viele Möglichkeiten von Sexualität und Fortpflanzungsriten, dass man leicht die Übersicht verlieren kann. Und traute Zweisamkeit, wie es die Religion auf der Erde immer wieder gelehrt hat, ist hier die Ausnahme.”

„Aber darum geht es doch hierbei gar nicht”, sagten Mouad und Nefud wie aus einem Munde. „Wir wollen doch nur, dass du glücklich wirst.”

„Eines möchte ich aber doch von euch beiden wissen.Welche Funktion hat denn Ahmad eigentlich in der Föderation? Gut, als Wissenschaftler, Raumschiffkommandant, Missionsleiter auf der Erde... Dann war es für mich ziemlich rätselhaft, dass Knuds Name nirgendwo auftaucht. Und das, wo doch die ganze eingeweihte Welt weiß, dass er ein brillanter Forscher ist.”

Knud drehte sich abrupt zu Mouad um und flüsterte. „Du hast es ihm nicht erzählt?”

„Du hast es mir verboten”, entgegnete Mouad.

„Das ist korrekt.”

Nefud war sichtlich verwirrt. „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Wieso wirst du immer mit Knud angeredet?”

Mouad seufzte. „Nefud, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll.”

Knud trat auf Nefud zu. Er ergriff seine Schultern und blickte ihm fest in die Augen. „Was ich dir jetzt sage, wissen nur sehr wenige. Es bleibt unter uns dreien. Und ich möchte, dass wir auch danach Freunde sind und auch bleiben.”

Nefud musste schlucken. Er verbarg sein Gesicht in den Händen.

„Dein Vorname. Die Geheimnisse um deine Person. Dann musst du der Kurator der Föderation sein”, sagte er fast unhörbar.

„Ich habe auch lange dafür gebraucht, diese Wahrheit zu akzeptieren”, sagte Mouad nach einer Weile zu Nefud.

Nefuds Augen leuchteten plötzlich auf. Er strahlte über das ganze Gesicht.

„Aber eins möchte ich noch wissen”, sagte Knud zu Mouad. „Wer sind denn die zwei anderen Personen, die ich heute noch begrüßen soll?”