Buch lesen: «Urlaub - jetzt komm ich!», Seite 5

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1. Tag - Ankommen

Mein Ziel war der Ort im Erdgeschoss, von welchen noch einige Urlauber heraus- aber auch hineinstürmten. „Das kann nur der Speiseraum sein“, dachte ich und folgte meinen Vorgängern. Tatsächlich. Meine Vermutung bestätigte sich. Hier war ich richtig. Ich suchte mir einen Platz direkt an der Fensterfront zur Terrasse mit Blick gen Strand. Die Aussicht war einfach sagenhaft. Ein breiter, weißer Weg, umrandet mit Palmen und Sträuchern, lud Richtung Strand ein. Lampen in Form von weißen, großen Kugeln, rundeten das Bild ab. Im Hintergrund konnte man das blaue Meer erahnen, von diesem Platz aus nur nicht zu sehen. Lediglich die Sonnenschirme am Strand lugten heraus. Somit konnte die See nicht weit sein, wie ich schlussfolgerte.

Kaum saß ich und legte meinen Zimmerschlüssel auf den Tisch, sprach mich auch schon die Bedienung an, ob ich alleine reisen würde beziehungsweise wo mein Freund sei und ob wir uns nicht nach seinem Feierabend treffen könnten. Was sollten diese Fragen? „Verderbe mir jetzt bloß nicht meinen ersten und vor allem hervorragenden Eindruck von dem Hotel“, wollte ich ihm am liebsten entgegenbringen, wimmelte ihn jedoch freundlichst ab. Mein Plan ging auf und er nahm Abstand von mir. Was sollte das gerade eben? Noch bevor ich ihm antworten konnte, machte er mir so eine Einladung. Was wäre gewesen, wenn ich tatsächlich in Begleitung gereist wäre? Der Kellner schien es mit der Treue und Ehrlichkeit nicht so genau zu nehmen. Zu seinem Nachteil, damit war er bei mir an der falschen Adresse. Ich war nicht eines der Mädchen Schrägstrich Frauen, die auf der Suche nach einem Urlaubsflirt waren. Ich wollte einfach alleine gelassen werden und ausspannen.

Ein untypischeres Essen für Tunesien gab es nicht; Spaghetti mit Tomatensauce und Basilikum gönnte ich mir. Sehr lecker. Wahrscheinlich wäre das italienische Gericht nur noch von einem Wiener Schnitzel mit Pommes Frites vom kulinarisches Fremdgehen übertroffen wurden.

Letzteres gehört übrigens zu meinem Leibgericht. In meiner Heimatstadt gab es ein Restaurant mit dem Namen „Das Schnitzelparadies“. Über die Jahre wurde es zu Michaels und meinem Lieblingsrestaurant. Der Besitzer und gleichzeitiger Koch war ein waschechter Wiener und vor vielen Jahren nach Deutschland gekommen, um sich seinen Lebenstraum mit der eigenen Gaststätte zu erfüllen.

Eine sehr gute Entscheidung, wie ich finde. Auf der Karte standen dreiundfünfzig verschiedene Schnitzelvarianten zur Auswahl. Eine schmackhafter als die Andere, aber mein Leibgericht war und bleibt das Wiener Schnitzel. Dies aber nur am Rande.

Zurück in meinen Urlaub. Während ich die Spaghetti einzeln in meinen Mund einsaugte und mir die Tomatensauce dabei ins Gesicht spritzte, blickte ich mich um und beobachtete die anderen Hotelgäste, die ebenfalls ihr Mittagessen um diese schon vorangeschrittene Zeit zu sich nahmen. Erstaunlicherweise reimte ich mir über fast jeden Hotelgast, der sich im Raum befand, eine Geschichte zusammen, obwohl ich ihn überhaupt nicht kannte. Klischee sei Dank! Es reichte allein die Mimik, die Gestik, das ganze Verhalten, der Umgang mit dem entsprechenden Partner oder auch die Kleidung. So zum Beispiel das Ehepaar drei Tische von mir entfernt. Er trug eine lange, weiße Stoffhose und ein weißes Poloshirt. Einen blauen, dünnen Pullover hatte er sich lässig um die Schulter gebunden. Seine Frau zierte ebenfalls eine lange, weiße Stoffhose, eine blauweiß karierte Bluse sowie eine Schildmütze. Wenn die beiden nach ihrem Speisen nicht zum Golfen verabredet waren, dann auf jeden Fall für einen Segelbootausflug. Jede Wette. Die Großfamilie am Tisch gleich neben dem Restauranteingang machte mir hingegen etwas Angst. Die Eltern mittleren Alters wurden der Fülle ihrer sieben Kinder nicht Herr. Laut waren sie und es herrschte ein reges Durcheinander an der Tafel. Tischmanieren, geschweige denn Essmanieren waren ihnen allen anscheinend ein Fremdwort und als sie mit Essen fertig waren oder wie man ihr Verhalten bezeichnen wollte, hinterließen sie einen Ort der Verwüstung. Der Kellner musste sogar unter und ringsherum um den Tisch die heruntergefallenen sowie mutwillig hinuntergeworfenen Essensreste aufkehren. Bei Babys oder Kleinkindern hätte ich nichts gesagt, aber das jüngste Kind der Familie schätzte ich auf sieben Jahre und da erwarte nicht nur ich eine gewisse Esskultur. Dann gab es noch die zahlreichen Pauschaltouristen. Oftmals erkennbar an den Sandalen und den weißen Tennissocken, den goldenen Arm- und Halsketten, oftmals etwas untersetzt und mit einem wohlgeformten Bierbauch. Das lustige daran war - alle diese Menschen erfüllten mein gedanklich getroffenes Vorurteil. Jeden einzelnen von ihnen sah ich an diesem Tag noch einmal wieder und tatsächlich hatte ich Recht behalten. Das Ehepaar wurde nach dem Essen von dem eigenen kleinen Hotelbus in die nächste Stadt mit einem Hafen gebracht. Sie hatten eine Woche zuvor über die Reiseleiter des Hotels eine Segeltour gebucht. Die Familie mit den sieben Kindern lief mir leider auch nochmal über den Weg und zwar am Strand. Ich konnte ihnen optisch aus dem Weg gehen, aber nicht akustisch. Ihre Geräuschkulisse übertrumpfte alles. Ihre lauten Stimmen erkannte ich schon von weitem und auch hier bestätigte sich mein Verdacht, dass sie ihre Kinder nicht unter Kontrolle hatten und völlig überfordert waren. Entweder schauten die Eltern weg oder verhielten sich so, als würden die Kinder nicht zu ihnen gehören. Sie schimpften, nein, sie schrien sie an, was aber leider ohne Konsequenzen und Einsicht blieb. Die Kinder machten, was sie wollten. Sie holten sich Getränke an der Strandbar, welche sie nur teilweise tranken. Den Großteil des Inhaltes der Plastikbecher warfen sie einfach um. Egal wo, sei es am Strand auf den Sand oder auf die Tischtennisplatte am Pool. Dabei erfreuten sie sich des Lebens. Wenn sie nicht damit beschäftigt waren, warfen sie Sand in die Höhe, der durch den Wind anderen Hotelgästen ins Gesicht wehte oder spritzten die Gäste mit Wasser nass, die auf den Liegen die Sonne und Ruhe genossen. In diesem Moment rückte mein Kinderwunsch in ganz weite Ferne. Bitte nicht falsch verstehen, ich liebe Kinder, aber nicht solche! In meinem Alter und einem festen Job, davon ging ich bis noch vor einigen Stunden aus, sowie einen langjährigen Freund kam der Wunsch nach einem Kind langsam auf, der soeben fluchtartig abebbte.

Im Freundeskreis waren viele Pärchen noch kinderlos, doch setzten die Ersten ihre Familienplanung bereits um. Wie herrlich und goldig, so ein kleines Geschöpf in den Händen zu halten oder im Arm hin und her zu schaukeln. Noch so unbeholfen, der Kopf wackelig, die Haut ganz runzelig und so weich, die süßen Kulleraugen und die kleinen Ohren, Finger und Füße. Einfach zauberhaft und niedlich. Hält man erst einmal ein Baby im Arm, will man es am liebsten nicht mehr loslassen. Bis zu dem Zeitpunkt, bis es zu weinen beziehungsweise vielmehr zu schreien anfängt und gefühlt nie wieder aufhört. Wenn nach vergebendem Geschuckelt keine Besserung in Sicht ist, bin ich stets froh und erleichtert, wenn die Mutter oder der Vater des Neugeborenen zu Hilfe eilen und mir den Wonneproppen abnehmen. Wie durch ein Wunder hört das Kleine plötzlich auf zu weinen und ist wieder lammfromm. Eltern und ihre Kinder, dagegen kommt ein Außenstehender niemals an! Dabei stellte ich mir bereits oft die Frage, ob es mit einem eigenen Kind auch mal so sein wird, dass nur ich oder Michael es beruhigt bekommen? Dann schauen die Anderen dumm aus der Wäsche und wir müssen schmunzeln. So unerfahren was das Thema Babys und Kleinkinder anging, wurde der Wunsch langsam lauter. Mit fünfundzwanzig Jahren kann man aber schon einmal darüber nachdenken, finde ich. Nun stand das Thema auf der Waagschale. Nicht nur, weil ich das rege Treiben der Großfamilie sah, sondern auch meinen Job vor wenigen Tagen verloren hatte und nicht wusste, wie es zukünftig weitergehen sollte. Zukunftsängste, Existenzängste und die Angst vor dem Ungewissen rückten in den Vordergrund und übertönten den Kinderwunsch. Da waren wieder meine Gedanken bei dem erst kürzlich Geschehenen, an welches ich in dem Urlaub überhaupt nicht denken wollte.

Zurück zum Thema. In meiner Aufzählung fehlten noch die Pauschaltouristen. Das Ehepaar lag am Strand auf ihren Liegen, er las Zeitung, sie ein Buch. Mit Sonnenbrillen und großen Strohhüten machten sie sich gelegentlich auf den Weg zur Strandbar und zurück. Ab und zu steckten sie dem Kellner einen Euro zu, so dass er die Getränke im besten Fall direkt zu der Liege brachte oder beim nächsten Getränke Holen sie sofort drannahm. Unübersehbar abends am Buffet. Auf der Suche nach einem Schnitzel und Kartoffeln, welches sie zu dem Bier und Rotwein verspeisen wollten. Ja nichts anderes probieren oder das, was sie bislang noch nicht kannten! Ich denke, es spielte gar keine Rolle, was sie aßen, die Frage war, wieviel? Besser, wie viel passte auf den Teller, ohne dass etwas von diesem auf dem Weg vom Buffet zum Tisch hinunterfiel? Hauptsache den Teller randvoll beladen, so dass niemand anderes ihnen etwas wegessen konnte! Egal, ob sie es am Ende wirklich aufaßen oder nicht. Die Angst, dass Andere ihnen die leckeren Happen wegschnappen konnten, welche sie bislang noch nicht einmal probiert hatten, war einfach größer und musste somit auf ihren Tellern gesichert werden.

Nachdem ich von dem Beobachten der zuvor Beschriebenen förmlich satt war, bezog ich gleich im Anschluss des Essens mein Zimmer. Ich benötigte für den weiter geplanten Tagesablauf meine Badesachen, die noch im Koffer verstaut waren und wenn ich mich recht entsinne, ziemlich weit unten. Daher musste ich diesen so oder so öffnen. Bei der Gelegenheit konnte ich gleich alle Sachen in dem Kleiderschrank räumen. Meine Wertsachen schloss ich in dem zimmereigenen Schranktresor ein, welcher auf die Zahlenkombination vier Mal die Null eingestellt war. Sehr ideenreich und definitiv einbruchsicher! „Auf diese Zahlenfolge kommt bestimmt niemand so schnell“, dachte ich mit einem Grinsen im Gesicht. So lustig wie ich es fand, so ernst war es aber auch. Hand aufs Herz, wie sicher sollen solche Tresore wirklich sein? Eins steht fest, zu gering! Der Gedanke alleine, dass mein Portemonnaie sowie das Handy und die Reiseunterlagen in diesem Safe verstaut und eingeschlossen waren, beruhigte nur bedingt. Solange ich nicht weiter über Räubereien und Diebstähle nachdachte, war der Tresor auf jeden Fall sicher. Garantiert! Der Glaube alleine reicht oftmals, um die gewünschte Absicht zu erzielen oder was denken Sie, liebe Leser und Leserinnen? Warum verbinde ich den Gedankengang mit dem Placeboeffekt? Sie auch?

Person A reicht Person B ein kleines, weißes Minzbonbon und meint, es sei eine Kopfschmerztablette. Person B nimmt dankend an, schluckt diese und meint fünf Minuten später, die Kopfschmerzen seien verschwunden. Und dass, obwohl es nur ein Bonbon war, ohne jegliche medizinische oder andere heilende Wirkstoffe. Ein Bonbon, das nur für eins sorgte - einen frischen Atem. Rein der Gedanke, dass das kleine Weiße die Kopfschmerzen lindert, hat geholfen. Dieser positive Gedanke hat die psychische und körperliche Reaktion bewirkt, wie nun bei mir der verschlossene Tresor für meine Wertsachen.

Im Handumdrehen fanden alle Sachen in dem dafür vorgesehenen Schrank und der Waschbeckenablage im Bad ihren Platz. Gekleidet im Strandoutfit warf ich das Badehandtuch lässig über den Arm und dann fiel auch schon die Tür ins Schloss. Vorsichtshalber gab ich den Zimmerschlüssel an der Rezeption ab und schon führte mich der Weg durch das große Foyer. Vorbei an dem Brunnen, der Lobbybar mit den weißen Sesseln und den kleinen runden Glastischen, zu der großen aufschiebbaren Fensterfront, hinaus.

Ich befand mich draußen und konnte die frische Luft einatmen. Diese warme, wohlduftende Luft. Ich hielt kurz inne. Sie roch so ähnlich, wie diese am Flughafen, nur noch intensiver. Mehr nach Wasser, nach Salz, nach Palmen, nach Strand, nach Sonnencreme, nach allem, was zu einem perfekten Urlaub dazugehörte. Ich lauschte und hörte fast nichts. Lediglich drang leise Musik aus den Lautsprecherboxen am Pool und das Meeresrauschen, welches mich förmlich lockte und einlud, zu ihm zu kommen. Dem konnte ich nicht widerstehen. Ich setzte mich in Bewegung. Durch die Allee der weißen Kugellampen, entlang der kleinen Hotelgärten, vorbei am Pool und der dazugehörigen Bar, wo ich nun laut und deutlich die Musik wahrnahm. Drei Stufen hinunter, an dem Freizeitbereich vorbei, welcher sich durch eine Dartscheibe und einer Tischtennisplatte auszeichnete. Die Strandbar ließ ich rechter Hand liegen, an der Hecke vorbei und da war er nun, der Strand. So schön, fein und strahlend weiß wie Mehl. Das Beste daran, er endete direkt in dem türkisblauen und klarem Meer. Ich zog meine Sandalen aus und spürte den von der Sonne geküssten, warmen Sand unter meinen nackten Füßen. So weich wie Watte. Ich konnte es nicht glauben. Vor ein paar Stunden, nun gut, mittlerweile vor ganz vielen Stunden, war ich noch in Deutschland mit all meinen Sorgen, Ängsten und Problemen und nun stand ich hier und es war, als sei alles auf einmal wie weggeblasen. Keine dunkle Wolke mehr, weder am Himmel noch in meinem Kopf. Es war gerade so, als ob die Sonne ihre warmen Strahlen direkt auf mich warf und zwar nur auf mich. „Ich will hier nie wieder weg“, schwärmte ich. Jetzt fehlte mir zu meinem Glück nur noch eine Liege am Meeresufer, aber nachmittags um diese Uhrzeit … ein schwieriges Unterfangen. Es glich einem Besuch beim Bäcker; wohlgemerkt nach siebzehn Uhr und dem Verlangen nach einem Stück Bienenstich. Da hatte ich genauso viel Pech wie soeben. In Anbetracht der Tatsache, dass die ersten Hotelgäste früh morgens um fünf oder sechs Uhr, sich noch im Halbschlaf befindend, in Richtung sämtlicher Liegen begeben, um auf diese ihre Handtücher zu legen und somit ihr tagaktuelles Revier durch Besetzung zu reservieren, standen die Chancen für mich sehr schlecht, fünfzehn Uhr dreißig einen Platz abzubekommen. „Was soll es?“, dachte ich und legte mein Handtuch direkt auf das warme Mehl, entkleidete mich der Short und des T-Shirts und legte mich auf meine aus Baumwolle bestehende Unterlage. Da ich durch mein Körpergewicht den Sand zu einer kleinen Kuhle ausbeulte, in welcher ich nun lag, wurde mein kompletter Rücken sowie mein Gesäß sanft erwärmt. Im wahrsten Sinne eingebettet. So bequem. Hot-Stone-Massage für Anfänger. Ich fühlte mich wie ein Baby, das gewogen in den Armen seiner Mama lag. Wohl behütet und eingekuschelt. Eine leichte Brise wehte mir um die Ohren und über mir erstreckte sich der blaue, wolkenfreie Himmel. Der Augenblick hätte nicht besser sein können. Nur eins störte mich und zwar der langsam auf mich und mein Handtuch rieselnde Sand, der allmählich immer mehr wurde. Der Nachteil an meiner Kuhle. Mir war bewusst, wenn ich am Strand war, dass sich dort auch Sand vorfand, nur rieb der nun an meinen Füßen und blieb an meinen zwischenzeitlich schwitzigen Händen kleben und dadurch hatte ich irgendwie überall Sand. Ausnahmslos. An meinen Armen, Beinen, Händen, Füßen. Es wurde unangenehm und nervte mich und wie es so ist, wenn man keine Ablenkung hat oder durch einen Zweiten unterhalten wird, konzentriert man sich genau auf das, was man ignorieren möchte.

Wer kennt das nicht mit dem Verneinen? Sagt man zum Beispiel „Schaue von der Brücke auf keinen Fall hinunter“ was macht man intuitiv? Richtig, definitiv schaut man hinunter.

So ging es mir gerade mit dem Sand. Ich suchte nach Ablenkung und stellte gedanklich meinen weiteren Tagesplan auf. Leider kam ich nicht voran. Immer wieder spürte ich die kleinen Sandkörnchen, an mir festklebend und immer mehr werdend. Warum konnten diese nicht einfach auf meinem Handtuch liegen bleiben, wenn sie schon der Meinung waren, einen Teil dessen zu besetzen?! Nein, sie mussten an mir haften bleiben! Gut, die Schuld konnte ich nicht von mir weisen, denn immerhin war ich diejenige, die aufgrund der hohen Temperaturen leicht transpirierte. Der feine Kies konnte gar nicht anders, als sich an mir festzusaugen. Er beeinträchtigte mich dennoch in meiner Wohlfühlstimmung mit arglistigem Reiben und als ich erfolgreich den einen mit Sand behafteten Fuß an der Wade des anderen Beins abstreifte, haftete nun der Sand an der Wade. Ein Teufelskreis. Leicht mürrisch entschloss ich mich nach verlorenem Kampf mit der Körnigkeit, an den Pool zu gehen. In die sandfreie Zone.

Ich stand auf, schüttelte vorsichtig mein Handtuch im Wind aus, so dass niemand der anderen Urlauber die kleinen Körner abbekam, schlüpfte in die Badeschuhe, nahm mein Hab und Gut an mich und lief unter den skeptischen Blicken der anderen Sonnenanbeter durch die Hotelanlage zurück zum Pool. Von mir aus sollten sie komisch schauen; hier konnte ich wenigstens unangenehmen Situationen entfliehen.

Im Gegensatz zu meinem vorherigen Verweilplatz wurde ich hier fündig. Der Strand war eine eindeutig beliebtere Kulisse, als diese Betonfläche mit einem großen, blauen Wasserbecken. Im Hinterkopf merkte ich mir vor, dass ich mich zur Not stets am Pool platzieren konnte. Selbst auf dem harten, aber sandfreien Fußboden konnte ich mein Handtuch immer ausbreiten. Natürlich entschied ich mich bei der freien Auswahl an Liegen für das weiße Plastikmöbel und steuerte die Erstbeste an. Anstandshalber fragte ich die danebenliegenden Urlauber, ob diese noch frei wäre. Widererwarten schüttelten sie mit dem Kopf, warfen mir einen abwertenden Blick zu und zogen die Liege ein kleines Stück an sich heran. Verwirrt und fast schon versteinert, stand ich da. Hatte ich das gerade geträumt? Heißt es nicht, im Urlaub sind alle nett und freundlich? Ich schaute mich verdutzt um. „Mmh“, war das Einzige, was mir dazu einfiel. Wie bereits erwähnt, befanden sich noch einige unbesetzte Liegen an der Poollandschaft und diese war eindeutig noch frei. So leicht ließ ich mich nicht abwimmeln und schreitete zu neuen Taten. Mit Bedacht spähte ich mein nächstes Ziel aus und legte für mich selbst fest, auf dieser Seite des Pools mein Glück zu probieren, denn auf der Gegenüberliegenden lauerte die neunköpfige Familie aus dem Restaurant. Entspannung aussichtslos. Mein Bedürfnis einer Rundumbeschallung hielt sich stark in Grenzen oder was auch immer sich die sieben ungezogenen und ungehorsamen Kinder für Gemeinheiten einfallen ließen.

Start eines neuen Versuchs. Zielstrebig visierte ich die nächste Gruppe von Sonnenanbetern an, bei der ich jedoch ebenfalls scheiterte. So auch bei den zwei darauffolgenden, vermeintlich freien Liegen. „Das gibt es doch nicht“, wetterte ich vor mich hin. Langsam kam ich mir veralbert vor. Ich zog von einem zum anderen und wurde immer wieder abgewimmelt. Was war nur mit den Hotelgästen los? Sie behüteten das Plastik, als sei es ihr Eigentum. Hatte ich etwas an mir, was so abschreckend war, dass sie nicht neben wir verweilen wollten? Roch ich so unangenehm? Eine ansteckende Krankheit hatte ich nicht. Das wusste ich hundert prozentig. Unauffällig schnupperte ich an meiner Achsel, um mich davon zu überzeugen, dass mein Deodorant nicht versagt hatte. Das war nicht der Grund der Abweisung. Bei mir war alles gut.

Dann, endlich kam die Erlösung. Ein Ehepaar bot mir einen Platz an. Der Mann nahm sein Handtuch und legte es an sein Fußende. Dann zeigte er auf die soeben frei geräumte Sonnenliege und sagte freundlich: „Hier, bitte schön.“

Das Ehepaar russischer Abstammung wohnte und lebte seit über zehn Jahren in Deutschland und sprach somit perfekt deutsch. Integration geglückt!

Ich nahm dankend an, breitete mein Handtuch aus und lächelte den beiden freundlich zu.

„Wenn unser Kind aus dem Pool kommt, kann es mit auf meine Liege“, meinte der Mann und fuhr fort. „Ich habe Ihr Scheitern die ganze Zeit beobachtet. Sie taten mir irgendwie leid, also nehmen Sie diese. Immerhin hat hier niemanden einen Besitzanspruch, auch wenn das alle denken.“ Mit dieser Aussage gewann er auf Anhieb meine Sympathie. „Vielen Dank, das ist ganz lieb von Ihnen. Nur, wenn Sie alle drei nicht gerade im Pool planschen und sich hier ausruhen möchten, wird es ziemlich eng auf den beiden Liegen. Für den Fall möchte ich Ihnen gerne vorschlagen, mein Handtuch auf die Steinmauer zu legen und mich dort niederzulassen. Sie waren immerhin als erstes hier und für mich wäre das nicht schlimm“, wollte ich ihnen entgegen kommen.

Das Ehepaar schüttelte vehement den Kopf und meinte: „Auf keinen Fall! Das kommt gar nicht in Frage!“

Ich nickte einsichtig und brachte mich in Position, um die Pigmentfleckbildung anzuregen. Ich schloss dabei die Augen und atmete ganz langsam. Es war einfach schön. So warm, so zufrieden stellend, so … so laut. Als ich mit geschlossenen Augen dalag, erhöhte sich der vorherrschende Lautstärkepegel am Pool drastisch. Ich hörte auf jeden einzelnen Ton der Musik, der aus den Lautsprechern drang. Dieses orientalische Gedudel ging mir langsam auf die Nerven! So auch das Kinderlachen- und Geschrei der im Wasser herumtollenden Kinder. Als ob jemand meine Liege ganz unauffällig unmittelbar an den Beckenrand des Pools geschoben hatte, wurden die Geräusche immer lauter. Ich wusste zwar, dass das nicht sein konnte, blinzelte trotzdem kurz, um mich dessen zu vergewissern. Ich befand mich noch an der gleichen Stelle wie vor ein paar Sekunden. „Das darf doch nicht wahr sein! Irgendjemand hatte etwas gegen mein heutiges Sonnenbad“, wetterte ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Hier zu verweilen war dennoch besser, als am Strand, wo mich der auf mein Handtuch rieselende Sand traktierte und wie Sekundenkleber an mir haften blieb.

„Sie sind heute erst angereist, oder?“, fragte der russisch aussehende Mann neugierig nach und eröffnete so ein Gespräch, auf welches ich einstieg. Zum Ausruhen und Abschalten bestand bei dem lauten Geräuschpegel keine Chance und somit ließ ich mich auf die Konversation ein. Ich richtete mich auf und erwiderte: „Ja, ich bin am Mittag angekommen und war gerade am Strand. Jedoch war dort auch keine Liegemöglichkeit mehr frei. Deshalb versuchte ich hier mein Glück. Ich schaue mich heute noch etwas um und morgen werde ich gleich nach dem Frühstück an den Strand gehen.“

Die beiden nickten und meinten: „Das ist wirklich besser. Zeitiges Kommen sichert gute Plätze“ und lachten. „Sie können nun aber gerne hierbleiben. Durch unsere kleine Marie müssen wir spätestens siebzehn Uhr in unser Zimmer zurückkehren, so dass wir noch Zeit haben, uns alle drei zurecht zu machen, damit wir pünktlich achtzehn Uhr zum Abendbrot kommen. Die Kleine müssen wir spätestens neunzehn Uhr schlafen legen. Vielleicht sehen wir uns aber zur heutigen Abendveranstaltung wieder. Wir werden da sein, Babyphone sei Dank.“ Sie lächelten.

Die beiden hatten einen fest durchstrukturierten Zeitplan. Und das im Urlaub! Wenn ich Fragen hätte oder Gesellschaft suche, könne ich mich jederzeit an sie wenden.

„In Ordnung, vielen Dank“, entgegnete ich ihnen für das Angebot und beherzigte ihre Worte. Sie vermittelten mir einen vernünftigen Eindruck, so dass ich ihnen Vertrauen schenkte.

Auf der Bühne der Terrasse endete gerade das Animationsprogramm und Entspannungsmusik ertönte aus den Lautsprechern. Ich sah ein kleines Mädchen vom Pool direkt auf mich zugerannt kommen. Zweifelnd überlegte ich, ob ich sie kannte, doch kurz vor mir bog sie zu ihrer Mutter ab, welche ihr die Schwimmflügel abnahm, sie abtrocknete und in das Badehandtuch wickelte. Das Mädchen konnte nur die kleine Marie sein. Ein hübsches Mädchen. Wie eine Puppe sah sie aus. Blond gelockte Haare, blaue Augen und eine Haut wie Porzellan. Ihr Papa richtete nicht nur sich, sondern auch das Kopfteil des Möbelstücks auf, so dass sich das Mädchen vor ihm hinkauern konnte. Von dem Mann fest umschlungen, zitterte die Kleine vor sich hin. Einen rosafarbenen Bademantel mit langen Hasenohren an der Kapuze stülpten sie ihr über. Damit sah sie einfach knuffig aus und ich konnte meinen Blick nicht von ihr lassen. Als sie mein Anstarren bemerkte, schaute sie anfangs ganz neugierig, dann schenkte sie mir ein verlegenes Lächeln und zog ihre Kapuze bis über die Augen. Ich schmunzelte, wandte meinen Blick von ihr ab, drehte mich auf den Rücken und schloss die Augen.

Ich muss mir eingestehen, ich liebe es immer wieder, mich zu sonnen. Am liebsten immer, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Ein Sonnenbad zu nehmen war für mich Entspannung pur. Auch wenn dabei Gedanken kreiselten, konnte ich dennoch abschalten und genießen. Nicht schlafen, einfach nur von meinem Stresspegel runterkommen. Ich brauchte kein Wellnesswochenende, wenn ich in Ruhe zwei Stunden in der prallen Sonne liegen konnte. Das genügte. Mehr brauchte ich nicht. Ich stellte fest, dass selbst dies in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen war, da die Arbeit vorging. Nun hatte ich den Salat - meine Haut glich statt brauner Schokolade eher einer weißen Kalkwand. Jetzt bestand die Möglichkeit, dies zu ändern.

Trotz des immer noch vorhandenen Lautstärkepegels döste ich vor mich hin und war erst wieder hellwach, als eine Ansage durch die Boxen schallte, dass in zehn Minuten das Tischtennisturnier beginnt und sportwütige Urlauber recht herzlich eingeladen sind. Ich streckte mich und vernahm noch mit geschlossenen Augen, dass sich ein Schatten auf meinem Gesicht und Dekolletee abbildete. Ich öffnete langsam meine Gucklöcher. Ein braungebrannter, junger und sportlicher Mann stand vor mir. Die Aufschrift „Vime“ trug seine Short und das

T-Shirt. „Er kann nur ein Angestellter des Hotels sein“, dachte ich oder besser, ich hoffte es. Anderenfalls musste ich ihn bei einem Anmachversuch gekonnt und freundlich abblitzen lassen. „Hey, ich bin Piere. In zehn Minuten Tischtennis. Komm“, sprach er in einem schlechten, aber dennoch verständlichen Deutsch. Eindeutig einer der Animateure. Ich winkte freundlich ab. An jedem anderen Tag hätte er mich dazu überreden können, aber heute wollte ich in erster Linie ankommen. Immerhin trudelte ich erst vor wenigen Stunden ein. Zeit für Freizeitaktivitäten bliebe noch genügend. Nur nicht heute und nicht jetzt. Piere zeigte sich einsichtig, wandte sich von mir ab und erspähte bereits seine nächsten Opfer, um Überzeugungsarbeit zu leisten. Meine russischen Nachbarn hatten sich während meines Sonnenbades leise davongestohlen und auch generell lichtete sich das Besucheraufkommen am Pool. Kein Wunder in Anbetracht der Tatsache, dass es kurz vor siebenzehn Uhr war. Dafür tummelten sich die durstigen Urlauber an diversen Bars. So auch ich. Die Poolbar lud zum Verweilen ein. Eine kleine, weiße Hütte, das Dach aus Stroh. Weiße Plastikstühle und runde, weiße Plastiktische befanden sich ringsherum um die Bar, an denen einige Pärchen saßen und größtenteils einen Kaffee oder ein Bier, oftmals das typisch tunesische Celtia, genossen.

Ist Ihnen ebenfalls wie mir aufgefallen, dass das Möbel im Außenbereich nicht gerade von hoher Qualität und Komfort strotzte? Mir schon. Ein Hinweis auf die Anzahl der Sterne des Hotels. Rattanmöbel steht erst bei einer höheren Preiskategorie zur Verfügung.

Ich trat an die Theke, zeigte mein all-inklusiv-Bändchen, welches mein rechtes Handgelenk zierte und bestellte „one big soda with ice, please“, was übersetzt „Ein großes Wasser mit Eis, bitte“ bedeutete. Der Barkeeper lächelte und griff zu einem Glas, welches er befüllte. „One?“, vergewisserte er sich noch einmal.

„Yes, please“, erwiderte ich. Ja, natürlich oder sah er neben oder hinter mir noch jemanden stehen? Nein, ich war alleine, daher gab ich mich vorerst mit einem Glas Wasser zufrieden.

Während er das Getränk mit einem Strohhalm vervollständigte, fragte er zu seiner Gewissheit nach: „Are you allone here?“. Ja, noch einmal und auch für den netten Barkeeper noch einmal persönlich und zum Mitschreiben: Ja, ich bin alleine! Wer so nachfragte, wollte bestimmt noch mehr wissen. Mir ein Gespräch ans Bein nageln, jedoch war ich nicht in Redelaune. Ich wollte lediglich etwas zu trinken. Somit log ich ihm eiskalt ins Gesicht und erwiderte nur „no“ für „nein“.

Mein Plan ging nicht so auf, wie ich es mir dachte. Während er mir das bestellte Glas auf die Theke stellte und mit einer Zange fünf Eiswürfel in dieses hineinfallen ließ, bohrte er weiter nach. „Where is your boyfriend?“ Neugierig war der Barkeeper überhaupt nicht! Wenn ich ein Gespräch führen wöllte, würde ich mir Freunde suchen oder zu einem Psychologen gehen, aber gewiss nicht die Nähe des Mannes suchen. Gekonnt ignorierte ich die Frage, schnappte mein Glas und beschloss zurück zu meiner Liege zu gehen, statt an der Bar auszuharren, um nicht weiter ausgehorcht zu werden. Für zukünftige Verhöre musste eine Ausrede her. Ich denke, das Argument, dass ich zusammen mit meinem Freund den Urlaub verbringe und er im Hotelzimmer ist oder sich die Hotelanlage anschaut, wird anfangs fruchten, aber irgendwann nimmt mir die Lüge niemand mehr ab, wenn mein erfundener Partner nie gesehen wird. Doch bis zu diesem Zeitpunkt musste ich die Unwissenheit der Anderen zu meinem Vorteil nutzen. Immerhin konnte ich mit der ausgedachten Variante von mir abwimmeln und die Animateure, Barkeeper sowie Kellner mit ihren ständigen Ansprachen und Flirtversuche auf Distanz halten.

So ein kaltes Getränk erfrischte bei der Hitze! Eine Wohltat für Körper und Geist. Ausgesprochen wohlschmeckend das tunesische Mineralwasser, welches den Namen Safia trug. Ein schöner Name für ein Wasser. Während ich trank, leerte sich das Liegenfeld um den Pool herum immer mehr. Zum Schluss blieben nur noch ich und ein Berg der Verwüstung der neunköpfigen, unerzogenen Großfamilie übrig. Die langsam einkehrende Abendstimmung hatte etwas Geheimnisvolles und Magisches zugleich. Die Luft fühlte sich ganz anders an und es roch auch anders. Der Duft von Sonnencremes und des Chlors des Pools wurde von dem Abendessengeruch übertrumpft. Zudem frischte die Meeresbrise auf und ein intensiver Salzgeruch stieg mir in die Nase.

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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