Buch lesen: «Urlaub - jetzt komm ich!», Seite 3

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1. Tag - Flughafen

Da stand ich nun, in der einen Hand mein Flugticket, in der anderen umklammerte ich den Griff des Kofferwagens. Ich, eine junge Frau, allein, vor dem riesigen Gebäude auf weiter Flur. Erneut überkam mich ein kurzer Zweifel. Hatte ich den richtigen Entschluss getroffen? Sollte ich tatsächlich alleine verreisen? Und dann auch noch ins Ausland? Ich hoffte, ich hatte mir das gut überlegt und das alles gut ginge. „Nein, das war eine gute Entscheidung.“ Schnell schob ich die schlechten Gedanken beiseite und meine Vorfreude auf diese Reise hielt wieder Einzug. „Ab in den Süden“, dachte ich. Jetzt begann MEIN Urlaub.

Staunend und beeindruckt von der großen Flughafenhalle bewegte ich mich auf der Rolltreppe Richtung der Schlange am Check-in-Schalter zu. Kurz zuvor musste ich meinen ach so nützlichen Kofferwagen abstellen, schnallte mir somit meinen Rucksack auf den Rücken und hievte und zerrte den Koffer über den Fliesenboden des Gebäudes und reihte mich in die endlos lange Warteschlange ein.

Mein Gepäck fand neben mir Platz, darauf meine Jacke, das Flugticket und alle weiteren Papiere, die später von der Dame am Schalter benötigt wurden. Nun war Warten angesagt und Geduld haben.

Ich schaute mich um. Genügend Zeit dazu blieb immerhin. In der Schlange hatten sich zahlreiche ältere und jüngere Pärchen sowie Familien eingereiht, die mehr oder weniger ausdauernd auf den Beginn ihres bevorstehenden Urlaubs warteten. „Ich glaube, ich bin die Einzige, die alleine reist“, dachte ich. „Oder ich bin im falschen Komplex?“ Im Businessterminal wäre ich unter den zahlreichen Geschäftsleuten gar nicht aufgefallen, aber hier im Urlaubsterminal erntete ich bereits jetzt schon die ersten seltsamen Blicke. Während ich versuchte, mich mit Lesen der Anzeigetafel abzulenken, rückte die Schlange und somit auch ich, hin und wieder tatsächlich und exakt einen Millimeter vor. Dabei stellte ich immer deutlicher fest, wie ich von den anderen Passagieren mit kritischen und abwertenden Blicken begutachtet und gemustert wurde. Von oben bis unten und wieder zurück. „Oje, das kann ja heiter werden“, dachte ich. „Naja, das Abenteuer beginnt. Mit allen Unannehmlichkeiten.“

Ich redete mir ein, dass sie wahrscheinlich ganz zufällig in meine Richtung schauten, als ich mich ihnen zuwandte. Somit probierte ich krampfhaft, die Blicke der Anderen zu ignorieren und scannte regelrecht jeden Winkel der Halle mit meinen Augen ab. Irgendwann erschöpfte auch diese Ablenkung. Nun blieb nur noch das Zurückmustern der Fremden. Egal in welche Richtung ich blickte, überall trafen mich Blicke der Mitreisenden. Langsam fühlte ich mich wie ein kleines Mäuschen, welches von hungrigen Katzen mit ausgefahrenen Krallen umkreist wird und angsterfüllt darauf lauert, dass sie alle über das verängstigte, schüchterne Tierchen herfallen. Warum gerade ich? Unwohlsein überkam mich. Ich wurde nervös und hoffte insgeheim, dass mein Deodorant mir die Treue erwies und jetzt nicht versagen würde. Keine Angriffsfläche für die Lästermäuler bieten!

„Was ist?“, wollte ich am liebsten Herausbrüllen. „Habe ich einen großen Fleck auf meiner Hose, der jedem auffällt, nur mir bislang nicht? Habe ich Schokolade im Gesicht verschmiert oder doch einen Kaugummi im Haar kleben?“ Irgendetwas musste an mir dran sein, was ich bislang nicht bemerkt hatte, aber dem Anschein nach alle Blicke auf mich zog und lenkte. „Stopp! Heute keine Fleischbeschauung!“

Meine Gegenoffensive scheiterte. Ich versuchte mich wenigstens so zu verhalten, als würde ich die Begutachtungen überhaupt nicht bemerken, doch das funktionierte nicht im Ansatz. Nächste Option, die Suche nach einem neutralen Punkt auf dem Fußboden. Dies glückte, doch ich wusste und sah auch im Blinkwinkel, dass ich die Hauptattraktion in dieser Räumlichkeit war. Die Frau in der Warteschlange nebenan empfand dies offensichtlich auch so. Seit dem Moment ich mich zu den Warteten eingereiht hatte, beobachtete sie mich. Obwohl, beobachten ist nicht das richtige Wort, für das, was sie machte. Sie zog mich schon förmlich aus, so penetrant starrte sie. Es störte mich und das musste ich ihr irgendwie nonverbal begreiflich machen. Es gab keinen Grund, dass ich mich wegen so einer Sonnenbank Gebräunten unwohl fühlte. Nein, ich gab mir einen Ruck, holte tief Luft und starrte sie genauso an, wie sie mich. Fast schon erschrocken reagierte sie, wandte ihren Blick mit einer Peinlichkeit ab, drehte sich zu ihrem Mann um und tuschelte. Die beiden grinsten kurz und machten eine abwertende Kopfbewegung. „Was soll das heißen?“, fragte ich mich selbst. Was soll ich von so einer Reaktion halten? Das kann ja noch spaßig werden! Ich wünschte mir jetzt schon Michael oder eine Freundin als seelische und moralische Unterstützung an meiner Seite. Dann hätte ich selbstbewusster den Mitreisenden die Stirn geboten und sämtliche Angriffsfläche zum Lästern meiden können. Naja, so sorgte ich wenigstens für Gesprächsstoff und Unterhaltung der Anderen. Bitte, gern geschehen, liebe Mitwartenden!

Ich wandte mich der Sonnenbankliebhaberin und ihren Mann ab. Immerhin wussten sie jetzt, dass ich ihre Abneigung mir gegenüber bemerkt hatte. Meine Aufmerksamkeit lenkte ich auf mich und stellte fest, dass ich noch nicht einmal im Flugzeug saß, aber schon sehnsüchtig an Michael und Anna dachte. Nein, ich musste selbstbewusst und entschlossen sein! Immerhin freute ich mich so sehr auf meinen Urlaub, auf meine persönliche Auszeit und auf das Abschalten meiner Gedanken. Die Entscheidung hatte ich getroffen und dazu musste ich jetzt stehen, stark und motiviert. Komme, was wolle. „Nur bitte lass die Warteschlange zügig vorrücken, so dass ich schnell im Flugzeug sitze!“, betete ich zu Gott.

Mein Flehen und Betteln wurde erhört. Die Schlange rückte mit einem Schlag einige Schritte vor und ich war endlich an der Reihe.

Es gibt doch ein Wesen, ganz weit oben im Himmel, der gerade ein Erbarmen mit mir hatte und mich von meinem Leid der Blicke erlöste. Danke!

Die Dame hinter dem Schalter schaute auf und lächelte mich freundlich an. „Reisen Sie alleine?“, erkundigte sie sich sicherheitshalber. Skeptisch prüfte ich, ob jemand unerlaubter Weise den Sicherheitsabstand nicht einhielt und sich direkt hinter mich geschmuggelt hatte, so dass die Dame davon ausging, dass ich in Begleitung war. Da war niemand, also nicht direkt hinter oder neben mir.

Mit runzelnder Stirn blickte ich die Flughafenangestellte an und meinte in einem ruhigen Tonfall: „Ja, ich reise alleine“ und stellte meinen Koffer auf das Laufband links neben dem Schalter.

In dieser Situation hätte ich auch anders reagieren können, denn ihre Frage fand ich sehr unangebracht. Sie nahm mich seit über eineinhalb Stunden wahr und konnte feststellen, dass ich ohne Begleitung reiste. Zu den abwertenden und kritischen Blicken kam nun so eine Frage. Ihr Glück, dass ich mich beherrschen konnte und ruhig geblieben bin. Anderenfalls wäre das Szenario bestimmt folgendermaßen abgelaufen:

„Sie reisen alleine?“, fragte mich die nette Dame am Schalter. Ich überlegte, ob sie dies ernst meinte und brüllte mit rasenden Puls lautstark durch die Halle: „Naja, klar oder sehen Sie hier noch jemanden neben mir stehen?! Ist das denn so ungewöhnlich? Bin ich denn der einzige Mensch auf der Welt, der alleine reist? Und Ihr alle hinter mir in der Schlange und die, die bereits von der Warteschlange nebenan eingecheckt haben – was klotzt Ihr mich eigentlich so blöd an?“.

Ich denke, mit dieser Variante hätte ich mich nicht nur bei der Check-in-Frau unbeliebt gemacht, auch bei den anderen Passagieren. Ein Anlass mehr zum Tuscheln, Mustern und mich wahrscheinlich für verrückt erklären zu lassen. Am liebsten hätte ich mir Luft gemacht und das, was mir die gesamte Zeit über auf der Zunge lag, von der Seele schreien wollen. Ich appellierte an meine Vernunft, kontrollierte meine zwiespältigen Gefühle und entschied mich für das erste und ruhigere Szenario.

Die Dame scannte das Flugticket ein, überprüfte meinen Ausweis und klebte die Banderole um die Kofferschlaufe. Nun ging dieser auf Reisen und ich wusste, ich folgte ihm in ein paar Minuten. Das Handgepäck führte ich mit mir.

„Einen guten Flug“, wünschte mir die Frau und händigte mir all meine Papiere mit einem freundlichen Grinsen wieder aus. Erlösung! Nun war der Weg frei zur Personenkontrolle, die ich mit Bravour bestand. Nachdem der Metalldedektor keinerlei Alarm schlug und der Rucksack nichts Auffälliges aufwies, winkten mich die Luftsicherheitsassistenten freundlich durch und wünschten mir ebenfalls einen angenehmen Flug.

Der Blick auf die Uhr verriet mir, dass bis zum Boarding noch reichlich Zeit blieb. Daher nahm ich auf einen Sitz der Stuhlreihen in der Wartehalle Platz. Von hier aus konnte ich die zum Abflug bereitstehenden Flugzeuge betrachten. Auch das Rollfeld hatte ich im Visier. Hier saß ich wirklich gut. Ich machte es mir bequem und genoss die Aussicht. Das rege Treiben in und außerhalb der Halle beobachtete ich. Flugzeuge landeten und starteten, Passagiere gesellten sich zu mir und verschwanden wieder. Das reinste Durcheinander.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schaute ich erneut auf meine Armbanduhr. Ich erschrak. Es waren erst sieben Minuten vergangen. Und nun? Immer noch viel zu viel Zeit bis zum Aufruf und bis der Flieger endlich starten konnte. Mein Blick ließ ich erneut durch den riesigen Bereich des Terminals schweifen, diesmal auf der Suche nach einer Beschäftigung, um die Wartezeit zu überbrücken. Mein im Rucksack mitgeführtes Buch wollte ich nicht herausholen und anfangen zu lesen. Dieses sollte erst auf meiner Liege am Strand zum Einsatz kommen.

Apropos, weit hinter mir auf der rechten Seite erspähte ich einen Buchladen. Kurz entschlossen nahm ich mein Hab und Gut und steuerte das Geschäft zielstrebig an. Dort angekommen, durchblätterte ich diverse Zeitschriften, Bücher, betrachtete Postkarten und kleine Verkaufsartikel, die im Kassenbereich präsentiert wurden. Eigentlich interessierte mich das alles gar nicht, denn ich wollte nur die Zeit bis zum Abflug überbrücken, aber gebildet und intelligent sah ich bestimmt beim Stöbern aus und um einige Informationen und Neuigkeiten aus der Welt der Schönen und Reichen war ich ebenfalls schlauer. Ich schlug zwei Fliegen mit einer Klappe, wie es sprichwörtlich so schön heißt und nahm im Anschluss, bewandeter als vorher, in der Sitzreihe vor dem Buchladen Platz.

Mittlerweile, das heißt nach weiteren zwanzig Minuten, war ich vom vielen Warten etwas gelangweilt und wenn eine Lena gelangweilt ist, dann überkommt sie schnell schlechte Laune. Da es aber in den Urlaub ging, war diese total fehl am Platz! Nun hieß es, ablenken. Nur womit? Mein Handy hatte ich bereits ausgeschaltet und ganz weit unten in meinem Rucksack verstaut. Den Buchladen hatte ich ja auch schon durchgestöbert. Etwas essen oder trinken? Ach nein, kein Bedarf. Auf Toilette gehen? Das geht als Frau immer! Mit langem Händewaschen hinterher und nochmal die eine oder andere Haarsträhne richten, ja, da kann ich auch noch ein paar Minuten Zeit schinden. Außerdem lag die Toilette am anderen Ende der Halle. Wenn ich ganz langsam hinlaufe, vergeht auch noch etwas Zeit. „Ja, das ist eine gute Idee“, bestätigte ich selbst meine Strategie und machte mich auf den Weg. Doch dann plötzlich, auf halber Strecke, ertönte durch die Lautsprecher ein Gong, gefolgt von dem Aufruf zum Boarding. Meine Flugnummer. Endlich, es konnte losgehen! Ich war total aufgeregt. Freudig aufgeregt. Endlich ging es aus dem verregneten Deutschland ins Warme. Dorthin, wo die Sonne immer lacht. Ach, war ich auf einmal mit Glückshormonen geflutet. Ausgerechnet jetzt hätte ich wirklich auf Toilette gemusst, aber man muss im Leben Prioritäten setzen und bei der Wahl zwischen einem Toilettengang oder das Flugzeug zu verpassen und somit den Urlaub des Jahrhunderts, da fiel die Entscheidung nicht schwer.

Erneut stellte ich mich an. Diesmal am Boardingschalter. Hier rückte die Schlange deutlich schneller weiter. Die benötigten Unterlagen zeigte ich vor, welche der junge Mann in Uniform einscannte und freundlich meinte: „Guten Flug.“ Ich bedankte mich höflichst, verließ das Terminal über den Flugsteig und betrat die Gangway, welche deutlich zu kühl klimatisiert war. Zum Glück trug ich meine Jacke bei mir und zog sie schnell an.

Voller Vorfreude lief ich die Fluggastbrücke entlang. Ein Blick nach draußen wurde leider allen Passagieren verwehrt, da diese eine der geschlossenen Variante war, also ohne Fenster. Der Vorteil daran, alle Flugreisenden mussten nach dem Verlauf des Boarding nicht mehr das Flugfeld betreten und gelangten direkt in die Maschine. Gerade bei schlechtem Wetter optimal, wie ich finde.

Nun kam ich mich vor, als würde ich als Winzling durch eine Wasserrutsche gehen, nur ohne Wasser und ohne zu rutschen und dass die Wände eckig waren statt rund. Am Ende der Rutsche plumpste ich auch nicht in das kühle Nass, sondern wurde von zwei freundlich lächelnden Stewardessen begrüßt. Wie im jetzigen Moment, als ich den Flieger betrat. Eine der beiden Flugbegleiterinnen reichte einen Korb mit Bonbons. Natürlich griff ich zu, ich wollte schließlich nicht unhöflich sein. Außerdem erfüllte das süße Naschwerk einen nützlichen Zweck. Irgendwie musste ich den Druckunterschied auf meine Ohren beim Start und der Landung ausgleichen. Warum die eigenen Bonbons dafür verschwenden, wenn mir hier welche so freundlich angeboten worden und dann auch noch gratis? Zugreifen, hieß meine Devise. Mitnehmen, was ich bekommen und tragen kann!

Auf der Suche nach meinen Sitzplatz lief ich den schmalen Gang entlang und kämpfte mich mit Lesen oberhalb der Sitze einundzwanzig A, einundzwanzig B, einundzwanzig C, zweiundzwanzig A und so weiter durch die Reihen. Gefunden. Den Fensterplatz konnte ich als den Meinen bezeichnen. Ja gut, wenn man von den abgenutzten und abgewetzten Sitzbezügen absieht, die einst bestimmt in einem kräftigem Grün leuchteten, nun aber mit einem graubraunen Film überzogen waren, war der Platz ganz annehmbar.

Jetzt nur noch schnell den Rucksack und die Jacke über den Sitzen verstauen, Platz nehmen und die Maschine mustern. So ähnlich, wie es vorhin die anderen Passagiere in der Warteschlange bei mir angewandt hatten, so war nun der Flieger an der Reihe. Meine eigene Qualitätskontrolle. Ich saß gut, der Sitz war widererwartend bequem. Eine gute Aussicht wurde mir geboten. Genau auf die Tragfläche. Zu meiner Erleichterung sah ich keinen Rost und die Fenster, die waren zwar dreckig, aber hoffentlich dicht.

Ich will nicht sagen, dass ich Flugangst habe; Respekt trifft es eher. Etwas mulmig wurde es mir schon immer bei dem Gedanken, mich in fremde Hände zu geben und dann auch noch ohne festen Boden unter den Füßen. In schwindelerregender Höhe. Daher vertraute ich auch bislang immer nur Maschinen von großen und namhaften Fluggesellschaften und dennoch beunruhigt mich jede Luftturbulenz während des Fluges. Da kann schon mal Angstschweiß aus mir herausbrechen oder sich meine Fingernägel im Sitzbezug einspießen. Man weiß ja nie. Da hat es immer den Vorteil, wenn die Polster schon so abgewetzt sind, wie in dieser Maschine. Da fallen die „Einkrallspuren“ gar nicht weiter auf und ich hatte die Gewissheit, dass das Flugzeug schon einige Flüge verzeichnen konnte. Anscheinend sicher.

Direkt neben mir saß ein jüngerer Mann. Ich konnte schon immer das Alter von Anderen schwer schätzen, aber ich würde behaupten, er war so alt wie ich. Am Gang nahm ein Mann Platz. Meiner Schätzung nach mittleren Alters. Mir wurde jetzt schon bewusst, dass es für ihn kein angenehmer Flug werden würde. Er war sehr korpulent und passte gerade so in den Sitz hinein. Zudem saß er dort, wo andere Passagiere sich zu ihren Sitzplätzen oder zu der Bordtoilette durchdrängelten und dann noch das ständige Hin und Her der Stewardessen. Der Mann hatte wirklich Pech und tat mir irgendwie jetzt schon leid.

An der Stelle wurde mir eins deutlich: Ich war nicht die Einzige, die ohne Partner oder Kind reiste. Rein diese Tatsache, dass die beiden Männer neben mir jeweils unabhängig voneinander, ohne dass sie sich kannten und somit ebenfalls alleine flogen, beruhigte mich. Wir waren bestimmt nicht die Einzigen in dem Flieger, denen es so erging. Als mir dies bewusst wurde, musste ich etwas schmunzeln, denn mir schoss ein ulkiger und sarkastischer Gedanke durch den Kopf: Über uns fehlte nur noch ein Schild mit folgender Aufschrift: „Sitzreihe der Alleinreisenden. Anglotzen erlaubt, füttern verboten!“ oder so ähnlich.

Auf einmal ertönte ein leises Summen, das immer lauter wurde. Das Licht im Flugzeug erlosch und über den Sitzen blinkten die kleinen Lämpchen mit dem Symbol zum Anschnallen auf. Ein kurzer Ruck und die Maschine setzte sich rückwärts in Bewegung. Die Lampen gingen wieder an und zwei Stewardessen traten in den Gang. Eine mittig und die Andere vorne, wo vorhin noch die Bonbonausgabe stattfand. Sie begannen das obligatorische „Was ist zu tun im Notfall“ - Programm durchzuführen. Anschließend ertönte die Stimme des Piloten, der uns allen einen guten Flug wünschte. Was soll ich sagen, dies lag nun wirklich allein in seinen Händen und an seinem Können. Eher sollten wir Passagiere ihm die Wünsche aussprechen! Immerhin klang er selbstbewusst, sprach deutsch und hatte so einen beruhigenden Klang in seiner Stimme. Ich kann mir glatt vorstellen, dass bei Bewerbungsgesprächen die zukünftigen Piloten einen Text laut und deutlich vorlesen müssen, um die jeweiligen Stimmfarben heraus zu hören. Je beruhigender und optimistischer, umso größer die Chance, den Job zu bekommen. Zumindest würde ich es so machen. Nichts ist alarmierender, als wenn ich ängstlich in einem Flugzeug sitze, meine Fingernägel sich bereits im Sitz festkrallen und dann noch eine zittrige, unsichere Stimme erklingt, die unsicher einen guten Flug wünscht. Das ist nicht gerade vertrauenserweckend. Für niemanden!

Vertieft in meine Hirngespinste bemerkte ich nicht, dass das Flugzeug bereits auf die Startbahn gerollt war. Erst als die Maschine kurz stehen blieb, blickte ich auf und aus dem Fenster hinaus. Leider konnte ich nur eine endlose dunkelgraue Startbahn und ganz viel Grün erspähen. Ein kurzer Ruck, dann setzte sich der Koloss erneut in Bewegung. Nun ging es los. Der Flieger wurde immer schneller und schneller. Es drückte mich in das Polster der Lehne. Meine Hände umklammerten ganz fest die Schnalle des Gurtes und dann spürte ich, wie das Flugzeug vom Boden abhob. Die Landschaft neigte sich am Horizont schräg zum Flugzeug und wurde immer kleiner und kleiner. Eifrig lutschte ich das Bonbon, um den Druck in meinen Ohren zu minimieren. Das Fahrwerk klappte ein und die Maschine stieg immer höher. Mit erreichten Höhenmetern erloschen die Anschnallzeichen. Geschafft. Der Vogel verließ erfolgreich sein Nest und flatterte davon!

Ich löste meinen Gurt und konnte mich entspannt zurücklehnen. Die kleinen Bildschirme, die über uns in der Gepäckablage eingelassen waren, klappten aus und ich schaute die bevorstehende Flugroute detailliert an und verfolgte diese akribisch. Merkwürdig, wenn man das kleine Flugobjekt auf der Landkarte sieht, wie langsam es sich fortbewegt; wie lange sollte denn der Flug dauern? Gemäß der Darstellung tippte ich auf mindestens noch sieben Stunden, wenn nicht länger. Dass mich mein optisches Auge hier trübte, muss ich nicht explizit erwähnen.

1. Tag – Flugzeug

Nachdem sich das Flugzeug auf seiner Route und der benötigten Flughöhe befand, kamen die Flugbegleiterinnen bereits kurze Zeit später mit dem Getränkewagen durch. Eine von vorne, Eine von hinten, so dass sie sich in der Mitte trafen. Doch so einfach, wie sich das die Stewardessen vorstellten, gestaltete es sich nicht. Nicht auf diesem Flug. Der etwas füllige Mann in meiner Sitzreihe, am Gang platziert, stellte für die beiden eine Herausforderung dar. Auf den schon eng bemessenen Raum quetschen sich die Bedienungen mit ihren Wagen durch und nun kam ihre Getränkeausgabe zum Stocken. Der adipöse Mann, ich nenne ihn der Einfachheit halber Hans, bemerkte die Misere und lehnte sich zu dem jüngeren Mann neben mir. Dieser wiederum, ich gebe ihm den Namen Robert, folgte Hans und lehnte sich aus Platzgründen zu mir. Und was war mit mir? Ich wurde an mein Fenster gepresst und war froh, dass sich dieses nicht öffnen ließ. Dennoch fühlte ich mich wie eine Ölsardine. Wäre die Innenwand des Flugzeuges aus leichtem, biegsamem Material gewesen, hätte ich mich mit meiner Silhouette für immer darin verewigt. Kuschelalarm! Zum Glück trug Robert ausreichend Parfüm, anstatt eines penetranten Schweißgeruchs. Nicht auszudenken, wie es ihm ginge mit Hans an seiner Seite beziehungsweise auf seiner Seite.

Das war jedoch die einzige Variante, den Stau an unserer Sitzreihe zu vermeiden und falsche Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.

Gleiches Szenario, nur einige Minuten später und diesmal fiel die Beköstigung in fester Form aus. Die Ausgabe des leckeren Essens nahte. Richtig gelesen, zu diesem Zeitpunkt gab es auf Flugstrecken noch etwas zu Essen, welches im Flugpreis inbegriffen war und lecker ist schließlich eine Frage des Geschmacks. Wenn man Hunger hat und es nichts anderes gibt, wird auf einmal ein trockenes, geschmackloses Brötchen zur Delikatesse.

Das Platzproblem wollten die Stewardessen beim Einsammeln der leeren Tabletts sowie der Getränkebecher umgehen und ließen uns einfach außen vor. Die Eine kehrte vor unserer Sitzreihe um, die Andere stoppte hinter uns. Wir drei wurden gekonnt ignoriert. Robert und ich sahen uns fragend und skeptisch an. Als ob die Dame in Uniform unsere Mimik deuten konnte, kam sie doch noch auf uns zu und sammelte die Tabletts ein. Wie eine Kellnerin im Restaurant trug sie diese vor zu dem Servierwagen. „Geht doch“, dachte ich. Das Problem war gelöst. Warum nicht gleich so. Ich gehe fest davon aus, dass für Hans die Konstellation bestimmt auch unangenehm war. Er konnte nichts für seine Körperfülle, er war krank und durch die Einnahme diverser Tabletten so korpulent. Er hatte sich sein Schicksal und somit sein Gewicht nicht ausgesucht. Ausreichender Vorurteilen sei Dank, erntete er genügend abwertende und fragende Blicke, die ihn förmlich anschrien: „Wie kannst du nur so viel essen, um so fett zu sein!?“

Ich bin der Meinung, im Grundsatz ist jeder Mensch gleich. Warum der eine so aussieht und der andere anders oder warum sich manche in diversen Situationen so verhalten, wie sie es eben tun, ist in erster Linie zu erfragen, bevor gewertet wird!

In unserer Singlesitzreihe kehrte einfach keine Ruhe ein. In dem Moment, in dem andere Passagiere sich die Kopfhörer aufsetzten, um Musik zu hören oder sich ein Buch zur Hand nahmen, um zu Lesen, wurde es Robert plötzlich schlecht. Er wurde ganz blass im Gesicht, hielt eine Hand auf seinen Bauch und mit der Anderen den Mund. Ich blickte nervös zu ihm rüber. „Soll ich Ihnen die Kotztüte reichen?“, bot ich ihm meine Hilfe an. Mir ist bewusst, dass dies nicht die beste Ausdrucksweise war. Ich hätte auch zu Robert sagen können: „Soll ich Ihnen die braune Papiertüte aus der Sitztasche des Vordermanns reichen, falls sich Ihr Gemüts- und Gesundheitszustand verändert und Sie ein Gefühl der Übelkeit überkommt, welchem Sie nachgehen müssen?“. Diese Variante dauerte eindeutig zu lange. Bis ich die Frage beendet hätte, hätte Robert vermutlich schon auf seinen Schoss gebrochen.

Er nickte. Ich handelte zügig. Somit zog ich aus der Tasche des Sitzes meines Vordermannes die braune Papiertüte und reichte sie meinem Nebenan. Zügig presste er sie auf seinen Mund und Nase und atmete in sie tief ein und wieder aus. Hans konnte die Situation logischerweise nicht übersehen, so nah, wie wir beieinandersaßen und erhob sich freundlicher Weise. Gut, es war mehr ein hochwuchten und herausquälen, aber immerhin. Nun war der Weg frei. Der junge Mann konnte von seinem Sitz aufstehen und schnurstracks zur Toilette eilen.

Wenn Hans einmal stand, nutzte ich ebenfalls die Gelegenheit und erhob mich. Somit ersparten wir uns einmal mehr das Hochjagen des Schwergewichts.

Vor Abflug kam meinem Toilettengang das Boarding in die Quere und mittlerweile drückte mein Hosenbund gewaltig auf meine nunmehr noch vollere Blase. Wenn ich es mir recht überlege, wählte ich keinen guten Zeitpunkt zum Austreten. Ich konnte nur erahnen, was Robert gerade in der Toilette machen würde und welche Gerüche seine Übelkeit mit sich brachten. Und als nächstes sollte ich nun den kleinen Raum ohne Fenster und ohne Raumspray betreten? Keine gute Idee, aber meine Blase sagte mir etwas anderes. Ich kam nicht drum herum. Bis der junge Mann die Tür öffnete, konnte ich mich seelisch und moralisch auf das Bevorstehende vorbereiten, was mich gleich erwarten würde. Warum hatte ich ihn nur vorgelassen? Ich hätte ja schon viel eher auf die Idee kommen können! Aber nein, da muss ich erst warten, bis es meinem Sitznachbar schlecht wird und dann ihm auch noch den Vortritt lassen! Augen zu und durch oder besser gesagt, tief Luft holen, eintreten und solange nicht mehr atmen, bis ich wieder auf dem Gang des Flugzeuges stand. Ja, das war eine gute Strategie. Nun musste ich nur noch geduldig warten, bis Robert die Örtlichkeiten verließ.

Von hier eröffnete sich eine ganz andere Perspektive des Flugzeuginnenraums und ich fühlte mich für einen kurzen Augenblick als Flugbegleiterin. Regelrecht wichtig, denn nicht nur ich erspähte alles und jeden, auch die Mitfliegenden nahmen mich ins Visier. Erwartungsvolle Aufmerksamkeit sprang mir entgegen. Was war nur mit ihnen los? Was habe ich getan, dass mich Einige so seltsam ansahen? Haben alle denn nichts Besseres zu tun? Kommt gerade nichts Interessantes im Fernsehen? Auch die Bordzeitung kann gelesen werden! Aber nein, anstatt unsere Flugroute auf dem Bildschirm zu verfolgen, verfolgten die Blicke der Passagiere mich. Verschämt schauten die Neugierigen zu Boden oder aus dem Fenster, als sich die entsprechenden Blicke trafen. Gut so, warum nicht gleich so!

Die Situation wurde von dem Klacken des Türschlosses der Bordtoilette unterbrochen. Der junge Mann kam kreidebleich heraus und schlich zurück zu seinem Sitzplatz. Nun war ich an der Reihe. Mittlerweile von Bauchkrämpfen geplagt, wünschte ich mir dennoch so sehr wie noch nie, nicht urinieren zu müssen. „Luft anhalten und durch“, sprach ich mir selbst zu und verrichtete schnellstmöglich mein Geschäft.

Dabei überlegte ich folgendes: Es ist immer wieder komisch, wenn man die vermeidliche Spülung eines Zugs oder Flugzeugs betätigt. Ein kalter Luftzug durchströmt den kleinen Raum. Kurz durchatmen. Seit Klein auf stellt sich für mich die Frage: „Wo geht das nun hin?“. Was machen diejenigen, die „es trifft“, im wahrsten Sinne des Wortes? Ein widerlicher und absurder Gedanke. Das soll gerade nicht mein Problem sein, ich bin ja hier oben. Noch einmal Glück gehabt. Daher empfiehlt sich beim Kaffeetrinken auf der Terrasse immer einen Sonnenschirm aufgespannt zu haben! Liebe Leser und Leserinnen, denken Sie beim nächsten Mal an mich, wenn Sie die Gabel in ein leckeres Stück Erdbeerkuchen spießen und sich über Ihnen ein Flugzeug hoch am Himmel befindet.

Zurück an meinem Platz konnte nun endlich Ruhe einkehren. Dabei schoss es mir plötzlich. Jetzt wurde mir bewusst, warum Robert und ich permanent beobachtet wurden. Unter Garantie dachten einige, dass der jüngere Mann neben mir, dem es so schlecht wurde und erneut seine Kotztüte in der Hand hielt, mein Freund sei und das ich bestimmt vor Sorge mit ihm Richtung Toilette gegangen war. Ja, so wird es sein. Tja, so ist das, wenn man als vermeidlicher Single verreist. Da wird einem gleich ein Partner zugewiesen. So schnell hatte ich noch nie einen Freund. Und so unbewusst, vor allem.

Die Landung in Tunesien gestaltete sich sehr turbulent. Es rüttelte und schüttelte nur so, als der Pilot die Maschine auf den Boden aufsetzte und obwohl wir bereits den Asphalt unter den Rädern hatten, dachte ich immer zu: „Hilfe, wir stürzen ab!“ Warum auch immer, mir war einfach nicht wohl. Ich hatte pitschpatschnasse Hände und kam vor lauter Aufregung und Nervosität kaum hinterher, auf meinem Kaugummi herum zu kauen. Dabei vergaß ich glatt, mein zweites Bonbon von der Stewardess zu lutschen.

Das Flugzeug wurde langsamer und kam nach wenigen Minuten endgültig zum Stehen. Einen kurzen Moment hielten alle inne. Wahrscheinlich prüften sie genauso wie ich, ob wir den Flug und die Landung überlebt hatten. Dann, wie aus dem Nichts heraus, fingen alle recht herzlich an, dem Piloten zu applaudieren und natürlich, dem Gruppenzwang sei Dank, klatschte ich ebenfalls fest in meine schweißgebadeten Hände. „Gott sei Dank ist alles gut gegangen! Wir leben noch! Danke Pilot. Danke, dass du uns am Leben gelassen hast.“ Oje, an den in einer Woche stattfindenden Heimflug wollte ich jetzt noch gar nicht denken.

Jetzt hieß es erstmal Sommer, Sonne, Meer, abschalten, genießen, entspannen, Kraft tanken – einfach nur Urlaub!

Die ersten Mitreisenden konnten es anscheinend kaum erwarten. Sie schnallten sich nach Erlöschen des Anschnallzeichens sofort ab, sprangen von ihren Sitzen auf und griffen nach ihren Gepäckstücken, die sie oben in den dafür vorgesehenen Ablagen verstaut hatten. Ich beobachtete das rege Treiben und fragte mich immer wieder, warum einige so eine Hektik verbreiteten. Egal, wie schnell oder langsam wir das Flugzeug verließen, an dem Gepäckband in der Flughalle mussten wir so oder so alle warten. Nur weil die Passagiere fluchtartig die Maschine verließen, hieß das nicht, dass deswegen die Koffer schneller ankamen. Diese mussten ebenfalls die Gepäckkontrolle passieren und unter Beachtung der Anzahl der Koffer pro Maschine dauerte das logischer Weise eine geraume Zeit.

Von der Hektik ließ ich mich nicht anstecken. Das wollte ich auch nicht. Abgesehen davon, dass ich nicht aus meiner Sitzreihe herauskam, solange ich von dem Fenster und den beiden Männern eingepfercht war. Ich wartete geduldig und wischte mir meine feuchten Hände an der Hose trocken, während ich meinen Ausblick aus dem kleinen Guckloch neben mir genoss. Die Flughafenhalle ragte vor der Maschine empor, so beeindruckend und riesig. Ein Sonnenstrahl blitzte genau durch das Fenster auf mein Gesicht. Es war einfach nur herrlich! Herrlich warm. So, wie ich es im Urlaub erwartete.

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