Traumzeit – auf den Spuren des Jakobus

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Traumzeit – auf den Spuren des Jakobus
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Anna Malou

TRAUMZEIT

– auf den Spuren des Jakobus

Eine Frau pilgert auf den Jakobswegen

von Südportugal nach Nordspanien

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die

Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Zweite überarbeitete Auflage

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte bei der Autorin!

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2016

WIDMUNG

Dieses Buch widme ich all denen, die Wünsche haben, die träumen können von einem anderen, besseren Leben, in dem nicht nur der schnöde Mammon regiert, sondern in dem ein Lebendigsein möglich ist, in dem Sinnsuche ein Ziel findet und in dem ein Zufriedensein von innen heraus möglich ist.


INHALT

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Reiseroute

Zeit

1.Vorwort

2.Reiseverlauf

Teil A: Algarve (Faro, Albufeira, Lagos), Setubal und Lissabon

1.Tag: Anreise Hamburg – Faro/Portugal, 19. August

2.Tag: Faro, 20. August

3.Tag: Faro – Praia de Faro (7 km) – Albufeira (ca. 60 km), 21. August

4.Tag: Albufeira, 22. August

5.Tag: Albufeira – Praia da Falesia (12 km), 23. August

6.Tag: Albufeira – Lagos (70 km), 24. August

7.Tag: Lagos, 25. August

8.Tag: Lagos – Sagres (45 km) – Cabo S. Vincente (6 km), 26. August

9.Tag: Lagos, 27. August

10.Tag: Lagos – Setubal (320 km), 28. August

11.Tag: Setubal – Lissabon (45 km), 29. August

12.Tag: Lissabon, 30. August

13.Tag: Lissabon – Sintra (30 km), 31. August

14.Tag: Lissabon – Porto (280 km, Zug), 1. September

Zwischenbilanz

Teil B: Caminho Portugues (Porto – Santiago de Compostela)

15.Tag: Porto, 2. September

16.Tag: Porto, 3. September

17.Tag: Porto – Vilhar do Pineiro (U-Bahn) – Vilarinho (10 km), 4. September

18.Tag: Vilarinho – Rates (10 km, Taxi), Rates-Barcelos (16 km), 5. September

19.Tag: Barcelos – Ponte de Lima (33 km), 6. September

20.Tag: Ponte de Lima, 7. September

21.Tag: Ponte de Lima – Zwischenbilanz, 8. September

22.Tag: Ponte de Lima – Sao Roques/Rubiaes (17 km), 9. September

23.Tag: Sao Roques – Valenca (15 km), 10. September

24.Tag: Valenca (Portugal) – Tui (Spanien, 4 km), 11. September

Betrachtungen zu Portugal

25.Tag: Tui – Mos (5,3 km) – O Porrino (16 km) – Redondela (9,4 km), 11. September

26.Tag: Redondela – Pontevedra (17,3 km), 12. September

27.Tag: Pontevedra – Portela (11,7 km) – Briallos (6,4 km), 13. September

28.Tag: Briallos – Caldas de Reis (4,8 km) – Padron (18,3 km), 14. September

29.Tag: Padron – Teo (10,4 km und mehr), 16. September

30.Tag: Teo – Santiago de Compostela (12,9 km), 17. September

31.Tag: Santiago de Compostela, 18. September

32.Tag: Santiago de Compostela, 19. September

33.Tag: Santiago de Compostela – Negreira (23 km), 20. September

34.Tag: Negreira – Maronas (23 km), 21. September

35.Tag: Maronas – Oliveiroa – Cee (33 km), 22. September

36.Tag: Cee – Fisterra (16 km), 23. September

37.Tag: Fisterra – Langosteira Strand (4 km) – Cap Fisterra (7km), 24. September

38.Tag: Fisterra, 25. September

39.Tag: Fisterra – Muxia (32 km), 26. September

40.Tag: Muxia, 27. September

41.Tag: Muxia – Lourido Strand (12 km)

42.Tag: Muxia – Santiago de Compostela (87 km, Bus), 29. September

43.Tag: Santiago de Compostela, 30. September

44.Tag: Santiago de Compostela, 1. Oktober

Betrachtungen zu Spanien

45.Tag: Santiago – Hamburg, 2. Oktober

3.Verbesserungsvorschläge für kommende Reisen:

4.Nachwort

5.Folgende Literatur diente mir als Hilfe bei der Vorbereitung und Durchführung meines Weges:

6.Biografie

7.Bibliografie

Fußnoten

Zeit

Ich wünsche mir

Zeit zum Leben

zum Lieben

zum einfach da sein

zum Träumen

zum Denken

zum Reden

zum in Ruhe gelassen

werden zum Sehen

zum Fühlen

zum einfach nur

glücklich sein.

1.VORWORT

„Pilgern macht süchtig“, ich weiß nicht, ob man dieses so allgemein behaupten kann. Jedoch habe ich für mich persönlich genau diesen Eindruck. Nachdem ich im letzten Jahr den Camino Francés von Pamplona nach Santiago de Compostela zurückgelegt habe1, treibt es mich weiter. Offensichtlich habe ich mich – ebenso wie viele Pilger vor mir – mit dem Pilgervirus infiziert. In diesem Jahr werde ich mir sechs Wochen Zeit nehmen, sechs unverplante, ungeregelte, ungebuchte Wochen Zeit für mich ohne Verpflichtung, ohne Muss, ohne Zwang, Zeit zum einfach Dasein, zum Genießen, zum Erfahren, zum wieder einmal neu sehen lernen.

 

Voller Spannung und Träume sind allein schon die Monate vorher, wenn sich die Route, die Ideen und Wünsche entwickeln. Im Internet surfen und Informationen über Portugal und Spanien herausfinden, Literatur beschaffen, Pilgerpass bestellen, all das erfordert Vorlauf, Wochen und Monate, in denen ich mich innerlich mit diesem, meinem Thema, auseinandersetze.

Beim Recherchieren nach meinem möglichen Reiseweg nehme ich als Planungshilfe die zeichnerischen Darstellungen aus meinem Pilgerpass, aus denen eindeutig hervorgeht, dass sich die Jakobswege traditionell durch ganz Europa erstrecken, was auch Sinn macht, da in früheren Zeiten die Pilger zu Hause losliefen, da es keine Transportmittel wie Eisenbahn oder Flugzeug gab. Demnach gibt es einen traditionell überlieferten Weg, der in Faro beginnt, und einen, der in Lagos beginnt. Ich jedoch möchte mir in diesem Zusammenhang meiner Reise auch die Algarve ansehen, sodass ich hier sicherlich improvisieren muss. Von Lagos aus führt dann eine festgelegte Route nach Norden.

Zu meinem Erstaunen stelle ich jedoch fest, dass es zu diesem, meinem Weg von Faro in Portugal nach Santiago de Compostela in Spanien kaum Literatur gibt, jedenfalls keine Literatur, nach der man entlang der alten Jakobswege von Faro aus wandern könnte. Es gibt Informationen zur Algarve und über Lissabon und auch eine Wegbeschreibung von Porto nach Santiago de Compostela, jedoch ist der Weg von Faro bis Porto offensichtlich „Niemandsland“, was mich eindeutig vor neue Anforderungen stellt. Hier gilt es, meinen persönlichen Weg – offensichtlich auch ohne Wegbeschreibung – selbständig zu finden. Eine Aufgabe, die hoffentlich für mich lösbar sein wird.

Monatelang lebe ich also mit diesen, meinen neuen Träumen, in der Gewissheit, dass ich am 19. 8. 08 starten werde, da ich meine Flüge bereits im Dezember 2007 gebucht habe.

Der Countdown läuft und die gedanklichen und praktischen Vorbereitungen gestalten sich entsprechend. Meine Reiseutensilien sind vom letzten Jahr noch intakt und vollständig, wurden von mir noch durch ein Regencape, durch einen Packsack für den Rucksack als Fluggepäck und durch diverse T-Shirts als Klima-T-Shirts ergänzt. Auch muss ich dieses Mal an Badesachen denken, denn die Algarve ohne Bademöglichkeit zu bereisen, wäre sicherlich ein Frevel.

So ergibt sich diese, meine persönliche Packliste:

 Rucksack mit Packsack für das Flugzeug

 2 Treckinghosen, zweifach kürzbar

 2 T-Shirts

 3 Trecking-Blusen

 2 Sportshirts ohne Arm

 4 Tops

 1 Unterhemd, langärmelig, Mikrofaser

 1 kurze Jeans

 3 Paar Treckingstrümpfe

 1 Rock, elastisch, nicht knautschend

 1 Schlafanzug, Viertelarm, Dreiviertelhose

 4 x Unterwäsche zum Wechseln

 1 Halstuch

 2 Bikinis

 1 Pilgercappy

 Trecking-Sandalen

 Badelatschen

 1 Fleecejacke

 1 Regencape

 Rucksackabdeckung

 1 Fleecedecke

 1 Handtuch, Mikrofaser

 Einmalwaschlappen

 Papiertaschentücher

 Müllbeutel für schmutzige oder nasse Wäsche

 Haargummi

 Lippenpflegestift

 Haarshampoo und Duschgel in einer Verpackung, auch zum Wäschewaschen

 6 Wäscheklammern

 1 Tube Sonnencreme

 Taschenlampe

 Stoffbeutel für den Einkauf

 Ersatzbrille mit Etui

 Sonnenbrille mit Etui

 Nähzeug

 Medikamente nach Bedarf

 Mullbinde, elastische Binde, Desinfektionsspray, Wundsalbe

 Pflaster, Blasenpflaster in verschiedenen Größen

 Ohrstöpsel, falls es in der Herberge laut ist

 Kugelschreiber, Notizheft

 MP3-Player und Ersatzbatterien zum Aufladen

 Kleines Batterieladegerät

 Digitalkamera

 Handy und Ladegerät

 Kleine Umhängetasche für den Fotoapparat

 Trecking-Handtasche (für sehr kleines Portemonnaie, Fotoapparat, Handy, Brille, Schlüssel, Sonnencreme, für die Zeit im Flugzeug und in der Freizeit)

 Papiere: Ausweis, EC-Karte, Visa-Karte (zur Sicherheit evtl. beides), Bahncard, Karte der Fluggesellschaft, Flugtickets, Adressbuch

 Bauchtasche, Geldgürtel (darin eine Kopie des Ausweises und die Flugdaten)

 Pfefferspray, Leuchtkugeln für Notfälle

 1 Taschenmesser

 1 Becher aus Hartplastik

 Mini: Salz und Pfeffer zum Anhängen

 Müsliriegel/​Fruchtschnitten

 4 x 0,5-Liter-Flaschen Selters mit Schraubverschluss

Dazu kommt eine komplette Kleidungsgarnitur, die ich bei der Reise trage, mit langer Treckinghose und regendichter Jacke mit Kapuze.

2.REISEVERLAUF
TEIL A: ALGARVE (FARO, ALBUFEIRA, LAGOS), SETUBAL UND LISSABON

1.Tag: Anreise Hamburg – Faro/​Portugal, 19. August

Glitzernde Sonnenstrahlen, die Sonne scheint als runder, glühender Ball über dem See, als ich im Zug sitze. Ich denke an meine Lieben daheim und daran, dass alles zwei Seiten hat. Auf der einen Seite die Wehmut, mit der mich mein Mann und mein Sohn bedenken. Sie lassen mich nur ungern ziehen, das fühle ich genau – und doch, ich will diese Zeit – Zeit für mich, auch wenn ich gegen mein schlechtes Gewissen ankämpfen muss. Meine drei erwachsenen Kinder erleben bei mir zur Zeit eine „verkehrte Welt“, denn gerade gestern habe ich bei meinem älteren Sohn festgestellt, dass sich die Zeiten schnell ändern: Vor kurzem noch hatten die Kinder Zeit zum Reisen und ich musste arbeiten, doch nun ist es auf einmal umgekehrt, die Welt hat sich verändert, und das schneller als erwartet.

Wenn ich mich nach dem „Warum?“ frage, so erscheint mir selbst meine Sichtweise widersprüchlich. Reicht es, dass ich in jungen Jahren nicht derartig reisen konnte? Vielmehr denke ich, dass ich frei sein will, Freiheit fühlen und leben will, endlich mal das tun, was ich möchte! Spannung erleben, Neues sehen und hören, mich selbst wieder fühlen nach so langer Zeit. Im Älterwerden wird mir immer klarer, dass unsere Zeit auf Erden begrenzt ist, dass es nun gilt, das Beste aus der noch verbleibenden Zeit herauszuholen, herauszuleben, herauszufühlen. Intensives Leben zu haben und nicht nur darauf zu warten, Alltägliches abzuarbeiten.

Ich sitze im Zug und versuche, nach vorne zu sehen in Erwartung auf all das, was in den folgenden sechs Wochen auf mich zukommen wird. Was werden sie mir bringen? Mit welchen Gefühlen werde ich im Oktober wieder nach Hause fahren? Ich weiß es nicht und vielleicht ist das auch gut so. Werde ich die Einsamkeit aushalten? Was wird mir mein Weg für neue Menschen schenken? Die Zuhausegebliebenen tun mir Leid, weil sie weiterhin die Pflicht haben und ich – endlich – die Kür leben darf. Trennung auf Zeit, in der jeder wieder „ich“ und nicht immer „wir“ ist, Gelegenheit sich neu zu finden und zu definieren.

Was macht das Leben mit uns, wenn wir uns nach vielen Jahren des Zusammenlebens einfach nicht mehr fühlen können, wenn wir zu einem Einheitsbrei von Gemeinsamkeiten verkocht sind? Eigentlich mag ich dich – noch immer – jedoch nicht immerzu, nicht pausenlos. Ab und zu möchte ich einfach ich sein und nur für mich planen, denken, fühlen, ohne zu teilen, ohne Rücksicht zu nehmen, ohne immer an andere zu denken! Ich möchte dabei keine Schuld empfinden, kein schlechtes Gewissen haben. Ich möchte glücklich sein dürfen, auch mit mir allein, zufrieden, dass ich mein eigenes Leben habe. Leben und sterben, gesund und krank ist jeder für sich allein, auch wenn man zu zweit ist. Auch in Gesellschaft hat jeder seine eigenen Schmerzen, auch in Gesellschaft tut manchmal das Herz weh. Also, packen wir es an, das eigene Leben, nehmen wir es in die Hand und uns selbst an die Hand, planen wir neu und individuell für uns – nein, für mich!

So erreiche ich Hamburg, Hauptbahnhof, und fahre mit dem Flughafenbus, der unmittelbar vor dem Bahnhof hält, weiter zum Flughafen. Ich bin pünktlich da, habe noch eine knappe Stunde Zeit, bis ich einchecken kann. So gehe ich einen Kaffee trinken und schlendere durch die Auslagen der Geschäfte, bis ich dann bei meiner Fluggesellschaft anstehe, um mein Gepäck abzugeben. Das geht zügig und schnell, so dass ich kurze Zeit später durch die Personen- und Handgepäckkontrolle gehen kann. Hier werde ich – wie gewohnt – auf Herz und Nieren durchgecheckt, muss meine Bauchtasche, mein Handy und alle persönlichen Dinge in den dafür vorgesehenen Korb zum Durchleuchten legen und gehe dann durch die Kontrolle hindurch. Danach sortiere ich alle persönlichen Gegenstände wieder an den richtigen Platz und setze mich in den Wartebereich, um zu lesen.

Es dauert gar nicht lange, bis ich Gesellschaft bekomme, ein Herr in meinem Alter setzt sich neben mich und betrachtet seine beiden Bordkarten. Erst in diesem Moment wird mir bewusst, dass ich nur eine Bordkarte bekommen habe, nämlich für Hamburg – Palma de Mallorca. Etwas panisch unterlegt, springe ich auf, will zurück zum Ticketschalter gehen und stelle fest, dass ich dafür ganz aus dem Flughafengelände herausgehen muss. So stehe ich erneut am Ticketschalter an, warte, bis ich dran bin und reklamiere, dass ich die Bordkarte für Palma – Faro nicht bekommen habe, warum auch immer. Nach mehrmaliger Erklärung und kritisch prüfenden Blicken auf den Computer bekomme ich die zweite, mir noch fehlende, Bordkarte ausgehändigt. Ich bin in diesem Moment unglaublich froh, dass ich das Fehlen der zweiten Bordkarte noch hier in Hamburg bemerkt habe, denn sonst hätte ich wahrscheinlich in Palma festgesteckt, ohne zu meinem Bestimmungsziel Faro planmäßig hinkommen zu können. So muss ich ein zweites Mal durch den Sicherheitscheck, um dann nach einer weiteren, kurzen Wartezeit, planmäßig in das Flugzeug einsteigen zu können.

Endlos warte ich auf den Start, auf das Ankommen, auf das Kommende. Ich lese, ich schreibe, ich sehe, ich höre, jedoch so richtig gut geht es mir nicht – noch nicht. Ich weiß, dass meine Lieben zu Hause sich Sorgen machen, Angst um mich haben, und doch muss ich dieses tun, es ist wichtig für mich. Ich, die ich Jahre lang nur noch aus Rücksichtnahme bestand, beginne wieder zu leben, selbständig und autark. Das ist ein sehr erhebendes Gefühl.

Ankunft in Palma – Zwischenstopp – warme und laue Luft empfängt mich. Ich muss anstehen und auf den Ausstieg warten, fahre mit dem Bus zum Flughafengebäude hin. Hier muss ich nun den richtigen Flugsteig suchen, um dort nach einiger Wartezeit, mit Ausweis und Bordkarte in der Hand, erneut einzuchecken.

Und wieder startet das Flugzeug, dieses Mal in Richtung Faro, wo es nach zweieinhalb Stunden landet.

Bei der Ankunft stelle ich fest, dass wir eine Stunde später als angegeben gelandet sind, jedoch handelt es sich dabei um die Zeitverschiebung, die Uhr ist in Portugal um eine Stunde später einzustellen als in Deutschland. Beim Aussteigen aus dem Flugzeug mache ich mir so meine Gedanken, befinde mich in aufgeregter Erwartung und überlege, ob es wohl möglich sein wird, in der noch bestehenden Hauptsaison ein billiges Privatquartier zu finden. Auch denke ich an meine Familie, die mich auf meinem Reiseweg gedanklich liebevoll begleitet. Bei mir jedoch sind Wehmut und Heimweh verflogen, ich bin voller Erwartung und richte meinen Blick jetzt ausschließlich nach vorn.

Das ist auch notwendig, denn angekommen in Faro, erwartet mich die erste Überraschung, denn mein Rucksack ist nicht da, kommt auch nicht auf dem Laufband angereist. Suchend warte ich, bis alle Umstehenden ihr Gepäck an sich genommen haben, und schließlich stehe ich allein da. Nun muss ich mich durchfragen, englisch geht, zum richtigen Schalter „Lost and Found“, mache meine Meldung, bekomme eine Bearbeitungsnummer und stehe immer noch ohne Rucksack und ohne Angabe, wann und wo ich diesen bekomme, da. Na, das ist ja ein merkwürdiger Start in meine Pilgerreise!

 

Bevor ich das Flughafengebäude verlasse, frage ich mich zur Touristeninformation durch, bekomme dort eine Karte von Faro und ein Verzeichnis von Pensionen. Nun bin ich gut vorbereitet und gehe leichten Schrittes ohne mein Gepäck aus dem Flughafengebäude heraus. Die Busstation kann ich erst nach dreimaligem Nachfragen finden, weil so viele wartende Menschen überall herumstehen. Nach fast zwanzig Minuten Wartezeit kommt der Bus, ich steige ein und versuche, schon im Bus sitzend, herauszubekommen, wo sich das Zentrum von Faro befindet und wo ich dann aussteigen muss. Hinter mir sitzt eine Französin, die mir genau zeigen kann, wie weit ich mit dem Bus mitfahren muss. Schließlich erreiche ich das Zentrum, steige aus und sehe mich um.

Am Busbahnhof ist Markt, viele Stände sind mit bunten Kleidern und sonstigem aufgebaut, doch ich habe so gar keinen Sinn dafür, da ich ohne Gepäck völlig überfordert in einer fremden Stadt herumirre. Ein wenig anders hatte ich mir den Beginn meiner Pilgerreise nun doch vorgestellt.

Nach der Zeitumstellung von einer Stunde ist es 16.30 Uhr, die Sonne ist immer noch schön warm, als ich mich weiter zum Zentrum von Faro durchfrage. Es ist viel Betrieb in den Straßen, viele Leute sitzen in den Straßencafés bei Eis und Kaffee und ich bewundere alte Häuser mit schmiedeeisern vergitterten Fenstern, viele bunt abgesetzt angestrichen.

Allmählich erreiche ich die ersten Pensionen und höre „completo“, also besetzt, ausgebucht, es gibt einfach so schnell kein Quartier für mich. Auch der Preis ist mir mit 25,00 Euro vielfach zu hoch. Im Reiseführer habe ich gelesen, dass es in Portugal billig sein soll, das passt für mich nicht zusammen und scheint nach meinem ersten Eindruck nicht für die Algarve zu gelten. Schließlich frage ich mich zu der Pension durch, die ich noch zu Hause in einem Internetforum gefunden habe, die in der Rua Capitao Mor liegt, den gleichen Namen der Straße trägt und zu der auch ein Restaurant gehört.

Dort bekomme ich ein Zimmer mit Bad auf dem Flur für 20,00 Euro, welches mir ein unfreundlicher Herr, der mit den Sprachbarrieren völlig überfordert ist, zeigt. Ich miete mich vorerst für zwei Nächte ein und beziehe mein Zimmer, um dort zu telefonieren. Anruf bei der Fluggesellschaft in Deutschland, beim Flughafen, ob es etwas Neues gibt. Dort melde ich meine aktuelle Adresse, falls mein Rucksack wieder auftaucht, was ich doch stark hoffe. Mir geht es nicht gut, ich leide unter „Gepäcknotstand“ und weiß nicht so recht, wie es weitergehen soll. Zum Glück ist es so früh, dass ich das Notwendigste, was ich für die Übernachtung benötige, noch einkaufen kann. Jedoch bin ich genervt, enttäuscht, dass aus einem lockeren, entspannten Start in meine Reise so nichts geworden ist. Nicht auszudenken, was werden soll, falls mein Gepäck dauerhaft verschwunden sein sollte. Muss ich dann meine geplante Reise ganz abbrechen? Ich bezweifle stark, dass es mir gelingen könnte, mein gesamtes Reisegepäck vor meiner Wanderung neu einzukaufen. So fühle ich mich nicht so recht wohl und mache mir doch erhebliche Gedanken, wie das Ganze wohl weitergehen könnte.

Trotz allem will ich nicht auf meinem Zimmer bleiben und gehe nach draußen in den lauen Abend. Ich schlendere durch die kleinen Gassen der Altstadt von Faro. Überall gibt es altes, ausgetretenes Kopfsteinpflaster, im Zentrum zum Teil sehr schön als Mosaik ausgelegt. In den engen Gassen stehen bei sehr gedämpfter Beleuchtung vielerorts Tische und Stühle draußen vor kleinen Restaurants, Kneipen, Pizzerien. Auch hier gibt es natürlich „McD …“ und ich finde es so schade, dass offensichtlich im europäischen Ausland der typische Landescharakter immer mehr verloren geht.

Schließlich bleibe ich in einem Lokal hängen, von dem aus ich einen traumhaften Blick auf das Hafengelände habe. Es riecht eindeutig nach salziger Meeresluft, der Hafenquai ist mit Palmen umsäumt, als rotviolett die Sonne so allmählich, mit Glitzerstrahlen untergehend, weiße Luxusjachten im Hafenbecken beleuchtet. Das ist ein so schöner, urlaubsnaher Anblick, der mich fast mein Rucksackproblem vergessen lässt. So genieße ich den Abend in lauer Luft in sicherer Gewissheit, sechs Wochen Zeit für mich zu haben, sechs Wochen zum Leben, zum Fühlen, zum Wahrnehmen, eine Auszeit für die Sinne.

Schließlich ziehe ich mich gegen 22.00 Uhr in mein Zimmer zurück, um dort in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu fallen.