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2.2.2 Öffentliche Wikis

Fragt man nach berühmten Wikis, so meint man hauptsächlich diejenigen im World Wide Web und nicht die »versteckten« Wikis in Unternehmen und Organisationen. Die hier angegebene Liste ist sehr subjektiv und auf keinen Fall erschöpfend.

Es gibt eine Gruppe von Wikis, die von den Pionieren, von Wiki-Freaks und Philosophen betrieben wird. Ästhetisch sicher ein Blick in graue Vorzeiten, aber eben auch die am längsten existierende Wiki-Community:

Wards Wiki. Das Urwiki ist immer noch online.

Meatball-Wiki. Das englische Meatball-Wiki versteht sich als Plattform für Praktiker, die sich mit Online-Communitys beschäftigen.

Gründer-Wiki. Das Gründer-Wiki ist ein deutsches Pendant zum Meatball-Wiki.

Die Projekte der Wikimedia Foundation zielten von Beginn an auf eine große Leser- und Autorenschaft rund um den Globus und haben als Maxime, dass ihre Inhalte frei verfügbar sind. Insgesamt gibt es derzeit 16 Wikimedia-Projekte. Die Wikipedia ist nach wie vor das Bekannteste davon. Dabei geraten die nicht minder interessanten Schwesternprojekte gerne in den Hintergrund:

Wikipedia. Größte jemals geschaffene Enzyklopädie. Das Open-Source-Projekt läuft rein auf der Basis von Spenden. Hier lohnt es sich auch einmal, hinter die Kulissen zu sehen, indem man beispielsweise die Diskussionsprozesse und Moderatorenwahlen beobachtet.

Wikimedia Commons. Ein weiteres beachtenswertes Projekt der Wikimedia Foundation. Hier werden zentral freie Bilder, Videos, Musik und Texte für alle Wikimedia-Projekte aufbewahrt. Bilder, die dort zum Download angeboten werden, müssen gemeinfrei sein oder der GNU-FDL unterliegen.

WikiData ist der Name einer frei bearbeitbaren Datenbank, die bestimmte Datentypen für Wikimedia-Projekte zur Verfügung stellt, z. B. Geburtsdaten oder sonstige allgemeingültige Daten, die in allen Artikeln der Wikimedia-Projekte verwendet werden können. Sie ermöglichen damit eine gewisse Vereinheitlichung sowie die Nutzung gezielter Abfragen, auch durch Maschinen.

Wiktionary. Ziel dieses Projekts ist ein frei zugängliches, vollständiges und mehrsprachiges Wörterbuch sowie ein entsprechender Thesaurus in jeder Sprache. Seit der Gründung 2002 wuchs die Anzahl der Einträge in die Wiktionarys international auf über 6,6 Millionen an.

Wikivoyage. Projekt mit dem Ziel, einen vollständigen und aktuellen weltweiten Reiseführer zu entwickeln.

Die rasante Ausbreitung der Wiki-Technologie geschieht über Themen-Wikis. Das Game of Thrones-Wiki wurde oben bereits genannt. Hier sind noch ein paar weitere deutschsprachige Beispiele:

Wien Geschichte Wiki. Dieses Wiki ist eine georeferenzierte, historische Wissensplattform der Stadt Wien, die das Ziel verfolgt, historisches Wissen über Wien aus der Stadtverwaltung selbst mit jenem von Expertinnen und Experten zusammenzuführen. Es wurde vom Wiener Stadt- und Landesarchiv und der Wienbibliothek im Rathaus aufgebaut und 2014 zur Bearbeitung freigegeben. Zuvor wurden mehr als 27.000 Artikel (bzw. 31.000 Einträge) des sechsbändigen Werks »Historisches Lexikon Wien«, herausgegeben von Felix Czeike, in das Wiki migriert.

ZUM Wiki. Offene Plattform für Lehrinhalte und Lernprozesse. Ein Wiki für Lehrerinnen, Lehrer und andere Menschen im Bildungsbereich.

Memory Alpha. Freies, gemeinschaftliches Projekt zur Erstellung einer umfangreichen Enzyklopädie rund um Star Trek. Ein klassisches Beispiel für Wikis von Fangemeinden.

Und zum Schluss hier ein Beispiel für die seltene Spezies der öffentlichen Firmenwikis:

Classic Wiki hat die Oldtimer von Mercedes Benz als Thema. Akribisch listet und beschreibt Daimler seine alten Modelle in Wort, Bild und Video. Leider sind die Inhalte nicht frei verfügbar und auch die Möglichkeit der Mitarbeit ist stark eingeschränkt.

Eine umfassende Liste von öffentlichen Mediawikis gibt es übrigens auf WikiApiary.

2.2.3 Funktionsweise

Wie arbeitet man mit einem Wiki? Wiki-Seiten unterscheiden sich auf den ersten Blick nicht sofort von anderen Internetseiten. Meistens fallen sie durch ein einfaches Layout auf.

Man findet am Rand des Inhaltsbereichs einen Link »Bearbeiten« oder »Edit«. Sobald dieser geklickt wird, öffnet sich ein Bearbeitungsfenster. Zu sehen sind dann der eigentliche Text und verschiedene Steuerungszeichen, sogenannte WikiTags. Mit ihnen lassen sich einfache Formatierungen vornehmen. Mit einem Knopf »Seite speichern« oder »Save page« werden Text und Wiki-Tags vom System in eine HTML-Seite interpretiert und online gestellt.

Nehmen wir an, das Rezept für Fish and Chips soll im Wiki hinterlegt werden. Das Rezept soll auf eine eigene Seite. Wie geht man vor? Zunächst lohnt es sich zu prüfen, ob es bereits eine Seite »Fish and Chips« gibt, die man nur noch ergänzen muss. Alle Inhaltsseiten eines Wikis werden meist irgendwo über eine Spezialseite angezeigt. Muss eine neue Seite angelegt werden, legt man einfach von einer bereits bestehenden Wiki-Seite einen Link zu der noch nicht existierenden. Das heißt, man trägt an einer Stelle, die geeignet erscheint, einen Link auf die Seite »Fish and Chips« ein. Also wird eine Seite, z. B. »Englische Küche«, geöffnet und der Link dazugeschrieben. Das könnte so aussehen: [[Fish and Chips]]. Wenn man die Seite mit dem Eintrag abspeichert, wird die Aktualisierung sofort sichtbar. Der neue Link ist jetzt deutlich mit einem Fragezeichen oder als roter Link gekennzeichnet. Damit wird klar, dass diese Seite noch nicht existiert. Wenn man nun diesen Link, der »ins Leere« führt, aufruft, öffnet das System ein Bearbeitungsfenster für die neue Seite »Fish and Chips«. Hier kann nun der gewünschte Text eingetragen und abspeichert werden. Jetzt ist das Rezept online (vgl. Abb. 2.4).


Abb. 2.4: Klassischer Aufbau einer Wiki-Seite

Der Reiz eines Wikis liegt darin, dass man mit wenigen Handgriffen Formatierungen vornehmen kann. So verwenden viele Wikis * (Sternchen) für Aufzählungszeichen oder‹ (Hochkomma) für Fettungen und Kursivsetzungen. Wir haben hier einmal ein Beispiel für einen Eintrag im Bearbeitungsfenster:

Je mehr Wert auf das Design gelegt wird, desto komplexer wird nun diese Syntax. Grundsätzlich kommen aber Wiki-Autoren mit einer Handvoll Formatierungsbefehlen aus. Und es ist motivierend, die Ergebnisse seiner Aktionen sofort zu sehen. Man benötigt kein großes Expertentum, um mit der Software zu arbeiten. Allerdings bewegt man sich im Unterschied zu Anwendungen wie Word bereits auf der Codeebene (vgl. Abb. 2.5). Und je nach Reifegrad des Wikis lassen sich hier auch komplexe Operationen realisieren.

Für viele Wiki-Neulinge sind diese Handlungsspielräume verwirrend. Wir sind es heute gewohnt, dass uns die Software mit Eingabemasken lenkt, dass wir beispielsweise nicht einfach eine neue Seite anlegen oder ein Menü verändern können. Im Wiki ist genau diese Offenheit erwünscht. Diejenigen, die sich nicht mit Formatierungsbefehlen herumschlagen wollen, müssen trotzdem nicht verzweifeln, da mittlerweile fast jede moderne Wiki-Software mit einem WYSIWYG-Editor ausgestattet ist.

Um sich im Wiki zurechtzufinden, gibt es in der Regel eine Seite, die letzte Änderungen anzeigt. So bleibt jeder informiert, was neu eingestellt oder verändert wurde. Ausgereiftere Wiki-Systeme ermöglichen es, private Beobachtungslisten zusammenzustellen, mit denen sich Seiten, für die sich der Bearbeiter verantwortlich fühlt, überprüfen lassen. So kann er schnell sehen, wenn ein anderer Autor etwas verändert hat. Jedes Wiki verfügt darüber hinaus über eine Versionierung, die es erlaubt, ältere Fassungen eines Artikels aus dem Speicher zu holen und wieder hochzuladen. So geht nichts verloren.


Abb. 2.5: Bearbeitungsmodus im Rezepte-Wiki

Eine wichtige Rolle spielt bei dieser Form des kollaborativen Schreibens der Kontakt mit den anderen Autoren. Dies geschieht häufig über Diskussionsseiten. Das MediaWiki bietet für jede Seite eine eigene Diskussionsseite, auf der über Inhalt und Form des Textes debattiert werden kann oder auf der Änderungen begründet und dokumentiert werden. Anders als in Foren werden so Artikel und Diskussion scharf getrennt. Wie in keiner anderen Social Software erfordern Wikis eine Kommunikationskultur mitdenkender Menschen. Es kommt darauf an, zu verstehen, dass jeder Beiträger zumindest nach eigenem Verständnis sich viel Arbeit mit einem Text gemacht hat. Er oder sie identifiziert sich mit dem Gesagten und verleiht den eigenen Erfahrungen und Anschauungen Ausdruck. Das ist bei technischen Dokumentationen weniger dramatisch als bei der Beschreibung eines gesellschaftlichen Zusammenhangs, so gab es z. B. eine ellenlange Debatte in der deutschen Wikipedia, ob es sich bei dem Wiener Donauturm um einen Fernseh- oder Aussichtsturm handelt. Die Diskussionsseite kann mittlerweile ein Buch füllen.

Es kann manchmal dazu kommen, dass sich zwei Autoren nicht einigen können. Im Extremfall kommt es zu einem Edit-War. Die Autoren machen dann jeweils die Änderungen des anderen rückgängig. Hier muss ein Moderator vermitteln. Bei Wikipedia werden Moderatoren demokratisch gewählt und erhalten erweiterte Rechte. So können sie eine Seite oder einen Benutzer sperren, um einen Konflikt zu beenden. Das sind aber Extremfälle. In der Regel sind die Wiki-Communitys klein und überschaubar. Die Mitglieder kennen sich oft schon eine Weile und die Projekte definieren ihre Zielsetzungen und erarbeiten Konventionen, wie Artikel aufgebaut sein sollen oder wie bei Streitigkeiten verfahren wird.

 

Ähnlich der Netiquette, mit der allgemeingültige Verhaltensregeln im Internet beschrieben werden, gibt es auch eine Wikiquette, eine Sammlung von Regeln für das Verhalten der Leute miteinander. Die Wikiquette ist kein festgelegter Textkorpus, sondern variiert von Wiki zu Wiki. Üblich sind folgende Aussagen:

• Keine persönlichen Angriffe. Sachlichkeit bei Diskussionen und Kritik. Kritik möglichst schonend vortragen.

• Von den guten Absichten des Gegenübers ausgehen und respektvoller Umgang. Das heißt, Änderungen nicht ohne Begründung rückgängig zu machen und Dissens in der direkten Diskussion mit dem Gegenüber klären.

• Freundlich bleiben.

• Anderen helfen, z. B. Neuankömmlinge begrüßen und unterstützen. Auf Anfragen antworten.

• Ruhig bleiben.

• Vergeben und vergessen. Das heißt, nach einer Auseinandersetzung Beleidigungen auch einmal vergessen, um Entschuldigung bitten und Konflikte nach angemessener Zeit begraben.

Die Wikiquette ist vor allem in großen Projekten im WWW wichtig. In anderen Arbeitsumgebungen, bei der Dokumentation einer Software im Intranet einer Firma werden solche Regelungen weitaus weniger benötigt.

Das Funktionieren eines Wiki-Projekts hat etwas mit technischem Verständnis zu tun, vor allem aber mit sozialen und redaktionellen Kompetenzen, die jedoch über ein Wiki-Projekt erworben werden können.


Abb. 2.6: Administratorenwahl

2.2.4 Komponenten

Alle Wiki-Systeme werden durch essenzielle Funktionen charakterisiert:

Bearbeitungsmodus. Der allen zugängliche Edit-Button auf jeder Seite ist das auffallendste Merkmal eines Wikis. Er führt zu einem Formular, in dem der Quelltext einer Seite verändert und gespeichert werden kann. Dieser Text ist in den meisten Fällen kein HTML-, sondern Wiki-eigener Code, der Formatierung und Strukturierung der Seite für die Autoren vereinfachen soll. Manche Seiten (z. B. Startseiten) werden von der Bearbeitung ausgenommen.

Interne Verlinkung. Alle Seiten können auf die Titel anderer Seiten verweisen. In den meisten Wikis werden interne Links mit einem Wiki-Wort erzeugt: Wörter werden mit großen Anfangsbuchstaben versehen und ohne Zwischenraum (Binnenversalie) aneinander gesetzt (CamelCase). Der CamelCase macht das Verlinken einfach, erschwert aber die Lesbarkeit eines Textes und erzeugt gelegentlich unbeabsichtigte Links. In Printmedien werden diese Wortbildungen sinnvollerweise mit einem Bindestrich versehen, so auch in diesem Buch. Deshalb werden auch alternative Methoden zu Kennzeichnung eines Verweises verwendet. Falls die entsprechende Seite zum Link innerhalb des Wikis noch nicht existiert, kann diese nach dem Speichern mit einem einfachen Mausklick auf den Link kreiert werden.

History. Diese Funktion dokumentiert im Prinzip alle vorausgegangenen Versionen bzw. Veränderungen einer einzelnen Seite. Sie erlaubt es auch, eine alte Version wiederherzustellen (Rollback) und ist damit ein wirksames Mittel gegen unfreundliche Besucher, die eine Seite zerstören wollen. Viele Wiki-Klone bieten zudem eine »Diff«-Funktion, die Änderungen zwischen zwei Versionen einer Seite anzeigt.

Weiterhin finden sich in den meisten Wiki-Systemen zusätzliche typische Komponenten: letzte Änderungen, ein Übungsfeld, Nutzerverwaltung und eine Suchfunktion.

Recent Changes. Diese Seite gibt einen aktuellen Überblick über eine bestimmte Anzahl von kürzlich veränderten Wiki-Seiten oder über alle Veränderungen innerhalb eines vordefinierten Zeitraums. Sie wird automatisch produziert und kann von den Nutzern nicht geändert werden.

Sandbox. Einsteiger wie erfahrene Nutzer können in einem »Sandkasten« den Umgang mit dem Wiki lernen und Lösungsmöglichkeiten ausprobieren, ohne eine normale Seite benutzen zu müssen. Diese Testumgebung ist dabei nichts weiter als eine Wiki-Seite, die in regelmäßigen Abständen geleert wird.

Suchfunktion. Die meisten Wikis bieten zudem eine klassische Volltext- oder Titelsuche für die Wiki-Seiten.

Nutzerverwaltung. Während die ersten Wikis gänzlich ohne Anmeldung auskamen, muss man sich heute in vielen Systemen namentlich zu erkennen geben. Dafür und zur Absperrung interner Bereiche wird oft eine Userverwaltung angeboten. Die Nutzerverwaltung ist nur teilweise eine Zurücknahme der ursprünglichen Wiki-Idee. Eine radikale Offenheit und Anonymität verbietet sich in vielen Anwendungsbereichen. Es ist jedoch entscheidend, dass Einschränkungen auf ein absolutes Mindestmaß beschränkt bleiben.

Neben den Standardfunktionen gibt es eine Vielzahl nützlicher Erweiterungen, die für die jeweiligen Wiki-Engines entwickelt wurden, z. B. Workflow- und Freigabemechanismen oder statistische Auswertungstools.

2.2.5 Anwendungsgebiete

Wir haben bislang Wikis nur unter dem Aspekt eines kollektiv erstellten Lexikons behandelt. Sie können aber sehr vielfältig eingesetzt werden:

Brainstorming. Nicht umsonst wird das Wiki häufig mit einem Zettelkasten verglichen. Hier können Ideen gesammelt, kommentiert und geordnet werden. Ideen werden von mehreren Teilnehmern zusammengetragen, aber nicht jeder muss alles noch einmal schreiben. Es wird nur ergänzt, was bisher fehlt. Das üblicherweise einfache Layout von Wikis unterstreicht den improvisierten Charakter dieser Anwendung.

Wissensbasis. Eine häufige Anwendung ist die Erstellung von FAQ-Seiten, Problemlösungen oder Glossarien. Der Leser muss sich nicht mehr wie in Foren durch einen gesamten Thread klicken, sondern sieht gleich die Quintessenz einer möglicherweise langen Diskussion. Wenn er trotzdem noch einen Fehler findet, kann er ihn gleich beheben. Damit wird ein Artikel (im Idealfall) immer besser. Der erfolgreiche Betrieb einer Wissensbasis erfordert im besonderen Maße eine aktive Trägergruppe, die sich um die Inhalte und das Wachstum des Wikis kümmern (»Wiki-Gärtner«).

Dokumentation. Als Dokumentationstool sind Wikis ebenfalls sehr beliebt, da sie durch das leichte Erstellen neuer Seiten, eine interne Verlinkung und die Suche einige Strukturierungsmechanismen bereitstellen, um das Wissen zu ordnen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der Aspekt der leichten Aktualisierbarkeit. Damit können auch Inhalte, etwa eines Betriebs-, Mitarbeiter- oder Qualitätshandbuchs, immer auf dem neuesten Stand gehalten werden, und das zudem von den Personen, die gleichzeitig die Nutznießer der Informationen sind.

Projektmanagement. Wikis ersetzen keine professionellen Projektmanagementsysteme. Es hat aber viele Vorteile, wenn Mitarbeiter eines Teams Tipps zur Arbeitsorganisation oder Informationen zu einem bestimmten Projekt in einem Wiki sammeln, statt sie per E-Mail an alle Kollegen zu schicken. Sie sparen damit Zeit bei der täglichen E-Mail-Bearbeitung, haben eine Anlaufstelle für die Suche nach einer bestimmten Information und können sichergehen, dass diese Wissensbasis immer auf dem aktuellen Stand ist. Auch in der Planung von Projekten kann das Werkzeug helfen. So kann die Agenda eines Treffens bereits im Vorfeld von allen Teilnehmern erarbeitet und der Verlauf des Meetings sofort als Protokoll im Wiki festgehalten werden.

E-Learning. In vielen Schulen (im deutschsprachigen Raum vor allem in der Schweiz und Österreich) werden Wikis als Lernplattform eingesetzt, um den Schülern nicht nur das gemeinsame Erarbeiten von Inhalten zu ermöglichen, sondern auch den Umgang mit dem Internet spielerisch zu erlernen (vgl. Ebersbach/Glaser 2007).

2.2.6 Der Wiki-Effekt

Die Faszination von Wikis beruht nicht zuletzt auf den (Groß-)Gruppenphänomenen, die bei prominenten Wiki-Projekten wie der Wikipedia zu beobachten sind:

• Die Webseite wird von Mitgliedern der Community zunehmend regelmäßig aufgerufen.

• Die Einstiegshürde, selbst etwas inhaltlich beizutragen, wird überwunden.

• Es besteht die Bereitschaft, diese Inhalte gegebenenfalls zu diskutieren und Feedback zu geben. Die Kommunikation zwischen den Mitgliedern steigt quantitativ und qualitativ.

• Es besteht die Bereitschaft, im Webprojekt aktiv zur Strukturierung, zur Gestaltung und zur Qualitätssicherung beizutragen.

• Die Kooperation kann und soll in einem weiteren Schritt sogar kollaborative Formen annehmen: Die Nutzer identifizieren sich mit dem Projekt.

• Es entstehen Vertrauensverhältnisse.

Man kann also mit einer gewissen Berechtigung von einem Wiki-Effekt, der vergleichbar mit dem Crowdsourcing ist, sprechen. Das Ergebnis ist ein sich selbst tragender Gruppenprozess mit einer hohen Selbstmobilisierung der Nutzer. Dieser Dynamik ist aber nicht auf Wikis beschränkt. Der Wiki-Effekt unterscheidet sich jedoch durch seinen Gegenstand und die dazugehörigen Arbeitsweisen.

Kollaboratives Schreiben. Das gemeinsame, zeitversetzte Verfassen eines gemeinsamen Textes ist eine intellektuell anspruchsvolle Aufgabe, weil ein Themengebiet nicht nur im eigenen Kopf geordnet und formuliert werden muss, sondern auch das Ordnungssystem und die Aussage eines Koautors bewertet und gegebenenfalls eingearbeitet werden muss. In den meisten Fällen schreiben auch in Wikis nur wenige Autoren an einem Text und es bildet sich ein Hauptautor heraus, der aufgrund seiner Kompetenz oder seines Engagements die inhaltliche Strukturierung organisiert. Treffen jedoch zwei oder mehrere Autoren mit unterschiedlichen Aussageabsichten zusammen, wird das Projekt eines gemeinsamen Textes notwendigerweise konfliktreich. So gibt es in der Wikipedia ideologisch umkämpfte Einträge zu Hitler, Homöopathie, globaler Erwärmung, Astrologie oder Islam. Weshalb das Wikipedia-Projekt eine Konvention erarbeitet hat, die Artikel möglichst ideologisch neutral zu schreiben und mehrere Sichtweisen zuzulassen: der Neutral Point of View (NPOV). Die komplexe Aufgabe, an einem gemeinsamen Text mitzuwirken, ist ein wikispezifischer, wichtiger Motivationsfaktor. Vor allem wenn einem Autor ein Thema unter den Nägeln brennt.

Öffentliches Schreiben. Dass das Schreiben von Artikeln und die Diskussion der Inhalte »unter Beobachtung« in einem öffentlichen Raum geschehen, gibt einem Wiki-Projekt eine besondere Dynamik. Dadurch werden Wikis, wie auch Foren oder Blogs, oft von Selbstdarstellern als Bühne missbraucht, aber in der Tendenz fördert die Öffentlichkeit des Gesamtprozesses eine gewisse Ernsthaftigkeit in der Diskussion, weil sich langfristig nur durchsetzen kann, wer die Ordnungsregeln des etablierten Diskurssystems beachtet. Und dieses Diskurssystem beruht heute auf einem wissenschaftlich-aufgeklärten Verweis- und Belegsystem, hinter dem ältere Begründungsmuster zurücktreten müssen. Wiki spezifisch ist, dass in den von Wikis geschaffenen öffentlichen Räumen die Beachtung und Durchsetzung des Diskurssystems vollständig auf alle Community-Mitglieder übertragen wurde. In einem System, in dem alle weitgehend über gleiche Editierrechte verfügen, kann die Verantwortung für den Gesamtprozess nicht mehr auf wenige Maintainer abgeschoben werden.

Autor-Leser-Interaktion. Nun bleibt auch ein qualitativ guter Beitrag mit Belegen und Argumenten in Wiki-Systemen editierbar. Diese Funktion, die vor allem die Aktualisierbarkeit der Beiträge sichern soll, macht es umgekehrt notwendig, dass Texte von Mitgliedern einer Wiki-Community »bewacht« werden müssen. Zwar lassen sich die eingestellten Texte über die Artikel-Versionierung immer wieder herstellen, aber die Texte sind nicht sicher. Lässt man Formen des Vandalismus einmal unberücksichtigt, gibt es ständig Veränderungen von Mitgliedern im System, die den bisherigen Diskussionsprozess zum einen möglicherweise nicht nachvollzogen haben oder aufgrund anderer Erfahrungen eine inhaltliche Umgestaltung für notwendig halten. Das Bewachen und Verteidigen von Inhalten durch die »Inhaber« zieht eine intensive Autor-Leser-Interaktion nach sich. Das kann im Vorfeld schon dazu führen, dass die Texte für eine bestimmte Leserschaft zurechtgemacht werden – von einer ansprechenden und nachvollziehbaren Aufmachung bis hin zur Selbstzensur (»Schere im Kopf«). Es gilt aber auch, Mut zu haben und Hemmungen zu überwinden, um aktiv werden zu können. Diese permanente Spannungssituation hat den Vorteil, dass auch bereits bestehende Texte von den Autoren selbst auch immer wieder geprüft und gelesen werden. Das bedeutet, die spannende Arbeit des Autors ist mit der Publikation der ersten Fassung noch nicht beendet, sondern wird fortgeführt. Dies kann einem Wiki-Projekt eine langfristige Dynamik sichern.

 

Mitgliedschaft in einer Online-Community. Teilnehmer werden erst zu Mitgliedern, wenn Verhalten und Handlungen von den anderen Mitgliedern bestätigt werden. Dies kann durch inhaltliche Beiträge oder technischen Support geschehen. Wikispezifisch ist jedoch, dass nicht zuletzt durch Moderationstätigkeit und inhaltlich strukturelle Arbeit (den roten Faden finden helfen, Artikel ordnen, kürzen, Inhaltsverzeichnisse und Kategoriesysteme erstellen) Meriten verdient werden können. Dies ist die Voraussetzung dafür, um beispielsweise die Position eines Moderators oder Administrators einnehmen zu können.

Einarbeiten in das System. Für die Veröffentlichung in einem Wiki sind gar keine oder wenige Grundkenntnisse der Wiki-Syntax erforderlich. Doch diese eröffnet sehr große Gestaltungsmöglichkeiten. Für Menschen, die sich für die Gestaltung von Webseiten interessieren, bieten Wikis ein anregendes und interessantes Experimentierfeld. Ist man ein wenig eingearbeitet, steigt auch der Spaßfaktor. Man kann das Medium als Ganzes, das heißt auch von seiner technischen Seite her erfahren. Dass die Ergebnisse der eigenen Arbeit sofort sichtbar sind, mobilisiert.

Herstellung eines Arbeitsklimas. In Wiki-Projekten ist es Aufgabe der ganzen Community, die Mitarbeit attraktiv zu machen und eine Atmosphäre der Toleranz zu schaffen, in der sich Autoren wohlfühlen. Neue Benutzer werden im Idealfall und im Geiste der Wikiquette begrüßt, ermutigt und mit reichhaltigem, positivem Feedback versorgt. Gerade bei Wiki-Projekten gilt es, eine Kommunikationskultur zu erlernen, in der gegenseitiger Respekt und die Integration widersprüchlicher Meinungen einen hohen Stellenwert haben, in der aber auch Kritikfähigkeit gefragt ist.

Identifikation. Die mögliche Intensität der Interaktionen, die Aufwände für Recherche, Ordnung und Gestaltung und das sichtbare Ergebnis führen bei aktiven Mitgliedern der Community zu einer Identifikation mit dem Gesamtprojekt. Die Qualität dieser Identifikationsprozesse kann in einem Wiki-Projekt ein anderes Niveau erreichen als in anderen Social-Web-Applikationen. Der Unterschied wird deutlich, wenn man sich die Community eines Social Bookmarking Systems oder eines Online Social Networks vorstellt. Auch hier kann es zu intensiven Kontakten der Gruppenmitglieder kommen, aber es ist ein Unterschied, ob man die Zielsetzung und Inhalte einer Online-Enzyklopädie mitgestalten kann und mitzutragen hat oder ob man ein vorstrukturiertes System mit einer klaren Zieldefinition mit Inhalten füllt. So gab die Verteidigung des Wikipedia-Projekts gegen die Kritik von außen nicht nur Impulse für die Binnenidentifikation, sondern beförderte auch die Anstrengungen, die Qualität der Inhalte aktiv zu verbessern.

»Reife« Wikis. Der Umgang mit bereits bestehenden Systemen wirft neue Fragen auf. Wie werden diese Systeme inhaltlich und personell erneuert? Neueinsteiger sind mit einem »fertigen« System konfrontiert, das nicht mehr den Reiz hat, etwas Neues aufzubauen. Erfahrene Wikibetreiber möchten die erarbeiteten Standards nicht immer wieder neu diskutieren, sondern setzen diese voraus. Sie bewachen also nicht nur einzelne Seiten, sondern das Projekt. Weiter geht es um Archivierung von Zwischenständen und Fragen der Neustrukturierung. In der Welt des WWW ist eine inhaltliche Ausdifferenzierung zu beobachten: Stadt- und Regionalwikis, Wikis von Fangemeinden oder zu Fachthemen. Dieses Wachstums- und Ausweichstrategien lösen jedoch nicht die Probleme der bestehenden reifen Wikis. Auch wird dem Wikipedia-Projekt eine gewisse Pionierrolle zufallen.