Buch lesen: «Ein Kind um jeden Preis?», Seite 2

Schriftart:

Allerdings betrifft das Problem nicht nur das Christentum. Alle großen etablierten Religionen sind mit der Tatsache konfrontiert, dass es eine wachsende Anzahl von Menschen gibt, die – unfreiwillig oder auch ganz freiwillig – ein Leben ohne Kinder führen oder auch nach neuen Formen des familiären Miteinanders suchen, sich aber nach wie vor als Mitglieder ihrer Kirche oder ihrer religiösen Gemeinschaft begreifen. Hier sind derzeit gesellschaftliche Transformationsprozesse im Gange, die in ihrer Wirkung auf etablierte Religionen noch gar nicht absehbar sind. Die individuelle Vielfalt von Lebensformen wächst und angesichts des neuen Kunterbunts an Lebensentwürfen und Familienkonstellationen sind Religionen gefordert, auch in ihren jeweiligen ethischen Systemen Antworten zu finden, die jenseits fundamentalistischer Verengungen liegen.

2. REPRODUKTIONSMEDIZIN ALS LÖSUNG?

Angesichts der im Freundeskreis auf die Welt purzelnden Babys ist es für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch niemals leicht, ihre unerfüllte Sehnsucht zu bewältigen und ihre Kinderlosigkeit nach und nach akzeptieren zu lernen. Schließlich hat das Leben ohne Kinder durchaus seinen ganz eigenen Reiz: Zeit füreinander und für Freunde, beruflicher Erfolg und Anerkennung, ein größerer finanzieller Spielraum, mehr Freizeit und weniger Sorgenfalten durch schlaflose Nächte – dies alles kann irgendwann einmal tatsächlich über die Trauer hinweghelfen, so dass unfreiwillig kinderlose Paare ihr Leben wieder als gelingend und sinnerfüllt erfahren können. Diese Möglichkeit soll hier – zu Beginn des Kapitels über das Angebot der Reproduktionsmedizin – bewusst an erster Stelle erwähnt werden, einfach deswegen, weil sie so oft vergessen wird. Angesichts des Angebots der Reproduktionsmedizin und ihrer hohen gesellschaftlichen Akzeptanz ist es gar nicht leicht, diesen anderen Weg zu gehen. Doch er existiert und Paare bzw. Frauen berichten, dass sie auch ohne Kinder in ihrem Leben sehr glücklich geworden sind. Auf diesen Weg wird zurückzukommen sein.

Das Angebot der Reproduktionsmedizin ist allerdings tatsächlich durchaus verlockend. Websites von Kinderwunschambulanzen überschlagen sich mit Erfolgsmeldungen geglückter Schwangerschaften und Fotos von glücklichen Babys. Auch in der breiten Öffentlichkeit gilt der Gang in die Kinderwunschambulanz mit einer meist daran anschließenden IVF-Behandlung mittlerweile als die einzig mögliche Antwort auf unfreiwillige Kinderlosigkeit. Die immer wieder heftig geführte Debatte um die ökonomischen Auswirkungen der spärlichen Geburtenraten auf das Pensionssystem tut ihr Übriges: Der Vorwurf des sozialen Schmarotzertums, den kinderlose Paare immer wieder indirekt oder direkt über die Medien zu hören bekommen, trifft unfreiwillig Kinderlose an ihrer empfindlichsten Stelle.

In Deutschland haben im Jahr 2012 47.807 Frauen künstliche Befruchtungsmethoden außerhalb des Körpers (die sog. extrakorporale Befruchtung) und damit die Methoden der sog. ART („Assisted Reproductive Techniques“), also Reproduktionsmedizin, in Anspruch genommen.6 Damit sind die Zahlen im Vergleich zu den vergangenen zwei Jahren in etwa konstant (im Jahr 2010 waren es 47.159 Frauen). Von 1997 bis 2011 sind in Deutschland insgesamt 172.993 Kinder dokumentiert, die durch die Anwendung der Reproduktionsmedizin zur Welt gekommen sind.7

In Österreich wurden laut dem Jahresbericht der österreichischen IVF-Gesellschaft von 2012 insgesamt 7196 IVF-Versuche bei 5099 Paaren durchgeführt. Damit ist die Tendenz in den letzten Jahren steigend. Es konnten 1861 Schwangerschaften erzielt werden.8

In der Schweiz ließ sich im Jahr 2011 eine vergleichbare Anzahl an Paaren mit IVF behandeln, nämlich 6350 Paare. Rund 10.800 Behandlungszyklen wurden begonnen. Daraus entstanden 2350 Schwangerschaften, die zu 1715 Geburten mit 2006 lebendgeborenen Kindern führten.9

Was verbirgt sich hinter dem Kürzel „IVF“, was unternimmt die Medizin gegen Infertilität und welche rechtlichen Rahmenbedingungen hat sie dabei zu beachten? Im Folgenden können die einzelnen Methoden der künstlichen Befruchtung bzw. der medizinisch-assistierten Fortpflanzung und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen nur grob dargestellt werden. Für genauere medizinische Informationen sei auf Kinderwunschabteilungen verwiesen, die sich heute in vielen großen Krankenhäusern finden. Aktualisierte rechtliche Informationen lassen sich problemlos über die Websites der jeweiligen Bundesregierungen finden.

Methoden, Erfolg und Risiken der Reproduktionsmedizin

Nachdem Robert G. Edwards und Patrick C. Steptoe im Jahr 1978 das erste Mal mit einer In-vitro-Fertilisation – einer Befruchtung im Reagenzglas – erfolgreich waren und Louise Joy Brown als erstes „Retortenbaby“ in England das Licht der Welt erblickte, ist die IVF mit anschließendem Embryonentransfer (IVF/ET) eine Erfolgsgeschichte geworden. Mittlerweile schätzt man die weltweite Zahl der durch IVF gezeugten Kinder auf mehrere Millionen.

Bei der IVF wird durch Hormongaben die Reifung einer möglichst hohen Anzahl von Eizellen angeregt, die der Frau dann normalerweise ultraschallkontrolliert und durch die Vagina entnommen werden. Je nach Reifegrad der Eizellen wird nach einigen Stunden die Befruchtung mit Sperma durchgeführt. Das Sperma wird vorher durch Masturbation oder auch durch eine Hodenpunktion gewonnen. Unter Zugabe eines Kulturmediums werden Eizellen und Samenzellen zusammengebracht. Etwa 16 bis 20 Stunden nach der Befruchtung werden die Eizellen unter dem Mikroskop auf das Vorhandensein von Vorkernen untersucht (Pronukleus-Stadium). Danach werden – entsprechend den rechtlichen Vorgaben in Österreich, Deutschland und der Schweiz – maximal drei Zygoten (befruchtete Eizellen) weiter kultiviert, während alle weiteren Zygoten im Pronukleus-Stadium kryokonserviert, d. h. „tiefgefroren“ werden.

40 bis 48 Stunden später befinden sich die ausgewählten ein bis drei befruchteten Eizellen im Vier- bis Acht-Zell-Stadium und werden mit einem Katheter durch die Vagina in die Gebärmutter transferiert. Wenigstens ein Embryo – so hofft man – nistet sich sodann in der Gebärmutter ein, so dass es zu einer Schwangerschaft kommt. Viele IVF-Zentren bieten die Einpflanzung des Embryos heute erst später an, nämlich im sog. Blastozysten-Stadium, also ca. am 5. oder 6. Tag der embryonalen Entwicklung. Reproduktionsmediziner machen geltend, dass in diesem Stadium bereits deutlicher als vorher erkennbar ist, welche der Embryonen bessere Überlebenschancen haben und welche nicht. Dadurch wird es möglich, einen einzigen Embryo zu transferieren und nicht – wie bisher – maximal drei. Bei mehreren Embryonen ist das Risiko einer riskanten Mehrlingsschwangerschaft nämlich hoch und mit erheblichen Gesundheitsrisiken für Mütter und Kinder verbunden. IVF-Zentren arbeiten dementsprechend auf den Transfer eines einzigen Embryos hin.

Als besonders erfolgreiche Methode der IVF gilt die sog. ICSI, die Intracytoplasmic Sperm Injection. Bei dieser 1992 erstmals beschriebenen Methode werden die Samenzellen nicht nur – wie bei der IVF – mit der Eizelle zusammengebracht, sondern es wird eine einzelne Samenzelle unter einem Spezialmikroskop mittels einer Mikropipette direkt in die Eizelle injiziert. Diese Methode kommt vor allem bei andrologisch bedingten Infertilitätsstörungen – durch den Mann verursachte Infertilitätsstörungen – zum Einsatz oder wenn mehrere IVF-Versuche ergebnislos geblieben sind. Die sog. IMSI (Intracytoplasmic Morphologically Selected Sperm Injection) setzt dabei heute auf eine noch genauere Untersuchung und Auswahl der Samenzelle durch eine verfeinerte Mikroskopiertechnik.

Es gibt neben IVF und ICSI/IMSI noch weitere Methoden der Reproduktionsmedizin, die je nach Fertilitätsstörung bei Mann oder Frau ebenfalls angewendet werden, nämlich die intrauterine Insemination (IUI), bei der ausgewählte Samenzellen direkt in die Gebärmutterhöhle eingebracht werden, und der intratubare Gametentransfer (GIFT). GIFT ist eine Mischform von IVF und Insemination (Samenübertragung). Der Befruchtungsvorgang selbst geschieht nicht außerhalb des Körpers, sondern aufbereitetes Sperma wird samt der Eizelle in den Eileiter eingebracht, wo die eigentliche Befruchtung erfolgt.

Die Erfolgsraten der Reproduktionsmedizin können sehr unterschiedlich beurteilt werden: Erstens handelt es sich bei der Angabe für jede Methode um Durchschnittswerte, die zunächst relativ wenig aussagen. Zweitens wird normalerweise auf den Websites der Reproduktionskliniken die klinische Schwangerschaftsrate angegeben. Eine „klinische Schwangerschaft“10 ist der Nachweis einer bestehenden Schwangerschaft durch Ultraschall, wobei hier bereits in Österreich, Deutschland und in der Schweiz unterschiedliche medizinische Auffassungen über die genauen Kriterien zur Feststellung einer klinischen Schwangerschaft vorliegen, so dass die Erfolgsbilanzen je nach Definition anders ausfallen können und der direkte Vergleich zwischen den drei Ländern durchaus schwierig ist.11

Im deutschen IVF-Register wird in einer Kurzstatistik der Ergebnisse des Jahres 2012 für die IVF/ICSI eine klinische Schwangerschaftsrate von 35,78 Prozent angegeben.12 Auch in Österreich spricht der Jahresbericht der IVF-Gesellschaft im Jahr 2012 von einer Schwangerschaftsrate um die 30 Prozent (genau: 31,3 Prozent).13

Unter dem Druck zahlreicher kritischer Publikationen und medialer Aufklärung finden sich heute auf den offiziellen Websites der Bundesregierungen manchmal Verweise auf die für die Paare eigentlich bedeutsame Zahl, nämlich die sog. „Baby-Take-Home-Rate“, die beantwortet, ob die Schwangerschaft auch wirklich zur Geburt eines Kindes geführt hat. Sie ist deutlich niedriger als die klinische Schwangerschaftsrate. Laut deutschem IVF-Register von 2012 führte nämlich nur knapp die Hälfte aller klinischen Schwangerschaften, nämlich 49,68 Prozent, zur Geburt eines Kindes. Berechnet man daher den Erfolg der IVF-/ICSI-Behandlung insgesamt, so beträgt die Baby-Take-Home-Rate tatsächlich nur 17,8 Prozent. Sie ist allerdings ein Durchschnittswert, der bei Berücksichtigung anderer individueller Faktoren wie beispielsweise dem Alter der Schwangeren entweder durchaus noch niedriger oder auch höher sein kann. In jedem Fall sollte also sehr genau nachgefragt werden, wie hoch die Chance auf ein Kind tatsächlich ist!

Ebenfalls lohnend ist die Erkundigung nach gesundheitlichen Risiken der reproduktionsmedizinischen Technologien. Die Websites der Anbieter von Reproduktionsmedizin erwecken meist den Eindruck, dass sämtliche Methoden ohne jede Nebenwirkungen durchgeführt werden können und völlig harmlos sind. Seriöse Anbieter werden allerdings darauf hinweisen, dass es bei allen Methoden zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen kann: Am häufigsten genannt wird die Überstimulation, die durch die hormonelle Anregung der Bildung möglichst vieler Eibläschen, der sog. Follikel entsteht. Eine Größenzunahme der Eierstöcke, Zystenbildung, Druckgefühl im Unterbauch sowie die Einlagerung von Körperflüssigkeiten im Bauchraum oder sogar in der Lunge können die Folge sein. Über Verletzungen und Infektionen durch die Punktionen ist ebenfalls berichtet worden.

Ein auch von Reproduktionsmedizinern genanntes und bereits erwähntes Risiko sind die zahlreichen Zwillings- oder Drillingsgeburten sowie die vorhergehenden Risikoschwangerschaften und Risikogeburten, die nicht nur gesundheitlich weder für Mutter noch Kinder wünschenswert sind, sondern auch medizinethische Probleme gravierendster Art mit sich bringen können wie beispielsweise den Fetozid, die Tötung des Ungeborenen noch im Mutterleib. Die medizinische Diskussion über die Notwendigkeit des Fetozids in dieser oder jener Situation der Schwangerschaft stellt in gewissem Sinne die Schattenseite des Fortschrittsoptimismus dar, welcher in der Reproduktionsmedizin vorherrscht. Das an dieser Stelle herrschende Tabu in Medizin und Gesellschaft spricht für sich.

Auch bezüglich der Risiken für das bereits geborene Kind schweigen sich die Websites der Reproduktionsmedizin gerne aus. Insbesondere bei IVF und ICSI wird immer wieder über das erhöhte Risiko der Geburt eines Kindes mit Behinderung diskutiert: Angestoßen wurde die Diskussion im Jahr 2002, als Forscher im renommierten „New England Journal of Medicine“ festgestellt hatten, dass Kinder, die durch IVF bzw. ICSI auf die Welt kamen, ein doppelt so hohes Risiko auf eine schwere Behinderung aufwiesen wie auf natürliche Weise entstandene Kinder.14 Tatsächlich stellte sich die Frage, ob hier nicht durch die ICSI ein natürlicher Verhinderungsmechanismus von genetisch bedingten Erkrankungen umgangen wird. Allerdings ist nicht klar, warum genau es durch ICSI zu einer höheren Behinderungsrate kommt. Ist es wirklich die Methode selbst, die dazu führt oder die Tatsache, dass ICSI häufig bei älteren infertilen Paaren angewandt wird, bei denen das Risiko der Geburt eines Kindes mit Behinderung sowieso erhöht ist?

Seit 2002 wurden zur Frage der Behinderung durch ICSI oder IVF zahlreiche Studien in vielen verschiedenen Ländern durchgeführt, die u. a. das Risiko neurologischer Erkrankungen, mentaler Retardierung und Sehstörungen nennen.15 Die Durchführung dieser Studien ist u. a. nicht zuletzt deswegen so schwierig, weil Behinderungen häufig erst im Schulalter festgestellt werden, so dass ein direkter Zusammenhang oft schwer bis gar nicht nachweisbar ist. Nach wie vor ist auch unklar, ob die eigentliche Ursache der festgestellten Behinderungen an der jeweiligen Methode selbst oder an anderen Faktoren liegt. Zumindest für die ICSI dürfte jedoch das Risiko einer mentalen Retardierung aber tatsächlich erwiesenermaßen deutlich höher sein, wie zumindest das renommierte deutsche Ärzteblatt feststellt. Dies scheint vor allem dann der Fall zu sein, wenn die Spermien durch Hodenpunktion gewonnen werden, was bei schweren Fällen von männlicher Infertilität zur Anwendung kommt.16

Auch wenn hier keiner Panikmache das Wort geredet werden soll, so muss doch darauf hingewiesen werden, dass die Reproduktionsmedizin ein boomendes Geschäft ist. Bei allem Respekt vor der persönlichen Integrität einzelner Reproduktionsmediziner und ihrem Einsatz für die Erfüllung des unerfüllten Kinderwunsches sollte dies nicht vergessen werden. Grundsätzliche Skepsis ist also durchaus eine empfehlenswerte Einstellung, bevor man sich einer IVF-Behandlung unterzieht. Die soeben aufgezählten Risiken für Mutter und Kind sollen nicht Angst verursachen. Sie sollen aber im Sinne einer umfassenden Aufklärung zu mehr Mündigkeit bei der Entscheidung führen. Ein Blick in diverse Internetforen zeigt, dass Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch die Möglichkeit einer lebenslangen Behinderung eines Kindes sehr wohl bewusst ist, dass sie Angst vor dieser Möglichkeit haben und sich gerne mit der Information trösten, dass das Risiko im jeweiligen Fall „äußerst gering“ sei. Was jedoch, wenn man selbst eben doch von diesem äußerst geringen Risiko betroffen ist?

Die Frage, wie ein Paar mit einer möglichen Behinderung eines Kinds umgeht, ist eine schwierige Frage, doch sollte sie grundsätzlich bereits vor einer Schwangerschaft einmal thematisiert worden sein und zwar in jedem Fall – nicht nur vor einer IVF-Behandlung. Wer diese Auseinandersetzung unter großem Druck in der Schwangerschaft selbst führen muss, erfährt sie als fast unerträgliche Belastung und als Stressfaktor, der sich letztlich sogar negativ auf das ungeborene Kind auswirken kann. Therapeutinnen und Medizinerinnen berichten von vielen sehr angstbesetzten IVF-Schwangerschaften, deren Stress sich auch auf das ungeborene Kind und später auf das Neugeborene auswirkt.17 Auch der nachträgliche Befund einer schweren Behinderung von IVF- oder ICSI-gezeugten Kindern kann Eltern lebenslange Schuldgefühle verursachen. Es heißt also der Möglichkeit einer Behinderung eines Kindes ins Auge zu blicken, auch wenn dies der Euphorie des Kinderkriegens die Flügel stutzen kann. Eine seriöse Aufklärung und individuelle Risikoabschätzung ist in der Reproduktionsmedizin genauso unumgänglich wie bei allen anderen medizinischen Methoden und unbedingt dort einzufordern, wo sie nicht von selbst erfolgt. Eine psychosoziale Beratung vor der Inanspruchnahme von IVF ist also in jedem Fall dringend anzuraten.

Rechtliche Rahmenbedingungen in Österreich, der Schweiz und Deutschland

Deutschland, Österreich und die Schweiz haben relativ ähnliche rechtliche Rahmengesetzgebungen zur Regelung der assistierten Fortpflanzungshilfe. In allen drei Ländern existiert nach wie vor das „heterosexuelle System“, d. h. dass die Methoden der Reproduktionsmedizin grundsätzlich verschieden geschlechtlichen Partnerschaften vorbehalten sind. Allerdings wird in beiden Ländern derzeit diskutiert, ob das auch so bleiben soll. Die Begriffe von dem, was „Familie“ ist und wer sich als solche bezeichnen darf, sind dabei sich zu verschieben. Damit einher geht die Notwendigkeit, neu zu definieren und zu überlegen, wer eine Familie gründen darf und wer nicht. Die Methoden der Reproduktionsmedizin eröffnen bis dato unbekannte neue Möglichkeiten, deren Ausgang heute noch völlig offen ist und die von daher gesehen in gewissem Sinne experimentellen Charakter haben.

Auf dem Spiel steht jedoch viel: das Glück und das Wohl von heterosexuellen und homosexuellen Paaren, aber vor allem auch das Glück und das Wohl von Kindern. In einem der folgenden Kapitel werde ich auf diese ethische Problematik zurückkommen. Fürs erste gilt es hier, die rechtlichen Rahmenbedingungen grob zu skizzieren.

In Österreich regelt seit 1992 das sog. Fortpflanzungsmedizingesetz18 die „Anwendung medizinischer Methoden zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf andere Weise als durch Geschlechtsverkehr“, wie in § 1 zu lesen ist. Eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung ist nach derzeit geltendem Recht nur in einer Ehe oder in einer Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts möglich [§ 2 (1)]. Außerdem dürfen nur die Eizellen oder die Samen der Ehegatten oder Lebensgefährten verwendet werden – mit einer Ausnahme: Für die Insemination, d. h. dem Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane der Frau, ist auch die Verwendung des Samens eines Dritten möglich. An dieser Stelle sind also die rein homologen (griech. „gleich“) Formen der medizinisch assistierten Fortpflanzung bereits um eine heterologe19 (griech. „der andere“) Form erweitert worden. Weiter dürfen nach § 3 (3) Eizellen und entwicklungsfähige Zellen nur bei der Frau verwendet werden, von der sie stammen. Eizellspenden von einer anderen Frau sind damit nach österreichischem Recht derzeit verboten. Indirekt verboten ist weiter die Verwendung von entwicklungsfähigen Zellen für andere Zwecke als für medizinisch unterstützte Fortpflanzung, damit also auch die Forschung an embryonalen Stammzellen (§ 9). Von § 10 war bereits im vorigen Kapitel die Rede, insofern das Fortpflanzungsmedizingesetz bestimmt, dass „bei der Vereinigung von Eizellen mit Samenzellen außerhalb des Körpers einer Frau [...] nur so viele Eizellen befruchtet werden, wie nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung innerhalb eines Zyklus für eine aussichtsreiche und zumutbare medizinisch unterstützte Fortpflanzung notwendig sind.“ In der österreichischen Praxis sind dies ein bis drei Eizellen. § 17 regelt die Aufbewahrung der Samen und Eizellen durch Kryokonservierung (griech. kryo = „Kälte“), die bis maximal zehn Jahre in einer Krankenanstalt aufzubewahren sind. Die Aufbewahrung ist vor allem dann interessant, wenn Frauen oder Männer durch eine ernsthafte Erkrankung bzw. deren Behandlung an der Herbeiführung einer Schwangerschaft gehindert werden, sich zu einem späteren Zeitpunkt aber ihren Kinderwunsch gerne erfüllen würden, § 2 (3).

Diese ausschnitthafte Betrachtung der Grundpfeiler des Fortpflanzungsmedizingesetzes werfen bereits erste Fragen auf: Warum darf bei einer Insemination der Samen eines Dritten verwendet werden, bei einer IVF aber nicht? Warum ist Samenspende zumindest bei der Insemination kein rechtliches Problem, eine Eizellspende aber schon? Wichtige Fragen wie beispielsweise die oben beschriebene Selektion der embryonalen Zellen im Blastozysten-Stadium oder auch die sog. Präimplantationsdiagnostik (PID), die in Deutschland für langjährige Debatten gesorgt hat, werden gar nicht erwähnt. Was ist mit der medizinisch unterstützten Fortpflanzung außerhalb der Ehe und außerhalb eheähnlicher Lebensgemeinschaften? Werden schwule und lesbische Paare nicht diskriminiert, indem man ihnen rechtlich untersagt, IVF mit Samenspende oder Eizellspende in Anspruch zu nehmen? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat nach der Klage zweier lesbischer Paare Österreich 2010 für das Verbot von Eizell- und Samenspenden bei der IVF jedenfalls kritisiert, dass Österreich gegen das Diskriminierungsverbot und auf das Recht auf Achtung des Familienlebens verstoße, wie es die Europäische Menschenrechtskonvention in Artikel 14 und 8 beschreibt.

Auch wenn dieses Urteil 2011 von der Großen Kammer des EGMR nicht bestätigt wurde, war dieses Verfahren doch der Anlass, die Bioethikkommission des österreichischen Bundeskanzlers mit einer fälligen Überarbeitung des Fortpflanzungsmedizingesetzes zu beauftragen, die dem aktuellen Stand der Diskussion sowohl in der Medizin als auch in der Gesellschaft Rechnung trägt. Eine Mehrheit von 15 Mitgliedern der Bioethikkommission hat in einer Stellungnahme vom 2. Juli 201220 folgende Empfehlungen ausgesprochen: Sie empfiehlt eine (1) Zulassung der Samenspenden auch für IVF-Behandlungen; (2) eine Zulassung der Eizellspende für Frauen innerhalb der biologisch-reproduktiven Phase, bei denen medizinische Probleme an den Eierstöcken vorliegen. Jenseits der Menopause soll allerdings keine Eizellspende möglich sein. Rechtliche Rahmenbedingungen wie ein klares Gewinnverbot sollen weiterhin verhindern, dass Eizellspenden kommerziell betrieben werden. (3) Der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin sollte sowohl für alleinstehende Frauen als auch für lesbische Paare geöffnet werden. Schwulen Paaren, die zur Fortpflanzung eine Leihmutter benötigen würden, soll die Möglichkeit der Adoption eines Kindes eröffnet werden, denn eine Legalisierung der Leihmutterschaft kann sich auch die Bioethikkommission nicht vorstellen. Zentrales Argument ist hier der Schutz der Frau vor dem rechtlichen Anspruch auf die Herausgabe des Kindes, die in den USA zu zahlreichen Prozessen geführt hat. Die Mehrheit der Bioethikkommission befürwortet außerdem die Legalisierung der Embryonenspende und die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID), die gleich noch Thema sein wird.

Sechs Mitglieder der Bioethikkommission, darunter die Vertreter und Vertreterinnen der katholischen Position, vertreten eine abweichende Auffassung und machen auf folgende Aspekte aufmerksam: Das Menschenwürdegebot umfasst nicht nur den Embryo im Leib der Frau, sondern auch den Embryo in vitro, d. h. sozusagen im Reagenzglas oder im Gefrierschrank. Es geht also nicht nur um das Wohl geborener Kinder, sondern auch um das Wohl von Ungeborenen. Dementsprechend sollte die Kryokonservierung von Embryonen vermieden und durch die Kryokonservierung von Eizellen ersetzt werden. Am Verbot der verbrauchenden Embryonenforschung soll festgehalten und der Import von embryonalen Stammzellen ausdrücklich verboten werden. Weiter wird verlangt, die Forschung zu den Ursachen ungewollter Kinderlosigkeit auszubauen und politische Anreize für die Vorverlagerung des Kinderwunsches geschaffen werden.

Die Vertreter und Vertreterinnen der abweichenden Auffassung betonen deutlich die Notwendigkeit der Beibehaltung des homologen Systems bei der Fortpflanzung und befürworten daher eine Beibehaltung des Verbots der Eizellspende sowie eine verbesserte Kontrolle der Vermittlung von Samen. Kinder hätten außerdem ein Recht darauf, ihre biologischen bzw. genetischen Eltern zu kennen, eine Auskunftspflicht müsse diskutiert werden. Das homologe System sowie das traditionell heterosexuelle Familienmodell von Mann und Frau wahre das Wohl des Kindes letztlich besser, weil es eine Aufspaltung der Elternschaft vermeide und für klare Verhältnisse sorge. Außerdem sei das Wohl des Kindes in einer emotional stabilen Beziehung eines verschieden geschlechtlichen Paares besser gewährleistet. Es ist beim Stand der Abfassung des Buches offen, wie die Diskussion ausgeht und ob der Gesetzgeber wirklich den Empfehlungen der Mehrheit der Bioethikkommission folgt. Auf die ethischen Debatten, die hier bereits anklingen, wird im folgenden Kapitel zurückzukommen sein.

Ein Vergleich mit dem Schweizer Fortpflanzungsmedizingesetz von 199821 zeigt manche Ähnlichkeiten: Auch in der Schweiz dürfen Fortpflanzungsverfahren nur bei gemischtgeschlechtlichen Paaren angewendet werden und zwar ausdrücklich nur dann, wenn „das Kindeswohl gewährleistet ist“ (Art 3.1) – ein Grundsatz, der dem Gesetz vorangestellt wird und dadurch als oberster Grundsatz der Fortpflanzungsmedizin in der Schweiz starke Betonung erfährt. Samenspende ist wie in Österreich möglich, Eizell- und Embryonenspende sowie die Leihmutterschaft sind gesetzlich explizit verboten. Auch die Erzeugung eines Embryos zu einem anderen Zweck als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ist verboten. Wie in Österreich dürfen auch in der Schweiz maximal drei befruchtete Eizellen innerhalb eines Zyklus zu Embryonen entwickelt werden, um riskante Mehrlingsschwangerschaften zu vermeiden. Eine Konservierung von befruchteten Eizellen darf im Regelfall die Dauer von fünf Jahren nicht überschreiten. Die Konservierung von Embryonen ist dagegen verboten. Interessant ist an dieser Stelle die für die Schweiz typische Unterscheidung zwischen der sog. „imprägnierten Eizelle“, die befruchtete Eizelle vor der Kernverschmelzung und dem „Embryo“, der als „Frucht von der Kernverschmelzung bis zum Abschluss der Organentwicklung“ definiert wird. Die Kernverschmelzung markiert hier also eine deutliche Zäsur. Auch in Deutschland wird – anders als im österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetz – eine Begriffsbestimmung bezüglich des Embryos vorgenommen: „Als Embryo im Sinne des Gesetzes gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente22 (lat. „ganz“ + „Kraft“) Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum entwickeln zu vermag.“ (§ 8)

Der hier zitierte Artikel ist dem sog. Embryonenschutzgesetz von 199123 entnommen, das genau wie seine österreichischen und deutschen Pendants ein Kind der 90er-Jahre ist. Dementsprechend stellen sich alle drei als immer wieder ergänzungs- und diskussionsbedürftig heraus. In Deutschland – genau wie in den anderen beiden Ländern – stellt sich heute beispielsweise wieder neu die Frage, wer denn medizinisch unterstützte Fortpflanzung überhaupt für sich beanspruchen darf. Da das deutsche Embryonenschutzgesetz hier keine Angaben macht, kamen in der Praxis lange die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Anwendung, wonach nur verheiratete Paare oder Paare in einer festen Partnerschaft Zugang zu Samenbanken erhalten sollen. Letztlich sind die Richtlinien der Bundesärztekammer jedoch rechtlich unverbindlich und Teil der Berufsordnung der Ärzte. Vor allem lesbische Paare fordern daher eine rechtlich verbindliche Neuregelung, zumal es in Europa mittlerweile viele Staaten wie Dänemark oder auch Spanien gibt, bei denen in eingetragener Partnerschaft lebende lesbische Paare IVF mit Samenspende beanspruchen können. Deutschland hat ebenso wie Österreich und die Schweiz mit seinem Beharren auf dem heterosexuellen System eine im europäischen Vergleich restriktive Gesetzgebung.24 Nicht nur die Eizellspende wird im deutschen Embryonenschutzgesetz gleich in § 1 explizit verboten, sondern auch die embryonale Stammzellforschung (§ 2). Im Vergleich zu Österreich ebenfalls explizit verboten sind in Deutschland die Geschlechtswahl oder auch das Klonen (§ 6): „Wer künstlich bewirkt, dass ein menschlicher Embryo mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Fötus, ein Mensch oder ein Verstorbener entsteht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Ebenfalls explizit verboten sind in Deutschland wie in der Schweiz die Chimären- und Hybridbildung, also die Vermischung von unterschiedlichen Erbinformationen befruchteter Eizellen oder die Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit dem Samen eines Tieres.

Bei allen Ähnlichkeiten gibt es dennoch Unterschiede zwischen den drei Ländern. Sie betreffen erstens die Stammzellforschung, die in der Schweiz mit dem Stammzellenforschungsgesetz 2003 eingeführt wurde. Unter bestimmten Bedingungen ist es in der Schweiz zulässig, nach Zustimmung des betroffenen Paares aus überzähligen menschlichen Embryonen, die nach Schweizer Gesetz vernichtet werden müssten, Stammzellen zu gewinnen, um mit ihnen zu forschen. Darüber hinaus dürfen embryonale Stammzelllinien zu Forschungszwecken aus dem Ausland importiert werden.25

Ein weiterer Unterschied zwischen den drei Ländern besteht in der Tatsache, dass in Deutschland im Unterschied zur Schweiz und zu Österreich seit der Abstimmung des Deutschen Bundestags im Jahr 2011 die sog. Präimplantationsdiagnostik legal ist. Bei einer PID wird drei bis fünf Tage nach der Befruchtung durch IVF der Embryo auf einen befürchteten Gendefekt hin untersucht. Man nennt die PID daher auch manchmal Blastozystenbiopsie, weil dem Embryo im sog. Blastozysten-Stadium eine Zelle entnommen und auf den Defekt hin untersucht wird. Weist der Embryo den Defekt auf, wird er verworfen. Es handelt sich also eindeutig um ein Selektionsverfahren, das ethisch viele grundlegende Fragen aufwirft. Insbesondere Menschen mit Behinderung haben ihre Befürchtungen geäußert, bereits im embryonalen Stadium „aussortiert“ zu werden und gegen die Legalisierung des Verfahrens in einem Land protestiert, das beim Thema Selektion aufgrund von Behinderung schon allein aus geschichtlichen Gründen sensibilisiert ist. Dennoch wurde nach vielen Jahren engagierter Debatten die PID durch eine Verordnungsermächtigung in § 3a des Embryonenschutzgesetzes legalisiert, allerdings unter strengen Bedingungen: Wenn aufgrund der genetischen Disposition einer Frau oder eines Mannes oder von beiden ein hohes Risiko einer schwerwiegenden genetischen Erbkrankheit besteht, darf zur Herbeiführung einer Schwangerschaft eine PID durchgeführt werden. Dies ist ebenso der Fall, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass aufgrund der schwerwiegenden Schädigung des Embryos eine Tot- oder Fehlgeburt zu erwarten ist. Die PID legalisiert also keinen „Generalcheck“ aller Embryonen und sie begründet auch keine Selektion nach Schönheit oder Intelligenz. Überdies wird die Durchführung der PID streng kontrolliert, u. a. durch eine Ethikkommission an den für eine PID zugelassenen Zentren. Von einer offiziellen Auflistung schwerer Erbkrankheiten wurde abgesehen, da Grenzziehungen praktisch unmöglich sind und stets mit der Diskriminierung einer bestimmten Gruppe von Menschen mit Behinderung einhergehen. Nichtsdestoweniger ist es Faktum, dass in anderen Ländern, in denen zunächst ähnliche gesetzliche Beschränkungen herrschten, die Anwendung der PID bald nicht mehr auf einige schwere Erbkrankheiten beschränkt blieb. Allgemein ist die PID für die Reproduktionsmedizin schon deshalb von Interesse, weil sich mit mithilfe einer PID die konstant niedrige Erfolgsrate der IVF steigern lässt.

Der kostenlose Auszug ist beendet.

12,99 €