Buch lesen: «Reform oder Blockade», Seite 4

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Notwendige Reformen der Finanzierung des UNO-Systems

Voraussetzung für eine grundlegende Reform der Finanzierung des UNO-Systems, die seine Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit garantiert, wäre die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, ihre Beiträge an die Weltorganisation deutlich aufzustocken und einen möglichst großen Anteil dieser Beiträge nicht freiwillig, sondern auf einer völkerrechtlich verpflichtenden Basis zu leisten.

Eine Möglichkeit wäre es, die UNO-Beiträge nach einem festen Prozentsatz des weltweiten Bruttoinlandproduktes (BIP) zu bestimmen. 0,06 Prozent des globalen BIP im Jahr 2019 in Höhe von 87,55 Billionen US-Dollar, aufgebracht durch verbindliche Pflichtzahlungen der Mitgliedsländer in Höhe von 0,06 Prozent ihres jeweiligen nationalen BIP, hätten verlässliche Finanzmittel für das UNO-System in Höhe von 52,5 Milliarden US-Dollar erbracht statt der unverbindlich budgetierten, zu 80 Prozent in Form freiwilliger Beiträge zugesagten 53 Milliarden.

Möglich wäre die verlässliche und ausreichende Finanzierung des UNO-Systems auch durch eigens zu diesem Zweck erhobene Steuern. Das könnten ausdrücklich »UNO-Steuern« sein, die jeder UNO-Mitgliedstaat von allen steuerpflichtigen Bürgern erhebt. Denkbar wäre auch, eine künftig international erhobene Finanztransaktionssteuer für die Finanzierung des UNO-Systems zu nutzen oder auch eine Treibhausgassteuer, mit der gleichzeitig weltweit die Wende hin zu klimafreundlichen, erneuerbaren Energien befördert werden könnte.

Für eine UNO-Treibhausgassteuer und einen Marshall-Plan der Energiewende

Den folgenden detaillierten Vorschlag für eine Treibhausgassteuer legte der Kreisverband Kiel der deutschen Grünen der Bundesdelegiertenkonferenz der Partei bereits 2014 als Antrag vor.

»Die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfordern neue Formen der internationalen Zusammenarbeit. Klimawandel, Armut, Hunger, Rohstoffkrise und Rüstungswettlauf – keines der großen Probleme unserer Zeit kann für sich gelöst werden und kein Staat der Welt kann sie allein meistern. Der Schlüssel liegt darin, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und die internationalen Institutionen zu stärken.

–Die globale Treibhausgasfreisetzung nimmt weiterhin zu, dies zeigt ein Bericht der Vereinten Nationen (UNO). Bündnis 90/Die Grünen werden sich daher dafür einsetzen, dass die Vereinten Nationen das Recht auf eine global zu erhebende Steuer erhalten, die UNO-Treibhausgassteuer. Bei der Erhebung dieser Steuer ist die UNO von den staatlichen Steuerbehörden zu unterstützen.

–Ziel der UNO-Treibhausgassteuer ist die Finanzierung der UNO. Dies umfasst insbesondere ihre wichtigen Friedensmissionen, den Internationalen Gerichtshof, die ständigen UN-Hilfsprogramme sowie die Sonderorganisationen.

–Die UNO sollte sich selbst finanzieren durch diese im Idealfall global zu erhebende Steuer auf Kohlendioxid- und andere Treibhausgasemissionen. Das Ziel ist die Steuererhebung insbesondere zulasten derjenigen großen Unternehmen und Organisationen, die erhebliche Mengen Treibhausgasemissionen zu verantworten haben. Dies kann durch eine Besteuerung erheblich klimaschädlicher Ressourcen (in erster Linie Kohle, Erdöl, Erdgas, Methanfreisetzung und so weiter) abhängig von der Klimaschädlichkeit erfolgen, um die Steuerverwaltung relativ einfach zu gestalten. Auch bei im Idealfall sinkendem Treibhausgasausstoß kann sich die UNO konstant finanzieren, indem dann jährlich die Steuer äquivalent zur Emissionsminderung angehoben wird und so noch mehr Anreiz zur Reduzierung bietet. Staaten, welche noch keine UNO-Treibhausgassteuer entrichten, haben beim Export ihrer Produkte in teilnehmende Staaten einen Steueraufschlag hinzunehmen. Umgekehrt wird der Export von Produkten aus teilnehmenden Staaten in nichtteilnehmende Staaten von der UNO-Treibhausgassteuer befreit. Somit könnte der Startschuss in Europa oder auch nur in wenigen Staaten erfolgen: Dort verbrauchte Produkte würden zur UNO-Treibhausgassteuer herangezogen, importierte Produkte würden nachversteuert, in nichtteilnehmende Staaten exportierte Produkte würden von der Steuer befreit. Der Vorteil dabei ist, dass die Besteuerung auch schon im kleineren Maßstab, also etwa ›nur‹ in Europa, funktioniert, ohne wettbewerbsverzerrend zu sein. Die Bestimmungen der Welthandelsorganisation sind entsprechend anzupassen.

–Bei der Verteilung eventueller Steuerüberschüsse bekommen Staaten, aus denen viel UNO-Treibhausgassteuergeld geflossen ist, auch einen großen Anteil der Steuerüberschüsse, um damit im Idealfall einen nationalen Marshall-Plan der Energiewende zu finanzieren und in den folgenden Jahren weniger UNO-Treibhausgassteuer entrichten zu müssen. Diese Rückerstattung der Überschüsse der UNO-Treibhausgassteuer ist geeignet, die Chancen zur Einführung derselben zu erhöhen.«

Ständige UNO-Truppe scheitert an nationalem Souveränitätsanspruch der Mitgliedstaaten

Die »Bewahrung des Friedens und der internationalen Sicherheit« ist laut UNO-Charta eine der zentralen, wenn nicht sogar die wichtigste Aufgabe der Weltorganisation. Doch zu keinem Zeitpunkt seit ihrer Gründung haben die Mitgliedstaaten auch die ausreichenden zivilen wie militärischen Mittel und Instrumente zur Erfüllung dieser Aufgabe zur Verfügung gestellt. In den ersten 45 Jahren bis zum Ende des Kalten Krieges fiel dieses Defizit weniger auf. Denn es gehörte zur politischen Logik der Ost-West-Konfrontation, dass fast sämtliche Gewaltkonflikte und Verletzungen des Friedens, an denen die USA und die Sowjetunion oder auch die beiden anderen westlichen Vetomächte des Sicherheitsrats, Frankreich und Großbritannien, in den Jahren 1945 bis 1990 beteiligt waren, für den Sicherheitsrat und damit für die gesamte UNO tabu waren.

In den übrigen Gewaltkonflikten konnten von der UNO entsandte Unterhändler in vielen Fällen erfolgreich zumindest die Vereinbarung von Waffenstillständen zwischen den Konfliktparteien vermitteln, manchmal sogar eine politische Lösung des Konflikts. 13-mal entsandte der Sicherheitsrat zwischen 1948 und 1988 Peacekeeping-Soldaten, für die sich wegen ihrer in UNO-Blau gefärbten Helme der Name »Blauhelme« einbürgerte. Derartige Peacekeeping-Missionen waren in der UNO-Charta gar nicht vorgesehen. Die Voraussetzung für ihre Entsendung und ihre Einsatzregeln wurde erst nach der ersten Mission, die 1948 zur Überwachung des Waffenstillstands zwischen Israeli und Palästinensern entsandt wurde, vom Sicherheitsrat festgelegt: Es muss ein vertraglich vereinbarter Waffenstillstand vorliegen mit einer klar definierten Waffenstillstandslinie. Beide Konfliktparteien müssen der Stationierung von UNO-Blauhelmsoldaten entlang dieser Linie vorab zustimmen. Einzige Aufgabe der Blauhelme ist es, die Einhaltung des Waffenstillstands zu überwachen. Sie sind ausschließlich zum Zwecke der Selbstverteidigung mit leichten Waffen ausgerüstet.

Alle 13 Peacekeeping-Missionen, die der Sicherheitsrat von 1948 bis 1988 entsandte, waren erfolgreich beziehungsweise sind es bis heute. Denn einige dieser Missionen dauern nach wie vor an – zum Beispiel die seit 1950 an der indisch-pakistanischen Grenze und die seit 1974 entlang der Grünen Linie zwischen dem griechischen und dem türkischen Teil Zyperns. Im Jahr 1988 wurden die Peacekeeping-Missionen der UNO mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Damit endete auch die Erfolgsgeschichte.

Von der Friedenserhaltung zur Friedenserzwingung

Nach Ende des Kalten Krieges änderte sich der Charakter der Blauhelmoperationen der UNO erheblich; es ging nicht mehr nur um Friedenserhaltung, sondern um seine Durchsetzung. Am deutlichsten zeigte sich dies zunächst in den jugoslawischen Zerfallskriegen zwischen 1991 und 1995, die sich im Wesentlichen in den beiden Republiken Kroatien und Bosnien-Herzegowina abspielten. Verlässliche Waffenstillstände kamen in diesen Gewaltkonflikten trotz aller damals gemeinsamen Vermittlungsbemühungen von UNO und EU nie zustande.

Dennoch entsandte der Sicherheitsrat ab 1992 UNO-Schutztruppen (United Nations Protection Forces, UNPROFOR) nach Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Ihre Aufgabe war es zunächst, humanitäre Hilfstransporte nach Sarajevo und in andere damals in erster Linie von Milizen der nationalistischen Serben belagerte Städte zu begleiten. Dies gelang, wenn überhaupt, nur gegen den Widerstand der Belagerer. Später kam als Aufgabe die Bewachung der vom Sicherheitsrat zu »UNO-Schutzzonen« erklärten Städte hinzu.

Doch das Mandat, die Einsatzregeln und die Ausrüstung der Blauhelme waren völlig unzureichend. Und für die Bewachung der UNO-Schutzzonen war die Zahl der dort stationierten Blauhelme viel zu gering. Das zeigte sich besonders dramatisch, als im Juli 1995 die 300 leicht bewaffneten niederländischen Blauhelme in der UNO-Schutzzone Srebrenica von 12’000 mit schweren Waffen ausgerüsteten serbischen Angreifern überrannt wurden. Die serbischen Angreifer ermordeten in der Folge fast 8000 männliche muslimische Einwohner Srebrenicas.

Mangelndes Interesse an der Verhinderung des Völkermords in Ruanda

Bereits im Frühjahr 1994 waren in Ruanda über 800’000 Menschen einem Völkermord zum Opfer gefallen. Auch dieser Völkermord hätte bei entsprechendem Willen der UNO-Mitglieder, insbesondere der fünfzehn Staaten im Sicherheitsrat, verhindert werden können. Der Kommandeur der kleinen UNO-Blauhelmtruppe, die bis kurz vor Beginn des Völkermords in Ruanda mit einem reinen Beobachtungsauftrag stationiert war, hatte dem damaligen UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali und der von seinem späteren Nachfolger Kofi Annan geleiteten Abteilung für Peacekeeping-Operationen (DPKO) umfangreiche und stichhaltige Beweise für die Planung und Vorbereitung des Völkermords der Hutu an den Tutsi übermittelt.

Boutros-Ghali und Annan legten diese Beweise dem Sicherheitsrat vor und plädierten nachdrücklich für die Stationierung einer robusten Blauhelmtruppe zwischen den verfeindeten Volksgruppen der Hutu und der Tutsi, um den drohenden Völkermord zu verhindern. Doch im Sicherheitsrat erhob sich keine einzige Hand zur Unterstützung dieser Forderung. Denn kein Mitglied des Sicherheitsrats war bereit, für eine solche Truppe eigene Soldaten, Waffen, Transportmittel oder sonstige Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Es gab kein ausreichendes nationales Eigeninteresse, sich für die Verhinderung des drohenden Völkermords in Ruanda zu engagieren.

Der damalige US-Außenminister Warren Christopher hatte seinen für Afrika zuständigen Beamten sogar ausdrücklich untersagt, mit Blick auf Ruanda von einem drohenden »Völkermord« zu sprechen. Das, so Christophers Befürchtung, hätte die USA unter politisch-moralischen Handlungsdruck gesetzt. Denn die UNO-Konvention zur Verhinderung von Genozid (Völkermord) von 1948 verpflichtete die Vertragsstaaten zum Eingreifen.

Ruanda ist bis heute der klarste Beleg dafür, dass die UNO eine ständige Truppe benötigt. Damit sie auch dann zur Verhinderung oder Beendigung von Völkermord und von Verbrechen gegen die Menschlichkeit militärisch handlungsfähig ist, wenn es unter den Mitgliedstaaten kein ausreichendes Interesse und keine Bereitschaft gibt, UNO-Soldaten und militärische Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Seit dem Völkermord in Ruanda gibt es eine Reihe weiterer Gewaltkonflikte insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, bei der die UNO trotz eines entsprechenden Beschlusses des Sicherheitsrats nicht oder nur sehr unzureichend handlungsfähig war, weil die Mitgliedstaaten sich weigerten, das benötigte militärische Personal und die Ausrüstung zur Verfügung zu stellen.

Bereits vor den Völkermorden von Srebrenica und Ruanda hatte UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali in seiner im Mai 1992 vorgelegten »Agenda für den Frieden« betont, dass die UNO in erster Linie verstärkte und bessere zivile Instrumente zur Bearbeitung von Konflikten benötige. Boutros-Ghali hielt allerdings auch eine ständige UNO-Truppe unter gemeinsamem Kommando des Sicherheitrats und des Generalsekretärs für unverzichtbar.

Doch da die drei westlichen Vetomächte des Sicherheitsrats, USA, Frankreich und Großbritannien, Boutros-Ghalis Vorschlag rundweg ablehnten, musste sich die Abteilung für Peacekeeping-Operationen in der New Yorker UNO-Zentrale um die »zweitbeste Lösung« bemühen. In den Jahren 1993/94 wurden sämtliche UNO-Mitgliedsregierungen ersucht, nationale »Stand-by-Kontingente« an Soldaten, Waffen, Transportmitteln oder logistischer Ausrüstung zu definieren, die der UNO im Bedarfsfall schnell zur Verfügung stehen sollten. Auf diese Weise sollte wenigstens die Planungssicherheit für Peacekeeping-Operationen erhöht werden.

Doch auch dieser Ansatz scheiterte. Bis Ende 1993 erklärten sich zunächst lediglich 23 Staaten »im Prinzip« bereit, der UNO insgesamt rund 35’000 Soldaten nebst Ausrüstung anzubieten. Doch keiner dieser Staaten machte diese prinzipielle Bereitschaftserklärung auch in Form einer formalen Vereinbarung mit der UNO verbindlich. Und auf das dringende Ersuchen des DPKO, sich an einer Blauhelmtruppe für Ruanda zu beteiligen, reagierten alle 23 Staaten negativ. Für den DPKO-Chef und späteren UNO-Generalsekretär Kofi Annan war das eine »bittere Enttäuschung«.

In den Jahren nach dem Völkermord von Ruanda erklärten zwar weitere 64 Mitgliedstaaten in Vereinbarungen mit dem DPKO in New York über sogenannte Stand-by-Kontingente ihre »prinzipielle Bereitschaft«, der UNO bei Bedarf Soldaten oder militärische Ausrüstung auszuleihen. Doch ausnahmslos alle Staaten behielten sich in den Vereinbarungen mit dem DPKO ausdrücklich das Recht vor, in jedem konkreten Fall einer UNO-Anfrage zu entscheiden, ob sie in diesem Fall tatsächlich Soldaten und Ausrüstung zur Verfügung stellten. Das grundsätzliche Problem, so DPKO-Chef Annan, sei denn auch weniger die Finanzierung von Operationen als »der fehlende politische Wille der Mitgliedstaaten«, im militärischen Bereich auch nur einen kleinen Teil nationaler Souveränität aufzugeben. Das ist bis heute unverändert das Problem, an dem die Aufstellung einer dringend erforderlichen ständigen UNO-Truppe scheitert.

1»In größerer Freiheit …«, www.un.org/Depts/german/gs_sonst/a-59-2005-ger.pdf; Zusammenfassung, www.un.org/Depts/german/gs_sonst/a-59-2005-exesumm.pdf (sämtliche Websites in diesem Buch wurden im März 2021 zuletzt geprüft).

2Text der Agenda 2030: www.un.org/Depts/german/gv-70/band1/ar70001.pdf

3www.tdh.de/was-wir-tun/arbeitsfelder/kinderrechte/meldungen/gut-leben-global

4www.globalpolicy.org/component/content/article/265-policy-papers-archives/53260-agenda-2030-wo-steht-die-welt.html

Corona und Klimawandel – größte Herausforderungen für die Weltgemeinschaft

»Unsere Welt steht vor einem gemeinsamen Feind: COVID-19. Das Virus macht keinen Unterschied zwischen Nationalität oder ethnischer Zugehörigkeit, Gruppierung oder Glauben. Es greift alle an, unerbittlich. Währenddessen wüten bewaffnete Konflikte auf der ganzen Welt. Es ist an der Zeit, bewaffnete Konflikte zu beenden und sich gemeinsam auf den wahren Kampf unseres Lebens zu konzentrieren. Deshalb rufe ich heute zu einem sofortigen globalen Waffenstillstand in allen Teilen der Welt auf.« Mit diesem Appell wandte sich UNO-Generalsekretär Antonio Guterres im März 2020 an die Mitgliedstaaten und die Weltöffentlichkeit. Vergeblich. Keiner der damals laufenden Kriege und Bürgerkriege wurde beendet. Im Oktober 2020 wiederholte der UNO-Generalsekretär seinen Appell. Erneut vergeblich.

Dem Generalsekretär blieb zum Ende des 75. Gründungsjahrs der UNO nur eine düstere Bilanz: »Konflikte, Klimawandel und COVID-19 haben zur größten humanitären Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg geführt«, erklärte Guterres im Dezember 2020 und bat die Mitgliedstaaten geradezu flehentlich, endlich deutlich mehr Geld als zuvor bereitzustellen zur Bewältigung der akuten humanitären Krisen. Zudem müsse »die Weltgemeinschaft mehr daran arbeiten, die Ursachen von Konflikten und Katastrophen zu bekämpfen. Denn der Klimawandel sorgt für mehr Brände, Überschwemmungen und heftige Stürme und verschärft damit Konflikte um lebenswichtige Ressourcen.« Das ist keine neue Erkenntnis. Dennoch blieben über 140 der 193 UNO-Mitgliedstaaten 2020 hinter ihren Verpflichtungen zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 zurück. Wird die Corona-Pandemie längerfristig zu mehr globaler Solidarität führen und damit auch zu mehr multilateraler Kooperation im Rahmen der UNO? Oder wird diese globale Herausforderung Verteilungskonflikte verschärfen und den Trend zur egoistischen Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen verstärken? Die Entwicklungen im ersten Jahr der Pandemie deuten eher in die negative Richtung.

Von globaler Verflechtung zu globalen Bedrohungen

»Globalisierung« ist seit vielen Jahren einer der am häufigsten benutzten Begriffe in der Sprache von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Er bezeichnet die immer engere weltweite Verflechtung in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Politik, Kultur und Medien. Der Begriff kam Anfang der neunziger Jahre auf, als dieser Verflechtungsprozess, der in Teilen der Welt schon lange vorher begonnen hatte, nach dem Wegfall der Ost-West-Spaltung auch bis dato verschlossene Länder und Regionen der Erde erfasste und sich zudem infolge neuer technologischer Entwicklungen und Kommunikationsinstrumente rasant beschleunigte.

In der ersten Hälfte der neunziger Jahre war erstmals auch die Rede von »globalen Herausforderungen oder Bedrohungen«. Auf der UNCED, der ersten großen Weltgipfelkonferenz der UNO nach Ende des Kalten Krieges, die sich 1992 in Rio de Janeiro mit Umwelt- und Entwicklungsfragen befasste, wurden die schon länger drängenden Probleme Hunger und Armut als globale Herausforderungen oder Bedrohungen eingestuft.

Die Staats- und Regierungschefs der teilnehmenden 178 UNO-Staaten berieten auch über die globale Erwärmung und Maßnahmen zu ihrer Begrenzung. In dieser Frage hatte der bereits 1988 gemeinsam vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie eingesetzte Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC), in dem rund 2000 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus aller Welt mitarbeiten, für ein wachsendes Problembewusstsein unter den Teilnehmern des Rio-Gipfels gesorgt.

Erfolgreiche Klimaverhandlungen in der UNO

Der Gipfel in Rio 1992 verabschiedete die UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel (UNFCCC). Die Konvention verankerte völkerrechtlich verbindlich das Ziel, einen gefährlichen und menschlich verursachten Eingriff in das Klimasystem der Erde zu verhindern. Ausdrücklich wurde das Vorsorgeprinzip vereinbart, nach dem durch die Staatengemeinschaft auch bei noch nicht absoluter wissenschaftlicher Sicherheit über den Klimawandel konkrete Klimaschutzmaßnahmen getroffen werden sollten.

Im Jahr 1997 vereinbarten die Vertragsstaaten der Konvention das Kyoto-Zusatzprotokoll mit ersten konkreten Verpflichtungen zunächst nur für die Industriestaaten, ihren Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxyd zu verringern.

Terrorismus wichtiger als Klimawandel?

Die Fragen, welche Probleme als »globale Herausforderungen oder Bedrohungen« einzustufen sind und wer ihnen – alleine oder mit Verbündeten – mit welchen Mitteln begegnen soll oder darf, sind allerdings nicht nur von gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig, sondern auch von Interessen, Machtverhältnissen und von zur Verfügung stehenden Mitteln und Ressourcen. Es ist eine hochpolitische Frage. Zumindest in den ersten zwanzig Jahren nach Ende des Kalten Krieges 1989/90 herrschte in dieser Frage nicht immer internationaler Konsens.

Nach dem Gipfel von Rio über Umwelt und Entwicklung 1992 berieten die Regierungen der UNO-Mitgliedstaaten in den neunziger Jahren auf sechs weiteren Weltgipfeln über Menschenrechte (Wien 1993), Bevölkerungsfragen (Kairo 1994), soziale Entwicklung (Kopenhagen 1995), die Rolle von Frauen (Peking 1995), Wohn-und Siedlungsfragen (Istanbul 1996) und Ernährungsprobleme (Rom 1996). Auch Hunderte von Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt nahmen an diesen Gipfeln teil. Die Ergebnisse dieser sechs thematischen Gipfel flossen in die »Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut« ein, die die Generalversammlung im September 2000 verabschiedete.

Ein weiterer Weltgipfel der UNO im südafrikanischen Durban Anfang September 2001 unter Leitung der damaligen UN-Hochkommmissarin für Menschenrechte Mary Robinson befasste sich mit »Rassismus, rassistischer Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz«. Der Konferenzort Durban wurde ausgewählt, um den Kampf gegen die Apartheid symbolisch zu würdigen. Der Gipfel verabschiedete ein Aktionsprogramm, in dem alle Regierungen zur Verabschiedung eigener nationaler Aktionspläne aufgefordert werden.

Doch mit den Anschlägen vom 11. September 2001, vier Tage nach Abschluss der Konferenz von Durban, war es zunächst einmal mit der seit Ende des Kalten Krieges entstandenen Übereinstimmung unter den UNO-Mitgliedstaaten über globale Problemlagen und die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns vorbei.

Die Bush-Administration in Washington nahm in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September nur noch »islamistischen Terrorismus« und den »Besitz von Massenvernichtungswaffen« in von den USA als »Schurkenstaaten« eingestuften Ländern als »globale Herausforderungen oder Bedrohungen« wahr. Washington drängte die UN-Organisation und die anderen 192 Mitgliedstaaten dazu, sich ebenfalls auf die Bewältigung und Bekämpfung dieser beiden Bedrohungen zu konzentrieren. Viele Regierungen gaben dem Druck nach. Für sich selbst nahm die Bush-Administration das Recht in Anspruch, auch mit Krieg, Folter und anderen völker- und menschenrechtswidrigen Mitteln zu re- beziehungsweise zu agieren, selbst dann, wenn – wie 2003 im Irak – überhaupt keine Bedrohung vorlag. Und die USA nötigten andere Staaten dazu, diese völkerrechtswidrigen Handlungen zu tolerieren, zu unterstützen oder sich sogar aktiv daran zu beteiligen.

In Reaktion auf die Verengung der Wahrnehmungen und Handlungen auf »islamistischen Terrorismus« und den »Besitz von Massenvernichtungswaffen» beschwor UNO-Generalsekretär Kofi Annan zur Eröffnung der Vollversammlung im September 2003 die Mitgliedstaaten – vor allem die im Norden –, sozioökonomische und ökologische Probleme wie Armut, Hunger, Unterentwicklung, Aids oder Umweltzerstörung als Herausforderung und Bedrohung der globalen Sicherheit ebenso ernst zu nehmen wie den Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln.

Welche Maßnahmen erforderlich seien, um die Handlungsfähigkeit der UNO zur Bewältigung all dieser Herausforderungen und Bedrohungen zu stärken, beschrieb Annan dann konkret und detailliert in eben dem Reformprogramm »In größerer Freiheit. Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle«, das er der Generalversammlung März 2005 vorlegte und mit Dringlichkeit zur zügigen Umsetzung empfahl.

Unter der ab 2009 regierenden Obama-Administration ließen sich die USA zumindest zum Teil wieder auf das von Annan skizzierte Gesamtspektrum globaler Herausforderungen und Bedrohungen ein. Zugleich entwickelte sich international der Konsens, dass der Klimawandel die drängendste globale Herausforderung oder Bedrohung ist und daher entschlossenes gemeinsames Handeln möglichst aller Staaten erfordert. Ende 2015 wurde das Pariser Klimaabkommen vereinbart, mit dem sich sämtliche inzwischen 189 Vertragsstaaten zur Reduktion ihrer klimaschädlichen Emissionen verpflichten. Ziel des Abkommens ist es, die Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts auf »deutlich unter 2 Grad Celsius, besser noch auf 1,5 Grad zu begrenzen«. Auch die USA hatten das Abkommen zunächst unterschrieben. Die Trump-Administration vollzog 2019 allerdings den Austritt.

Der neue Präsident Biden hat für den Tag seiner Amtsführung die Rückkehr der USA in das Abkommen zugesagt. Bereits im Präsidentschaftswahlkampf legte Biden ein detailliertes Klimaschutzprogramm vor, das im Vergleich zur Politik aller seiner fünf Amtsvorgänger (Trump, Obama, Bush, Clinton, Bush sen.) seit Beginn der internationalen Klimaverhandlungen Ende der achtziger Jahre sehr ambitioniert ist. Sollte die Umsetzung von Bidens Programm gelingen, besteht eine reelle Chance, dass die USA bis 2050 den Rückstand auf andere hochentwickelte Industriestaaten in Europa und Asien bei der Reduzierung klimaschädlicher Emissionen, der Nutzung erneuerbarer Energien sowie dem Einsatz umweltfreundlicher und energieeffizienter Technologien aufholen werden.

Dabei sind auch die Maßnahmen, die etwa die EU-Staaten und Japan in den letzten drei Jahrzehnten seit der Gründung des IPCC und der Gipfelkonferenz von Rio unternommen haben und zu denen sie sich auf Basis des Pariser Abkommens für die nächsten dreißig Jahre verpflichtet haben, keineswegs ausreichend, um das erklärte Ziel bis Ende des Jahrhunderts zu erreichen, selbst wenn die bislang angekündigten Maßnahmen auch tatsächlich termingerecht erreicht werden sollten. Und das wird nur gelingen, wenn der Klimawandel auch weiterhin als prioritäre globale Herausforderung oder Bedrohung begriffen wird. Das sah allerdings Ende 2020 nicht so aus; lediglich ein Viertel der Vertragsstaaten des Pariser Abkommens hatten ihre Verpflichtungen erfüllt.

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