Heil mich, wenn du kannst

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Aus der Reihe: Heil mich - Reihe #3
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Heil mich, wenn du kannst
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Alisha Mc Shaw, Melanie Weber-Tilse

Heil mich, wenn du kannst

Lorraine

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Über das Buch:

Inhaltsverzeichnis

Bereits erschienen:

Was bisher geschah:

Prolog

Nathan

Lorraine

Nathan

Lorraine

Nathan

Lorraine

Nathan

Lorraine

Nathan

Lorraine

Nathan

Lorraine

Nathan

Lorraine

Nathan

Lorraine

Nathan

Lorraine

Nathan

Lorraine

Epilog

Danksagung Alisha Mc Shaw

Über Alisha Mc Shaw

Danksagung Melanie Weber-Tilse

Über Melanie Weber-Tilse

Impressum neobooks

Über das Buch:


»Klugscheißer«, flüsterte sie gepresst.

»Von Berufs wegen!«, vernahm sie seine spöttische Stimme von hinten.

Neun Jahre.

Neun Jahre ist es her, dass ein Attentat die Eltern von Michael Thompson aus dem Leben riss. Für Nathan Mc Kenzie, Detective der Mordkommission, sein erster Fall und der einzige, den er bis heute nicht gelöst hat. Als neue Hinweise auftauchen, nimmt Nathan voller Elan die Ermittlungen wieder auf, nicht ahnend, dass ihm etwas in die Quere kommen könnte, womit er längst abgeschlossen hatte.

Fünf Jahre.

Fünf Jahre ist es her, dass Lorraines Eltern bei einem Unfall starben. Seither muss sie nicht nur für sich, sondern auch für ihren jüngeren Bruder sorgen. Dass ihre Entscheidung, eine Stelle als Nanny bei Michael Thompson anzunehmen, Lorraines und Ryans Leben jedoch vollkommen auf den Kopf stellen wird, kann sie nicht ahnen.

Deutsche Originalausgabe, 1. Auflage 2016

Ihr findet uns auf

facebook.com/AlishaMcShaw

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https://www.facebook.com/m.webertilse

Herausgeber:

Alisha Mc Shaw

Apostelstrasse 8, 56567 Neuwied

Melanie Weber-Tilse

Breslauer Str. 11, 35274 Kirchhain

© Dezember 2016 Alisha Mc Shaw / Melanie Weber-Tilse

Alle Rechte vorbehalten!

Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der offiziellen Erlaubnis durch die Autoren.

Covergestaltung: Alisha Mc Shaw http://alishamcshaw.de/

Bilder: © deposit123, © feedough © nejron © SOMATUSCANI / depositphotos.com

Bilder Inlay: © neirfys, © seamartini / depositphotos.com

Korrektur: Alisha Mc Shaw

Inhaltsverzeichnis


Bereits erschienen:

Heil mich, wenn du kannst: Michael

Eine Stunde.

Eine Stunde hat gereicht, um das Leben von Michael Thompson völlig auf den Kopf zu stellen und dafür zu sorgen, dass nichts mehr ist, wie es vorher war. Eine Stunde, die er zu spät war, um den brutalen Überfall auf seine Schwester Annabell zu verhindern, infolge dessen sie im Koma liegt.

Eine Nacht.

Eine Nacht hat gereicht, um auch das Leben von Susan Weatherbee völlig umzukrempeln. Einst von Michael auf Händen getragen, hält er es von einem Tag auf den anderen nicht mehr für nötig, sich bei ihr zu melden. Als sie ihn zur Rede stellen will, wird sie hochkant von ihm herausgeworfen.

Vier Jahre später treffen sie wieder aufeinander. Beide hüten ein Geheimnis, das erneut alles verändern könnte.

Heil mich, wenn du kannst: Annabell

Vier Jahre.

Vier Jahre lag Annabell Thompson nach einem brutalen Überfall im Koma. Nach dem Aufwachen ist nichts mehr so, wie es einmal war. Durch ein Trauma all ihrer Erinnerungen beraubt, möchte sie einfach nur noch sterben. Doch nicht nur ihre Familie kämpft um sie, sondern auch der Eine, der all die Jahre nicht von ihrer Seite gewichen ist: ihr Pfleger Jonathan. Den aufkeimenden Gefühlen traut sie jedoch nicht und stößt Jon von sich.

Vier Jahre.

Vier Jahre ist Jonathan Briggs schon der Pfleger von Annabell Thompson. Als sie endlich aus ihrem langjährigen Schlaf erwacht, verändert sich alles. Von der lebensfrohen Person, von der ihr Bruder Michael ihm so oft erzählt hat, ist nichts mehr übrig. Mutig nimmt Jon den Kampf gegen die Dämonen auf, die Annabell beherrschen, denn eins steht für ihn fest: Wer liebt, gibt nicht auf.

Was bisher geschah:

In Band 1 geht es um Michael und Susan. Vor über 4 Jahren wurde Michaels Schwester Annabell bei einem brutalen Überfall ins Koma geprügelt, aus dem sie lange Zeit nicht wieder aufwacht. Michael macht nicht nur sich, sondern auch die Frau, die er liebt, dafür verantwortlich. Aus diesem Grund stößt er Susan damals von sich. In »Heil mich, wenn du kannst - Michael« erzählen wir ihre Geschichte.

In Band 2 begleiten wir Annabell, die nach dem Aufwachen aus dem Koma so gut wie alles neu lernen muss. Depressiv und selbstmordgefährdet sieht sie kaum Sinn in ihrem Dasein. Mit Hilfe ihres Pflegers Jonathan lernt sie, nicht nur zurück ins Leben zu finden, sondern begreift auch: Wer liebt, gibt nicht auf. Lest ihre ergreifende Geschichte in »Heil mich, wenn du kannst – Annabell«.

Band 3 reiht sich zeitlich nahtlos ans Ende von Band 2 ein, spielt aber in den 6 Monaten, die zwischen letztem Kapitel und Epilog von Band 2 liegen. Man kann ihn unabhängig von den ersten beiden Bänden lesen, allerdings lässt es sich dennoch nicht immer ganz verhindern, dass sich dem Leser bestimmte Dinge besser erschließen, wenn man die Vorbände kennt.

Prolog

Langsam senkten sich seine Lippen auf ihre herab, seine Hand glitt in ihren Nacken und zogen sie noch dichter an ihn heran, falls das überhaupt noch möglich war. »Für immer wir zwei«, wisperte er an ihren Lippen. Ihre Finger glitten an seiner Brust entlang nach oben, legten sich an der Stelle ab, an der sie sein Herz deutlich schlagen fühlte.

Bumm ... Bumm ... Bumm ... BUMM .... BUMM ...

»Lorraine, verdammt noch mal, mach die Tür auf!«

So ein Mist, warum musste sie immer an der besten Stelle gestört werden? Laut seufzend schlug Lorraine das Buch zu, in dessen Welt sie gerade eben noch völlig versunken war. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es schon halb zwölf war. Das Hämmern gegen die Tür und der Lärm wurden immer lauter und ihr war klar, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis irgendein Nachbar aus den umliegenden Häusern sich beschwerte.

Murrend erhob sie sich aus ihrem Sessel und schlurfte zur Tür. »Ich komm ja schon!«, knurrte sie, löste die Sicherungskette und öffnete. »Ryan, wie oft soll ich dir noch sagen, dass ...« Weiter kam sie nicht, denn ihr Bruder schob sie einfach zur Seite und trat in den Wohnungsflur. Verblüfft sah sie ihm hinterher, schloss die Tür wieder und stemmte die Arme in die Hüften.

 

»Ryan, du kannst nicht immer zu nachtschlafenden Zeiten hier auftauchen und darauf bauen, dass ich dich hier schlafen lasse, wenn dich eine deiner Freundinnen mal wieder hinausgeworfen hat!«, legte sie los und folgte ihrem Bruder, der einfach ins Wohnzimmer durchgegangen war. »Du erinnerst dich, morgen ist Montag, ich habe ein Vorstellungsgespräch und brauche meinen Schlaf.«

Ryan sagte nicht einen Ton, aber er marschierte auf den Sessel zu und hob das Buch hoch, in dessen Welt sie noch vor weniger als einer Minute völlig versunken war. »Du brauchst deinen Schlaf, ja?«, grinste er und wedelte mit dem Buch. Lorraine kniff die Augen zusammen, nahm ihm das Buch ab und legte es behutsam beiseite, nachdem sie ein Lesezeichen hineingepackt hatte.

»Wer hat dich diesmal rausgeworfen?«, fragte sie, während ihr Bruder es sich bereits auf ihrer Couch bequem machte. »Emely, Cindy oder Katelyn?«

Ryan lachte leise. »Nathalie, sie fand mein Date mit ihrer besten Freundin wohl nicht so prickelnd«, gab er unbekümmert zu. »Wo hast du morgen dein Vorstellungsgespräch?«

Lorraine rollte mit den Augen. Womit habe ich einen so verantwortungslosen Bruder verdient?, dachte sie bei sich. »Bei Michael Thompson und seiner Freundin. Sie suchen ein Kindermädchen.«

Ryan schoss hoch und starrte sie an. »Bei dem Michael Thompson? Von der Thompson Holding?«

»Ja, genau bei dem.«

»Rain ...«, er stand erneut auf und legte ihr den Arm um die Schulter. Lorraine zog die Augenbraue hoch. Wenn er ihr so kam und ihren Kosenamen benutzte, dann hieß es, Vorsicht walten zu lassen. »Wenn du ja dann so mit Mr. Thompson bist ...«, er kreuzte zwei Finger übereinander, »... dann kannst du doch bestimmt auch mal nach nem Job für deinen lieben, kleinen Bruder fragen, oder? Vielleicht als Security in seiner Firma?«

Lorraine schnaubte. »Genau. Super Idee, Bruderherz. Ich hatte vor, den Job wirklich zu bekommen. Schon mal davon gehört, dass jemand den Bock freiwillig zum Gärtner macht? Die verlangen sogar für das Kindermädchen ein Führungszeugnis.«

Peng, das hatte gesessen. Sie sah es an der Art, wie er zusammenzuckte. Die Worte taten ihr dennoch nicht leid, denn irgendwann musste selbst ihr Bruder begreifen, dass es so nicht weitergehen konnte.

Ryan war seit zwei bis drei Jahren Mitglied einer Gang, deren Vorgehensweise sie mehr als fragwürdig fand. Erst vergangene Woche hatte er die letzte Sozialstunde hinter sich gebracht, die er aufgebrummt bekommen hatte, weil er für die Gang Schmiere stand beim Einbruch in eine Tankstelle.

Sein Gesicht wurde verschlossen und er verschränkte die Arme vor der Brust. »Was ist jetzt, schmeißt du mich raus, oder kann ich auf dem Sofa schlafen?«

Seufzend trat sie zu einer Truhe, öffnete sie und fischte Kopfkissen und Bettdecke heraus. Beides warf sie ihrem Bruder zu, der die Sachen mit einem Grinsen auffing und auf dem Sofa ablegte. Dann trat er zu ihr, zog sie in eine Umarmung und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Besteste Schwester der Welt!«

Mürrisch schob Lorraine ihn von sich. »Fragwürdiges Kompliment. Ich bin deine einzige Schwester! Gute Nacht.«

Kopfschüttelnd setzte sie an, das Wohnzimmer zu verlassen, blieb jedoch im Türrahmen stehen und beobachtete ihren Bruder noch einen Moment. Ryan schlüpfte aus Jeans und T-Shirt, fläzte sich dann auf ihr Sofa und angelte nach der Fernbedienung für das TV.

Sie war eine Nanny, und zwar eine richtig gute, aber bei ihm hatte sie offensichtlich auf ganzer Linie versagt. Fast war sie froh, dass ihre Eltern das nicht mehr erleben mussten. Es würde beiden das Herz brechen zu sehen, wie sehr sich Ryan verändert hatte. Als die beiden vor fünf Jahren durch einen Verkehrsunfall gestorben waren, versuchte sie gar nicht erst, ihrem Bruder die Mutter zu ersetzen. Dafür war er mit damals 19 Jahren schon zu alt.

Doch der Tod der Eltern hatte ihn in ein tiefes Loch gezogen, aus dem er sich mit Hilfe zwielichtiger Gestalten zu befreien versuchte. So sehr sie auch versucht hatte, ihn aufzufangen – er war ihr immer mehr entglitten. Es grenzte für sie an ein Wunder, dass er noch keine schlimmeren Dinge angestellt hatte.

»Du kannst ruhig schlafen gehen, Rain. Heute hab ich nicht vor, noch etwas anzustellen, okay? Ich will nur noch schlafen und mir überlegen, wie ich Nathalie wieder besänftigen kann«, ertönte da die Stimme ihres Bruders und riss sie aus den Überlegungen. »Viel Glück für dein Gespräch mit Mr. Reich und sexy himself!« Kopfschüttelnd, aber lächelnd verließ Lorraine das Wohnzimmer endgültig, um schlafen zu gehen.

Nathan

Das Opfer weist mehrere Wunden mit einer Tiefe von circa sieben Zentimeter um das Sternum auf. Zerrissene Wundränder deuten auf hohe Krafteinwirkung hin. Eine Verletzung von Atrium und Lobus superior pulmonis sinistri führten beim Opfer zu Herzversagen und Tod.

»Warum kann er das nicht einfacher formulieren?«, murmelte Nathan und notierte die Ergebnisse des Autopsieberichtes in der Akte. Das Opfer, Julio Cardanos, war höchstwahrscheinlich aufgrund eines Bandenkrieges erstochen worden und lag nun in der Leichenhalle des NYPD. Und er hatte nicht nur den Kerl, sondern auch den ganzen Papierkram am Hals. Wobei er froh war, dass er noch im gesamten bestand und keinerlei Stichwunden aufwies.

Er verzog angewidert das Gesicht, nachdem er einen Schluck des mittlerweile kalt gewordenen Kaffees getrunken hatte. Warm war das Gebräu schon kaum zu ertragen, kalt schmeckte es wie Brackwasser.

»Was machst du denn schon hier?«

Paul, sein Partner bei der Mordkommission, stand grinsend neben ihm und hielt ihm einen mitgebrachten Kaffeebecher entgegen.

»Danke.« Nathan nahm von dem heißen Gebräu einen großen Schluck und spürte, wie die Lebensgeister allmählich in seinen Körper zurückkehrten. Gähnend streckte er sich und musste wieder einmal über Pauls Aufzug grinsen. In ihrer Position als Detective sah die Kleiderordnung Anzüge vor. Anzüge hatte Paul zur Genüge, das war nicht das Problem. Aber dessen Leibesfülle hatte vor ein paar Jahren noch nicht bestanden. Die zugeknöpfte Jacke spannte mittlerweile nicht nur, sondern ein Knopf hatte in der Mitte die Flucht angetreten, sodass die Jacke dort klaffte, und freie Sicht auf Pauls rotes Hemd zuließ.

Rote Hemden waren neben dem runden Bauch das Markenzeichen von Paul Domestic.

Nathan hingegen hatte wohl kein einzig farblich auffälliges Hemd im Schrank. Weiße und schwarze Hemden gehörten zu seiner Ausstattung, sowie weiße und schwarze T-Shirts für die Freizeit. Paul zog es da zum Leidwesen seiner Frau Ella zu Hawaii-Hemden und senffarbenen Shorts.

»Ich war gar nicht erst weg, Paul. Hab die Nacht den verdammten Papierkram aufgearbeitet.« Nathan zeigte auf den hohen Berg von Akten auf seiner Ablage. »Weißt doch, dass das dem Chief ein Dorn im Auge ist und wir bis heute Zeit hatten.«

»Nate, du hast was gut bei mir. Nächstes Wochenende Barbecue und Ella macht ihren legendären Texas Kartoffelsalat dazu.« Ächzend ließ sich Paul auf seinen Stuhl sinken. »Ist der Bericht vom Cardanos Fall eingetroffen?«

»Ja, wie wir es schon vermutet haben. Er ist an den Stichverletzungen gestorben. Ich bring noch schnell die Akten ins Archiv, dann können wir los, uns noch einmal mit seiner Familie und der Gang unterhalten. Wobei ich stark bezweifle, dass wir irgendetwas aus denen herausbekommen.« Er reichte die gerade fertig gewordene Akte an seinen Partner weiter und packte sich den Stapel mit den abgeschlossenen Fällen.

Er liebte die Arbeit in der Mordkommission … bis auf den Papierkram. Den hatte er schon in seiner Ausbildung und später als Streifenpolizist gehasst. Leider hatte er keine Sekretärin wie der Chief und auch sein Partner war da keine große Hilfe, sodass die Schreibarbeit regelmäßig an ihm hängen blieb.

Seit neun Jahren war er dabei, seit sieben Jahren war Paul sein Partner. Auch wenn Nathan 20 Jahre jünger war, so hatten sich beide auf Anhieb verstanden und schnell war eine Freundschaft entstanden. Regelmäßig trafen sie sich bei Paul und Ella. Und Pauls Frau kochte ein besseres Essen nach dem anderen. Diese Frau war ein Goldstück und seit Nathans Ehe vor fünf Jahren in die Brüche gegangen war, glaubte Ella, ihn immer wieder mit Cousinen, Freundinnen und Nachbarinnen verkuppeln zu müssen.

Sie fand, es sei eine Schande, dass er seither keine Frau mehr an seiner Seite hatte und jedes Mal zwinkerten Paul und er sich verschwörerisch zu, wenn das Tischgespräch wieder auf dieses Thema schwenkte. Das tat es jedes Mal. Und jedes Mal bekam Paul Schelte von seiner Frau, weil dieser einfach nicht Profi genug war, seine Belustigung zu verstecken.

Wohlweislich wählte Nathan die Treppe in den Keller, wo sich das Archiv der New Yorker Polizeistation befand, denn wenn er zum Wochenende wieder eingeladen war, musste er jede Situation nutzen, um sich sportlich zu betätigen.

Wie immer saß Bud, der wachhabende Polizist, mürrisch hinter dem vergitterten Empfang und hatte seine Nase tief in das vor ihm liegende Magazin vergraben.

»Hi Bud. Wie geht’s?« Nate lächelte ihn freundlich an, was diesem nur ein abfälliges Schnauben entlockte.

Wahrscheinlich las er gerade den neuesten Playboy, das würde seine derart schlechte Laune erklären. Normalerweise wurde man immerhin mit einem geknurrten »geht« begrüßt, außer einmal im Monat, wenn seine geliebte Zeitschrift erschien.

Verstohlen versuchte er, einen Blick zu erhaschen, aber Bud legte sofort das dicke Besucherbuch darüber. Seit Jahren war er der Herrscher – wie sie ihn alle nannten – über das Archiv und er weigerte sich, einen PC zu benutzen. Langsam und fein säuberlich schrieb er Nathan in das Buch ein, drehte es ihm entgegen, sodass er seine Hand durch den kleinen Schlitz zum Unterschreiben stecken konnte, erst dann wurde er in die heiligen Hallen hineingelassen.

Ein weiteres Indiz, dass Bud wirklich den Playboy unter dem Buch versteckte, war das fehlende Nachfragen nach seinem Ausweis. Egal wie lange man hier schon arbeitete, jedes verfluchte Mal durfte man hier unten seine Dienstmarke samt Ausweis zeigen. Daher lag die Vermutung nahe, dass er zu seinen nackten Weibern in der Zeitschrift ganz schnell zurückwollte.

Nathan kam das nur entgegen. So war er schneller hier unten fertig. Er mochte die langen Gänge mit den bis zur Decke reichenden Regalen nicht. Er fühlte sich immer wieder total beengt und hatte das Gefühl, dass jeden Moment die Kisten, die man teilweise nur über eine Leiter erreichte, auf ihn hinabfallen würden, um ihn dann unter sich zu begraben.

Zügig verstaute er die fertigen Akten und verabschiedete sich wieder … wobei er sich das hätte sparen können, denn er wurde komplett ignoriert und benutzte die Treppe bis zum dritten Stockwerk, in der sich seine Abteilung befand.

Er überlegte gerade, ob er sich einen frischen Kaffee holen sollte, als Chief Goodman aus seinem Büro trat und ihm und Paul zuwinkte. »Mc Kenzie, Domestic, in mein Büro. Sofort!«

Nathan warf einen fragenden Blick zu Paul, der sich aus dem Bürostuhl hochstemmte, doch dieser schüttelte kaum merklich den Kopf. Die Stimme des Chiefs hatte angespannt geklungen und sein Blick wirkte gehetzt. Dieser Gemütszustand war äußerst selten, normalerweise brachte Goodman so schnell nichts aus der Ruhe.

Nate und Paul betraten das Büro, schlossen die Tür und setzten sich dann auf die zwei Stühle, die vor dem Schreibtisch standen.

Goodman stand am Fenster, und schien schlagartig meilenweit entfernt zu sein.

Paul zuckte mit den Schultern, als Nathan fragend eine Augenbraue hob.

»Chief?« Paul kannte ihren Vorgesetzten einige Zeit länger und wenn dieser so ein Verhalten merkwürdig fand, dann bestand höchste Alarmbereitschaft.

»Detectives«, der Chief drehte sich zu beiden um. »Wie weit sind Sie im Cardanos-Fall?«

Das war das Stichwort für Nathan. »Laut Bericht ist er an den Stichverletzungen am Sternum verstorben. Da eindeutige Abwehrverletzungen vorhanden sind, hat er weder Selbstmord begangen, noch schien er damit einverstanden zu sein, dass sein Angreifer auf ihn einsticht. Wir wollten gleich los und Familie, Freunde und Gangmitglieder zu befragen …«

 

»Gebt den Fall an Bentson und Hugh ab«, wurde er von seinem Chef unterbrochen.

Verdutzt schaute Nate ihn an. »Alles klar, Chief. Aber, wenn ich fragen darf, warum?«

»Dürfen Sie natürlich.« Goodman verschränkte die Finger, die zuvor nervös von ihm geknetet worden waren. »Es gibt neue Beweise im Fall Thompson.«

Lorraine

Das Anwesen von Michael Thompson war riesig. Und das war noch untertrieben. Vor einem großen gusseisernen Tor stoppte Lorraine ihren Wagen und stieg aus. Sie betätigte den Klingelknopf, der an der Seite neben einer Gegensprechanlage im Mauerwerk eingelassen war und wartete. Ein leises Surren ließ sie aufblicken, direkt in eine Kamera. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen, bis schließlich eine Stimme aus dem Lautsprecher ertönte.

»Ja bitte?«

Unwillkürlich beugte sie sich ein Stück näher in Richtung des Mikrophons. »Guten Morgen, mein Name ist Lorraine Baker. Ich habe einen Termin mit Mr. Thompson und Ms.Weatherbee.«

»Ahhh, Lorraine-Kindchen! Kommen Sie rein, ich öffne das Tor!«

Verdutzt zog Lorraine die Augenbrauen hoch, stieg dann erneut in ihren Wagen und fuhr die Auffahrt zum Haupthaus hoch, nachdem sich das Flügeltor lautlos geöffnet hatte. Vor dem Haus standen mehrere Wagen, denen man auf unterschiedliche Weise ansah, dass sie viel Geld gekostet hatten. Vor einem nagelneuen Cadillac stand ein Mann Anfang 30 im piekfeinen Anzug, der in den vor Sauberkeit glänzenden Fensterscheiben sein Äußeres kritisch überprüfte.

Lorraine parkte und stieg aus. Ihr 20 Jahre alter Ford wirkte absonderlich fehl am Platz zwischen den Luxuskarrossen, und der Blick, den ihr der junge Mann zuwarf, sprach Bände. Zu ihrer Erleichterung war es nicht Michael Thompson, und so nickte sie und lächelte freundlich. »Guten Morgen!«

Eine hochgezogene Augenbraue und ein verächtliches Schnauben war die einzige Reaktion, die sie erhielt, ehe der Kerl kopfschüttelnd die Hintertür des Cadillacs aufriss und einstieg. »Nach Hause, und zwar zügig!«, hörte sie ihn noch jemanden, vermutlich seinen Fahrer, anblaffen.

»Kindchen, kommen Sie rein!«, ertönte da eine Stimme hinter ihr und Lorraine fuhr herum. Vor ihr stand eine ältere Frau in einem geblümten Kleid und einer Schürze. Sie blickte dem davonbrausenden Wagen finster nach. »Schnösel!«, brummte sie deutlich hörbar, dann veränderte sich ihre Miene innerhalb vom Bruchteil einer Sekunde in ein strahlendes Lächeln und sie wandte sich ihr zu.

»Mr. Thompson und Susan erwarten Sie bereits, ich freue mich, Sie auf Thompsons Retreat zu begrüßen! Ich bin die Haushälterin, Mrs. Mitchell, aber Sie können Emma zu mir sagen.« Das rundliche Energiebündel nahm sie am Arm und zog sie hinter sich her. »Das da eben war übrigens Patrick St. Claire, ein neuer Partner der Thompsons Holding. Ich sage Ihnen, Kindchen, der Typ glaubt von sich selbst, das er Gottes beste Schöpfung seit Anbeginn der Erde ist. Dabei ist er nur ...«

»... jemand, für den sich Ms. Baker sicherlich kaum interessieren wird, da ihr Aufgabengebiet sein sollte, sich mit meiner Tochter zu beschäftigen, sehe ich das richtig, Emma?«, wurde die Haushälterin von einer markanten Stimme unterbrochen. Ein großer, dunkelhaariger Mann hatte die Eingangshalle betreten und seine bloße Präsenz gab Lorraine das Gefühl zu schrumpfen.

Mrs. Mitchell jedoch ließ sich in keiner Weise davon beeindrucken, sie huschte an ihr vorbei und baute sich vor Mr. Thompson auf. »Mr. St. Claire ist, was er ist. Und das ist in meinen Augen nichts besonders Erstrebenswertes, Michael. Ich verstehe sowieso nicht, wieso Sie ihn in Ihr Team geholt haben!« Mit in die Hüfte gestemmten Armen starrte die ältere Dame zu dem locker 1½ Köpfe größeren Mann hinauf, der zu Lorraines Überraschung sanft lächelte.

»Er hat Fähigkeiten, die mich mehr interessieren, als seine Umgangsformen, Emmchen«, erklärte er, als müsse er sich für seine geschäftliche Entscheidung rechtfertigen. Die Haushälterin schnaufte nur und schüttelte den Kopf. Dann schien ihr einzufallen, das die beiden nicht allein waren.

»Michael, wo ist Susan? Ich habe hier Ms. Baker für Sie, die zweite Nanny, die ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen habe«, erklärte sie dann, als habe es den vorangegangenen Disput gar nicht gegeben. Mr. Thompson sah schmunzelnd zu Lorraine rüber, hob beide Arme an und zuckte resignierend mit den Schultern, als ob er sagen wollte ›was soll man da noch erwidern?‹.

Dann trat er auf sie zu. »Ms. Baker, ich freue mich, Sie kennenzulernen. Meine ...«, er räusperte sich, »Haushälterin haben Sie ja bereits kennengelernt. Emma, bringen Sie Ms. Baker bitte ins Wohnzimmer? Susan hat sich noch etwas hingelegt, sie bekommt bald unser zweites Kind und ist entsprechend schnell erschöpft. Ich werde eben nach ihr sehen, und dann können wir unser Gespräch gleich beginnen!«

Zwei Minuten später saß Lorraine mit einer fruchtigen Limonade vor sich im großzügig geschnittenen Wohnzimmer und ließ den Blick neugierig umherschweifen. Der Raum war ganz anders eingerichtet, als sie es sich vorgestellt hatte. Wo sie teure Möbel erwartet hatte, war alles zweckmäßig eingerichtet. Man erkannte die Hand einer Frau, die bereits Erfahrung mit Kindern hatte und wusste, dass vor diesen nichts sicher war.

»Kannst du auch fliegen? Wo ist denn dein Regenschirm?« Ein kleines Mädchen mit Lockenmähne stand auf einmal neben ihr und musterte sie ungeniert. Das konnte nur Cassandra sein, das Kind, welches sie gegebenenfalls betreuen sollte. Sie lächelte.

»Nein, ich kann leider nicht fliegen, denn ich heiße ja Lorraine und nicht Mary Poppins! Mit dem Regenschirm fliegen kann nur Mary, weißt du?« Das Kind legte den Kopf schief und zog enttäuscht ein Schnütchen. »Aber ich hätte eine Idee, was wir trotzdem machen könnten wie Mary!«, zwinkerte Lorraine dem Mädchen zu und begann leise zu singen: »Eeeeeeeeey, supercalifragilisticexplialigetisch, dieses Wort klingt durch und durch furchtbar, weil’s synthetisch, wers laut genug aufsagt, scheint klug und fast prophetisch, supercalifragilisticexplialigetisch. Jam-didelidelidel, jam-didelei, jam-didelidelidel, jam-didelei, jam-didelidelidel, jam-didelei, jam-didelidelidel, jam-didelei ...«

Cassandras Augen wurden riesengroß, dann klatschte sie jauchzend in die Hände und fiel mit ein. »Jam-didelidelidel, jam-didelei, jam-didelidelidel, jam-didelei, jam-didelidelidel, jam-didelei, jam-didelidelidel, jam-didelei ...« Immer wieder sangen die beiden das Lied zusammen, und Cassy tanzte im Kreis und klatschte dabei in die Hände.

»So wie es aussieht, haben wir den wichtigsten Teil des Vorstellungsgespräches wohl verpasst!«, erklang da eine amüsierte Stimme von der Tür aus.

»Mummy!«, Cassandra jauchzte auf und eilte auf die hochschwangere Frau zu, die im Rahmen stand. Lorraine erhob sich vom Teppichboden, auf dem sie gesessen hatte, während das Kind um sie herum getanzt war.

»Ms. Baker, nehme ich an? Ich bin Susan Weatherbee, die Mutter dieses Wirbelwinds. Ich schätze, das Herz meiner Tochter haben Sie im Tanz erobert!«, schmunzelte die Schwangere und lächelte freundlich. Sie trat vollends ins Wohnzimmer ein und reichte ihr die Hand. »Michael ist auf dem Weg«, erklärte sie dann und ließ sich ächzend auf dem Sofa nieder. Just in dem Moment erschien Mr. Thompson auch schon, bat Lorraine, sich ebenfalls zu setzen, und setzte sich dann neben seine Freundin, nachdem er Cassy zu Emma hinaus komplementiert hatte.

»Ich habe mir eben noch einmal Ihre Unterlagen angesehen, Ms. Baker«, ergriff er dann das Wort. Ihr Herz machte einen Satz, nervös knetete sie ihre Finger und sah ihn an. »Ich bin beeindruckt über Ihren Lebenslauf, und auch über das, was nicht darin steht.«

Irritiert blinzelte Lorraine. »Was nicht darin steht?«, echote sie verwirrt. Jetzt war es sicher soweit, jetzt würde man ihr sagen, dass sie wegen ihres Bruders den Job nicht bekam. Ms.Weatherbee knuffte Michael leicht gegen die Schulter.

»Verwirr sie nicht so, Mick«, sagte sie liebevoll und sah Rain dann ebenfalls an. »Was mein Freund auf etwas unkonventionelle Weise versucht mitzuteilen, ist die Tatsache, das er es beeindruckend findet, wie Sie Ihr Leben gemeistert haben, nachdem Ihre Eltern verstorben sind. Es muss nicht einfach gewesen sein, in jungen Jahren gleich beide Elternteile zu verlieren, sich um einen rebellischen jungen Erwachsenen zu kümmern und sich dabei dennoch fortzubilden! Das wolltest du doch sagen, nicht wahr, Michael?«

»Oh oh, wenn sie mich bei meinem echten Namen nennt, habe ich es wohl wirklich etwas übertrieben«, lachte Mr. Thompson und Lorraine blickte unsicher zwischen beiden hin und her. »Wissen Sie, Lorraine ... ich darf doch Lorraine sagen, oder? Meine Eltern sind vor fast neun Jahren bei einem Anschlag ums Leben gekommen. Meine Schwester Annabell war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt, also physisch gesehen in etwa das Alter, in dem sich ihr Bruder Ryan damals befunden hat.«

Lorraine zuckte sichtbar zusammen. »Wenn Sie den Namen meines Bruders kennen, sein Alter und all das ...«, sie seufzte leise, »dann wissen Sie sicherlich auch, ohne das ich es Ihnen erzähle, das ich entgegen meiner guten Ausbildung bei Ryan gnadenlos versagt habe!«

Mr. Thompson schüttelte vehement den Kopf. »Das sehe ich anders, Lorraine. Sie können sich nicht zeit Ihres Lebens für seine Taten verantwortlich machen, auch wenn das eine Eigenschaft ist, die ich selbst gerade erst beginne zu lernen. Meine Schwester Annabell ist vor fast fünf Jahren von einem noch immer Unbekannten ins Koma geprügelt worden. Wegen zehn Dollar. An diesem Abend hätte ich sie eigentlich von einer Party abholen sollen, habe es aber versäumt. Viele Jahre lang ...«, er unterbrach sich kurz, legte den Arm um seine schwangere Freundin und zog sie noch ein Stück näher an sich heran, »... habe ich die Frau, die ich mehr als alles andere liebe, mitverantwortlich gemacht für diese Ereignisse, und habe mir selbst mein Seelenheil verweigert.«

Lorraine wusste nicht, was sie sagen sollte. Aber ihr Respekt vor diesen beiden Menschen, vor jedem in unterschiedlicher Weise, wuchs gerade enorm. »Und Ihre Schwester?«, fragte sie leise.

Mr. Thompson lächelte. »Ist wieder aufgewacht und kämpft sich gerade zurück ins Leben. Ich musste erkennen, dass man mit Geld nicht alles kaufen kann, das aber im Gegenzug dazu Liebe unheimlich viel erreichen kann. Am vergangenen Samstag fand die erste Charity-Veranstaltung ihrer eigens gegründeten Stiftung Help for a better Life statt. Annabell hat nicht nur eine Menge Geld für die Schwerkranken, die weniger Glück und Geld im Leben haben, gesammelt, sondern auch den Mann an ihre Seite zurückbekommen, der sie zurück ins Leben holte. Sie kann noch nicht wieder richtig laufen und es wird weiterhin ein harter Kampf, aber ich bin davon überzeugt, dass sie glücklich ist.«