Buch lesen: «Internal Investigations», Seite 8

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1. Teil Ermittlungen im Unternehmen › 1. Kapitel Internal Investigations: Definition und rechtstatsächliche Erkenntnisse zu internen Ermittlungen in Unternehmen › IV. Kriminologisch-rechtstatsächliche Erkenntnisse

IV. Kriminologisch-rechtstatsächliche Erkenntnisse
1. Häufigkeit und Vorkommen

a) Vorhandener Datenbestand

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Die vorhandenen Erkenntnisse zur statistischen Häufigkeit und den Einsatzbereichen unternehmensinterner Ermittlungen sind nach wie vor fragmentarisch. Genauestens Buch führen müssen freilich die zu den Untersuchungen mandatierten externen Ermittler – die allerdings aus standesrechtlichen Gründen[1] keine detaillierten Informationen über Internal Investigations offenlegen (dürfen).[2] Diesbezügliches Datenmaterial findet sich somit vor allem in Studien, die von den als externe Berater hinzugezogenen Rechtsanwalts- und Wirtschaftsprüferkanzleien durchgeführt werden.[3] Als unmittelbare Datenquellen kommen nur Informationen in Betracht, welche die ermittelnden Unternehmen selbst zur Verfügung stellen, die freilich im Bezug auf Details zu den Untersuchungen wenig aussagekräftig sind; stattdessen finden sich hier lediglich Hinweise auf die Einbettung von Internal Investigations in das bestehende Corporate-Governance-System.[4]

b) Statistischer Umfang

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Art und Umfang der Corporate Governance, insbesondere die Compliance-Organisation, hängen ab von der Größe des Unternehmens, der vorhandenen Unternehmenskultur, der Branche oder ähnlichen Faktoren; bei Aktiengesellschaften stehen sie im Ermessen des Vorstands.[5] Dies gilt freilich auch für Internal Investigations. Aus den USA ist bekannt, dass dort schon im Jahr 2008 die Hälfte aller US-amerikanischen Kapitalgesellschaften wenigstens eine (in ihrem Umfang und ihrem Ziel aber nicht näher spezifizierte) Internal Investigation unternahm[6] – wobei freilich schwer überprüfbar bleibt, welchen Einfluss allgemeine Verzerrungsfaktoren (abweichendes Begriffsverständnis aufgrund der besonderen Rolle der SEC?) auf dieses Ergebnis genommen haben. Für die Bundesrepublik Deutschland sind solche absoluten Zahlen schon aufgrund der schwachen Datenlage nicht ersichtlich. Jedenfalls aber binden sämtliche der 20 im Jahr 2014 umsatzstärksten deutschen Unternehmen Systeme zur Durchführung von Internal Investigations – zumeist ausdrücklich unter Hinzuziehung externer Ermittler – in die Strukturen ihrer Corporate Governance ein.[7] Zum Teil sind oder waren unternehmensinterne Ermittlungen dabei eine Reaktion auf strafrechtliche Ermittlungsverfahren bzw. wurden jedenfalls zeitgleich oder unmittelbar im Anschluss an deren Beginn in die Wege geleitet. Weit überwiegend gehören interne Untersuchungen aber als fester Bestandteil zum betrieblichen System der Corporate Governance.

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Dieses Bild bestätigt, dass der größte Nutzen unternehmensinterner Ermittlungen in der Bestärkung oder Festigung der im Unternehmen existierenden eigenen Lauterkeitsregeln, aber auch in der Demonstration von Rechtstreue im Bezug auf gesetzliche Vorschriften zu sehen sein dürfte. Denn es sind gerade diejenigen Unternehmen, die in der Vergangenheit mit negativen Schlagzeilen in die Presse gerieten, die durch den Ausbau ihrer Corporate-Governance-Struktur und damit einhergehend einer Erweiterung der Maßnahmen im Bereich von Compliance und Internal Investigations den Weg aus der Krise suchen und finden.[8]

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Studien belegen, dass immerhin 50 % derjenigen Unternehmen, die interne Ermittlungen mit dem Ergebnis durchführen, dass tatsächlich eine Straftat vorliegt, auch eine Strafanzeige erstatten.[9] Zugleich erscheint aber bedenklich, dass ein Großteil der aufgedeckten Regelverstöße auf der Ebene des mittleren Managements angesiedelt ist.[10] Dadurch mag der Eindruck entstehen, im Wege unternehmensinterner Ermittlungen würde die Verantwortlichkeit für Regelverstöße auf einzelne Mitarbeiter verlagert, während sich die Unternehmensleitung aus der Verantwortung stiehlt. Wenn dies geschieht, verfehlen Internal Investigations ihre „Compliance-Funktion“ und können sich nicht positiv auf die Reputation des ermittelnden Unternehmens auswirken.

c) Deliktsspektrum

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Im Bezug auf die Frage, hinsichtlich welcher Art von Fehlverhalten Internal Investigations durchgeführt werden, setzt sich die ungenaue Datenlage fort. Als hauptsächliche Anwendungsfelder finden sich Verhaltensweisen im Umfeld der sog. Corporate Crimes, insbesondere Korruptionsdelikte genannt.[11] Was den Bereich der Occupational Crimes anbelangt, so steht das Delikt der Untreue im Zentrum der Ermittlungen[12]; gelegentlich finden sich Hinweise auf Betrugs- oder Insolvenzstraftaten.[13] Empirische Untersuchungen hierzu vermögen über das wahre Ausmaß der begangenen Delikte und den Nutzen unternehmensinterner Ermittlungen jedoch nur bedingt Aufschluss zu geben. Den meisten Studien gelingt es nicht, die begangenen Straftaten mit den identifizierten Tätergruppen (Führungsebene, mittleres Management, Mitarbeiterebene) sowie der Höhe der jeweils entstandenen Schäden in Verbindung zu bringen. So ist etwa die Aussage, dass absolut gesehen lediglich 17 % der Täter der Führungsebene angehören, wertlos, wenn nicht zugleich mitgeteilt wird, in welchem Verhältnis die Anzahl der Angehörigen der Führungsebene zu der Zahl der im mittleren Management sowie auf Mitarbeiterebene Beschäftigten steht. Je kleiner der Anteil an Führungspersonen in einem Unternehmen ist, desto höher wirkt relativ gesehen ein Täteranteil von 17 %.

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Der deutliche Schwerpunkt der Untersuchungen liegt jedenfalls auf Fehlverhalten zu Gunsten, etwas seltener zu Lasten des ermittelnden Unternehmens, Anhaltspunkte auf Internal Investigations betreffend Fehlverhalten der Mitarbeiter untereinander finden sich demgegenüber wesentlich seltener bzw. überhaupt nicht. Der Grund hierfür mag darin zu sehen sein, dass Straftaten aus dem Bereich der Occupational Crimes weniger dem Unternehmen als solchem als vielmehr dem Handelnden selbst zugeschrieben werden, und dass daher von Seiten der Unternehmensleitung ein geringeres Interesse an der Aufklärung besteht.

2. Gründe für und Funktionen von Internal Investigations

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Die Gründe, aus denen Unternehmen interne Ermittlungen durchführen, sind vielschichtig und lassen sich nur schwer strukturieren bzw. klar voneinander trennen. Dies hängt mit dem historisch bedingten doppelfunktionalen Charakter von Internal Investigations zusammen. Diesen kommt einerseits, wie bereits beschrieben, eine „Compliance-Funktion“[14] zu; andererseits haben sie eine (straf-)verfahrensrechtliche Funktion, indem sie (ggf. soweit das deutsche Strafverfahrensrecht dies gestattet) auf dessen Verlauf und Ausgang Einfluss nehmen können.

a) Funktion im Rahmen behördlicher Verfahren

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Einfacher zu isolieren sind die strafverfahrensrechtlichen Gründe für Internal Investigations: Sie können überall dort Bedeutung erlangen, wo der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens oder später dem Gericht für die zu treffenden Entscheidungen ein Ermessen eingeräumt ist oder ihnen diesbezüglich zumindest ein Beurteilungsspielraum zur Verfügung steht. Dies betrifft zuvorderst die Möglichkeit von Absprachen im Strafprozess, darüber hinaus aber auch jede sonstige Entscheidung beginnend bei der Frage, welche Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung eines Sachverhalts erforderlich sind, bis hin zum Strafmaß.[15]

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Was den deutschen Rechtsraum anbelangt, so geht es hierbei im Wesentlichen – noch – um die Vermeidung einer strafrechtlichen Organhaftung, vgl. § 14 StGB.[16] In diesem Zusammenhang zu nennen gilt es zugleich die Vermeidung von Rechtsfolgen des Ordnungswidrigkeitenrechts[17] oder sonstiger gegen ein Unternehmen als solches zu verhängenden Rechtsfolgen.[18] Soweit das betreffende Unternehmen im US-amerikanischen Raum agiert und daher der Blick auf das dortige (Straf-)Rechtssystem fällt, sind Internal Investigations sowohl die Basis für die Entwicklung einer Verteidigungsstrategie bei zu erwartenden behördlichen Verfahren, als auch die Grundlage für die von der SEC bzw. dem DOJ erwartete Kooperation. Bei Teilnahme an einem Kartell bildet die unternehmensinterne Untersuchung ein zentrales Element, um von den deutschen oder europäischen Leniency-Regelungen mit einer Strafmilderung zu profitieren.[19]

b) Funktion im Rahmen der Corporate Governance

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Im Rahmen der Compliance-Funktion sind die Gründe für Internal Investigations noch komplexer. Sie lassen sich nach ihrem Wirkungsbereich einteilen in solche, die Effekte innerhalb des jeweiligen Unternehmens betreffen, und solche, die Außenwirkung haben.

aa) Effekte innerhalb des Unternehmens

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Innerhalb des Unternehmens dienen Internal Investigations der Stärkung des Integritätsbewusstseins und sichern die Einhaltung gesetzlicher Handlungs- und Organisationspflichten.[20] Sie haben zudem eine Überwachungs- bzw. Kontrollfunktion und erleichtern der Unternehmensleitung die Sanktionierung rechtswidrigen Verhaltens bzw. von sonstigem Fehlverhalten der Mitarbeiter durch gezielte Aufklärung im Verdachtsfall.[21] Ferner tragen interne Untersuchungen im Fall von Regelverstößen dazu bei, Compliance-Systeme aktuell zu halten und eventuelle Schwachstellen aufzuzeigen.[22] Des Weiteren haben unternehmensinterne Untersuchungen eine allgemeine Beratungs- und Informationsfunktion, jedenfalls soweit externe Ermittler hinzugezogen werden.[23]

bb) Außenwirkung

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Die systematische Aufklärung von Regelverstößen signalisiert nach außen hin Integrität und dokumentiert, dass Corporate Governance bzw. – weiter – Corporate Responsibility ernst genommen werden.[24] Dies verhindert einen Reputationsverlust, der infolge behördlicher Ermittlungsverfahren eintreten mag.[25] Schließlich lassen sich Internal Investigations als Marketinginstrument zur Akquise neuer Aufträge einsetzen, da sie vor allem solche Unternehmen als Kunden ansprechen, die ihrerseits Compliance-Maßnahmen treffen.[26]

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Es wird davon ausgegangen, zumindest für den Bereich der Corporate Crimes rechne die Gesellschaft zu Gunsten eines Unternehmens begangene Delikte weniger dem Einzelnen Täter als vielmehr dem Unternehmen selbst zu, dessen mit der wirtschaftlichen Betätigung eingegangenes Risiko sich in der Straftat realisiert.[27] Ergreift die Unternehmensleitung aber Maßnahmen, um derartigen, zu seinen Gunsten begangenen Regelverstößen entgegenzuwirken und sie zu ahnden, so muss sich dies positiv auf das öffentliche Meinungsbild vis-à-vis dem jeweiligen Unternehmen auswirken. Dieser Effekt bildet eine logische Konsequenz des gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesses, der für die „Compliance-Funktion“ unternehmensinterner Ermittlungen nutzbar gemacht werden kann.

c) Kosten und Nutzen unternehmensinterner Ermittlungen

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Bei alledem stellt sich zu Recht die Frage, ob Internal Investigations auch nach einer Kosten-Nutzen-Abwägung als sinnvoll erscheinen können. Auf der Kosten-Seite schlagen dabei vor allem die nicht unerhebliche finanzielle Mehrbelastung sowie die Gefahr zu Buche, dass die im Wege eigener Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse nunmehr erleichterten Zugriffs- und Kenntnismöglichkeiten der Behörden unterliegen oder letztlich sogar mehr Informationsmaterial als behördliche Untersuchungen zu Tage fördern könnten.[28] Die Zugriffsmöglichkeiten der Ermittlungsbehörden bleiben allerdings zumindest nach der deutschen strafprozessualen Rechtslage angesichts von § 160a Abs. 1 StPO[29] begrenzt.

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Diesem gewichtigen Kosten-Minus muss jedoch zum Ausgleich entgegengehalten werden, dass es sich bei Internal Investigations vor allem um ein Instrument des Krisenmanagements zur Schadensvermeidung handelt.[30] Das Potential unternehmensinterner Ermittlungen liegt vor allem in der Begrenzung hoheitlicher Sanktionen nach US-amerikanischem Recht sowie – von besonderer Relevanz für ausschließlich am deutschen Markt agierende Unternehmen bspw. des Mittelstandes – in der Vermeidung ordnungswidrigkeitenrechtlicher Sanktionen in Betracht. Diese können nach § 30 Abs. 1 OWiG auch gegen das Unternehmen selbst ausgesprochen werden, wenn bestimmte, dort näher aufgeführte Leitungspersonen „eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen [haben], durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte“, und deren mögliche Höhe die wirtschaftliche Belastung eines Unternehmens durch die Unterhaltung der entsprechenden Strukturen im Bereich der Corporate Governance jedenfalls nicht erreichen dürften.[31]

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Wenn dann zunehmend die Beobachtung angestellt werden kann, dass Geschäftsabschlüsse mehr und mehr vom Nachweis der Einhaltung entsprechender Compliance-Standards abhängen[32] und die diesbezügliche Reputation eines Unternehmens verstärkt in das Blickfeld von Geschäftswelt und Gesellschaft rückt, so führt dies letztlich zu einem Überwiegen der Gründe, die für die Einführung unternehmensinterner Ermittlungen als festen Bestandteil von Corporate-Governance-Strukturen sprechen. Dieser Nutzen kann allerdings nur eintreten, sofern die Ermittlungen innerhalb eines bestimmten Rahmens ablaufen, für dessen Einhaltung vertrauenswürdige Fachkräfte sorgen müssen.[33]

3. Ablauf der Ermittlungen[34]

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Zum Teil wird vertreten, Internal Investigations seien zunächst in Existenz, Anlass und Art der Untersuchungen vor potentiellen Tätern zu verheimlichen, um der Gefahr von Verdunkelungshandlungen zu begegnen.[35] Dies ist jedoch nicht unbegrenzt und schrankenlos zulässig; heimliches Vorgehen sollte aus verschiedenen Gründen auf zwingende Fälle beschränkt bleiben. Denn Mitarbeiter über die Untersuchung zu informieren kann auch deren Kooperationsbereitschaft fördern und Gerüchten und Spekulationen vorbeugen oder entgegenwirken.[36]

a) Interviews

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Im Rahmen von unternehmensinternen Ermittlungen werden mit den Mitarbeitern (vertrauliche[37]) Interviews geführt.[38] Diese bilden neben der Sichtung von Dokumenten[39] die zentralen Erkenntnisquellen.[40] Probleme können dabei gegenüber dem Arbeitgeber,[41] nicht aber gegenüber den externen Beratern[42] bestehende Auskunftspflichten bereiten. Externe Ermittler dürfen daher in Interviewsituationen nie den Eindruck erwecken, sie würden amtliche Aufgaben wahrnehmen.[43]

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Anlässlich der Interviews werden die befragten Mitarbeiter üblicherweise im Wege sog. Upjohn Warnings[44] belehrt, über die Interviews fertigen die mit der Ermittlung befassten Personen i.d.R. Protokolle[45]. Zumeist werden diese den befragten Mitarbeitern aber weder ausgehändigt, noch zum Gegenlesen und Bestätigen vorgelegt. Dass dies nicht nur wegen der daran ggf. anknüpfenden persönlichen Haftungsfolgen äußerst problematisch ist, erschließt sich von selbst. Gleiches gilt, wenn Mitarbeiter anlässlich des Interviews unter Druck gesetzt und zu einer Aussage gedrängt oder ihre Angaben in eine bestimmte Richtung gelenkt werden.[46] Bei Verdächtigen versuche man nicht selten, durch die Zusicherung von Abfindungszahlungen die Aussagebereitschaft zu erhöhen.[47]

b) Sichtung von Dokumenten

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Sofern im Rahmen der Internal Investigation auch Dokumente gesichtet werden, so geschieht dies häufig, indem insbesondere der E-Mail-Verkehr innerhalb eines Unternehmens, aber auch die Kommunikation mit Dritten systematisch überprüft werden,[48] auch heimliche Tonbandaufnahmen seien eine gängige Methode der Informationsgewinnung.[49] Üblich sind ferner der Einsatz von Fragebögen, die Verwendung technischer Einrichtungen wie Screenings, die generelle Telefondatenerfassung oder sogar Telefonabhöranlagen, Videokameras, elektronische Ortungssysteme und die Inaugenscheinnahmen privater Gegenstände.[50] Am Ende der Untersuchung steht ein Abschlussbericht.[51]

4. Auswirkungen

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Wie gesehen handelt es sich bei internen Ermittlungen durchaus um eingriffsintensive Maßnahmen von Seiten der Unternehmensleitung in die Sphäre der Mitarbeiter. Dass Internal Investigations – zumal wenn bei ihrer Durchführung ein gewisser rechtlicher Rahmen verlassen wird – bei den Betroffenen auf Unverständnis stoßen und (neben den bereits beschriebenen positiven Effekten) auch negative Auswirkungen für die beruflichen Beziehungen innerhalb des Unternehmens haben können, erschließt sich von selbst. Hierbei lassen sich „vertikale“ Effekte in Über-unter-Ordnungsverhältnissen, „horizontale“ Auswirkungen in Gleichordnungsverhältnissen und negative Außenwirkungen unterscheiden.

a) „Vertikale“ Auswirkungen in Über-unter-Ordnungsverhältnissen

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Negative Auswirkungen auf die berufliche Beziehung zwischen Mitarbeitern verschiedener Hierarchiestufen mögen insbesondere aus der Tatsache resultieren, dass die Kooperationsbereitschaft der in die Untersuchung involvierten Personen häufig – aus nachvollziehbaren Gründen wie etwa der Angst vor Sanktionen bzw. gar einer Strafverfolgung[52] – erst hergestellt werden muss. Vor allem soweit sich der Verdacht eines Regelverstoßes gerade gegen den befragten Mitarbeiter richtet, dürfte es nicht selten zu nachhaltigen Beeinträchtigungen der beruflichen Vertrauensbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommen.

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Bspw. drohen zu diesem Zweck die ermittelnden Personen den interviewten Mitarbeitern gelegentlich berufliche, insbesondere finanzielle Nachteile bei Kooperationsverweigerung an.[53] Das Inaussichtstellen einer Kündigung für den Fall der Kooperations- oder Aussageverweigerung, also die strikte Verfolgung einer sog. „talk-or-walk-policy“,[54] bildet dabei wohl leider keine Seltenheit. Da Aussagepflichten nur innerhalb der unmittelbaren Arbeitssphäre bestehen,[55] ist ein solches Vorgehen freilich schon aus rechtlichen Gründen sehr zweifelhaft, zumal, wenn externe Berater hinzugezogen werden. Mitarbeiter würden zudem massiv unter Druck gesetzt[56] und verzichteten unter dem Eindruck der in Aussicht gestellten Folgen auf eine eventuell bestehende Selbstbelastungsfreiheit.[57] Gelegentlich findet sich daher sogar die Empfehlung an die befragten Mitarbeiter, einen privaten Rechtsbeistand hinzuzuziehen.[58]

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Dass dadurch das Arbeitsverhältnis bzw. die notwendige Vertrauensbasis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ernstlich erschüttert wird, versteht sich von selbst. Eine unbelastete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geschweige denn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit dürfte in solchen Fällen kaum mehr möglich sein.

b) „Horizontale“ Auswirkungen in Gleichordnungsverhältnissen

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Auch innerhalb von Gleichordnungsverhältnissen mögen falsch (d.h. bspw. unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften) durchgeführte Internal Investigations negative Wirkungen entfalten. Dies mag vor allem für „Denunzianten“ der Fall sein, sofern sich diese im Rahmen einer Befragung im Bezug auf etwaiges Fehlverhalten von Kollegen äußern. Lomas/Kramer weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich in der Praxis Mitarbeiter einer Aussage häufig überhaupt nicht versperren und bei einer Befragung umfassend mit dem Ziel aussagen, hierdurch die Verantwortung auf andere Personen abzuwälzen.[59]

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Die Aussagebereitschaft der zu befragenden Mitarbeiter lässt sich oftmals erst durch sog. Amnestien weiter steigern.[60] Hierbei werden Zusicherungen hinsichtlich des Schutzes vor arbeitsrechtlichen Sanktionen (insbesondere Abmahnungen und Kündigungen) gemacht, ferner im Bezug auf den Schutz vor Schadensersatzansprüchen (pactum de non petendo) oder vor Strafverfolgung. Diesbezüglich steht allerdings die Einleitung eines Strafverfahrens nicht zur Disposition der Unternehmensleitung, weshalb i.d.R. lediglich die Zusage gemacht wird, von einem Strafantrag oder einer Strafanzeige abzusehen.[61] Amnestien können auch in Gestalt einer Freistellung von Rechtsverteidigungskosten oder Geldstrafen erfolgen. Schließlich besteht die Möglichkeit einer schlichten Zusicherung der Vertraulichkeit der erhaltenen Informationen.[62]

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Werden einem Mitarbeiter derartige Zusicherungen gemacht und dadurch seine Kooperations- und Aussagebereitschaft gesteigert, so belasten die mitgeteilten Informationen i.d.R. einen Kollegen. Der Aussagende dürfte häufig auch nur deswegen Kenntnisse über das Fehlverhalten haben, weil er mit dem Verdächtigen bspw. im selben Team zusammenarbeitet, eine gute kollegiale Beziehung zu ihm unterhält oder sogar darüber hinausgehend außerberufliche und freundschaftliche Kontakte zu diesem pflegt. Unternehmensinterne Ermittlungen setzen genau an diesen Vertrauensbeziehungen an und machen sie sich zu Nutze. Aus diesem Grund dürfte eine Amnestie für den aussagenden Mitarbeiter zwar die finanziellen, strafrechtlichen oder beruflichen Konsequenzen seiner Aussage reduzieren. Die Fortsetzung einer verlässlichen, vertrauensvollen und daher effizienten Zusammenarbeit in demselben Team und die Kooperation mit den in den Sachverhalt involvierten Kollegen werden allerdings i.d.R. ausscheiden.

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Umfang:
3010 S. 17 Illustrationen
ISBN:
9783811442757
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