Buch lesen: «Zornröschen und der böse Froschkönig», Seite 3

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Wenig später erschien auch schon der wehrte Herr Müller, um seine Tochter abzuholen.

»Ich muss gestehen«, sprach der König zum Müllersmann, »dass ich anfangs etwas skeptisch war. Deine Tochter hat wirklich außerordentliche Qualitäten und hochwertige Arbeit abgeliefert. In Zukunft werde ich bestimmt öfter mal auf dein Mariechen zurückgreifen, bei Geschlechtskrankheit … äh, bei Gelegenheit. Bis dahin, gehabt euch wohl ihr guten, armen Müllersleut’!«

Und damit war der König wieder reich und das Königreich vor dem totalen Untergang und kulturellen Verfall gerettet.

Da die Goldkammer des Königs so prall gefüllt war, wie die Milchbeutel der schönen Müllerstochter, und weil die jungen Eltern sich so freuten und es sich leisten konnten, ließen sie für ihr Kind eine vergoldete Spielkugel vom Schmied anfertigen.

Episode I

4

Sieben Jahre waren seit der Geburt der verwunschenen Märchenprinzessin vergangen, da kam die Königin auf die glorreiche Idee, dass sie ja noch ein zweites Kind zur Welt bringen könnten. Wenn sie diesmal dreizehn goldene Tassen und Teller hätten und die bösartige Hexe zur Geburtstagsfeier einladen würden, dachte die Königin, dann wäre die alte Fregatte vielleicht milde gestimmt und würde den bösen Fluch gegen ihr Röschen zurückziehen.

Eines verschneiten Wintertages (Draußen war’s dermaßen schweinekalt gewesen, dass man Eiszapfen nieste und Eiswürfel hustete.) trug es sich zu, dass die alte Frau Holle – wie alle Jahre immer wieder – das Himmelsfenster öffnete, von oben ihre Kissen ausschüttelte und die Schneeflocken ganz sanft und leise, wie Federn auf die Erde nieder rieseln ließ.

An jenem verschneiten, klirrend kalten Wintertag, saß die Königin vor dem warmen Kaminfeuer und strickte Wollsocken. Nach einer Weile öffnete sie das Fenster (das ganz frisch mit einer ganz tollen und wunderschönen, schwarzen Holzfarbe gestrichen war), um ein wenig frische Luft in die stickige Bude zu lassen, in der eine abartige Affenhitze herrschte, dass man fast darin verreckte.

Und wie die Königin so vor sich hin strickte und den Schneeflocken ganz verträumt beim Schneien zusah, stach sie sich – wie es der Zufall eben nun mal so will – mit der spitzen Stricknadel in den Finger; und drei Tropfen Blut tröpfelten auf die verschneite Fensterbank. Und weil das Blut im Schnee so schön aussah, da dachte sich die Königin: »Ach, wenn wir doch ein Kind hätten, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz, wie die Farbe von dem Fensterrahmen.«

Da wurde die Königin auf einmal ganz wuschig, schloss das Fenster, pfefferte das Strickzeug in die Krimskramsschublade, rannte wie meschugge nach unten in die Küche und schliff den König mit brachialer Urgewalt auf die Matratze, wo sie dann ihren animalischen Trieben (die ja nur allzu menschlich sind) freien Lauf ließen. Dem Klapperfrosch sei dank, wussten die Herrschaften ja schon längst, was man bei der Nachwuchsproduktion so alles beachten musste.

Bald darauf (wenn man es ganz genau nimmt, plus/minus neun Monate später, so zirka über den Daumen gepeilt) bekam Rosemarie ein Geschwisterchen. Und weil es so weiße Haut hatte wie Schnee, so rote Lippen wie Blut und so schwarze Haare wie frisch gestrichene Fensterrahmen aus Ebenholz, gaben sie ihm den Namen Schneewittchen.

Man konnte von Glück reden, dass das Schneewittchen so schön war. Man stelle sich mal vor, der Klapperfrosch oder die Frau Holle (oder wer auch immer) hätte versehentlich die Farben vertauscht. Denn die Königin hatte sich ja lediglich ein Kind in den Farben rot, weiß und schwarz gewünscht, aber kein Wort darüber verlauten lassen, wo genau die Farben hin sollten.

Nicht auszudenken, wenn das arme Kind mit langen, schneeweißen Haaren, einer Haut wie eine Blutorange und schwarzen Lippen zur Welt gekommen wäre. (Wie beängstigend hätte das denn bitte ausgesehen?) Gut, dann hätte man das Kind eben nicht Schneewittchen genannt, sondern vielleicht Tomatenköpfchen, Höllenkindchen, Zombiehexchen oder Halloweenschreckgespenstchen.

Oder man stelle sich eine andere Farbkombination aus roten Haaren, schwarzer Haut und weißen Lippen vor. Dann hätte das Schneewittchen möglicherweise so einen bescheuerten Namen bekommen, wie Rabenschwärzchen, Schneeweißchenlippchen oder Pumucklnegerchen, was politisch natürlich nicht korrekt und völlig inakzeptabel gewesen wäre.

Dem Klapperfrosch und der Frau Holle im Himmel sei Dank, waren bei Schneewittchen alle Farben (später dann auch alle Proportionen) exakt an der richtigen Stelle gewesen. Und weil das kleine Schneewittchen so schön aussah und gesund und putzmunter war, gab es für den König mal wieder einen triftigen Grund zum Feiern. Und das Wiegenfest sollte noch prächtiger und pompöser ausfallen, als das Erste.

Inzwischen war das gute Geschirr wieder vollzählig und der König hatte die alte Runzelhexe eingeladen und die schabrackige Kackbratze darum ersucht, den bösen Zauberspruch gegen ihre erstgeborene Tochter aufzuheben. Denn dieser verfluchte Fluch, schwebte wie ein Damoklesschwert über dem Königshaus und stellte die Nerven des Königspaares vor die Zerreißprobe.

Aber die sture Hexe war immer noch stinkig und ignorierte die Einladung des Königs. Ungeachtet dessen, freuten sich die stolzen Eltern darüber, dass das Königreich jetzt zwei wunderschöne Märchenprinzessinnen hatte und fackelten einen riesigen Karnevalszug ab, den man im ganzen Märchenland noch nicht gesehen hatte.

Es war schon spät am Abend und das zwölfköpfige Krampfadergeschwader hatte in diesem Moment seine Striptease-Show beendet. Wie üblich, übergaben sie dem Geburtstagskind ihre Wunschtüten, lallten ihre Glückwünsche herunter und prophezeiten, dass Schneewittchen eines Tages die Schönste im ganzen Land sein würde. Die zwölfte Glücksfee wollte das Kind gerade segnen und ihren Wunsch verkünden, da verfinsterte sich plötzlich der Himmel und die dreizehnte alte Giftspritze kam mit Blitzlicht und Donner, wie ein dämonischer Höllendragoner auf ihrem Feuerbesen in den Saal geritten, dass die Erde nur so zitterte und bebte. Die alte Schrapnelle im Hexenkostüm dünstete Pech und Schwefel aus und spuckte mit grollender Reibeisenstimme Gift und Galle. »Tod und Verderben, Schneewittchen soll sterben! Während ihrer Geschlechtsreife soll es passieren. An einem vergifteten Apfel soll es jämmerlich krepieren. Madendreck und Fliegenbein, tot soll Schneewittchen sein! Ach wie fein, ach wie fein, die Rache ist mein!« (Oh nein, wie gemein.)

Dann kehrte sich die alte Spaßbremse um und donnerte mit ihrem flammenden Straßenfegerinferno blitzschnell von dannen. Dabei lachte sie so dreckig, bösartig und Furcht einflößend, wie eine gemeine, alte Drachenhexe gruseliger nicht lachen konnte.

Aber es gab noch einen kleinen Hoffnungsschimmer. Denn genau wie beim letzten Mal, war noch ein guter Wunsch übrig. Jetzt hatte die zwölfte versoffene Jungfer an dem Abend aber schon dermaßen den Christbaum leuchten, dass sich das volltrunkene Schnapsloch kaum noch auf den Beinen halten konnte. Mit allerletzter Kraft versuchte sie den Fluch abzumildern und lallte: »Sch… Sch… Schneeflöckchen … hickz …, Weißröckchen … Schn… Schneewittchen soll der vergiftete Apfel im Halse stecken bleiben! Sch… Scheiße.« Sogleich kippte die alte Saufmatrone aus den Pantoffeln und streckte mit heraushängender Zunge alle Viere von sich.

Potzblitz, welch ein Desaster! Als hätte es nicht genügt, die erstgeborene Königstochter zu verfluchen, jetzt hatte das verkommene Hexenweib es auch noch auf Schneewittchen abgesehen. Und das, obwohl der König und die Königin wieder stolze Besitzer eines vollständigen, dreizehnteiligen Goldservices waren und die alte Miesmuschel zur Party eingeladen hatten.

Wo sollte das alles noch hinführen und was würde der bösen Hexe womöglich noch alles einfallen, um dem König das Leben zur Hölle zu machen?

Und tatsächlich sollte es noch viel, viel schlimmer kommen.

Episode I

5

Als der lädierte König am Morgen danach, mit einem dröhnenden Brummschädel von den Scheintoten auferstanden war und die Königin später beim Frühstück versuchte, ihm so nervenschonend wie möglich beizubringen, was sich letzte Nacht auf der Feier zugetragen hatte, schlug der Schlossherr mit geballter Faust auf das unschuldige Zwiebelmettbrötchen vor ihm und schrie Zeter und Mordio. »Herrgott Sack Zement! Jetzt haben wir schon zwei verfluchte Töchter, vermaledeite Scheiße noch mal!!! Ich drehe diesem verdammten Hexenbesen die Gurgel um und verfüttere ihren stinkenden, verwesenden Kadaver an den bösen Wolf! Irgendjemand muss der Schachtel doch mal das Handwerk legen. Wo ist denn der todesmutige Held, wenn man mal einen braucht, hä?!«

»Dann begehe du doch mal eine Heldentat, König, und erlasse den Befehl, alle Apfelbäume im ganzen Land zu fällen!«, schlug die Königin vor.

»WAS?!«, schrie der entsetzte König empört. »Bist du närrisch, Weib?! Dann können wir ja keinen Apfelwein mehr produzieren und keinen Schnaps mehr brennen! Wie stellst du dir das vor? Ich zerstöre mir doch nicht mein geliebtes Apfelwein-Imperium, das ich mir über all die Jahre im Angesicht meines Schweißes mühsam aufgebaut habe! Das wäre ja wie ein zweiter Sündenfall und käme der Vertreibung aus dem Paradies gleich! Und was wird dann aus den ganzen Vögeln und Eichhörnchen, die in den Bäumen drin wohnen? Die gehen doch alle kaputt dabei, bei der Apfelbaumschlachterei.«

»Owei-jei-jei.«

»Und wie sollen denn unsere kleinen Prinzessinnen ohne gute Äpfel schön bleiben und gesund und munter aufwachsen? Denk doch mal bisschen weiter, Frigiedchen.«

»Dann mach doch was du willst, du sturer Blechhelm.«

Der König tat wie ihm geheißen und befahl, alle Apfelbäume im ganzen Märchenland mit sofortiger Wirkung unter Naturschutz zu stellen. Laut königlichem Erlass war das Abholzen von Apfelbäumen von jetzt an ausdrücklich verboten. Zuwiderhandlungen wurden mit harten Strafen geahndet, wie beispielsweise: Kopf ab.

Mit der simplen Rechenformel, Apfelbaum ab = Birne ab, welche selbst der Schwachköpfigste unter den geistig minderbemitteltsten Dorftölpeln des stupiden, einfältigen Pöbels und gemeinen, primitiven Bauernvolkes verstehen sollte, wollte der hochintelligente, superschlaue König nochmals ausdrücklich betonen und klarstellen, wer in seinem Imperium den Reichsapfel in der Hand hielt.

Jetzt wollten sie ihrem Schneewittchen aber auch nicht verbieten Äpfel zu essen, zumal das Kind immer so blass um die Nase war und Äpfel gesund und gut für die Durchblutung sind. Also durfte Schneewittchen so viele Äpfel essen wie es wollte; jedoch nur frisch gepflückte Äpfel aus biologisch kontrolliertem Anbau, die garantiert ungespritzt waren!

Aber noch kam die pummelige Prinzessin mit ihren kurzen Beinchen und dicken Ärmchen sowieso nicht an das begehrte Obst ran. So rüttelte und schüttelte Röschen immer die Äpfel von den Bäumen und fütterte ihr kleines Schwesterchen mit selbstgekochtem Apfelkompott. Später, als sie ihre Milchzähne hatte, durfte Schneewittchen auch mal von Mamas Apfelkuchen oder einen leckeren Apfelstrudel essen, aber auf gar keinen Fall irgendwelche Äpfel von fremden Leuten annehmen.

Zwei Tage nach der Geburtstagsfeier kam wieder der Erbsenzähler mit der Partyrechnung und zittrigen Knien zu Besuch und überbrachte dem König zum zweiten Mal die traurige Hiobsbotschaft, dass der König pleite war. Wie ärgerlich!

»Wolkenarsch und Himmelbruch! Zisch ab, du pedantischer Bleistiftspitzer, bevor ich dir mein Zepter um die Ohren haue und dir das Ding ungespitzt da reinramme, wo die Sonne nicht scheint, du elender Korinthenkacker!«

In der Tat schien dem Kassenwart die Sonne nicht aus dem Allerwertesten, sondern ihm ging der Arsch gehörig auf Grundeis. Aber der arme Säckelmeister machte schließlich auch nur seinen Job und konnte nichts dafür, dass mal wieder der Pleitegeier im Tiefflug über dem Königreich kreiste.

»Nicht schon wieder, verflucht noch mal«, wimmerte der König, »nicht schon wieder! Ach, wenn wir doch einen Goldesel hätten. Ach wenn wir doch einen Goldesel hätten …«

»Meinst du nicht, dass wir mit einem Esel nicht schon mehr als genug bestraft sind?«, schimpfte die Königin.

»Ach Frigiedchen, mir ist jetzt ganz und gar nicht nach deinem schwarzen Galgenhumor«, sprach der König schwermütig, holte einen Flachmann aus der Innentasche seines Mantels und nahm einen großen, kräftigen Schluck aus der Pulle.

»Anscheinend hat dir dein hochprozentiger Fusel das Hirn verbrannt.«

»W-Waaaaassss…?«

»Vielleicht kann sich dein Mostkopf schwammig entsinnen, dass wir ein Goldmariechen haben. Das ist die, die Stroh zu Gold spinnen kann! Können sich deine grauen Zellen vielleicht daran erinnern?«

Für einen klitzekleinen Augenblick tappte der sonst so helle Kronleuchter im Dunkeln und hatte in der ganzen Aufregung tatsächlich vergessen, dass die pralle Müllerstochter jetzt schon eine ganze Weile beim König fest angestellt war und als Melkmädchen im Kuhstall arbeitete. (Man muss aber auch ein bisschen Verständnis für das schlechte Gedächtnis des Königs haben. Denn Dauerstress gepaart mit exzessivem Alkoholkonsum ist eine explosive Mischung, bei der schon mal ein paar Synapsen abfackeln können.)

Beim Stichwort Milchbeutel machte es dann Klick im Kronleuchter. Geschwind stiefelte der verkaterte König zur Goldmarie in den Kuhstall, wo sie mit dem nostalgischen Rädchen aus der Antike das ganze Stroh wieder zu Gold spinnen sollte.

Diesmal verschloss der König die Tür nicht und drohte auch nicht mit der Todesstrafe, obwohl es ein akuter Notfall war. Vor sieben Jahren hatte das Mariechen das letzte Mal Gold gesponnen und weil der kluge König selbstverständlich wusste, dass man manche Dinge wie Schwimmen, Reiten, Radfahren oder Stroh zu Gold spinnen nicht verlernt, zweifelte er keine Sekunde daran, dass es nicht klappen könnte.

Und so war das Mariechen wieder einmal ganz alleine mit ihrem Rädchen und hatte immer noch keinen blassen Dunst davon, wie man Stroh vergoldet. Da fing die arme Müllerstochter an rumzuspinnen und redete sich ein, wenn der König am nächsten Morgen nur Strohballen statt Goldspindeln vorfinden würde, wäre er sicher so wütend und enttäuscht darüber, dass sie ihren Kopf kurz nach Sonnenaufgang unter dem Fallbeil wiederfinden würde. Wie bei einem Dammbruch schossen die Wassermassen aus den Tränendrüsen und flossen über Berg und Tal, bis tief hinunter zum Venushügel.

Das klatschnasse Mariechen entledigte sich ihrer klammen Klamotten unter dem Kleid und wrang ihren durchnässten Schlüpfer aus, da sprang plötzlich die Tür auf, und genau wie vor sieben Jahren, stand der kleine, rothaarige Wichtelkobold mit der langen Nase, den großen Segelohren und den verfaulten Zähnen vor ihr. »Müllerstochter, was grämst du dich denn so?«

»Frag doch nicht so blöd, du Spinner!«, schluchzte das Mariechen mit vertränten Augen.

»Ei, du nackige Heulsuse, wer wird denn gleich den Kopf verlieren? Was gibst du mir denn, wenn ich dir das Stroh noch einmal zu Gold spinne?«

»Was soll ich dir denn geben, du Witzbold? Ich habe nichts, außer meinem Kleidchen und meiner nassen Unterhose. Aber so wie ich dich kenne, willst du bestimmt meinen verheulten Schlüpfer haben, du kleiner Perversling!«

Mit einem fiesen, breiten Grinsen, riss die Missgestalt Mariechens feuchten Slip wortlos an sich und fing emsig an zu schnurren. Obwohl es wesentlich mehr Stroh war, als beim ersten Mal, war der Kobold schon vor Mitternacht fertig mit der Spinnerei und danach wieder spurlos verschwunden.

Es war kurz nach halber Mitternacht. Der helle Mond schien voll in den Kuhstall hinein und das nackte Mariechen wälzte sich unruhig im goldenen Stroh hin und her.

Um diese Zeit saß die böse Gewitterhexe daheim vor ihrer gläsernen Zauberkugel. Daneben lagen zwei Strohpuppen, die mit aufwändig genähten Kleidern überzogen waren. Die eine Puppe, etwas korpulent, hatte einen Vollbart aus Bärenfell; auf ihrem Kopf thronte eine goldfarbene, mit kleinen Edelsteinen verzierte, Königskrone; in ihrer rechten Hand hielt sie einen langen, stabförmigen Gegenstand, der mehr einem Phallus ähnelte, als einem Königszepter. Das andere Püppchen trug ein kurzes Trachtenkleid und stellte ein vollbusiges Fräulein mit blonden Zöpfen dar. Unter der Schürze der Puppe, hatte die Hexe ein Fadenknäuel eingenäht.

Da erschien die Hexe dem König im Traum und sprach mit beschwörender Stimme: »Heute Nacht, König, wirst du die Müllerstochter begehren und ihr tausend Glücksgefühle bescheren. Das Mariechen wird sich nicht dagegen wehren und dir ein Kind gebären.«

»Dann will ich mich mal nicht beschweren und mich noch ein wenig mehr vermehren«, murmelte der König im Halbschlaf.

»König! Dann sei doch bitte mal so nett und beweg deine müden Knochen aus dem Ehebett. Schleich und steig ganz leis’ hinein, zu dem wollüstigen Weib ins goldene Kämmerlein. Ihr Verlangen ist so groß wie noch nie und zuvor. Streichle der Marie die Knie und knabber an ihrem Ohr.«

Wie ferngesteuert erhob sich der hypnotisierte König aus dem Bett, schlüpfte in seine Holzpantoffeln und taumelte schlaftrunken zur Schlafzimmertür. Prompt stieß er sich seinen Schwellkopf am Türrahmen, woraufhin ihm eine weitere Beule wuchs.

Als der König im langem Nachthemd, mit der verbeulten Schlafmütze und einem Kerzenständer in der Hand den Kuhstall betrat, öffnete das Mariechen ihre verschlafenen Äuglein und blinzelte den König mit lüsternem Blick an. Seltsamerweise kam ihr der König überdimensional groß vor – so, als würde sie ihn durch ein Vergrößerungsglas ansehen.

»Mein König! Wieso habt Ihr denn so große Augen?«, sagte Mariechen fasziniert.

»Damit ich dich besser sehen kann.« Der König schmunzelte und bewegte die Augenbrauen auf und ab.

»Mein König! Wieso habt Ihr denn so licke Dippen?«

»Was?«

»Wieso Ihr so dicke Lippen habt?«

»Ach so. Na, damit ich dich besser knutschen kann!«

»Ach ja? Mein König, so sagt mir: Wieso habt Ihr denn so eine große Nase?«

»Damit ich dich besser beschnuppern kann. Lass mal riechen, Mariechen!« Der König näherte sich der Müllerstochter und inhalierte mit Wohlgefallen ihren lieblichen Duft.

»Mein König! Wieso habt Ihr denn so große Zähne?«

»Damit ich dich besser anknabbern kann!«

»Hui, mein König! Aber wieso habt Ihr so große Hände?«

»Na, warum wohl? Damit ich dich besser begrabschen kann.« Wie magnetisiert steuerten die Hände des Königs ruckartig auf den prallen Vorbau der wuschigen Müllerin zu und krallten sich beharrlich dort fest, während sich unter dem langen Nachthemd des Königs etwas regte. »Huch, MEIN KÖNIG!!! Wieso habt Ihr denn eine Knackwurst unter Eurem Hemd versteckt?«

»Damit ich dich besser knacken kann!«

»Darf ich das mal sehen?«, fragte die unschuldige Müllerstochter ganz ungeniert. »Mit Eurer Erlaubnis, mein König …«

Der König versuchte sich gegen den bevorstehenden Übergriff zu wehren, doch so sehr er sich auch bemühte, gegen den Liebeszauber der Voodoohexe war er völlig machtlos.

»Auf die Knie, Marie!«, befahl der König, der nicht glauben konnte, was er da gerade gesagt hatte; und die maliziöse Hexe krümmte sich hinter ihrer magischen Kugel vor Lachen.

Neugierig zog die Müllerstochter den Schlafrock des Königs hoch. Was sich ihr dann offenbarte, brachte ihr Blut in Wallung. »OH, MEIN KÖNIG, ei der Daus! Das sieht ja wirklich lecker aus! So ein strammes Würstchen hab ich ja noch nie gesehen!«

Und was dann passierte –, oh, welch Sauerei – das war nicht mehr jugendfrei.

(Na dann, gute Nacht Marie!)

Und so geschah es, dass der König, in jener schicksalhaften Nacht, der Müllerstochter einen Braten in die Röhre schob, wie man so schön im Volksmund sagt. (Oder wie es der Klapperfrosch ausdrücken würde: Das Kind war in den Brunnen geplumpst.)

Neun Monate später brachte das Mariechen eine gesunde Tochter zur Welt. Sie gab ihr den klangvollen Namen Rapunzel, weil die Müllerstochter während der Schwangerschaft ständig Heißhunger auf Rapunzelsalat hatte. Diesen hatte Marie immer aus dem Garten der bösen Hexe geklaut, die hinter ihrer Knusperhütte im Wald eine riesige Plantage angelegt hatte, die sie mit inbrünstiger Leidenschaft hegte und pflegte. Irgendwie hatte es die Müllerstochter jedes Mal geschafft, sich nicht erwischen zu lassen. Zwar hatte die Hexe den Salatklau später bemerkt, es fuchste sie jedoch, dass sie nie gesehen hatte, wer ihr Grundstück unbefugt betreten und sich erdreistet hatte, sich an ihren geheiligten Beeten zu bedienen.

Jenes magische Hexengemüse, das Mariechen so heiß begehrt hatte, war der Grund für Rapunzels rapides Haarwachstum. Schon bei der Geburt hatte Rapunzel Haare – viele Haare. Rapunzel hatte eine so lange Mähne, dass man nicht wusste, wo bei dem Kind hinten und vorne war. Rapunzels Haare wuchsen so furchtbar rasend schnell, dass man mit dem Haareschneiden kaum hinterher kam. Es war beängstigend. Viele beneideten das Kind mit den langen Goldlocken, anderen war die Sache hingegen nicht ganz geheuer. Niemand konnte sich dieses paranormale Phänomen exorbitanten Haarwachstums auch nur ansatzweise erklären.

Obgleich Rapunzel so schön war, musste der König ausnahmsweise mal auf eine Feier verzichten. Schließlich durfte dieser Vorfall niemals an die Öffentlichkeit gelangen. Wenn das herauskäme – oh je, oh weh. Die Königin würde dem elenden Ehe(ver)brecher die königlichen Kronjuwelen mit Haut und Haaren abrasieren und an den bösen Wolf verfüttern.

Die aufgeklärten Leute (also diejenigen, die nicht oder nicht mehr an den Klapperstorch glaubten) wollten natürlich wissen, wieso die keusche Müllerstochter schwanger geworden war. Denn das unschuldige Mariechen vom Lande war ja weder verheiratet noch verlobt und hatte nicht mal einen festen Lebensabschnittsgefährten. Das Mariechen wollte sich und den König nicht in Verlegenheit bringen, und um einen handfesten Skandal zu vermeiden, hatte sie den Leuten erzählt, sie wäre eines Nachts von einem hässlichen, verwilderten Waldschrat mit verfaulten Zähnen und übelstem Mundgeruch in der Scheune heimgesucht worden, der mit seinem verkümmerten Schrumpelstilzchen unverblümt in ihr Allerheiligstes eingedrungen wäre. Und der rabiate, perverse Kobold hätte sie gegen ihren ausdrücklichen Willen brutal vergewaltigt, missbraucht, geschändet und ihrer Jungfräulichkeit beraubt – und das (angeblich) nicht nur einmal!

Die frommen, gutgläubigen Kirchgänger waren erschüttert und empört, als sie von dieser unchristlichen Schandtat erfuhren. Ein Sturm der Entrüstung wehte über das Land; ein Aufschrei des Entsetzens schallte aus den Kehlen der Kirchengemeindemitglieder. Offensichtlich hatte die allsonntägliche Weihrauchzeremonie, sowie der mehr oder weniger (un)sporadische Konsum diverser berauschender Sucht- und Betäubungsmittel, die meisten von ihnen noch nicht völlig vernebelt, abgestumpft und gleichgültig werden lassen. Wut, Angst, Panik und Abscheu breiteten sich in der erregten Bevölkerung aus. Ein gottloser, Frauen vergewaltigender Diener Satans lief frei herum; und es wäre sicher nur eine Frage der Zeit, bis der brünstige Unhold sich sein nächstes Opfer suchen würde. Die Männer verbarrikadierten ihre Frauen und Töchter in den Häusern und Scheunen und gründeten eine Bürgerwehr. Tag und Nacht suchte eine aufgebrachte, nach Vergeltung schreiende Schar von Wutbürgern, bewaffnet mit Schaufeln, Heugabeln, Sensen und Äxten, in den Wäldern nach dem dreckigen Triebtäter, in der festen Absicht, diesen teuflischen Barbaren bei lebendigem Leib in demjenigen Höllenloch zu verbuddeln, aus dem die infame Sexbestie zuvor heraus gekrochen gekommen war. Doch der rammelige Satansgnom schien spurlos in der Versenkung verschwunden zu sein. Und so geriet der schreckliche Vorfall bald in Vergessenheit und die Männer gingen wieder ihrem gewohnten Tagewerk nach.

Aber was hatte die böse Hexe eigentlich mit solchen Unmengen an Feldsalat vor? Wollte sie damit etwa den Rohstoff für ein neues, revolutionäres Haarwuchsmittel liefern oder führte sie gar etwas furchtbar Schreckliches im Schilde? Sollte dieser mysteriöse Wundersalat sogar Teil ihres teuflischen Racheplans gegen das Königshaus sein?

Episode I

Der kostenlose Auszug ist beendet.