Buch lesen: «Zornröschen und der böse Froschkönig», Seite 2

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Der König hatte selbstverständlich nicht nur ein paar alte Kumpels, Kollegen und sonstige Saufkumpanen zum lustigen Beisammensein eingeladen, sondern auch noch die ganze bucklige Verwandtschaft inklusive Anhang, den kompletten Hofstaat sowieso, und darüber hinaus (und darauf legte der König besonders großen Wert) die allerältesten der ältesten Weiber im ganzen Königreich. Die altehrwürdigen Zaubertanten besaßen magische Kräfte und sollten mit ihren guten Gaben und Glückwünschen, dem Königskind hold und gewogen sein, wie man so schön sagt.

Nun bestand der berühmt-berüchtigte Hexenclub der schrumpeligen, einsamen Witwen und anonymen, versoffenen Jungfern aus dreizehn Mitgliedern. Weil aber von dem dreizehnteiligen Goldservice dummerweise nur noch zwölf Teller übrig waren und der König auch nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, musste eine der runzeligen Faltenfeen daheim bleiben.

Jetzt war ausgerechnet die Hexe mit der Rückennummer 13 (also diejenige Schabracke, die die Arschkarte gezogen hatte) eine ziemlich frustrierte, alte Krawallschachtel gewesen, die mit ihren 102 Jahren noch keinen Sex hatte und chronisch untervögelt war, wie man so schön im Volksmund sagt. (Tja, der Klapperfrosch konnte schließlich nicht jede alte Jungfer vor dem sexuellen Verfall retten.) Die pikierte Schrapnelle war nicht nur stinksauer und schmollte eingeschnappt und gedemütigt in ihrem Hexenhäuschen vor sich hin, sondern die garstige Giftnudel kochte regelrecht vor brodelnder Wut und brütete einen teuflischen Plan aus, um es dem König heimzuzahlen.

»Das sollst du noch bitter bereuen, König!«, sprach die Hexe beschwörend zu sich selbst und reimte sich in ihrem Hexenhäuschen etwas gar fürchterlich Grausames zusammen.

»Von diesem Tage an, das schwöre ich, werd’ ich mich rächen.

Der König und seine verfluchte Sippe sollen an meiner Vergeltung zerbrechen …

Schwefeldunst und Achselschweiß,

ich mache dir die Hölle heiß.

Mit Grimm werde ich dich strafen,

des Nächtens sollst du unruhig schlafen.

Ich spuck dir lachend ins Gesicht;

mehr wert bist du nicht.

Schmerzvolle Qualen werd’ ich dir bereiten,

um die dich niemand wird beneiden.

Nichts wird mehr so sein, wie’s einmal war,

so wunderbar, ha-ha-harrr.«

Das alte Hexenweib lachte schauderhaft und rammte ein großes, scharfes Messer in das gegrillte Wildschwein, das mit heraushängender Zunge, angerichtet auf dem Küchentisch lag und sie mit trüben, leblosen Augen ansah. Der armen Sau war ihr fröhliches Grunzen längst vergangen, und nach dem Willen der Hexe, sollte dem König ein ähnliches Schicksal blühen.

»Ich heiz dir tüchtig ein, du hundsgemeines Schwein.

Ich schüre für dich das Höllenfeuer auf Erden,

auf dass du nie mehr froh sollst werden, ha-ha-ha-haarrr…«

Das feucht-fröhliche Wiegenfest wurde mit aller Prächtigkeit und Heftigkeit, ausgelassen gefeiert. Es wurde getanzt, gelacht, gesungen und geschunkelt, reichlich gegessen und getrunken. Die armen Mägde und Küchenknechte rödelten wie verrückt und mussten so schwer schuften wie nie, um die Unmengen an Fressalien für die unersättliche Sippschaft heranzukarren.

Als die zwölf versoffenen Jungfern ihren maximalen Alkoholpegel erreicht hatten, zog das greise Dutzend obenrum blank und tanzte halbnackt auf den Tischen. Das war jetzt kein besonders ästhetischer Anblick gewesen, aber zum Glück war genügend Alkohol für alle da, um sich das Spektakel der rüstigen Altmeisterinnen schön trinken zu können.

Der absolute Hammer des Abends sollte aber erst noch kommen …

Als das hemmungslose Saufgelage sich allmählich dem Ende zuneigte und so manch scheintote Schnapsleiche sturzbesoffen unterm Tisch lag, erhielt das Neugeborene von jeder der zwölf alten Schnapsdrosseln eine Zauberwundertüte mit guten Gaben und Wünschen darin. Denn das Königskind sollte mit allem gesegnet sein, was eine junge Prinzessin fürs spätere Leben braucht: Schönheit, Schlankheit, lange Beine, stramme Waden, gepflegte Fingernägel, einen knackigen Hintern, feste Brüste, einen flachen Bauch, samtweiche Haut, strahlend weiße Zähne, glänzende Haare – und dazu noch einen gut aussehenden, muskulösen, gut bestückten Königssohn mit einem pompösen Schloss und einer dicken Kutsche.

Kaum hatte die elfte Zauberfee ihre Glückwünsche ausgesprochen, tauchte überraschenderweise Hexe Nummer Dreizehn auf. Die alte Schabracke sah verdammt wütend aus und zog ein griesgrämiges Gesicht, dass einem angst und bange wurde. Die Gäste hielten den Atem an und waren starr vor Schreck. Ohne zu grüßen und den König auch nur mit ihrem runzeligen Hintern anzusehen, stampfte die schrullige Schreckschraube wutentbrannt in den Festsaal und schmetterte ihre rostige Stimme, wie von einem mächtigen Donnerschlag getragen, durch die königlichen Hallen: »Man hat mich nicht zum Wiegenfest geladen; dafür werdet ihr mir büßen. Von diesem Tage an, soll mein Wille geschehen. Kein laues Lüftchen soll durch dieses Schloss mehr wehen. Die Tochter des Königs, das ist ein Versprechen, soll sich in ihrem achtzehnten Lebensjahr an einer vergifteten Spindel stechen. Auf dass sie nie mehr erwache! So vollziehe ich an euch meine Rache.«

»Oh nein, wie gemein!«, rief einer rein.

Das war’s dann auch schon gewesen, und das böse Hexenwesen, rauschte ab auf ihrem Hexenbesen.

Die Königin wurde bleich vor Schreck, der König lag sternhagelvoll im Eck.

Aber noch war nichts verloren. Denn die zwölfte Zauberin hatte ihren Wunsch noch übrig. Jetzt hatte die vergorene Saufamsel allerdings dermaßen die Laterne brennen, dass sie den Zauberspruch der beleidigten Leberwursthexe nicht aufheben konnte, sondern lediglich im Rahmen ihrer stark eingeschränkten Zauberfähigkeiten abzumildern versuchte. »Die … Die Königstochter … hickz …«, lallte die Zauberfee gedehnt, »soll nicht tot umfallen und abkratzen, sondern nur in einen tiiiiiiiiiefen Tiefschlaf fallen … Und nach hundert Jahren soll sie wieder aufwachen.« (Das waren ihre letzten Worte, bevor die gute, alte Fee kollabierte und sich zusammengekrümmt auf dem Parkett erbrach.)

Dann schlugen die Ereignisse Purzelbäume und erschlugen sich gegenseitig …

Episode I

3

Am Morgen danach wachte der verkaterte König mit einem dicken Schädel auf dem Plumpsklo auf und dachte, er hätte letzte Nacht einen fürchterlichen Albtraum gehabt. Als die Königin ihrem alten Schluckspecht von dem schockierenden Vorfall berichtete, war der König außer sich vor Wut. »VERFLUCHTE SCHEIßE! DAS DARF DOCH WOHL NICHT WAHR SEIN!!!«

»Ja, es ist furchtbar und grauenvoll. Aber wir können noch von Glück im Unglück reden, dass die zwölfte Zauberfee den Fluch noch ein wenig abschwächen konnte …«, sagte die Königin in der Hoffnung, dass der entgleiste König wieder auf die Spur kommen und nichts Unüberlegtes tun würde.

»Lächerlich«, sagte der König. »Bei hundert Jahren Koma kann man wohl kaum noch von Schadensbegrenzung sprechen. So besoffen kann doch keiner sein.«

Der König wusste sich nicht anders zu helfen, und in der Hoffnung, den Fluch abzuwenden, erließ er den Befehl, sämtliche Spindeln im ganzen Königreich mit sofortiger Wirkung zu verbrennen. Daraufhin gingen die Mitarbeiter der Textilbranche auf die Barrikaden und es kam zu heftigen Protesten, Tumulten und Aufständen. Um den wütenden Mob zu zerschlagen, setzte die Leibgarde des Königs Granatapfelwerfer, Zwiebelspray, Stinkbomben aus faulen Eiern und saurem Hering und mit Essensresten bestückte Gulaschkanonen, gegen die wütenden Weberknechte und randalierenden Spinner ein. Kurze Zeit später standen sämtliche Textilbetriebe des Landes vor dem Bankrott und gingen Pleite. Solange die Prinzessin nicht von einer Giftspindel gestochen werden würde, war dem König jedes Mittel recht.

Nachfolgend schoss die Arbeitslosenquote explosionsartig in die Höhe und nicht wenige der ehemaligen Textilarbeiterinnen, wechselten in ihrer großen Not und Verzweiflung ins horizontale Gewerbe. Später sollten die Weber herausfinden, dass man aus Hanf noch ganz andere Sachen herstellen konnte, als nur Kleidungsstücke. So begannen einige damit, in ihren heimischen Schrebergärten Cannabis, Marihuana und andere Haschischpflanzen heranzuzüchten. Der König würde geflissentlich darüber hinwegsehen, dass die armen Spinner ihre heiße Ware unter der Hand auf Basaren und Wochenmärkten vertickerten; zumal der gemeine Pöbel durch den Konsum illegaler Rauschmittel wesentlich entspannter sein und nicht irgendein aufmümpfiges Lumpengesindel ständig den Aufstand proben würde.

Dass im Zuge dessen, auch immer mehr Leute selbst gebrannten Schnaps zu Dumpingpreisen auf dem Schwarzmarkt anbieten würden, sollte dem Apfelweinkönig jedoch noch bitter aufstoßen.

Drei Tage später folgte die nächste Katastrophe.

Wie von einem wilden Hornissenschwarm gestochen, kam der Schatzmeister ins Schloss gerannt, knallte dem König die Rechnung der Feier auf den Tisch und überbrachte ihm gleichzeitig die höchst unerfreuliche Nachricht, dass der König sein ganzes Hab und Gut versoffen und auf den Kopf gehauen hatte. »Verfluchter, verdammter Scheißdreck noch mal! Wie konnte denn das passieren?! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ist denn nichts mehr im Sparschwein?«

»Herr König, ich bedaure sehr: Die Kassen sind leer, nix hammer mehr.«

Ärgerlich.

Der König war bankrott und stand kurz davor, den Laden dicht zu machen und das Zepter abzugeben, da kam – wie es der Zufall nun mal so will – ein armer Müllersmann auf Wanderschaft an den Hof des Königs flaniert und sprach mit einem seltsamen Akzent: »Ei Guude, Könisch, wie dann…? Hier horschema, isch hab gehört, ihr seid e bissi knapp in de Kass odder wass?«

»Da musst du dich verhört haben«, brummte der grummelige König stoisch.

»Was habbe Sie gesacht?«, entgegnete der Müller. »Isch hör so schlescht, wisse Se?«

»Und wenn’s so wäre, was geht dich es an?!«

»Vielleischt kann isch Eure königlische Majestät bissi aus de Bredouille verhelfe?«

»Bredouille? Gott bewahre…«, sagte der König, der die Bredouille für eine Provinz in Frankreich hielt. »Kein Dutzend Pferde würde mich jemals ins Reich dieser blasierten Franzmänner bringen. Diese Froschschenkel fressenden Baskenmützenträger mit ihrem versnobten Acent … Ekelhaft! Bist du etwa einer von diesen bekloppten Baguette-Heinis? Dann zisch ab und zieh Leine, bevor ich dir dein Pariserbrot zwischen deine pomadigen Arschbacken ramme!«

»Parkett…?«, entgegnete der Müller irritiert. »Seh isch vielleischt aus wie’n französische Fußbodenverleescher? Naa, naa. Isch bin nur en arme Müller, der wo sei Brötscher mit Getreide un Backmehl un lauder so Zeusch verdiene tut, wisse Se?«

»Also gut, Müller, was ist dein Begehr? Sprich rasch und nuschle nicht!«

»Ei ja, wie isch vorhind schon gesacht hab … Isch hab ma die Lauscher un Guggelscher bissi uffgesperrt, gell, un da is mir zu Ohre gekomme, däss ihr in de Zwickmühl drin stegge tut … manni-manni-mäßisch gesehe, wisse Se? Zufällischerweise kann meine liebreizende Tochter hier, Stroh zu Gold spinne. Da biste baff, gelle?«

Obwohl der König an dem Tag wirklich ganz mies drauf war, was in Anbetracht der Gesamtsituation mehr als verständlich war, konnte er sich das Lachen nicht verkneifen. »Ha! Jetzt spinnst du aber, was? Wer bist du denn, der Prahlhans, oder was?«

»Naa, naa, isch bin nur en einfache Müllersmann hier, der wo e Tochter hat, mit ’nem außergewöhnlische un ganz besondere Talent.«

»Was denn überhaupt für eine Tochter?«, sprach der König. »Ich sehe hier niemanden außer uns beiden.«

»Ei hier, mei …« Der Müller sah sich verwirrt um und kratzte sich am Kopf. »Ei wo isse dann, wo is dann mei Mariechen? Ebbe grad war se doch noch da … Ei da isse ja! Ei komm doch ma zum Babba, mei Mädsche un saach dem Könisch ma weenischsdens guuden Tach. Brauchst disch doch net zu versteggele … Wisse Se, Herr Könisch, mei Mädsche is was ganz Besonneres. Ei die kann sogar rischdisch leese un schreibe. Gell, Mariechen?«

Die unschuldige Müllerstochter errötete, nickte zaghaft, verlegen unter sich blickend, und spielte schüchtern an ihren langen, geflochtenen Zöpfen herum, die über ihren prallen Brüsten baumelten.

»Jetzt pass mal auf, du Backpfeife«, sprach der König erzürnt und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf den Müller. »Wenn du meinst, ich stelle mich mit so einem armen Schlucker hier, wie dir hier, auf eine Stufe, hier …, nur weil in der königlichen Goldkammer hier, gerade mal bisschen Ebbe herrscht, dann hast du dich aber geschnitten! Ich bin immer noch der König hier, capito?!«

»Ei was dann? Selbstverfreilisch, Euer königliche Hochwohlgeborenheit«, stammelte der Müllersmann demütig. »Isch wollt Ihne doch nur aus de Zwickmühl raus helfe.«

»Ha! Dass ich nicht lache. Wie könnte ein einfältiger, radebrechender Kauderwelsch wie du, einem eloquenten, blaublütigen Blaublütler wie mir denn helfen? Wenn deine Tochter angeblich so begabt ist wie du behauptest, dann verklickere mir doch mal, wieso du immer noch so ein erbärmlicher, ärmlicher Müllmann bist, der mit löchrigen, zerfransten Klamotten und zerfetzten Jesuslatschen durch die Gefilde vagabundiert, wie ein obdachloser Heckenpenner, hö?«

»Ei, wisse Se, sehr verehrter Herr Könisch, däs is folgendermaßen …«

»Papperlapapp, halt’s Maul!«, unterbrach ihn der König schroff. »Deine Meinung interessiert mich einen stinkenden Misthaufen. Ich will nichts mehr hören von diesem hirnverbrannten Schwachsinn. Scher dich weg und verscheißere deinesgleichen, bevor ich dir deinen hohlen Schrumpfkopfschädel wegen Majestätsverarschung abhacken lasse!«

Aber der Herr Müller war ein ganz hartnäckiger Zeitgenosse und ließ sich nicht von den Drohungen des Königs einschüchtern. »Mir mache Sie kei Angst. Abber wie Sie meine, Herr Könisch, von mir aus, wie Sie wolle. Es is ja net mein Könischreisch, däs de Bach enunner geht, gell.«

Die Königin, die den Disput aufmerksam im Hintergrund verfolgt hatte, hielt es nun nicht mehr aus und steuerte mit ihren hochhackigen Klackerschuhen zügig auf den König zu. »König! Jetzt sei doch nicht so stur und verbohrt und gib dem armen Müllmann da doch wenigstens mal eine Chance! Vielleicht stimmt es ja, was er sagt und seine liebe Tochter kann wirklich Stroh in Gold verwandeln. Siehst du denn nicht die schönen Goldstränchen in ihren blonden Zöpfen? Vielleicht meint es der Herrgott ja gut mit uns und hat uns ein kleines Goldengelchen oben vom Himmel geschickt. Wir könnten es doch so gut gebrauchen.«

Daraufhin kehrte der König in sich und sprach nach kurzer Plapperpause: »Na, meinetwegen. Schlimmer kann es sowieso nicht mehr kommen. Zugegeben, die Goldspinnerei ist ein Handwerk, an dem ich Wohlgefallen finden könnte. Obwohl ich mir nur schwerlich vorstellen kann, dass ein einfaches Müllerweib zu solch einer Zauberei imstande ist. Hoffentlich stellt sich deine Tochter nicht so dumm und ungeschickt an, wie du aussiehst und hat wirklich ein goldenes Hähnchen … Händchen

Da fiel dem König plötzlich ein, dass er erst vor kurzem alle Spindeln im ganzen Land in einen großen Aschenhaufen verwandeln ließ. Und ohne Spindel kann man eben nun mal kein Stroh spinnen (und schon gar nicht zu Gold). Und der kurze Augenblick, in dem das zarte Pflänzchen der Hoffnung aufgekeimt war, löste sich auf wie ein Stück Würfelzucker in einer heißen Tasse Kaffee.

»Scheiße, verfluchte!«, fluchte der König wieder.

»Verflucht noch mal!«, schimpfte die Königin zurück. »Jetzt hör doch endlich mal auf mit deiner verfluchten Rumflucherei, Himmel, Herrgott, Arsch und Friedrich! Davon wird’s doch auch nicht besser!«

»Wir sind doch sowieso schon verflucht! Da kommt es auf den einen oder anderen Fluch, mehr oder weniger, auch nicht mehr drauf an. Und wenn man in seinem eigenen Schloss noch nicht mal mehr fluchen darf, dann schlägt’s aber dreizehn, Donnerkeil noch mal! Was zur Hölle sollen wir denn jetzt bloß machen?«

»Herrgott, ich weiß es doch auch nicht!«, rief die Königin hysterisch.

»Ach, wenn wir doch eine Spindel hätten; ach wenn wir doch eine …«

»Still jetzt, König!«, sprach die Königin herrisch. »Vielleicht erinnerst du dich daran, dass du unlängst den Befehl erlassen hast, alle Spindeln im gesamten Königreich zu verbrennen!«

»Kruzifix, das hab ich doch eben gesagt! Deswegen stecken wir ja in dieser verzwickten Zwickmühle drin, du dusselige Kuh!«

»Was pampst du mich denn jetzt so unflätig von der Seite an, du alter Wüterich? So was kann ich überhaupt nicht vertragen; schon gar nicht, wenn ich meinen Kram habe!«

»Apropos. Kümmere dich mal lieber um deinen eigenen Kram. Schnapp dir Staubwedel und Wischmopp, oder wie die Dinger heißen, und wisch mal feucht durch.«

»Das Schlosspersonal ist schon emsig bei der Arbeit. Außerdem bin ich immer noch die Königin und nicht deine Putzfrau!«

»Dann geh meinetwegen im Zauberwald spazieren oder weiß der Kuckuck …«

»Du bist wohl verrückt geworden?! Keine zehn Pferde bringen mich dort hin.«

»Du sollst ja auch nicht reiten, sondern zu Fuß gehen. Geh wohin du willst, irgendwohin, scheißegal. Hauptsache du gehst mir nicht länger auf den Frack!«

»Hör mal, du kannst mich doch vor dem Mann und seiner bildhübschen Tochter da, nicht so zusammenstauchen! Was fällt dir denn ein, du ungehobelter Unflat?! Nur weil du meinst, dass du hier der König bist, musst du noch lange nicht den King raushängen lassen!«

»Ich bin aber eben nun mal zufälligerweise der König in diesem verfluchten Schloss, du verrücktes Suppenhuhn! Und es wird das gemacht, was der König befiehlt! Ende, fertig, aus die Maus!«

»Du kannst von Glück reden«, sprach die Königin mit bebender Stimme und zitternden Lippen, »dass du nicht die Grimhild oder die Waltraud geehelicht hast, Freundchen! Die hätten sich das nicht bieten lassen.«

»Hätte ich vorher gewusst, zu was für einer Furie du transformierst, hätte ich dich erst gar nicht geheiratet!«

»So, jetzt reicht’s! Weißt du was? Der große, allmächtige Alleinherrscher kann mir mal gewaltig den Buckel runterrutschen; und wenn er unten angekommen ist, dann kann er mich gerade auch noch am Arsche lecken. Und zwar kreuzweise!«

»Ach, mein Honigkuchenschnäuzelchen«, sprach der reumütige König beschwichtigend, »ich hab’s doch gar nicht so gemeint! Ich wollte dir doch bloß zeigen, wer hier das Zepter schwingt. Wer konnte denn auch damit rechnen, dass ausgerechnet der Kööööönig bankrottgeht und das Schicksal unseres geliebten Königreichs plötzlich in den Händen einer primitiven Dorfpomeranze liegt?«

»Uffbasse, Könisch, gell!«, sprach der Müller mit ernster Miene. »Isch bin vielleischt nur ’n arme Schlugger, gell, abber deshalb muss isch misch noch lang net von Ihne beleidische lasse. Un sollde Sie es noch einmal waache, irschend wass geesche mei Mariechen zu saache, dann tret isch Ihne mit meine bürgerlische Schlappe dermaße in Ihr’n königlische Arsch enei, däss es kracht in Darmstadt!«

Dem König schoss die Zornesröte ins Gesicht und aus der Mitte seiner Krone stieg weißer Qualm auf, wie aus dem heißen Kessel einer Dampflokomotive. Der höchst erregte König setzte zum Würgegriff an und wollte dem unverfrorenen Lump gerade an die Gurgel gehen, da sprach die Königin: »Haltet ein! Da fällt mir ein … Wir haben doch noch so ein altes Ding unten im Keller stehen.«

Bei dem alten Ding handelte es sich um ein altbackenes, klappriges Maschinchen mit einem Eichenholzrädchen, welches nach der großen Sintflut an Land gespült worden war und das sich Urgroßmutter anno dazumal unter den Nagel gerissen hatte.

Unverzüglich eilten sie geschwind ins Gewölbe und schafften das Rädchen nach oben. Nachdem sie das abgenudelte Altertümchen entstaubt und von Spinnweben befreit hatten, schickte der König den Müller nach Hause und führte das Mariechen zusammen mit dem uralten Spinnrad in ein Kämmerchen, das gerammelt voll mit Stroh war.

»Mädchen«, sprach der König mit ernstem Blick, »ich kann nur für dich hoffen, dass dein alter Herr die Wahrheit gesprochen hat. Denn solltest du das Stroh nicht bis morgen früh in Gold verwandelt haben, wartet der Henker mit dem Hackebeil auf dich. Alternativ lasse ich dich auf dem Heiterschaufen …, äh, auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Ich hoffe für dich, dass ich mich nicht dazu gezwungen sehen muss, drastische Maßnahmen dieser Art zu ergreifen. Also sei tüchtig und gib dir gefälligst Mühe! Es wäre wirklich schade, um so ein bildhübsches junges Ding … Und mach das Rädchen nicht kaputt, das ist ein Erbstück.«

Der König verriegelte die Türe von außen und ließ das Mariechen in der Strohkammer zurück. (Unfassbar! Da kommt zufälligerweise ein braver, rechtschaffener Bürger daher, der dem König aus dem Schlamassel helfen will, und der verrückte Kronkorken dreht am Rad und droht der unschuldigen Müllerstochter mit Enthauptung und Verbrennung. Das war schon verdammt unsensibel vom König, muss man sagen.)

Nun saß das arme Ding ganz allein und todsterbensunglücklich in dem engen Kabäuschen und hatte nicht die leiseste Ahnung davon, wie man Stroh vergoldet. Weil das Mariechen um ihr junges Leben bangte, begann sie am Rad zu drehen und fing an zu spinnen. Doch so sehr sie sich auch bemühte und anstrengte, sie konnte es beim besten Willen nicht. Da fing das kleine Sensibelchen bitterlich an zu weinen, dass ihr die Tränen bis tief in den Ausschnitt hinunterliefen.

Als die Trübsinnigkeit ihren absoluten Tiefpunkt erreicht hatte, polterte plötzlich ein kleiner, hässlicher, versiffter Kobold mit kurzen Beinen, riesigen Ohren, einem großen Riechkolben und schulterlangen, feuerroten Haaren (die unter einem großen Strohhut zottelig heraushingen) in die Stube und sprach: »Was gibt das denn, wenn’s fertig ist, Fräulein Müllerin?«

»Huch!« Mariechen erschrak und sah das kleine, hässliche Wichtelmännchen verwundert an. »Ach, ich bin fick und fertig mit den Nerven. Ich soll das ganze Stroh hier bis morgen früh zu Gold spinnen. Das muss mir erstmal einer verklickern wie das gehen soll. Das ist doch uuuunmöööglich!«

»Aber da muss man doch nicht gleich rumheulen wie ein Mimöschen«, sagte der zwielichtige Zwockel.

»Aber der doofe König hat gesagt, wenn ich das nicht auf die Reihe kriege, will er mich wie ein zerrupftes Suppenhuhn köpfen und mich bei lebendigem Leib grillen, wie eine dreckige Hexe! Voll gemein.«

»Da hat dein Alter dich aber ganz schön in die Jauchegrube geritten, was?!«

»Das kannst du laut sagen. Ich weiß gar nicht, was der sich dabei gedacht hat.«

»Wahrscheinlich nix, wie immer! Das grenzt ja fast schon an grobfahrlässige Verantwortungsbewusstlosigkeit, das Leben seiner unschuldigen Tochter so leichtfertig aufs Spiel zu setzen.«

»Du sag mal, kleiner Kobold: Woher weißt du eigentlich so viel? Und was bist du überhaupt für ein komischer Gnom? Und wo kommst du auf einmal her?! Die Tür war doch zugeschlossen.«

»Na ja, ich weiß so einiges. Das tut jetzt aber nichts zur Sache. Mach dich mal nicht nass, Marie. Es wird dir schon keiner den Kopf abreißen, hähä. Geh mal beiseite und lass mich nur machen!«

Die Müllerstochter musterte den Sonderling skeptisch und sah das kleine, hässliche Männlein argwöhnisch an. »Du meinst, du kannst so was?« Sie konnte sich nicht vorstellen, dass so ein verknorzter Pimpf mit so dicken Wurstfingern dazu in der Lage sein sollte, filigrane Feinarbeiten wie diese zu verrichten.

»Pah! Das ist eine meiner Leichtesten«, entgegnete der Kobold. »Okay, zugegeben: Gold zu Stroh spinnen könnte schwierig werden, hähähä. Macht auch wenig Sinn. Aber umgekehrt, kein Problem. Was bietest du mir denn als Gegenleistung an, liebreizende Müllerin?«

»Gegenleistung? Hm, was soll ich dir denn geben? Ich hab doch nichts. Ich bin doch nur eine arme, unschuldige Müllerstochter.«

Der unheimliche Wicht grinste fies und starrte Mariechen mit diabolischem Blick in den Ausschnitt. »Wie wär’s mit deinem Hemdchen, Zuckerpüppchen?«

»Was willst du denn mit meinem Hemdchen? Das kann ich dir auf gar keinen Fall geben!«

»Warum denn nicht?«

»Ich hab doch sonst nichts untendrunter!«

»Tja, das ist aber nicht mein Problemchen.«

»Spinnst du?«

»Bis jetzt mal noch nicht. Das hängt ganz davon ab, inwieweit du bereit bist zu kooperieren.«

»Ich mach mich doch hier nicht nackig, wie seh ich denn aus? Was bist du nur für ein kleiner, perverser Sittenstrolch? Außerdem ist mein Oberteil sowieso ganz nass und eingeweicht von der Flennerei.«

»Tränen trocknen, Schätzchen. Du kannst es dir aussuchen: Entweder Hemdchen runter oder Kopf ab. Es wäre doch bedauerlich, wenn dein hübsches Gesichtchen kurz nach Sonnenaufgang ins Galgenkörbchen purzeln würde, nicht wahr?«

»Na gut, das ist ein Argument«, sagte das Mariechen einsichtig. »Dann geb’ ich dir halt eben nachher mein Hemdchen, wenn du fertig bist mit deiner Rumspinnerei.«

»Nix da! So haben wir nicht gewettet, Fräulein Müllerin! Erst den Stoff, dann das Gold!«

»Ich dachte, erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Aber was bleibt mir anderes übrig, als mich deinem Willen zu beugen.«

»Gutes Mädchen, so ist brav.«

»Aber glotz mir nicht immer auf meine Möpse, hörst du?! Und behalte gefälligst deine ficken Dinger … deine dicken Finger bei dir. Ich bin nämlich ein anständiges, sittsames Mädchen, das sich nicht von jedem dahergelaufenen Spinner mit seinen fettigen Wurstgriffeln begrabschen lässt.«

Der Wurzelwicht setzte ein schmieriges, dreckiges Grinsen auf, nahm das durchnässte Hemdchen der verheulten Müllerstochter entgegen und begann sogleich, wie versprochen, emsig am Rad zu drehen: Schnurr, schnurr, schnurr

Als das Mariechen die Fingerfertigkeit des Kobolds sah, war sie erstaunt. »Sag mal, woher kannst du das denn so gut?«

»Gelernt ist halt gelernt. Und jetzt zieh Leine und lass mich in Ruhe meine Arbeit machen.«

Schnurr, schnurr, schnurrSchnurr, schnurr, schnurr. So ging es die ganze Nacht lang, bis die Müllerstochter eingeschlafen war.

Noch vor dem ersten Sonnenstrahl des darauf folgenden Morgens hatte der Kobold seine Arbeit erledigt und war spurlos verschwunden.

In aller Herrgottsfrüh kam der König schläfrig und ungeduldig ins Kämmerchen gestolpert und als er die halbnackte Müllerstochter in Gold gebettet liegen sah, fielen ihm fast die Augen raus.

Dieser Anblick war für den König wie Ostern und Weihnachten zugleich – so, als würde ein schneeweißes Osterhäschen unter einem goldenen Tannenbaum liegen.

Da öffnete das Mariechen ihre verschlafenen Augen und als sie den König sah, schrie sie auf und versuchte ihren blanken Busen mit den Händen zu bedecken. Der war aber so groß und dick, dass es unmöglich war, ihre Brüste vor den Stielaugen des Königs zu verbergen. Der König hatte die peinliche Situation ausnahmsweise mal blitzschnell erfasst und rannte geistesgegenwärtig zurück ins Schloss.

Ein paar Minuten später überreichte er dem nackten Mariechen, mit einer Hand vor den Augen, eine Bluse, die er heimlich aus dem Kleiderschrank der Königin entwendet hatte.

»Danke, Herr König, ich hoffe Sie sind mir nicht böse und lassen mir meinen Kopf dran? Ich wollte sie nicht unnötig erregen. Aber mein Hemdchen war ganz nass geschwitzt, und weil mir so heiß war, hab ich es ausgezogen. Und jetzt weiß ich Schussel nicht mehr, wo ich es zum Trocknen aufgehängt habe. Es ist einfach spurlos verschwunden.«

»Ach, mein liebes Goldmariechen«, sprach der König fröhlich, »hör auf dich so zu grämen, du brauchst dich deiner nicht zu schämen. Das ist doch alles ganz natürlich. Ich und der Herrgott haben schon so viele Nackedeien gesehen, das geht auf keine Kuhhaut. Als König ist man das gewohnt … Vielleicht hat dein Hemdchen ein kleiner Kobold gestohlen? Aber jetzt mal Spaß beiseite: Wie alt bist du eigentlich, Kindchen?«

»Sechzehn, Herr König.«

»Aha. Für dein Alter bist du aber ganz schön gewaltig oberhalb der Taille, wenn ich das mal so salopp formulieren darf.«

»Ich weiß, Herr König. Meine Melonen sind auch nicht zu leugnen. Das kommt daher, weil ich als kleines Kind immer ganz viel Milch getrunken habe, wenn Sie verstehen, was ich meine?«

»Soso, oho. Soll ich dir mal was verraten? Das bleibt aber unser kleines Geheimnis. Als ich noch ein kleiner Lausbub war, hat meine Mutti immer gesagt, ich soll nicht so viele Eier essen. Davon würde man dumm im Kopf werden … Natürlich totaler Quatsch. Und da bin ich immer heimlich in den Hühnerstall gekrabbelt und hab mir die dicksten und größten Eier stibitzt, die da waren. Und auch von den dicken, langen Knackwürsten habe ich immer ganz viel gegessen. Die hab ich damals kiloweise vertilgt.«

»Aha.«

So unterhielten sie sich noch eine ganze Weile über dies und das und jenes und über diverse, banale, nicht weiter erwähnenswerte Belanglosigkeiten; und zuletzt spendierte der König der Müllerin zur Belohnung eine Bockwurst und zwei frische Hühnereier. »Willst du vielleicht auch noch einen großen Becher Milch haben, Mariechen?«

»Nein, vielen dank! Das ist mehr als großzügig von Ihnen … aber nein.«

»Nur keine falsche Bescheidenheit. Wir haben mehr als genug davon; ganz frisch aus dem Euter gezapft.«

»Das ist wirklich lieb gemeint und zu gütig, Herr König. Aber ich bekomme immer solche Rückenschmerzen, wenn ich zu viel Milch trinke, wissen Sie?«

»Ach was! Unsere frisch gezapfte Vollmilch ist ganz gesund! Warte, ich geb’ dir mal was mit auf den Weg.« Der König eilte in den Kuhstall und füllte, höchstpersönlich, zwei große Beutel randvoll mit frischer Milch von der Kuh Elsa (seiner mehrfach prämierten und ausgezeichneten Milchkuh des Jahres) und überreichte sie dem Mariechen zum Abschied.