Buch lesen: «Tatort Oberbayern», Seite 12

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»Das macht nichts, Birgit, wir kriegen das hin.« Katharina wollte vermeiden, dass ihre Freundin die nächste halblegale oder verbotene Aktion startete.

Von der kam abgeklärt: »Schon gut. Jedenfalls werden wir mehr wissen, wenn ich in die Mails reinkomme. Was hattest du sonst für einen Eindruck von ihm?«

»Er weicht den Fragen nach dem Überleben in den Bergen aus. Kaum habe ich ihm widersprochen, ist er unsicher geworden. In früheren Interviews hat er nur von Holzsammeln und Wasserschmelzen geredet, Dinge, die jeder weiß, selbst wenn er überhaupt noch nie in den Bergen war. Außerdem könnte er bestimmt mehr über Jana Waldemat sagen. Er ist richtig blass geworden, als ich ihren Namen ins Spiel gebracht habe. Und dann erzählt er von großer Bruderliebe. Dass das nicht stimmt, weiß ich ja schon von Alfred Birnhuber.«

Katharina hörte, wie Birgit auf ihren Computer einhackte, während sie ihrem Bericht lauschte.

»Ich habe mich auf Roberts Konto umgeschaut und auf dem von Lukas. Bei Lukas nichts Auffälliges, außer dass der arme Kerl bedauernswert wenig Kohle hatte. Bekam von Robert jeden Monat 500 Euro, das war’s. Verdient hat er zuletzt wohl gar nichts mehr. Gegessen und geschlafen hat er umsonst auf dem Adelhofer-Hof, große Sprünge konnte er trotzdem nicht machen. Robert lebt allerdings auf großem Fuß. Der hebt monatlich zwischen 5- und 8.000 Euro ab. Da sind die laufenden Kosten wie Miete et cetera nicht drin, die gehen separat vom Konto ab. Mit der Produktionsfirma haben die Kosten auch nichts zu tun, dafür gibt es ein Extrakonto. Auf dem scheint auf den ersten Blick alles realistisch zu sein. Bleibt die Frage: Wofür braucht Adelhofer dermaßen viel Bargeld jeden Monat? Würde deine Erpressungstheorie bestätigen.«

»Weißt du, wie lange er schon so hohe monatliche Beträge abhebt?«

»Das ging los, als er mit ›Krise‹ auf Sendung ging, also seit vier Jahren. Vorher hatte er gar nicht so viel Geld, das er hätte ausgeben können.«

»Und die Sendung bekam er ein halbes Jahr, nachdem er aus den Bergen zurück war, richtig?«

»Richtig, Chefin.«

»Das heißt, entweder lebt er seitdem in Saus und Braus oder er braucht monatlich eine Summe Bargeld für was auch immer.«

»Ich tippe auf beides, Katharina. Was er mit dem Bargeld macht, das musst du rausfinden, da kann ich digital leider nichts tun. Und genau deswegen agiert er mit Bargeld, wenn du mich fragst.«

»Wir sollten irgendwie an Jana Waldemat rankommen. Sie ist komplett aus Lukas’ Unterlagen verschwunden.

Wenn nichts dran ist, auch gut, dann wissen wir wenigstens das. Vorschlag: Du suchst digital nach Infos über sie und ich analog, okay?«

Birgit lachte herzhaft in den Hörer: »Alles klar, Chefin. Viel Spaß bei der analogen Suche.«

Katharina ging nicht mehr ins Büro, sondern holte pünktlich ihre Tochter vom Hort ab. Svenja war recht aufgedreht und erzählte ihr auf dem Heimweg minutiös ihren ganzen Tag. Katharina war nicht ganz bei der Sache.

»Einverstanden, Mama? Das machen wir.«

Katharina merkte jetzt erst, dass Svenja ihr eine Frage gestellt hatte. »Schätzchen, entschuldige, ich war gerade in Gedanken, was hast du gesagt?«

»Oh Mann, Mama.« Svenja rollte genervt mit den Augen, was so süß aussah, dass es Katharina schwerfiel, ernst zu bleiben. »Ich habe dich dreimal gefragt, ob wir uns heute einen Mädelsabend machen mit Pizza und Fernsehen.«

Nach Fischstäbchen war Pizza Svenjas zweite Lieblingsmahlzeit – natürlich nur mit echtem Mozzarella, frischen Tomaten und gegrilltem Gemüse. Gott sei Dank hatte der Italiener am Weißenburger Platz drei Häuser von ihrer Wohnung entfernt genau diese Pizza. »Klar, Svenjalein, können wir machen. Wir sagen gleich Paolo Bescheid, dass wir in einer halben Stunde die Pizza holen kommen, okay?«

»Okeeee, Mama«, jauchzte Svenja und hakte sich bei ihrer Mutter unter.

»Ah, le donne bellissime di Monaco, Svääänja e Katharina, come stai?« Paolo schaffte es sofort, Katharinas Laune zu heben, wenn er sie und ihre Tochter als die schönsten Frauen Münchens begrüßte und in seinem wunderbaren Italienisch fragte, wie es ihnen ging. Sie wartete lächelnd, bis Paolo »Svääänja«, die ihm direkt auf den Arm gehüpft war, runtergelassen hatte. Wie gewohnt nickte sie auf die Frage: »Una Vegetariana e una Quatro Staggione en venti minuti?«, und ging mit zwei Pizzakartons »for bezaubernde Ella e Sibylla, dann brauche sie nicht komme hole« nach Hause. Tatsächlich fand sie ihre beiden Nachbarinnen Ella und Sibylla auch sympathisch, obwohl noch nie Zeit war, länger miteinander zu plaudern. Svenja hatte mehr Kontakt, sie ging regelmäßig Lebensmittel ausleihen, die ihnen fehlten. Katharina hatte sich dafür noch nie revanchiert, wie ihr mit schlechtem Gewissen bewusst wurde. Immerhin eine Glückwunschkarte hatte sie vor Kurzem eingeworfen, als die beiden geheiratet hatten. Ein geschmücktes Auto hatte vor der Tür gestanden und an der Wohnungstür hatte irgendwer ein »just married« angebracht. Ansonsten schienen sie eine Wochenendbeziehung zu führen, Sibylla war selten zu sehen. Heute schienen beide da zu sein, schloss Katharina aus den zwei bestellten Pizzen und klingelte bei Wecker/Sieland. Eine überraschte Sibylla öffnete die Tür und nahm freudig die beiden Kartons entgegen. »Paolo hat sogar netzwerkende Fähigkeiten«, grinste sie. »Wie lange wohnen wir im gleichen Haus und haben bisher kaum miteinander gesprochen?«

»Das stimmt«, lachte Katharina. »Und das, obwohl ich euch noch Einiges für die diversen Dinge schulde, die Svenja bei euch ausgeliehen hat.«

Sibylla winkte ab. »Vergiss es, machen wir gerne.«

»Für Kinder tut meine Gattin alles, musst du wissen«, erläuterte Ella, die auch an die Tür gekommen war und Katharina die Hand reichte.

»Wenn ihr wie wir Paolo-Fans seid, könnte ich mich bei Gelegenheit mit einer Pizza-Einladung revanchieren«, schlug Katharina vor.

»Gerne«, freute sich Ella und ihre Frau nickte zustimmend.

»Was ist eure Lieblingspizza?«, schaltete Svenja sich ein.

»Meine die Vegetariana und Ellas die Quattro Stagioni«, antwortete Sibylla und kam nicht zur Gegenfrage, weil Svenja begeistert schrie:

»Wie bei uns, Mama, wie bei uns. Da müssen wir unbedingt alle hin, dann hat es Paolo leicht, weil er nur zwei verschiedene Pizzas machen muss.«

Alle vier lachten und vereinbarten, baldmöglichst einen Termin zu finden.

Katharina und Svenja hatten eine Viertelstunde später ihre Pizzen auf dem Teller und Katharina schaute sich mit ihrer Tochter wie versprochen alle Vorabendserien an, bis es um 20 Uhr Zeit für Svenja war, sich bettfertig zu machen. Nach einer Gutenachtgeschichte schlief sie sofort ein. Katharina ging zurück ins Wohnzimmer, als ihr Handy klingelte. Tobias, stellte sie überrascht fest.

»Tobias, was gibt’s?«, meldete sie sich etwas unruhig.

»Nichts Dramatisches, Katharina, alles gut.« Er stockte.

»Ist Svenja im Bett? Ich habe extra gewartet mit meinem Anruf, damit sie nicht enttäuscht ist, dass ich nicht mit ihr reden will.«

»Ja, sie ist gerade eingeschlafen.«

»Mir ist unser Gespräch nicht mehr aus dem Kopf gegangen und mir ist eingefallen, dass einer meiner Arbeitskollegen einen Typen kennt, der auch was mit Jana hatte – haben sich indirekt wohl sogar durch mich kennengelernt.« Er lachte verächtlich. »Jana und ich waren zusammen auf einer Fete von besagtem Kollegen, und da war der andere Typ auch. Er scheint einer meiner Nachfolger geworden zu sein. Wenn du willst, kann ich rausfinden, ob der weiß, was sie macht.«

Katharina war sprachlos. »Tobias, klar, gerne. Warum machst du das?«

»Ich habe dir ja gesagt, dass es mir reinlaufen würde, wenn die Dame eins ausgewischt bekäme. Das ist aber nicht der einzige Grund. Ich finde, äh, also ich finde, du hast noch was gut bei mir. Vielleicht kann ich zumindest ein bisschen helfen.«

Katharina schluckte und brachte nur ein »okay, danke« heraus.

Mittwochabend,
München Bogenhausen

»Englischer Garten, Nähe Kleinhesseloher See. Da gibt es einen Baum mit einem versteckten Loch. Anbei der Goo­gle-Maps-Link. Am 23. ab ein Uhr nachts steckt dort das Geld. Ab sofort jeden vierten Dienstag im Monat um diese Zeit an diesem Ort. Und schreib mir nie mehr an meinen privaten Account. Auch ich kann ungemütlich werden.«

Wütend knallte Jana ihren Laptop zu. Drohen? Ihr? Warum? Womit? Das wäre ja noch schöner. Und sie sollte ab sofort einmal im Monat mitten in der Nacht im Englischen Garten das Geld holen? Wie eine Verbrecherin? So weit kam es noch.

Bisher war es ein Highlight gewesen. Jeden Monat Lukas’ schmachtende Blicke, wenn er ihr das Geld brachte. Das Treffen jedes Mal in einem anderen Café, in Starnberg, am Ammersee oder am Odeonsplatz. Sie hatte es genossen, dass Lukas sich mit ihr treffen musste. Und sie spürte, wie sehr er sie begehrte. Dass die Affäre vorbei war, das musste er verstehen.

»Ich lieb dich nicht mehr«, hatte sie ihm gesagt, das musste reichen.

Sie hatte es sowieso nur aus dem einen Grund gemacht, besonders erfüllend war es ja nicht gewesen. Auf ihre Kosten war sie nie gekommen. Jana seufzte angewidert. Er hatte nichts von dem, was Jana an einem Mann schätzte: kein Geld, kein Ansehen und – Jana grinste – keine Beziehung, anhand derer sie testen konnte, wie sehr er sie wirklich wollte.

Im Gegenteil, Lukas war ein Ladenhüter, irgendwann hatte sie begonnen, ihn zu verachten. Aber als langfristige Investition hatte die Affäre ja dann doch was gebracht. Und die monatlichen Treffen waren super gewesen. Das durch ein Loch im Baum zu ersetzen, ging gar nicht.

Sie öffnete den Laptop wieder und schrieb – selbstverständlich an den privaten Account: »So geht das nicht. Ich will adäquaten Ersatz für Lukas.«

Sie grinste bei der Vorstellung, welche Wut es bei ihrem Gegenüber auslösen würde, dass sie auf einem unverschlüsselten Account offen Namen benutzte.

Sofort kam die Antwort, natürlich an die verschlüsselte Adresse: »Ich warne dich. Du akzeptierst das, was ich anbiete, und schreibst nie mehr an den privaten Account. Unterschätz mich nicht. Ich kann dich fertigmachen.«

Jana knallte den Laptop zu und rannte ins Bad – Rundumkontrolle im Spiegel: Ihre Frisur saß bombenfest.

»Gut siehst du aus, Kleine, bleib ruhig. Die können dir nichts, es wird nichts passieren. Dann schreibst du ihm eben in Zukunft auf den anderen Account und holst das Geld im Englischen Garten ab, so what.«

Aber irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie dabei war, eine Schlacht zu verlieren – nach Thomas schon die zweite in ihrem Leben. Wobei Thomas nur Spielzeug war, das hier war ernst, sehr ernst.

Mittwochabend, München Haidhausen

Katharina saß mit einer großen Tasse Roibusch-Vanille auf ihrer Eckbank und überlegte. Sollte sie sich unter irgendeinem Vorwand mit Jana Waldemat treffen? Nein, das ging nicht. Abgesehen von der schmerzhaften privaten Komponente war sie zu bekannt. Das Risiko, dass Jana sofort rausfinden würde, weswegen sie mit ihr sprechen wollte, war viel zu groß.

Wenn das stimmte, dass die Dame besonders auf Männer stand, die in festen Beziehungen waren, müsste sie so einen auf sie ansetzen. Oder einen, der vorgab, in einer festen Beziehung zu sein, dachte sie und schmunzelte, während sie zum Telefonhörer griff. Es dauerte eine Weile, bis Oliver Arends ranging.

»Katharina, du willst mich nicht etwa als Babysitter herbeizitieren?« Seine Stimme klang müde.

»Habe ich dich geweckt? Das tut mir leid. Es ist nicht so dringend, ich rufe morgen noch mal an. Es geht übrigens nicht um Svenja. Es geht um du weißt schon wen.«

»Jetzt bin ich wach, war auch noch nicht im Bett. Nur fangen mich die ewig gleichen Intrigenspielchen in ›House of Cards‹ an zu nerven. Und darüber bin ich vor dem Fernseher eingeschlafen. Schieß los.«

Katharina erläuterte Oliver ihren Plan. Sie würde von Tobias erfahren, wo man Jana Waldemat »zufällig« treffen konnte, und da würde Oliver hingehen – mit Ehering am Finger, versteht sich. Den mussten sie noch irgendwo organisieren. Dann würde er Kontakt mit Jana aufnehmen und ein bisschen mehr über sie zu erfahren versuchen.

»Klar mach ich das. Endlich Abwechslung in meinem langweiligen Leben. Wie die Dame gestrickt zu sein scheint, kann sie vielleicht auch anwaltliche Unterstützung brauchen. Wann geht’s los?«

»Ich frage rum wegen einem Ehering und sobald ich von Tobias was weiß, melde ich mich.«

»Jawohl! Ich bin bereit.«

Fünf Minuten später stand Katharina wieder vor der Tür von Ella und Sibylla. Es war erst kurz nach neun, da konnte man noch klingeln, fand sie. Wieder öffnete Sibylla.

»Hallo, ich hoffe, es ist okay, dass ich um diese Zeit störe.«

»Klar, komm rein.« Sibylla lächelte freundlich und hinter ihr tauchte Ella auf mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern in der Hand. »Ich hol gleich ein drittes Glas«, sagte sie und verschwand.

»Äh, nein, das ist lieb, aber Svenja ist alleine, ich wollte nur kurz was fragen, ehrlich gesagt eine ungewöhnliche Frage.«

Sibylla schaute neugierig und bedeutete ihr, in die Wohnung zu kommen. »Setz dich zumindest kurz hin, Svenja wird nicht in den fünf Minuten aufwachen.«

Sibylla ging voraus in ein gemütliches Wohnzimmer mit schickem grauem Sofa. Ansonsten schienen die Damen ein Faible für eine bestimmte Farbe zu haben – Sofakissen in Orange, ein großes Bild an der Wand in ähnlichen Tönen, ebenso wie die Blumen in den Balkonkästen.

Ella kam zurück, stellte drei Weingläser auf den Tisch und schenkte Katharina trotz ihres Abwinkens einen Schluck ein.

»Kurz gesagt, ich brauche einen Ehering für einen Abend, beziehungsweise ein Freund von mir braucht einen. Und ich habe keine verheirateten Menschen in meinem näheren Umfeld, drum seid ihr mir eingefallen. Weil ihr gerade geheiratet habt …«

Sibylla und Ella schauten sich an und brachen in schallendes Gelächter aus. »Darauf Prost.«

Katharina stieß mit an und trank einen Schluck von dem Rotwein – der hervorragend war. Und wohl nicht billig.

»Darf man fragen, wofür ihr den Ring braucht?«, hakte Sibylla grinsend nach.

»Klar. Keine kriminelle oder sonst wie blöde Aktion. Ich bin Journalistin und recherchiere gerade in einer merkwürdigen Sache. Ich muss Informationen über eine Frau rausbekommen. Mein bester Freund wird versuchen, sie in einer Kneipe zu treffen. Und da sollte er den Ring tragen, weil … Das kann ich leider noch nicht genau erklären.«

»Na ja, ist doch moralisch in Ordnung. Ein Mann zieht einen Ehering an, der nicht seiner ist, bevor er sich mit einer Frau trifft«, analysierte Sibylla amüsiert. Ellas Blick fiel auf die rechte Hand ihrer Frau. Katharina folgte ihr und sah den Ehering an Sibyllas Mittelfinger.

»Der könnte einem Mann passen, Schnucki«, sagte Ella. Auf Katharinas verwunderten Blick lachten beide wieder los.

»Weißt du, wenn man mit Mitte 50 noch seine Liebste heiratet, weil es vorher nicht erlaubt und die Liebste auch nicht richtig entschlossen war«, Sibylla lächelte in Richtung Ella, »dann ist das so ungewöhnlich, dass ich den Ring nicht an dem Finger tragen will, an dem ihn alle tragen. Ehrlich gesagt, gern gebe ich ihn nicht her, aber für einen Abend, wenn es für eine gute Sache ist und ich ihn völlig unbeschadet wiederbekomme.«

Katharina lächelte. »Das ist wahnsinnig nett von dir und ich schwöre, dass es für eine gute Sache ist. Später werde ich es euch haarklein erzählen. Ich komme mit Oliver, so heißt mein Freund, bald vorbei, damit wir sehen, ob der Ring passt. Okay?«

»Okay«, seufzte Sibylla gespielt theatralisch und drehte den Ring an ihrem Finger. »Wie gewonnen, so zerronnen.«

Ella grinste Katharina an und rollte die Augen. »Sie braucht diesen Beweis, dass ich ihr nie mehr abhandenkomme, einfach an ihrer Hand, gell Schnucki?« Zärtlich legte sie den Arm um ihre Frau und küsste sie.

Als sie sich später verabschiedete, ging Katharina mit einem warmen Gefühl zurück in ihre Wohnung.

Donnerstagmorgen,
München Haidhausen

»Sie scheint gerade Single zu sein, und dann geht sie wohl regelmäßig ins R8 – wahrscheinlich, um sich den nächsten Typen zu krallen.« Tobias klang genervt.

»Da kommt sie rein?« Katharina war überrascht. Die Einlassbedingungen für diese elitäre Bar im Zentrum von München waren auch für Frauen strikt.

»Sie kennt wohl sämtliche Türsteher. Die Dame findet ihre Mittel und Wege, das zu kriegen, was sie will. Zumindest bisher. Aktuell scheint sie sich eine Niederlage eingehandelt zu haben.«

»Äh, heißt?«

»Na ja, mit Thomas, den sie auf der Fete kennengelernt hat, von der ich dir erzählt habe, scheint es nicht rundgelaufen zu sein. Sie hat wohl ihre übliche ›ich bin für dich da‹-Masche abgezogen und er hat sich von ihr das Smartphone einrichten lassen. Hat aber entdeckt, dass sie eine Störsoftware installiert hat, und sie abblitzen lassen. Läuft mir richtig gut rein, diese Geschichte, ehrlich gesagt.«

Katharina staunte, wie wütend Tobias offenbar auf Jana war. Sie selbst nahm sich vor, Oliver zu warnen, dass er gut auf sein Smartphone aufpassen musste, wenn er Jana traf. Sie bedankte sich und legte auf.

Es musste ein beschissenes Gefühl sein für Tobias, überlegte sie. Er schien auf ein echtes Früchtchen reingefallen zu sein. Mehr Mitgefühl konnte sie allerdings nicht aufbringen.

Es war 8 Uhr morgens, um diese Zeit müsste Oliver eigentlich noch zu Hause sein.

Tatsächlich hob er gleich nach dem ersten Läuten ab. »Katharina, einen wunderschönen guten Morgen. Wo soll ich heute Abend hin?«

»Ins R8, wobei, Abend ist relativ. Die machen erst um 23 Uhr auf. Schaffst du das? Ich weiß natürlich nicht, wann die Lady auftaucht …«

»Selbstverständlich schaffe ich das. Der neue Oliver Arends kommt auch mal mit zwei bis drei Stunden Schlaf aus. Was macht die Ehering-Recherche?«

Katharina berichtete vom netten Angebot ihrer Nachbarinnen und Oliver lachte. »Super, ich werde also mit dem Ehering einer lesbischen Frau einer Nymphomanin auflauern – wird ja immer besser … Ich überlege sofort, was Mann für einen Aufriss anzieht. Bin total aus der Übung.«

Eine Stunde später saß Katharina Birgit gegenüber. Sie hatte sie telefonierend und ein hart gekochtes Ei essend in ihrem Büro angetroffen. Der Geruch war für Katharina morgens um halb zehn gewöhnungsbedürftig, aber sie schwieg. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, schien die Laune der Archivarin ohnehin nicht besonders gut zu sein.

Sie lauschte mit ernstem Gesicht in den Hörer und sagte nur ab und an: »Hm, okay.«

Zum Schluss kam ein fast trauriges »Schade, danke trotzdem«.

Dann legte sie auf und murmelte »Morgen« in Katharinas Richtung.

Birgit trug eine gold-silbern getigerte Röhrenjeans und einen kurzärmeligen, rosafarbenen Mohair-Pullover, auf dem in Rot der Schriftzug »Love« prangte. Das Outfit stand in diametralem Gegensatz zu Birgits Laune, stellte Katharina fest. Sie ging um den Schreibtisch herum, legte einen Arm um ihre Freundin und fragte: »Was ist los?«

»Ich komme mit dieser drecksverschlüsselten E-Mail-Adresse nicht weiter. Und mein Hackerfreund Arno auch nicht. Der sagt, das kann nur die Polizei, ist wohl irgendwo im tiefsten Darknet angesiedelt und an so was kommen wir kleinen Hacker nicht ran.« Birgit schluckte den letzten Rest Ei und spülte ihn mit schwarzem Kaffee aus der Bürotasse herunter, die Katharina ihr geschenkt hatte. »Alltagsheldin«, stand in bunten Buchstaben darauf.

»Wir finden die Wahrheit trotzdem, Birgit, nicht verzagen. Wer ist eigentlich Arno?« Katharina war Birgits Umgang in der Hackerszene meist suspekt.

»Ach, den habe ich beim Jahrestreffen vom Chaos Computer Club kennengelernt, ist ein richtiger Nerd, hackt sich eigentlich überall rein. Wenn der es nicht schafft, schafft es niemand mit den üblichen Methoden.«

»Hast du in den unverschlüsselten Mails von Adelhofer was gefunden?«, fragte Katharina in der Hoffnung, ihre Freundin von ihrer Niederlage ablenken zu können. Und – Bingo. Birgits Augen begannen zu leuchten, die Ohranhänger – Plastik-Tiger links, Plastik-Löwe rechts – schwangen freudig hin und her. »Allerdings, Katharina, allerdings. Da hält sich offenbar jemand nicht an die Regeln und nutzt bewusst nicht den verschlüsselten Account, um Adelhofer Druck zu machen. ›So geht das nicht. Ich will adäquaten Ersatz für Lukas.‹ Das kam nach der Drohung, die du abfotografiert hast. Adelhofer hat wahrscheinlich über den verschlüsselten Account geantwortet. Es ist bestimmt nicht in seinem Sinne, dass Lukas’ Name offen auftaucht im Zusammenhang mit irgendeinem Deal. Was das zu bedeuten hat, weiß ich noch nicht. In jedem Fall wird er erpresst. Vielleicht hat er seinen Bruder doch umgebracht und irgendjemand weiß davon.«

Katharina berichtete ihrer Freundin von dem Plan, Oliver auf Jana Waldemat anzusetzen. Augenblicklich war die Laune der Archivarin wiederhergestellt.

»Spitze, Katharina, das ist spitze!«

Als Birgits Telefon klingelte, hob sie strahlend ab. Schnell wurde ihre Miene ernst und sie wedelte nervös mit der Hand in Katharinas Richtung. »Ja, sie ist hier, Herr Riesche-Geppenhorst, sage ich ihr, ja, umgehend, habe ich verstanden. Schönen Tag noch.«

Seufzend legte Birgit Wachtelmaier auf. »Hast du einen Termin bei deinem Chef vergessen?«

Katharina grinste. »Nö, habe ich nicht. Donnerstag nach der Redaktionskonferenz hat er gesagt. Heute ist Donnerstag und in fünf Minuten ist Redaktionskonferenz. Der Gute ist vermutlich nervös, weil er mich noch nicht gesehen hat. Muss ja was echt Wichtiges sein. Wie sehe ich aus? Cheftauglich?«

Katharina hatte sich zu Hause nach den Telefonaten mit Tobias, Oliver und Ella – der Ringübergabe-Termin für den Abend ging klar – an das bevorstehende Gespräch mit ihrem Chef erinnert und sich ihrer Meinung nach entsprechend gekleidet: orangefarbene Caprihose, schwarze Ballerinas und ein schwarzes Top.

»Du siehst fantastisch aus, als wärst du die Chefin und nicht der Zausel da oben.«

Birgit und Katharina klatschten sich ab und Katharina entschwand Richtung Redaktion.

Riesche-Geppenhorst war offensichtlich nervös. Er bot ihr einen Kaffee an, vergaß dann, ihn einzuschenken. Er fragte sie, wie es mit der Adelhofer-Recherche lief, hörte aber nicht richtig zu, was Katharina an einem monotonen »aha, aha« bemerkte, das ihr Chef auch an Stellen äußerte, an denen es nicht passte. Ihr war das recht. So konnte sie weitermachen, wie sie es geplant hatte.

»Äh, Frau Langenfels, es geht quasi um eine halb private, halb dienstliche Sache.« Riesche-Geppenhorst starrte vor sich hin, bemerkte dann, dass er Katharina noch keinen Kaffee eingeschenkt hatte, entschuldigte sich, gab ihr die volle Tasse, starrte weiter vor sich hin. Langsam wurde Katharina unruhig. Was um Himmels willen war los?

»Herr Riesche-Geppenhorst, Sie machen es echt spannend.«

Ihr Chef schreckte auf und schaute sie an, als würde er erst jetzt wahrnehmen, dass sie vor ihm saß.

»Entschuldigen Sie, Frau Langenfels, entschuldigen Sie! Wir sind schwanger.«

Der Satz blieb im Raum hängen und Katharina musste fast loslachen. Was hatte das mit ihr zu tun? Um die Stille zu überbrücken, sagte sie: »Wie schön, herzlichen Glückwunsch, das ist eine wunderbare Nachricht.«

Riesche-Geppenhorst schreckte erneut auf und starrte Katharina verunsichert an. »Finden Sie? Das ist schön, dass Sie sich mit uns freuen. Wissen Sie, ich wollte unbedingt ein zweites Kind. Meine Frau hat sich darauf eingelassen, ja, sie hat sich darauf eingelassen« – Riesche-Geppenhorst rührte versonnen in seinem Kaffee – »unter der Bedingung, dass ich Elternzeit nehme, wenn das Kind da ist. Ein fairer Deal, zeitgemäß und verständlich. Ich habe natürlich Ja gesagt.«

Und jetzt kommt das Kind tatsächlich und du musst zu Hause bleiben. Katharina amüsierte sich königlich, verstand nur weiterhin nicht, was das mit ihr zu tun hatte.

»Das ist super, Herr Riesche-Geppenhorst. Und Sie werden viel von dem Baby mitbekommen, eine wunderbare Erfahrung.«

Ihr Chef lächelte sie verunsichert an. »Danke, ja. So wird das bestimmt sein. Na ja, und ich habe es schon dem Verleger gesagt. Der ist einverstanden. Er hat vorgeschlagen, dass Sie während meiner Abwesenheit die Redaktionsleitung übernehmen.«

RG musterte Katharina verstohlen. Sie freute sich über die Chance, auch wenn ihr Chef deutlich machte, dass es nicht sein Plan war.

»Das ist eine große Wertschätzung des Verlegers. Freut mich sehr. Ab wann sind Sie denn weg?«

»In sechs Monaten und ich würde ein Jahr zu Hause bleiben.«

Katharina grinste in sich rein. Alles klar geregelt. Ein Jahr Kind, anschließend wieder Karriere. Sollte es irgendwelche Schwierigkeiten geben, konnte sich Frau Riesche-Geppenhorst kümmern.

»Verstehe. Richten Sie doch bitte dem Verleger aus, dass ich mich über dieses Angebot und sein Vertrauen sehr freue. Ich überlege es mir. Bis wann will er Bescheid wissen?«

Riesche-Geppenhorst sinnierte vor sich hin. Ein glücklicher werdender Vater sah jedenfalls anders aus, konstatierte Katharina.

»Das heißt, Sie könnten sich das vorstellen, den Job interimsweise zu übernehmen?« Riesche-Geppenhorst fixierte sie.

»Vorstellen kann ich mir das in jedem Fall. Ich muss mit meiner Tochter sprechen und überlegen, wie ich mich organisieren würde. Reicht es, wenn ich Ihnen bis Dienstag Bescheid gebe?«

Keine Antwort, stattdessen: »Das überrascht mich schon ein wenig, dass Sie einen Bürojob tatsächlich ernsthaft erwägen. Sie sind eher ein Freigeist, dachte ich.«

Langsam dämmerte Katharina, um was es ging. Riesche-Geppenhorst hatte Angst um seinen Job. Sie war Konkurrenz. Er wollte sie nicht als seine Vertretung.

»Doch, das kann ich mir gut vorstellen. Wäre eine tolle neue Herausforderung. Und in einem halben Jahr habe ich das Adelhofer-Thema bestimmt abgeschlossen. Das würde passen. Dienstag bekommen Sie meine Antwort.«

Riesche-Geppenhorst nickte resigniert.

»Äh, ich bin weg, Herr Riesche-Geppenhorst, habe heute noch Einiges zu recherchieren. Wir sind auf einer interessanten Spur in der Adelhofer-Sache.«

»Jaja, bis Dienstag, Frau Langenfels.«

Keine Nachfrage wegen Adelhofer, nichts. Kopfschüttelnd ging Katharina zurück zu Birgit, um ihr von dem Jobangebot zu erzählen. Außerdem wollte sie wissen, welche digitalen Spuren es von Jana Waldemat offiziell im Internet gab.

»Oh, Frau Redaktionsleiterin, das ist der Hammer. Ich bin total stolz auf dich, das müssen wir feiern.« Birgit legte ihr hartes Ei aus der Hand – wie viele sie davon pro Tag aß, wollte Katharina lieber nicht wissen – und ging zu einem kleinen Kühlschrank in der Ecke ihres Büros. Mit einem Prosecco in der Hand und zwei Gläsern kam sie zurück.

»Ich habe noch nicht zugesagt. Ich muss das erst mit Svenja besprechen und mit Oliver. Und es mir gründlich überlegen.«

Ungerührt öffnete Birgit den Sekt, schenkte ein und reichte Katharina ein Glas. »Was gibt’s da zu überlegen? Endlich feste Arbeitszeiten, Svenja wird dir die Füße küssen. Die Redaktion kann sich auch freuen mit einer Chefin, bei der vielleicht nur jeder zweite Artikel polarisieren muss. Und ich hab einen super Draht zur Chefetage.«

Birgit grinste, Katharina blieb angespannt: »Eben, das muss ich mir genau überlegen. In der Redaktion werden nicht alle begeistert sein. Der Zuwinkel wird es nicht gut finden, wenn ich ihm ab sofort bei seinen Honorarabrechnungen auf die Finger schaue. Der Rüber will den Job selber haben. Die Lindenpark wird den Betriebsrat mobilisieren bei der kleinsten Kleinigkeit, die hasst mich.«

»Katharina, Stopp! Prost!« Birgit stieß mit ihrem Glas an Katharinas und bedeutete ihr mit einer unzweideutigen Geste, zu trinken. »Überleg es dir, sprich mit Oliver und Svenja und dann sag zu! Klar werden dich nicht alle lieben. Das war dir bisher aber auch egal. Und in einem Jahr ist Riesche-Geppenhorst zurück. Ob er allerdings seinen Job wiederkriegt, wenn der Verleger sieht, was für eine Granate er da jetzt sitzen hat, mal sehen.«

Katharina winkte ab und trank ihren Sekt.

»Wegen Jana Waldemat, hast du im Netz irgendwas über sie gefunden?«

Birgit biss in ihr Ei, spülte mit Sekt nach – musste eine schauerliche Mischung sein, überlegte Birgit – und sagte abschätzig: »Mädchenkram halt. Auf Facebook und Instagram ist sie natürlich unterwegs, postet ständig Fotos von sich und ihrer blonden Föhnwelle. Im Urlaub, in München, überall. Schreibt fast nichts, lädt nur Fotos hoch, die von irgendwelchen Bewunderern und übrigens auch Bewunderinnen kommentiert werden. ›Spitze siehst du aus‹, ›ach, wie schön du bist‹ und so weiter und so weiter. Ansonsten nichts. Nichts, wo sie sich engagiert, kein Verein, keine beruflichen Infos. Sie ist nicht bei LinkedIn oder anderen Karriereportalen. Das Spannende spielt sich bei dieser Frau vermutlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab.«

»Danke, Birgit, du hast mir echt viel Arbeit abgenommen.«

»Sehr gerne, Chefin«, grinste Birgit.

Katharina stieß noch mal mit ihrer Freundin an und leerte das Sektglas. »Jetzt muss Oliver ran.«

Ein paar Stunden später saß der Besagte mit Katharina und Svenja bei Ella und Sibylla auf dem Sofa. Svenja hatte einen Kakao vor sich stehen und durfte mit Sibyllas iPad spielen. Die Erwachsenen tranken Espresso oder Milchkaffee.

»Der passt wie angegossen«, staunte Sibylla, als Oliver ihren Ehering anprobierte, er trug ihn allerdings am Ringfinger im Unterschied zu seiner Besitzerin.

»Nimm ihn während des Abends bloß nicht ab, man darf nicht sehen, dass es darunter keine Ringspuren gibt. Dann wüsste sie sofort, dass es nicht dein Ring ist.«

Ella und Sibylla hörten Katharina interessiert zu. »Das klingt hochspannend. Wir fragen nicht weiter nach. Solange der Ring morgen an Sibyllas Mittelfinger steckt, schweigen wir wie die Gräber und warten gespannt auf die Auflösung. Richtig, Schnucki?«

Ella schaute Sibylla an, diese nickte und fuhr sich über ihren ringlosen Mittelfinger. »Ist ein komisches Gefühl, obwohl ich ihn noch nicht lange trage. Es ist halt schön, mit dir verheiratet zu sein.« Sie legte den Arm um ihre Frau und strahlte sie an, diese strahlte zurück.

Der kostenlose Auszug ist beendet.