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Buch lesen: «Tausend und Ein Gespenst», Seite 53

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Das Spiel war in einer Minute gemacht.

– Rien ne va plus! rief der Croupier aus.

Hoffmann folgte mit glühenden Augen der Kugel, welche sich drehte, wie als ob es sein eigenes Leben gewesen wäre, das sich vor ihm gedreht hätte.

Plötzlich warf er sich zurück, indem er seinen Kopf in feine beiden Hände verbarg.

Er hatte nicht allein verloren, sondern er hatte auch keinen Heller mehr weder bei sich, noch zu Haus.

Eine Frau, welche sich dort befand, und die man eine Minute zuvor für zwanzig Franken hätte haben können, stieß einen Schrei grimmiger Freude aus, und raffte eine Hand voll Gold zusammen, welche sie gewonnen hatte.

Hoffmann hätte zehn Jahre seines Lebens für einen der Louisd'ors dieser Frau hingegeben.

Mit einer weit rascheren Bewegung, als der Gedanke, befühlte und durchsuchte er seine Taschen, wie um keinen Zweifel mehr über die Wirklichkeit zu behalten.

Die Taschen waren leer, aber er fühlte etwas rundes wie einen Thaler auf seiner Brust, und er ergriff es voller Ungestüm.

Es war das Medaillon Antonias, das er vergessen hatte.

– Ich bin gerettet! rief er aus, und er warf das goldene Medaillon als Aussatz auf No. 26.

XIX.
Das Medaillon

Der Croupier nahm das goldene Medaillon und betrachtete es.

– Mein Herr, sagte er zu Hoffmann, denn in Nr. 113 nannte man sich noch mein Herr; mein Herr, geben Sie das zu verkaufen, wenn Sie wollen, und spielen Sie um Geld; aber ich sage Ihnen noch ein Mal, daß wir nur um gemünztes Gold oder Silber spielen.

Hoffmann ergriff sein Medaillon, und verließ ohne eine Sylbe zu sagen, den Spielsaal.

Während der Zeit, welche er bedurfte, um die Treppe hinabzugehen, summten gar viele Gedanken, gar viele Nachschläge, gar viele Ahnungen um ihn herum; aber er machte sich taub gegen alles dieses ungestüme Getöse und trat ungestüm zu dem Wechsler ein, der ihm einen Augenblick zuvor Gold für seine Thaler gegeben hatte.

Nachlässig auf seinen weiten ledernen Sessel gestützt seine Brille auf die Spitze seiner Nase gesetzt, las der wackere Mann von einer niedrigen Lampe mit trüben Strahlen erleuchtet, mit denen sich der gelbe Schein der Goldstücke vereinigte, welche in ihren kupfernen Becken und von einem feinen Gitter von Eisendraht umgeben, schliefen, das mit kleinen Vorhängen von grüner Seide versehen und mit einer kleinen Thüre auf der Höhe des Tisches geschmückt war, welche Thüre nur die Hand durchließ.

Niemals hatte Hoffmann das Gold so sehr bewundert.

Er machte verwunderte Augen, wie als ob er in einen Sonnenstrahl getreten wäre, und dennoch hatte er bei dem Spiele mehr Gold gesehen, als er hier sah; aber, philosophischer Weise gesprochen, war es nicht dasselbe Gold. Es fand zwischen dem lärmenden, flüchtigen, bewegten Golde von Nr. 113, und dem ruhigen, ernsten, stummen Golde des Wechslers der Unterschied statt, welcher zwischen hohlen und geistlosen Schwätzern und Denkern voll Ueberlegung stattfindet. Man kann nichts Gutes mit dem Golde des Roulets oder der Karten anfangen, es gehört nicht dem, der es besitzt, sondern der, welcher es besitzt, gehört ihm an. Aus einer verderbten Quelle gekommen, muß es zu einem unreinen Ziele gehen. Es hat das Leben in sich, aber das schlechte Leben, und es hat Eile davon zu gehen, wie es gekommen ist. Es räth nur das Laster und thut nur das Gute, wenn es dasselbe thut, wider seinen Willen, es flößt vier Mal, zwanzig Mal größere Wünsche ein, als es werth ist, und ein Mal besessen, scheint es, als ob es an Werth abnähme; kurz das Geld des Spieles hat, je nachdem man es gewinnt, oder sich nach ihm sehnt, je nachdem man es verliert, oder man es zusammenrafft, immer nur einen eingebildeten Werth. Bald stellt eine Hand voll Gold Nichts vor, bald enthält ein einziges Goldstück das Leben eines Menschen; während das Gold des Handels, das Gold des Wechslers, das Gold wie das, welches Hoffmann bei seinem Landsmanne zu suchen kam, wirklich den Preis werth ist, den es auf seiner Aufschrift trägt; es verläßt sein Nest von Kupfer nur gegen einen dem seinigen gleichen und selbst höheren Werth; es entehrt sich nicht, wie eine Buhlerin ohne Scham, ohne Vorzug, ohne Liebe, indem es aus der Hand des Einen in die Hand des Andern übergeht; es hat Achtung seiner selbst; sobald es den Wechsler verlassen hat, kann es sich verunreinigen, kann es in schlechte Gesellschaft gerathen, was es vielleicht that, bevor es dahin gekommen war, aber so lange als es dort ist, ist es achtbar und muß geachtet werden. Es ist das Bild des Bedürfnisses, und nicht der Laune. Man erwirbt es man gewinnt es nicht; es wird nicht ungestümer Weise wie einfache Zahlpfennige von der Hand des Croupiers hingeworfen, es wird kunstmäßiger Weise Stück vor Stück, langsam von dem Wechsler und mit alle der Achtung gezählt, die ihm gebührt. Es ist schweigsam, und das ist seine große Beredtsamkeit; Hoffmann, in dessen Einbildungskraft ein Vergleich dieser Art nur einer Minute bedurfte, begann daher auch zu zittern, daß der Wechsel ihm niemals so wirkliches Gold gegen sein Medaillon geben mögte. Er glaubte sich daher genöthigt, obgleich das ein Zeitverlust war, Einleitungen und Umschreibungen zu machen, um darauf zu kommen, was er wollte, um so mehr, da es kein Geschäft war, das er anzubieten kam, sondern ein Dienst, um den er den Wechsler zu bitten kam.

– Mein Herr, sagte er zu ihm, ich bin es, der so eben gekommen ist, um Thaler gegen Gold auszuwechseln.

– Ja, mein Herr, ich erkenne Sie, äußerte der Wechsler.

– Sie sind ein Deutscher, mein Herr?

– Ich bin von Heidelberg.

– Dort habe ich meine Studien gemacht.

– Welch reizende Stadt!

Während dieser Zeit kochte Hoffmanns Blut. Es schien ihm, als ob jede Minute, welche er diesem abgedroschenen Gespräche widmete, ein Jahr seines Lebens wäre, das er verlöre.

Er begann daher lächelnd wieder:

– Ich habe gedacht, daß Sie als Landsmann wohl so gefällig sein würden, mir einen Dienst zu erzeigen.

– Welchen? fragte der Wechsler, dessen Gesicht sich verfinsterte. Der Wechsler borgt nicht mehr, als die Ameise.

– Nämlich mir drei Louisd'or auf dieses Medaillon zu borgen.

Und zu gleicher Zeit reichte Hoffmann dem Handelsmanne das Medaillon, der, indem er es in eine Waage legte, es wog.

– Würden Sie es nicht lieber verkaufen? fragte der Wechsler.

– O! nein, rief Hoffmann aus, nein, es ist wohl schon genug, es zu verpfänden; ich mögte Sie sogar bitten, mein Herr, wenn Sie mir den Dienst erzeigen, das Medaillon mit der größten Sorgfalt aufheben zu wollen, denn ich halte mehr darauf, als auf mein Leben, und ich werde es morgen früh wieder abzuholen kommen; es bedarf eines Umstandes wie der, in welchem ich mich befinde, daß ich es verpfände.

– Dann will ich Ihnen drei Louisd'or leihen, mein Herr.

Und der Wechsler nahm mit alle dem Ernste, dem er einer solchen Handlung schuldig zu sein glaubte, drei Louisd'or, und zählte sie vor Hoffmann auf.

– O! ich danke, mein Herr, ich danke Tausend Mal! rief der Dichter aus, und indem er sich der drei Goldstücke bemächtigte, verschwand er.

Der Wechsler nahm schweigend seine Lektüre wieder vor, nachdem er das Medaillon in eine Ecke seiner Schublade gelegt hatte.

Dieser Mann hätte nicht den Einfall gehabt, sein Gold gegen das Gold der Nr. 113 zu wagen.

Der Spieler ist so nahe daran ruchlos zu werden, daß Hoffmann, als er sein erstes Goldstück auf Nr. 26 warf, denn er wollte sie nur eines nach dem andern wagen, den Namen Antonia aussprach.

So lange als die Kugel sich drehte, hatte Hoffmann keine Gemüthsbewegungen, irgend Etwas sagte ihm, daß er gewinnen würde.

Die Nr. 26 gewann.

Hoffmann zog strahlend sechs und dreißig Louisd'or ein.

Das erste, was er that, war drei davon in seine Uhrtasche zu stecken, um sicher zu sein das Medaillon seiner Braut wieder einzulösen, deren Namen er augenscheinlich diesem ersten Gewinne verdankte. Er ließ drei und dreißig Louisd'or auf derselben Nummer stehen, und dieselbe Nummer gewann wieder. Es waren also sechs und dreißig Mal drei und dreißig Louisd'or, welche er gewann, das heißt eilf Hundert acht und achtzig Louisd'or, das heißt mehr als fünf und zwanzig Tausend Franken.

Nun spielte Hoffmann, indem er mit vollen Händen aus dem gefüllten Pactolus schöpfte, auf den Zufall hin mit einer endlosen Verblendung. Bei jedem Satze, den er spielte, wuchs der Haufen seines Gewinnes gleich einem plötzlich aus dem Wasser hervortretenden Berge.

Er hatte Gold in seinen Taschen, in seinem Rocke, in seiner Weste, in seinem Hute, in seinen Händen, auf dem Tische, kurz überall. Das Gold floß vor ihm aus der Hand des Croupiers, wie das Blut aus einer weiten Wunde. Er war der Jupiter aller Anwesenden Danaës und der Kassirer aller unglücklichen Spieler geworden.

Er verlor auf diese Weise wohl an zwanzig Tausend Franken.

Indem er endlich, als er genug zu haben glaubte, alles Gold zusammenraffte, das er vor sich hatte, entfloh er, alle Anwesenden staunten voll Bewunderung und Neid ihm nach, und eilte in der Richtung von Arséne Hause davon.

Es war ein Uhr Morgens, aber das kümmerte ihn wenig; da er mit einer solchen Summe kam, meinte er, daß er zu jeder Stunde der Nacht kommen könnte, und daß er immer willkommen sein würde.

Er machte sich eine Freude daraus, mit alle diesem Golde den schönen Körper zu bedecken, der sich vor ihm entschleiert hatte, und der, vor seiner Liebe Marmor geblieben, sich wie die Statue des Prometheus vor seinem Reichthume beseelen würde, als er ihre wahre Seele gefunden hatte.

Er wollte zu Arséne eintreten, seine Taschen bis auf sein letztes Goldstück leeren und ihr sagen: Jetzt liebe mich; dann würde er am folgenden Morgen wieder gehen, um, wenn es möglich wäre, dem Andenken dieses fieberhaften und heftigen Traumes zu entrinnen.

Er klopfte an die Thüre Arsénes wie ein Herr, der nach Hause kömmt.

Die Thüre ging auf.

Hoffmann eilte auf die Treppe zu.

– Wer da? rief die Stimme des Pförtners.

Hoffmann antwortete nicht.

– Wo gehen Sie hin, Bürger? wiederholte dieselbe Stimme, und ein Schatten, der gekleidet war, wie es die Schatten des Nachts sind, kam aus der Pförtnerstube und eilte Hoffmann nach.

Zu jener Zeit wußte man gern, wer ausging, und besonders wer eintrat.

– Ich gehe zu Mademoiselle Arséne, antwortete Hoffmann, indem er dem Pförtner drei oder vier Louisd'or zuwarf, für welche er eine Stunde früher seine Seele hingegeben hätte.

Diese Art sich auszudrücken, gefiel dem Dienstwilligen.

– Mademoiselle Arséne ist nicht mehr hier, mein Herr, antwortete er, indem er mit Recht dachte, daß man das Wort Herr an die Stelle des Wortes Bürgers treten lassen müßte, wenn man mit einem Manne zu thun hätte, der eine so freigebige Hand hatte. Ein Mann, welcher verlangt, kann sagen: Bürger, aber Jemand, der empfängt, kann nur sagen: Mein Herr.

– Wie! rief Hoffmann aus, Arséne ist nicht mehr hier?

– Nein, mein Herr.

– Sie wollen sagen, daß sie heute Abend nicht nach Hause gekommen ist.

– Ich will sagen, daß sie nicht mehr nach Hause kommen wird.

– Wo ist sie dann?

– Ich weiß es nicht.

– Mein Gott! mein Gott! äußerte Hoffmann, und er nahm seinen Kopf in seine beiden Hände, wie um seinen Verstand zurückzuhalten, den er im Begriffe stand, zu verlieren. Alles, was ihm seit einiger Zeit begegnete, war!o sonderbar, daß er sich mit jedem Augenblicke sagte: Nun denn, da ist der Moment, wo ich wahnsinnig werden werde!

– Sie wissen also die Neuigkeit nicht? begann der Pförtner wieder.

– Welche Neuigkeit?

– Herr Danton ist verhaftet worden.

– Wann?

– Gestern. Herr Robespierre ist es, der das gethan hat. Was für ein großer Mann der Bürger Robespierre ist!

– Nun denn?

– Nun denn! Mademoiselle Arséne ist gezwungen gewesen zu entfliehen, denn als Maitresse Dantons hätte sie bei dieser ganzen Angelegenheit compromittirt sein können.

– Das ist richtig. Aber, wie ist sie entflohen?

– Wie man flieht, wenn man sich fürchtet den Kopf zu verlieren, ganz gerade aus.

– Ich danke, mein Freund, ich danke, äußerte Hoffmann, und er verschwand, nachdem er noch einige Goldstücke in der Hand des Pförtners zurückgelassen hatte.

Als er auf der Straße war, fragte sich Hoffmann, was aus ihm werden, und wozu ihm jetzt all sein Gold dienen würde; denn, wie man sich wohl denken wird, fiel ihm eben so wenig der Gedanke ein, daß er Arséne wiederfinden könnte, als der nach Haus zurückzukehren und auszuruhen.

Er begann daher gleichfalls gerade aus zu gehen, indem er das Pflaster der traurigen Straßen unter den Absätzen seiner Stiefel erschallen ließ, und ganz wachend in seinem schmerzlichen Traume ging.

Die Nacht war kalt, die Bäume waren entlaubt und zitterten in dem Nachtwinde wie Fieberkranke, die ihr Bett verlassen haben, und deren Fieber die abgemagerten Glieder schüttelt.

Der Rauhreif peitschte das Gesicht des nächtlichen Wanderers, und kaum durchbrach von Zeit zu Zeit in den Häusern, welche ihre Masse mit dem dunkeln Himmel vereinigten, ein erleuchtetes Fenster die Finsterniß.

Diese kalte Luft that ihm indessen wohl. Seine Seele beruhigte sich allmählig bei diesem schnellen Laufe, und wenn man sich so ausdrücken darf, seine moralische Gährung verflüchtigte sich. In einem Zimmer wäre er erstickt, dann würde er dadurch, daß er immer weiter ging, vielleicht Arséne begegnen; wer weiß? als sie entfloh, hatte sie vielleicht bei dem Verlassen ihres Hauses.denselben Weg eingeschlagen, als er.

So ging er dem einsamen Boulevard entlang, ging über die Straße Royale, wie als ob in Ermangelung seiner Augen, welche nicht sahen, seine Füße von selbst den Ort erkannt hätten, wo er wäre; er erhob den Kopf und blieb stehen, als er bemerkte, daß er geraden Weges nach dem Revolutionsplatze zuginge, nach diesem Platze, nach welchem er geschworen hatte niemals zurückzukehren.

So dunkel der Himmel auch war, so zeigte sich doch ein noch weit dunklerer Schatten auf dem wie Tinte schwarzen Horizonte; das war der Schatten der gräßlichen Maschine, deren von Blut feuchten Rachen der Nachtwind trocknete, und die in Erwartung ihrer täglichen Lieferung schlief.

Hoffmann wollte diesen Platz während des Tages nicht wiedersehen; wegen des Blutes, das auf ihm floß, wollte er sich nicht mehr auf ihm befinden; aber die Nacht, das war nicht mehr dasselbe; es war für den Dichter, bei dem trotz Allem der poetische Instinct ohne Unterlaß wachte, ein Interesse vorhanden, das unheilbringende Gerüst, dessen blutiges Bild sich zu dieser Stunde gar vielen vorstellen mußte, in dem Schweigen der Nacht und in der Dunkelheit zu sehen und mit dem Finger zu berühren.

Welch schöneren Kontrast gab es bei dem Verlassen des lärmenden Spielsaales, als diesen öden Platz, dessen ewiger Gast das Schaffot war! Nach dem Schauspiele des glühenden Lebens, überrascht in Mitte seiner leidenschaftlichsten Regungen und seiner größten Mißbräuche: das Schauspiel des Todes, der Verlassenheit, der Gefühllosigkeit!

Hoffmann ging daher wie von einer magnetischen Kraft angezogen nach der Guillotine.

Plötzlich und fast ohne zu wissen, wie das geschehen war, befand er sich ihr gegenüber.

Der Wind pfiff in den Brettern.

Hoffmann faltete seine Hände auf seiner Brust und betrachtete.

Wie viele Gedanken mußten in dem Geiste dieses Mannes entstehen, der, die Taschen voll Gold und mit der Erwartung einer Nacht der Wollust, diese Nacht einsamer Weise einem Schaffotte gegenüber zubrachte!

Es schien ihm in Mitte seiner Gedanken, als ob eine menschliche Klage sich mit den Klagen des Windes vereinigte.

Er neigte den Kopf vor und horchte.

Die Klage erneuerte sich, indem sie nicht aus der Ferne, sondern von unten herkam.

Hoffmann blickte um sich und sah Niemand.

Indessen gelangte ein drittes Stöhnen bis zu ihm.

– Man sollte glauben, daß es eine Frauenstimme wäre, murmelte er, und man könnte sagen, daß diese Stimme unter dem Schaffotte herkäme.

Indem er sich nun bückte, um besser zu sehen, begann er die Runde um die Guillotine zu machen. Als er vor der schrecklichen Treppe vorbeikam, stieß sein Fuß an irgend Etwas; er streckte die Hände aus und berührte ein Wesen, das, ganz schwarz gekleidet, auf den ersten Stufen dieser Treppe saß.

– Wer sind Sie, fragte Hoffmann, Sie, die Sie des Nachts an einem Schaffotte schlafen?

Und zu gleicher Zeit knieete er nieder, um das Gesicht derer zu sehen, welche er anredete.

Aber sie rührte sich nicht, und die Ellbogen auf ihre Kniee gestützt, ließ sie ihren Kopf in ihren Händen ruhen.

Trotz der Kälte der Nacht, hatte sie fast ganz bloße Schultern, und Hoffmann konnte eine schwarze Linie sehen, welche ihren weißen Hals umgab.

Diese Linie war ein Halsband von Sammet.

– Arséne! rief er aus.

Nun denn! ja, Arséne, murmelte mit seltsamer Stimme die sitzende Frau, indem sie den Kopf erhob und Hoffmann anblickte.

XX.
Ein Hotel der Straße Saint-Honoré

Hoffmann wich entsetzt zurück; trotz der Stimme, trotz dem Gesicht, zweifelte er noch. Aber indem sie den Kopf wieder erhob, ließ Arséne ihre Hände auf ihre Kniee sinken, und indem sie ihren Hals freimachten, ließen ihre Hände die seltsame Spange von Diamanten sehen, welche die beiden Enden des Halsbandes von Sammet vereinigten, und die in der Nacht funkelte.

– Arséne, Arséne? wiederholte Hoffmann.

Arséne stand auf.

– Was machen Sie hier zu dieser Stunde? fragte der junge Mann. Wie! In dieses graue Kleid gekleidet! Wie! mit bloßen Schultern!

– Er ist gestern verhaftet worden, sagte Arséne, man ist gekommen, um auch mich zu verhaften, ich bin entflohen wie ich war, und als ich heute Nacht um eilf Uhr mein Zimmer zu klein und mein Bett zu kalt fand, habe ich es verlassen und bin hierher gekommen.

Diese Worte waren mit einem seltsamen Ausdrucke, ohne Geberden, ohne Betonung gesagt, sie kamen aus einem bleichen Munde, der sich wie durch eine Feder öffnete und schloß; man hätte glauben können, es sei ein Automat, welcher spräche.

– Aber, rief Hoffmann aus, Sie können hier nicht bleiben?

– Wo sollte ich hingehen? – Ich will dorthin, von wo ich komme, erst so spät als möglich zurückkehren; ich habe zu kalt gehabt.

Dana kommen Sie mit mir, rief Hoffmann aus.

– Mit Ihnen! äußerte Arséne.

Und es schien dem jungen Manne, bei dem Scheine der Sterne als ob aus diesem finsteren Auge ein verächtlicher Blick gleich dem auf ihn fiele, von dem er bereits in dem reizenden Boudoir der Straße Hannover vernichtet worden war.

– Ich bin reich, ich habe Gold, rief Hoffmann aus.

Das Auge der Tänzerin schleuderte einen Blitz.

– Gehen wir, sagte sie, aber wohin?

– Wohin!

In der That, wohin sollte Hoffmann diese Frau des Luxus und der Sinnlichkeit führen, welche, wenn sie die magischen Palläste und die bezauberten Gärten der Oper verlassen hatte, gewohnt war auf persischen Teppichen zu gehen und sich in indische Cachemirs zu hüllen.

Gewiß konnte er sie nicht in sein kleines Studentenzimmer führen; sie hätte sich dort eben so sehr beengt und eben so kalt gefühlt, als in der unbekannten Wohnung, von der sie so eben sprach, und in die zurückzukehren sie so sehr zu fürchten schien.

– Wohin, in der That? fragte Hoffmann, ich kenne Paris nicht.

– Ich will Sie führen, sagte Arséne.

– O! Ja, ja, rief Hoffmann aus.

– Folgen Sie mir, sagte die junge Frau.

Und mit demselben steifen und automatischen Gange, welcher nichts mit jener entzückenden Geschmeidigkeit gemein hatte, die Hoffmann an der Tänzerin bewundert, begann sie ihm vorauszugehen.

Es fiel dem jungen Manne nicht ein, ihr den Arm zu bieten; er folgte ihr.

Arséne schlug die Straße Royal ein, welche man zu jener Zeit die Straße der Revolution nannte, wandte sich zur Rechten in die Straße Saint-Honoré, welche man ganz kurz Straße Honoré nannte, und indem sie vor der Facade eines prachtvollen Hotels stehen blieb, klopfte sie an.

Die Thür ging sogleich auf.

Der Pförtner blickte Arséne voll Erstaunen an.

– Sprechen Sie, sagte sie zu dem jungen Manne, oder sie werden mich nicht eintreten lassen, und ich wäre genöthigt zurückzukehren und mich an den Fuß der Guillotine zu setzen.

– Mein Freund, sagte Hoffmann hastig, indem er zwischen die junge Frau und den Pförtner trat, als ich durch die Champs Elysées ging, habe ich um Hilfe rufen hören; ich bin zu rechter Zeit herbeigeeilt, um zu verhindern, daß Madame ermordet würde, aber zu spät, um zu verhindern, daß sie beraubt würde. Geben Sie mir schnell Ihr bestes Zimmer, lassen Sie darin ein großes Feuer anzünden und ein gutes Abendessen anrichten. Hier ist ein Louisd'or für Sie.

Und er warf einen Louisd'or auf den Tisch, auf welchem die Lampe stand, Von der alle Strahlen sich auf dem funkelnden Gesichte Ludwigs des XV. zusammen zu ziehen schienen.

Ein Louisd'or war eine große Summe zu jener Zeit, er stellte 925 Franken in Assignaten vor.

Der Pförtner nahm seine schmutzige Mütze ab und schellte. Ein Aufwärter eilte bei diesem Schellen des Pförtners herbei.

– Schnell, schnell, ein Zimmer! Das schönste des Hotels für den Herrn und für Madame.

– Für den Herrn und für Madame? erwiderte der Aufwärter erstaunt, indem er abwechselnd seinen Blick auf das mehr als einfache Kostüm Hoffmanns und auf das mehr als leichte Kostüm Arsénes warf.

– Ja, sagte Hoffmann, das beste, das schönste, daß es besonders gut geheizt und erleuchtet ist; hier ist ein Louisd'or für Sie.

Der Aufwärter schien demselben Einflusse als der Pförtner zu unterliegen, bückte sich vor dem Louisd'or und indem er eine große, wegen der späten Stunde der Nacht nur halb erleuchtete Treppe zeigte, auf deren Stufen aber mit einem zu jener Zeit außerordentlichen Luxus ein Teppich ausgebreitet war, sagte er:

– Gehen Sie hinauf, und warten Sie an der Thüre von No 3.

Hierauf verschwand er im Laufe.

Auf der ersten Stufe der Treppe blieb Arséne stehen.

Die leichte Sylphide schien eine unüberwindliche Schwierigkeit zu empfinden den Fuß zu erheben.

Man hätte glauben können, daß ihre leichten Atlasschuhe Sohlen von Blei hätten.

Hoffmann bot ihr den Arm.

Arséne stützte ihre Hand auf den Arm, den ihr der junge Mann bot, und obgleich er den Druck der Hand der Tänzerin nicht fühlte, fühlte er doch die Kälte, welche sich von diesem Körper dem seinigen mittheilte.

Dann stieg Arséne mit einer gewaltsamen Anstrengung die erste Stufe und allmählig die andern hinauf, aber jede Stufe entriß ihr einen Seufzer.

– O! Arme Frau, murmelte Hoffmann, wie Sie müssen gelitten haben!

– Ja, ja, antwortete Arséne, sehr. . . Ich habe sehr gelitten.

Sie gelangten an die Thüre von Nr. 3.

Aber fast zugleich mit ihnen kam der Aufwärter, welcher eine wahre Gluth trug; er schloß die Thüre des Zimmers auf, und in einem Augenblicke entflammte sich das Kamin und die Kerzen zündeten sich an.

– Sie müssen Hunger haben? fragte Hoffmann.

– Ich weiß nicht, antwortete Arséne.

– Das beste Abendessen, das man uns geben kann, Aufwärter, sagte Hoffmann.

– Mein Herr, bemerkte der Aufwärter, man sagt nicht mehr Aufwärter, sondern Dienstwilliger. Uebrigens bezahlt der Herr so gut, daß er sagen kann wie er will.

Hierauf, entzückt über den Spaß, verließ er das Zimmer, indem er sagte:

– In fünf Minuten das Abendessen!

Als die Thür hinter dem Dienstwilligen wieder verschlossen war, warf Hoffmann die Augen begierig auf Arséne.

Sie hatte solche Eile sich dem Feuer zu nähern, daß sie sich nicht die Zeit genommen hatte einen Sessel an das Kamin zu ziehen; sie hatte sich nur an die Ecke des Heerdes in derselben Stellung gekauert, in welcher Hoffmann sie vor der Guillotine gefunden hatte, und dort, ihre Ellbogen auf ihren Knieen, schien sie damit beschäftigt, mit ihren beiden Händen ihren Kopf auf ihren Schultern gerade zu erhalten.

– Arséne! Arséne! sagte der junge Mann, ich habe Dir gesagt, daß ich reich wäre, nicht wahr? Sieh, und Du wirst sehen, daß ich Dich nicht belogen habe.

Hoffmann begann damit seinen Hut auf dem Tische umzukehren; der Hut war voll Doppellouisd'or und Louisd'or, und sie rollten aus dem Hute auf den Marmor mit jenem Klange von Gold, der so ausgezeichnet und so leicht von jedem andern Klange zu unterscheiden ist.

Dann leerte er nach dem Hute seine Taschen, und eine nach der andern gaben die unermeßliche Beute von sich, die er im Spiele gemacht hatte.

Ein Haufen von beweglichem und glänzendem Golde häufte sich auf dem Tische auf.

Bei diesem Klange schien sich Arséne zu beleben; sie wandte den Kopf um, und das Gesicht schien die von dem Gehöre wieder begonnene Auferstehung zu vollenden.

Sie stand auf, immer noch steif und regungslos, – aber ihre bleiche Lippe lächelte, – aber ihre gläsernen Augen schleuderten, indem sie sich erleuchteten, Strahlen, die sich mit denen des Goldes kreuzten.

– O! sagte sie, – Alles das gehört Dir?

– Nein, nicht mir, sondern Dir, Arséne.

– Mir! äußerte die Tänzerin.

Und sie tauchte ihre bleichen Hände in den Haufen von Metall.

Die Arme des jungen Mädchens verschwanden bis an den Ellbogen.

Nun schien diese Frau, deren Leben das Gold gewesen war, bei der Berührung des Goldes das Leben wieder anzunehmen.

– Mir! sagte sie, mir! und sie sprach diese Worte mit einem bebenden und metallischen Klange aus, der sich auf eine unglaubliche Weise mit dem Klappern der Louisd'ors vereinigte.

Zwei Aufwärter traten ein, die einen ganz gedeckten Tisch trugen, den sie beinahe fallen ließen, als sie diesen Haufen von Reichthümern erblickten, in welchem die krampfhaften Hände des jungen Mädchens wühlten.

– Es ist gut, sagte Hoffmann, Champagner, und lassen Sie uns allein.

Die Aufwärter brachten mehre Flaschen Champagner und zogen sich zurück.

Hinter ihnen verschloß Hoffmann die Thüre, welche er verriegelte.

Hierauf kehrte er mit vor Verlangen glühenden Augen zu Arséne zurück, die er an dem Tische wiederfand, wo sie fortfuhr, nicht aus der Verjüngungsquelle, sondern aus jener Quelle des Pactolus Leben zu schöpfen.

– Nun denn? fragte er sie.

– Das Gold ist etwas Schönes! sagte sie, es war lange her, daß ich keines berührt hatte.

– Nun denn! komm zum Abendessen, äußerte Hoffmann, und nachher, Danaë wirst Du Dich ganz nach Deinem Gefallen in dem Golde baden, wenn Du willst.

Und er zog sie nach dem Tische.

– Mich friert! sagte sie.

Hoffmann blickte um sich; die Fenster und das Bett waren mit rothem Damast behangen; er riß einen Vorhang von dem Fenster ab, und gab ihn Arséne.

Arséne hüllte sich in den Vorhang, der sich von selbst wie die Falten eines alterthümlichen Mantels zu legen schien, und unter dieser rothen Draperie verdoppelte sich der Charakter ihres bleichen Kopfes.

Hoffmann hatte fast Furcht.

Er setzte sich an den Tisch, schenkte sich ein, und trank zwei bis drei Gläser Champagner hintereinander Nun schien es ihm, als ob eine leichte Röthe in Arséne Augen stiege.

Er schenkte ihr gleichfalls ein, und auch sie trank.

Hierauf wollte er sie essen lassen; aber sie schlug es aus, und als Hoffmann in sie drang, sagte sie:

– Ich würde nicht schlucken können.

– Dann laß uns trinken.

Sie reichte ihr Glas hin.

– Ja, trinken wir.

Hoffmann hatte zugleich Hunger und Durst; er aß und trank.

Er trank besonders; er fühlte, daß er Kühnheit nöthig hätte; nicht etwa, daß Arséne, wie in ihrem Hause, geneigt schien, ihm entweder durch die Kraft oder durch die Geringschätzung Widerstand zu leisten, sondern weil irgend etwas Eisiges aus dem Körper der schönen Tischgenossin ausströmte.

In dem Maße, als er trank, belebte sich, zum mindesten in seinen Augen, Arséne; nur, wenn Arséne gleichfalls ihr Glas leerte, so rollten einige rosige Tropfen aus dem unteren Theile des Halsbandes von Sammet auf den Busen der Tänzerin.

Hoffmann sah, ohne zu begreifen, dann, indem er etwas Schreckliches und Geheimnißvolles darunter fühlte, bekämpfte er seinen inneren Schauder, indem er die Toaste vervielfältigte, die er auf die schönen Augen, auf den schönen Mund, ans die schönen Hände der Tänzerin ausbrachte.

Sie that ihm Bescheid, indem sie eben so viel trank, als er, und sich, nicht durch den Wein, den sie trank, sondern durch den Wein, den Hoffmann trank, zu beleben schien.

Plötzlich rollte ein Feuerbrand aus dem Kamine.

Hoffmann folgte der Richtung des Feuerbrandes mit den Augen, der erst anhielt, als er den nackten Fuß Arsénes begegnete.

Ohne Zweifel um sich zu wärmen, hatte Arséne ihre Schuhe und ihre Strümpfe ausgezogen; ihr kleiner marmorweißer Fuß ruhte auf dem Marmor des Kamins, der gleichfalls weiß wie der Fuß war, und mit ihm nur eines auszumachen schien.

Hoffmann stieß einen Schrei aus.

– Arséne, Arséne! sagte er, nehmen Sie Sich in Acht!

– Wovor? fragte die Tänzerin.

– Dieser Feuerbrand. . . dieser Feuerbrand, der Ihren Fuß berührt. . .

Und er bedeckte in der That den Fuß Arsénes zur Hälfte.

– Nehmen Sie ihn weg, sagte sie ruhig.

Hoffmann bückte sich, nahm den Feuerbrand weg, und bemerkte voller Entsetzen, daß nicht die Kohlen den Fuß des jungen Mädchens verbrannt hätten, – sondern daß der Fuß des jungen Mädchens die Kohlen ausgelöscht hätte.

– Trinken wir! sagte er.

– Trinken wir! sagte Arséne.

Und sie reichte ihr Glas hin.

Die zweite Flasche wurde geleert. Hoffmann fühlte indessen, daß die Trunkenheit des Weines ihm nicht genügte.

Er erblickte ein Piano.

– Gut!. . . rief er aus. Er hatte das Mittel eingesehen, welches ihm die Trunkenheit der Musik böte.

Er stürzte auf das Piano zu.

Nun einstand unter seinen Fingern ganz natürlicher Weise die Melodie, nach welcher Arséne in dem Ballette der Oper Paris tanzte, als er sie zum ersten Male gesehen hatte.

Nur schien es Hoffmann, daß die Saiten des Pianos von Stahl wären.

Das Instrument gab für sich allein einen Ton wie den eines ganzen Orchesters von sich.

– Ah! äußerte Hoffmann, das lasse ich mir gefallen!

Er hatte in diesem Geräusche die Trunkenheit gefunden, welche er suchte; Arséne stand gleichfalls bei den ersten Accorden auf.

Diese Accorde schienen ihre ganze Person wie mit einem Feuernetze zu umhüllen.

Sie warf den Vorhang von rothem Damast von sich, und, wie sonderbar, wie eine zaubrische Verwandlung auf der Bühne vor sich geht, ohne daß man weiß durch welches Mittel, so war eine Verwandlung an ihr vorgegangen, und statt ihres grauen Kleides, statt ihrer von Schmuck entblößten Schultern, erschien sie wieder in dem Kostume der Flora, ganz mit Blumen bedeckt, ganz dunstig von Gaze, ganz bebend vor Wollust.

Hoffmann stieß einen Schrei aus, indem er dann die Energie verdoppelte, schien er aus dieser, ganz unter ihren Stahlfiebern bebenden Brust des Klaviers eine höllische Kraft sprühen zu lassen.