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Buch lesen: «Tausend und Ein Gespenst», Seite 52

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XVII.
Der Versucher

Das die Lage Hoffmanns noch weit schrecklicher dadurch machte, daß sie dem Schmerze die Demüthigung hinzufügte, ist, und es war augenscheinlich für ihn, daß er zu Arséne nicht als ein Mann berufen worden war, den sie in dem Orchester der Oper bemerkt hatte, sondern einfach und allein als Maler, als eine Maschine zu Portraits, als ein Spiegel, der die Körper wiedergibt, welche man ihm vorstellt. Daher rührte diese Unbekümmertheit Arsénes, alle ihre Kleider eines nach dem andern vor ihm fallen zu lassen; daher dieses Erstaunen, als er ihr die Hand geküßt hatte, daher der Zorn, als er unter dem derben Kusse, mit dem er ihr die Schulter geröthet, er ihr gesagt hatte, daß er sie liebte.

Und war es in der That nicht Thorheit von ihm, dem einfachen deutschen Studenten, der mit drei bis vier Hundert Thalern, das heißt mit einer unzulänglichen Summe, um den Teppich ihres Vorzimmers zu bezahlen, nach Paris gekommen war, war es nicht eine Thorheit von ihm nach der in der Mode stehenden Tänzerin, nach dem von dem verschwenderischen und wollüstigen Danton unterhaltenen Mädchen zu streben! Diese Frau rührte nicht der Klang der Worte, sondern der Klang des Goldes; ihr Geliebter war nicht der, den sie am Meisten liebte, sondern der, welcher am Meisten bezahlte. Wenn Hoffmann mehr Geld als Danton hätte, so wäre es Danton, den man vor die Thür würfe, sobald Hoffmann käme.

Einstweilen war es klar, daß der, den man vor die Thür geworfen hatte, nicht Danton, sondern Hoffmann war.

Hoffmann schlug, demüthiger und betrübter als er es jemals gewesen war, den Weg nach seinem kleinen Zimmer wieder ein. So lange als er sich nicht Arséne gegenüber befunden, hatte er gehofft; aber das, was er gesehen hatte, diese Gleichgültigkeit gegen ihn als Mann, dieser Luxus, in Mitte dessen er die schöne Tänzerin gefunden hatte, und der nicht allein ihr physisches, sondern auch ihr moralisches Leben war, Alles das machte, wenn nicht eine übermäßige, unerhörte Summe Hoffmann in die Hände fiel, das heißt ohne ein Wunder, dem jungen Manne selbst die Hoffnung des Besitzes unmöglich.

Er kehrte daher auch niedergeschlagen nach Haus zurück; das seltsame Gefühl, welches er für Arséne empfand, ein ganz physisches, ganz anziehendes Gefühl, bei dem das Herz in Nichts betheiligt war, hatte sich bis dahin durch das Verlangen, durch Aufregung, durch Fieber an den Tag gelegt.

In diesem Augenblicke hatten sich Verlangen, Aufregung und Fieber in eine unendliche Niedergeschlagenheit verwandelt.

Eine einzige Hoffnung blieb Hoffmann, nämlich den schwarzen Doctor wiederzufinden und Rath von ihm über das zu verlangen, was er thun müßte, obgleich in diesem Manne etwas Seltsames, Phantastisches, Uebermenschliches lag, das ihn glauben ließ, sobald er sich ihm näherte, daß er aus dem wirklichen Leben herausträte, um in eine Art von Traum einzugehen, in welchen ihm weder sein Wille, noch seine Willenskraft folgte, und in welchem er das Spielwerk einer Welt wurde, die für ihn bestand, ohne für Andere zu bestehen.

Er kehrte daher auch am folgenden Tage zur gewöhnlichen Stunde nach seinem Kaffeehause der Straße de la Monnaie zurück; aber vergebens hüllte er sich in eine Rauchwolke, kein dem des Doctors ähnliches Gesicht erschien in Mitte dieses Rauches; vergebens schloß er die Augen, Niemand saß, als er sie wieder aufschlug, auf dem Schemel, den er auf die andere Seite des Tisches gestellt hatte.

So verflossen acht Tage.

Am achten Tage verließ Hoffmann ungeduldig das Kaffeehaus der Straße de la Monnaie eine Stunde früher als gewöhnlich, das heißt gegen vier Uhr Nachmittags und erreichte durch die Straße Saint-Germain-l'Auxerrois und das Louvre maschinenmäßig die Straße Saint-Honoré.

Kaum befand er sich darin, als er bemerkte, daß eine große Bewegung nach der Seite des Kirchhofes des Innocents entstand, und sich dem Platze des Palais Royal näherte. Er erinnerte sich dessen, was ihm am Tage nach seiner Ankunft in Paris begegnet war, und er erkannte denselben Lärm, dasselbe Getümmel, das ihn bereits zur Zeit der Hinrichtung der Madame Du Barry überrascht hatte. In der That, es waren die Karren der Conciergerie, welche mit Verurteilten beladen sich nach dem Revolutionsplatze begaben.

Man kennt den Abscheu, den Hoffmann für dieses Schauspiel hatte; da die Karren rasch herankamen, stürzte er daher auch in ein Kaffeehaus an der Ecke der Straße de la Loi, indem er der Straße den Rücken wandte, die Augen verschloß und sich die Ohren verstopfte, denn das Geschrei der Madame Du Barry erschallte noch auf dem Grunde seines Herzens; dann, als er vermuthete, daß die Karren vorüber wären, wandte er sich um, und sah zu seinem großen Erstaunen seinen Freund Zacharias Werner, der von einem Stuhle herabstieg, auf den er gestiegen war, um besser zu sehen.

– Werner! rief Hoffmann aus, indem er auf den jungen Mann zustürzte, Werner!

– Ei! Du bist es, äußerte der Dichter, wo warst Du denn?

– Dort, dort, aber die Hände vor meinen Ohren, um das Geschrei dieser Unglücklichen nicht zu hören, und mit geschlossenen Augen, um sie nicht zu sehen.

– Wahrlich, lieber Freund, Du hast Unrecht gehabt, sagte Werner, Du bist Maler! Und das, was Du gesehen hättest, hätte Dir den Gegenstand zu einem wundervollen Bilde geboten. Siehst Du, es befand sich auf dem dritten Karren eine Frau, ein Wunder, ein Hals, Schultern und Haare, freilich hinten abgeschnitten, die aber an jeder Seite bis auf den Boden fielen.

– Höre, sagte Hoffmann, ich habe in dieser Beziehung Alles gesehen, was man Bestes sehen kann; ich habe Madame Du Barry gesehen, und ich habe nicht nöthig Andere zu sehen. Wenn ich jemals ein Gemälde machen will, so glaube mir, daß dieses Orginal mir genügen wird; außerdem will ich keine Gemälde mehr machen.

– Und warum das? fragte Werner.

– Ich habe einen Abscheu gegen die Malerei gefaßt.

– Noch irgend eine getäuschte Hoffnung?

– Mein lieber Werner, wenn ich in Paris bliebe, so würde ich wahnsinnig.

– Du wirst überall wahnsinnig werden, wo Du sein wirst, mein lieber Hoffmann; es ist daher eben so gut in Paris, als anderswo; einstweilen sage mir, was Dich wahnsinnig macht.

– O! Mein lieber Werner, ich bin verliebt.

– In Antonia, ich weiß das, Du hast es mir gesagt.

– Nein; Antonia, äußerte Hoffmann erbebend, Antonia, das ist etwas Anderes, ich liebe sie!

– Den Teufel! Der Unterschied ist spitzfindig; erzähle mir das. Bürger Dienstwilliger, Bier und Gläser!

Die beiden jungen Leute stopften ihre Pfeifen und setzten sich an die beiden Seiten eines in einer der entlegendsten Ecke des Kaffeehauses befindlichen Tisches.

Dort erzählte Hoffmann Werner Alles, was ihm seit dem Tage begegnet war, an welchem er in der Oper gewesen war und Arséne hatte tanzen sehen, bis zu dem Augenblicke, wo er von den beiden Frauen aus dem Boudoir geworfen worden war.

– Nun denn? äußerte Werner, als Hoffmann geendigt hatte.

– Nun denn; wiederholte dieser ganz erstaunt, daß sein Freund nicht eben so niedergeschlagen als er war.

– Ich frage, erwiderte Werner, was liegt in Alle dem Verzweifelndes?

– Daß ich jetzt weiß, mein Lieber, daß man diese Frau nur für Geld haben kann, und ich alle Hoffnung verloren habe.

– Und warum hast Du alle Hoffnung verloren?

– Weil ich niemals fünf Hundert Louisd'or ihr zu Füßen zu werfen haben werde.

– Und warum solltest Du sie nicht haben? Ich habe wohl fünf Hundert Louisd'or, Tausend Louisd'or, zwei Tausend Louisd'or gehabt.

– Und wo sollte ich sie hernehmen, gütiger Gott! rief Hoffmann aus.

– Ei aus dem Eldorado, von dem ich Dir gesprochen habe, aus der Quelle des Pactolus, mein Lieber, aus dem Spiele.

– Aus dem Spiele! äußerte Hoffmann erbebend. Du weißt ja wohl, daß ich Antonia geschworen habe nicht zu spielen.

– Bah! sagte Werner lachend, Du hattest wohl auch geschworen ihr treu zu bleiben.

Hoffmann stieß einen langen Seufzer aus, und drückte das Medaillon an sein Herz.

– Aus dem Spiele, mein Freund! fuhr Werner fort. Ah! Das ist eine Bank! Sie ist nicht wie die von Mannheim oder von Baden, welche wegen einiger armseligen Tausend Livres gesprengt zu werden droht. Eine Million! Mein Freund, eine Million! Haufen von Gold! Dorthin hat sich, wie ich glaube, alles baare Geld von Frankreich geflüchtet; kein schlechtes Papier, keine armseligen herabgesetzten Assignaten, welche drei Viertel von ihrem Werthe verlieren. . . schöne Louisd'or, schöne Doppellouisd'or, schöne Quadrupel! sieh, willst Du deren sehen?

Und Werner zog aus seiner Tasche eine Hand voll Louisd'or, welche er Hoffmann zeigte, und deren Strahlen durch den Spiegel seiner Augen bis auf den Grund seiner Seele drangen.

– O! Nein, nein! Niemals! rief Hoffmann aus, indem er sich zugleich der Prophezeiung des alten Officiers und der Bitte Antonias erinnerte, ich werde niemals spielen!

– Du hast Unrecht; bei dem Glücke, das Du im Spiele hast, würdest Du die Bank sprengen.

– Und Antonia! Antonia!

– Bah! Mein lieber Freund, wer würde es Antonia sagen, daß Du gespielt, daß Du eine Million gewonnen hast; wer wird ihr sagen, daß Du mit fünfundzwanzig Tausend Livres die Laune von Deiner schönen Tänzerin befriedigt hast? Glaube mir, kehre mit neun Hundert fünfundsiebzig Tausend Livres nach Mannheim zurück, und Antonia wird Dich weder fragen, woher Du Deine achtundvierzig Tausend fünf Hundert Livres Einkünfte her hast, noch was Du mit den fehlenden fünfundzwanzig Tausend Livres gemacht hast.

Und indem er diese Worte sagte, stand Werner auf. – Wo gehst Du hin? fragte ihn Hoffmann.

– Ich gehe eine Maitresse zu besuchen, eine Dame der Komödie Francaise, welche mich mit ihrer Güte beehrt, und die ich mit der Hälfte meiner Gewinne belohne. Ah! Ich bin Dichter, ich wende mich an ein literarisches Theater; Du bist Musiker, Du triffst Deine Wahl auf einem Theater des Gesanges und des Tanzes. Gut Glück im Spiel, lieber Freund, alle meine Komplimente an Mademoiselle Arséne. Vergiß die Nummer der Bank nicht, es ist No. 113. Adieu.

– O! murmelte Hoffmann, Du hattest sie mir bereits gesagt, und ich hatte sie nicht vergessen.

Und er ließ seinen Freund Werner sich entfernen, ohne mehr daran zu denken ihn um seine Adresse zu fragen, als er es das erste Mal gethan hatte, wo er ihm begegnet war.

Aber trotz der Entfernung Werners blieb Hoffmann nicht allein. Jedes Wort seines Freundes hatte sich so zu sagen sichtbar und fühlbar gemacht; es war gegenwärtig, vor seinen Augen glänzend, in seine Ohren flüsternd.

In der That, wo konnte Hoffmann Gold schöpfen, wenn es nicht an der Quelle des Goldes war! War das einzig mögliche Gelingen eines unmöglichen Verlangens nicht gefunden? Ei, Mein Gott! Werner hatte es richtig gesagt, war Hoffmann nicht bereits einem Theile seines Schwures untreu? Was lag daher daran, ob er es dem andern auch würde?

Dann, Werner hatte es gesagt, waren es nicht fünfundzwanzig Tausend Livres, fünfzig Tausend Livree, Hundert Tausend Livres, die er gewinnen konnte. Die materiellen Horizonte der Felder, der Wälder, selbst des Meeres, haben eine Grenze, der Horizont des grünen Teppichs hat keine. Der Dämon des Spieles ist wie Satan, er hat die Gewalt, den Spieler auf den höchsten Berg der Erde zu führen, und ihm von da aus alle Reiche der Welt zu zeigen.

Dann, welches Glück, welche Wonne, welchen Stolz, wenn Hoffmann zu Arséne in dieses selbe Boudoir zurückkehrte, aus dem man ihn verjagt hatte! Mit welcher stolzen Geringschätzung würde er diese Frau und ihren schrecklichen Geliebten vernichten, wenn er statt aller Antwort auf die Worte: Was wollen Sie hier? wie ein neuer Jupiter einen goldenen Regen auf die neue Danaë fallen ließe!

Und alles Das war kein Blendwerk seines Geistes, kein Traum seiner Einbildungskraft mehr, alles Das war Wirklichkeit, war möglich. Die Aussichten für den Gewinn wie für den Verlust waren gleich; weit größer für den Gewinn, denn, wie man weiß, war Hoffmann glücklich im Spiele.

O! Diese Numero l 13! Diese Numero 113! Mit ihrer glühenden Zahl, wie sie Hoffmann rief, wie sie ihn, ein höllischer Leuchtthurm, nach diesem Abgrunde leitete, auf dessen Tirfe der Schwindel heult, indem er sich auf einem Lager von Gold wälzt!

Hoffmann kämpfte länger als eine Stunde gegen die glühendste aller Leidenschaften. Als er hierauf nach Verlauf einer Stunde fühlte, daß es ihm unmöglich wäre länger zu widerstehen, warf er ein Fünfzehnsousstück auf den Tisch, indem er dem Dienstwilligen den Ueberschuß schenkte, eilte im Laufe ohne sich aufzuhalten nach den Blumenkai, ging in sein Zimmer hinauf, nahm die drei Hundert Thaler, welche ihm noch übrig blieben, und ohne sich Zeit zur Ueberlegung zu nehmen, sprang er mit dem Ausrufe in einen Wagen;

– Nach dem Palaste Egalité!

XVIII.
Die No. 113

Das Palais Royal, das man zu jener Zeit das Palais Egalité nannte, und das man heut zu Tage das Palais National nennt, denn bei uns ist das Erste, was die Revolutionäre thun, die Namen der Straßen und der Plätze zu ändern, um sie ihnen bei dm Restaurationen wieder zu geben, das Palais Royal, sagen wir, weil es uns unter diesem Namen am geläufigsten ist, war zu jener Zeit nicht, was es heut zu Tage ist; aber als pittoresk, selbst als seltsam, verlor es Nichts dabei, besonders des Abends, besonders zu der Stunde, wo Hoffmann dort ankam.

Seine Einrichtung wich wenig von der ab, welche wir jetzt sehen, ausgenommen, daß das, was heut zu Tage die Galerie d'Orleans heißt, von einer doppelten Galerie von Holz eingenommen war, eine Galerie, welche späterhin einem Spazierplatze von sechs Reihen dorischer Säulen Platz machen sollte; daß statt der Linden sich wilde Kastanienbäume in dem Garten befanden, und daß dort, wo das Bassin ist, sich ein Circus befand, ein großes mit Gittern besetztes und mit Steinplatten eingefaßtes Gebäude, dessen Dachwerk mit Stauden und mit Blumen besetzt war.

Man glaube nicht, daß der Circus das war, was das Schauspielhaus ist. dem wir diesen Namen gegeben haben. Nein, die Seiltänzer und die Künststückemacher, welche sich in dem Palais Egalité zeigten, waren von einer andern Art, als jener englische Akrobat, Herr Price, der einige Jahre zuvor Frankreich so sehr in Erstaunen versetzt hatte, und der die Mazuriers und die Auriols hervorgebracht hat.

Der Circus war zu jener Zeit von den Freunden der Wahrheit eingenommen, welche darin Vorstellungen gaben, und die man spielen sehen konnte, wenn man auf das Journal la Bouche de fer (der Eisenmund) abonnirt war. Mit seiner Nummer vom Morgen war man am Abend an diesem Orte der Vergnügungen zugelassen, und man hörte die Reden aller Verbündeten, welche, wie sie sagten, zu den lobenswerthen Zwecken vereinigt wären, die Regierenden und die Regierten zu beschützen, die Gesetze unpartheiisch zu machen und in allen Ecken der Welt einen Freund der Wahrheit zu suchen, aus welchem Lande, von welcher Farbe, von welcher Meinung er auch sein mögte; dann, wenn die Wahrheit entdeckt, würde man sie den Menschen lehren.

Wie man sieht, hat es in Frankreich immer Leute gegeben, die überzeugt waren, daß es ihnen zukäme, die Massen aufzuklären, und daß der übrige Theil der Menschheit nur ein abgeschmacktes Volk sei.

Was hat der Wind, der vorübergezogen ist, mit den Namen, den Ideen und den Eitelkeiten dieser Leute gemacht?

Der Circus machte indessen seinen Lärm in dem Palais Egalité in Mitte des allgemeinen Lärmens, und vereinigte sein schreiendes Spiel mit dem großen Concerte, das jeden Abend in diesem Garten erwachte.

Denn, wir müssen es sagen, das Palais Royal war zu jenen Zeiten des Elends, der Verbannung, des Schreckens und der Aechtung der Mittelpunkt geworden, wo das den ganzen Tag über in den Leidenschaften und in den Kämpfen unterdrückte Leben des Nachts hin kam, um den Traum zu suchen, und sich zu bemühen, diese Wahrheit zu vergessen, mit deren Aufsuchung sich die Mitglieder des Gesellschaftlichen Kreises und die Actionäre des Circus beschäftigten. Während alle Quartiere von Paris finster und öde waren, während die Unheil bringenden Runden, die aus Kerkermeistern des Tages und aus Henkern des folgenden Tages zusammengesetzt waren, wie wilde Thiere herumstreiften, die irgend eine Beute suchen, während um den häuslichen, eines gestorbenen oder ausgewanderten Freundes oder Verwandten beraubten Heerd herum die, welche geblieben waren, traurig ihre Befürchtungen oder ihre Schmerzen flüsterten, strahlte das Palais Royal wie der Gott des Bösen, und erleuchtete seine Hundert und achtzig Säulen, legte seine Kleinodien an den Fenstern der Juweliere zur Schau, warf endlich unter die Carmagnolen des Volkes und unter das allgemeine Elend seine öffentlichen Mädchen, von Diamanten rieselnd, mit Weiß und Roth geschminkt, gerade so viel, als es bedurfte, um es zu sein, in Seide oder Sammet gekleidet, welche unter den Bäumen und in den Galerien ihre glänzende Schamlosigkeit zur Schau trugen. Es lag in diesem Luxus der Geschändeten ein letzter Hohn gegen die Vergangenheit, eine letzte der Monarchie zugefügte Beleidigung. Diese Geschöpfe mit ihren königlichen Kostümen zur Schau zu stellen, hieß den Koth, nach dem Blute, diesem reizenden Hofe verschwenderischer Frauen, in das Gesicht werfen, von dem Maria Antoinette die Königin gewesen war, und den der revolutionäre Orkan von Trianon nach dem Platze der Guillotine wie ein trunkener Mann fortgetragen hatte, der das weiße Kleid seiner Verlobten in dem Kothe fortschleift.

Der Luxus war den gemeinsten Mädchen überlassen, die Tugend sollte mit Lumpen bedeckt gehen.

Das war eine der von dem Gesellschaftlichen Kreise gefundene Wahrheit.

Indessen legte sich dieses Volk, das der Welt einen so gewaltsamen Antrieb gegeben hatte, dieses Pariser Volk, welchem unglücklicher Weise die Ueberlegung erst nach der Begeisterung kömmt, was verursacht, daß es niemals Kaltblütigkeit genug besitzt, als um sich der Albernheiten zu erinnern, die es begangen hat, das arme, entblößte Volk, sagen wir, legte sich keine vollkommene Rechenschaft über die Philosophie dieses Gegensatzes ab, und es begegnete nicht mit Verachtung, sondern mit Begierde diesen Königinnen schändlich er Orte, diesen abscheulichen Majestäten des Lasters. Dann, wenn die Sinne durch das erregt waren, was man sah, wenn das flammende Auge die Hand an diese Körper legen wollte, die Jedermann angehörten, so verlangte man Gold von ihm, und wenn es dasselbe nicht hatte, so wies man es schimpflicher Weise zurück. So stieß sich überall dieses erhabene, von dem Beile proclamirte, mit Blut geschriebene Princip der Gleichheit, auf das diese Freudenmädchen des Palais Royal das Recht hatten, lachend zu speien.

An Tagen wie diese war die moralische Ueberreizung zu einem solchen Grade gelangt, daß die Wirklichkeit jener seltsamen Gegensätze bedurfte.' Man tanzte nicht mehr auf dem Vulkane, sondern man tanzte in dem Vulkane selbst, und die an eine Luft von Schwefel und von Lava gewöhnten Lungen hätten sich nicht mehr mit den lauen Wohlgerüchen von ehedem begnügt.

So schmückte sich das Palais Royal jeden Abend, indem es mit seinem Feuerkranze Alles erleuchtete. Ein Kuppler von Stein, heulte es über die große traurige Stadt.

– Da ist die Nacht, kommt! Ich habe Alles in mir, das Glück und die Liebe, das Spiel und die Frauen!,Ich verkaufe von Allem, selbst den Selbstmord und den Mord. Ihr, die Ihr seit gestern nicht gegessen habt, Ihr, die Ihr leidet, Ihr, die Ihr weint, kommt zu mir; Ihr werdet sehen, wie reich wir sind, Ihr werdet sehen, wie wir lachen. Ihr habt ein Gewissen oder eine Tochter zu verkaufen! kommt! Ihr werdet Gold erhalten so viel als die Augen sehen, Schlüpfrigkeiten, so viel als die Ohren fassen können; Ihr werdet in dem Laster, in der Verderbniß und in dem Vergessen waden. Kommt heute Abend her, morgen werdet Ihr vielleicht todt sein.

Das war ein gewichtiger Grund. Man mußte leben wie man starb, schnell.

Und man kam.

Unter alle dem war der am meisten besuchte Ort natürlicher Weise der, wo das Spiel stattfand. Dort fand man die Mittel alles Uebrige zu haben.

Unter allen diesen glühenden Höhlen war es daher die No. 113, welche das meiste Licht mit seiner rothen Laterne verbreitete, ein ungeheures Auge dieses trunkenen Cyclopen, den man das Palais Egalité nannte.

Wenn die Hölle eine Nummer hat, so muß es die No. 113 sein.

O! es war für Alles darin gesorgt.

Im Erdgeschosse befand sich ein Restaurant, im ersten Stockwerke befand sich das Spiel; die Brust des Gebäudes enthielt das Herz, das war ganz natürlich; auf dem zweiten Stocke war Gelegenheit vorhanden, die Kraft zu vergeuden, welche der Körper auf dem Erdgeschosse gesammelt, und das Geld, welches die Tasche auf dem ersten Stocke gewonnen hatte.

Es war für Alles gesorgt, wir wiederholen es, damit das Geld das Haus nicht verließe.

Und nach diesem Hause eilte Hoffmann, der poetische Geliebte Antonias.

Die No. 113 war, wo sie heute ist, einige Läden weit von dem Hause Corcèlet.

Kaum war Hoffmann aus seinem Wagen gesprungen, und hatte den Fuß in die Galerie gesetzt, als er, Dank seinem Kostüme als Fremder, das zu jener Zeit wie in unseren Tagen mehr Vertrauen einflößte, als das Nationalkostüm, von den Gottheiten des Ortes angeredet wurde.

Ein Land ist niemals so sehr verachtet, als durch sich selbst.

– Wo ist No. 113? fragte Hoffmann das Mädchen, das seinen Arm genommen hatte.

– Ah! dahin gehst Du, äußerte die Aspasia voll Geringschätzung, nun denn! mein Lieber, dort ist es, wo diese rothe Laterne leuchtet. Aber trachte zwei Louisd'or zu behalten, und erinnere Dich No. 115.

Hoffmann verlor sich in dem angedeuteten Gange, wie Curtius in dem Schlunde, und eine Minute nachher befand er sich in dem Spielsaale.

Es herrschte darin dasselbe Geräusch, wie bei einer öffentlichen Versteigerung.

Wahr ist es, daß man dort gar viele Dinge verkaufte.

Die Säle strahlten von Vergoldungen, von Kronleuchtern, von Blumen und von Frauen, die noch schöner, prachtvoller und entblößter gekleidet waren, als die von unten.

Das Geräusch, welches alle andern übertönte, war das Klingen des Goldes. Dies war das Klopfen jenes unreinen Herzens.

Hoffmann ließ den Saal zur Rechten, in welchem man Trente et Quarante spielte.

Um einen großen grünen Tisch herum saßen die Spieler, Alles für denselben Zweck vereinigte Leute, von denen nicht einer dasselbe Aussehen hatte.

Es befanden sich dort Junge, es befanden sich dort Alte, es befanden sich dort welche, deren Ellbogen auf diesem Tische abgenutzt waren. Unter diesen Leuten gab es welche, die am Tage zuvor, oder am Morgen, oder am selben Abende ihren Vater verloren hatten, und deren ganze Denkkraft auf die sich drehende Kugel gerichtet war. Bei dem Spieler fährt ein einziges Gefühl fort zu leben, nämlich das Verlangen, und dieses Gefühl ernährt und steigert sich zum Nachtheile aller anderen. Herr von Bassompierre, den man in dem Augenblicke, wo er mit Maria von Medicis zu tanzen begann, zu sagen kam: Eure Mutter ist gestorben, und der antwortete: Meine Mutter wird erst dann gestorben sein, wenn ich getanzt habe, Herr von Bassompierre war ein frommer Sohn zur Seite eines Spielers. Ein im Spiele begriffener Spieler, den man so etwas zu sagen käme, würde nicht einmal den Witz des Marquis antworten; zuvörderst, weil das verlorene Zeit wäre, und dann, weil ein Spieler, wenn er niemals ein Herz hat, eben so wenig jemals Witz hat, wenn er spielt.

Wenn er nicht spielt, so ist es dasselbe, er denkt daran zu spielen.

Der Spieler hat alle Tugenden seines Lasters. Er ist nüchtern, er ist geduldig, er ist unermüdlich. Ein Spieler, der mit einem Male zu Gunsten einer rechtschaffenen Leidenschaft, eines erhabenen Gefühles, die unglaubliche Energie sich wenden lassen könnte, die er zu dem Dienste des Spieles stellt, würde auf der Stelle einer der größten Männer der Welt werden. Niemals haben Cäsar, Hannibal oder Napoleon, selbst mitten in der Ausführung ihrer größten Thaten, eine der Kraft des gemeinsten Spielers gleiche Kraft gehabt. Der Ehrgeiz, die Liebe, die Sinne, das Herz, der Verstand, das Gehör, der Geruch, das Gefühl, kurz alle Lebenskräfte des Menschen vereinigen sich in einem einzigen Worte und zu einem einzigen Zwecke: zu spielen. Und man glaube nicht, daß der Spieler spielt, um zu gewinnen. Anfangs fängt er damit an, aber am Ende spielt er, um zu spielen, um Karten zu sehen, um Gold in den Händen zu haben, um jene außerordentlichen Gemüthsbewegungen zu empfinden, welche keinen Vergleich in irgend einer anderen Leidenschaft des Lebens hüben, welche machen, daß vor dem Gewinne oder dem Verluste, diesen beiden Polen, von denen der Spieler mit der Schnelligkeit des Windes von dem einen zu dem andern geht, von denen der eine wie das Feuer brennt, von denen der andere wie das Eis erstarrt, welche machen, sagen wir, daß sein Herz in seiner Brust unter dem Verlangen oder der Wirklichkeit wie ein Pferd unter dem Sporne springt, wie ein Schwamm alle Kräfte der Seele einsaugt, sie unterdrückt, sie zurückhält, und, wenn das Spiel gespielt, sie ungestüm um sich herum zurückwirft, um sie mit mehr Kraft wieder zu ergreifen.

Was die Leidenschaft des Spieles weit stärker als alle anderen macht, ist das, da sie niemals gestillt werden kann, sie niemals ermüdet werden kann. Es ist eine Geliebte, die sich immer verspricht, und die sich niemals hingiebt. Sie tödtet, aber sie ermüdet nicht.

Die Leidenschaft des Spieles ist die Hysterie des Mannes.

Für den Spieler ist Alles todt, Familie, Freunde, Vaterland. Sein Horizont ist die Karte oder die Kugel. Sein Vaterland ist der Stuhl, auf den er sich setzt, ist der grüne Teppich, auf den er sich stützt. Man verdamme ihn zum Roste wie den heiligen Laurentius, und man lasse ihn darauf spielen, so wette ich, daß er das Feuer nicht fühlt, und daß er sich nicht einmal umwendet.

Der Spieler ist schweigsam, die Sprache kann ihm zu Nichts dienen. Er spielt, er gewinnt, er verliert; er ist kein Mensch mehr, er ist eine Maschine. Warum sollte er sprechen?

Das Geräusch, welches in den Sälen stattfand, rührte demnach nicht von den Spielern her, sondern von den Croupiers, welche das Gold zusammenscharrten und die mit näselnder Stimme riefen:

In diesem Augenblicke war Hoffmann kein Beobachter mehr, die Leidenschaft beherrschte ihn zu sehr, sonst hätte er da eine Reihe merkwürdiger Studien zu machen gehabt.

Er schlich sich rasch unter die Spieler und gelangte an den Saum des Teppichs. Er befand sich da zwischen einem stehenden, mit einer Carmagnole bekleideten Manne, und einem Greise, welcher saß, und Berechnungen mit einem Bleistifte auf Papier machte.

Dieser Greis hatte sein Leben damit zugebracht, eine Martingale zu suchen, wandte seine letzten Tage dazu an sie in Ausübung zu bringen, und seine letzten Goldstücke, um sie scheitern zu sehen. Die Martingale ist unauffindbar, wie die Seele.

Zwischen den Köpfen aller dieser sitzenden und stehenden Männer erschienen Köpfe von Frauen, die sich auf ihre Schultern stützten, die in ihrem Golde wühlten, und die mit einer Geschicklichkeit ohne Gleichen, und indem sie nicht spielten, das Mittel fanden, von dem Gewinne der Einen und dem Verluste des Andern zu gewinnen.

Wenn man diese Schalen voll Gold und diese Pyramiden von Silber sah, so hätte man große Mühe gehabt, zu glauben, daß das allgemeine Elend so groß wäre, und daß das Gold so theuer zu stehen käme.

Der Mann in der Carmagnole warf ein Paquet Papiere auf eine Nummer.

– Fünfzig Livres, sagte, er um sein Spiel zu melden.

– Was ist das? fragte der Croupier, indem er diese Papiere mit seinem Rechen, an sich zog und sie mit den Fingerspitzen ergriff.

– Es sind Assignaten, antwortete der Mann.

– Sie haben kein anderes Geld als dieses da? äußerte der Croupier.

– Nein, Bürger.

– Dann können Sie einem Andern Platz machen.

– Warum?

– Weil wir das da nicht nehmen.

– Es ist das Geld der Regierung.

– Um so besser für die Regierung, wenn sie sich seiner bedient! wir wollen es nicht.

– Ab! schön! sagte der Mann, indem er seine Assignaten zurücknahm, das ist ein närrisches Geld, man kann es nicht einmal verlieren.

Und er entfernte sich, indem er seine Assignaten in seinen Händen zusammenballte.

– Faites vos jeux! rief der Croupier.

Wie wir wissen, war Hoffmann Spieler; aber dieses Mal kam er nicht wegen des Spiels, sondern wegen des Geldes.

Das Fieber, welches ihn verzehrte, ließ seine Seele in seinem Körper, wie das Wasser in einer Vase sieden.

– Hundert Thaler auf No. 26, rief er aus.

Der Croupier untersuchte das deutsche Geld, wie er die Assignaten untersucht hatte.

– Gehen Sie, es zu wechseln, sagte er zu Hoffmann, wir nehmen nur französisches Geld.

Hoffmann ging wie ein Wahnsinniger hinab, trat zu einem Wechsler ein, der zufällig ein Deutscher war, und wechselte seine drei Hundert Thaker gegen Gold, das heißt, gegen ohngefähr vierzig Louisd'or.

Das Roulette hatte sich während dieser Zeit drei Male gedreht.

– Fünfzehn Louisd'or auf No. 26! rief er aus, indem er an den Tisch stürzte, und mit jenem unglaublichen Aberglauben der Spieler bei der Nummer stehen blieb, die er anfangs aus Zufall gewählt hatte, und weil es die war, welche der Mann mit den Assignaten hatte spielen wollen.

– Rien ne va plus! rief der Croupier aus.

Die Kugel drehte sich.

Der Nachbar Hoffmanns raffte zwei Hände voll Gold auf und warf sie in seinen Hut, den er zwischen seinen Beinen hielt, aber der Croupier zog die fünfzehn Louisd'or Hoffmanns und gar viele andere ein.

Es war No. 16, welche gewonnen hatte.

Hoffmann fühlte einen kalten Schweiß, der ihm wie ein Netz von Stahl die Stirn bedeckte.

– Fünfzehn Louisd'or auf No. 26! wiederholte er. Andere Stimmen sagten andere Nummern, und die Kugel drehte sich nochmals.

Dieses Mal war Alles der Bank. Die Kugel war in die Null gerollt.

– Zehn Louisd'or auf No. 26! murmelte Hoffmann mit erstickter Stimme; indem er sich hierauf eines andern besann, sagte er:

– Nein, nur neun, und er zog ein Goldstück wieder zurück, um sich ein letztes Spiel, eine letzte Hoffnung zu lassen.

Es war No. 30, welche gewann.

Das Gold zog sich von dem Teppiche zurück, wie die Fluth von dem Ufer während der Ebbe.

Hoffmann, dessen Herz stöhnte, und der durch das Klopfen der Pulse seines Gehirnes den spöttischen Kopf Arsénes und das traurige Gesicht Antonias sah, Hoffmann legte mit krampfhafter Hand seinen letzten Louisd'or auf No. 26.