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Buch lesen: «Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1», Seite 29

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XXXVIII.
Die Vorstellung

Versailles, wie Alles, was groß ist, ist schön und wird schön sein.

Mag das Moos seine niedergeworfenen Steine zernagen, mögen seine Götter von Blei, von Bronze oder Marmor in seinen wasserlosen Bassins liegen, mögen seine großen Alleen von beschnittenen Bäumen zerzaust und ohne Blätter zum Himmel emporragen. es wird stets, und wäre es auch unter Trümmern, ein prachtvolles, ergreifendes Schauspiel für den Träumer oder den Dichter bieten, der von dem großen Balcon aus die ewigen Horizonte betrachtet, nachdem er die ephemeren Herrlichkeiten beschaut hat.

Aber besonders in seinem Leben und in seiner Glorie war Versailles herrlich anzuschauen  . . . wenn ein Volk ohne Waffen, im Zaume gehalten von einem Volke glänzender Soldaten, mit seinen Wellen die vergoldeten Gitter peitschte, wenn die Carrossen von Sammet, Seide und Atlaß, mit den stolzen Wappen, im Galopp ihrer muthigen Pferde auf dem sonoren Pflaster rollten; wenn alle Fenster, beleuchtet wie die eines Zauberpalastes, eine von Diamanten, Rubinen und Saphiren funkelnde Welt sehen ließen, welche die Geberde eines einzigen Menschen beugte, wie es der Wind mit den goldenen Halmen thut, welche mit weißen Maslieben, azurnen Kornblumen und purpurrotem Feldmohn vermischt sind  . . . ja, Versailles war schön, besonders wenn es durch alle seine Thore Courriere an alle Mächte schleuderte, und wenn die Könige, die Fürsten, die Herren des hohen Adels, die Officiere, die Gelehrten der civilisirten Welt sich auf seinen reichen Teppichen und kostbaren Mosaiken drängten.

Aber vor Allem, wenn es sich für eine große Ceremonie schmückte, wenn die Herrlichkeiten seiner Geräthekammern und die großen Beleuchtungen den Zauber seiner Reichthümer verdoppelten, bot Versailles den kältesten Geistern einen Begriff von allen den Wundern, welche die Einbildungskraft und die Macht des Menschen zu ersinnen im Stande sind.

So war es bei der Ceremonie des Empfangs eines Botschafters, so auch für die einfachen Edelleute bei der Ceremonie der Vorstellung, Nach dem Willen von Ludwig XIV., dem Schöpfer der Etiquette, welche jeden in einen Raum einschloß, dessen Schranken unübersteigbar blieben, sollte die Einweihung in die Herrlichkeiten seines königlichen Lebens die Auserwählten mit einer solchen Ehrfurcht erfüllen, daß sie den Palast des Königs stets nur als einen Tempel betrachten würden, in welchem sie das Recht hätten, den gekrönten Gott an einem dem Altar mehr oder minder nahe liegenden Platze zu verehren.

So hatte Versailles, allerdings bereits entartet, der immer noch glänzend, für die Vorstellung von Madame , Dubarry alle seine Thüren geöffnet, alle seine Kerzen angezündet, alle seine Herrlichkeiten zur Schau gestellt. Das Volk der Neugierigen, ein ausgehungertes, elendes Volk, das aber seltsamer Weise sein Elend und seinen Hunger bei dem Anblick so vieler Blendwerke vergaß, hielt die ganze Place d’Armes und die ganze Avenue de Paris besetzt. Das Schloß strömte das Feuer durch alle Fenster aus und seine Girandolen glichen in der Ferne in einem Goldstaube schwimmenden Gestirnen.

Der König verließ seine Gemächer auf den Schlag zehn Uhr. Er war mehr als gewöhnlich geschmückt, das heißt, seine Spitzen waren reicher, und die Schnallen an seinen Kniebändern und an seinen Schuhen hatten allein einen Werth von einer Million. Er war durch Herrn von Sartines von der Verschwörung unterrichtet worden, welche sich am Tage zuvor unter den eifersüchtigen Damen angezettelt hatte; seine Stirne war auch sorgenvoll, denn er befürchtete nur Männer in der Gallerie zu sehen.

Doch er wurde bald beruhigt, als er in dem besonders für die Vorstellungen bestimmten Salon der Königin in einer Wolke von Spitzen und Puder, worin die Diamanten wimmelten, zuerst seine drei Töchter, dann die Marschallin von Mirepoir, welche am Abend zuvor so viel Lärmen gemacht, und endlich alle die Stürmischen erblickte, die zu Hause zu bleiben geschworen hatten, und sich nun in der ersten Reihe fanden.

Der Herzog von Richelieu lief wie ein General von der einen zur andern und sagte:

»Ah! ich ertappe Sie.«

Oder auch:

»Ich war überzeugt, daß Sie abfallen würden.«

Oder:

»Was sagte ich Ihnen in Beziehung auf Verschwörungen?«

»Aber Sie selbst, Herzog?« antwortete die Dame.

»Ich, ich vertrat meine Tochter, ich vertrat die Gräfin Egmont, Suchen Sie, Septimanie ist nicht hier; sie allein hat mit Frau von Grammont und Frau von Guémenée ausgehalten; ich bin auch meiner Sache gewiß, morgen trete ich meine fünfte Verbannung oder meine vierte Bastille an. Ich conspirire entschieden nicht mehr.«

Der König erschien. Es trat ein tiefes Stillschweigen ein, unter welchem man zehn Uhr, die feierliche Stunde, schlagen hörte. Seine Majestät war umgeben von einem zahlreichen Hofe. Sie hatte mehr als fünfzig Edelleute bei sich, welche sich nicht geschworen hatten, zu der Vorstellung zu kommen, und aus diesem Grunde ohne Zweifel insgesammt gegenwärtig waren.

Der König bemerkte sogleich, daß Frau von Grammont, Frau von Guémenée und die Gräfin Egmont bei dieser glänzenden Versammlung fehlten.

Er näherte sich Herrn von Choiseul, der eine große Ruhe heuchelte, und trotz aller Anstrengung nur zu einer falschen Gleichgültigkeit gelangte.

»Ich sehe die Frau Herzogin von Grammont nicht hier?« sagte er.

»Sire,« antwortete Herr von Choiseul, »meine Schwester ist krank und hat mich beauftragt, Seiner Majestät ihre unterthänigste Ehrfurcht zu bezeigen.«

»Das ist schlimm!« erwiederte der König und wandte Herrn von Choiseul den Rücken zu.

Da fand er den Prinzen von Guémenée sich gegenüber.

»Und wo ist die Prinzessin von Guémenée,« sagte er, »haben Sie sie nicht mitgebracht?«

»Unmöglich, Sire, die Prinzessin ist krank; als ich sie abholen wollte, fand ich sie im Bette.«

»Ah! das ist schlimm, sehr schlimm!« sprach der König. »Ah! hier ist der Marschall. Guten Abend Herzog.«

»Sire,« machte der alte Höfling, indem er sich mit der Geschmeidigkeit eines jungen Mannes verbeugte.

»Sie sind nicht krank, Sie,« sagte der König so laut, daß es die Herren von Choiseul und Guémenée hören mußten.

»Sire,« antwortete der Herzog von Richelieu, »so oft es sich für mich um das Glück handelt, Eure Majestät zu sehen, befinde ich mich vortrefflich.«

»Aber Ihre Tochter, die Gräfin Egmont,« versetzte der König umherschauend, »wie kommt es, daß sie nicht hier ist?«

Der Herzog, als er sah, daß man ihn hörte, nahm eine Miene tiefer Traurigkeit an und sprach:

»Ach! Sire, meine arme Tochter ist sehr unglücklich, daß sie nicht die Ehre haben kann, ihre unterthänigste Huldigung Eurer Majestät zu Füßen zu legen, besonders diesen Abend; aber krank, Sire, krank  . . .«

»Sehr schlimm!« sprach der König. »Krank! Frau von Egmont, die schönste Gesundheit Frankreichs. Schlimm, sehr schlimm!«

Und der König verließ Herrn von Richelieu. wie er Herrn von Choiseul und Herrn von Guémenée verlassen hatte.

Dann vollendete er die Runde in seinem Salon und begrüßte besonders Frau von Mirepoir, welche sich nicht behaglich fühlte.

»Das ist der Lohn für den Verrath,« flüsterte ihr der Marschall in’s Ohr; »morgen werden Sie mit Ehren überhäuft werden, während wir!  . . . ich zittere, wenn ich nur daran denke.«

Und der Herzog stieß einen Seufzer aus.

»Aber mir scheint, Sie haben die Choiseul nicht übel verrathen, da Sie hier sind  . . . Sie hatten geschworen  . . .«

»Für meine Tochter, Marschallin, für meine arme Septimanie! Sie fällt nun in Ungnade, weil sie zu treu gewesen ist.«

»Ihrem Vater!« erwiederte die Marschallin.

Der Herzog gab sich den Anschein, als hörte er diese Antwort nicht, welche für ein Epigramm gelten konnte.

»Aber kommt es Ihnen nicht vor, als wäre der König unruhig?« sagte er.

»Bei Gott! er hat wohl Ursache.«

»Wie?«

»Es ist ein Viertel über zehn Uhr.«

»Ah! das ist wahr, und die Gräfin kommt nicht. Hören Sie, Marschallin, soll ich Ihnen etwas sagen?«

»Sprechen Sie.«

»Ich hege eine Befürchtung.«

»Welche?«

»Ich befürchte, es ist der armen Gräfin etwas Aergerliches begegnet. Sie müssen das wissen?«

»Warum ich?«

»Ganz gewiß, Sie schwammen bis an den Hals in der Verschwörung.«

»Nun!« erwiederte die Marschallin, »im Vertrauen, Herzog, ich habe bange wie Sie.«

»Unsere Freundin, die Herzogin, ist eine harte Gegnerin, welche im Fliehen verwundet, nach der Weise der Parther; sie ist aber geflohen. Sehen Sie, wie unruhig Herr von Choiseul ist, trotz seines Bestrebens, ruhig zu erscheinen; er kann nicht auf einer Stelle bleiben und verliert den König nicht aus dem Gesicht. Gestehen Sie mir, es ist etwas von ihnen angezettelt worden.«

»Ich weiß es nicht, Herzog, aber ich bin auch Ihrer Meinung.«

»Wohin wird sie das führen?«

»Zu einer Verzögerung, lieber Herzog, und Sie kennen das Sprichwort: Zeit gewonnen, Alles gewonnen. Morgen kann ein unvorhergesehenes Ereigniß eintreten, das diese Vorstellung auf unbestimmte Zeit hinausschiebt. Die Dauphine kommt vielleicht morgen nach Compiègne, statt in vier Tagen zu kommen. Man wollte vielleicht nur Zeit bis morgen gewinnen!«

»Marschallin, wissen Sie, daß Ihr kleines Mährchen für mich ganz das Aussehen einer Wirklichkeit hat? Bei Gott, sie kommt nicht!«

»Und der König wird ungeduldig, sehen Sie.«

»Es ist das dritte Mal, daß er sich dem Fenster nähert. Der König leidet in der That.«

»Dann wird es sogleich noch schlimmer sein.«

»Warum dies?«

»Hören Sie. Es ist zehn Uhr und zwanzig Minuten.

»Ich kann es Ihnen nun sagen.«

»Sprechen Sie.«

Die Marschallin schaute umher und flüsterte ihm dann zu:

»Sie wird nicht kommen.«

»Ah! guter Gott, Marschallin, das wird ein abscheulicher Scandal werden.«

»Stoff zu einem Prozeß, Herzog, zu einem Criminalprozeß, zu einem Capitalprozeß, denn in Allem dem findet sich, ich habe es von guter Hand, Entführung, Gewaltthat, Majestätsbeleidigung, wenn man will, die Choiseul haben um Alles gegen Alles gespielt.«

»Das ist sehr unklug von ihnen.«

»Was wollen Sie, die Leidenschaft ist blind!«

»Darum ist es ein Vortheil, nicht leidenschaftlich zu sein, wie wir; man sieht wenigstens klar.«

»Sehen Sie, der König nähert sich abermals dem Fenster.«

Ludwig XV. näherte sich in der That dem Kreuzstock und stützte seine Hand auf die ciselirte Espagnolette26 und seine Stirne an die kühlen Scheiben.

Mittlerweile hörte man, wie das Rascheln von Laubwerk vor dem Sturme, die Gespräche der Höflinge tönen.

Aller Augen gingen von der Pendeluhr auf den König über.

Die Uhr schlug halb. Ihr reiner Klang schien auf dem Stahl zu spielen und die Vibrirung erlosch zitternd in dem weiten Saal.

Herr von Maupeou näherte sich dem König und sagte schüchtern:

»Schönes Wetter, Sire.«

»Herrlich, herrlich. Können Sie das begreifen, Herr von Maupeou?«

»Was, Sire?«

»Diese Zögerung. Arme Gräfin!«

»Sie muß krank sein, Sire,« versetzte der Kanzler.

»Es läßt sich begreifen, daß Frau von Grammont krank ist, daß Frau von Guémenée krank ist, und daß auch Frau von Egmont krank ist; aber die Gräfin krank, das begreift sich nicht.«

»Sire. eine starke Gemüthsbewegung kann krank machen, und die Freude der Gräfin war so groß!«

»Ah! es ist vorbei,« sagte Ludwig XV. den Kopf schüttelnd, »es ist vorbei; nun wird sie nicht mehr kommen.«

Der König hatte zwar diese letzten Worte mit leiser Stimme gesprochen, aber es herrschte ringsum eine solche Stille, daß sie beinahe von. allen Anwesenden gehört wurden. Doch diese hatten noch nicht Zeit gehabt, nur mit dem Gedanken daraus zu antworten, als ein gewaltiges Geräusch von Carrossen unter dem Gewölbe erscholl.

Alle Stirnen schwankten, alle Augen befragten sich gegenseitig.

Der König verließ das Fenster und stellte sich mitten im Saale auf, um durch die Enfilade der Gallerie zu sehen.

»Ich befürchte sehr, wir erhalten eine schlimme Nachricht,« sagte die Marschallin dem Herzog in das Ohr.

Doch plötzlich erglänzte das Antlitz des Königs, der Blitz sprang aus seinen Augen.

»Die Frau Gräfin Dubarry!« rief der Huissier dem Oberceremonienmeister zu.

»Die Frau Gräfin von Béarn!«

Diese zwei Namen machten alle Herzen unter sehr entgegengesetzten Empfindungen springen. Unwiderstehlich durch die Neugierde fortgerissen, rückte eine Woge von Höflingen gegen den König vor.

Frau von Mirepoir befand sich am nächsten bei Ludwig XV.

»Ob! wie schön ist sie! wie schön ist sie!« rief die Marschallin, indem sie die Hände faltete, als wollte sie in Anbetung versinken.

Der König wandte sich um und lächelte der Marschallin zu.

»Das ist keine Frau, das ist eine Fee,« sprach der Herzog von Richelieu.

Der König sandte das Ende seines Lächelns an die Adresse des alten Höflings ab.

Die Gräfin war in der That nie so schön gewesen, nie hatten eine solche Lieblichkeit des Ausdrucks, nie eine besser gespielte Aufregung, ein bescheidenerer Blick, ein edlerer Wuchs, ein zierlicherer Gang die Bewunderung im Salon der Königin hervorgerufen, der indessen, wie gesagt, der Salon der Vorstellungen war.

Schön zum Bezaubern, reich ohne Gepräge, besonders zum Entzücken frisirt, schritt die Gräfin vor, an der Hand geführt von Frau von Béarn, welche trotz furchtbarer Leiden nicht hinkte, keine Miene verzog, während sich jedoch die Schminke in vertrockneten Atomen ablöste, so sehr zog sich das Leben aus ihrem Gesichte zurück, so schmerzlich bebte jede Fiber in ihr, bei der geringsten Bewegung ihres verwundeten Beines.

Alle Welt hatte die Augen auf die seltsame Gruppe geheftet.

Am Halse entblößt, wie zur Zeit ihrer Jugend, schien die alte Gräfin mit ihrer einen Fuß hohen Frisur, mit ihren großen, hohlen Augen, welche glänzten wie die eines Nachtraben, mit ihrer prächtigen Toilette und dem Gange eines Skelettes das Bild der verflossenen Zeit, welche’ die Hand der gegenwärtigen Zeit reichte.

Diese trockene, kalte Würde, welche die wollüstige und zugleich wohlanständige Grazie führte, erregte die Bewunderung und besonders das Erstaunen beinahe aller Anwesenden.

Der Contrast war so schlagend, daß es dem König vorkam, als brächte ihm Frau von Béarn seine Geliebte jünger, frischer, lachender, als er sie je gesehen.

In dem Augenblick, wo die Gräfin nach der Etiquette das Knie beugte, um dem König die Hand zu küssen, nahm sie Ludwig XV. beim Arm und hob sie mit einem Worte auf, das die Belohnung für Alles war, was sie seit vierzehn Tagen gelitten hatte.

»Zu meinen Füßen, Gräfin!« sprach der König; »Sie scherzen!  . . . ich sollte, und ich möchte besonders zu Ihren Füßen sein.«

Dann öffnete der König die Arme, wie es das Ceremonie vorschrieb, doch statt sich nur den Anschein zu geben, als küßte er, küßte er diesmal wirklich.

»Sie haben da einen schönen Täufling, Madame,« sagte er zu Frau von Béarn; »doch sie hat auch eine Pathin, welche ich mit der größten Freude an meinem Hofe wiedersehe.«

Die alte Dame verbeugte sich.

»Begrüßen Sie meine Töchter, Gräfin,« sagte leise der König zu Madame Dubarry, »Zeigen Sie ihnen, daß Sie die Verbeugung zu machen wissen. Ich hoffe, Sie werden mit ihrer Erwiederung nicht unzufrieden sein.«

Die zwei Damen setzten ihre Wanderung durch einen großen, leeren Raum fort, der sich um sie bildete, während sie vorrückten, den jedoch die funkelnden Blicke mit ihren brennenden Flammen zu füllen schienen.

Als die drei Töchter des Königs Madame Dubarry ans sich zukommen sahen, erhoben sie sich wie Federn und warteten.

Ludwig XV. wachte. Seine auf Mesdames gehefteten Blicke schärften diesen die zuvorkommendste Höflichkeit ein.

Ein wenig bewegt erwiederten Mesdames die Verbeugung von Madame Dubarry, welche sich viel tiefer neigte, als es die Etiquette vorschrieb, was als ein Beweis des besten Geschmacks betrachtet wurde und die Prinzessinnen dergestalt rührte, daß sie die Gräfin küßten, wie dies der König gethan, und zwar mit einer Herzlichkeit, über welche der König entzückt war.

Von da an wurde der Erfolg der Gräfin zu einem Triumph und die langsamsten oder die ungeschicktesten Höflinge mußten eine Stunde warten, ehe es ihnen gelang, ihren Gruß bei der Königin des Festes anzubringen.

Diese nahm ohne Hochmuth, ohne Zorn, ohne ein Zeichen des Vorwurfes alle Zuvorkommenheiten auf, und schien jeden Verrath zu vergessen. Und es war nichts Gespieltes in diesem großmüthigen Wohlwollen; ihr Herz überströmte von Freude und hatte keinen Raum mehr für ein einziges Gefühl des Hasses.

Herr von Richelieu war nicht umsonst der Sieger von Mahon: er wußte zu manoeuvriren. Indeß sich die gewöhnlichen Höflinge während der Verbeugungen an ihrem Platze hielten und den Ausgang der Vorstellung abwarteten, um das Idol zu beweihrauchen oder zu verleumden, nahm der Marschall seine Stellung hinter dem Stuhle der Gräfin, und ähnlich einem Cavalerieanführer, der sich auf hundert Klafter in der Ebene aufpflanzt, um die Ausbreitung einer Reihe bei dem richtigen Schwenkungspunkt zu erwarten, wartete der Herzog ans Madame Dubarry und mußte sich natürlich in ihrer Nähe finden, ohne gedrängt zu werden. Frau von Mirepoir, welche das Glück kannte, dessen ihr Freund stets im Kriege theilhaftig gewesen war, ahmte dieses Manoeuvre nach und näherte ihr Tabouret unmerklich dem der Gräfin.

Unterstützt durch die Liebe des Königs, durch den freundlichen Empfang von Mesdames und den Beistand ihrer Pathin, ließ die Gräfin einen minder schüchternen Blick auf den um den König stehenden Männern umherlaufen und suchte, ihrer Stellung sicher, ihre Feindinnen unter den Frauen.

Ein undurchsichtiger Körper unterbrach die Perspective.

»Ah! Herr Herzog!« sagte sie, »ich mußte hierher kommen, um Ihnen zu begegnen.«

,Wie so, Madame? fragte der Herzog.

»Ja, es sind etwa acht Tage, daß man Sie nicht mehr gesehen hat, nicht in Versailles, nicht in Paris, nicht in Luciennes.«

»Ich habe mich auf das Vergnügen vorbereitet, Sie diesen Abend hier zu finden,« erwiederte der alte Höfling.

»Sie haben es vielleicht vorhergesehen?«

»Ich war dessen gewiß.«

»Ei, ei, Herzog, was für ein Mann sind Sie, Sie wußten das und setzten mich nicht davon in Kenntniß, mich, Ihre Freundin, mich, die ich nichts davon wußte.«

»Wie Madame, Sie wußten nicht, daß Sie hierherkommen sollten?«

»Nein. Ich war ungefähr wie Aesop, als ihn eines Tags eine Person der Obrigkeit auf der Straße anhielt. ‚Wohin gehst du?’ fragte ihn diese. ‚Ich weiß es nicht,’ antwortete der Fabeldichter. ‚Ah! wirklich, dann gehst du in’s Gefängniß.’ ‚Du siehst, daß ich nicht wußte, wohin ich ging.’ Ebenso konnte ich glauben, ich gehe nach Versailles, aber ich war dessen nicht sicher genug, um es zu sagen. Sie würden mir daher einen Gefallen gethan haben, wenn Sie mich besucht hätten  . . . doch mm werden Sie kommen, nicht wahr?«

»Madame,« sprach Richelieu, ohne daß er nur im Geringsten von diesem Spott bewegt zu sein schien, »ich begreife nicht, warum Sie nicht sicher waren, hierher zu kommen.«

»Ich will es Ihnen sagen: ich war von Fallen umgeben.«

Und sie schaute den Herzog an, der ihren Blick unstörbar aushielt.

»Fallen! ah, guter Gott! was sagen Sie mir da, Gräfin?«

»Erstens hat man mir meinen Friseur gestohlen.«

»Oh! oh! Ihren Friseur!«

»Ja!«

»Warum ließen Sie mir das nicht sagen! ich hätte Ihnen (doch ich bitte, sprechen wir leise), ich hätte Ihnen eine Perle, einen Schatz geschickt, den Frau von Egmont ausgegraben hat, einen Künstler, der hoch über allen Perruquiers, über allen königlichen Friseurs steht, meinen kleinen Léonard.«

»Léonard!« rief Madame Dubarry.

»Ja; einen kleinen, jungen Mann, der Septimanie frisirt und den sie vor aller Äugen verbirgt, wie Harpagon seine Casse. Uebrigens dürfen Sie sich nicht beklagen, Gräfin, Sie sind vortrefflich und schon zum Entzücken frisirt, und seltsamer Weise gleicht die Zeichnung Ihres Kopfputzes der Skizze, welche gestern Frau Egmont von Boucher verlangte, und der sie sich selbst zu bedienen gedachte, wenn sie nicht krank geworden wäre. Arme Septimanie!«

Die Gräfin bebte und schaute den Herzog noch fester an als zuvor; aber der Herzog blieb lächelnd und undurchdringlich.

»Doch verzeihen Sie, Gräfin, ich habe Sie unterbrochen, Sie sprachen von Fallen?  . . .«

»Ja, nachdem man mir meinen Friseur gestohlen, entwendete man mir auch mein Staatskleid, ein reizendes Kleid.«

»Oh! das ist abscheulich; doch Sie konnten in der That das, welches man Ihnen entwendet hat, entbehren; denn ich sehe, Sie sind in einen wundervollen Stoff gekleidet, nicht wahr, es ist chinesische Seide mit aufgelegten Blumen? Nun, hätten Sie sich in Ihrer Verlegenheit an mich gewendet, wie Sie es in Zukunft thun müssen, so würde ich Ihnen das Kleid geschickt ’haben, welches sich meine Tochter für ihre Vorstellung machen ließ, und das dem Ihrigen. so ähnlich ist, daß ich schwören würde, es sei dasselbe.«

Madame Dubarry faßte die beiden Hände des Herzogs, denn sie fing an zu begreifen, wer der Zauberer war, der sie der Verlegenheit entrissen hatte.

»Wissen Sie, in welchem Wagen ich gekommen bin, Herzog?« sagte sie.

»Nein, wahrscheinlich in dem Ihrigen.«

»Herzog, man hatte mir meinen Wagen gestohlen wie mein Staatskleid, wie meinen Friseur.«

»Das war also ein allgemeiner Hinterhalt? In welchem Wagen sind Sie denn gekommen?«

»Sagen Sie mir zuerst, wie der Wagen von Frau von Egmont ist.«

»Meiner Treue! ich glaube in der Voraussicht dieses Abends bestellte sie sich einen mit weißem Atlaß ausgeschlagenen Wagen. Aber man halte nicht mehr Zeit, ihr Wappen darauf zu malen.«

»Ja, nicht wahr, eine Rose ist schneller gemacht als ein Wappenschild. Die Richelieu und die Egmont haben sehr complicirte Wappen. Hören Sie, Herzog, Sie sind ein anbetungswürdiger Mann.«

Und sie reichte ihm ihre beiden Hände, aus denen sich der Höfling eine warme, duftende Marke machte.

Doch plötzlich, mitten unter den Küssen, mit denen er sie bedeckte, fühlte der Herzog die Hände von Madame Dubarry beben.

»Was gibt es?« fragte er, umherschauend.

»Herzog  . . .« sagte die Gräfin mit einem irren Blicke.

»Nun?«

»Wer ist der Mann neben Frau von Mirepoir?«

»Der mit dem Kleid eines preußischen Officiers?«

»Ja.«

»Der braune Mann mit den schwarzen Augen und dem ausdrucksvollen Gesichte? Gräfin, es ist irgend ein hoher Officier, den seine Majestät der König von Preußen, ohne Zweifel um Ihrer Vorstellung Ehre anzuthun, hierher schickt.«

»Scherzen Sie nicht, Herzog, dieser Mann ist schon vor drei oder vier Jahren in Frankreich gewesen; dieser Mann, den ich nicht wiederfinden konnte, den ich überall suchte, ich kenne ihn.«

»Sie irren sich, Gräfin, es ist ein Fremder, der Graf von Fönix, der gestern oder vorgestern erst hier angekommen.«

»Sehen Sie, wie er mich anschaut, Herzog.«

»Jedermann schaut Sie an, Madame: Sie sind so schön.«

»Er grüßt mich, er grüßt mich, sehen Sie?«

»Jedermann wird Sie grüßen, wenn Sie nicht schon Alle gegrüßt haben, Gräfin.«

Aber einer außerordentlichen Aufregung preisgegeben, hörte die Gräfin die Galanterien des Herzogs nicht, und die Augen an den Mann gekettet, der ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, verließ sie gleichsam unwillkührlich Herrn von Richelieu und machte ein paar Schritte gegen den Unbekannten.

Der König, der sie nicht aus dem Gesichte verlor, bemerkte diese Bewegung; er glaubte, sie fordere seine Gegenwart, und da er sich lange genug zur Beobachtung des Wohlanstandes fern von ihr gehalten hatte, so näherte er sich ihr nun, um sie zu beglückwünschen.

Aber die Erschütterung, die sich der Gräfin bemächtigt hatte, war zu stark, als daß sich ihr Geist hätte mit einem andern Gegenstande beschäftigen können.

»Sire,« sagte sie, »wer ist der preußische Officier, der Frau von Mirepoir den Rücken zuwendet?«

»Und der uns in diesem Augenblick anschaut?« fragte Ludwig XV.

»Ja,« antwortete die Gräfin.

»Jenes kräftige Gesicht, jener viereckige Kopf, in einen goldenen Kragen eingeschlossen?«

»Ja, ja.«

»Ein Beglaubigter meines Vetters von Preußen  . . . irgend ein Philosoph wie er. Ich ließ ihn diesen Abend kommen, denn nach meinem Willen sollte die preußische Philosophie den Triumph von Cotillon III. durch einen Botschafter heiligen.«

»Aber sein Name, Sire?«

»Warten Sie (der König suchte); ah! richtig, der Graf von Fönix.«

»Er ist es!« murmelte Madame Dubarry; »er ist es, ich bin dessen sicher.«

Der König wartete noch einige Secunden, um Madame Dubarry Zeit zu lassen, neue Fragen an ihn zu richten; als er aber sah, daß sie schwieg, sprach er die Stimme erhebend:

»Meine Damen, morgen kommt die Frau Dauphine in Compiègne an. Ihre königliche Hoheit wird auf den Schlag zwölf Uhr empfangen; alle vorgestellte Damen werden bei der Reise sein, diejenigen jedoch ausgenommen, welche krank sind, denn die Reise ist ermüdend und die Frau Dauphine möchte nicht gern die Unpäßlichkeiten erschweren.«

Während der König diese Worte sprach, schaute er Herrn von Choiseul, Herrn von Guémenée und Herrn von Richelieu streng an.

Es trat um den König her ein Stillschweigen des Schreckens ein. Man hatte den Sinn der königlichen Worte wohl begriffen: es war die Ungnade.

»Sire,« sagte Madame Dubarry, welche an der Seite des Königs geblieben war, »ich bitte um Gnade für die Frau Gräfin von Egmont.«

»Und warum, wenn es beliebt?«

»Weil es die Tochter des Herrn Herzogs von Richelieu ist, weil Herr von Richelieu mein treuester Freund ist.«

»Richelieu?«

»Ich bin meiner Sache gewiß, Sire.«

»Ich werde thun, was Sie wollen, Gräfin,« sprach der König.

Und er näherte sich dem Marschall, der nicht eine Bewegung der Lippen der Gräfin aus dem Gesichte verloren. und was die Gräfin geäußert, wenn nicht gehört, doch wenigstens errathen hatte, und sagte zu ihm:

»Ich hoffe, mein lieber Herzog, die Frau Gräfin von Egmont wird morgen wiederhergestellt sein?«

»Gewiß, Sire. Sie wird es diesen Abend sein, wenn es Eure Majestät wünscht.«

»Und Richelieu verbeugte sich vor dem König so, daß er zugleich Ehrfurcht und Dankbarkeit ausdrückte.

Der König neigte sich an das Ohr der Gräfin und flüsterte ihr ein Wort zu.

»Sire,« antwortete diese mit einer Verbeugung, welche von einem anbetungswürdigen Lächeln begleitet war, »ich bin Ihre gehorsame Unterthanin.«

Der König grüßte alle Welt mit der Hand und entfernte sich.

Kaum hatte er die Schwelle des Salons überschritten, als sich die Augen der Gräfin erschrockener als je wieder auf den seltsamen Mann richteten, der sie so lebhaft in Anspruch nahm.

Dieser Mann verbeugte sich wie die Andern, als der König vorüberging; doch obgleich grüßend, behielt seine Stirne einen seltsamen Ausdruck des Stolzes und der Drohung, und sobald Ludwig der XV. verschwunden war, brach er sich Bahn durch die Gruppe und blieb auf zwei Schritte von Madame Dubarry stehen.

Durch eine unwiderstehliche Neugierde angezogen, machte die Gräfin ebenfalls einen Schritt, so daß der Unbekannte sich verbeugend, leise und ohne daß es eine andere Person hörte, zu ihr sagen konnte:

»Erkennen Sie mich wieder, Madame?«

»Ja, mein Herr, Sie sind mein Prophet von der Place Louis XV.«

Der Fremde erhob nun seinen klaren, sichern Blick zu ihr.

»Habe ich gelogen, Madame, als ich Ihnen weissagte, Sie würden Königin von Frankreich werden?«

»Nein, mein Herr, Ihre Weissagung ist erfüllt, oder wenigstens beinahe erfüllt. Ich bin auch bereit, mein Versprechen zu halten. Sagen Sie, mein Herr, was wünschen Sie?«

»Der Ort wäre schlecht gewählt, Madame, und überdies ist die Zeit, meine Bitte an Sie zu richten, noch nicht gekommen.«

»In welchem Augenblick diese Bitte auch kommen mag, sie wird mich bereit finden, sie zu erfüllen.«

»Werde ich zu jeder Zeit, an jedem Ort, zu jeder Stunde zu Ihnen dringen können. Madame?«

»Ich verspreche es Ihnen.«

»Ich danke.«

»Doch unter welchem Namen werden Sie sich einfinden? Unter dem des Grafen von Fönix?«

»Nein, unter dem von Joseph Balsamo.«

»Joseph Balsamo!«  . . . wiederholte die Gräfin, während sich der geheimnißvolle Fremde unter den Gruppen verlor. »Joseph Balsamo! es ist gut! ich werde es nicht vergessen!«

26.Eine Schlosserarbeit zum Verschließen der Fenster.