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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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Hinter ihm, im Halbschatten, errieth das durchdringende Auge von Andrée eine menschliche Gestalt.

»Lassen Sie den Herrn Grafen eintreten,« sagte sie mit der festesten Stimme, die sie finden konnte.

Der alte Concierge ging rückwärts hinaus, und der Graf von Charny erschien, den Hut in der Hand, aus der Schwelle.

XI
Mann und Frau

In Trauer um seinen Bruder, der zwei Tage vorher getödtet worden, war der Graf von Charny ganz schwarz gekleidet.

Dann, da diese Trauer, wie die von Hamlet, nicht nur aus den Kleidern, sondern im Grunde des Herzens war, zeugte sein bleiches Gesicht von den Thränen, die er vergossen, und von den Schmerzen, die er erduldet.

Die Gräfin umfaßte dieses Ganze mit einem einzigen Blick. Nie sind die schönen Gesichter so schön, als nach ihren Thränen. Nie war Charny so schön gewesen.

Sie schloß einen Moment ihre Augen, warf leicht den Kopf zurück, als wollte sie ihrer Brust die Fähigkeit zu atmen geben, und drückte ihre Hand aus ihr Herz, das sie dem Brechen nahe fühlte.

Als sie ihre Augen wieder öffnete, – und dies geschah ungefähr eine Secunde, nachdem sie dieselben geschlossen hatte, – stand Charny aus demselben Platze.

Der Blick und die Geberde von Andrée fragten ihn zu gleicher Zeit und so sichtbar, warum er nicht eingetreten sei, daß er ganz natürlich aus diesen Blick und diese Geberde antwortete;

»Madame, ich wartete.«

Er machte einen Schritt vorwärts.

Der Concierge trat wieder ein und sagte, zu seiner Frage durch den Bedienten des Grafen veranlaßt;

«Soll man den Wagen des Herrn Grafen fortschicken?«

Ein Blick von einem unbeschreiblichen Ausdruck sprang aus dem Augenstern des Grafen hervor und richtete sich aus Andrée, welche wie geblendet die Augen zum zweiten Mal schloß und unbeweglich, mit gehemmtem Athem, blieb, als hätte sie die Frage nicht gehört, als hätte sie den Blick nicht gesehen.

Die eine und der andere waren indessen gerade bis in ihr Herz eingedrungen.

Charny suchte an dieser ganzen Bildsäule ein Zeichen, das ihm andeutete, was er antworten sollte. Dann da der Schauer, der Andrée entschlüpfte, ebensowohl von der Furcht, daß der Graf nicht gehe, als von dem Wunsche, daß er bleibe, herrühren konnte, antwortete er:

»Sagen Sie dem Kutscher, er soll warten.«

Die Thüre schloß sich wieder, und zum ersten Male vielleicht seit ihrer Verheirathung fanden sich der Graf und die Gräfin allein beisammen.

Der Graf brach zuerst das Stillschweigen.

»Verzeihen Sie, Madame,« sagte er, »sollte meine unerwartete Anwesenheit indiscret sein? Ich stehe noch, der Wagen ist vor der Thüre, und ich gehe wieder, wie ich gekommen bin.«

»Nein, mein Herr,« antwortete Andrée lebhaft.

»Ich wußte, daß Sie gesund und unverletzt sind, bin aber darum nach den Ereignissen, welche vorgefallen, nicht minder glücklich, Sie wiederzusehen.«

»Sie haben die Güte gehabt, sich nach mir zu erkundigen?« fragte der Graf.

»Allerdings  . . .gestern und heute Morgen, und man hat mir geantwortet, Sie seien in Versailles; heute Abend, und man hat mir geantwortet, Sie seien bei der Königin.«

Waren diese letzten Worte einfach ausgesprochen worden oder enthielten sie einen Vorwurf?

Der Graf selbst, da er nicht wußte, was er zu denken hatte, beschäftigte sich in seinem Innern offenbar einen Augenblick hiermit.

Doch wahrscheinlich der Folge des Gespräches die Sorge, den einen Augenblick vor seinem Geiste heruntergelassenen Schleier aufzuheben, überlassend, erwiederte er alsbald:

»Madame, eine traurige und fromme Pflicht hielt mich gestern und heute in Versailles zurück; eine andere Pflicht, die ich als heilig erachte in der Lage, in der sich die Königin befindet, hat mich sogleich bei meiner Ankunft in Paris zu Ihrer Majestät geführt.«

Nun suchte Andrée sichtbar in ihrer ganzen Wirklichkeit die Intention der letzten Worte des Grafen aufzufassen.

Dann erwiederte sie, da sie dachte, sie sei besonders den ersten eine Antwort schuldig:

»Ja, mein Herr. Ach! ich habe den entsetzlichen Verlust erfahren, den . . .«

Sie zögerte einen Augenblick.

»Den Sie erlitten haben.«

Andrée war aus dem Punkte zu sagen, den wir erlitten haben. Doch sie wagte es nicht und fuhr fort:

»Sie haben das Unglück gehabt, Ihren Bruder, den Baron George von Charny zu verlieren.«

Man hätte glauben sollen, Charny erwarte im Vorüberziehen die zwei Worte, welche wir unterstrichen haben, denn er bebte in dem Augenblick, wo jedes derselben ausgesprochen wurde.

»Ja, Madame,« antwortete er, »es ist, wie Sie sagen, für mich ein entsetzlicher Verlust, der Verlust dieses jungen Mannes, – ein Verlust, den Sie zum Glück nicht schätzen können, da Sie den armen George so wenig gekannt haben.«

Es lag ein sanfter, schwermüthiger Vorwurf in den Worten: zum Glück.

Andrée begriff ihn, doch kein äußeres Zeichen offenbarte, daß sie darauf gemerkt hatte.

»Eines würde mich indessen über diesen Verlust trösten, wenn ich getröstet werden könnte,« fügte Charny bei: »daß der arme George gestorben ist, wie Isidor sterben wird, wie ich wahrscheinlich sterben werde, – in Erfüllung seiner Pflicht.«

Die Worte: wie ich wahrscheinlich sterben werde, ergriffen Andrée tief.

»Ach!« fragte sie, »glauben Sie denn, die Dinge stehen so verzweifelt, daß es noch neuer Blutopfer bedürfe, um den himmlischen Zorn zu entwaffnen?«

»Madame, ich glaube, daß die Stunde der Könige, wenn sie noch nicht gekommen ist, doch wenigstens demnächst schlagen wird. Ich glaube, daß es einen bösen Genius gibt, der die Monarchie zum Abgrunde hintreibt. Ich denke, daß sie, wenn sie in denselben hineinfällt, von allen denjenigen in ihrem Sturze begleitet werden muß, welche an ihrer Herrlichkeit Theil gehabt haben.«

»Das ist wahr,« sprach Andrée, »und wenn der Tag gekommen ist, glauben Sie mir, er wird mich bereit zu jeder Hingebung finden.«

»Oh! Madame, Sie haben zu viel Beweise von Hingebung in der Vergangenheit abgelegt, als daß irgend Jemand, und ich am wenigsten, an dieser Hingebung in der Zukunft zweifeln könnte, und ich habe um so weniger das Recht, an der Ihrigen zu zweifeln, als die meinige, zum ersten Male vielleicht, vor einem Befehle der Königin zurückgewichen ist,«

»Ich verstehe nicht, mein Herr  . . .« sagte Andrée.

»Bei meiner Ankunft von Versailles fand ich den Befehl, sogleich bei Ihrer Majestät zu erscheinen.«

»Oh!« machte Andrée traurig lächelnd.

Dann, nachdem sie einen Augenblick geschwiegen, sagte sie:

»Das ist ganz einfach, die Königin sieht wie Sie die Zukunft geheimnißvoll und düster und will um sich alle Männer versammeln, aus die sie zählen kann.«

»Sie täuschen sich, Madame,« erwiederte Charny, »nicht um mich ihr zu nähern, rief mich die Königin, sondern um mich von ihr zu entfernen.«

»Sie von ihr entfernen!« versetzte lebhaft Andrée, indem sie einen Schritt gegen den Grafen machte.

Dann, nach einem Augenblick, da sie wahrnahm, daß der Graf seit dem Anfang des Gesprächs bei der Thüre stehen geblieben war, sagte sie, aus einen Lehnstuhl deutend:

»Verzeihen Sie, ich lasse Sie stehen, Herr Graf.«

Und während sie diese Worte sprach, fiel sie selbst, unfähig, sich länger aufrecht zu halten, aus das Canapé, wo sie einen Augenblick vorher mit Sebastian gesessen hatte.

»Sie entfernen!« wiederholte sie mit einer Gemüthsbewegung, welche nicht ganz von Freude frei war, denn sie dachte, Charny und die Königin würden getrennt werden. »Und zu welchem Zwecke?«

»Zu dem Zwecke, daß ich in Turin eine Sendung beim Herrn Grafen d’Artois und beim Herrn Herzog von Bourbon, welche Frankreich verlassen haben, vollziehe.«

»Und Sie haben angenommen?«

Charny schaute Andrée fest an.

»Nein, Madame,« erwiederte er.

Andrée erbleichte dergestalt, daß Charny einen Schritt gegen sie machte, als wollte er ihr Hilse leisten; doch bei dieser Bewegung des Grafen raffte sie ihre Kräfte zusammen und kam wieder zu sich.

»Nein,« stammelte sie, »Sie haben nein auf einen Befehl der Königin geantwortet . . .Sie, mein Herr!«

Die drei letzten Worte wurden mit einem Ausdruck des Zweifels und des Erstaunens gesprochen, der sich nicht beschreiben läßt.

»Ich antwortete, ich glaube, meine Gegenwart, in diesem Augenblicke besonders, sei in Paris nothwendiger als in Turin: Jedermann könne die Sendung vollbringen, mit der mich zu beauftragen man mir die Ehre erweisen wolle, und ich habe gerade in diesem Moment hier einen Bruder, der so eben aus der Provinz angekommen, um sich Ihrer Majestät zu Befehl zu stellen, und der bereit sei, statt meiner abzureisen.«

»Und die Königin ist ohne Zweifel glücklich gewesen, den Stellvertreter anzunehmen?« rief Andrée mit einem Ausdruck von Bitterkeit, den sie nicht zurückzuhalten vermochte, und der Charny nicht zu entgehen schien.

»Nein, Madame, im Gegentheil; denn diese Weigerung schien sie tief zu verletzen. Ich wäre also genöthigt gewesen, abzureisen, wäre nicht zum Glück in diesem Augenblick der König eingetreten, und hätte ich ihn nicht zum Richter gemacht.

»Und der König gab Ihnen Recht, mein Herr?« versetzte Andrée mit einem ironischen Lächeln, »und der König war, wie Sie, der Ansicht, daß Sie in den Tuilerien bleiben müssen? . . Oh! wie gut ist Seine Majestät!«

Charny veränderte sein Gesicht nicht im mindesten und erwiederte:

»Der König sagte, mein Bruder Isidor eigne sich ganz zu diesem Posten, um so mehr, als man, da er zum ersten Mal an den Hof und beinahe zum ersten Mal nach Paris komme, seine Abwesenheit nicht bemerken werde, und er fügte bei, es sei grausam von der Königin, zu verlangen, daß ich mich in einem solchen Augenblick von Ihnen entferne.«

»Von mir!« rief Andrée, »der König hat gesagt von mir?«

 

»Ich wiederhole Ihnen seine eigenen Worte, Madame. Dann suchte er mit den Augen um die Königin her und fragte, indem er sich an mich wandte: »Aber wo ist denn die Gräfin von Charny? ich habe sie seit gestern Abend nicht gesehen!« Da an mich hauptsächlich die Frage gerichtet war, so antwortete ich: »«Sire, ich habe so wenig das Glück, Frau von Charny zu sehen, daß es mir in diesem Augenblick unmöglich wäre, Ihnen zu sagen, wo die Gräfin ist; wünscht aber Eure Majestät hierüber unterrichtet zu werden, so wenden Sie sich an die Königin; die Königin weiß es; die Königin wird antworten. Und ich drang hierauf, weil ich, da ich die Königin die Stirne falten sah, dachte, es sei etwas mir Unbekanntes zwischen Ihnen und ihr vorgefallen.«

Andrée schien, mit einer so glühenden Gierde zu hören, daß es ihr nicht einmal einfiel, etwas zu erwiedern.

Da fuhr Charny fort:

»»Sire,«« antwortete die Königin, »»die Frau Gräfin von Charny hat die Tuilerien vor einer Stunde verlassen.«« »»Wie,«« fragte der König, »»die Frau Gräfin von Charny hat die Tuilerien verlassen?«« »»Ja, Sire,«« »»Doch um bald wieder hierher zurückzukommen?«« »»Ich glaube nicht,«« »»Sie glauben nicht, Madame?«« versetzte der König; »»welchen Grund hat denn Frau von Charny, Ihre beste Freundin, gehabt, Madame . . .«« Die Königin machte eine Bewegung. »»Ja, ich sage es, Ihre beste Freundin,«« wiederholte der König,’ »»um in einem solchen Augenblicke die Tuilerien zu verlassen?«« »»Ich glaube, sie findet, sie wohne hier schlecht,«« erwiederte die Königin. »»Sie wohne schlecht? allerdings, wenn es unsere Absicht gewesen wäre, sie in dem an das Ihrige anstoßenden Zimmer zu lassen; doch bei Gott! wir hatten eine Wohnung für sie gefunden! eine Wohnung für sie und für den Grafen. Nicht wahr, Graf, und ich hoffe, Sie hätten sich nicht zu schwierig gezeigt?«« »»Sire,«« erwiederte ich, »»der König weiß, daß ich mich immer für befriedigt durch den Posten halten werde, den er mir anweist, wenn mir dieser Posten nur Gelegenheit gibt, ihm zu dienen.«« »«Ei! das wußte ich wohl,«« sagte der König; »»somit hat sich die Frau Gräfin also zurückgezogen, und wohin, Madame? wissen Sie es?«« »»Nein, Sire, ich weiß es nicht.«« »»Wie! Ihre Freundin verläßt Sie, und Sie fragen sie nicht, wohin Sie gehe?«« »»Verlassen mich meine Freunde, so sieht es ihnen frei, zu gehen, wohin sie wollen, und ich bin nicht so indiscret, sie zu fragen, wohin sie gehen,«« »»Gut!«« sagte der König zu mir, »»Weiberzwist!  . . .Herr von Charny, ich habe ein paar Worte mit der Königin zu sprechen: erwarten Sie mich in meinem Zimmer und stellen Sie mir Ihren Bruder vor. Er wird noch heute Abend nach Turin abreisen: ich bin Ihrer Ansicht, Herr von Charny, ich bedarf Ihrer und ich behalte Sie.«« Ich schickte nach meinem Bruder, der so eben angekommen war und mich, wie man mir hatte sagen lassen, im grünen Salon erwartete.«

Bei den Worten im grünen Salon kehrte Andrée, welche Sebastian beinahe vergessen hatte, so viel Interesse schien sie an der Erzählung des Grafen zu nehmen, im Geiste zu Allem dem zurück, was zwischen ihr und ihrem Sohne vorgefallen war, und schaute mit Bangigkeit nach der Thüre des Schlafzimmers, wo sie ihn eingesperrt hatte.

»Verzeihen Sie, Madame,« sagte Charny, »ich befürchte, ich erzähle Ihnen von Dingen, die Sie nur wenig interessiren, und ohne Zweifel fragen Sie sich, warum ich hier sei, und was ich hier machen wolle.«

»Nein, mein Herr,« erwiederte Andrée, »ganz im Gegentheil, was Sie mir zu erzählen die Güte haben, ist für mich äußerst interessant; und was Ihre Gegenwart bei mir betrifft, so wissen Sie, daß nach den Befürchtungen, die ich in Beziehung auf Sie gehegt habe, diese Gegenwart, welche beweist, daß Ihnen persönlich kein Unglück zugestoßen ist, mir nur sehr angenehm sein kann. Ich bitte also, fahren Sie fort, der König hieß Sie ihn in seinem Zimmer erwarten, und Sie ließen Ihren Bruder benachrichtigen.«

»Wir begaben uns in das Zimmer des Königs; zehn Minuten nach uns kam er zurück. Da die Sendung an die Prinzen dringend war, so fing der König mit ihr an. Sie hatten zum Zwecke, Ihre Hoheiten von den Ereignissen, welche so eben vorgefallen, zu unterrichten. Eine Viertelstunde nach der Rückkehr Seiner Majestät war mein Bruder nach Turin abgereist. Wir blieben allein. Der König ging einen Augenblick nachdenkend auf und ab; plötzlich blieb er vor mir stehen und sagte: »»Herr Graf, wissen Sie, was zwischen der Gräfin und der Königin vorgefallen ist?«« »»Nein, Sire,«« antwortete ich. »»Es muß aber etwas vorgefallen sein,«« fügte er bei, »»denn ich habe die Königin in einer mörderischen Laune und sogar, wie es mir schien, ungerecht gegen die Gräfin gefunden, was nicht ihre Gewohnheit bei ihren Freunden ist, welche sie, wie Sie wissen, vertheidigt, selbst wenn sie Unrecht haben.«« »»Ich kann Eurer Majestät nur wiederholen, was ich ihr zu sagen die Ehre gehabt habe,«« versetzte ich. »»Ich weiß durchaus nicht, was zwischen der Königin und der Gräfin vorgefallen ist, und nicht einmal, ob etwas vorgefallen ist. Immerhin aber, Sire, wage ich es, zu behaupten, daß, wenn auf der einen oder der andern Seite ein Unrecht ist, vorausgesetzt, eine Königin könne ein Unrecht begehen, dieses Unrecht nicht von der Seite der Gräfin kommt.««

»Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie so gut von mir gedacht haben,« sprach Andrée.

Charny verbeugte sich.

»»In jedem Falle,«« sagte der König, »»wenn die Königin nicht weiß, wo die Gräfin ist, müssen Sie es wissen.«« Ich war eben so wenig unterrichtet, als die Königin, dennoch antwortete ich: »»Sire, ich weiß, daß die Frau Gräfin ein Absteigequartier in der Rue Coq-Héron hat, und dahin wird sie sich ohne Zweifel zurückgezogen haben.«« »»Ja, ohne Zweifel ist sie dort,«« sagte der König. »»Gehen Sie dahin, ich gebe Ihnen Urlaub bis morgen, unter der Bedingung, daß Sie uns morgen die Gräfin zurückbringen.««

Der Blick von Charny hatte sich, während er diese Worte sprach, so fest auf die Gräfin geheftet, daß es dieser ganz unbehaglich zu Muthe wurde, und daß sie, da sie fühlte, sie könne diesem Blicke nicht ausweichen, die Augen schloß.

»»Sie sagen ihr,«« fuhr Charny immer im Namen des Königs sprechend fort, »»Sie sagen ihr, wir werden eine Wohnung für sie finden, und müßte ich selbst suchen, eine Wohnung allerdings weniger groß als die, welche sie in Versailles hatte, jedoch hinreichend für einen Mann und eine Frau. Gehen Sie, Herr von Charny, gehen Sie; die Gräfin muß über Sie in Unruhe sein, und Sie müssen über die Gräfin in Unruhe sein.«« Als ich schon ein paar Schritte gegen die Thüre gemacht hatte, rief er mich dann zurück und sagte, indem er mir die Hand reichte, die ich küßte: »»Ah! Herr von Charny, da ich Sie in Trauer sah, so hätte ich hiermit anfangen müssen . . .. Sie haben das Unglück gehabt, Ihren Bruder zu verlieren; man ist, und wenn man auch König, unvermögend, bei einem solchen Unglück zu trösten; doch als König kann man sagen: »– War Ihr Bruder verheirathet? hatte er eine Frau, Kinder? Können diese Frau und diese Kinder von mir adoptirt werden? —« Dann, mein Herr, wenn solche vorhanden sind, bringen Sie mir sie, stellen Sie mir sie vor. Die Königin wird sich der Mutter annehmen, ich werde mich der Kinder annehmen.««

Und als bei diesen Worten Thränen am Rande der Augenlider von Charny erschienen, fragte Andrée:

»Ohne Zweifel wiederholte der König nur, was Ihnen die Königin gesagt hatte?«

»Die Königin,« antwortete Charny mit einer zitternden Stimme, »die Königin hatte mir nicht einmal die Ehre erwiesen, ein Wort in dieser Hinsicht an mich zu richten, und darum rührte mich die Erinnerung des Königs so tief, daß er, als er mich in Thränen ausbrechen sah, zu mir sagte: »»Ah! Oh! Herr von Charny, ich habe vielleicht Unrecht gehabt, hiervon mit Ihnen zu sprechen; doch ich handle beinahe immer unter der Eingebung meines Herzens, und mein Herz hieß mich thun, was ich gethan habe. Kehren Sie zu Ihrer theuren Andrée zurück, Graf; denn wenn uns die Leute, die uns lieben, auch nicht trösten können, so können sie doch mit uns weinen und wir können mit ihnen weinen, was immer eine große Erleichterung ist.«« Und so,« fügte Charny hinzu, »so bin ich aus Befehl des Königs gekommen, Madame . . .weshalb Sie mich vielleicht entschuldigen werden.«

»Ah! mein Herr,« rief Andrée, indem sie rasch aufstand und Charny ihre beiden Hände reichte, »zweifeln Sie daran?«

Charny ergriff lebhaft diese Hände und drückte seine Lippen darauf.

Andrée stieß einen Schrei aus, als wären diese Lippen ein glühendes Eisen gewesen, und fiel aus das Canapé zurück.

Doch ihre Hände hatten sich krampfhaft an die von Charny angeklammert, so daß sie, auf das Canapé zurückfallend, Charny nachzog, wodurch er sich, ohne daß sie es gewollt, ohne daß er es gewollt, neben ihr sitzend fand.

In diesem Augenblick entfernte sich Andrée, welche Geräusch im anstoßenden Zimmer gehört zu haben glaubte, so rasch von Charny, daß dieser, der nicht wußte, welchem Gefühle er sowohl den von ihr ausgestoßenen Schrei, als die rasche Bewegung, die sie gemacht, zuschreiben sollte, schnell sich erhob und sogleich wieder vor ihr stand.

Drittes bis sechstes Bändchen

XII
Das Schlafzimmer

Charny stützte sich aus die Lehne des Canapé und stieß einen Seufzer aus.

Andrée ließ ihren Kopf auf ihre Hand fallen.

Der Seufzer von Charny hatte ihren Seufzer in die tiefste Tiefe ihrer Brust zurückgedrängt.

Was in diesem Augenblick im Herzen der jungen Frau vorging, läßt sich durchaus nicht beschreiben.

Seit vier Jahren an einen Mann verheirathet, den sie anbetete, ohne daß dieser, beständig mit einer andern Frau beschäftigte, Mann je eine Idee von dem furchtbaren Opfer gehabt, das sie ihn heirathend gebracht, hatte sie, mit der Verleugnung ihrer doppelten Pflicht als Frau und als Unterthanin, Alles gesehen, Alles ertragen, Alles in sich selbst verschlossen; endlich, seit einiger Zeit, schien es ihr nach einigen sanfteren Blicken ihres Gatten, nach einigen härteren Worten der Königin, ihre Ergebenheit sei nicht ganz unfruchtbar. Während der jüngst vergangenen Tage, entsetzlicher Tage voller unablässiger Bangigkeiten für Jedermann, hatte Andrée, allein vielleicht inmitten aller dieser Höflinge und unter diesen erschrockenen Dienern, freudige Gemüthsbewegungen und süße Schauer empfunden; dies war so, wenn in äußersten Momenten Charny sich durch eine Geberde, durch einen Blick, durch ein Wort mit ihr zu beschäftigen, sie unruhig zu suchen, zu seiner Freude wiederzufinden schien; es war ein leichter, verstohlener Händedruck, der ein von der Menge, die sie umgab, unbemerktes Gefühl mittheilte und für sie allein einen gemeinschaftlichen Gedanken leben machte: es waren köstliche Empfindungen, unbekannt diesem Schneekörper und diesen Demantherzen, welches von der Liebe nur das gekannt hatte, was sie Schmerzlichstes hat: die Einsamkeit.

Und plötzlich, in dem Augenblick, wo das arme vereinzelte Geschöpf ihr Kind wiedergefunden hatte und wieder Mutter geworden war, erhob sich etwas wie eine Liebesmorgendämmerung an ihrem bis dahin traurigen, düsteren Horizont, Nur, – seltsames Zusammentreffen, was bewies, daß das Glück nicht für sie gemacht war, – nur combinirten sich diese zwei Ereignisse auf eine Art, daß das eine das andere zerstörte, und daß unvermeidlich die Rückkehr des Gatten die Liebe des Kindes vertrieb, weil die Gegenwart des Kindes die entstehende Liebe des Gatten tödtete.

Dies konnte Charny nicht errathen in dem dem Munde von Andrée entschlüpften Schrei, in der Hand, die ihn zurückgestoßen, und in dem Stillschweigen voll Traurigkeit, das aus diesen Schrei, der so ähnlich einem Schmerzensschrei, während es doch ein Liebesausruf war, und auf diese Bewegung folgte, von der man hätte glauben können, sie sei vom Widerwillen eingegeben, indeß sie nur die Angst veranlaßt hatte.

Charny betrachtete ein paar Secunden lang Andrée mit einem Ausdruck, in dem sich die junge Frau nicht getäuscht haben würde, hätte sie ihre Augen zu ihm aufgeschlagen.

Charny stieß einen Seufzer aus und fragte dann, das Gespräch da wieder ausnehmend, wo er es verlassen hatte:

»Was soll ich dem König melden, Madame?«

Andrée bebte beim Tone dieser Stimme; dann schlug ihr klares, durchsichtiges Auge zum Grafen auf und erwiederte:

»Mein Herr, ich habe so sehr gelitten, seitdem ich am Hofe wohne, daß ich, da die Königin die Güte gehabt hat, mir meinen Abschied zu geben, diesen Abschied mit Dank annehme. Ich bin nicht geboren, um in der Weit zu leben, und ich habe immer in der Einsamkeit, wenn nicht das Glück, doch wenigstens die Ruhe gefunden. Die glücklichsten Tage meines Lebens sind die Tage, die ich, ein junges Mädchen, im Schlosse Taverney zugebracht, und später die, welche ich in der Zurückgezogenheit im Kloster von Saint-Denis bei jener edlen Tochter von Frankreich, die man Madame Louise nannte, verweilt habe. Mit Ihrer Erlaubniß aber, mein Herr, werde ich diesen Pavillon bewohnen, der für mich voll von Erinnerungen, die, obgleich traurig, nicht ganz ohne Süßigkeit sind.«

 

Bei dieser Erlaubniß, um die ihn Andrée bat, verbeugte sich Charny wie ein Mensch, der bereit ist, nicht nur eine Bitte zu gewähren, sondern auch einem Befehle zu gehorchen.

»Madame,« sagte er, »das ist also ein gefaßter Entschluß?«

»Ja, mein Herr,« antwortete Andrée sanft, aber fest.

Charny verbeugte sich abermals und sprach:

»Nun, Madame, habe ich Sie nur noch Eines zu fragen: wird es mir gestattet sein, Sie hier zu besuchen?«

Andrée heftete aus Charny ihr großes, durchsichtiges, gewöhnlich ruhiges und kaltes, nun aber von Erstaunen und sanfter Freundlichkeit erfülltes Auge und erwiederte:

»Allerdings, mein Herr, und da ich Niemand sehen werde, so werde ich, erlauben Ihnen die Pflichten, die Sie in den Tuilerien zu erfüllen haben, ein paar Augenblicke zu verlieren, immer dankbar sein, wenn Sie dieselben mir widmen, so kurz sie auch sein mögen.«

Charny hatte nie so viel Holdseligkeit im Auge von Andrée gesehen, er hatte nie diesen Ausdruck von Zärtlichkeit in ihrer Stimme bemerkt.

Es durchlief etwas wie jener zarte Schauer, den eine erste Liebkosung gibt, seine Adern.

Er heftete seinen Blick auf den Platz, den er neben Andrée eingenommen, und der, seitdem er aufgestanden, leer geblieben war.

Charny würde ein Jahr von seinem Leben gegeben haben, um sich dahin zu setzen, ohne daß Andrée ihn zurückgestoßen hätte, wie sie es das erste Mal gethan.

Aber, schüchtern wie ein Kind, wagte er es nicht, ohne dazu ermuthigt zu werden.

Andrée hätte nicht ein Jahr, sondern zehn Jahre gegeben, um hier an ihrer Seite denjenigen zu fühlen, welcher so lange von ihr entfernt gewesen war.

Leider kannte keines von ihnen das andere, und jedes verhielt sich unbeweglich, in einer beinahe schmerzlichen Erwartung.

Charny brach abermals zuerst das Stillschweigen, dem nur derjenige, welchem es gestattet ist, im Herzen zu lesen, seine wahre Deutung geben konnte.

»Sie sagen, Sie haben viel gelitten, seitdem Sie am Hofe wohnen, Madame?« fragte er. »Hatte der König nicht immer für Sie eine Achtung, welche bis zur Verehrung ging, und die Königin eine Zärtlichkeit, welche bis zur Abgötterei ging?«

»Ach! ja, mein Herr,« erwiederte Andrée, »der König ist stets vortrefflich gegen mich gewesen.«

»Erlauben Sie mir, zu bemerken, Madame, daß Sie nur auf einen Theil meiner Frage antworten: sollte die Königin minder vortrefflich gegen Sie gewesen sein, als es der König war?«

Die Kinnladen von Andrée preßten sich zusammen, als sträubte sich die empörte Natur gegen eine Antwort. Endlich aber sprach sie mit einer Anstrengung:

»Ich habe der Königin nichts vorzuwerfen, und es wäre unbillig von mir, wenn ich Ihrer Majestät nicht alle Gerechtigkeit widerfahren ließe.«

»Ich sage Ihnen das, Madame,« fuhr Charny fort, »weil seit einiger Zeit  . . .ich täusche mich ohne Zweifel  . . .doch mir scheint, die Freundschaft, die sie für Sie hegte, hat eine Erschütterung erlitten.«

»Das ist möglich, mein Herr,« versetzte Andrée, »und darum wünsche ich, wie ich Ihnen zu sagen die Ehre gehabt habe, den Hof zu verlassen.«

»Aber, Madame, Sie werden sehr allein, sehr vereinzelt sein!«

»Bin ich es nicht immer gewesen, mein Herr,« erwiederte Andrée mit einem Seufzer, »als Kind  . . .als Mädchen  . . .und als  . . .«

Andrée hielt inne: sie sah, daß sie zu weit zu gehen im Begriffe war.

»Vollenden Sie, Madame,« sprach Charny.

»Oh! Sie haben mich errathen, mein Herr . . .ich wollte sagen: und als Frau  . . .«

»Sollte ich so glücklich sein, daß Sie mir einen Vorwurf zu machen die Güte hätten?«

»Einen Vorwurf, mein Herr!« versetzte Andrée lebhaft; »großer Gott! welches Recht hätte ich, Ihnen einen Vorwurf zu machen?  . . . Glauben Sie, ich habe die Umstände vergessen, unter denen wir uns verbunden?  . . .Ganz das Gegentheil von denjenigen, die sich am Fuße der Altäre gegenseitige Liebe, gegenseitigen Schutz schwören, haben wir uns ewige Gleichgültigkeit, völlige Trennung geschworen. Wir würden uns also nur einen Vorwurf zu machen haben, wenn eines von uns seinen Schwur vergessen hätte.«

Ein Seufzer, zurückgedrängt durch die Worte von Andrée, fiel aus das Herz von Charny.

»Ich sehe, daß Ihr Entschluß fest steht, Madame,« sprach er; »wollen Sie mit aber wenigstens erlauben, mich um die Art zu bekümmern, wie Sie hier leben werden? Werden Sie nicht sehr schlecht hier sein?«

Andrée lächelte traurig und sprach:

»Das Haus meines Vaters war so dürftig, daß, mit ihm verglichen, dieser Pavillon, so entblößt er Ihnen scheinen mag, mit einem Luxus ausgestattet ist, an den ich nicht gewöhnt war.«

»Aber  . . .der reizende Aufenthalt in Trianon  . . .das Schloß von Versailles . . .«

»Oh! ich wußte wohl, daß ich nur vorübergehend dort zu verweilen hatte.«

»Werden Sie wenigstens hier Alles haben, was für Sie nothwendig ist?«

»Ich werde Alles wiederfinden, was ich einst hatte.«

»Lassen Sie sehen,« sprach Charny, der sich eine Idee von der zukünftigen Wohnung von Andrée machen wollte und umherzuschauen anfing.

»Was wollen Sie sehen, mein Herr?« fragte Andrée, indem sie lebhaft aufstand und einen raschen, ängstlichen Blick nach dem Schlafzimmer warf.

»Wenn Sie nicht zu demüthig in Ihren Wünschen sind, Madame, so ist dieser Pavillon wahrhaftig keine Wohnung  . . .ich bin durch ein Vorzimmer gegangen; hier befinde ich mich im Salon; diese Thüre – und er öffnete eine Seitenthüre, – ah! ja, diese Thüre führt in ein Speisezimmer, und jene  . . .«

Andrée stellte sich behende zwischen den Grafen von Charny und die Thüre, auf welche er zuschritt und hinter der sie im Geiste Sebastian sah.

»Mein Herr,« rief sie, »ich bitte Sie inständig, keinen Schritt weiter.«

Und ihre ausgebreiteten Arme verschlossen den Durchgang.

»Ja, ich verstehe,« sagte Charny mit einem Seufzer, »das ist die Thüre Ihres Schlafzimmers.«

»Ja, mein Herr,« stammelte Andre« mit erstickter Stimme.

Charny schaute die Gräfin an; sie zitterte und war bleich; nie harte sich die Angst durch einen schärferen Ausdruck kundgegeben, als der war, welcher sich aus dem Gesichte von Andrée verbreitet hatte.

»Ah! Madame,« murmelte er mit einer thränenvollen Stimme, »ich wußte wohl, daß Sie mich nicht liebten; aber ich wußte nicht, daß Sie mich so sehr hassen!«

Und unfähig, länger bei Andrer zu bleiben, ohne auszubrechen, schwankte er einen Augenblick wie ein Trunkener; dann aber raffte er alle seine Kräfte zusammen und stürzte aus dem Zimmer mit einem Schmerzensschrei, der bis im Grunde des Herzens von Andres wiederhallte.

Die junge Frau schaute ihm nach, bis er verschwunden war; sie horchte mit gespanntem Ohr, so lange sie das Geräusch seines Wagens, der sich immer mehr entfernte, unterscheiden konnte; dann, da sie fühlte, daß ihr Herz dem Brechen nahe war, und da sie begriff, daß sie nicht zu viel mütterliche Liebe hatte, um diese andere Liebe zu bekämpfen, eilte sie in das Schlafzimmer und rief:

»Sebastian! Sebastian!«

Aber keine Stimme antwortete der ihrigen, und auf diesen Schmerzensschrei forderte sie vergebens ein tröstendes Echo.

Beim Scheine der Nachtlampe, die das Zimmer erleuchtete, schaute sie ängstlich umher, und sie bemerkte, daß das Zimmer leer war.

Und sie konnte doch kaum ihren Augen trauen.

Zum zweiten Male rief sie: »Sebastian! Sebastian!«

Dasselbe Stillschweigen.

Nun erst gewahrte sie, daß das Fenster offen stand, und daß die äußere Luft, in das Zimmer eindringend, die Flamme der Nachtlampe zittern machte.

Es war dasselbe Fenster, das man schon offen gefunden, als, fünfzehn Jahre früher, das Kind zum ersten Mal verschwunden war.

»Ah! ganz richtig!« rief sie, »hat er mir nicht gesagt, ich sei nicht seine Mutter?«

Da begriff Andrée, daß sie zugleich Alles, Kind und Gatten, verlor, in dem Augenblick, wo sie beinahe Alles wiedergefunden hätte; sie warf sich, die Arme ausgebreitet, die Hände krampfhaft zusammengezogen, auf ihr Bett; nun waren ihre Kräfte, ihre Ergebung, ihre Gebete erschöpft.