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Buch lesen: «Die Cabane und die Sennhütte», Seite 9

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Zwölftes Kapitel
Wie Monfieur Coumbes, welcher Fische fangen wollte, ein Geheimniß erhaschte

Der Fischfang entschädigte Monsieur Coumbes vollständig für die Mühseligkeiten und Belästigungen, die ihm der Gartenbau verursachte.

Es schien, als hätte ihn der Himmel zu einem neuen Attila bestimmt, um den Meerbusen von Marseille zu entvölkern.

Während der schönen Tage kehrte er, wie er selber in seiner mehr bildlichen als akademischen Sprache sagte, mit einem Luxus von Fischen zurück, so wie mit dem verächtlichen Lächeln, welches die glücklichen Eroberer bezeichnet. Jeden Abend hätte er marseiller Suppen kochen können, die vermöge ihrer Reichlichkeit bei der Mittagstafel hätten figurieren können, wobei Grandgouffier‘s Frau so viele Kaldaunen aß.

Unglücklicherweise wurden, je mehr man sich dem Winter näherte und je seltener diese Verschwendung von Saffransaucen war, die Anfälle von übler Laune bei Monsieur Coumbes immer häufiger.

Ganze Wochen lang blieb der Himmel in düstere Wolken eingehüllt; das azurblaue mittelländische Meer wurde aschfarbig und die blonde und sanfte Amphitrite schien wie ein empörter Riese den Himmel erklimmen zu wollen, rang die Arme in den Wolken und heulte mit jener drohenden Stimme, die den Schrecken an die Küste trägt.

Ganze Wochen lang ging Monsieur Coumbes von seiner Cabane zu einem Boot und von einem Boot zu seiner Cabane, befragte den Himmel mit Aengstlichkeit, rieb sich die Hände bei der geringsten Beruhigung, machte sogleich ein Boot los und bereitete sich vor, es aufs Wasser zu lassen, indem er fast sogleich an der Verdoppelung des Sturmes die Gebrechlichkeit seiner Hoffnung erkannte, schwermüthig die Wasserberge betrachtete, die sich zu dreien in ungeheuren Spirallinien an den Felsen brachen, und berechnete, wie viel Fische ihre Seiten enthalten möchten und welche Entfernung diese Fische von einer Casserole trenne, und völlig geneigt wie Xerxes das Meer peitschen zu lassen, welches sich weigerte, ihm die Beute auszuliefern, wonach er so begierig strebte.

Er hatte wohl versucht, sich an den Wasserwölfen und an den Meerbarben zu rächen, die sich bei hohem Wellengange dem stillen Wasser nähern; er hatte sogar, der Küste folgend, an der Mündung des Huveaume, die Schnur ausgeworfen; als er sich aber eines Tages unbesonnenerweise zu weit gewagt hatte, um seinen Angelhaken weiter zu werfen, hatte ihn eine ungeheure Welle umgeworfen, und ohne einen jungen Militair, einen fanatischen und enthusiastischen Schüler, der seit zwei Stunden an seiner Seite saß und in der Stille eine Lection bei diesem geschickten Professor nahm, wäre dieser vermöge der Wiedervergeltung fortgerissen worden und hätte den Bewohnern des mittelländischen Meeres eine Rache geboten, die zugleich leicht und schmackhaft auszuüben war.

Und dann, wir müssen es zu einem Ruhme sagen, waren der Wasserwolf und die Meerbarbe ein Wild, welches Monsieur Coumbes verachtete. Als classischer Marseiller schätzte er nur den Felsenfisch, und diese, welche man beschuldigt, einen Modergeschmack beizubehalten, schienen ihm ebenso wenig, wie die Makrele, der Ehre seiner Tafel würdig.

Wenn das Meer sich entschloß, dem Monsieur Coumbes einige Zugeständnisse der guten Nachbarschaft zu machen, indem es sich ihm zu gefallen demüthigte, beeilte sich der ehemalige Packträger das Weite zu suchen; aber der Wellenschlag war so stark, daß er Blut und Wasser schwitzte, um sein Boot in Bewegung zu setzen. Da diese Bote mit flachem Boden sehr schwer sind, so konnte er nur mit der größten Anstrengung einen Lieblingsposten erreichen.

Eines Tages hatte Monsieur Coumbes einen Einfall, und er erwartete ungeduldig den Sonntag, den einzigen Tag, wo er denselben in Ausführung bringen konnte.

Dieser Einfall war nichts Geringeres, als darauf zu verzichten, seine Freuden allein zu genießen, und Marius unter die große Brüderschaft der Angelfischer aufzunehmen.

Ein starker und kräftiger junger Mann mußte beim Rudern Wunder thun. Mit seiner Hilfe nahm sich Monsieur Coumbes vor, den Winden und Stürmen. Trotz zu bieten und hielt sich überzeugt, wenigstens ein Mal wöchentlich eine marseiller Suppe zu erobern, so lange das schlechte Wetter währte.

Am Sonnabend Abend, als Miletten's Sohn in der Cabane ankam, erschien er so zufrieden und freudig, daß Monsieur Coumbes davon überrascht wurde. Es fiel ihm nicht ein, das Glück, welches er in dem Gesichte seines Pathen las, etwas Anderem, als dem Vorschlage zuzuschreiben, welchen er ihm machen wollte, und da Monsieur Coumbes über eine Absichten ein tiefes Schweigen bewahrt hatte, so wunderte er sich über die Stärke des Vorgefühls, welches Marius über das glückliche Geschick, das seiner wartete, aufgeklärt hatte.

Nach dem Abendessen lehnte sich Monsieur Coumbes, die Augen halb geschlossen, auf seinen Stuhl zurück, nahm die edle und wohlwollende Stellung eines Ministers seinem Schützlinge gegenüber ein und kündigte Marius mit langsamer und feierlicher Stimme, wie sie sich für so wichtige Umstände eignete, an, daß er ihm am folgenden Tage zu gestatten beschlossen, die Freuden der Angelfischerei zu theilen.

Die Begeisterung des jungen Mannes erhob sich nicht zu der Höhe dieses Ereignisses; ein aufmerksamer Beobachter hätte bemerken können, daß der lächelnde Ausdruck seiner Physiognomie verschwand, sowie der ehemalige Packträger weiter sprach; aber dieser hatte eine zu hohe Meinung von der Gunst, die er seinem Pathen zu Theil werden ließ; er war zu gleicher Zeit zu sehr mit seinen persönlichen Vorbereitungen beschäftigt, um sich mit einer sorgfältigen Prüfung der Physiognomie seines künftigen Eleven aufzuhalten.

Nur als Marius die Absicht kund gab, nach dem Abendessen im Garten spazieren zu gehen, verbot es ihm Monsieur Coumbes ohne Weiteres, und um gewiß zu sein, daß ihn Nichts von dieser Waffenwache abbringe, und damit er ihn frisch und aufgelegt finden möge, wenn die Stunde zur Abreise schlage, schloß er ihn in sein Zimmer ein.

Lange vor Tagesanbruch sprang Monsieur Coumbes aus dem Bette und ging, um Miletten's Sohn zu wecken; er rief ihn mehrmals, ohne Antwort von ihm zu erhalten; er steckte den Schlüssel in das Schloß und öffnete rasch die Thüre, indem er den jungen Mann mit allen Benennungen anredete, die man zur Beschämung der Trägen erfunden hat. Es antwortete ihm Niemand; er hob heftig die Decke auf, ohne Widerstand zu finden; dann betastete er die Matratzen mit seinen Händen und bemerkte, daß die Stelle, welche Marius einnehmen sollte, kalt und leer war.

Das vortreffliche Betragen des Zöglings des Monsieur Coumbes, die respectvolle Anhänglichkeit, die er dem bezeugte, welchen er als seinen Wohlthäter betrachtete, hatte nie, wie wir gesehen haben, über den Widerwillen gesiegt, welchen dieser Letztere gegen ihn hegte.

Monsieur Coumbes dachte auf der Stelle an sein Geld; eine Einbildungskraft, die dem ersten Impulse folgte, wie es bei den Südländern immer der Fall ist, zog aus dieser nächtlichen Entweichung klägliche Schlüsse. Er machte einen Satz nach der Treppe hin, um seinem Secretair zu Hilfe zu eilen, den er sich als geöffnet, erbrochen, durchwühlt, ausgeleert vorstellte, von zwei Händen, die in die geöffneten Thalersäcke griffen und ein Metallbad nahmen.

Fast in demselben Augenblick blieb Monsieur Coumbes stehen.

Er hatte eben überlegt, daß er jeden Abend – Monsieur Coumbes war ein Mann voll Vorsicht – das Kopfende seines Bettes vor die Thüre dieses kostbaren Möbels stellte, und daß er kaum vor einigen Sekunden das Zimmer verlassen habe.

Er hörte jetzt das Geräusch einer Leinwand, die im Winde wehte, und bemerkte, daß das Fenster, woher dieses Geräusch kam, offen sei.

Er ging zu diesem Fenster; er fand dort ein Tuch, welches mit dem einen Ende an den Fensterpfosten gebunden war und das andere den Boden kehren ließ.

Es war klar, daß die Entweichung des jungen Mannes nur einen äußeren Zweck gehabt haben könne, da jeden Abend Thüren und Fensterladen im unteren Geschoß von dem Besitzer sorgfältig verriegelt wurden.

Diese Ueberzeugung erheiterte Monsieur Coumbes ein wenig; dabei war er ein so großer Freund von der Regelmäßigkeit in allen Dingen, um geduldig die klägliche Verwirrung zu ertragen, die sein Zögling zwischen den verschiedenen Oeffnungen seiner Cabane machte. Er war zu bereit, um seinem Unwillen den Zügel schießen zu lassen; er hatte schon eine starke Weinrebe ergriffen, um dieses Gefühl desto eindringlicher zu machen, als die Neugierde ihn zurückhielt.

»Was Teufel kann Marius um halb fünf Uhr im Garten machen?«

Dies war der fragende Ausruf, den Monsieur Coumbes an sich selber richtete; die marseiller Sitten und Gewohnheiten sind von der Art, daß keine Muthmaßung, so natürlich dieselbe auch sein mochte, diesen Ausgang rechtfertigen konnte.

Monsieur Coumbes gerieth daher sogleich in Versuchung, die ernsten Gründe kennen zu lernen, welche ihn zu dieser Morgenpromenade bestimmt hatten; er warf sich vor dem Fenster auf die Knie, hielt seinen Athem an und durchforschte den Garten mit dem Blicke.

Anfangs sah er Nichts; dann gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er erblickte einen Schatten, der sich an dem Hause dahinschlich, eine Leiter nach sich schleppte und dieselbe an die Mauer anlehnte, welche seinen Garten von der Besitzung des Monsieur Riouffe trennte.

Ohne sich nur die Mühe zu geben, diese Leiter gehörig fest zu stellen, erstieg der Schatten langsam die Sprossen.

Monsieur Coumbes fragte sich, ob Miletten's Sohn, glücklicher, als er, zufällig einige Früchte in den Bäumen entdeckt habe, auf welche sich seit zwanzig Jahren leider vergebens der forschende Blick des Besitzers richtete.

Aber der Schatten, oder vielmehr Marius, überschritt schnell die sogenannte Fruchtregion und gelangte auf die Höhe der Mauer, setzte sich rittlings darauf und ließ ein leichtes Pfeifen hören.

Es war einleuchtend, daß dieses Signal sich an irgend einen Bewohner der benachbarten Besitzung richtete.

Monsieur Coumbes empfand, was der Reisende empfinden mußte, welcher sich in der schrecklichen Einsamkeit der Schluchten von Ollioules verirrt hatte und von Felsen zu Felsen den Zuruf Gaspard de Bresse‘s ertönen hörte. Dieses Pfeifen verursachte ihm Gänsehaut; ein kalter Schweiß perlte auf einer Stirn.

Er hatte keineswegs die Wohlthaten des tiefen Friedens geschätzt, in welchem eine alten Verfolger ihn beinahe seit sechs Monaten gelassen hatten; seine Verzweiflung wegen seines Gartenbaues hatte den kräftigen Haß genährt, den er gegen sie hegte; die Rathschläge Miletten‘s, die Bemerkungen unseres Marius hatten sich an den Ideen gebrochen, welche der Aerger und der Neid ihm in den Kopf setzten. Indem er sich in der Einsamkeit auf regte, hatten ihn dieser Aerger und Neid veranlaßt, die Grenzen des Widersinnigen zu überschreiten: nie hätte er zugeben wollen, daß der Garten des Monsieur Riouffe zur Annehmlichkeit einer Besitzer den Seewind mit so viel Duft erfüllte; er war überzeugt, daß dieser Luxus von Grün und Blumen nur einen Zweck hätte, nämlich den, ihn zu demüthigen, ihm einen Streich zu spielen, und jeden Tag erwartete er etwas Schlimmeres.

Indem er diesen Beweis von dem Verhältnisse seines Pathen zu seinen Feinden erhielt, indem er sie durch einen Vertrag mit ihm verbunden glaubte, vereint mit der schlechten Absicht, die er bei ihnen voraussetzte, stets bereit, die schwache Seite des Ortes preis zu geben, um die Verfolgungen, wovon er sich noch bedroht glaubte, erbitterter zu machen, bebte Monsieur Coumbes vor Zorn; in dem Uebermaße seiner Wuth war ein erster Gedanke, sich gegen den Verräther seiner Erfahrung in den Feuerwaffen zu bedienen; er senkte die Weinrebe, die er in der Hand hielt, und legte auf seinen Pathen an.

Zum Glück für Monsieur Coumbes und Marius ging die Weinrebe nicht los. Indem er mit zitterndem Finger einen Drücker an der eingebildeten Flinte suchte, bemerkte er die seltsame Täuschung, die er in seiner Verwirrung begangen; er warf den Stock mit Heftigkeit auf den Fußboden und eilte in sein Schlafzimmer.

Monsieur Coumbes war so sehr außer sich, daß er, ungeachtet der mathematischen Genauigkeit, womit jedes Fach seines Gehirns mit der Stelle übereinstimmte, welche in seiner Cabane jeder der ihm gehörenden Gegenstände einnahm, mit einer tollen Aufregung hin und her ging, in allen Winkeln seines Zimmerchens suchte, in der Dunkelheit die Hand auf Möbeln legte, welche, wenn sie auch irgend eine Aehnlichkeit mit der vortrefflichen Waffe hatten, die ihm Zaoué verkauft hatte, fiel doch ebenso wenig ersetzen konnten, wie die Weinrebe.

Erst nach einigen Augenblicken dieser Unordnung in seinen Ideen erinnerte er sich, daß er sie am Abend zuvor geputzt und im Winkel des Feuerheerdes zurückgelassen, so wie jeder gute Jäger unter ähnlichen Verhältnissen die Vorsicht anwenden muß.

Er stieg in das Erdgeschoß hinunter, indem er bemüht war, das Geräusch einer Schritte zu dämpfen, um Milette nicht zu wecken, die, seitdem der Herbst gekommen war, auf dem Divan des einzigen Zimmers in der Cabane schlief, wo man Feuer machte.

Monsieur Coumbes ergriff seine Flinte mit der Trunkenheit des gefangenen Wilden, der seine Freiheit in ihr sieht; er spannte sie mit Wuth; aber weil diese Flinte leer war, mußte man sie laden.

Indem der Impuls, der Monsieur Coumbes zu diesem Aeußersten führte, an freiem Antriebe verlor, mußte seine Heftigkeit natürlich nachlassen; indessen war er immer entschlossen, diesem schlechten Burschen eine Lektion zu geben; aber wir glauben, daß ihm der Gedanke schon gekommen war, entweder ein wenig zu hoch oder zu niedrig auf das lebendige Ziel, welches er wählen wollte, zu feuern; was übrigens für diesen vielleicht keine Sicherheit war.

Zweiter Band

Erstes Kapitel
Monsieur Coumbes macht Zusätze zum Macchiavel

Ein so leidenschaftlicher Jäger Monsieur Coumbes auch war, hatte er doch nicht Zeit gehabt, sich jene große Erfahrung anzueignen, welche befähigt, die Augen durch die Hand zu ersetzen und eine Flinte in der Dunkelheit zu laden; er begann daher, die Lampe anzuzünden, um seiner mangelnden Gewohnheit zu Hilfe zu kommen.

Er hielt ein Schwefelholz an die verkohlte Schnuppe der Nachtlampe; diese Schnuppe färbte sich purpurroth und entflammte sich dann wieder; der zweifelhafte und schwankende Schein verbreitete sich über die Wände und zeichnete darauf alle möglichen Arten von phantastischen Figuren. Plötzlich wurde die Flamme von Oel befeuchtet und dann erhob sie sich und erleuchtete das ganze Zimmer; Monsieur Coumbes stürzte sich auf sein Pulverhorn und seinen Schrotbeutel zu.

Bei der Bewegung, die er machte, um sie zu nehmen, fielen seine Augen auf Milette, die arme Frau schlief friedlich; ein regelmäßiger Athemzug bewegte ihre Brust in gleichen Zwischenräumen; ihre Physiognomie war ruhig; ein Lächeln zog über ihre Lippen; das Leben dauerte im Schlummer fort. Sie träumte wahrscheinlich von dem, welchem ihr Herr in diesem Augenblick den Tod bereitete.

Diese Gedankenverbindung stellte sich sogleich in dem Gehirn des Monsieur Coumbes dar; sie machte ihn traurig; zum ersten Mal in seinem Leben warf er sich. Alles vor, was von demüthiger und tiefer Ergebenheit, von Verleugnung und Zärtlichkeit in dem Leben seiner Dienerin gewesen war; zum ersten Mal bemerkte er, daß sie edel und groß, daß er klein und winzig sei; seine Flinte entsank seinen Händen und fiel mit großem Geräusch auf den Fußboden; aber wenn der Eindruck unerwartet sein mochte, war die Gegenwirkung plötzlich; die Ueberzeugung, die man ihm eben von seinem Unrecht gegeben, verdoppelte den ursprünglichen Zorn des Monsieur Coumbes. Er hob seine Flinte nicht auf, sondern er öffnete Schloß und Riegel, und einen Besen abziehend, der sich in seinem Bereiche befand, ergriff er den Stiel und stürzte sich hinaus, sehr entschlossen, sich desselben gegen den zu bedienen, den ihm Gott in den Weg schicken würde.

Er lief zu der Mauer; zu einer großen Ueberraschung fand er die Leiter nicht mehr dort. Er kehrte zum Hause zurück; das verrätherische Tuch war in seine Muschel, und diese Muschel, das heißt, das Fenster des Sohnes Miletten’s. hatte, völlig geschlossen, das anständige und schamhafte Ansehen der benachbarten Fenster angenommen.

Monsieur Coumbes begann vor Wuth zu brüllen.

Er verstummte.

Er hatte eben in dem benachbarten Garten ein: »Hum, hum!« gehört, welches ganz das Ansehen hatte, eine Antwort auf das Pfeifen zu sein, welches Marius als Signal erhoben hatte; und dieses »Hum, hum!« kam offenbar von einer weiblichen Stimme.

Monsieur Coumbes drückte mit der Hand auf sein Herz, welches so heftig schlug, als wollte es ihm die Brust sprengen, versuchte seinem Organ einen jugendlichen Ausdruck zu geben, und antwortete auf den Ruf, der aus dem benachbarten Garten kam, neugieriger als je, dieses Geheimniß zu ergründen.

Er hatte seine Antwort noch nicht beendet, als etwas ziemlich Schweres, über die mittlere Mauer geworfen, zu seinen Füßen niederfiel. Es war ein Stein, woran ein sorgfältig zusammengelegtes Papier gebunden war, welches der ehemalige Packträger vorläufig in Beschlag nahm; was auch geschehen mochte, er hatte das Geheimniß des jungen Mannes in der Tasche. Indessen durfte man die Gelegenheit nicht entwischen lassen, es noch weiter zu ergründen. Monsieur Coumbes hustete abermals, diesmal ohne Erfolg; er hörte den Sand, der unter einem verstohlenen Fußtritte knirschte; die anonyme Correspondentin entfernte sich.

Monsieur Coumbes nahm, ohne Miletten zu antworten, welche der Fall der Flinte erweckt hatte und die nicht wußte, was sie von dem verstörten Gesicht ihres Herrn denken sollte, die Lampe und stieg auf sein Zimmer —

Folgendes war der Inhalt des Papiers, welches er aufgehoben:

»Traurige Nachrichten, mein Freund! Mein Herz schwillt, indem ich sie Dir mittheile; mein Herz empört sich gegen meine Feder, die sie schreiben will. Dieser Sonntag, auf den wir uns gefreut, wird für mich, für Dich so lang, so leer sein, wie die Wochentage lang und leer sind, welche unsere armen Zusammenkünfte trennen! Ich hoffte der Verbindlichkeit zu entgehen, bei dem Familienmittagsmahle, wovon ich Dir gesagt habe, zu figuriren; aber dies ist mir unmöglich gewesen: mein Bruder hatte, ohne Zweifel mit anderen Absichten, als die meinigen, gerade denselben Entschluß gefaßt, wie ich, nämlich bei diesem langweiligen Feste nicht zu erscheinen; ich habe gebeten, geweint, gefleht – ich sage es Dir, damit Du stolz darauf ein mögest, mein Freund – nichts konnte seine Halsstarrigkeit besiegen. Unsere Pläne machen es so nothwendig, ihn richtig zu behandeln, daß Du es mir nicht zu sehr übel nehmen wirst, daß ich nachgegeben habe; übrigens ist meine Unterwürfigkeit von guter Vorbedeutung für unsere künftige Haushaltung. Muth also, mein Freund! und vereinigen wir alle unsere Bitten, daß Gott nicht nur die Stunden, die uns von einander entfernt halten, sondern auch die abkürze, welche noch vergehen sollen vor dem Tage, wo wir gegenseitig den Eid halten können, den wir einander auf den Hügeln gegeben haben. Lebe wohl, Freund, ich drücke Dir die Hände; ich denke zu viel an Dich, um Dir noch sagen zu müffen: denke an mich!«

Dieser Brief war vollständig unterzeichnet: »Madeleine Riouffe.« Das junge Mädchen war in der Reinheit ihrer Liebe, in der Energie ihres Entschlusses glücklich, diesem Papier den Werth eines Wechsels zu geben.

Monsieur Coumbes glaubte zu träumen; er wendete den Brief der Mademoiselle Riouffe nach allen Seiten herum, als ob derselbe irgend einen verborgenen Sinn gehabt hätte, welchen zu erklären ihm noch nicht gelungen. Er würzte jede seiner Geber den mit Verwünschungen, abwechselnd verächtlich oder wüthend: die Verachtung galt der Unverschämtheit der Frauen, die Wuth galt der Undankbarkeit der Männer.

Jetzt bemerkte er eine Nachschrift, die er wegen der Feinheit der Handschrift übersehen hatte.

»Vor allen Dingen keine Unbesonnenheit,« fügte Mademoiselle Riouffe zu ihrem Briefe hinzu; »zeige Dich nicht einmal an der Pforte unserer beiderseitigen Grenzen, ehe ich Jean auf meinen Willen vorbereitet habe. Hüte Dich, morgen in meiner Abwesenheit in unserem lieben Wäldchen zu lustwandeln; denn aller Wahrscheinlichkeit nach wird Dein künftiger Schwager den Tag und den Abend in der Sennhütte zubringen.«

Jetzt konnte man die Sprache der Mademoiselle Riouffe nicht mehr für einen schlechten Witz halten. Monsieur Coumbes wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte.

In der Wirklichkeit empfand er diese beiden Eindrücke.

Wie alle Egoisten begriff Monsieur Coumbes nicht, wie es ein Glück in der Welt geben könne, ohne ihm angenehm zu sein. Er dachte nicht an die Vortheile, die für Marius aus einer Verbindung erwachsen könnten, die so weit über seine Hoffnungen hinausging; alle seine Gedanken waren auf das gerichtet, was er den Abfall eines Pflegesohnes nannte; er schien ihm im höchsten Grade schmachvoll, und keine Strafe konnte strenge genug sein, um ihn dafür zu bestrafen. Er empfand, indem er darüber nachdachte, zugleich Regungen voll Bitterkeit und einen Zorn voll Verachtung.

Andererseits bei dem tiefen Gefühl der sozialen Hierarchie, welches ihn beherrschte, erschien ihm die Verbindung des Sohnes des Verbrechers Pierre Manas mit einer jungen Dame, die der Handelsaristokratie von Marseille angehörte, als übertrieben komisch! Dieses schöne Project war deutlich bezeichnet; aber er konnte nicht daran glauben, er erwartete einen grotesken Teufel aus dem Papier hervorgehen zu sehen, wie er zuweilen aus einer Tabaksdose hervorgeht.

»Ha! ha! ha! es ist nur zu drollig!« rief Monsieur Coumbes, »der Sohn dieses schlechten Subjects Manas und meiner Magd Milette – denn am Ende ist sie doch immer nur meine Magd – glaubt Anspruch machen zu können, eine Dame zu heirathen, welcher ich, als ich in seinem Alter war, nicht gewagt hätte, das Weihwasser mit der Spitze meines Fingers darzureichen! Ei! wahrhaftig! es ist als wenn der Maire von Cassis Marseille beherrschen wollte! Sie beißt an, wie der Thunfisch auf die Angel!«

Dann ging er zu einer anderen Gedankenreihe über und fügte hinzu:

»Der schlechte Bursche! ich begreife, warum er meiner Rache gegen diesen Anderen, der mir so viele schlaflose Nächte gemacht hat, einen Dämpfer aufsetzen wollte, warum er nicht zugab, daß ich ihn tödtete, wie er es verdiente; er hatte schon eine Angel nach diesem Mädchen ausgeworfen, und diese, gierig wie ein Meerjunker, sprang aus dem Wasser, um den Köder zu erhaschen. Welch eine junge Person, mein Himmel! Da ist nicht mehr Religion, als gesunder Verstand; sollte man nicht sagen, daß dieser Brief von Einer von dem Komödienplatze geschrieben sei! Puh! ich bin nicht mehr jung, aber ich beschwöre es, ich möchte kein so schamloses Mädchen. Es ist indessen vielleicht nicht das Mädchen, welches ihn anlockt, sondern ihre Cabane, die ihn verführt; er will reich sein, den Stolzen spielen in diesem schönen Garten, worin so viele Blumen sind, daß sie die Luft verpesten, und um sich über die arme kleine Hütte lustig zu machen, worin mein Mitleid ihn erzogen hat. Zum Henker! das soll nicht geschehen, so viel sage ich! Fürs Erste leistet man ihm nur einen Dienst, wenn man ihn verhindert, länger an diese Dummheit zu glauben; ich werde ihm diesen Brief nicht geben; er gehe zu dem Stelldichein in das Wäldchen. Er wird mit dem Bruder zusammentreffen; und wahrhaftig! sie sollen sich mit einander schlagen, sie sollen sich zerfetzen, sie sollen sich den Kopf zerschlagen, sie sollen sich umbringen, sie sollen sich tödten! Ei! wenn kein Vortheil dabei ist, wird wenigstens kein Verlust dabei sein!«

Nach diesem menschenfreundlichen Wunsche schloß Monsieur Coumbes den Brief bei seinen Papieren ein und rief Marius.

Er schien eine beträchtliche Verlegenheit nicht zu bemerken, die sich in dem Gesichte des jungen Mannes zeigte; plötzlich auf den Höhen angekommen, wo Macchiavel schwebte, zeigte Monsieur Coumbes eine vollständige Verstellung. Er zeigte sich herzlich und freundlich gegen Milletten’s Sohn, heiter, unbefangen, selbst in seinen Vorschlägen, und machte seine Sache so gut, daß Marius, welcher zitterte, daß ein strenger Pflegevater den Versuch gesehen haben möchte, den er an dem Morgen gemacht, um Madeleine von dem Unfall zu benachrichtigen, der ihn auf den ganzen Tag entfernte, sich völlig beruhigte und seine Angelschnur auswarf und zurückzog, ohne viel Unterhaltung bei seiner Arbeit zu finden.

Nur machte es Monsieur Coumbes so, daß sie erst in die Cabane zurückkehrten, als der Tag schon beträchtlich vorgerückt war.