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Buch lesen: «Die Cabane und die Sennhütte», Seite 15

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»Ah, ja, Du hältst auch Deine Eide so gut,« sagte der Bandit unverschämt; »als Beweis dient Dein ehelicher Eid.«

Milette ließ den Kopf sinken und antwortete nicht.

»Nein, Du wirst mich erst auf der anderen Seite der Grenze verlassen. Am Ende ist es dumm, eine Frau zu haben und den Vortheil davon zu verlieren. Das Gesetz will, daß Du mir folgest, meine Schöne, und man muß dem Gesetze gehorchen. Ich will mich nicht zu strenge zeigen mit der Vergangenheit, aber mit der Zukunft ist es anders.«

Dann deutete er auf die Mauern des Kerkers und fügte hinzu:

»Da bist Du wieder in der ehelichen Wohnung, und ich erwarte, daß Du darin bleibst.«

»Und Marius! und Marius!« rief die arme Mutter, »ich werde also Marius nicht wiedersehen! O Pierre, habe Mitleid mit mir; erinnere Dich, daß Du mich einst liebtest, daß Du Dich mir zu Füßen warfest und mich batest, mich dem Willen meiner Eltern zu widersetzen, die mir einen anderen Mann geben wollten, und daß ich damit antwortete, daß ich mich Dir in die Arme warf. Nun, zum Andenken an jenen Tag, Pierre, stoße mich nicht zurück; Pierre, trenne mich nicht von meinem Sohne.«

»Höre,« sagte der Bandit, welcher offenbar einen Plan zu entwerfen begann; »höre, ich bin nicht frostiger, als ein Anderer; der Junge ist tapfer, und wenn es mir nicht meine Haut kostet, bin ich geneigt, Etwas für ihn zu thun.«

»O mein Gott!« rief Milette athemlos in hoffungsvoller Erwartung.

»Ja,« fügte er hinzu, nachdem er sich gestellt, als ob er nachdenke, »ich bin völlig entschlossen, nicht ihn selber zu retten, sondern Dir zu gestatten, ihn zu retten.«

»Und was muß ich dazu thun?«

»Du begreift wohl, daß der Kleine weder heute noch morgen vor seinen Richtern erscheinen wird, und daß man noch nicht das Urtheil ausspricht; die Justiz hat es nicht so eilig; ich habe also Zeit, das Weite zu suchen und auf die andere Seite des Var zu gelangen. Einmal auf der anderen Seite des Var, bis wohin Du die Güte haben wirst, mich zu begleiten, werde ich zu Dir sagen: »Schönen guten Abend, Milette; jetzt kannst Du thun und sagen, was Du willst, Pierre Manas spottet darüber: er sagt seinem undankbaren Vaterlande Lebewohl, um nie dorthin zurückzukehren.«

»O! Pierre, Pierre, ich will Dich begleiten, wohin Du willst, ohne ein Wort zu sagen; ich will Dich im Nothfalle auch vertheidigen. Wie einfältig war ich, nicht zu begreifen, daß es noch dieses Mittel gebe.«

»Ohne Zweifel giebt es dieses Mittel; aber —«

»Aber was?«

»Man verläßt sein Vaterland nicht so, ohne einen Sous in der Tasche, und Pierre Manas ist kein Kind, um diese Schule durchzumachen. Laß sehen, suche gut, welche Summe kannst Du zum Vortheil eines unglücklichen und verfolgten Gatten aufbringen? Der Kleine hatte mir freilich versprochen, eine Kleinigkeit für mich zu thun, aber man hat ihn gefangen genommen, ehe er Zeit hatte, seine fromme Absicht auszuführen.«

Dann setzte er sich zu ihr nieder, nahm die Miene des Wolfes an, welcher Schäfer geworden, und sagte:

»Suche, meine kleine Frau, suche.«

»Aber ich habe nichts, durchaus nichts,« sagte sie zu ihm.

»Nichts?«

»Keinen Heller.«

»Und der Kleine, wie viel denkst Du, daß er mir gegeben hätte?«

»Ah! gewiß Alles, was er besaß.«

»Und was er besaß, wie hoch mochte sich das belaufen?«

»Auf sechs- oder siebenhundert Franken vielleicht.«

»Das ist nicht viel,« entgegnete Pierre Manas; »aber am Ende —«

Dann fügte er nach augenblicklichem Schweigen hinzu:

»Und wo sind sie, diese sechs- oder siebenhundert Franken des Kleinen?«

»Sie sind in seinem Zimmer bei Monsieur Coumbes.«

»Nun gut, Du giebt mir diese sechs- oder siebenhundert Franken, und damit suche ich das Weite. Uebrigens,« fuhr Pierre Manas fort, »hat man ja ein Gewerbe, und wenn man ein Gewerbe hat, ist man nirgends verlegen.«

»Aber das Geld,« flüsterte Milette, »es gehört nicht mir, Pierre.«

»Gut! Um Dein Kind zu retten, wirst Du Bedenken tragen, über das Geld Deines Kindes zu verfügen, und noch dazu über ein Geld, welches er mir geben wollte?«

»Nun ja,« sagte Milette, »ich will das Geld holen und es Dir zustellen.«

»Frau, Du weißt, was ich Dir gesagt habe.«

»Was hast Du mir gesagt, Pierre? denn Du hast mir Vieles gesagt.«

»Ich habe gesagt, bis wir auf der anderen Seite des Var wären, wollten wir uns nicht verlassen.«

»Wenn wir uns nicht verlassen wollen, wie soll ich Dir denn dieses Geld aus dem Zimmer unseres Marius holen?«

»Wir gehen zusammen.«

»Zusammen?«

»Nun, Du kannst es thun oder auch lassen,« sagte Pierre Manas, seinen brutalen Ton wieder annehmend.

»Und wann werden wir gehen?«

»Diesen Abend, nicht später; und bis dahin laß uns klug sein, unser Wasser trinken, unser Brod essen und keinen Lärm machen.«

Und Pierre Manas stand auf, nachdem er geschickt und ohne Geräusch die Schlüssel in eine Tasche gesteckt, die seit dem vergangenen Abend am Boden liegen geblieben, woran Milette nicht gedacht, die er aber als vorsichtiger Mann nicht vergessen hatte. Hierauf ging er aus dem Gewölbe und empfahl der Gefangenen von Neuem, klug zu sein.

Im Hofe begegnete ihm der Wirth der Gaunerherberge.

»Nun,« fragte dieser, »wann zieht man um?«

»Diesen Abend, Vater Vely!«

»Diesen Abend, das ist zu spät.«

»Nun, ein wenig Geduld.«

»Nein, ich habe Geduld genug mit Dir gehabt: Du bist ein Müßiggänger, Du liegst den ganzen Tag in der Sonne; Du zahlst nicht Dein Logis, und da belästigst Du mich mit einem Weibsbilde, welches allein so viel Lärm macht, wie der ganze Haushalt. Nun, quartiere Dich auf der Stelle aus, Du und Deine Danzella.«

»Sein Sie nicht so kurz angebunden; ich habe eine Expedition vor, und Sie stören mich, wenn ich nachdenke.«

»Es ist kein Mährchen, welches Du mir da erzählt?«

»O nein; gerade um diese Sache zu einem guten Ende zu führen, habe ich mich mit meiner Gattin wieder ausgesöhnt, von der ich seit zwanzig Jahren getrennt war. In diesem Augenblicke ist sie im Begriff, ein Testament zu meinen Gunsten zu machen.«

Bei dieser Erklärung schien sich der Vater Vely zu besänftigen, und da der Tag jetzt angebrochen war, ging er seinen zahlreichen Beschäftigungen nach.

Achtes Kapitel
Monsieur Coumbes thut den besten Schuß, den er je als Jagdliebhaber gethan

Pierre Manas war in Geldangelegenheiten von exemplarischer Pünktlichkeit. Zwölf Stunden nach der berichteten Unterredung, das heißt, gerade um neun Uhr Abends, als kein Mondschein war, öffnete er zum zweitenmal Milletten’s Gewölbe.

Milette stand wartend da. Ihr Gewissen war völlig ruhig; sie hatte eingesehen, daß ihr Niemand, nicht einmal Gott, einen Vorwurf daraus machen werde, daß sie ihren Sohn mit dem Gelde ihres Sohnes rette.

»Nun?« fragte Pierre Manas mit dumpfer Stimme.

»Nun,« entgegnete Milette, »ich bin bereit, Dir zu folgen und zu thun, was Du von mir verlangt hast.«

Pierre Manas machte eine Bewegung der Ueberraschung: er hatte geglaubt, einen letzten Widerstand überwinden zu müssen. Wie hatte Milette unter der beinahe unschuldigen. Bitte den wahren Plan nicht errathen, welcher nichts Unschuldiges an sich hatte? Der Bandit, der nicht an Einfalt glauben konnte, glaubte an Verstellung.

Milette flößte ihm daher eine tiefe Verachtung ein.

»Ah! ah!« sagte er, »die Wetterfahne hat sich gedreht, wie es scheint?«

»Nun,« antwortete Milette einfach, »habe ich Dir nicht gesagt, daß ich bereit wäre zu thun, was Du verlangst?«

»So laß uns gehen,« sagte Pierre Manas in brutalem Tone.

Mit einem einzigen Satze war die arme Frau außer dem Gewölbe. An dem Entzücken, womit sie aus ihrem Gefängnisse floh, erkannte man, wie mächtig in ihr die Erinnerung an die Gefahren war, welchen sie dort ausgesetzt gewesen war. Pierre Manas ergriff ihr Kleid und hielt sie hastig zurück. Die Erschütterung war so heftig, daß Milette auf ihre Kniee fiel.

»O! nicht so schnell, nicht so schnell,« sagte er, »dies ist eine Hast von übler Vorbedeutung. Meiner Treu! Du würdest mich glauben machen, daß Du es eilig hat, draußen zu sein, um der Wache zuzurufen, damit vier Mann und ein Korporal Dich von Deinem lieben Gatten befreien. Ei, ei, ich weiß nicht, aber Du machst mich geneigt, mich von Deiner Gesellschaft zu befreien, so angenehm dieselbe auch sein möge.«

»Ich schwöre Dir, Pierre!« sagte eiligst die arme Frau.

»Schwöre nicht,« fiel Pierre Manas ein, »dies steht mir besser für Dich ein, als alle Deine Eide.«

Und Milette fühlte die kalte und scharfe Spitze eines dolchartigen Messers, welches der Elende auf ihre Brust setzte.

»Siehst Du,« sagte Pierre Manas, »ich will keine Verräthereien; aber Du mußt auch wissen, daß ich nicht dadurch leiden werde. Wenn wir auf der Straße sind, stoße einen Schrei aus, sage ein Wort, mache eine Geberde, die mir nicht zusagt, und hier ist der Aderlasser, der sogleich eine Schuldigkeit thun wird. Es ist wohl der Mühe werth, daß man daran denkt, nicht wahr? Denke also daran, ich sage es Dir, und um Dir besser zu beweisen, welchen Werth ich darauf lege, daß Du meinem Rathe folgt, will ich eine kleine Vorsicht anwenden, die Dich nicht den Versuchungen ausgesetzt lassen wird, welchen Du in Deiner Eigenschaft als Weib vielleicht nicht würdest widerstehen können.«

Pierre Manas löschte seine Laterne und steckte sie in die Tasche; dann band er eine Binde fest vor die Augen seiner Frau, indem er Sorge trug, ihre Haube über den oberen Theil ihres Gesichts zu ziehen; dann nahm er ihren Arm unter den einigen und drückte ihn fest gegen seine Brust. Endlich der größeren Sicherheit wegen schloß er Miletten’s Hand in die seinige ein.

»Und jetzt,« sagte er zu ihr, »fürchte nicht, Dich Deiner natürlichen und gesetzlichen Stütze zu bedienen, liebe Freundin. Hölle und Teufel, ich bin gewiß, man wird uns aus der Ferne und in der Nacht für zwei Verlobte halten, die in einander sehr verliebt sind.«

Indem er sprach und handelte, ging Pierre Mamas weiter und Milette, welche fühlte, wie die frische Luft der Straße ihr ins Gesicht schlug, begriff, daß sie aus dem Gange getreten waren.

Sie athmete mit mehr Leichtigkeit.

»Ja, ja,« sagte Pierre Manas, dem Nichts entging, »da kann man wieder freier athmen; übrigens bedürfen wir dessen, denn wir haben einen Trab zu machen.«

Sie gingen weiter, aber obgleich die Binde, die ihre Augen bedeckte, die arme Frau verhinderte, irgend etwas um sich her zu unterscheiden, so bemerkte sie doch, daß ihr Mann größere Vorsichtsmaßregeln anwendete, um die Stadt zu durchschreiten. Er ging nicht eher in eine neue Straße ehe er sie aufmerksam mit dem Blicke geprüft hatte; sie hielten häufig an; oft wendete sich der Bandit plötzlich um und ging eine Strecke zurück, als wenn irgend eine unerwartete Gefahr sich ihm auf seinem Wege entgegengestellt hätte. Milette begann zu fürchten, daß ihr Mann die Absicht habe, sie aus dem Wege zu schaffen, und empfand eine entsetzliche Seelenqual; wenn er still stand, horchte sie mit jener tiefen Aengstlichkeit des indianischen Kriegers, der in der Mitte seiner Wälder den Schritt des Feindes hört, der näher kommt; aber sei es nun, daß Pierre Manas mit ungewöhnlicher Geschicklichkeit manövrierte, sei es, daß in dieser nächtlichen Stunde die Wanderer auf den Straßen selten waren, so hörte sie, sie mochte horchen wie sie wollte, nur das Geräusch ihrer eigenen Schritte und der ihres Führers, welche auf den Steinplatten wiederhallten.

Bald erstiegen sie einen steilen und ausgehöhlten Abhang, auf welchem die Kieselsteine unter ihren Füßen dahinrollten, während das dumpfe und einförmige Geräusch des Meeres, welches sich an den Felsen brach, die Aufmerksamkeit Miletten’s erregte und ihr den Weg andeutete, auf welchem sie sich befand. Sie näherte sich also Montredon. Man setzte den Weg fort. Plötzlich, in dem Augenblick, als die frische Luft des Meeres und das Geräusch der Wogen ihr andeuteten, daß man am Ufer angekommen sei, fühlte sie, daß ihr Mann sie auf seinen Armen forttrug, in’s Wasser ging, ihr strenge verbot, die Binde anzurühren, welche ihr die Augen verbarg, einige Schritte vorwärts that, ungeachtet des Widerstandes der Wellen sich an ein Boot festhielt, welches sanft schwankend angebunden dalag, eine Last hineinsetzte, zu ihr hineinkletterte, das Tau abschnitt, die Ruder ergriff und vom Lande abstieß. Erst jetzt gestattete er Miletten, das Taschentuch wegzunehmen, womit er ihr die Augen verbunden hatte. Millette benutzte die Erlaubniß und blickte um sich: sie war mit Pierre Manas in dem Boote allein, und mit ihm in jener Unermeßlichkeit verloren, welche die Finsterniß noch verdoppelte. Der Galeeren-Sclave sprach Nichts und neigte sich mit Ungeduld über die Ruder. Milette bemerkte, daß er es eilig habe, sich von der Küste zu entfernen, von welcher er sich übrigens schon zu weit entfernt hatte, als daß der Laut der menschlichen Stimme das Geräusch der Wogen übertönen und bis zum Ufer gelangen konnte, auf der Seite nach der See hin bemerkte die Nichts, als das Feuer des Leuchtthurms von Planier wie einen ungeheuren Stern, der abwechselnd glänzte und erlosch auf dem schwarzen Vorhange, den der Himmel und der Horizont bildeten.

Nach Verlauf einiger Augenblicke zog Pierre Mamas seine Ruder ein, brachte die Segelstange zum Vorschein, um welche das Segel gewickelt war, und gab es dem Winde preis; aber der Wind wehte aus Südosten, und diese Richtung war weit entfernt, ihren Fortschritt zu beschleunigen. Nur durch Laviren konnte sich das Fahrzeug Montredon nähern, wohin der Galeeren-Sclave steuerte. So verlor er zwei gute Stunden mit Laviren, und als sich das Boot dem Prado gegenüber befand, zog er das Segel ein und legte wieder die Ruder auf den Rand des Boots. Man begann die Bergspitzen von Marchia-Veyre zu bemerken. So wie sie sich näherten, fühlte Milette, wie das Klopfen ihres Herzens sich verdoppelte, als hätte sie geahnt, daß sie zu dem Unbekannten hinsteuerten; auf Augenblicke war dieses Klopfen so rasch und heftig, daß es ihr schien, als wollte dieses Herz seine Umhüllung brechen. Bis dahin hatte Pierre Manas geschwiegen; als er das Ziel vor sich sah, worauf sich seine Raubgedanken richteten, nahm er die spöttische Redseligkeit, die ihm gewöhnlich war, wieder an.

»Teufel!« rief er, »Du kannst nicht sagen, Milette, daß Du nicht den besten Mann in der ganzen Provence hat. Bedenke, ich führe Dich nicht nur aufs Land, sondern ich setze auch meine Angelegenheiten der Gefahr aus und verliere eine Stunde auf dem Wege, um Dir die Annehmlichkeit einer Spazierfahrt auf dem Meere zu verschaffen. Und jetzt,« fügte er landend hinzu, »begreift Du wohl, daß so viele Galanterien ihre Belohnung verdienen.«

»Pierre,« sagte Milette, »wenn die Befreiung unseres armen Kindes der Endzweck dessen ist, was Du verlangst, so will ich Alles thun, was Dir angenehm ist.«

»Nun, das nenne ich gesprochen.«

Und Pierre Manas nahm den Arm seiner Frau und machte sich auf den Weg zu der Cabane, deren schwarze Masse sich in der Dunkelheit durch ihren Umriß auszeichnete, der noch dunkler war, als die Nacht. An der Thüre der Cabane angekommen, griff Milette, als wäre ihre Erinnerung erst jetzt wieder erwacht, in die Tasche und stieß einen Ausruf aus.

»Was giebt’s?« fragte Pierre Manas.

»Ich habe die Schlüssel des Hauses verloren.«

»Zum Glück habe ich sie gefunden,« sagte der Bandit, indem er das kleine Schlüsselbund klirren ließ, welches er mit einer Schnur zusammengebunden.

Und auf den ersten Griff fand er mit einer Geschicklichkeit, welche die Erfahrung bewies, die Pierre Manas in dergleichen Dingen hatte, den Schlüssel zu der Gartenthüre.

Die Thüre öffnete sich mit einem leichten Knarren. Monsieur Coumbes war zu ökonomisch, sein Olivenöl anzuwenden, um die Angeln seiner Thüren zu schmieren.

»So, nun laß mich allein eintreten,« sagte Millette, ihre Hand auf den Arm des Pierre Manas legend.

»Wie, allein?«

»Ja, und ich bringe Dir, was ich Dir versprochen habe.«

»Ah! das wäre eine hübsche Geschichte! Du würdest mir Handschellen zurückbringen; und dann sind mir unterwegs allerlei Gedanken eingefallen; man sagt, wie Du weißt, die Nacht bringt Rath.«

Die arme Frau begann zu zittern.

»Welche Gedanken sind Dir denn eingefallen?« fragte sie. »Ich glaubte, es wäre. Alles zwischen uns verabredet.«

»Wie viele Jahre sind es, daß Du bei Monsieur Coumbes bist?«

»Achtzehn oder neunzehn Jahre etwa,« antwortete Milette, ihre Augen niederschlagend.

»Da mußt Du ein hübsches Sümmchen haben.«

»Wie, ein Sümmchen?«

»Ja, ich kenne Dich, Du bist sparsam; bei zweihundert Franken jährlich als Deinen Lohn, so karg der alte Kerl auch sein mag, so ist es doch das Wenigste, was er Dir geben konnte; bei zweihundert Franken jährlich mit Zinsen auf Zinsen macht das beinahe zehn- bis zwölf tausend Franken, weißt Du das? Nun, als Oberhaupt der Gütergemeinschaft gebührt wir die Verfügung über das Geld. Wo sind die zehn- oder zwölftausend Franken?«

»Aber, Unglücklicher!« rief Milette, »ich habe nie daran gedacht, Etwas von Monsieur Coumbes zu verlangen, ebenso wie er nie daran gedacht hat, mir Etwas zu geben. Ich besorgte die Haushaltung. Er kleidete und ernährte mich; er kleidete und ernährte Marius. Er hat überdies die Kosten seiner Erziehung bestritten.«

»Ja, ich begreife, so daß eine Rechnung zwischen Dir und Monsieur Coumbes abzuschließen ist. Es ist gut, führe mich in sein Zimmer; diese Rechnung wollen wir abschließen, und einmal abgeschlossen, werde ich ihm eine vollständige Quittung darüber geben, damit Niemand nach mir von ihm. Etwas fordert.«

»Ha! Unglücklicher, was sagst Du mir da?«

»Ich sage, es handelt sich darum, mich geradezu in das Zimmer des alten Filzes zu führen, und zwar ohne Widerrede, und wenn wir im Zimmer sind, mir zu sagen, wo der Bösewicht unser Geld verbirgt.«

»Unser Geld!«

»Ei! ja, unser Geld; da Du keinen Lohn bekommen, da Du für seine Interessen sorgtest, da Du das Kapital vervielfachtest, so gehört die Hälfte der Ersparnisse Dir und folglich mir. Ich verspreche Dir, nur die Hälfte zu nehmen, gerade was uns zukommt; also weiter keine Bedenklichkeiten, und laß uns gehen.«

»Nimmermehr! nimmermehr!« rief Milette.

Aber bei dem zweiten Nimmermehr stieß sie einen Schrei, des Schmerzes aus: sie fühlte, wie die Spitze des Messers des Banditen in das Fleisch ihrer Schulter eindrang.

»Pierre! Pierre!« sagte sie, »ich werde. Alles thun, was Du willst; aber Du mußt mir zuschwören, daß kein Haar von dem Haupte dessen fallen soll, den Du berauben willst!«

»Sei doch ruhig, ich weiß nur zu gut, was wir ihm schuldig sind, daß er seit zwanzig Jahren für Dich gesorgt und uns einige kleine Hilfsquellen für unser Alter aufgespart hat. Aber verlieren wir keine Zeit: Zeit ist Geld, wie die Amerikaner sagen.«

»Mein Gott! mein Gott! Du hattest mich zu der Hoffnung veranlaßt, wenn Du die Börse unseres Marius hättest, würdest Du Frankreich verlassen.«

»Was willst Du? Der Appetit kommt beim Essen. Dann werde ich alt, und besonders in der Fremde wird es mir nicht leid sein, ein wenig von meinen Renten zu leben. Uebrigens, da ich keinen anderen gesetzlichen Erben, als Marius habe, so wird ihm einst Alles zufallen. Der arme Junge, für ihn wollen wir in Wahrheit arbeiten. Auch habe ich es eilig, mich ans Werk zu machen. Nun, führe mich, Träge!«

Und er ließ sie wieder die Spitze des Messers fühlen. Milette stieß einen Seufzer aus, ging voran, blieb vor einer Thüre stehen und stotterte:

»Hier ist es.«

Der Bandit legte sein Ohr an die Thüre; man hörte ungeachtet des Hindernisses den lauten Athemzug des Monsieur Coumbes, welcher andeutete, daß der Schnarcher in tiefem Schlafe lag.

Pierre Manas suchte mit der Hand das Schloß; der Schlüssel steckte; wenn die Gartenpforte geschlossen war, hielt sich Monsieur Coumbes in seinem Hause in völliger Sicherheit.

Der Bandit drehte leise den Schlüssel um; gleich dem Schlosse an der Gartenthüre machte es einiges Geräusch, aber das Schnarchen des Schläfers übertäubte das Knarren.

Pierre Manas trat ein, zog Milette mehr todt, als lebendig nach sich und schloß die Thüre wieder hinter sich.

Dann, nachdem er diese Vorsicht angewendet, flüsterte er, als ob er zu Hause wäre:

»Nun wollen wir das Licht anzünden; das Geschäft geht besser von Statten, wenn man dabei sieht.«

Milette stammelte ein Gebet; der Schrecken nahm ihr fast die Besinnung.

Das Schwefelholz knisterte, die Flamme erfaßte den Docht des Lichts und der blasse Schein der spärlichen Talgkerze verbreitete sich durch das Zimmer.

Dieser Schein, so schwach er war, gestattete Monsieur Coumbes zu sehen, der ruhig in seinem Bette lag und wie ein Gerechter schlummerte.

Pierre Manas ging auf ihn zu und berührte ihn mit der Fingerspitze. Monsieur Coumbes erwachte.

Nichts kann die Ueberraschung, ja den Schrecken des ehemaligen Packträgers schildern, als er die Augen öffnete und die unheimliche Gestalt des Banditen erblickte.

Er wollte schreien, aber Pierre Manas setzte ihm das Messer an die Kehle.

»Keinen Lärm gemacht, mein guter Herr,« sagte der Galeeren-Sclave; »in der Stille läßt sich am besten arbeiten, und Sie sehen, daß ich in der Hand habe, womit ich Ihnen den Mund schließen kann, wenn Sie ihn zu weit öffnen und zu laut schreien.«

Monsieur Coumbes blickte mit verstörten Augen um sich. Er erblickte Milette, die er in seiner Bestürzung noch nicht gesehen hatte.

»Milette, Milette,« rief er, »wer ist dieser Mann?«

»Sie kennen mich nicht?« sagte Pierre Manas; »nun, das ist seltsam, ich habe Sie sogleich erkannt, als ich Sie eben so häßlich wiedersah, als da ich ging. Es ist der Vortheil der häßlichen Gesichter, daß sie dieselben bleiben; und Sie besaßen. Alles, um sich nicht zu verändern; aber ich, den Madame aus Liebe geheirathet hat, weil ich ein hübscher Bursche war, ich habe mich dieses glücklichen Vorrechts nicht bedienen können, und das macht, daß Sie mich nicht wieder erkennen. Milette, sage doch dem Herrn Coumbes meinen Namen.«

»Pierre Manas!« rief dieser Letztere, der seine Erinnerungen sammelte, welche ihm die Nacht zurückgelassen, wo der Bandit eine Frau hatte hängen wollen

»Ei ja, ohne Zweifel, Pierre Manas, mein guter Herr, welcher in Begleitung seiner Gattin kommt, um gewisse Rechnungen mit Ihnen abzuschließen, die Sie zu lange haben ruhen lassen.«

»O! Milette, Milette!« rief der ehemalige Packträger, der in seiner Verwirrung nicht bemerkte, daß die Augen der armen Frau ihm seine Flinte andeuteten, deren Lauf im Winkel des Zimmers funkelte und im Bereiche seiner Hand war.

»Es handelt sich nicht um Milette, mein lieber Herr,« versetzte Pierre Manas; »Tod und Hölle! in Ihrem Alter ist es eine Schande, nicht zu wissen, daß der Mann die Interessen der Gütergemeinschaft im Auge haben muß. Auch wenden Sie sich nicht an meine Frau, wenden Sie sich an mich.«

»Was wollen Sie denn?« stotterte Monsieur Coumbes.

»Zum Henker! was ich will? Geld,« entgegnete unverschämt der Galeeren-Sclave, »welches Sie Madame zu geben geneigen werden, um die guten Dienste zu bezahlen, die sie Ihnen seit achtzehn Jahren geleistet.«

Monsieur Coumbes, der todtenblaß gewesen war, wurde roth. »Aber Geld,« sagte er, »Geld habe ich nicht.«

»Bei sich nicht, das glaube ich wohl, wenigstens wenn Sie Ihre Geldkiste nicht in Ihrem Strohsacke haben; und dann wäre es unter Ihnen. Aber dort oder anderswo, bin ich gewiß, wenn man recht sucht, daß Sie einige Banknoten von tausend Franken finden werden, die sich in irgend einem Winkel Ihres Zimmers verborgen halten.«

»Kurz also, Sie wollen mich bestehlen?« fragte Monsieur Coumbes mit einem Erstaunen, welches komisch hätte sein können, wenn die Gelegenheit nicht so ernst gewesen wäre.

»Ei, Hölle und Teufel! versetzte Pierre Manas, »ich nehme die Worte nicht so genau; und wenn Sie so schnell wie möglich der Sache ein Ende machen, wird Alles gut gehen; wenn nicht, verdammt! so geht es schlimm, das sage ich Ihnen.«

»Geld!« erwiederte Monsieur Coumbes, dem ein Geiz einigen Muth wiedergab, »darauf können Sie nicht rechnen, Sie werden keinen Kupfersou erhalten; wenn ich Ihrer Frau Etwas schuldig bin, so möge sie morgen wiederkommen. Wenn es Tag ist, wollen wir beiderseits unsere Rechnungen abschließen.«

»Zum Unglück,« sagte Pierre Manas, der sich immer drohender zeigte, »ist meine Frau, wie ich, ein Nachtvogel geworden; wir wollen die Rechnung sogleich machen.«

»Ah! Milette, Milette!« wiederholte der arme Monsieur Coumbes.

Diese, tief bewegt von dem schmerzlichen Tone, womit Monsieur Coumbes diesen Anruf aussprach, machte eine Bewegung, um sich dem Banditen zu entziehen; aber dieser, Milette mit der linken Hand wie ein Rohr zusammenknickend, warf sie zu Boden und hielt sie mit seinem Fuße unter sich, den er auf ihre Brust setzte.

»Hölle und Teufel!« rief er, »Du hast schon vergessen, was ich Dir gesagt! Ah! Du wolltest kommen! Du wolltest mich nicht allein machen lassen! Ah! Du wolltest mir nicht sagen, wo er sein Geld verborgen hatte, der Geliebte Deines Herzens! Nun, weißt Du, was ich thun will? Ich will Euch alle Beide tödten, Euch neben einander in dasselbe Bett legen und mit erhobenem Haupte hinausgehen; das Gesetz ist für mich.«

Und während der Bandit sprach, trat er mit seinem schweren Schuh auf Milettens Brust.

Monsieur Coumbes konnte dieses Schauspiel nicht ertragen. Er vergaß sein Geld, er vergaß den Unterschied der Kräfte, er vergaß, daß er fast nackt und ohne Waffen war, er vergaß sich selbst und stürzte sich auf dieses wilde Thier.

Das Entsetzen und die Verzweiflung theilten dem guten Manne eine solche Energie mit, daß Pierre Manas unter der Erschütterung schwankte, und genöthigt, einen Schritt zurück zu thun, hob er unwillkürlich den Fuß auf, womit er Milette am Boden hielt.

Diese, ganz zusammengeknickt und halb erstickt, benutzte die Gelegenheit, sich mit der Gewandtheit eines Panthers wieder aufzurichten und zum Fenster zu eilen.

Aber Pierre Manas hatte ihre Absicht errathen. Er machte eine äußerste Anstrengung, befreite sich von Monsieur Coumbes, der, heftig zurückgestoßen, auf sein Bett zurückfiel, und stürzte, das Messer in der Hand, auf Milette los.

Die Waffe blitzte in dem Halbdunkel des Zimmers, fuhr nieder und hörte auf zu glänzen.

Milette fiel auf den Fußboden nieder, ohne nur mit einem Schrei auf den von Monsieur Coumbes zu antworten.

Der Schrecken schien den ehemaligen Packträger gelähmt zu haben; er bedeckte sein Gesicht mit seinen Händen.

»Dein Geld! Dein Geld!« brüllte der Galeeren-Sclave, ihn heftig schüttelnd.

Monsieur Coumbes deutete schon mit dem Finger auf seinen Secretär, als er im Dunkeln eine menschliche Gestalt schleichen zu sehen glaubte, die sich dem Mörder näherte.

Es war Milette, welche, blaß und sterbend, aus einer tiefen Wunde blutend, ihre letzten Kräfte sammelte, um Monsieur Coumbes zu Hilfe zu kommen.

Pierre Manas hörte und sah sie nicht; ein Geräusch, welches von außen kam, beschäftigte in diesem Augenblicke seine ganze Aufmerksamkeit.

»Ah! da ist Dein Geld!« sagte Pierre Manas endlich.

»Ja,« antwortete Monsieur Coumbes, dessen Zähne vor Schrecken klapperten, »bei Allem, was mir das Heiligste ist, ich schwöre es Ihnen zu.«

»Ei, Tod und Hölle! ich will es auf Eurer Beiden Gesundheit veressen und vertrinken. Ich räche mich und bereichere mich, zwei gute Geschäfte auf einmal.«

Und sein Messer erhebend, dessen Klinge von Blut triefte, sagte er:

»Nun, geh’ zu Deiner Maitresse!«

Er erhob das schreckliche Messer, aber gerade in dem Augenblicke warf sich Milette mit aller Kraft auf ihn und umfaßte ihn mit ihren Armen.

»Ihre Flinte! Ihre Flinte!« rief die arme Frau mit erloschener Stimme, »oder er wird Sie tödten, wie er mich getödtet hat.«

Einsehend, mit wem er es zu thun hatte, glaubte Pierre Manas, daß es ihm leicht sein würde, sich von Milette frei zu machen.

Aber Milette hatte sich mit aller Gewalt an ihn angeklammert, welche denjenigen eigen ist, deren Leben zu Ende geht, und die besonders bei den Ertrinkenden so auffallend ist; ihre Arme hatten die Stärke von zwei eisernen Klammern angenommen, die man zusammengeschmiedet.

Pierre Manas mochte sich winden, die Sterbende schütteln, die wieder mit seinem Dolche treffen, es gelang ihm nicht, sie zu bewegen, ihn loszulassen.

Indessen hatte Milettens Stimme, der verzweifelte Schrei, den sie ausgestoßen, bei Monsieur Coumbes den Instinct der Selbsterhaltung erweckt, den er bei den Schrecken des Todes verloren hatte. Seine Flinte befand sich geladen und gespannt in seinen Händen, was er später, als er diese Scene erzählte, einem Wunder der Kaltblütigkeit zuschrieb; er streckte sie vor, gab Feuer, ohne anzulegen und zu visieren, wie es sonst seine Gewohnheit war, und Pierre Manas, von zweihundert Schrotkörnern, die zusammen einer Kugel gleich kamen, mitten vor die Brust getroffen, fiel wie vom Blitze erschlagen, zu den Füßen des Besitzers der Cabane nieder.

Von der heftigen Gemüthsbewegung überwältigt, war Monsieur Coumbes nahe daran, ohnmächtig zu werden, als er heftig an der Thüre rütteln hörte, indem eine Frauenstimme rief:

»Was machen Sie denn, Monsieur Coumbes?

Mein Bruder hat gesprochen, und Marius ist nicht der Mörder!«