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Buch lesen: «Der Graf von Bragelonne», Seite 78

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Dies war in der That zu wenig oder zu viel.

Und die Entrüstung des Königs ließ diesen alle Dinge vergessen, unter Anderem, daß Saint-Aignan da war: die Entrüstung des Königs machte sich in den heftigsten Verwünschungen Luft.

Saint-Aignan war allerdings in eine Ecke gekauert und sah von hier aus den Sturm vorüberziehen.

Sein Verdruß kam ihm erbärmlich vor gegen den königlichen Zorn.

Er verglich mit seiner kleinen Eitelkeit diesen ungeheuren Stolz des beleidigten Königs, und da er das Herz der Könige im Allgemeinen und das der mächtigen ins Besondere kannte, so fragte er sich, ob nicht dieses noch im leeren Raum hängende Gewicht der Wuth bald auf ihn herabfallen würde, gerade weil Andere schuldig und er unschuldig.

Der König hielt in der That plötzlich in seinem ungemäßigten Gang inne, heftete einen zornigen Blick auf Saint-Aignan und rief:

»Und Du, Saint-Aignan!«

Saint-Aignan machte eine Bewegung, welche bedeutete: »Nun, Sire.«

»Ja nicht wahr, Du bist eben so einfältig gewesen als ich.«

»Sire,« stammelte Saint-Aignan.

»Du hast Dich von diesem plumpen Scherz fangen lassen.«

»Sire,« antwortete Saint-Aignan, dessen Glieder ein Schauer zu schütteln anfing, »Eure Majestät wolle nicht in Zorn gerathen: die Frauen sind, wie sie wohl weiß, unvollkommene, für das Schlimme geschaffene Geschöpfe. Das Gute von ihnen verlangen, heißt also das Unmögliche von ihnen fordern.«

Der König, der einen großen Respect vor sich selbst hatte und über seine Leidenschaften die Herrschaft zu gewinnen anfing, die er sein ganzes Leben hindurch über sie behielt, der König fühlte, daß er sich um die Achtung Anderer brachte, wenn er eine so große Heftigkeit bei einem so geringfügigen Gegenstand offenbarte.

»Nein,« sagte er rasch, »nein, Du täuschest Dich, Saint-Aignan; ich gerathe nicht in Zorn; ich bewundere nur, daß wir mit so viel Geschicklichkeit und Keckheit von diesen kleinen Mädchen betrogen worden sind. Ich bewundere besonders, daß wir, während wir uns erkundigen konnten, die Thorheit begangen haben, uns auf unser eigenes Herz zu verlassen.«

»Oh! das Herz. Sire, das Herz ist ein Organ, das man nothwendig auf seine physischen Functionen beschränken, und aller seiner moralischen Functionen entsetzen muß. Ich gestehe meines Theils, daß ich, als ich das Herz Eurer Majestät so sehr mit diesen Kleinen beschäftigt sah . . . «

»Beschäftigt? ich .. . mein Herz beschäftigt . . . mein Geist vielleicht, was aber mein Herz betrifft, dieses war . . . «

Ludwig bemerkte abermals, daß er, um eine Leere zu bedecken, eine andere zu entblößen im Begriffe war.

»Uebrigens habe ich diesem Kinde nichts vorzuwerfen,« fügte er bei. »Ich wußte wohl, daß die Kleine einen Andern liebte.«

»Den Vicomte von Bragelonne, ja. Ich hatte Eure Majestät davon in Kenntniß gesetzt.«

»Allerdings. Doch Du warst nicht der Erste. Der Graf de la Fère begehrte von mir die Hand von Fräulein de la Vallière für seinen Sohn. Nun denn, bei seiner Rückkehr aus England werde ich sie mit einander vermählen, da sie sich lieben.«

»Darin erkenne ich wahrhaftig den ganzen Edelmuth des Königs.«

»Höre, Saint-Aignan, glaube mir, wir wollen uns nicht mehr um dergleichen Dinge bekümmern,« sagte Ludwig.

»Ja, verdauen wir die Schmach,« erwiederte der Höfling.

»Uebrigens wird das leicht sein,« versetzte der König einen Seufzer modulirend.

»Und um anzufangen, werde ich . . . « sagte Saint-Aignan.

»Nun.«

»Ich werde ein Epigramm auf das Trio machen. Ich nenne das Najade und Dryade, und das wird Madame Vergnügen machen.«

»Thue das, Saint-Aignan, thue das,« murmelte der König. »Du liesest mir Deine Verse vor, das wird mich zerstreuen. Oh! gleichviel, gleichviel, Saint-Aignan,« fügte der König wie ein Mensch bei, der mühsam athmet, »dieser Streich erfordert eine übermenschliche Kraft, um würdig ausgehalten zu werden.«

Und als der König so endigte, wobei er sich das Ansehen engelischster Geduld gab, kratzte einer von den Bedienten vom Dienst an der Thüre des Zimmers.

Saint-Aignan trat aus Ehrfurcht auf die Seite.

»Herein,« rief der König.

Der Diener öffnete halb die Thüre.

»Was will man?« fragte der König.

Der Diener zeigte einen in Form eines Dreiecks zusammengelegten Brief und erwiederte:

»Für Seine Majestät?«

»Von wem?«

»Ich weiß es nicht, er ist mir von einem der Offiziere vom Dienst übergeben worden.«

Der König machte ein Zeichen; der Diener brachte ihm das Billet.

Der König näherte sich den Kerzen, öffnete das Billet, las die Unterschrift, und ließ einen Schrei entschlüpfen.

Saint-Aignan war ehrfurchtsvoll genug, um nicht zu schauen; aber ohne zu schauen, sah er und hörte er. Er lief herbei.

Der König entließ den Bedienten mit einer Geberde. »Oh! mein Gott!« sagte der König, während er las.

»Befindet sich Eure Majestät unwohl?« fragte Saint-Aignan, die Arme ausstreckend.

»Nein, nein, Saint-Aignan, lies.«

Und er reichte ihm das Billet.

Die Augen von Saint-Aignan richteten sich auf die Unterschrift.

»La Vallière!« rief er. »Ah! Sire!«

»Lies! lies!«

Saint-Aignan las.

»Sire, verzeiht die Zudringlichkeit, verzeiht mir besonders den Verstoß gegen die Förmlichkeiten, der diesen Brief begleitet: ein Billet scheint mir dringender, als eine Depeche; ich erlaube mir daher, ein Billet an Eure Majestät zu schreiben.«

»Ich kehre gelähmt von der Anstrengung und dem Schmerz in mein Zimmer zurück, Sire, und ich flehe Eure Majestät um die Gnade einer Audienz an, in der ich meinem König die Wahrheit werde sagen können.«

»Louise de la Vallière.«

»Nun?« fragte der König, während er den Brief wieder aus den Händen von Saint-Aignan nahm, der von dem, was er gelesen, ganz verblüfft war.

»Nun?« wiederholte Saint-Aignan.

»Was denkst Du hiervon?«

»Ich weiß es nicht.«

»Sprich doch.«

»Sire, die Kleine hat wohl den Donner rollen hören und Furcht bekommen.«

»Furcht, wovor?« fragte der König hochherzig,

»Ah! Sire, Eure Majestät hat tausend Gründe, dem Urheber oder vielmehr den Urhebern eines so boshaften Scherzes zu grollen, und im schlimmen Sinn geöffnet, ist das Gedächtniß Eurer Majestät eine ewige Drohung für die Unvorsichtige.«

»Saint-Aignan, ich sehe nicht wie Ihr.«

»Der König muß besser sehen, als ich.«

»Wohl, ich sehe in diesen Zeilen Schmerz, Zwang, und nun, da ich mich gewisser Einzelheiten der Scene erinnere, die diesen Abend bei Madame vorgefallen ist . . . kurz . . . «

Der König vollendete nicht.

»Kurz,« sprach Saint-Aignan, »Eure Majestät wird die Audienz geben, das ist das Klarste von Allem.«

»Ich werde etwas Besseres thun, Saint-Aignan.«

»Was werdet Ihr thun, Sire.«

»Nimm Deinen Mantel.«

»Aber, Sire.«

»Du weißt, wo das Zimmer der Ehrenfräulein von Madame ist?«

»Gewiß.«

»Du weißt ein Mittel, dahin zu gelangen?«

»Oh! was das betrifft, nein.«

»Du mußt aber Jemand dort kennen?«

»Oh I Eure Majestät ist die Quelle aller guten Gedanken.«

»Du kennst Jemand?«

»Ja.«

»Sprich, wen kennst Du?«

»Ich kenne einen gewissen jungen Mann, der auf das Beste mit einem gewissen Fräulein steht.«

»Ehrenfräulein?«

»Ja, Ehrenfräulein, Sire.«

»Mit Tonnay-Charente?« fragte der König lachend.

»Leider, nein, mit Montalais.«

»Er heißt?«

»Malicorne.«

»Gut . . . Und Du kannst auf ihn zählen?«

»Ich glaube es, Sire . . . Er muß wohl einen Schlüssel haben . . . Und wenn er einen neuen hat, so wird er, da ich ihm einen Dienst geleistet habe . . . mir denselben überlassen.«

»Vortrefflich! Laßt uns gehen.«

»Ich bin zu den Befehlen Eurer Majestät.«

Der König warf seinen eigenen Mantel auf die Schultern von Saint-Aignan und verlangte von diesem den seinigen. Dann gingen Beide nach dem Vorhaus.

XV.
Was weder Najade, noch Dryade vorhergesehen

Saint-Aignan blieb am Fuße der Treppe stehen, welche in den Entresols zu den Ehrenfräulein, im ersten Stock zu Madame führte.

Von hier aus ließ er durch einen Bedienten, der vorüberkam, Malicorne, welcher sich noch bei Monsieur befand, benachrichtigen,

Nach zehn Minuten erschien Malicorne, die Nase im Wind und im Schatten witternd.

Der König wich in den dunkelsten Theil des Vorhauses zurück.

Saint-Aignan trat im Gegentheil vor.

Doch bei den ersten Worten, mit denen er seinen Wunsch aussprach, wich Malicorne auch geradezu zurück.

»Hai ha!« sagte er,«Ihr verlangt von mir, in das Zimmer der Ehrenfräulein eingeführt zu werden?«

»Ja.«

»Ihr begreift, daß ich dergleichen nicht thun kann, ohne zu wissen, in welcher Absicht Ihr es wünscht.«

»Lieber Herr Malicorne, es ist mir leider unmöglich, irgend eine Erklärung zu geben: Ihr müßt mir also vertrauen wie einem Freund, der Euch aus einer Verlegenheit gezogen hat, und Euch bittet, ihn heute aus einer zu ziehen.«

»Aber ich, mein Herr, ich sage Euch, was ich wollte, ich wollte nicht unter freiem Himmel schlafen, und jeder ehrliche Mensch kann einen solchen Wunsch gestehen, während Ihr nichts gesteht.«

»Glaubt mir, mein lieber Herr Malicorne, wenn es mir erlaubt wäre, mich zu erklären, würde ich mich erklären.«

»Dann, mein lieber Herr, ist es mir unmöglich, Euch zu erlauben, bei Fräulein von Montalais einzutreten.«

»Warum?«

»Ihr wißt es besser, als irgend Jemand, da Ihr mich auf einer Mauer ertappt habt, als ich Fräulein von Montalais den Hof machte; es wäre aber, das müßt Ihr zugestehen, zu gefällig von mir, wenn ich der ich ihr den Hof mache, die Thüre ihres Zimmers öffnen würde.«

»Ei! wer sagt Euch, daß ich Euch ihretwegen um den Schlüssel bitte?«

»Wegen wessen denn sonst?«

»Sie wohnt nicht allein, wie mir scheint.«

»Allerdings nicht, sie wohnt mit Fräulein de la Vallière zusammen.«

»Ja, doch Ihr habt in Wirklichkeit eben so wenig mit Fräulein de la Vallière zu thun, als mit Montalais, und es gibt nur zwei Menschen, denen ich den Schlüssel geben würde: Herr von Bragelonne, wenn er mich darum bäte, dem König, wenn er es mir befähle.«

»Nun denn! so gebt mir den Schlüssel, mein Herr, ich befehle es Euch,« sprach der König, indem er aus der Dunkelheit hervortrat und seinen Mantel öffnete. »Fräulein von Montalais wird zu Euch herabgehen, während wir zu Fräulein de la Vallière hinaufsteigen; wir haben in der That nur mit ihr allein zu thun.«

»Der König!« rief Malicorne. Und er bückte sich bis zu den Knieen des Königs.

»Ja, der König,« sagte Ludwig lächelnd, »der König, der Euch eben so viel Dank für Euren Widerstand als für Eure Capitulationen weiß.«

»Sire, zu Euren Befehlen,« erwiederte Malicorne, auf die Treppe deutend.

»Laßt Fräulein von Montalais herabgehen und sagt ihr kein Wort von meinem Besuch,« sprach der König.

Malicorne verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams und stieg hinauf.

Doch nach einer kurzen Ueberlegung folgte ihm der König, und dieß mit einer solchen Geschwindigkeit, daß er, obgleich Malicorne die halbe Treppe voraus hatte, zu gleicher Zeit mit ihm vor das Zimmer kam.

Er sah nun durch die hinter Malicorne ein wenig offen gebliebene Thüre La Vallière ganz in einem Lehnstuhl zurückgebogen, und in der andern Ecke Montalais, die im Nachtgewand vor einem großen Spiegel stehend ihre Haare kämmte und mit Malicorne parlamentirte.

Der König öffnete ungestüm die Thüre und trat ein.

Montalais stieß bei dem Geräusch, das die Thüre machte, einen Schrei aus, und entfloh, als sie den König erkannte.

Bei diesem Anblick erhob sich La Vallière wie eine galvanisirte Todte und fiel dann wieder in ihren Lehnstuhl zurück.

Der König ging langsam auf sie zu.

»Ihr wünscht eine Audienz, mein Fräulein,« sagte er mit kaltem Tone, »ich bin bereit, Euch anzuhören, sprecht.«

Getreu seiner Rolle als Tauber, Stummer und Blinder hatte sich Saint-Aignan in einen Winkel der Thüre auf einen Schemel gesetzt, den ihm der Zufall verschaffte.

Verborgen unter der Tapete, die als Thürvorhang diente, hörte er so, ohne gesehen zu werden, indem er sich in die Rolle des guten Hundes fügte, welcher wartet und wacht, ohne je den Herrn zu belästigen.

Von einem tiefen Schrecken beim Anblick des aufgebrachten Königs ergriffen, erhob sich La Vallière zum zweiten Mal, blieb in einer demüthigen, flehenden Stellung und stammelte:

»Sire, verzeiht mir.«

»Ei! mein Fräulein, was soll ich Euch verzeihen?« fragte Ludwig XIV.

»Sire, ich habe einen großen Fehler begangen, mehr als einen großen Fehler, ein großes Verbrechen.«

»Ihr?«

»Sire, ich habe Eure Majestät beleidigt.«

»Nicht im Geringsten,« erwiederte Ludwig XIV.

»Sire, ich flehe Euch an, behauptet mir gegenüber nicht diesen furchtbaren Ernst, der den gerechten Zorn des Königs offenbart. Ich fühle, daß ich Euch beleidigt habe, Sire; aber ich muß Eurer Majestät erklären, wie ich Euch nicht mit meinem vollen Willen beleidigt habe.«

»Sagt mir vor Allem, worin solltet Ihr mich beleidigt haben? ich sehe es nicht. Etwa durch einen Mädchenscherz, durch einen sehr unschuldigen Scherz? Ihr habt über einen leichtgläubigen jungen Mann gespottet: das ist ganz natürlich; jede andere Frau hätte an Eurer Stelle gethan, was Ihr gethan habt.«

»Oh! Eure Majestät drückt mich mit diesen Worten zu Boden.«

»Warum?«

»Weil der Scherz, wenn er von mir gekommen, nicht unschuldig gewesen wäre.«

»Mein Fräulein, ist das Alles, was Ihr mir zu sagen hattet, indem Ihr mich um eine Audienz batet?« fragte der König.

Und er machte einen Schritt rückwärts.

Da machte La Vallière, deren Augen vom Feuer der Thränen vertrocknet, ihrerseits einen Schritt gegen den König und sprach mit stockender Stimme:

»Eure Majestät hat Alles gehört.«

»Alles, was?«

»Alles, was von mir bei der Königseiche gesagt worden ist.«

»Ich habe nicht ein Wort davon verloren, mein Fräulein.«

»Und Eure Majestät konnte, nachdem sie mich gehört, einen Augenblick der Ansicht sein, ich habe ihre Leichtgläubigkeit mißbraucht?«

»Ja, Leichtgläubigkeit, das ist es, Ihr habt das rechte Wort gesagt.«

»Und Eure Majestät hat nicht geahnt, ein armes Mädchen wie ich könne zuweilen genöthigt sein, sich dem Willen von Andern zu unterziehen?«

»Verzeiht, ich werde nie begreifen, daß diejenige, deren Willen sich so frei unter der Königseiche auszudrücken schien, den Willen eines Andern einen solchen Einfluß auf sich ausüben lassen könnte.

»Oh! doch die Drohung, Sire.«

»Die Drohung? wer bedrohte Euch? wer wagte es, Euch zu drohen?«

»Diejenigen, welche das Recht haben, es zu thun, Sire.«

»Ich erkenne Niemand das Recht der Drohung in meinem Reiche zu.«

»Verzeiht, Sire, es gibt bei Eurer Majestät selbst Personen, welche hoch genug gestellt sind, um berechtigt zu sein, oder sich berechtigt zu glauben, eine junge Person ohne Zukunft, ohne Vermögen, die nichts hat, als ihren Ruf, zu Grunde zu richten.«

»Und wie sie zu Grunde richten?«

»Indem sie ihr den Verlust dieses Rufes durch ein schmähliches Fortjagen zuziehen.«

»Oh! mein Fräulein,« sprach der König mit einer tiefen Bitterkeit, »ich liebe ungemein die Leute, die ihre Unschuld darthun, ohne Andere anzuschuldigen.«

»Sire!«

»Ja, und ich gestehe, es ist mir peinlich, zu sehen, daß eine leichte Rechtfertigung, wie die Eurige sein könnte, sich vor mir in ein Gewebe von Vorwürfen und Bezichtigungen verwickelt.«

»Denen Ihr also keinen Glauben schenkt?« rief La Vallière.

Der König schwieg.

»Oh! sagt es doch!« sprach La Vallière voll Heftigkeit.

»Ich bereue, es Euch gestehen zu müssen,« erwiederte der König, indem er sich mit einer kalten Gebärde verbeugte.

Das Mädchen gab einen tiefen Ausruf von sich, und schlug dabei ihre Hände an einander.

»Ihr glaubt mir also nicht?« fragte Louise.

Der König antwortete nicht.

Die Züge der La Vallière veränderten sich bei diesem Stillschweigen.

»Ihr nehmt also an,« sagte sie, »Ihr nehmt an. ich habe das lächerliche, das schändliche Komplott, so mit Eurer Majestät unverschämt Spott zu treiben, angezettelt?«

»Ei! mein Gott, das ist weder lächerlich noch schändlich entgegnete der König, »es ist sogar nicht einmal ein Komplott, sondern nur ei»mehr oder minder scherzhafter Spott.«

»Oh!« murmelte das Mädchen in Verzweiflung, »der König glaubt mir nicht, der König will mir nicht glauben.«

»Nein, ich will Euch nicht glauben.«

»Mein Gott! mein Gott!«

»Höret: was kann in der That natürlicher sein? Der König folgt mir, behorcht mich, belauert mich; der König will sich vielleicht auf meine Kosten belustigen, belustigen wir uns auf seine Kosten, und da der König ein Mann von Herz ist, fassen wir ihn beim Herz.«

La Vallière unterdrückte ein Schluchzen und verbarg ihren Kopf in ihren Händen.

Der König fuhr unbarmherzig fort; er rächte sich an dem armen Opfer für Alles, was er gelitten hatte.

»Nehmen wir die Fabel an, ich liebe ihn und habe ihn ausgezeichnet. Der König ist so naiv und so stolz, daß er mir glauben wird, und dann, dann erzählen wir diese Naivetät de« Königs und lachen darüber.«

»Ah!« rief la Vallière, »dies zu denken ist entsetzlich.«

»Und das ist noch nicht Alles,« fuhr der König fort, »nimmt dieser stolze Fürst den Scherz im Ernst, ist er so unklug, darüber öffentlich etwas wie Freude zu bezeugen, nun! dann soll er vor dem ganzen Hof gedemüthigt werden, das wird eines Tages eine reizende Erzählung sein, die ich meinem Geliebten mache; es wird ein Theil der Mitgift sein, die ich meinem Mann bringe, dieses Abenteuer eines von einem boshaften Mädchen verspotteten Königs.«

»Sire!« rief La Vallière wie im Wahnsinn, »ich flehe Euch an, nicht ein Wort mehr; Ihr seht also nicht, daß Ihr mich tödtet?«

»Oh! ein Scherz, eine Spötterei,« murmelte der König, der indessen in Unruhe zu gerathen anfing.

La Vallière fiel auf die Knie, und das so hart, daß ihre Knie auf dem Boden tönten,

Dann sprach sie, die Hände faltend:

»Sire, ich ziehe die Schande dem Verrath vor.«

»Was macht Ihr?« fragte der König, ohne sich zu bewegen, um das Mädchen aufzuheben.

»Sire, wenn ich Euch meine Ehre und meine Vernunft geopfert habe, werdet Ihr vielleicht an meine Redlichkeit glauben. Was Euch bei Madame und von Madame erzählt wurde, ist eine Lüge; was ich unter der großen Eiche gesagt habe . . . «

»Nun?«

»Dies war allein die Wahrheit.«

»Mein Fräulein!« rief der König.

»Sire!« rief la Vallière, fortgerissen von der Heftigkeit ihrer Empfindungen, »Sire, müßte ich vor Scham auf diesem Platze sterben, wo meine Knie eingewurzelt sind, ich würde es Euch wiederholen, bis meine Stimme bricht: ich habe gesagt, ich liebte Euch . . . nun wohl, ich liebe Euch.«

»Ihr?«

»Ich liebe Euch seit dem Tage, wo ich Euch gesehen, seit in Blois, wo ich schmachtete, Euer königlicher Blick leuchtend und belebend auf mich gefallen ist; ich liebe Euch, Sire. Ich weiß, es ist ein Verbrechen der Majestätsbeleidigung, daß ein armes Mädchen, wie ich, seinen König liebt und es ihm sagt. Bestraft mich für diese Frechheit, verachtet mich wegen dieser Unverschämtheit; sagt aber nie, glaubt aber nie, ich habe Eurer gespottet, ich habe Euch verrathen. Ich bin von einem dem Königthum getreuen Blut, Sire; und ich liebe, ich liebe meinen König! . . . Oh! ich sterbe!«

Und plötzlich fiel sie erschöpft an Kraft, Stimme, Athens gleichsam geknickt, wie jene Blume, von der Virgil spricht, die im Vorübergehen die Sichel des Schnitters berührt hat.

Bei diesen Worten, bei diesem heftigen Flehen hatte der König weder Groll noch Zweifel mehr in sich; sein ganzes Herz hatte sich dem glühenden Hauch dieser Liebe geöffnet, die sich in einer so edlen und muthigen Sprache ergoß.

Als er das leidenschaftliche Geständniß dieser Liebe hörte, entschwanden ihm auch seine Kräfte und er verbarg sein Gesicht in seinen Händen.

Als er aber die Hände von La Vallière krampfhaft an den seinen angeklammert fühlte, als der warme Druck des liebenden Mädchens sich seinen Arterien mitgetheilt hat, entzündete er sich ebenfalls, er umschlang mit dem Arm den Leib von La Vallière, hob sie auf und preßte sie an sein Herz.

Sie aber ließ sterbend ihren schwankenden Kopf auf ihre Schultern sinken . . . sie lebte nicht mehr.

Da rief der König ganz erschrocken Herrn von Saint-Aignan.

Saint-Aignan, der die Discretion so weit getrieben hatte, daß er unbeweglich in seinem Winkel geblieben war, wobei er sich stellte, als wischte er eine Thräne ab, lief bei diesem Ruf des Königs herbei.

Er half dem König La Vallière in einen Stuhl setzen, schlug ihr in ihre Hände, besprengte sie mit Königin von Ungarn-Wasser und wiederholte:

»Mein Fräulein, auf, mein Fräulein, es ist vorbei, der König verzeiht Euch. Ruhig, ruhig, nehmt Euch in Acht, Ihr werdet den König zu heftig erschüttern; mein Fräulein, Seine Majestät ist empfindlich. Seine Majestät hat ein Herz. Ah! Teufel, gebt wohl Acht, mein Fräulein, der König ist sehr bleich.«

Der König erbleichte wirklich sichtbar.

»Mein Fräulein, mein Fräulein, kommt zu Euch,« fuhr Saint-Aignan fort; »ich bitte Euch, ich flehe Euch an, es ist Zeit; bedenkt doch Eines: wenn sich der König übel befände, wäre ich genöthigt, seinen Arzt zu rufen. Ah! welche Verlegenheit, mein Gott! Fräulein, liebes Fräulein, kommt geschwinde zu Euch, strengt Euch an, geschwinde, geschwinde.«

Es war schwierig, mehr Beredsamkeit zu entwickeln, als es Saint-Aignan that; doch etwas Energischeres und Wirksameres, als diese Beredsamkeit, weckte La Vallière auf.

Der König war vor ihr niedergekniet und drückte ihr auf die flache Hand jene glühenden Küsse, welche für die Hände das sind, was das Küssen der Lippen für das Gesicht ist.

Sie kam zu sich, öffnete schmachtend die Augen und flüsterte mit einem sterbenden Blick:

»Oh! Sire, Euer Majestät hat mir also verziehen?«

Der König antwortete nicht, er war noch zu bewegt.

Saint-Aignan glaubte sich abermals entfernen z»müssen . . . Er hatte die Flamme errathen, die aus den Augen Seiner Majestät hervorsprang.

La Vallière stand auf.

»Und nun, Sire,« sagte sie muthig, »nun da ich mich, ich hoffe es wenigstens, in den Augen Eurer Majestät gerechtfertigt habe, erlaubt mir, daß ich mich in ein Kloster zurückziehe. Ich werde meinen König mein ganzes Leben lang segnen, und dort meinen Gott liebend, der mir einen Tag des Glücks bereitet hat, sterben.«

»Nein!« erwiederte der König, »Ihr werdet hier im Gegentheil, Gott segnend, aber Ludwig liebend, leben, Ludwig, der Euch ein ganzes Dasein der Glückseligkeit bereiten wird, Ludwig, der Euch liebt, Ludwig, der Euch das schwört.«

»Oh! Sire, Sire.«

Und auf diesen Zweifel von La Vallière wurden die Küsse des Königs so glühend, daß es Saint-Aignan für seine Pflicht hielt, auf die andere Seite der Tapete zu gehen.

Aber diese Küsse, die sie im ersten Augenblick zurückzuweisen nicht die Kraft gehabt hatte, fingen an das Mädchen zu brennen.

»Oh! Sire,« rief sie, »macht nicht, daß ich es bereue, so redlich gewesen zu sein, denn das hieße mir beweisen. Eure Majestät verachte mich noch.«

»Mein Fräulein,« sprach plötzlich der König, voll Ehrfurcht zurückweichend, »ich liebe und ehre nichts in der Welt mehr, als Euch, und nichts an meinem Hofe, das schwöre ich bei Gott, soll so geschätzt sein, als Ihr es fortan sein werdet; ich bitte Euch daher um Verzeihung wegen meiner Heftigkeit, sie rührte von einem Uebermaß von Liebe her; aber ich kann Euch beweisen, daß ich noch mehr lieben werde, indem ich Euch so sehr achte, als Ihr es nur immer wünschen könnt.«

Dann verbeugte er sich vor ihr, nahm ihre Hand und fügte bei:

»Mein Fräulein, wollt Ihr mir die Ehre erweisen, mir den Kuß zu gestatten, den ich auf Eure Hand niederlege?’

Und die Lippe des Königs legte sich ehrfurchtsvoll und leicht auf die schauernde Hand des Mädchens.

»Fortan,« sprach Ludwig, indem er sich erhob und La Vallière mit seinem Blick bedeckte, »fortan seid Ihr unter meinem Schutz. Sprecht mit Niemand von dem Bösen, das ich Euch zugefügt habe, verzeiht den Andern das, was sie Euch haben thun können. In Zukunft werdet Ihr so hoch über diesen Menschen stehen, daß sie, weit entfernt, Euch Furcht einzuflößen, nicht einmal Euer Mitleid erregen werden.«

Und er verbeugte sich mit einer religiösen Geberde, als ginge er aus einem Tempel weg.

Dann rief er Saint-Aignan, der sich ihm ganz demüthig näherte, und sprach:

»Graf, ich hoffe, das Fräulein wird wohl die Gewogenheit haben, Euch ein wenig Freundschaft zu bewilligen, in Erwiederung der Freundschaft, die ich ihr auf immer gewidmet habe.«

Saint-Aignan beugte das Knie vor La Vallière und flüsterte:

»Welch eine Freude für mich, wenn das Fräulein mir eine solche Ehre zu Theil werden ließe!«

»Ich will Euch Euere Gefährtinnen schicken,« sagte der König. »Lebet wohl, mein Fräulein, oder vielmehr auf Wiedersehen: habt die Güte, mich nicht ganz in Eurem Gebet zu vergessen.«

»Oh! Sire,« rief La Vallière, »seid unbesorgt: Ihr seid mit Gott in meinem Herzen.«

Dieses letzte Wort berauschte den König, der, ganz freudig, Saint-Aignan mit sich die Stufen hinabzog.

Madame hatte diese Entwicklung nicht vorhergesehen: weder Najade noch Dryade hatten davon gesprochen.

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Veröffentlichungsdatum auf Litres:
10 Dezember 2019
Umfang:
2641 S. 19 Illustrationen
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