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Der Graf von Bragelonne

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XXII.
For ever

Der Einladung der Königin Mutter Folge leistend, fand sich Mylord Buckingham bei dieser eine halbe Stunde nach dem Abgang des Herzogs von Orleans ein.

Als sein Name vom Huissier gemeldet wurde, erhob sich die Königin, die sich, den Kopf in ihren Händen, mit den Ellenbogen auf den Tisch stützte, und empfing mit einem Lächeln den anmuthigen und ehrfurchtsvollen Gruß, den der Herzog an sie richtete.

Anna von Oesterreich war noch schön. Man weiß, daß bei ihrem schon vorgerückten Alter ihre langen aschblonden Haare, ihre schönen Hände, ihre frischrothen Lippen noch von Allen, die sie sahen, bewundert wurden.

In diesem Augenblick ganz einer Erinnerung hingegeben, welche die Vergangenheit in ihrem Herzen wieder aufrührte, war sie so schön als in den Tagen ihrer Jugend, als in der Zeit, wo sich ihr Palast öffnete, um jung und leidenschaftlich den Vater dieses Buckingham, den Unglücklichen zu empfangen, der für sie gelebt hatte, der ihren Namen aussprechend gestorben war.

Anna von Oesterreich heftete auf Buckingham einen so zärtlichen Blick, daß man darin zugleich das Wohlgefallen einer mütterlichen Zuneigung und etwas Süßes wie die Coquetterie einer Geliebten entdecken konnte.

»Eure Majestät hat mich zu sprechen gewünscht?« sagte Buckingham ehrerbietig.

»Ja, Herzog,« antwortete die Königin englisch. »Wollt Euch setzen.«

Die Gunst, welche Anna von Oesterreich dem jungen Mann angedeihen ließ, die Schmeichelei der Sprache des Landes, der der Herzog seit seinem Aufenthalt in Frankreich entbehrt hatte, machten einen tiefen Eindruck auf sein Gemüth.

Er errieth auf der Stelle, die Königin habe etwas von ihm zu verlangen.

Nachdem sie die ersten Augenblicke der unüberwindlichen Beklemmung, die sie gefühlt, überlassen hatte, fuhr die Königin mit ihrer lachenden Miene in französischer Sprache fort:

»Wie findet Ihr Frankreich, mein Herr?«

»Ein schönes Land, Madame,« antwortete der Herzog.

»Hattet Ihr es schon gesehen?« »Schon einmal, ja, Madame.«

»Doch, wie jeder guter Engländer, zieht Ihr England vor?«

»Ich liebe mein Vaterland mehr, als das Vaterland eines Franzosen,« erwiederte der Herzog; »fragt mich aber Eure Majestät, welchen von beiden Aufenthaltsorten ich vorziehe, Paris oder London, so antworte ich Paris.«

Anna von Oesterreich bemerkte den Ton voll Wärme, mit welchem diese Worte gesprochen worden waren. »Ihr habt, wie man mir sagt, schöne Güter in Eurer Heimath, Mylord, Ihr bewohnt einen reichen und alten Palast?«

»Den Palast meines Vaters,« antwortete Buckingham, die Augen niederschlagend.

»Das sind kostbare Vorzüge und Andenken,« sagte die Königin, indem sie unwillkührlich Erinnerungen berührte, von welchen man sich nicht gern trennt.

»In der That,« sprach der Herzog, dem schwermüthigen Einfluß dieses Eingangs erliegend, »die Leute von Gemüth träumen eben so viel durch die Vergangenheit oder durch die Zukunft, als durch die Gegenwart.«

»Das ist wahr,« sagte die Königin mit leiser Stimme. »Und daraus geht hervor, Mylord, daß Ihr, der Ihr ein Mann von Gemüth seid . . . Frankreich bald verlassen werdet, um Euch in Eure Reichthümer, in Eure Reliquien einzuschließen.«

Buckingham erhob das Haupt und sprach:

»Ich glaube nicht, Madame.«

»Wie?«

»Ich denke im Gegentheil, daß ich England lassen werde, um in Frankreich zu wohnen.«

Nun war es an Anna von Oesterreich, ihr Erstaunen kundzugeben.

»Wie,« sagte sie,«seid Ihr nicht in Gunst bei neuen König?«

»Im Gegentheil, Madame, Seine Majestät beehrt mich mit einem unbegrenzten Wohlwollen.«

»Euer Vermögen kann sich nicht vermindert haben; man nannte es bedeutend.«

»Mein Vermögen, Madame, ist nie blühender gewesen.«

»Ihr müßt also eine geheime Ursache haben . . . «

»Nein, Madame,« erwiederte Buckingham rasch, »bei diesem Entschluß ist nichts Geheimes. Ich liebe den Aufenthalt in Frankreich, ich liebe einen Hof voll Geschmack und Artigkeit; ich liebe endlich die ein wenig ernsten Vergnügungen, welche nicht die Vergnügungen meiner Heimath sind, während man sie in Frankreich findet.«

Fein lächelnd entgegnete Anna von Oesterreich: »Die ernsten Vergnügungen! Habt Ihr Euch diesen Ernst auch wohl überlegt, Herr von Buckingham?«

Der Herzog stammelte.

»Mylord,« fuhr Anna von Oesterreich fort, »es gibt kein ernstes Vergnügen, das einen Mann von Eurem Rang abhalten darf . . . «

»Madame,« unterbrach sie der Herzog, »Eure Majestät legt ein großes Gewicht auf diesen Punkt, wie mir scheint.«

»Findet Ihr, Herzog?«

»Es ist, möge meine Aeußerung Eurer Majestät nicht mißfallen, es ist das zweite Mal, daß sie die Reize Englands auf Kosten der zauberhaften Wonne rühmt, die man fühlt, wenn man in Frankreich lebt.«

Anna von Oesterreich näherte sich dem jungen Mann, legte ihre schöne Hand auf seine Schulter, die bei dieser Berührung bebte, und sprach:

»Mein Herr, glaubt mir, nichts ist so viel werth, als der Aufenthalt im Heimathlande. Es ist mir sehr oft begegnet, daß ich mich nach Spanien zurücksehnte. Ich habe lange gelebt, Mylord, sehr lange für eine Frau, und ich gestehe Euch, es ist kein Jahr vergangen, in dem ich mich nicht nach Spanien sehnte.«

»Kein Jahr, Madame!« entgegnete kalt der junge Mann, »nicht eines von den Jahren, wo Ihr Königin der Schönheit waret, wie Ihr es übrigens noch seid.«

»Oh! keine Schmeichelei, Herzog; ich bin eine Frau, die Eure Mutter wäre.«

Sie sprach diese Worte mit einem anmuthreichen, milden Ausdruck, der tief in das Herz von Buckingham eindrang.

»Ja,« sagte sie, »ich wäre Eure Mutter, und darum gebe ich Euch einen guten Rath.«

»Den Rath, nach London zurückzukehren?« rief er.

»Ja. Mylord.«

Der Herzog faltete die Hände mit einer erschrockenen Miene, die ihre Wirkung auf diese durch zärtliche Erinnerungen für zärtliche Gefühle geneigte Frau nicht verfehlen konnte.

»Es muß sein,« fügte sie bei.

»Wie!« rief er, »man sagt mir im Ernste, ich müsse abreisen, ich müsse mich verbannen, ich müsse mich flüchten?«

»Euch verbannen! habt Ihr gesagt. Ah! Mylord, man sollte glauben, Frankreich sei Euer Vaterland.«

»Madame, die Heimath der Liebenden ist die Heimath derjenigen, welche sie lieben.«

»Nicht ein Wort mehr, Mylord,« sprach die Königin, »Ihr vergeßt, mit wem Ihr redet.«

Buckingham warf sich auf seine Kniee und rief:

»Madame, Madame, Ihr seid eine Quelle des Geistes, der Güte, der Milde; Madame, Ihr seid nicht nur die Erste dieses Königreichs durch den Rang, Ihr seid die Erste der Welt durch die Eigenschaften, die Euch göttlich machen; ich habe nichts gesagt, Madame. Habe ich etwas gesagt, worauf Ihr mir ein so grausames Wort erwiedern könntet? Habe ich mich verrathen, Madame?«

»Ihr habt Euch verrathen,« antwortete die Königin mit leiser Stimme.

»Ich habe nichts gesagt! Ich weiß nichts!«

»Ihr vergeßt, daß Ihr vor einer Frau gesprochen, gedacht habt, und überdies . . . «

»Und überdies weiß Niemand, daß Ihr mich hört,« unterbrach Buckingham lebhaft die Königin.

»Man weiß es im Gegentheil, Herzog, Ihr habt die Fehler und die guten Eigenschaften der Jugend.«

»Man hat mich verrathen! man hat mich angegeben!«

»Wer dies?«

»Diejenigen, welche schon im Havre mit einer höllischen Scharfsichtigkeit in meinem Herzen wie in einem offenen Buche gelesen hatten.«

»Ich, weiß nicht, wen Ihr meint.«

»Herrn von Bragelonne zum Beispiel.«

»Das ist ein Name, den ich kenne, ohne denjenigen zu kennen, welcher ihn führt. Nein, Herr von Bragelonne hat nichts gesagt.«

»Wer denn? . . . Oh! Madame, wenn Einer die Kühnheit gehabt hätte, in mir das zu sehen, was ich selbst nicht sehen will . . . «

»Was würdet Ihr thun, Herzog?«

»Es gibt Geheimnisse, welche diejenigen tödten, die sie finden.«

»Derjenige, welcher Euer Geheimniß gefunden hat, Ihr Wahnsinniger, ist noch nicht getödtet; mehr noch, Ihr werdet ihn nicht tödten; er ist bewaffnet mit allen Rechten, es ist ein Gatte, es ist ein Eifersüchtiger, es ist der zweite Edelmann Frankreichs, es ist mein Sohn, der Herzog von Orleans.«

Der Herzog erbleichte.

»Wie grausam seid Ihr, Madame!« sagte er.

»So seid Ihr wohl, Buckingham,« sprach schwermüthig Anna von Oesterreich, »Ihr geht durch alle Extreme und kämpft mit den Wolken, während es Euch so leicht wäre, mit Euch selbst im Frieden zu bleiben.«

»Wenn wir Krieg führen, sterben wir auf dem Schlachtfeld,« erwiederte mit sanftem Ton der junge Mann, der sich der schmerzlichsten Niedergeschlagenheit überließ.

Anna ging rasch auf ihn zu, nahm ihn bei der Hand und sagte englisch mit einem Ungestüm, dem Keiner hätte widerstehen können:

»Villiers, was verlangt Ihr? Von einer Mutter, daß sie ihren Sohn opfere, von einer Königin, daß sie in die Schande ihres Hauses einwillige! Ihr seid ein Kind, denkt nicht, daran! Wie! um Euch eine Thräne zu ersparen, sollte ich zwei Verbrechen begehen, Villiers! Ihr sprecht von den Todten; die Todten waren wenigstens ehrfurchtsvoll und unterwürfig; die Todten verbeugten sich vor einem Verbannungsbefehl; sie nahmen ihre Verzweiflung wie einen Reichthum in ihren Herzen mit, weil die Verzweiflung von der geliebten Frau kam, weil der Tod, so trügerisch, gleichsam ein Geschenk, eine Gunstbezeigung war.«

Die Züge verstört, die Hände auf dem Herzen, stand Buckingham auf und erwiederte:

»Ihr habt Recht, Madame, doch diejenigen, von welchen Ihr sprecht, hatten den Verbannungsbefehl aus einem geliebten Mund erhalten; man jagte sie nicht fort, man bat sie, zu gehen, man spottete ihrer nicht.«

»Nein, man erinnerte sich,« flüsterte Anna von Oesterreich. »Doch wer sagt Euch, man jage Euch fort, man verbanne Euch? wer sagt Euch, man erinnere sich Eurer Ergebenheit nicht? Ich spreche für Niemand, Villiers, ich spreche für mich, reist ab! Leistet mir diesen Dienst, habt diese Güte für mich, daß ich dies auch noch einem Manne Eures Namens zu danken habe.«

 

»Euch zu Liebe also, Madame.«

»Mir allein zu Liebe.«

»Es wird hinter mir kein Mann sein, der lacht, kein Fürst, der spricht: Ich habe es gewollt!«

»Herzog! höret mich.«

Hier nahm das erhabene Antlitz der alten Königin einen feierlichen Ausdruck an, und sie fuhr fort:

»Ich schwöre Euch, daß hier Niemand befiehlt, wenn nicht ich; ich schwöre Euch, daß Niemand lachen, sich rühmen wird, sondern daß sich sogar Niemand gegen die Pflicht verfehlen wird, die Euer Rang auferlegt. Zählt auf mich, Herzog, wie ich auf Euch gezählt habe.«

»Ihr erklärt Euch nicht, Madame; ich bin tief verwundet, ich bin in Verzweiflung; der Trost, so voll kommen und süß er auch sein mag, wird mir nicht genügend erscheinen.«

»Freund, habt Ihr Eure Mutter gekannt?« sagte die Königin mit einem einschmeichelnden Lächeln.

»Oh! sehr wenig, Madame! aber ich erinnere mich, daß mich diese edle Dame mit Küssen und Thränen bedeckte, wenn ich weinte.«

»Villiers!« sprach die Königin, indem sie ihren Arm um den Hals des jungen Mannes schlang,« ich bin eine Mutter für Euch, und glaubt mir, nie wird Jemand meinen Sohn weinen machen.«

»Meinen Dank, Madame,« erwiederte der junge Mann gerührt und erschüttert; »Ich gewahre, daß in meinem Herzen noch für ein süßeres, edleres Gefühl, als für die Liebe Platz war.«

Die Königin schaute ihn an, drückte ihm die Hand und sprach:

»Geht, mein Freund.«

»Wann soll ich abreisen? Befehlt.«

»Wann es Euch geeignet erscheint, Mylord,« antwortete die Königin: »Ihr reist, doch Ihr wählt Euren Tag. Statt heute abzureisen, wie Ihr es ohne Zweifel wünschtet, morgen, wie man es erwartete, reist übermorgen Abend ab, nur verkündigt schon heute Euren Willen.«

»Meinen Willen!« murmelte der junge Mann.

»Ja, Herzog.«

»Und ich werde nie wieder nach Frankreich kommen?«

Anna von Oesterreich dachte einen Augenblick nach und versank in den schmerzlichen Ernst dieses Nachsinnens.

»Es wird mir süß sein,« sprach sie, »wenn Ihr an dem Tag kommt, wo ich auf ewig in Saint-Denis beim König, meinem Gemahl, schlafen gehen werde.«

»Bei ihm, der Euch so viel leiden gemacht hat!«

»Der der König von Frankreich war.«

»Madame, Ihr seid voll Güte, Ihr schreitet in der Wohlfahrt einher, Ihr schwimmt in der Freude; lange Jahre sind Euch verheißen.«

»So werdet Ihr also spät kommen,« sprach die Königin, indem sie zu lächeln suchte.

»Ich werde gar nicht kommen, ich, der ich jung bin,« entgegnete Buckingham traurig.

»Oh! Gott sei Dank . . . «

»Der Tod, Madame, zählt die Jahre nicht; er ist unparteiisch; man stirbt, obgleich jung, man lebt, obgleich Greis.«

»Herzog, keine düstere Gedanken; ich will Euch aufheitern. Kommt in zwei Jahren. Ich sehe in Eurem reizenden Antlitz, daß die Ideen, die Euch heute so traurig machen, vor sechs Monaten abgelebte Ideen sein werden; in der Frist, die ich Euch bezeichne, werden sie also todt und vergessen sein.«

»Ich glaube, daß Ihr mich vorhin besser beurtheiltet, Madame, als Ihr sagtet, über uns vom Hause Buckingham habe die Zeit keine Gewalt.«

»Stille! oh! stille!« flüsterte die Königin, indem sie den Herzog mit einer Zärtlichkeit, die sie nicht bewältigen konnte, auf die Stirne küßte; »geht, geht, macht mich nicht weich, vergeßt Euch nicht mehr, ich bin die Königin! Ihr seid ein Unterthan des Königs von England: König Karl erwartet Euch; Gott befohlen, Villiers, lebet wohl, Villiers. farewell!«

»For ever!« erwiederte der junge Mann, und er entfloh, seine Thränen verschluckend.

Anna von Oesterreich drückte ihre Hände an ihre Stirne, schaute dann in den Spiegel und murmelte:

»Man mag sagen, wie man will, arme Königin, die Frau ist immer jung; man ist immer in irgend einem Winkel des Herzens erst zwanzig Jahre alt!«

XXIII.
Worin Keine Majestät König Ludwig XIV. Fräulein de la Vallière weder reich, noch hübsch genug für einen Edelmann vom Rang des Vicomte von Bragelonne findet

Raoul und der Graf de la Fère kamen nach Paris am Abend des Tages, wo Buckingham die von uns mitgetheilte Unterredung mit der Königin Mutter gehabt hatte.

Kaum angelangt, ließ sich der Graf eine Audienz beim König erbitten.

Der König hatte einen Theil des Tags damit zugebracht, daß er mit Madame und den Damen des Hofs die Lyoner Stoffe betrachtete, mit denen er seiner Schwägerin ein Geschenk machte. Es war sofort Mittagstafel bei Hose gewesen, hernach Spiel, und der König hatte seiner Gewohnheit gemäß das Spiel um acht Uhr verlassen und war in sein Cabinet gegangen, um mit Herrn Colbert und Herrn Fouquet zu arbeiten.

Raoul war im Vorzimmer in dem Augenblick, wo die beiden Minister herauskamen, und der König erblickte ihn durch die halb geöffnete Thüre.

»Was will Herr von Bragelonne?« fragte er.

Der junge Mann näherte sich und erwiederte:

»Sire, eine Audienz für den Herrn Grafen de la Fère, der mit dem Wunsche, Eure Majestät sprechen zu dürfen, von Blois ankommt.«

»Ich habe eine Stunde vor dem Spiel und meinem Schlafengehen,« sagte der König. »Ist Herr de la Fère bereit?«

»Der Herr Graf wartet unten auf die Befehle Eurer Majestät.«

»Er komme herauf.«

Fünf Minuten nachher trat Athos bei Ludwig XIV. ein.

Er wurde vom Herrn mit jenem anmuthigen Wohlwollen empfangen, das Ludwig, mit einem Takt über seinem Alter, vorbehielt, um die Menschen für sich zu gewinnen, welche man nicht durch gewöhnliche Gunstbezeigungen erobert.

»Graf,« sprach der König, »laßt mich hoffen, daß Ihr Euch etwas von mir erbitten wollt.«

»Ich verberge das Eurer Majestät nicht,« erwiederte der Graf, »ich komme in der That als Bittsteller.«

»Laßt hören,« sagte der König mit freudiger Miene.

»Es ist nicht für mich, Sire.«

»Desto schlimmer; doch ich werde für Euren Schützling thun, Graf, was Ihr ausschlagt, daß ich für Euch thun soll.«

»Eure Majestät ist allzu gnädig . . . Ich komme, um mit dem König für den Vicomte von Bragelonne zu reden.«

»Graf, das ist, als ob Ihr für Euch sprächet.«

»Nicht ganz, Sire. Was ich von Euch zu erlangen wünsche, kann ich nicht für mich erlangen. Der Vicomte gedenkt zu heirathen.«

»Er ist noch jung; doch gleichviel . . . Es ist ein ausgezeichneter Mann, und ich will eine Frau für ihn finden.«

»Er hat sie gesunden, Sire, und sucht nur die Einwilligung Eurer Majestät.«

»Ah! es handelt sich nur darum, einen Heirathsvertrag zu unterzeichnen?«

Athos verbeugte sich.

»Hat er sich eine Braut gewählt, die einem Stand angehört, der Euch genehm ist?«

Athos zögerte einen Augenblick und antwortete dann:

»Die Braut ist Fräulein, doch reich ist sie nicht.«

»Das ist ein Uebel, für das wir ein Mittel haben.«

»Eure Majestät erfüllt mich mit Dankbarkeit, sie wird mir jedoch erlauben, ihr eine Bemerkung zu machen.«

»Macht sie.«

»Eure Majestät scheint die Absicht zu haben, das Mädchen auszusteuern?«

»Gewiß.«

»Und mein Schritt im Louvre hätte diesen Erfolg gehabt? Das wäre mir leid, Sire.«

»Kein falsches Zartgefühl, Graf! wie heißt die Braut?«

»Es ist Fräulein de la Baume le Blaue de la Vallière,« antwortete Athos kalt.

»Ah!« machte der König, in seinem Gedächtnis, suchend, »ich kenne diesen Namen; ein Marquis de la Vallière.«

»Ja, Sire, es ist seine Tochter.«

»Er ist todt?«

»Ja, Sire.«

»Und die Witwe hat sich wieder an Herrn von Saint-Remy, den Oberhofmeister von Madame Witwe verheirathet?«

»Eure Majestät ist gut unterrichtet.«

»So ist es, so ist es! . . . Mehr noch: die Tochter ist unter die Ehrenfräulein der jungen Madame ein, getreten.«

»Eure Majestät weiß die ganze Geschichte besser als ich.«

Der König dachte abermals nach und schaute verstohlen das ziemlich sorgenvolle Gesicht von Athos an.

»Graf,« sagte er, »mir scheint, das Fräulein ist nicht sehr hübsch.«

»Ich weiß es nicht genau,« antwortete Athos.

»Ich habe sie betrachtet sie hat mich nicht interessirt.«

»Es ist eine sanfte, bescheidene Miene, aber wenig Schönheit, Sire.«

»Doch schöne blonde Haare?«

»Ich glaube, ja.«

»Und ziemlich schöne blaue Augen?«

»So ist es.«

»Was die Schönheit betrifft, ist die Partie als, eine gewöhnliche. Gehen wir zum Geld über.«

»Höchstens fünfzehn bis zwanzigtausend Livres Mitgift, Sire; aber die Verliebten sind uneigennützig; ich selbst lege wenig Werth auf das Geld.«

»Auf den Ueberfluß, wollt Ihr sagen; doch das Nothwendige ist unerläßlich. Mit fünfzehntausend Livres Mitgift, ohne Apanagen, kann eine Frau nicht bei Hofe leben. Wir werden ergänzen, ich will das für Bragelonne thun.«

Athos verbeugte sich.

Der König bemerkte abermals seine Kälte und sprach:

»Gehen wir vom Geld auf den Stand über; Tochter des Marquis de la Vallière, das ist gut; doch wir haben den guten Saint-Remy, der das Haus ein wenig, ich weiß es wohl, durch die Frauen verdirbt, aber immerhin verdirbt, und Ihr, Graf haltet, glaube ich, viel auf Euer Haus.«

»Ich, Sire, lege auf gar nichts mehr einen Werth, als auf meine Ergebenheit für Eure Majestät.«

Der König schwieg wieder einen Augenblick und sprach dann:

»Mein Herr, Ihr setzt mich seit dem Anfang unserer Unterredung ungemein in Erstaunen. Ihr kommt, um mich um Erlaubniß zu einer Heirath zu bitten, und scheint sehr betrübt, daß Ihr diese Bitte thun sollt. Oh! ich irre mich selten, so jung ich bin, denn bei dem Einen stelle ich meine Freundschaft in den Dienst des Verstandes, bei den Andern wende Ich mein Mißtrauen an, das die Scharfsichtigkeit verdoppelt. Ich wiederhole, Ihr thut diese Bitte nicht mit freudigem Herzen.«

»Ja, Sire, das ist wahr.«

»Dann begreife ich Euch nicht . . . schlagt es ab.«

»Nein, Sire; ich bin Bragelonne mit meiner ganzen Liebe zugethan . . . er ist in Fräulein de la Vallière verliebt und schmiedet sich Paradiese für die Zukunft. Ich gehöre nicht zu denjenigen, welche die Illusionen der Jugend zerstören wollen. Diese Heirath mißfällt mir, doch ich bitte Eure Majestät, auf das Schleunigste ihre Einwilligung dazu zu geben und so das Glück von Raoul zu machen.«

»Sprecht, Graf, liebt sie ihn?«

»Wenn ich Eurer Majestät die Wahrheit sagen soll, so glaube ich nicht an die Liebe von Fräulein de la Vallière; sie ist jung, sie ist ein Kind, sie ist berauscht; das Vergnügen, den Hof zu sehen, die Ehre, im Dienste von Madame zu sein, werden in ihrem Kopfe dem die Waagschale halten, was sie an Zärtlichkeit im Herzen haben könnte; es wird also eine Ehe sein, wie Eure Majestät viele am Hofe hat; doch Bragelonne will es, und so geschehe es denn.«

»Ihr gleicht indessen nicht jenen leichten Vätern, die sich zu Sklaven ihrer Kinder machen,« sagte der König.

»Sire, ich habe Willen gegen Böse, ich habe keinen gegen Leute von Gemüth. Raoul leidet, er hat Kummer: gewöhnlich frei, ist sein Geist schwerfällig und düster geworden; ich will Eure Majestät nicht der Dienste berauben, die er zu leisten vermag.«

»Ich verstehe Euch und verstehe besonders Euer Herz.«

»Dann brauche ich Eurer Majestät nicht zu sagen, daß es meine Absicht ist, das Glück dieser Kinder oder vielmehr dieses Kindes zu machen.«

»Und ich will, wie Ihr, das Glück von Herrn von Bragelonne.«

»Sire, ich erwarte nur’ noch die Unterschrift Eurer Majestät. Raoul wird die Ehre haben, vor Euch zu erscheinen, und Eure Einwilligung entgegennehmen.«

»Ihr täuscht Euch, Graf,« sprach der König mit festem Tone; »ich habe Euch gesagt, ich wolle das Glück des Vicomte, und ich widersetze mich auch in diesem Augenblick seiner Heirath.«

»Aber, Sire,« rief Athos, »Eure Majestät hat mir versprochen . . . «

»Nein, Graf, ich habe es Euch nicht versprochen; denn das widerstrebt meinen Ablichten.«

»Ich begreife, was Alles die Initiative Eurer Majestät Wohlwollendes und Edelmüthiges für mich hat; doch ich nehme mir die Freiheit, Euch daran zu erinnern, daß ich als Botschafter zu kommen mich anheischig gemacht habe.«

»Ein Botschafter, Graf, verlangt oft und erhält nicht immer.«

»Ah! Sire, welch ein Schlag für Bragelonne!«

»Ich werde den Schlag geben, ich werde mit dem Vicomte sprechen.«

»Die Liebe, Sire, ist eine unwiderstehliche Kraft.«

»Man widersteht der Liebe, Graf, das kann ich Euch versichern,«

»Wenn man die Seele eines Königs, wenn man Eure Seele hat, Sire.«

 

»Seid über diesen Gegenstand unbesorgt. Ich habe Absichten mit Bragelonne; ich sage nicht, er werde Fräulein de la Vallière nicht heirathen, aber ich will nicht, daß er sich so jung verheirathe, ich will nicht, daß er sie heirathe, ehe sie ihr Glück gemacht und er seinerseits meine Huld verdient hat, wie ich sie ihm angedeihen lassen werde. Mit einem Wort, Graf, ich will, daß man wart?.«

»Sire, ich wiederhole . . . «

»Herr Graf, Ihr seid, wie Ihr sagtet, gekommen, um mich um eine Gnade zu bitten.«

»Ja, gewiß.«

»Nun wohl! bewilligt mir eine und laßt uns nicht mehr hiervon sprechen. Es ist möglich, daß ich binnen Kurzem einen Krieg führe; ich bedarf freier Edelleute in meiner Umgebung und würde Anstand nehmen, unter die Kugeln und Kanonen einen verheiratheten Mann, einen Familienvater zu schicken; ich würde auch für Bragelonne Anstand nehmen, ohne einen höhern Grund ein unbekanntes Mädchen auszustatten, denn das dürfte Eifersucht unter meinem Adel erregen.«

Athos verbeugte sich und antwortete nichts.

»Ist das Alles, was Ihr von mir erbitten wolltet?« fügte Ludwig XIV. bei.

»Alles, Sire, und ich nehme Abschied von Eurer Majestät. Doch soll ich Raoul in Kenntniß setzen?«

»Ersparet Euch diese Mühe, ersparet Euch diese Widerwärtigkeit. Sagt dem Vicomte, morgen bei meinem Lever werde ich mit ihm sprechen; für heute Abend, Graf, seid Ihr bei meinem Spiel.«

»Ich bin in Reisekleidern, Sire.«

»Es wird, wie ich hoffe, ein Tag kommen, wo Ihr mich nicht verlaßt. Bald, Graf, wird die Monarchie so gestellt sein, daß sie allen Männern von Eurem Verdienst eine würdige Gastfreundschaft zu bieten vermag.«

»Sire, wenn ein König groß ist im Herzen seiner Unterthanen, so liegt wenig daran, welchen Palast er bewohnt, insofern er in einem Tempel angebetet wird.«

Nachdem Athos so gesprochen, verließ er das Cabinet und suchte Raoul wieder auf, der ihn erwartete.

»Nun, Herr?« fragte der junge Mann.

»Raoul, der König ist gut gegen uns; vielleicht nicht in dem Sinn, in dem Ihr glaubt, doch er ist gut und edelmüthig gegen unser Haus.«

»Herr, Ihr habt mir eine schimme Nachricht mit, zutheilen,« rief der junge Mann erbleichend.

»Der König wird Euch morgen früh sagen, daß dies keine schlechte Nachricht ist.«

»Der König hat also nicht unterzeichnet?«

»Raoul, der König will Euren Vertrag selbst machen, und er will ihn so groß machen, daß ihm die Zeit dazu gebricht. Haltet Euch vielmehr an Eure Ungeduld, als an den guten Willen des Königs,«

Ganz bestürzt, weil er die Offenherzigkeit des Grafen und zugleich seine Gewandtheit kannte, blieb Raoul in eine düstere Betäubung versunken.

»Ihr begleitet mich nicht nach Hause?« fragte Athos.

»Verzeiht, Herr, ich folge Euch,« stammelte Bragelonne, und er stieg hinter dem Grafen die Stufen hinab.

»Oh!« sagte plötzlich der letztere, »könnte ich nicht, während ich hier bin, Herrn d’Artagnan sehen?«

»Toll ich Euch in seine Wohnung führen?« fragte Bragelonne.

»Ja, gewiß.«

»Dann müssen wir nach der andern Treppe gehen.«

Und sie änderten ihren Weg; doch als sie auf dem Ruheplatz der großen Gallerie ankamen, erblickte Raoul einen Lackei in der Livree des Grafen von Guiche, der ihm, als er seine Stimme hörte, sogleich entgegenlief.

»Was gibt es?« sagte Raoul.

»Dieses Billet, . . . der Herr Graf erfuhr, Ihr wäret zurück, und hat Euch aus der Stelle geschrieben; ich suche Euch seit einer Stunde.«

Raoul näherte sich Athos, um den Brief zu entsiegeln.

»Ihr erlaubt, Herr?« sagte er.

»Immerzu.«

»Lieber Raoul,« schrieb der Graf, »ich habe ohne Verzug eine Angelegenheit von Belang abzumachen; ich weiß, daß Ihr hier eingetroffen seid, kommt schleunigst.«

Kaum hatte er gelesen, als ein Diener in der Livree von Buckingham aus der Gallerte hervorkam und sich Raoul, sobald er ihn erkannt hatte, ehrfurchtsvoll näherte.

»Von Mylord Herzog,« sagte er.

»Ah!« rief Athos, »ich sehe, Raoul, daß Ihr schon in den Angelegenheiten steckt, wie der General einer Armee; ich verlasse Euch und werde Herrn d’Artagnan allein finden.«

»Ich bitte, wollt mich entschuldigen,« erwiederte Raoul.

»Ja, ja, ich entschuldige Euch; Gott befohlen, Raoul. Ihr findet mich zu Hause bis morgen; im Verlaufe des Tages dürfte ich nach Blois abreisen, wenn kein Gegenbefehl kommt.«

»Ich werde Euch morgen meinen Respect bezeigen, Herr.«

Athos entfernte sich.

Raoul öffnete den Brief von Buckingham.

»Herr von Bragelonne,« schrieb der Herzog, »Ihr seid von allen Franzosen, die ich gesehen, derjenige, welcher mir am meisten gefällt; ich bedarf Eurer Freundschaft. Es ist mir eine gewisse in gutem Französisch geschriebene Botschaft zugekommen. Ich bin Engländer und befürchte, daß ich nicht gut genug verstehe. Ich weiß nur, daß der Brief mit einem guten Namen unterzeichnet ist. Werdet Ihr die Gefälligkeit haben, mich zu besuchen, denn ich erfahre, daß Ihr von Blois angekommen seid?

»Euer ergebener
»Villiers Herzog von Buckingham.«

»Ich werde Deinen Herrn aufsuchen,« sagte Raoul zu dem Diener von Guiche, indem er diesen entließ.

»Und in einer Stunde werde ich bei Herrn von Buckingham sein,« fügte er, mit der Hand dem Voten des Herzogs ein Zeichen machend, bei.