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Der Graf von Bragelonne

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XX.
Die Einwilligung von Athos

Raoul ging aus dem Palais-Royal mit Ideen weg, welche keinen Verzug in der Ausführung zuließen.

Er stieg im Hof zu Pferde und schlug den Weg nach Blois ein, während mit einer großen Freudigkeit von Seiten der Höflinge und unter großer Trostlosigkeit von Guiche und Buckingham die Hochzeit von Monsieur und der Prinzessin von England stattfand.

Raoul beeilte sich und kam in zehn Stunden in Blois an.

Er hatte seine besten Argumente unter Weges vorbereitet.

Das Fieber ist auch ein Argument ohne Gegenrede, und Raoul hatte das Fieber.

Athos war in seinem Cabinet und fügte einige Zeilen seinen Denkwürdigkeiten bei, als Raoul von Grimaud geführt eintrat.

Der hellsehende Edelmann bedurfte nur eines Blickes, um etwas Außerordentliches in der Haltung seines Sohnes zu erkennen.

»Ihr scheint mir in einer wichtigen Angelegenheit Zu kommen?« sagte er.

Und er umarmte Raoul und bezeichnete ihm einen Stuhl.

»Ja, Herr,« antwortete der junge Mann, »und ich bitte Euch, mir die wohlwollende Aufmerksamkeit zu schenken, die Ihr mir stets gegönnt habt.«

»Sprecht, Raoul.«

»Hört die Sache ohne allen eines Mannes, wie Ihr seid, unwürdigen Eingang: Fräulein de la Vallière ist in Paris in der Eigenschaft eines Ehrenfräuleins von Madame; ich bin sehr mit mir zu Rath gegangen; ich liebe Fräulein de la Vallière über Alles, und es sagt mir nicht zu, sie an einem Posten zu lassen, wo ihr Ruf, ihre Tugend gefährdet sein können; ich wünsche sie also zu heirathen und komme, um Euch um Eure Einwilligung zu dieser Heirath zu bitten.«

Athos beobachtete während dieser Mittheilung ein völliges, zurückhaltendes Stillschweigen.

Raoul hatte seine Rede mit einer geheuchelten Kaltblütigkeit begonnen, ließ aber am Ende bei jedem Wort eine ganz unverkennbare Aufregung wahrnehmen.

Athos heftete auf Bragelonne einen tiefen, von einer gewissen Traurigkeit verschleierten Blick.

»Ihr habt die Sache also wohl überlegt?« fragte er.

»Ja, Herr.«

»Mir scheint, ich habe Euch mein Gefühl hinsichtlich dieser Verbindung schon einmal mitgetheilt.«

»Ich weiß es, Herr,« erwiederte Raoul ganz leise, »doch Ihr sagtet, wenn ich darauf beharre . . . «

»Und Ihr beharrt darauf?«

Raoul stammelte ein beinahe unverständliches Ja.

»Mein Herr,« fuhr Athos ruhig fort. »Eure Leidenschaft muß sehr stark sein, da Ihr diese Verbindung, trotz meines Widerwillens gegen dieselbe, fortwährend und entschieden wünscht.«

Raoul fuhr mit einer zitternden Hand über seine Stirne und wischte so den Schweiß ab, der darauf perlte.

Athos schaute ihn an, und das Mitleid trat in dir Tiefe seines Herzens.

Er stand auf und sprach:

»Es ist gut, meine persönlichen Gefühle sind von keiner Bedeutung, da es sich um die Eurigen handelt; Ihr sucht mich auf, ich gehöre Euch. Was verlangt Ihr im Ganzen von mir?«

»Oh! Herr, vor Allem Eure Nachsicht!« sprach Raoul, indem er die Hände von Athos ergriff.

»Ihr täuscht Euch in meinen Gefühlen für Euch, Raoul; es ist etwas Besseres, als das in meinem Herzen,« erwiederte der Graf.

Raoul küßte die Hand, die er hielt, wie es nur der leidenschaftlichste Liebhaber hätte thun können.

»Geht, geht,« sagte Athos, »sprecht, Raoul, ich bin bereit, was soll ich unterzeichnen?«

»Oh! nichts, Herr, nichts; nur wäre es gut, wenn Ihr Euch die Mühe nehmen wolltet, an den König zu schreiben und Seine Majestät, der ich angehöre, für mich um Erlaubniß zu bitten, Fräulein de la Vallière heirathen zu dürfen.«

»Ihr habt da einen guten Gedanken, Raoul. In der That, nach mir, oder vielmehr vor mir habt Ihr einen Herrn; dieser Herr ist der König; Ihr unterwerft Euch freiwillig einer doppelten Prüfung: das ist redlich.«

»Oh! Herr!«

»Ich werde sogleich Eure Bitte erfüllen.«

Der Graf näherte sich dem Fenster, neigte sich leicht hinaus und rief:

»Grimaud!«

Grimaud streckte seinen Kopf aus einer Jasminlaube hervor, die er ausputzte.

»Meine Pferde,« fuhr der Graf fort.

»Was bedeutet dieser Befehl, Herr?«

»Daß wir in zwei Stunden abreisen.«

»Wohin?«

»Nach Paris.«

»Wohin, nach Paris? Ihr kommt nach Paris, Herr?«

»Ist der König nicht in Paris?«

»Gewiß.«

»Nun wohl! müssen wir denn nicht dahin gehen und habt Ihr den Sinn verloren?«

»Aber, Herr,« erwiederte Raoul beinahe erschrocken über diese väterliche Herablassung, »ich will Euch durchaus nicht auf diese Art stören und bemühen, und ein einfacher Brief . . . «

»Ihr täuscht Euch über meine Wichtigkeit; es schickt sich ganz und gar nicht, daß ein einfacher Edelmann, wie ich, an seinen König schreibt. Ich will und muß mit Seiner Majestät sprechen, und werde es thun. Wir reisen mit einander, Raoul.«

»Oh! welche Güte, Herr!«

»Wie ist Seine Majestät nach Eurer Ansicht gestimmt?«

»Für mich, Herr?«

»Ja.«

»Vortrefflich,«

»Hat sie Euch das gesagt?«

»Mit ihrem eigenen Mund.«

»Bei welcher Gelegenheit?«

»Ich glaube, auf eine Empfehlung von Herrn d’Artagnan, bei einer Affaire auf der Grève, wo ich das Glück hatte, den Degen für Seine Majestät zu ziehen. Ich habe also ohne Eitelkeit Grund, zu glauben, daß ich im Geiste Seiner Majestät ziemlich weit vorgerückt bin.«

»Desto besser.«

»Doch ich beschwöre Euch,« fuhr Raoul fort, »beobachtet nicht gegen mich diesen Ernst und diese Zurückhaltung; laßt es mich nicht bedauern, daß ich auf ein Gefühl gehört habe, das stärker ist, als Alles.«

»Es ist das zweite Mal, daß Ihr mir das sagt, Raoul, das war nicht nöthig; Ihr verlangt von mir die Förmlichkeit einer Einwilligung: ich gebe sie Euch; das ist abgemacht, sprechen wir nicht mehr davon. Kommt und seht meine neuen Pflanzungen an, Raoul.«

Der junge Mann wußte, daß, wenn der Graf de la Fère einmal seinen Willen ausgesprochen hatte, keine Widerrede mehr statthaben konnte.

Er neigte das Haupt und folgte seinem Vater in den Garten.

Athos zeigte ihm langsam die Pfropfreiser, die Schößlinge, die neu gesetzten Bäume.

Diese Ruhe brachte Raoul immer, mehr aus der Fassung; die Liebe, die sein Herz erfüllte, schien ihm groß genug, daß sie die Welt kaum fassen konnte. Warum blieb das Herz von Athos leer und für diesen Einfluß verschlossen?

Alle seine Kräfte zusammenraffend rief auch Bragelonne plötzlich:

»Herr, Ihr müßt nothwendig einen Grund haben, Fräulein de la Vallière zu verwerfen; sie ist so gut, so sanft, so rein, daß Euer Geist, voll erhabener Weisheit, sie nach ihrem Werthe schätzen müßte. Besteht zwischen Euch und ihrer Familie eine geheime Feindschaft, ein ererbter Haß?«

»Seht, Raoul, das schöne Beet von Maiblümchen,« sagte Athos, »seht, wie ihnen der Schatten und die Feuchtigkeit wohlthun, besonders der Schatten der Sycomorenblätter, durch deren Oeffnung die Wärme, aber nicht die Flamme der Sonne durchdringt.«

Raoul blieb stehen und biß sich auf die Lippen; er fühlte das Blut gegen seine Schläfe strömen und sagte muthig:

»Herr, eine Erklärung, ich flehe Euch an. Ihr könnt nicht vergessen, daß Euer Sohn ein Mann ist.«

»Nun,« antwortete Athos, der sich mit einer strengen Geberde aufrichtete, »nun, so beweist mir, daß Ihr ein Mann seid, denn Ihr beweist mir nicht, daß Ihr ein Sohn seid. Ich bat Euch, den Augenblick zu einer ruhmwürdigen Heirath abzuwarten; ich hätte für Euch eine Frau aus den ersten Reihen des reichen Adels gefunden, Ihr solltet nach meinem Willen in dem doppelten Glanze, den der Ruhm und das Vermögen verleihen, leuchten können: Ihr habt den Adel des Geschlechts.«

»Herr,« rief Raoul, unwillkührlich fortgerissen, »man hat mir eines Tages den Vorwurf gemacht, ich kenne meine Mutter nicht.«

Athos erbleichte, faltete die Stirne wie der erhabene Gott des Alterthums und fragte majestätisch:

»Es verlangt mich, zu erfahren, was Ihr geantwortet habt, mein Herr?«

»Oh! verzeiht, verzeiht,« murmelte der junge Mann, aus der Höhe seiner Exaltation herabfallend,

»Was habt Ihr geantwortet?« fragte der Graf, mit den Füßen stampfend.

»Herr, ich hatte den Degen in der Hand; derjenige, welcher mich beleidigt hatte, legte aus, ich machte seinen Degen über eine Palissade springen und schickte ihn selbst seiner Waffe nach.«

»Und warum habt Ihr ihn nicht getödtet?«

»Seine Majestät verbietet das Duell, und ich war in jenem Augenblick Abgesandter Seiner Majestät.«

»Gut,« sagte Athos, »doch das ist ein Grund mehr, daß ich den König spreche.«

»Was wollt Ihr von ihm verlangen?«

»Die Erlaubniß, den Degen gegen denjenigen, welcher uns diese Beleidigung angethan hat, ziehen zu dürfen.«

»Herr, ich habe nicht gehandelt, wie ich handeln sollte; verzeiht, ich bitte Euch.«

»Wer macht Euch denn einen Vorwurf?«

»Aber die Erlaubniß, die Ihr Euch vom König erbitten wollt?«

»Raoul, ich werde Seine Majestät bitten, Euren Heirathsvertrag zu unterzeichnen.«

»Herr . . . «

»Doch unter einer Bedingung.«

»Bedürft Ihr einer Bedingung mir gegenüber? Befehlt, Herr, und ich werde gehorchen.«

»Unter der Bedingung,« fuhr Athos fort, »daß Ihr mir den Namen desjenigen sagt, der so von . . . Eurer Mutter gesprochen hat.«

»Was braucht Ihr denn diesen Namen zu wissen, Herr? Mir ist die Bekleidung angethan worden, und sobald die Erlaubniß von Seiner Majestät ertheilt ist, habe ich die Rache zu vollführen.«

»Sein Name, mein Herr?«

»Ich werde nicht dulden, daß Ihr Euch der Gefahr aussetzt,«

»Ihr haltet mich für einen Don Diego! Sein Name?«

»Ihr verlangt es?«

»Ich will es.«

»Der Vicomte von Wardes.«

»Ah!« sprach Athos ruhig, »es ist gut, ich kenne ihn; doch unsere Pferde sind bereit, statt in zwei Stunden abzureisen, brechen wir auf der Stelle auf. Zu Pferde, mein Herr, zu Pferde.«

 

XXI.
Monsieur ist eifersüchtig auf den Herzog von Buckingham

Während der Herr Graf de la Fère in Begleitung von Raoul nach Paris ritt, war das Palais-Royal der Schauplatz einer Scene, welche Moliere eine gute Komödie genannt hätte.

Es war dies vier Tage nach seiner Verheirathung. Nachdem Monsieur in der Eile gefrühstückt hatte, ging er, das Maul hängend und die Stirne gefaltet, durch seine Vorzimmer.

Das Mahl war nicht heiter gewesen. Madame hatte sich in ihrem Gemache serviren lassen.

Monsieur hatte also in kleinem Ausschuß gefrühstückt.

Der Chevalier von Lorraine und Manicamp wohnten allein diesem Frühstück bei, das drei Viertelstunden dauerte, ohne daß ein einziges Wort gesprochen wurde.

Weniger in der Vertraulichkeit Seiner Königlichen Hoheit vorgerückt, als der Chevalier von Lorraine, versuchte Manicamp vergebens in den Augen des Prinzen das zu lesen, was ihm eine so verdrießliche Miene gab.

Der Chevalier von Lorraine, der nichts zu errathen brauchte, in Betracht, daß er Alles wußte, aß mit jenem außerordentlichen Appetit, den ihm der Kummer von Andern verlieh, und weidete sich zugleich am Aerger von Monsieur und an der Unruhe von Manicamp.

Er fand ein Vergnügen daran, den ungeduldigen Prinzen, der vor Begierde, die Sitzung aufzuheben, brannte, indem er zu essen fortfuhr, bei Tische zurückzuhalten.

Zuweilen bereute es Monsieur, daß er den Chevalier von Lorraine eine solche Gewalt über sich hatte gewinnen lassen, eine Gewalt, die ihn von jeder Etiquette freisprach.

Monsieur hatte gerade einen solchen Augenblick, aber er fürchtete den Chevalier beinahe eben so sehr, als er ihn liebte, und beschränkte sich darauf, daß er innerlich wüthete.

Von Zeit zu Zeit schlug Monsieur die Augen zum Himmel aus, dann senkte er sie wieder auf die Pastetenschnitten, die der Chevalier verschlang, und da er nicht loszubrechen wagte, überließ er sich einer Pantomime, um die ihn Arlequin beneidet hätte.

Endlich konnte es Monsieur nicht länger aushalten, beim Dessert stand er, wie gesagt, ganz zornig auf und ließ den Chevalier von Lorraine sein Frühstück nach seinem Gutdünken vollenden.

Als Manicamp Monsieur aufstehen sah, erhob er sich ganz steif, seine Serviette in der Hand.

Monsieur lief mehr, als er ging, nach dem Vorzimmer und gab dem Huissier, den er hier traf, mit leiser Stimme einen Befehl,

Dann kehrte er zurück: ging jedoch, um nicht durch den Speisesaal zu kommen, durch seine Cabinete, in der Absicht, sich zu der Königin Mutter in ihr Betzimmer, wo sie sich gewöhnlich aufhielt, zu begeben.

Es mochte zehn Uhr Morgens sein.

Anna von Oesterreich schrieb, als Monsieur eintrat.

Die Königin Mutter liebte ungemein diesen Sohn, der schön von Antlitz und sanft von Charakter war.

Monsieur war in der That viel zarter und, wenn man will, viel weiblicher als der König.

Er hatte seine Mutter durch die kleinen weiblichen Empfindeleien gewonnen, die den Frauen immer gefallen. Anna von Oesterreich, die so sehr eine Tochter zu bekommen gewünscht hatte, fand beinahe in diesem Sohn die Aufmerksamkeiten, die kleinen Sorgen und Zartheiten eines Kindes von zwölf Jahren.

Monsieur verwandte auch die ganze Zeit, die er bei seiner Mutter zubrachte, darauf, daß er ihre schönen Arme bewunderte, daß er ihr Rathschläge über ihre Seifen und Teige und Recepte für ihre Essenzen gab, worauf sie einen sehr großen Werth legte; dann küßte er ihr die Arme und die Augen mit einer reizenden Kindlichkeit, hatte er ihr stets ein Zuckerwerk zu bieten, einen neuen Putz zu empfehlen.

Anna von Oesterreich liebte den König oder vielmehr das Königthum in ihrem ältesten Sohn. Ludwig XIV. repräsentirte für sie die göttliche Legitimität. Sie war Königin Mutter beim König, sie war nur Mutter bei Philipp.

Und der Letztere wußte, daß von allen Zufluchtsorten der Busen einer Mutter der sanfteste und sicherste ist.

Schon als Kind flüchtete er sich dahin, wenn sich Stürme zwischen ihm und seinem Bruder erhoben; oft nach den Zänkereien, die von seiner Seite ein Verbrechen beleidigter Majestät bildeten, nach den Kämpfen mit Fäusten und Nägeln, die der König und sein unbotmäßiger Unterthan im Hemd auf einem streitigen Bett ausfochten, wobei der Kammerdiener Laporte der einzige Kampfrichter war, ging Philipp, der Sieger aber über seinen Sieg erschrocken, zu seiner Mutter und verlangte von ihr Verstärkung oder wenigstens die Zusicherung einer Verzeihung, welche Ludwig XIV. nur schwer und in der Entfernung bewilligte.

Durch diese Gewohnheit friedlicher Vermittlung war es Anna gelungen, alle Streitigkeiten ihrer Söhne zu schlichten und durch dieselbe Gelegenheit alle ihre Geheimnisse zu theilen.

Ein wenig eifersüchtig auf diese mütterliche Fürsorge, die sich besonders über seinen Bruder verbreitete, fühlte sich der König gegen Anna von Oesterreich zu mehr Unterwürfigkeit und Zuvorkommenheit geneigt, als dies in seinem Charakter lag.

Anna von Oesterreich hatte dieses politische System hauptsächlich bei der jungen Königin zur Anwendung gebracht.

Sie herrschte auch beinahe despotisch über die königliche Haushaltung und errichtete schon alle ihre Batterien, um mit demselben Absolutismus über die ihres jüngern Sohnes zu herrschen.

Anna von Oesterreich war beinahe stolz, wenn sie ein langes Gesicht, bleiche Wangen und rothe Augen bei sich erscheinen sah, denn sie begriff, daß es sich darum handelte, dem Schwächeren oder dem Widerspänstigeren eine Hilfe zu geben.

Sie schrieb, sagen wir, als Monsieur in ihr Beizimmer eintrat, nicht die Augen roth, nicht die Wangen bleich, sondern unruhig, ärgerlich, gereizt.

Er küßte zerstreut seiner Mutter die Arme und setzte sich, ehe sie ihm Erlaubniß dazu gegeben hatte.

Bei den am Hofe von Anna von Oesterreich gegründeten Etiquette-Gebräuchen war dieses Vergessen des Wohlanstandes ein Zeichen der geistigen Verirrung, besonders von Seiten Philipps, der so gern die Schmeichelei des Respects übte.

Wenn er sich aber so offenbar gegen alle diese Grundsäße verfehlte, so mußte die Ursache hiervon sehr gewichtig sein.

»Was habt Ihr Philipp?« fragte Anna von Oesterreich, sich gegen ihren Sohn umwendend.

»Ah! Madame, Vieles,« murmelte der Prinz mit einer kläglichen Miene.

»Ihr gleicht in der That einem sehr geschäftigen Menschen,« sprach die Königin, während sie ihre Feder auf das Schreibzeug legte.

Philipp faltete die Stirne, antwortete aber nicht.

»Bei allen den Dingen, die Euern Geist erfüllen, muß sich doch eines finden, das Euch mehr in Anspruch nimmt, als die andern,« fuhr Anna von Oesterreich fort.

»Eines nimmt mich allerdings mehr als die andern in Anspruch, ja, Madame.«

»Sprecht.«

Philipp öffnete den Mund, um alle Beschwerden herauszulassen, die sich in seinem Geiste drängten und, um zu entströmen, nur einen Ausgang zu erwarten schienen.

Doch plötzlich schwieg er, und Alles, was er auf dem Herzen hatte, faßte sich in einem Seufzer zusammen,

»Auf, Philipp, auf, seid fest,« sprach die Königin Mutter, »Eine Sache, über die man sich beklagt, ist beinahe immer eine Sache, die uns beschwerlich ist, nicht wahr?«

»Ich sage das nicht, Madame.«

»Von wem wollt Ihr sprechen? Faßt Euch.«

»Was ich zu sagen habe, Madame, ist wahrhaftig sehr discreter Natur.«

»Ah! mein Gott!«

»Allerdings, denn eine Frau . . . «

»Ah! Ihr wollt von Madame sprechen?« fragte die Königin Mutter mit einer lebhaften Regung der Neugierde.

»Von Madame?«

»Von Eurer Frau.«

»Ja, ja, ich höre.«

»Nun denn, wenn Ihr von Madame mit mir sprechen wollt, mein Sohn, so thut Euch keinen Zwang an. Ich bin Eure Mutter, und Madame ist für mich nur eine Fremde. Da sie jedoch meine Schwiegertochter ist, so bezweifelt nicht, daß ich mit Interesse, und wäre es auch nur Euch zu Liebe, Alles anhöre, was Ihr mir von ihr sagen werdet.«

»Sprecht Ihr nur, Madame,« erwiederte Philipp, »gesteht mir, ob Ihr nicht etwas bemerkt habt.«

»Etwas, Philipp . . . Ihr habt Worte von erschreckender Unbestimmtheit . . . Etwas . . . und von welcher Art ist dieses Etwas?«

»Madame ist hübsch.«

»Ja wohl.«

»Sie ist indessen keine Schönheit.«

»Nein, doch wenn sie größer wird, kann sie sich noch sehr verschönern. Ihr habt gesehen, welche Veränderungen in einigen Jahren in ihrem Gesicht vorgegangen sind. Nun, sie wird sich immer mehr entwickeln, denn sie ist erst sechzehn Jahre alt. Mit fünfzehn Jahren war ich auch sehr mager.«

»Man kann sie folglich bemerkt haben?«

»Gewiß; man bemerkt eine gewöhnliche Frau, um so viel mehr eine Prinzessin.«

»Nicht wahr, Madame, sie ist gut erzogen worden?«

»Madame Henriette, ihre Mutter, ist eine etwas kalte, etwas anspruchsvolle Frau, aber eine Frau voll schöner Gefühle. Die Erziehung der jungen Prinzessin kann vernachlässigt worden sein, was aber die Grundsätze betrifft, so glaube ich, daß sie gut sind; das war wenigstens die Meinung über sie während ihres Aufenthalts in Frankreich; seitdem ist sie nach England zurückgekehrt, und ich weiß nicht, was sich ereignet hat.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Ich will damit sagen, daß gewisse etwas leichte Köpfe unschwer durch das Glück verkehrt werden.«

»Wohl, Madame, Ihr habt das Wort gesprochen; ich glaube, daß die Prinzessin in der That einen etwas leichten Kopf hat.«

»Man muß nicht übertreiben, Philipp; sie hat Geist und eine gewisse Dose bei einer Frau sehr natürlicher Coquetterie; aber, mein Sohn, bei den Personen von hohem Rang gereicht dieser Fehler einem Hofe zum Vortheil. Eine etwas coquette Prinzessin macht sich gewöhnlich einen glänzenden Hof; ein Lächeln von ihr ruft überall den Luxus, den Geist und den Muth sogar hervor; der Adel schlägt sich besser für einen Fürsten, dessen Frau schön ist.«

»Großen Dank, Madame,« sprach Philipp verdrießlich. »Ihr entwerft mir da in Wahrheit sehr beunruhigende Gemälde, meine Mutter.«

»In welcher Hinsicht?« fragte die Königin Mutter mit einer geheuchelten Naivetät.

»Ihr wißt, Madame,« antwortete Philipp wehmüthig, »Ihr wißt, welchen Widerwillen ich hatte, mich zu verheirathen.«

»Oh! diesmal macht Ihr mir bange. Ihr habt also eine ernste Beschwerde gegen Madame?«

»Ernst? ich sage das nicht.«

»Dann legt dieses verstörte Gesicht ab. Nehmt Euch in Acht, wenn Ihr Euch in Euern Gemächern zeigt, wird man Euch für einen sehr unglücklichen Ehemann halten.«

»Ich bin im Ganzen kein sehr zufriedener Ehemann, und es ist mir lieb, wenn man es erfährt.«

»Philipp! Philipp!«

»Meiner Treue, Madame, ich erkläre Euch unumwunden, ich habe das Leben nicht so verstanden, wie man es mir macht.«

»Erklärt Euch.«

»Meine Frau gehört in der That nicht mir; sie entschlüpft mir bei jeder Gelegenheit. Am Morgen sind es Besuche, Correspondenzen, Toiletten; am Abend sind es Bälle und Concerte.«

»Ihr seid eifersüchtig, Philipp!«

»Ich! Gott bewahre mich! Andern kommt die alberne Rolle eines eifersüchtigen Ehemannes zu . . . ich bin ärgerlich.«

»Philipp, was Ihr da Eurer Frau vorwerft, sind lauter unschuldige Dinge, und so lange Ihr nichts Bedeutenderes habt . . . «

»Höret doch, ohne schuldig zu sein, kann eine Frau beunruhigen; es gibt gewisse Bevorzugungen im Umgang, welche die jungen Frauen zur Schau stellen, und diese genügen, um die am mindesten eifersüchtigen Ehemänner wüthend zu machen.«

»Ah! nun sind wir endlich so weit, das hat hart gehalten; die Bevorzugungen im Umgang . . . gut! seit einer Stunde irren wir im Felde umher, und endlich erst bringt Ihr die wahre Frage zur Sprache.«

»Nun wohl, ja.«

»Das ist ernster. Sollte Madame ein gewisses Unrecht gegen Euch haben?«

»Allerdings.«

»Wie! Eure Frau sollte nach einer viertägigen Ehe irgend Einen Euch vorziehen, mit Einem Umgang pflegen? Nehmt Euch in Acht, Philipp, Ihr übertreibt ihr Unrecht: wenn man gar zu viel beweisen will, beweist man nichts.«

Erschrocken über den Ernst seiner Mutter, wollte der Prinz antworten, doch er vermochte nur ein paar unverständliche Worte zu stammeln,

»Ah! nun weicht Ihr zurück,« sagte Anna von Oesterreich, »mir ist das lieber; es ist eine Anerkennung Eures Unrechts.«

»Nein!« rief Philipp, »nein, ich weiche nicht zurück, und ich will es beweisen. Ich habe gesagt Bevorzugung, Umgang, nicht wahr? Nun, so hört.«

Anna von Oesterreich schickte sich gefällig an, mit jenem gevatterlichen Vergnügen zu hören, das die beste Frau, die beste Mutter, und wäre sie eine Königin, darin findet, daß sie sich in die kleinen Ehezwistigkeiten mischen kann.

 

»Nur sagt mir Eines!« sprach Philipp.

»Was?«

»Sagt mir, warum hat meine Frau einen englischen Hof behalten?«

Und Philipp kreuzte sich die Arme und schaute seine Mutter an, als wäre er überzeugt, sie wurde nichts auf diesen Vorwurf zu antworten finden.

»Das ist ganz einfach,« antwortete Anna von Oesterreich, »weil die Engländer ihre Landsleute sind, weil sie viel Geld ausgegeben haben, um sie nach Frankreich zu begleiten, und weil es unhöflich, unpolitisch sogar wäre, plötzlich einen Adel zu verabschieden, der sich so ergeben gezeigt und kein Opfer gescheut hat.«

»Ei! meine Mutter, in der That, ein schönes Opfer, ein garstiges Land zu verlassen, um nach einem schönen zu ziehen, wo man mit einem Thaler mehr bewirkt, als anderswo mit vier! Eine schöne Ergebenheit, nicht wahr, hundert Meilen zurückzulegen, um eine Frau zu begleiten, in die man verliebt ist.«

»Verliebt! Philipp, bedenkt Ihr auch, was Ihr sagt?«

»Bei Gott!«

»Und wer ist in Madame verliebt?«

»Der schöne Herzog von Buckingham. Werdet Ihr mir diesen nicht auch vertheidigen, meine Mutter?«

Anna von Oesterreich erröthete und lächelte zugleich. Der Name Buckingham rief so süße und so traurige Erinnerungen bei ihr hervor.

»Der Herzog von Buckingham,« murmelte sie.

»Ja, eines von den Bettchens-Schooßkindern, wie mein Großvater Heinrich IV. sagte.«

»Die Buckingham sind redlich und brav,« erwiederte muthig Anna von Oesterreich.

»Ah! gut, nun nimmt meine Mutter gegen mich den Liebhaber meiner Frau in Schutz!« rief Philipp so außer sich, daß seine schwächliche Natur bis zu Thränen erschüttert wurde.

»Mein Sohn! mein Sohn!« rief Anna von Oesterreich, »dieser Ausdruck ist Eurer nicht würdig. Eure Frau hat keinen Liebhaber, und sollte sie einen haben, so wäre es nicht Herr von Buckingham; ich wiederhole Euch, die Leute dieses Geschlechts sind redlich und discret; die Gastfreundschaft ist ihnen heilig.«

»Ei! Madame,« rief Philipp, »Herr von Buckingham ist ein Engländer, Und achten die Engländer so gewissenhaft das Gut der französischen Fürsten?«

Anna von Oesterreich erröthete zum zweiten Mal unter ihrer Haube und drehte sich um, unter dem Vorwand, ihre Feder vom Schreibzeug zu nehmen, in der That aber, um ihre Röthe vor den Augen ihres Sohnes zu verbergen.

»Wahrhaftig, Philipp,« sagte sie, »Ihr wißt Worte zu finden, die mich verwirren, und Euer Zorn verblendet Euch, wie er mich erschreckt; überlegt doch.«

»Madame, ich brauche nicht zu Überlegen, ich sehe.«

»Und was seht Ihr?«

»Ich sehe, daß Herr von Buckingham meine Frau nicht verläßt. Er wagt es, ihr Geschenke zu machen, sie wagt es, dieselben anzunehmen. Gestern sprach sie von einem Säckchen mit Veilchengeruch; unsere französischen Parfumeurs aber, Ihr wißt das wohl, Madame, da Ihr so oft solche verlangt habt, ohne bekommen zu können, unsere französischen Parfumeurs waren nie im Stande, diesen Geruch zu finden. Nun wohl, der Herzog hatte ein Säckchen mit Veilchengeruch bei sich . . . von ihm kam also das meiner Frau.«

»In der That, mein Herr,« sprach Anna von Oesterreich, »Ihr baut Pyramiden auf Nadelspitzen; nehmt Euch in Acht. Ich frage Euch, was ist Schlimmes dabei, daß ein Landsmann seiner Landsmännin das Recept von einer neuen Essenz gibt. Diese seltsamen Ideen, das schwöre ich Euch, erinnern mich auf eine schmerzliche Weise an Euern Vater, der mich oft ungerecht hat leiden lassen.«

»Der Vater von Herrn von Buckingham war ohne Zweifel bescheidener, ehrerbietiger, als der Sohn,« sagte Philipp unbesonnen, ohne zu sehen, daß er seiner Mutter verletzend in’s Herz griff.

Die Königin erbleichte und preßte eine krampfhaft zusammengezogene Hand an ihre Brust, doch bald sich wieder fassend sagte sie:

»Nun, Ihr seid in irgend einer Absicht hierher gekommen?«

»Ja.«

»So erklärt Euch.«

»Madame, ich bin gekommen, um mich energisch zu beklagen und Euch zu erklären, daß ich nichts von Herrn von Buckingham ertragen werde.«

»Ihr werdet nichts ertragen?«

»Nein.«

»Was wollt Ihr thun?«

»Ich werde mich beim König beklagen.«

»Und was soll Euch der König antworten?«

»Nun wohl,« sprach Philipp mit einem Ausdruck ungeschlachter Festigkeit, der einen seltsamen Contrast mit der gewöhnlichen Sanftmuth seiner Physiognomie bildete, »nun wohl, ich werde mir selbst Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

»Was nennt Ihr Euch selbst Gerechtigkeit widerfahren lassen?« fragte Anna von Oesterreich mit einer gewissen Bangigkeit.

»Es ist mein Wille, daß Herr von Buckingham den Hof verläßt, es ist mein Wille, daß Herr von Buckingham Frankreich verläßt, und ich werde ihm diesen meinen Willen kundthun!«

»Ihr werdet gar nichts kundthun, Philipp, denn wenn ihr so handeln, wenn Ihr so die Gastfreundschaft verletzen würdet, so müßte ich gegen Euch die ganze Strenge des Königs anrufen.«

»Ihr droht mir, meine Mutter!« rief Philipp, ganz in Thränen, »Ihr droht mir, während ich mich beklage!«

»Nein, ich drohe Euch nicht, ich setze Eurem Aufbrausen einen Damm. Ich sage Euch, daß gegen Herrn von Buckingham oder jeden andern Engländer ein strenges Mittel ergreifen, daß sogar ein nicht sehr höfliches Verfahren anwenden äußerst schmerzliche Spaltungen zwischen Frankreich und England hervorrufen heißt, Wie! ein Prinz, der Bruder des Königs von Frankreich wüßte sich vor einer politischen Nothwendigkeit nicht zu stellen, als bemerkte er eine, selbst wirkliche, Beleidigung nicht?«

Philipp machte eine Bewegung.

»Ueberdies ist die Beleidigung weder wahr, noch möglich,« fuhr die Königin fort, »und es handelt sich nur um eine lächerliche Eifersucht.«

»Madame, ich weiß, was ich weiß.«

»Und ich, was Ihr wissen möget, ermahne Euch zur Geduld.«

»Ich bin nicht geduldig, Madame.«

Die Königin stand voll Steifheit und eisiger Ceremonie auf und sprach:

»Dann erklärt Euren Willen.«

»Ich habe keinen Willen, Madame, aber ich spreche meine Wünsche aus. Wenn sich Herr von Buckingham nicht selbst aus meinem Hause entfernt, so werde ich es ihm verbieten.«

»Das ist eine Frage, worüber wir dem König Vortrag machen werden,« sagte die Königin, das Herz geschwollen, die Stimme bewegt.

»Aber, Madame,« rief Philipp, indem er seine Hände an einander schlug, »seid meine Mutter und nicht die Königin, da ich als Sohn mit Euch spreche; zwischen Buckingham und mir ist es die Sache einer Unterredung von vier Minuten.«

»Gerade diese Unterredung verbiete ich,« sprach die Königin, die wieder ihre ganze Autorität annahm, »das ist Eurer nicht würdig.«

»Gut, es sei, ich unterlasse es, aber ich werde meinen Willen Madame ankündigen.«

»Oh!« versetzte Anna von Oesterreich mit der Schwermut der Erinnerung, »tyrannisirt nie eine Frau, mein Sohn; befehlt nie zu laut und zu gebieterisch der Eurigen. Eine besiegte Frau ist nicht immer eine überzeugte Frau.«

»Was soll ich dann thun? Ich werde mich bei meiner Umgebung Raths erholen.«

»Ja, Eure heuchlerischen Räthe, Euer Chevalier von Lorraine, Euer Wardes . . . Ueberlaßt mir die Sorge in dieser Angelegenheit, Philipp. Nicht wahr, Ihr wünscht, daß sich der Herzog entferne?«

»So bald als möglich, Madame.«

»Nun, so schickt mir den Herzog, mein Sohn: macht ihm ein freundliches Gesicht, bezeigt Niemand etwas, nicht Eurer Frau, nicht dem König. Empfangt keine Rathschläge. Ach! ich weiß, was eine durch Räthe gestörte Ehe ist.«

»Ich werde gehorchen, meine Mutter.«

»Und Ihr sollt zufrieden sein, mein Sohn. Sucht mir den Herzog.«

»Oh! das ist keine Schwierigkeit.«

»Wo glaubt Ihr, daß er sein durste?«

»Bei Gott! vor der Thüre von Madame, deren Aufstehen er erwartet.«

»Gut,« sprach Anna von Oesterreich ganz ruhig. »Wollt dem Herzog sagen, ich bitte ihn, zu mir zu kommen.«

Philipp küßte seiner Mutter die Hand und entfernte sich, um Herrn von Buckingham aufzusuchen.