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Der Graf von Bragelonne

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II.
Worin Herr von Mazarin Verschwender wird

Während Mazarin sich von seiner tiefen Unruhe zu erholen suchte, wechselten Athos und Raoul einige Worte in einem Winkel des Zimmers.

»Ihr seid also wieder in Paris, Raoul?« sagte der Graf.

»Ja, Herr, seitdem der Herr Prinz zurückgekehrt ist.«

»Ich kann mich an diesem Ort, wo man uns beobachtet, nicht mit Euch besprechen, doch ich werde mich sogleich nach Hause begeben und Euch dort erwarten, sobald es Euer Dienst gestattet.«

Raoul verbeugte sich. Der Herr Prinz kam gerade auf sie zu.

Der Prinz hatte den klaren, tiefen Blick, der die Raubvögel der edlen Art auszeichnet; selbst seine Physiognomie bot mehrere unterscheidende Züge dieser Aehnlichkeit. Man weiß, daß bei dem Prinzen von Condé die Adlernase, spitzig, schneidend, von einer leicht zurücklaufenden, mehr hohen als niedrigen Stirne hervortrat, was nach den Worten der Spötter des Hofes, selbst gegen das Genie unbarmherziger Leute, dem Erben der erhabenen Prinzen des Hauses Condé mehr einen Adlerschnabel, als eine menschliche Nase verlieh.

Dieser durchdringende Blick, dieser gebieterische Ausdruck des ganzen Gesichtes beunruhigten gewöhnlich diejenigen, an welche der Prinz das Wort richtete, mehr als es die Majestät oder die regelmäßige Schönheit des Siegers von Rocroy gethan hätten. Ueberdies stieg die Flamme so schnell in diese hervorspringenden Augen, daß bei dem Herrn Prinzen jede Belebtheit dem Zorn glich. Wegen seines Ranges respectirte Jedermann bei Hof den Herrn Prinzen, und Viele, welche nur den Menschen ins Auge faßten, trieben den Respect sogar bis zum Schrecken.

Ludwig von Condé ging also auf den Grasen de la Fère und auf Raoul mit der offenbaren Absicht zu, von dem Einen begrüßt zu werden und den Andern anzureden.

Niemand grüßte mit mehr zurückhaltender Anmuth, als der Graf de la Fère. Er verachtete es, in eine Verbeugung alle die Nuancen zu legen, die ein Höfling gewöhnlich nur von einer und derselben Farbe entlehnt: vom Verlangen, zu gefallen. Athos kannte seinen persönlichen Werth und begrüßte einen Prinzen wie einen Menschen, wobei er durch etwas Sympathetisches, Unerklärbares das milderte, was seine unbeugsame Haltung Verletzendes für den Stolz des höheren Ranges haben konnte. Der Prinz wollte mit Raoul reden. Athos kam ihm zuvor und sagte:

»Wenn der Herr Vicomte von Bragelonne nicht einer der unterthänigsten Diener Eurer Hoheit wäre, so würde ich ihn bitten, meinen Namen vor Euch, mein Prinz, auszusprechen.«

»Ich habe die Ehre, mit dem Herrn Grasen de la Fère zu reden,« sagte sogleich Herr von Condé.

»Mein Beschützer,« fügte Raoul erröthend bei.

»Einer der redlichsten Männer des Königreichs,« sprach der Prinz, »einer der ersten Edelleute von Frankreich, von dem ich so viel Gutes habe sagen hören, daß ich ihn oft unter meine Freunde zählen zu dürfen wünschte.«

»Eine Ehre, gnädigster Herr,« erwiederte Athos, »der ich nur durch meine Achtung und meine Bewunderung für Eure Hoheit würdig wäre.«

»Herr von Bragelonne ist ein guter Officier,« sagte der Prinz, »und man sieht, daß er in einer guten Schule gewesen ist. Ah! Herr Graf, in Eurer Zeit hatten die Generale Soldaten.«

»Es ist wahr, Hoheit, doch heute haben die Soldaten Generale.«

Dieses Compliment, das so wenig die Farbe des Schmeichlers hatte, machte vor Freude einen Mann beben, den schon ganz Europa als einen Helden betrachtete, und der allen Geschmack an Lobeserhebungen verloren haben konnte.

»Es ist ärgerlich für mich, daß Ihr Euch aus dem Dienst zurückgezogen habt, Herr Graf,« sagte der Prinz, »denn der König wird unverzüglich auf einen Krieg mit England oder auf einen Krieg mit Holland bedacht sein müssen, und es wird einem Mann wie Euch, der Großbritannien wie Frankreich kennt, nicht an erwünschten Gelegenheiten fehlen.«

»Gnädigster Herr, ich glaube Euch bemerken zu dürfen, daß ich wohl daran gethan habe, mich aus dem Dienst zurück zu ziehen,« entgegnete Athos lächelnd. »Frankreich und Großbritannien werden fortan wie zwei Schwestern leben, wenn ich meinen Ahnungen glauben darf.«

»Euren Ahnungen?«

»Hört, Hoheit, was dort am Tisch des Herrn Cardinals gesprochen wird.«

»Beim Spiel?«

»Beim Spiel . . . ja, Hoheit.«

Der Cardinal hatte sich in der That auf einen Ellenbogen erhoben und dem jungen Bruder des Königs, der sich ihm sodann näherte, ein Zeichen gemacht.

»Monseigneur,« sagte der Cardinal, »ich bitte Euch, laßt alle diese Goldthaler fortnehmen.«

Und er bezeichnete den ungeheuren Haufen gelber glänzender Stücke, welche der Graf von Guiche allmälig durch eine äußerst glückliche Hand vor ihm zusammengebracht hatte.

»Mir!« rief der Herzog von Anjou.

»Ja, Monseigneur, diese fünfzigtausend Thaler gehören Euch.«

»Ihr schenkt sie mir?«

»Ich habe für Euch gespielt, Monseigneur,« erwiederte der Cardinal, der immer schwächer wurde, als ob die Anstrengung, Geld zu verschenken, alle seine physischen und moralischen Fähigkeiten erschöpft hätte.

»Oh! mein Gott,« murmelte Philipp ganz betäubt vor Freude, »welch ein schöner Tag!«

Und er machte selbst den Rechen mit seinen Fingern, schob einen Theil der Summe in seine Taschen und füllte diese, . . . doch mehr als das Drittel blieb noch auf dem Tisch.

»Chevalier,« sagte Philipp zu seinem Günstling, dem Chevalier von Lorraine, »komm.«

Der Günstling lief herbei.

»Stecke das Uebrige ein,« sprach der junge Prinz.

Diese seltsame Scene wurde von allen Anwesenden nur wie ein rührendes Familienfest aufgenommen. Der Cardinal gab sich das Ansehen eines Vaters gegen die Söhne von Frankreich, und die zwei jungen Prinzen waren unter seinem Flügel groß geworden. Niemand maß, wie man es in unseren Tagen thun würde, diese Freigebigkeit des ersten Ministers dem Hochmuth oder der Unverschämtheit zu.

Die Höflinge beneideten nur . . . Der König wandte den Kopf ab.

»Nie habe ich so viel Geld gehabt,« sage freudig der junge Prinz, während er durch das Zimmer schritt, um sich zu seinem Wagen zu begeben. »Nein, nie . . . Wie schwer das ist, fünfzigtausend Thaler!«

»Aber warum verschenkt der Herr Cardinal all dieses Geld auf einmal?« fragte ganz leise der Herr Prinz den Grafen de la Fère. »Er ist also sehr krank, dieser liebe Cardinal?«

»Ja, gnädigster Herr, ohne Zweifel sehr krank; er sieht auch schlecht aus, wie Eure Hoheit wahrnehmen kann.«

»Gewiß . . . doch daran wird er sterben, hundert und fünfzigtausend Livres! . . . Oh! das ist nicht zu glauben. Sprecht, Graf, warum dies? findet uns eine Ursache.«

»Gnädigster Herr, ich bitte geduldet Euch; seht, der Herr Herzog von Anjou kommt, mit dem Chevalier von Lorrain? plaudernd, hierher; ich würde mich nicht wundern, wenn sie mir die Mühe, indiscret zu sein, ersparten. Hört, was sie sagen.«

Der Chevalier sagte wirklich halblaut zum Prinzen:

»Monseigneur, es geht nicht mit natürlichen Dingen zu, daß Herr Mazarin Euch so viel Geld schenkt . . . Nehmt Euch in Acht, Ihr laßt Goldstücke fallen, Monseigneur. Was will der Cardinal von Euch, daß er so großmüthig ist?«

»Ich sagte Euch doch.« flüsterte Athos dem Herrn Prinzen in’s Ohr, »hier kommt die Antwort auf Eure Frage.«

»Sprecht, Monseigneur,« wiederholte ungeduldig der Chevalier, der, seine Tasche abwägend, den Betrag der Summe, die ihm zurückprallend zugefallen war, verdächtig fand.

»Mein lieber Chevalier, ein Hochzeitgeschenk.«

»Wie, ein Hochzeitgeschenk!«

»Ah! ja, ich heirathe,« erwiederte der Herzog von Anjou, ohne zu bemerken, daß er in diesem Augenblick vor dem Herrn Prinzen und vor Athos vorüberkam, welche sich Beide tief verbeugten.

Der Chevalier schleuderte dem jungen Herzog einen so gehässigen Blick zu, daß der Graf de la Fère darob erbebte.

»Ihr! Euch heirathen!« wiederholte er, »oh! das ist unmöglich; Ihr solltet diese Thorheit begehen?«

»Bah! ich begehe sie nicht; man läßt sie mich begehen,« erwiederte der Herzog von Anjou . . . »Doch komm geschwinde und laß uns unser Geld ausgeben.«

Hiernach verschwand er mit seinem Gefährten, lachend und plaudernd, während alle Stirnen sich auf seinem Wege beugten.

Da sprach der Herr Prinz leise zu Athos:

»Das ist also das Geheimniß?«

»Ich habe das nicht gesagt, Monseigneur.«

»Er heirathet die Schwester von Karl II?«

»Ich glaube ja.«

Der Prinz dachte einen Augenblick nach, und sein Auge schleuderte einen scharfen Blitz.

»Ah!« sagte er langsam, als ob er mit sich selbst spräche, »die Schwerter werden abermals an den Nagel gehängt . . . auf lange Zeit!« Und er seufzte.

Alles, was dieser Seufzer an dumpf ersticktem Ehrgeiz, an erloschenen Illusionen, an getäuschten Hoffnungen enthielt, nur Athos allein errieth es, denn er allein hatte den Seufzer gehört.

Alsbald verabschiedete sich der Herr Prinz und der König ging weg.

Mit einem Zeichen, das er Bragelonne machte, wiederholte Athos an diesen die Einladung, die er am Anfang dieser Scene gegen ihn ausgesprochen.

Allmälig leerte sich das Gemach und Mazarin blieb allein, Leiden preisgegeben, die er nicht einmal zu verbergen trachtete.

»Bernouin! Bernouin!« rief er mit gebrochener Stimme.

»Was befiehlt Monseigneur?«

»Guénaud, man rufe Guénaud,« sagte die Eminenz, »mir scheint, ich sterbe.«

Ganz Würzt lief Bernouin in das Cabinet, um den Befehl zu geben, und der Piqueur, der forteilte, um den Arzt zu holen, kreuzte den Wagen des Königs in der Rue Saint-Honoré.

III.
Guénaud

Der Befehl des Cardinals war dringend: Guénaud ließ nicht auf sich warten.

Er fand seinen Kranken im Bett zurückgeworfen, die Beine aufgeschwollen, den Magen zusammengepreßt. Mazarin war von einem heftigen Gichtanfall heimgesucht worden. Er litt grausam und mit der Ungeduld eines Mannes, der nicht an den Widerstand gewöhnt ist. Bei der Erscheinung von Guénaud rief er:

 

»Ah! nun bin ich gerettet.«

Guénaud war ein sehr gelehrter und sehr umsichtiger Mann, der nicht der Kritik von Boileau bedurfte, um Ruf zu erlangen. Stand er einer Krankheit gegenüber, und betraf diese auch die Person des Königs, so ging er schonungslos zu Werk. Er antwortete also Mazarin nicht, wie es der Minister erwartet: Hier ist der Arzt, fahre hin Krankheit!

Er untersuchte im Gegentheil die an dem Kranken wahrnehmbaren Symptome sehr sorgfältig und mit ernster Miene, und gab dann nur ein: »Hoho!« von sich.

»Nun, Guénaud? . . . Was für eine Miene nehmt Ihr an?«

»Ich nehme die Miene an, die man haben muß, wenn man Euer Uebel sieht, Monseigneur, ein sehr gefährliches Uebel.«

»Die Gicht . . . Oh! ja, die Gicht.«

»Mit einer Zuthat von andern Uebeln, Monseigneur.«

Mazarin erhob sich auf einen Ellenbogen und fragte gleichsam mit dem Blick und der Geberde:

»Was sagt Ihr mir da? Bin ich kranker, als ich glaubte?«

»Monseigneur,« sprach Guénaud, während er sich an das Bett des Cardinals setzte, »Eure Eminenz hat viel in ihrem Leben gearbeitet; Eure Eminenz hat viel gelitten.«

»Aber ich bin nicht alt, wie mir scheint . . . Der selige Herr von Richelieu zählte nur siebzehn Monate weniger, als ich, als er starb und zwar an einer tödtlichen Krankheit starb. Ich bin jung, Guénaud, bedenkt das wohl, ich bin kaum zweiundfünfzig Jahre alt.«

»Ah! Monseigneur, Ihr seid viel älter . . . Wie lange hat die Fronde gedauert?«

»Zu welchem Ende fragt Ihr mich das?«

»Zu einer medicinischen Berechnung, Monseigneur.«

»So etwa zehn Jahre …«

»Sehr gut; wollt jedes Jahr der Fronde zu drei Jahren rechnen, das macht dreißig; zwanzig und zwei und fünfzig aber machen zwei und siebzig Jahre, und das ist ein hohes Alter.«

Während er dies sagte, fühlte er dem Kranken den Puls. Dieser Puls war so voll von unerfreulichen Prognostiken, daß der Arzt sogleich, trotz der Unterbrechungen des Kranken fortfuhr:

»Setzen wir die Jahre der Fronde eines zu vier, so habt Ihr zwei und achtzig Jahre gelebt.«

Mazarin wurde sehr bleich und sagte mit erloschener Stimme:

»Sprecht Ihr im Ernst, Guénaud?«

»Ach! ja, Monseigneur.«

»Ihr nehmt also einen Umweg, um mir anzukündigen, daß ich sehr krank bin?«

»Meiner Treue, ja, Monseigneur . . . bei einem Mann von dem Geist, von dem Muth Eurer Eminenz müßte man allerdings keinen Umweg nehmen.«

Der Cardinal athmete so schwer, daß der unbarmherzige Arzt Mitleid bekam.

»Es ist ein Unterschied zwischen den Krankheiten,« sagte Mazarin, »und gewissen Krankheiten entkommt man.«

»Ganz richtig, Monseigneur.«

»Nicht wahr!« rief Mazarin ganz freudig; »denn wozu würden am Ende die Kraft, die Macht des Willens nützen? . . . Wozu würde das Genie nützen, Euer Genie, Guénaud? Wozu nützen endlich die Wissenschaft und die Kunst, wenn der Kranke, der über dies Alles verfügt, sich nicht aus der Gefahr zu retten vermag?«

Guénaud wollte den Mund öffnen, doch Mazarin fuhr fort:

»Bedenkt, daß ich der Vertrauensvollste von Euren Kunden bin; bedenkt, daß ich Euch blindlings gehorche, und daß folglich . . . «

»Ich weiß dies Alles,« sagte Guénaud.

»Ich werde also genesen?«

»Monseigneur, weder Willenskraft, noch Genie, noch Wissenschaft vermögen dem Uebel zu widerstehen, das Gott sendet oder auf die Erde schleudert mit der Vollmacht, den Menschen zu zerstören und zu tödten. Ist das Uebel tödtlich, so tödtet es, und nichts vermag dagegen . . . «

»Mein Uebel … ist . . . tödtlich?« fragte Mazarin.

»Ja, Monseigneur.«

Die Eminenz sank einen Augenblick zusammen, wie der Unglückliche, den der Sturz einer Säule niederschmettert . . . Aber Herr von Mazarin besaß eine sehr kräftig gestählte Seele oder vielmehr einen sehr starken Geist.

»Guénaud,« sagte er, sich erhebend, »Ihr werdet mir wohl erlauben, von Eurem Urtheil zu appelliren. Ich will die gelehrtesten Männer Europas versammeln, ich will sie um Rath fragen, ich will endlich durch die Wirkung irgend eines Mittels leben.«

»Monseigneur glaubt wohl nicht, ich sei so anmaßend gewesen, ganz allein ein Urtheil über ein so kostbares Dasein, wie das Eurige, zu fällen; ich habe schon alle guten Aerzte Frankreichs und Europas versammelt … es waren ihrer zwölf.«

»Und sie sagten?«

»Sie sagten. Eure Eminenz sei von einer unheilbaren Krankheit befallen; ich habe die Consultation unterzeichnet in meiner Brieftasche bei mir. Will Eure Eminenz Kenntniß davon nehmen, so wird sie den Namen von allen den unheilbaren Uebeln sehen, die wir entdeckt haben. Es findet sich vor Allem . . . «

»Nein! nein!« rief Mazarin, das Papier zurückstoßend. »Nein, Guénaud, ich ergebe mich! ich ergebe mich!«

Hierauf trat ein tiefes Stillschweigen ein, der Cardinal sammelte seine Geister und Kräfte wieder und sagte dann:

»Es gibt noch etwas Anderes; es gibt die Empyriker, die Charlatans. In meiner Heimath werfen sich diejenigen, welche die Aerzte verlassen, in die Arme der Quacksalber, von denen sie zehnmal getödtet, aber hundertmal gerettet werden.«

»Bemerkt Eure Eminenz nicht, daß ich seit einem Monat zehnmal die Arzneimittel verändert habe?«

»Ja . . . Nun?«

»Nun, ich habe fünfzigtausend Livres ausgegeben, um allen diesen Burschen ihre Geheimnisse abzukaufen: die Liste ist erschöpft, meine Börse auch. Ihr seid nicht geheilt, und ohne meine Kunst wäret Ihr todt.«

»Es ist vorbei,« murmelte der Cardinal, »es ist vorbei.«

Er schaute mit einem düsteren Blick auf seinen Reichthümern umher.

»Ich werde dies Alles verlassen müssen!« seufzte er. »Ich bin todt, Guénaud, ich bin todt!«

»Oh! noch nicht, Monseigneur,« sagte der Arzt.

Mazarin ergriff seine Hand und fragte, indem er zwei große, starre Augen auf das unempfindliche Gesicht des Arztes heftete:

»In wie viel Zeit?«

»Monseigneur, man sagt das nie.«

»Es mag sein, gewöhnlichen Menschen, doch mir . . . mir, bei dem jede Minute einen Schatz werth ist; sage es mir, Guénaud, sage es mir!«

»Nein, nein, Monseigneur.«

»Ich will es haben, ich will es haben. Oh! gib mir einen Monat, und für jeden von diesen dreißig Tagen bezahle ich Dir hunderttausend Livres,«

»Monseigneur.« entgegnete Guénaud mit fester Stimme, »Gott schenkt Euch die Gnadentage und nicht ich. Gott schenkt Euch nur vierzehn Tage!«

Der Cardinal stieß einen schmerzlichen Seufzer aus, fiel auf sein Kopfkissen zurück und flüsterte:

»Ich danke Euch, Guénaud.«

Der Arzt wollte sich entfernen; doch der Sterbende erhob sich noch einmal und sprach mit flammenden Augen:

»Still geschwiegen, Guénaud, still geschwiegen!«

»Monseigneur, seit zwei Tagen weiß ich das Geheimniß; Ihr seht, daß ich es wohl bewahrt habe.«

»Geht, Guénaud, ich werde für Euer Glück Sorge tragen. Geht und heißt Brienne mir einen Commis schicken, den man Herrn Colbert nennt.«

IV.
Colbert

Colbert war nicht fern. Er hatte sich den ganzen Abend in einem Corridor aufgehalten, wo er mit Bernouin und Brienne plauderte und mit der gewöhnlichen Geschicklichkeit der Hofleute Commentare zu den Neuigkeiten machte, welche, wie Luftblasen auf dem Wasser, auf der Oberfläche jedes Ereignisses erschienen. Es ist ohne Zweifel Zeit, mit einigen Worten eines der interessantesten Portrait? dieses Jahrhunderts zu entwerfen, und es vielleicht mit so viel Wahrheit zu zeichnen, als dies nur Maler jener Zeit thun konnten. Colbert war ein Mann, auf den der Geschichtschreiber und der Moralist ein gleiches Recht haben.

Er war dreizehn Jahre älter, als Ludwig XIV., sein künftiger Herr. Von mittlerem Wuchse, eher mager als fett, hatte er ein tiefliegendes Auge, eine gemeine Miene und dicke, schwarze, spärliche Haare, was ihn, wie die Biographen seiner Zeit sagen, frühe die Plattmütze nehmen ließ. Ein Blick voll Strenge, voll Härte sogar, eine Art von Steifheit, welche für die Untergeordneten Stolz, für die Höheren eine Affectation strenger Tugend war; ein trotziges Gesicht bei allen Dingen, selbst wenn er sich allein in seinem Spiegel betrachtete . . . dies war das Aeußere unseres Mannes.

In moralischer Hinsicht rühmte man die Tiefe seines Talents im Rechnungswesen, seinen erfindungsreichen Geist, um selbst der Unfruchtbarkeit einen Ertrag abzunöthigen.

Colbert hatte den Einfall gehabt, die Gouverneurs der Gränzfestungen zu zwingen, die Garnisonen ohne Sold, aus dem, was sie von den Contributionen bezogen, zu ernähren. Eine so kostbare Eigenschaft gab dem Herrn Cardinal Mazarin den Gedanken, Joubert, seinen Intendanten, der kurz zuvor gestorben war, durch Herrn Colbert zu ersetzen, der die Portionen so gut zu benagen wußte.

Colbert schwang sich allmälig bei Hofe empor, trotz der Mittelmäßigkeit seiner Geburt, denn er war der Sohn eines Mannes, der Wein verkaufte, wie sein Vater, welcher sofort mit Tuch und dann mit Seidenstoffen gehandelt hat.

Anfangs zum Kaufmann bestimmt, war Colbert zuerst Commis in einem Handelsgeschäft in Lyon, das er verließ, um in Paris in die Schreibstube eines Anwalts beim Chatelet, Namens Biterne, einzutreten. So lernte er die Kunst, eine Rechnung zu stellen, und die noch viel kostbarere Kunst, eine Rechnung zu verwirren.

Die Steifheit von Colbert kam diesem vortrefflich zu Statten, so wahr ist es, daß das Glück, wenn es eine Laune hat, jenen Frauen des Alterthums gleicht, deren Phantasie nichts bei dem Physischen und Moralischen der Dinge und der Menschen zurückschreckt. Colbert, der bei Michel Letellier, Staatssecretaire im Jahr 1646, durch seinen Vetter Colbert, Grundherrn von Saint-Ponange, welcher ihn begünstigte, ein Unterkommen gefunden hatte, erhielt eines Tages vom Minister einen Auftrag an den Cardinal Mazarin.

Seine Eminenz der Cardinal erfreute sich damals noch einer blühenden Gesundheit, und die schlimmen Jahre der Fronde hatten für ihn noch nicht dreifach und vierfach gezählt. Er war in Sedan, sehr tief in eine Hofintrigue verwickelt, wobei Anna von Oesterreich, seine Sache verlassen zu wollen schien.

Letellier hielt alle Fäden dieser Intrigue in seinen Händen.

Er hatte von Anna von Oesterreich einen für ihn sehr kostbaren und für Mazarin sehr gefährlichen Brief erhalten; doch da er schon die doppelte Rolle spielte, die ihn so gut unterstützte, und stets zwei Feinde nährte, um aus dem einen und aus dem andern Nutzen zu ziehen, sei es dadurch, daß er sie noch mehr entzweite, als sie es schon waren, sei es, daß er sie versöhnte, so wollte Michel Letellier Mazarin den Brief von Anna von Oesterreich schicken, damit er Kenntniß davon nähme und ihm dem zu Folge für einen so artig geleisteten Dienst Dank wüßte.

Den Brief überschicken war leicht; ihn nach der Mittheilung wiederzubekommen, darin lag die Schwierigkeit. Letellier schaute umher, und als er den schwarzen, mageren Commis erblickte, der mit gefalteter Stirne m seiner Kanzlei kritzelte, zog er ihn dem besten Gendarme zur Ausführung seines Planes vor.

Colbert sollte nach Sedan mit dem Befehl abreisen, den Brief Mazarin mitzutheilen und dann Letellier zurückzubringen.

Er hörte den Befehl, den man ihm ertheilte, mit ängstlicher Aufmerksamkeit an, ließ sich den Inhalt zweimal wiederholen und erkundigte sich auf das Genauste, ob das Zurückbringen ebenso nothwendig sei, als das Mittheilen.

»Nothwendiger,« antwortete Letellier.

Dann brach er auf, reiste wie ein Courier, ohne Rücksicht auf seinen Körper, und übergab Mazarin zuerst ein Schreiben von Letellier, das ihm die Uebersendung des kostbaren Briefes ankündigte, und dann diesen Brief selbst.

Mazarin erröthete sehr, als er den Brief von Anna von Oesterreich las, lächelte Colbert freundlich zu und entließ ihn.

»Wann erhalte ich die Antwort, Monseigneur?« fragte demüthig der Courier.

»Morgen.«

»Morgen früh?«

»Ja, mein Herr.«

Der Courier versuchte seinen tiefsten Bückling und wandte sich auf den Absätzen um.

Am andern Morgen war er schon um sieben Uhr auf seinem Posten, Mazarin ließ ihn bis um zehn Uhr warten. Colbert verzog im Vorzimmer keine Miene: als die Reihe an ihn kam, trat er ein.

Mazarin übergab ihm ein versiegeltes Päckchen: auf dem Umschlag desselben standen die Worte geschrieben: »An Herrn Michel Letellier.« u. s. w.

Colbert schaute das Päckchen mit großer Aufmerksamkeit an: der Cardinal machte ihm ein freundliches Gesicht und schob ihn nach der Thüre.

»Und der Brief der Königin Mutter, Monseigneur?« fragte Colbert.

»Er ist beim Uebrigen in dem Päckchen,« erwiederte Mazarin.

 

»Ah! sehr gut,« sagte Colbert, und er drückte seinen Hut zwischen seine Kniee, und fing an das Päckchen zu entsiegeln.

Mazarin stieß einen Schrei aus.

»Was macht Ihr denn da?« sagte er mit grobem Ton.

»Ich entsiegle das Paquet, Monseigneur.«

»Ihr mißtraut mir, Herr Schulfuchs? Hat man je eine solche Unverschämtheit gesehen?«

»Oh! Monseigneur, wertet nicht ärgerlich gegen mich! Gott soll mich behüten, daß ich das Wort Eurer Eminenz in Zweifel ziehe!«

»Was denn?«

»Die Pünktlichkeit Eurer Kanzlei, Monseigneur. Was ist ein Brief? Ein Fetzen. Kann ein Fetzen nicht vermessen werden? . . . Und seht, Monseigneur, seht, ob ich Unrecht hatte! . . . Eure Commis haben den Fetzen vergessen: der Brief findet sich nicht in dem Päckchen.«

»Ihr seid ein frecher Bursche und habt nichts gesehen!« rief Mazarin zornig; »entfernt Euch, und wartet auf mein weiteres Belieben!«

Während er diese Worte mit einer ganz italienischen Spitzfindigkeit sagte, entriß er das Päckchen den Händen von Colbert und kehrte in seine inneren Gemächer zurück.

Doch dieser Zorn konnte nur so lange dauern, bis ein kälteres Urtheil an seine Stelle trat.

Jeden Morgen, wenn Mazarin die Thüre seines Cabinets öffnete, fand er das Gesicht von Colbert als Schildwache im Vorzimmer, und dieses unangenehme Gesicht bat ihn demüthig, aber beharrlich um den Brief der Königin Mutter.

Mazarin konnte nicht dagegen Stand halten und mußte den Brief zurückgeben. Er begleitete diese Wiedererstattung mit einer sehr harten Strafpredigt, während welcher Colbert sich nur damit beschäftigte, daß er das Papier, die Charaktere und die Unterschrift prüfend beschaute, abwog und sogar beroch, nicht mehr und nicht minder, als hätte er es mit dem letzten Fälscher des Königreichs zu thun gehabt. Mazarin ließ ihn noch härter an, doch Colbert ging, als er die Gewißheit erlangt hatte, daß es der ächte Brief war, unempfindlich und wie mit Taubheit geschlagen, weg. Dieses Benehmen trug ihm später den Posten von Joubert ein, denn statt einen Groll gegen ihn zu hegen, bewunderte ihn Mazarin und wünschte eine solche Treue für sich zu gewinnen.

Man ersteht aus dieser Geschichte allein, wie der Geist von Colbert beschaffen war. Allmälig sich entrollend, werden die Ereignisse alle Federn dieses Geistes frei arbeiten lassen.

Colbert brauchte nicht lange, um sich beim Cardinal in Gunst zu bringen: er wurde ihm sogar unentbehrlich. Der Commis kannte alle seine Rechnungen, ohne daß der Cardinal je mit ihm davon sprach. Dieses Geheimniß, das nur sie Beide theilten, war ein mächtiges Band, und deshalb wollte Mazarin, im Begriff, vor dem Herrn einer andern Welt zu erscheinen, den Rath von Colbert benützen, um über das Gut zu verfügen, das er auf dieser Welt zurückzulassen genöthigt war.

Nach dem Besuche von Guénaud rief er also Colbert zu sich und sagte zu ihm:

»Laßt uns mit einander sprechen, Herr Colbert, und zwar ernsthaft, denn ich bin krank, und es könnte sein, daß ich sterben würde.«

»Der Mensch ist sterblich,« erwiederte Colbert.

»Stets habe ich mich dessen erinnert, Herr Colbert, und ich habe auch in dieser Voraussicht gearbeitet . . . Ihr wißt, daß ich ein wenig Vermögen gesammelt . . . «

»Ich weiß es, Monseigneur.«

»Wie hoch schätzt Ihr ungefähr dieses Vermögen, Herr Colbert?« ,,

»Auf vierzig Millionen fünfmalhundert und sechzigtausend, zweihundert Livres, neun Sous und acht Deniers,« antwortete Colbert.

Der Cardinal stieß einen schweren Seufzer aus und schaute Colbert mit Bewunderung an; doch er erlaubte sich ein Lächeln.

»Bekanntes Geld,« fügte Colbert als Erwiederung auf dieses Lächeln bei.

Der Cardinal zuckte in seinem Bette auf und fragte rasch:

»Was versteht Ihr hierunter?«

»Ich versteh« hierunter, daß es außer diesen vierzig Millionen, fünfmalhundert und sechzigtausend, zweihundert Limes, neun Sous und acht Deniers noch dreizehn weitere Millionen gibt, die man nicht kennt.«

»Uf!« seufzte Mazarin, »welch ein Mensch!«

In diesem Augenblick erschien der Kopf von Bernouin im Thürrahmen.

»Was gibt es? und warum stört Ihr mich?« fragte Mazarin.

»Der Pater Theatiner, der Gewissensrath Seiner Eminenz, ist auf diesen Abend berufen worden, er könnte erst übermorgen Monseigneur wieder besuchen.«

Mazarin schaute Colbert an; dieser nahm sogleich seinen Hut und sagte:

»Ich werde wieder kommen, Monseigneur.«

Mazarin zögerte.

»Nein, nein,« rief er, »ich habe ebenso viel mit Euch, als mit ihm zu thun. Ueberdies seid Ihr mein anderer Beichtiger, und was ich dem einen sage, kann auch der andere hören. Bleibt, Colbert.«

»Aber wird der Gewissensrath einwilligen, Monseigneur, wenn die Pönitenz kein Geheimniß ist?«

»Kümmert Euch nicht darum, tretet in den Bettgang.«

»Ich kann außen warten, Monseigneur.«

»Nein, nein, es ist besser, wenn Ihr die Beichte eines redlichen Mannes hört.«

Colbert verbeugte sich und trat in den Bettgang.

»Führt den Vater Theatiner ein,« sprach Mazarin und schloß die Vorhänge.