Kostenlos

Der Graf von Bragelonne

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

XIX.
Die Ueberraschung von Fräulein von Montalai

Die Vermählung von Madame fand im Palais-Royal, in der Kapelle, vor einer Welt streng ausgewählter Höflinge statt.

Doch trotz der hohen Gunst, welche eine Einladung bezeichnete, verschaffte Raoul, seinem Versprechen getreu, Malicorne, der unendlich begierig war, diesen Anblick zu genießen, den erwünschten Eintritt.

Als er sich dieser Verbindlichkeit entledigt hatte, näherte sich Raoul dem Grafen von Guiche; im Widerspruch mit seiner glänzenden Kleidung, zeigte der Graf ein durch den Schmerz so sehr verstörtes Gesicht, daß ihm Buckingham allein, seine übermäßige Blässe und Niedergeschlagenheit streitig machen sonnte.

»Nimm Dich in Acht, Graf,« sagte Raoul, der ganz nahe zu seinem Freund trat und ihn in dem Augenblick, wo der Erzbischof die zwei Gatten einsegnete, zu unterstützen sich bereit hielt.

Man sah in der That den Prinzen von Condé mit neugierigen Augen diese zwei Bilder der Verzweiflung anschauen, welche starr wie Karyatiden auf beiden Seiten des Schiffes standen.

Der Graf bewachte sich sorgfältiger.

Sobald die Ceremonie vorüber war, begaben sich der König und die Königin in den großen Salon, wo sie sich Madame und ihr Gefolge vorstellen ließen.

Man bemerkte, daß der König, der beim Anblick seiner Schwägerin sehr erstaunt geschienen hatte, dieser die aufrichtigsten Komplimente machte.

Man bemerkte ferner, daß die Königin Mutter einen langen, träumerischen Blick auf Buckingham heftete, sich dann gegen Frau von Motteville neigte und zu ihr sagte:

»Findet Ihr nicht, daß er seinem Vater gleicht?«

Man bemerkte endlich, daß Monsieur Jedermann beobachtete und sehr unzufrieden zu sein schien.

Nach dem Empfang der Prinzen und Botschafter bat Monsieur den König um Erlaubniß, ihm, sowie Madame die, Personen seines neuen Hauses vorstellen zu dürfen.

»Wißt Ihr nicht, Vicomte,« fragte der Herr Prinz leise Raoul, »wißt Ihr nicht, ob das Haus von einer Person von Geschmack gebildet worden ist, und ob wir einige anständige Gesichter haben werden?«

»Ich weiß es durchaus nicht, Monseigneur,« antwortete Raoul.

»Ah! Ihr spielt den Unwissenden.«

»Wie das, Monseigneur?«

»Ihr seid der Freund von Guiche, der zu den Freunden des Prinzen gehört.«

»Das ist wahr, Monseigneur; doch da mich die Sache nicht interessirte, so machte ich hierüber keine Frage an Guiche, und da Guiche nicht befragt wurde, so eröffnete er sich mir nicht.«

»Doch Manicamp?«

»Ich habe allerdings Herrn von Manicamp im Havre und unter Weges gesehen, ich war aber eben so wenig fragsam bei ihm, als bei Guiche. Weiß übrigens Herr von Manicamp etwas von dem Allem, er, der nur eine untergeordnete Person ist?«

»Ei! mein lieber Vicomte, was fällt Euch ein!« sagte der Herzog; »es sind die untergeordneten Personen, welche bei solchen Gelegenheiten jeglichen Einfluß ausüben, und zum Beweis hierfür dient, daß beinahe Alles durch die Präsentation von Herrn von Manicamp bei Guiche und von Guiche bei Monsieur geschehen ist.«

»Nun, Monseigneur, das war mir völlig unbekannt,« erwiederte Raoul, »und Eure Hoheit unterrichten mich damit von einer Neuigkeit.«

»Ich will Euch wohl glauben, obgleich es unglaublich ist . . . und überdies werden wir nicht mehr lange zu warten haben: die fliegende Schwadron rückt heran, wie die gute Königin Katharine sagte. Bei Gott! sehr hübsche Gesichter!«

Es erschien wirklich eine Truppe junger Mädchen unter der Anführung von Frau von Navaille im Saal, und zu Ehren von Manicamp, wenn er wirklich an dieser Wahl den Antheil, den ihm der Prinz von Condé zuschrieb, genommen hatte, müssen wir sagen, es war ein Anblick ganz geeignet, diejenigen zu entzücken, welche, wie der Herr Prinz, Schätzer aller Arten von Schönheit waren.

Eine blonde junge Frau, welche zwanzig oder einundzwanzig Jahre alt sein mochte, und deren große blaue Augen, wenn sie sich öffneten, blendende Flammen schoßen, ging an der Spitze und wurde zuerst vorgestellt.

»Fräulein von Tonnay-Charente,« sagte zu Monsieur die alte Frau von Navaille.

Und Monsieur wiederholte, sich vor Madame verbeugend:

»Fräulein von Tonnay-Charente.«

»Ah! ah!« sagte der Prinz, sich zu Raoul umwendend, »diese kommt mir ziemlich angenehm vor. Das ist Eine . . . «

»In der That,« erwiederte Raoul, »sie ist hübsch, obgleich sie ein wenig hochmüthig aussieht.«

»Bah! wir kennen diese Mienen, Vicomte; in drei Monaten wird sie gezähmt sein; doch schaut, da ist eine andere Schönheit,«

»Ah!« sagte Raoul, »und zwar eine Schönheit, die zu meinen Bekannten gehört.«

»Fräulein Aure von Montalais,« sprach Frau von Navaille.

Name und Vorname wurden gewissenhaft von Monsieur wiederholt.

»Großer Gott!« rief Raoul, indem er seine Augen ganz bestürzt auf die Eintrittsthüre heftete.

»Was gibt es?« fragte der Herzog, »sollte es Fräulein Aure von Montalais sein, wegen der Ihr ein solches großer Gott ausstoßt?«

»Nein, Monseigneur, nein,« erwiederte Raoul ganz bleich und zitternd.

»Wenn es Fräulein Aure von Montalais nicht ist, so ist es jene reizende Blonde, die ihr folgt. Meiner Treue, hübsche Augen, ein wenig mager, aber sie besitzt viele Reize.«

»Fräulein de la Baume le Blanc de la Vallière,« sagte»Frau von Navaille.

Bei diesem Namen, der tief im Herzen von Raoul wiederhallte, stieg eine Wolke aus seiner Brust zu seinen Augen empor.

Er sah nichts mehr und hörte nichts mehr, so daß der Herr Prinz, der in ihm nur noch ein stummes Echo seiner Spöttereien fand, näher hinzutrat, um die schönen jungen Mädchen zu betrachten, die sein erster Blick schon detaillirt hatte.

»Louise hier, Louise Ehrenfräulein von Madame!« murmelte Raoul.

Und seine Augen, die. ihm nicht mehr genügten, um seine Vernunft zu überzeugen, schweiften von Luise auf Montalais über.

Die Letztere hatte indessen schon ihre entlehnte Schüchternheit abgelegt, eine Schüchternheit, die ihr nur im Augenblick der Vorstellung und bei den Verbeugungen dienen sollte.

Fräulein von Montalais schaute aus ihrem Winkelchen mit ziemlich viel Dreistigkeit alle Anwesende an, und als sie Raoul fand, ergötzte sie sich an dem tiefen Erstaunen, in das ihre Gegenwart und die ihrer Freundin den armen Verliebten versetzt hatte.

Dieses muthwilllge, spöttische Auge, das Raoul vermeiden wollte, jedoch unablässig wieder befragte, wurde zu einer wahren Qual für ihn.

Louise aber, war es nun Schüchternheit, oder irgend ein anderer Grund, den sich Raoul nicht erklären konnte, hielt ihre Augen beständig niedergeschlagen, und furchtsam, geblendet, mit stockendem Athen»zog sie sich, selbst für die Ellenbogenstöße von Montalais unempfindlich, so weit als möglich zurück.

Dies Alles war für Raoul ein wahres Räthsel, für dessen Schlüssel der arme Vicomte viel gegeben hätte.

Aber Niemand war da, um ihm das Räthsel zu lösen, nicht einmal Malicorne; denn etwas beängstigte als er sich unter so vielen Edelleuten sah, und erschrocken über die spöttischen Blicke von Montalais, hatte Malicorne einen Kreis beschrieben und sich allmälig einige Schritte vom Herrn Prinzen, hinter der Gruppe der Ehrenfräulein, beinahe im Bereiche der Stimme von Fräulein Aure, diesem Planeten aufgestellt, um den er, ein demüthiger Trabant, sich mit Gewalt zu bewegen schien.

Als Raoul wieder zu sich kam, glaubte er zu seiner Linken bekannte Stimmen zu erkennen.

Es waren in der That Wardes, Guiche und der Chevalier von Lorraine, die mit einander plauderten.

Sie plauderten allerdings so leise, daß man kaum den Hauch ihrer Worte im weiten Saal vernahm.

So von seinem Platze aus, von der Höhe seiner Gestalt herab, ohne sich zu bücken oder seinen Gegenredner anzuschauen, sprechen war ein Talent, das die Neuangekommenen nicht mit einem Mal in seiner ganzen Erhabenheit erlangen konnten. Es bedurfte eines langen Studiums zu diesen Plaudereien, welche ohne Blicke, ohne Kopfbewegungen das Gespräch einer Gruppe von Bildsäulen zu sein schienen.

In der That, bei den großen Cercles des Königs und der Königin, während Ihre Majestäten sprachen und alle in einem religiösen Stillschweigen auf sie zu horchen schienen, fanden solche leise Plaudereien, wobei die Schmeichelei nicht die vorherrschende Note war, in großer Anzahl Statt.

Raoul aber war einer von den Gewandten in diesem ganz aus der Etiquette hervorgangenen Studium, und an der Bewegung der Lippen hatte er oft den Sinn der Worte errathen können.

»Wer ist diese Montalais?« fragte Wardes. »Wer ist diese la Vallière? Was für Provinzvolk ist das, was da zu uns kommt?«

»Die Montalais,« erwiederte der Chevalier von Lorraine, »sie kenne ich, es ist ein gutes Mädchen, das den Hof belustigen wird. La Vallière ist eine hübsche Hinkende.«

»Pfui!« versetzte Herr von Wardes.

»Macht nicht pfui, Herr von Wardes; es gibt über die hinkenden Frauen sehr geistreiche und besonders sehr charakteristische Axiome.«

»Meine Herren, meine Herren,« sprach Guiche, der Raoul besorgt anschaute, »ich bitte, etwas mehr Maß gehalten!«

Doch die Besorgniß des Grafen war, wenigstens scheinbar, unzeitig. Raoul beobachtete die festeste, gleichgültigste Haltung, obgleich er nicht ein Wort von dem, was gesprochen wurde, verlor. Er schien ein Register über die Frechheiten und Ungezogenheiten der beiden Herausforderer zu führen, um bei Gelegenheit seine Rechnung mit ihnen zu ordnen.

Wardes errieth ohne Zweifel diesen Gedanken und fuhr fort:

»Wer sind die Liebhaber von diesen Fräulein?«

»Von der Montalais?« fragte der Chevalier.

»Ja, zuerst von der Montalais.«

»Nun wohl! Ihr, ich, Guiche, bei Gott! wer nur immer will!«

»Und von der Andern?«

»Von Fräulein de la Vallière?«

»Ja.«

 

»Nehmt Euch in Acht, meine Herren!« sagte Guiche, um Wardes die Antwort kurz abzuschneiden, »nehmt Euch in Acht, Madame hört uns.«

Raoul preßte seine Hand bis an’s Faustgelenke in seinen Rock und verwüstete seine Brust und seine Spitzen,

Doch gerade die Gierde, die er gegen arme Frauen sich erheben sah, bewog ihn, einen ernsten Entschluß zu fassen.

»Die arme Louise,« sagte er zu sich selbst, »sie ist nur in einer ehrenhaften Absicht und unter einer ehrenhaften Protection hierher gekommen; aber ich muß diese Absicht kennen, ich muß wissen, wer sie begünstigt.«

Und das Manoeuvre von Malicorne nachahmend, wandte er sich nach der Gruppe der Ehrenfräulein.

Bald war die Vorstellung beendigt. Der König, der Madame unablässig angeschaut und bewundert hatte, verließ nun den Empfangssaal mit den zwei Königinnen.

Der Chevalier von Lorraine nahm seinen Platz wieder an der Seite von Monsieur ein, und während er ihn begleitete, träufelte er ihm ein paar Tropfen von dem Gift in’s Ohr, das er seit einer Stunde in der Betrachtung neuer Gesichter und in der Vermuthung, es dürsten einige Herzen glücklich sein, gesammelt hatte.

Als der König wegging, zog er einen Theil der Anwesenden mit sich fort, diejenigen aber, die sich der Unabhängigkeit erfreuten und die Galanterie zu ihrem Geschäft machten, singen an, sich den Damen zu nähern.

Der Herr Prinz begrüßte Fräulein von Tonnay-Charente; Buckingham machte Frau von Chalais und Frau von Lafayette den Hof, welche Beide Madame schon ausgezeichnet hatte und liebte. Der Graf von Guiche, der Monsieur verließ, sobald er sich Madame allein nähern konnte, unterhielt sich lebhaft mit Frau von Valentinois, seiner Schwester und den Fräulein von Crequi und Chatillon.

Unter allen diesen politischen oder Liebesinteressen wollte sich Malicorne der Montalais bemächtigen, doch diese plauderte viel lieber mit Raoul, und geschah es nur, um sich an allen seinen Fragen und an all’ seinem Erstaunen zu ergötzen.«

Raoul ging gerade auf Fräulein de la Vallière zu und verbeugte sich vor ihr mit der größten Ehrfurcht.

Als Louise dies bemerkte, erröthete, stammelte sie, Montalais aber kam ihr eiligst zu Hülse und sagte:

»Nun, Herr Vicomte, wir sind hier.«

»Ich sehe Euch wohl,« erwiederte Raoul lächelnd, »und gerade über Eure Anwesenheit will ich Euch um eine kleine Erklärung bitten.«

Malicorne näherte sich mit seinem reizendsten Lächeln.

»Entfernt Euch doch,« sagte Montalais, »Ihr seid in der That sehr indiscret.«

Malicorne biß sich auf die Lippen und machte zwei Schritte rückwärts, ohne ein Wort zu sagen.

Nur wechselte sein Lächeln den Ausdruck und wurde, zuvor treuherzig, nun spöttisch.

»Ihr wollt eine Erklärung, Herr Raoul?« fragte Montalais.

»Gewiß, die Sache ist wohl der Mühe werth, wie mir scheint: Fräulein de la Vallière Ehrenfräulein von Madame l«

»Warum sollte sie nicht eben so gut Ehrenfräulein sein, als ich,« sagte Montalais.

»Empfangt meine Glückwünsche, meine Fräulein.« sprach Raoul, der zu bemerken glaubte, man wolle ihm nicht unmittelbar antworten.

»Ihr sagt das mit einer nicht sehr Glück wünschende, n Miene, Herr Vicomte!«

»Ich?«

»Ja, ich appellire an Louise.«

»Herr von Bragelonne denkt vielleicht, dieser Platz sei über meinem Stand.« stammelte Louise.

»Oh! nein, mein Fräulein,« erwiederte Raoul lebbaft; »Ihr wißt sehr wohl, daß dies nicht mein Gefühl ist; ich würde mich nicht wundern, wenn Ihr den Platz einer Königin einnähmet, um so weniger wunder« ich mich bei diesem. Ich staune nur darüber. daß ich es heute erst und zwar durch Zufall erfahre.«

»Ah! es ist wahr,« sagte die Montalais mit ihrer gewöhnlichen Unbesonnenheit, »Du verstehst nichts hiervon, und Du kannst in der That nichts davon verstehen. Herr von Bragelonne hat Dir vier Briefe geschrieben, doch Deine Mutter war allein in Blois geblieben; man mußte es vermeiden, daß diese Briefe in ihre Hände fielen! ich fing sie auf und schickte sie an Herrn Raoul zurück, so daß er Dich in Blois glaubte, während Du in Paris warst, und besonders nicht wußte, daß Du in Deiner Würde gestiegen bist.«

»Wie, Du hast Herrn von Bragelonne nicht benachrichtigt, wie ich Dich gebeten?« rief Louise.

»Ah! damit er mit seiner Strenge käme, daß er Grundsäße ausspräche, daß er vernichtete, was zu bewerkstelligen wir so viel Mühe gehabt haben! Nein, nein!«

»Ich bin also sehr streng?« fragte Raoul.

»Ueberdies sagte mir das nicht zu,« fuhr Montalais fort. »Ich wollte nach Paris abreisen. Ihr waret nicht da, Louise weinte heiße Thränen; deutet das, wie Ihr wollt! ich bat meinen Protector, denjenigen, welcher mir mein Patent verschafft hatte, auch eines für Louise zu verlangen; das Patent kam. Louise reiste ab, um ihre Kleider zu bestellen; ich blieb zurück, weil ich die meinigen hatte; ich empfing Eure Briefe, schickte sie Euch zurück und fügte ein Wort bei, das Euch eine Ueberraschung verhieß. Eure Ueberraschung, mein lieber Herr, Ihr habt sie hier; sie scheint mir gut, verlangt nichts Anderes. Auf, Herr Malicorne, es ist Zeit, daß wir diese jungen Leute beisammen lassen, sie haben sich eine Menge von Dingen zu sagen, gebt mir Eure Hand; ich hoffe, es ist eine große Ehre, was man Euch erweist, Herr Malicorne.«

»Verzeiht, mein Fräulein,« sprach Raoul, indem er das tolle Mädchen zurückhielt und seinen Worten eine Betonung gab, deren Ernst einen seltsamen Contrast mit denen von Montalais bildete, »verzeiht, könnte ich nicht den Namen dieses Protectors erfahren? Denn wenn man Euch begünstigt, und zwar mit allen Arten von Gründen (Raoul verbeugte sich), so sehe ich doch nicht dieselben Gründe, daß Fräulein de la Vallière begünstigt werden sollte.«

»Mein Gott, Herr Raoul,« erwiederte Louise naiv, »die Sache ist ganz einfach, ich sehe nicht ein, warum ich es Euch nicht selbst sagen sollte . . . Mein Protector – ist Herr Malicorne.«

Raoul blieb einen Augenblick ganz verblüfft und fragte sich, ob man seiner spotte; dann wandte er sich um, in der Absicht, Malicorne zu befragen. Doch dieser war, von Montalais fortgezogen, schon fern.

Fräulein de la Vallière machte eine Bewegung, um ihrer Freundin zu folgen, Raoul aber hielt sie mit sanfter Gewalt zurück und sprach:

»Ich bitte Euch, Louise, ein Wort.«

»Herr Raoul,« entgegnete Louise erröthend, »wir sind allein. Es ist Jedermann weggegangen . . . Man wird unruhig werden, uns suchen.«

»Seid unbesorgt,« erwiederte der junge Mann lächelnd,«wir sind Beide seine so wichtige Personen, daß man unsere Abwesenheit bemerken sollte.«

»Aber mein Dienst, Herr Raoul?«

»Beruhigt Euch, mein Fräulein, ich kenne die Gebräuche des Hofes; Euer Dienst muß erst morgen beginnen; es bleiben Euch also einige Minuten, während welcher Ihr mir die Aufklärung geben könnt, die ich mir von Euch zu erbitten die Ehre haben werde.«

»Wie ernst seid Ihr, Herr Raoul!« sagte Louise besorgt.

»Weil die Sache ernst ist, mein Fräulein. Wollt Ihr mich anhören?«

»Ich höre Euch, nur muß ich Euch wiederholen, mein Herr, daß wir sehr allein sind.«

»Ihr habt Recht,« sagte Raoul.

Und er bot ihr die Hand und führte sie in die an den Empfangsaal anstoßende Gallerie, von deren Fenstern aus man den Platz überschaute.

Alles drängte sich nach dem mittlern Fenster, das einen äußern Balcon hatte, von dem man die langsamen Vorbereitungen zur Abreise sehen konnte.

Raoul öffnete eines von den Seitenfenstern und sagte, hier mit Fräulein de la Vallière allein:

»Louise, Ihr wißt, daß ich Euch seit meiner Kindheit wie eine Schwester geliebt habe, und daß Ihr die Vertraute aller meiner Trübsale, die Verwahrerin aller meiner Hoffnungen gewesen seid.«

»Ja,« erwiederte sie sehr leise, »ja, Herr Raoul, ich weiß das.«

»Ihr pflegtet mir Eurerseits dieselbe Freundschaft, dasselbe Vertrauen zu bezeigen; warum seid Ihr bei diesem Fall nicht meine Freundin gewesen, warum habt Ihr mir mißtraut?«

La Vallière antwortete nicht.

»Ich glaubte, Ihr liebtet mich,« fuhr Raoul fort, dessen Stimme immer mehr zitterte, »ich glaubte, Ihr hättet in alle Pläne eingewilligt, die wir gemeinschaftlich für unser Glück zu einer Zeit machten, wo wir noch in den Laubgängen von Cour-Chevernay und unter den Pappelbäumen der Allee, die nach Alois führt, spazieren gingen. Ihr antwortet nicht, Louise?«

Er unterbrach sich.

»Sollte das so sein, weil Ihr mich nicht mehr liebt?« fragte er kaum athmend.

»Ich sage das nicht,« erwiederte Louise ganz leise.

»Oh! ich bitte Euch, sagt es mir; ich habe jede Hoffnung meines Lebens auf Euch gesetzt, ich habe Euch auserwählt wegen Eurer milden, einfachen Sitten. Laßt Euch nicht verblenden, Louise, nun da Ihr inmitten des Hofes seid, wo Alles, was rein ist, verdorben wird, wo Alles, was jung ist, rasch altert. Louise, verschließt Eure Ohren, um die Worte nicht zu hören, schließt Eure Augen, um die Beispiele nicht zu sehen, schließt Eure Lippen, um den verderblichen Hauch nicht einzuathmen. Sprecht ohne Lüge, ohne Umschweife. Louise, soll ich den Worten von Fräulein von Montalais glauben? Seid Ihr nach Paris gekommen, Louise, weil ich nicht mehr in Alois war?«

La Vallière erröthete und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.

»Oh! nicht wahr,« rief Raoul begeistert, »ja, deshalb seid Ihr gekommen! Oh! ich liebe Euch, wie ich Euch nie geliebt habe. Dank, Luise, für diese Ergebenheit: doch ich muß einen Entschluß fassen, um Euch vor jeder Beleidigung zu beschützen, vor jedem Flecken zu bewahren; Louise, ein Ehrenfräulein am Hofe einer jungen Prinzessin, in diesen Zeiten der leichten Sitten und der Unbeständigkeit in der Liebe, ein Ehrenfräulein ist in den Mittelpunkt der Angriffe gestellt, ohne irgend eine Schutzwehr zu haben: diese Lage kann mir nicht zusagen. Ihr müßt verheirathet sein, um geachtet zu werden.«

»Verheirathet?«

»Ja.«

»Mein Gott!«

»Hier ist meine Hand, Louise, laßt die Eurige darein fallen.«

»Aber Euer Vater?«

»Mein Vater läßt mir die Freiheit.«

»Doch . . . «

»Ich begreift dieses Bedenken, Louise, und werde meinen Vater befragen.«

»Oh! Herr Raoul, überlegt, wartet.«

»Warten, das ist unmöglich; überlegen, Louise, wenn es sich um Euch handelt? Das hieße Euch beleidigen; Eure Hand, theure Louise, ich bin Herr über meine Person, mein Vater wird ja sagen, das verspreche ich Euch; Eure Hand, laßt mich nicht so warten, erwiedert rasch ein Wort, sonst werde ich glauben, um Euch auf immer zu ändern, habe ein einziger Schritt in diesen Palast, ein einziger Hauch der Gunst, ein einziges Lächeln der Königin, ein einziger Blick des Königs genügt.«

Raoul hatte nicht so bald diese letzten Worte gesprochen, als La Vallière bleich wurde wie der Tod, ohne Zweifel aus Furcht, den jungen Mann sich exaltiren zu sehen.

Mit einer Bewegung, rasch wie der Gedanke, warf sie auch ihre beiden Hände auf die von Raoul.

Dann entfloh sie, ohne eine Sylbe beizufügen, und verschwand, ohne rückwärts geschaut zu haben.

Raoul fühlte seinen ganzen Leib bei der Berührung dieser Hand schauern.

Er empfing den Schauer wie einen durch die Liebe der jungfräulichen Schüchternheit entrissenen Eid.