Buch lesen: «Eine Kultur des Friedens», Seite 3

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Zwischen diesen beiden Punkten des Kontinuums – Friede mit Gott und Feindesliebe – gibt es viele Stufen des Friedens. Vielleicht sind wir im Moment noch nicht bereit, Frieden mit unseren Feinden zu schließen. Aber das bedeutet keineswegs, dass wir uns nicht am Friedenstiften beteiligen könnten. Wir können uns vielfältig beteiligen, den Frieden zu fördern – inneren Frieden, Friede in unserer Familie (unserer eigenen wie der erweiterten), Frieden mit unseren Schwestern und Brüdern in Christus in unserer Ortsgemeinde, Frieden mit unseren Schwestern und Brüdern in anderen Kirchen, Frieden mit Menschen anderen Glaubens, Frieden mit unseren Nachbarn, Frieden mit unseren Arbeitskollegen, Frieden mit den Bürgern unseres Landes, Frieden mit den Bürgern anderer Länder.

Gott ist am Werk

Dieser Ansatz unterscheidet sich ein wenig von dem Bild des Wellen-Effekts. Er anerkennt, dass derselbe Gott, der sich in Christus offenbarte, auf vielfache Art und Weise Schalom stiftet. Manchmal wirkt er im Herzen eines Kornelius, des feindlichen Hauptmanns, noch eher er selbst Gott kennt. Manchmal gebraucht Gott den Ökologen, der Schalom für die Schöpfung sucht. Manchmal schenkt Gott Menschen Vergebung und Frieden, die ihm fern stehen. Nach diesem Verständnis beginnt das friedenschaffende Wirken Gottes nicht immer damit, einem Einzelnen zu vergeben. Doch Gott wünscht sich, dass sein Handeln dies immer mit einschließt. Gottes Absicht ist es, die Geschichte auf einen umfassenden Friedens zuzubewegen (Jesaja 11,1–9). Paulus drückte es so aus (2. Thessalonicher 3,16): Unser Herr, von dem aller Friede kommt, schenke euch seinen Frieden immer und überall.

Gottes Friede ist groß. Er ist allumfassend. Er ist sowohl persönlich wie zwischenmenschlich. Er stellt Beziehungen zwischen uns und Gott wieder her, zwischen uns und unseren Feinden, zwischen uns und Gottes Schöpfung. Der Friede ist schon jetzt erfahrbar in Vorahnung dessen, was Gott allen Menschen wünscht. In Christus lernten bereits Petrus und Kornelius, so zu leben, wie alle irgendwann leben werden. Auch wir erfahren bereits heute die Realität des persönlichen und zwischenmenschlichen Friedensstiftens Gottes in der länderübergreifenden Gemeinschaft des Friedens, die sich Kirche nennt. Gott ruft die Kirche dazu auf, sich einer großen Friedensvision anzuschließen, in der jedes Mitglied als Friedensstifter wirkt.

Friede muss geschaffen werden

Friede entsteht unter Schmerzen. Was Gott mit Petrus und Kornelius ins Rollen brachte, musste noch in die Tat umgesetzt werden. In Cäsarea konnte der Friede mit Gott verkündet, der Friede zwischen Juden und Heiden gefeiert werden. Doch danach entstanden Probleme und ein Konflikt brach vom Zaun. Seine Beziehungen zu den römischen Heiden brachten Petrus in Schwierigkeiten mit den Kirchenleitern in Jerusalem: Du hast das Haus von Nichtjuden betreten und sogar mit ihnen gegessen! (Apostelgeschichte 11,3).

Der Friede muss geschaffen werden, weil die Welt voll ist von zerbrochenen Beziehungen und Ungerechtigkeit. Gott lädt uns ein, uns an seinem friedenschaffenden Werk und Weg zu beteiligen. Glücklich sind, die Frieden stiften, denn Gott wird sie seine Kinder nennen (Matthäus 5,9). Bis Gottes Reich in voller Macht anbricht, wird der Friede niemals vollkommen sein. Er muss immer noch geschaffen werden. In Lukas 1,78–79 beendet Zacharias, der Onkel von Jesus, sein Lied damit, dass er die Barmherzigkeit Gottes feiert. Dieser Gott verpflichtet sich, denen Licht zu geben, die in Nacht und Todesfurcht leben; es wird uns auf den Weg des Friedens führen. In einer konfliktreichen Welt gibt es keinen Weg zum Frieden – der Friede selbst ist der Weg. Ein Volk des Friedens zu werden, setzt ein Ringen mit unserer von Gott geschenkter Freiheit und unseren menschlichen Begrenzungen voraus.

Jesus verkündete die gute Nachricht des Friedens. Er segnete die Friedensstifter, er schaffte Frieden. Und er erkannte, dass dies Konflikte mit sich brachte. Diesbezüglich war Jesus sehr deutlich; er kam nicht, um Frieden zu bringen, sondern den Kampf (Matthäus 10,34). Ohne Konflikte bleibt Ungerechtigkeit bestehen und wird nicht herausgefordert, und dann gibt es keine Hoffnung. Also ließ sich Jesus auf den Konflikt ein, der Frieden schafft: er wandte sein Gesicht Jerusalem zu; er verursachte einen Aufruhr im Tempel, im Herzen des religiösen Establishments seines Volkes. Er übertrumpfte mit seinen Argumenten die religiösen Führer. Und dafür zahlte er einen hohen Preis: Das Kreuz steht im Mittelpunkt des friedenstiftenden Wirkens Christi. Es ist eine Folge seines Friedensstiftens und es ist zugleich, so betonen die neutestamentlichen Schreiber immer wieder, das Mittel seines Friedensstiftens. Alles hat Frieden gefunden, als er am Kreuz sein Blut vergoss (Kolosser 1,20, im Hinblick auf Jesaja 53,5). Eine Gemeinde, die dabei ist, eine Kultur des Friedens zu werden, denkt über das aufs Kreuz ausgerichtete Leben Christi und sein rettendes Werk am Kreuz nach und öffnet sich dafür, ihr eigenes Kreuz auf sich zu nehmen. Indem sie das tut, führt Gott sie in das Abenteuer: Risiko und Konflikte um des Friedens willen.

Friede führt zu Überraschungen

In der antiken Welt hätten nur wenige Dinge mehr überrascht als das, was sich in Apostelgeschichte 10 abspielte. Es war einfach nicht zu erwarten, dass Galiläer wie Petrus, die mit einem von den Römern Gekreuzigten befreundet waren, das Haus eines Hauptmanns in Cäsarea aufsuchen. Den meisten Beobachtern war die Vorstellung einer „neuen Menschlichkeit“, die Römer wie Juden gemeinsam eine neue weltweite, messianische Familie bilden lässt, zutiefst überraschend. Ihnen kam das wie eine merkwürdige Kreuzung zweier völlig unverträglicher Gruppen vor. Sie kamen nicht auf die Idee, dass dies die kreative Lösung eines tief sitzenden Problems sein könnte. Wie merkwürdig, wie unkonventionell waren doch diese messianischen Nonkonformisten, die meinten, dass durch Christus der Feind zum Bruder geworden sei! Wer behauptete, dass dies durch das Kreuz geschehen sei, wo sich Fluch und Grausamkeit begegnet waren, stand in der Gefahr, als unrealistischer und ungehobelter Narr abgeschrieben zu werden.

Doch anstatt sich der Überraschung zu stellen, bereiteten sich viele Juden auf etwas viel Naheliegenderes vor: den revolutionären Krieg gegen die Römer. Er vollzog sich zwischen 66 und 70 unserer Zeitrechnung und hatte traumatische Folgen für das jüdische Volk: die Zerstreuung der Bewohner Jerusalems und die Zerstörung des Tempels. Dabei hatte Gott einen anderen Weg im Sinn gehabt: die Schaffung einer weltweiten Familie in Christus, die aus ehemaligen Feinden besteht. Gott blieb sich treu. Er denkt nach wie vor über unsere Stereotypen hinaus und schafft tatsächlich eine Kirche, eine „heilige Nation“, die wahrlich global ist. Gott ist ein Gott der Überraschungen. Er überraschte Petrus, der darauf hin beschloss, nicht länger wie ein typischer Jude des ersten Jahrhunderts zu denken und zu handeln. Und der friedenstiftende Gott überrascht weiterhin.

Friede kommt durch die Macht Gottes zustande

Petrus schildert Kornelius (Apostelgeschichte 10,39–40): Diesen Jesus haben sie an das Kreuz genagelt und getötet. Aber schon drei Tage später hat Gott ihn wieder zum Leben erweckt. Das friedenstiftende Werk Gottes zeigt sich in der Auferstehung. Die Auferstehung Jesu belegt Gottes Entschlossenheit, den Weg des Friedens zu untermauern. Ein frühchristlicher Segen lautete: Er ist es ja, der uns seinen Frieden schenkt. Er hat unseren Herrn Jesus Christus von den Toten auferweckt (Hebräer 13,20). Der Tod kann den friedenstiftenden Gott nicht aufhalten. Das scheinbar Unmögliche kann den friedenstiftenden Gott nicht aufhalten. Paulus schrieb den Römern von einem Gott, der die Toten lebendig macht und der aus dem Nichts ins Leben ruft (Römer 4,17). Menschen, die auf ihre eigene Kraft angewiesen sind, ist das Friedenstiften unmöglich; Gott schenkt Frieden. Dank der göttlichen Barmherzigkeit blieb im Südafrika der 1990er Jahre ein Rassenkrieg aus. Statt dessen bildete sich wie durch ein Wunder eine „Wahrheits- und Versöhnungskommission“. Gottes Macht, im Verbund mit den Gebeten und dem Mut von Menschen, führt Veränderungen herbei. Im 21. Jahrhundert wie in der Stadt Cäsarea im ersten Jahrhundert leistet der Heilige Geist Geburtshilfe bei der Entstehung neuer Optionen. Der Geist kommt gleichermaßen auf Römer, Unterdrücker, Feinde und Schwache herab. Er begegnet denen, denen Menschenunmögliches abverlangt wird. Allein aufgrund der Auferstehung und des Heiligen Geistes können Gottes Menschen Friedensstifter werden.

Jesus ist der Schlüssel zum Frieden

Petrus berichtete Kornelius auch, dass es der Friede sei, mit dem Jesus evangelisierte (Apostelgeschichte 10,36). Und in Epheser 2,14 heißt es über Jesus: Durch Christus haben wir Frieden. Jesus ist der Friedensstifter. Um zu erkennen, was Friede bedeutet, braucht man weder über Politik noch über Theologie zu streiten – wir blicken einfach auf Jesus. Wir erzählen die Geschichte Jesu. Wir hören ihm zu. Wir beobachten Jesus in Aktion: Jesus mit seinen Freunden, Jesus beim Streiten, Jesus beim Lieben seiner Feinde, Jesus am Kreuz, Jesus beim Friedenstiften. Im Laufe der Generationen fällt der Kirche die Aufgabe zu, die Geschichte und Lehre Jesu zu betrachten und seine Art weiterzugeben. In diesem Sinne verstand auch Paulus seine Aufgabe: Folgt meinem Beispiel, so wie ich dem Vorbild folge, das Christus uns gegeben hat (1. Korinther 11,1). Die Lebensart Jesu, von seinen Jüngern vorgelebt, würden künftig auch andere nachahmen und wiederum vorleben. Paulus schrieb den Christen in Philippi: Richtet euch nach dem, was ich euch gelehrt habe, und lebt nach meinem Vorbild. Dann wird Gott bei euch sein und euch seinen Frieden schenken (Philipper 4,9). Jesus, die Verkörperung göttlichen Friedens, lebt. Paulus sagt, dass Jesus selbst der Friede ist, und zeigt uns, was es mit diesem Frieden auf sich hat.

Der Friede steht im Mittelpunkt biblischen Glaubens. Es ist unmöglich, hier zu übertreiben. Alle acht Facetten weisen darauf hin, dass der Friede der Bibel zufolge kein zusätzliches, gebührenpflichtiges Extra ist. Er ist von zentraler Bedeutung. Der einzige Grund, warum wir Heiden (indonesische Heiden, argentinische Heiden, deutsche Heiden und alle anderen auch) uns in der Gemeinde befinden, liegt in der übernatürlichen friedenstiftenden Tat Gottes in Christus. Darum ist der Friede zum Wohle der gesamten Kirche gedacht. Den Begriff könnten wir sogar verwenden, um unsere Gemeinden zu beschreiben. Wenn Leute uns nach unserer Gemeinde fragen, dann könnten wir antworten: „Wir sind eine Kultur des Friedens. Gott ist ein Gott des Friedens, und wir sind dabei, zu lernen, was Friede wirklich bedeutet. Das ist ein spannender Weg! Sie sind herzlich eingeladen, mal reinzuschauen!“

Anmerkungen

1Marlin E. Miller, „The Gospel of Peace“ in: Robert Ramseyer (Hrsg.), Mission and the Peace Witness (Scottdale, PA, Herald Press, 1979), 9–23.

2Andrew Walls, „From Christendom to World Christianity“ in: The Cross-Cultural Process in Christian History (Maryknoll, NY, Orbis Books, 2002), 49–71.

3Dietrich Bonhoeffer, Ethik. Zusammengestellt und herausgegeben von Eberhard Bethge (Chr. Kaiser Verlag, München 91981), S. 264f.

4Miroslav Volf, Exclusion and Embrace – A Theological Exploration of Identity, Otherness, and Reconciliation (Nashville, Abingdon Press, 1996), 129.

5David P. Barash, Introduction to Peace Studies (Belmont, CA, Wadsworth Publishing Company, 1991), 7–8.

6Johan Galtung, Peace by Peaceful Means – Peace and Conflict, Development and Civilization (Oslo, PRIO International Peace Research Institute und London, SAGE Publications, 1996), 9.

7Ulrich Mauser, The Gospel of Peace – A Scriptural Message For Today’s World (Louisville, KY, Westminster/John Knox Press, 1992), 13.

8Perry Yoder, Shalom – The Bible’s Word for Salvation, Justice, and Peace (Newton, KS, Faith and Life Press, 1987), 10–16; ebenfalls Walter Brueggemann, Living Toward A Vision – Biblical Reflections on Shalom (New York, United Church Press, 1976), 18–20.

9Eine fundierte Abhandlung über Schalom und seine Auswirkungen auf Innenstädte findet sich bei: Mark R. Gornik, To Live in Peace – Biblical Faith and the Changing Inner City (Grand Rapids, Eerdmans, 2002), Kapitel 3.

10Ibid., 101.

11Justinus, Dialog mit dem Juden Tryphon. Aus dem Griechischen übersetzt von Philipp Hauser. Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 33 (Kösel, Kempten und München 1917) 110.2–3.

12H. Richard Niebuhr, The Social Sources of Denominationalism (New York, Henry Holt and Co., 1929), 281–283.

13Ibid., 283–284.

14John Warkentin in einem Bericht von Dalton Reimer, Peace Education Commission of the United States Conference of Mennonite Brethren Churches an den Rat für Frieden der Mennonitischen Weltkonferenz, 25. Januar 2003.

3. Funktioniert Friede?

Frieden entdecken und feiern

Der biblische Gott ist ein „Gott des Friedens“ (Richter 6,24; 1. Thessalonicher 5,23; Hebräer 13,20; usw). Wir alle kennen Gemeinden, in denen Gottes friedenstiftendes Wirken offenkundig ist. Es ist eine hilfreiche Gewohnheit, einander in der eigenen Gemeinde und bei Begegnungen mit anderen Christen zu fragen: „Wo haben Sie in letzter Zeit erfahren, dass Gott Frieden stiftet?“

Der Rat für Frieden der Mennonitischen Weltkonferenz hat diese Frage einmal den Mitgliedskirchen gestellt. Auch wenn die folgenden Beispiele aus einer konkreten Denomination stammen, weisen sie doch auf viele verschiedene Stufen auf dem im letzten Kapitel erwähnten Kontinuum hin.

Persönliche Erfahrungen. Eine Kirche in Nicaragua erzählte von Margarita, die durch ihre Bekehrung den Frieden Gottes erfuhr. Margarita war missbraucht und unterdrückt worden, bereits von vielen Liebhabern verlassen. Um ihre Söhne zu ernähren, schuftete sie für sehr wenig Geld. Sie neigte selbst zu Gewalt und zu „Streit, Kämpfen und Querelen mit ihren Nachbarn“. Die Leute schwärzten sie bei der Polizei als „unerwünschte Nachbarin“ an. Doch nachdem Margarita Jesus in ihr Herz aufgenommen hatte, „hat sich ihr ganzes Leben zum Besseren hin verändert, sowohl für sie als auch für ihre Nachbarn. Die Nachbarn konnten die Veränderungen in ihrem Leben kaum fassen.“ Margarita hat aufgehört, ihre Söhne zu verprügeln. Und die Nachbarn, die sie einst fürchteten, achten und respektieren sie heute. Die nicaraguanischen Mennoniten berichten: „Unser Gott ist ein Gott des Unmöglichen, der Dinge tut, die Menschen nicht für möglich halten.“1

Versöhnung innerhalb der Kirche. Die Communauté Evangélique Mennonite (CEM) im Kongo war durch inneren Streit zerrissen. Die Gemeinden erkannten, dass dies ihrem Zeugnis schadete. Sie berichten, dass sie „keine Aktivitäten mehr nach außen entwickeln konnten, da wir zuerst den Frieden innerhalb unserer eigenen Konferenz erlangen mussten“. In aller Bescheidenheit wandten sie sich an eine „Friedens- und Versöhnungskommission“, die schließlich im Rahmen einer Mediation erfolgreich zwischen der Kirchenleitung und ihrem Aufsichtsgremium vermittelte. Für die Beilegung dieses Streits preisen sie Gott. Dieser Konflikt hat dazu geführt, dass diese Gemeinden Versöhnung ganz wesentlich als ihren Auftrag betrachten und sich diesbezüglich weiterbilden und schulen wollen.2

Frieden zwischen Nachbarn. In Indien erlebte die Gemeinde Bihar Mennonite Mandali Spannungen mit dem Maoist Communist Centre, einer revolutionären Gruppe, die auch vor Gewalt und Mord nicht zurückschreckte. Die Mennoniten berichten, dass Peter Minj, einer ihrer Leiter, der maoistischen Führung versicherte: „Wir werden uns niemals auf Blutvergießen oder andere verwerfliche Taten Ihrer Gruppe einlassen.“ Zugleich ließ er sie wissen, dass die Christen durchaus mit ihnen in Kontakt bleiben wollten. Die Gemeinde „betete und wartete auf den Tag, an dem diese Menschen vor Jesus niederfallen würden“. Zögerlich waren tatsächlich bald Veränderungen bei der revolutionären Gruppe zu beobachten. Manche Maoisten haben inzwischen den Weg der Gewalt aufgegeben. Andere, die in der Gruppe geblieben sind, haben begonnen, den Christen zu vertrauen. Als dann ein Mitglied der Gemeindeleitung in Bihar verlief, griff ihn eine maoistische Gruppe auf und drohte, ihn zu töten. Doch sobald sie erfuhren, dass er zu dieser Gemeinde gehört, „hat sich ihr Benehmen schlagartig gerändert“. Sie verhielten sich nun respektvoll und luden ihn zum Tee ein. Die Gemeinde aus Bihar berichtet, dass der Grund dafür war, dass „die Leute in diesem Gebiet wissen, dass wir alle Menschen lieben und aufrichtig bemüht sind, den Menschen Gutes zu tun“. Von ihrem Land werden die Maoisten als Feinde betrachtet, doch die Christen von Bihar haben Frieden mit ihnen geschlossen.3

Versöhnung mit Menschen anderen Glaubens. Indonesien hat die größte muslimische Bevölkerung der Welt. In Teilen des Landes wurden christliche Kirchen abgefackelt und Menschen ermordet. Mennonitische Christen aus der Synode der Persatuan Gereja-Gereja Kristen Muria Indonesia (GKMI) haben gemeinsam mit Katholiken und anderen Protestanten einen Dialog mit islamischen Führern begonnen. In der Stadt Solo, seit Jahrhunderten für ihre religiösen und ethnischen Konflikten bekannt, haben christliche Pastoren und muslimische Imame ein interreligiöses Forum gebildet, das sich der Gewalt auf kommunaler Ebene widersetzt.

Das Forum hat sich zum Ziel gemacht, „Werte des Friedens in die kommunalen Angelegenheiten einzupflanzen“. Dies hat zu symbolischen Aktionen geführt. Einmal haben sie 3 000 T-Shirts unter den Anhängern vieler religiöser Gruppen verteilt. Sie waren bedruckt mit dem Satz: „Ich bin Mitglied einer friedliebenden Gemeinschaft.“ Das Forum ging noch weiter. In fünf Stadtgebieten hat es Mediations-Gruppen aufgebaut, die jeweils aus rund 20 ausgebildeten Mediatoren bestehen. Sie stammen aus allen religiösen Gemeinschaften und treten als Mediatoren in Aktion, wenn Konfliktfälle auftreten.4

Frieden zwischen Nationen. Kongolesische Christen der Communauté Mennonite au Congo (CMC) berichteten, dass in ihrem Land „Kriege und andere Konflikte … ohnehin sensible Beziehungen zwischen Einzelnen sowie zwischen den Ländern in der Region der Großen Seen zerstört haben“. Diese Christen sehen ihren Auftrag als „Salz und Licht der Welt“ darin, „zerbrochene Beziehungen zwischen Personen und Ländern wiederherzustellen“. Deshalb haben sie sich aktiv im „Interkongolesischen Dialog zur Versöhnung“ engagiert, der sich bemüht, zwischen den sich im Kongo bekämpfenden Gruppen Frieden zu stiften.

Sie beteiligen sich auch an einer Friedensinitiative zwischen Staaten in der zentralafrikanischen Region der Großen Seen (Demokratische Republik Kongo, Burundi, Ruanda und Uganda), die gegeneinander Krieg führen. Sogar inmitten von Krieg bestätigen sie: „Christus ist unser Friede. Er beschenkt uns mit Frieden, seinem Frieden.“ Seine Anhänger werden „aktive Friedensstifter in ihrem persönlichen Leben wie auch in ihrem Dienst und in der Gesellschaft sein. … sie werden sich ausschließlich gewaltlos verhalten.“5

Diese Beispiele zeigen etwas sehr Großes. Weil Gott ein Gott des Friedens ist, kann es nicht überraschen, dass er sich stets um Frieden bemüht – an vielen Orten, durch viele verschiedene Menschen, in allen Lebensbereichen. Es braucht noch viel mehr solcher Geschichten, nicht zuletzt aus unserem eigenen Leben, indem wir uns daran erinnen, wo Gott uns selbst als Friedensstifter gebrauchen konnte. Die Bibel zeigt uns, dass Gott auch Menschen, die ihn nicht kennen, durchaus gebraucht, um Frieden zu stiften. Das gilt es zu erkennen, von ihnen zu lernen und Gott dafür zu preisen.

Warum manche Leute dem Frieden skeptisch gegenüber stehen

Äußerst wenige Gemeinden bezeichnen sich als Kulturen des Friedens. Anscheinend fühlen sich Christen mit dem Etikett „Gnade“ wohler als mit „Frieden“ – obwohl Paulus und Petrus ihre Briefe jeweils mit beiden gemeinsam einleiteten. Christen fällt es offenbar auch schwer, darüber zu reden, wie Gott innerhalb der Kirche und darüber hinaus Frieden stiftet. Manchmal sind unsere Gemeinden von zerstörten Beziehungen, Machtkämpfen und Manipulation gekennzeichnet. Es ist verständlich, wenn Menschen in solchen Gemeinden wenig vom Frieden reden. Doch auch gesunde Gemeinden reden selten vom Frieden. Sobald sich ein Mitglied bemüht, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen, kann der Versuch als komisch, unpassend oder auch unwichtig abgetan werden.

Warum ist das so? Es ist wichtig, zu verstehen, warum Christen dem Gespräch über den Frieden eher aus dem Weg gehen. Einige der Gründe, die wir wahrgenommen haben, sind:

„Das Thema Frieden verwässert das Evangelium.“ Es lenkt von Evangelisation ab.

„Das Thema Frieden bringt die Politik in die Kirche.“ Politik bringt Konflikte mit sich, und viele Christen haben schlechte Erfahrungen mit Konflikten gemacht. Sie wissen nicht recht, wie sie damit umgehen sollen, also versuchen sie, die Existenz von Konflikten einfach zu leugnen.

„Das Thema Frieden riecht nach ‚Pazifismus‘.“ Manche Christen haben kein gutes Gefühl beim Stichwort Pazifismus. Einigen klingt es zu aktivistisch, anderen wiederum zu passiv. Sie meinen, die Geschichte habe längst bewiesen, dass Christen Tyrannen widerstehen müssen. Amerikaner und Briten pflegen zum Beispiel zu fragen: „Was wäre gewesen, wenn wir nicht gegen Hitler aufgestanden wären?“

„Das Gespräch über den Frieden stellt unsere Erfahrungen und unser Leiden im Krieg in Frage.“ Christen, auch mennonitische, haben in Kriegen gekämpft, haben getötet und sind getötet worden; Überlebende haben an einem Kriegsttrauma gelitten; sie haben Verwandte im Krieg verloren. Diesen Menschen gefällt es nicht, wenn Christen, die vom Frieden reden, die eigenen Kriegserfahrungen herabzuwürdigen scheinen. Andere haben beim Militär ausgesprochen gute Erfahrungen gemacht: „Bei der Marine habe ich mich bekehrt.“ „Ich bin der Armee sehr dankbar für meine Ausbildung.“

„Das Thema Frieden ist langweilig.“ Schalom kommt uns ereignislos vor, wie ein Roman ohne Handlung. Es scheint, als ob einfach nichts passiere. In dem Film „Der einzige Zeuge“ (1985) stellt der gemeinschaftliche Aufbau einer Scheune an einem einzigen Tag ein wundervolles Beispiel von Schalom in der amischen Kultur dar. Richtig spannend wird es im Film allerdings erst, als Detective John Book (dargestellt von Harrison Ford) seine Fäuste einsetzt. Friede kann tatsächlich oberflächlich wirken – manchmal gehen die sogenannten Friedensstifter Problemen eher aus dem Weg, statt sich ihnen zu stellen.

„Das Thema Frieden ist viel zu komplex.“ Das ist nur etwas für außergewöhnliche Leute mit besonderen Fähigkeiten. Es ist nichts für normale Menschen wie uns.

„Friede ist unrealistisch.“ Er funktioniert einfach nicht. Die Attacken auf die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 zeigten einmal mehr, dass die Welt ein gewalttätiger Ort ist. (Das wussten viele Länder natürlich bereits vor 2001.) Über den Frieden zu reden, kommt einem idealistisch vor. Friede ist ja in der Theorie schön und gut, doch in der Praxis funktioniert er nicht. Was funktioniert, was die Dinge tatsächlich verändert, das ist Gewalt. Das mag vielleicht nicht nett sein, doch es entspricht der menschlichen Erfahrung. Im Lichte dessen ist es unwahrhaftig, von der Gemeinde als Kultur des Friedens zu reden. Und wir Christen sind schließlich dazu aufgerufen, wahrhaftig zu sein.

In jedem dieser Sätze steckt ein Stück Wahrheit. Wenn wir es mit dem Frieden ernst meinen, müssen wir uns sehr genau die Gründe anhören, warum Menschen ihn für problematisch halten. Wir mögen nicht völlig damit übereinstimmen, aber sie weisen auf Dinge hin, mit denen wir uns ernsthaft auseinandersetzen sollten. Die Behauptung zum Beispiel, das Thema Frieden „verwässere das Evangelium“, kommt einem völlig unverständlich vor, wenn das Evangelium, wie viele Stellen im Neuen Testament belegen, ein „Evangelium des Friedens“ ist (Apostelgeschichte 10,36; Epheser 6,15). Es kann natürlich sein, dass jemand dabei Christen im Blick hat, die sich stärker dem Frieden als unserem Herrn Jesus Christus verpflichtet fühlen. Oder Christen, die sich stärker für die Versöhnung mit Muslimen als für die Versöhnung mit Gott interessieren. Bedenken und Einwände fordern uns jedenfalls auf, genau hinzuhören und weiterzudenken.

Augustinus hielt Frieden für unrealistisch

Der letzte Einwurf, „Friede ist unrealistisch“, ist für uns sicher der wichtigste: Die Welt ist voller Gewalt, die Gesellschaften sind korrupt. Der 11. September hat der Welt gezeigt, wie sie wirklich ist. Das Leben, wie es viele Menschen erfahren und wie es Zeitungen und Fernsehen beschreiben, ist von Konkurrenz und der oftmals gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen selbstsüchtigen Menschen und Gruppen gekennzeichnet. Gewalt oder die Androhung von Gewalt führen Veränderungen herbei und sichern Gerechtigkeit. Etwas anderes zu behaupten, wäre hoffnungsloser Idealismus. Seine Sichtweise der Realität anzupassen, ist dagegen pragmatisch und ehrlich.

Gewalt funktioniert. Diese Sicht, die der Theologe Walter Wink den „Mythos von der heilenden Gewalt“ nennt, scheint realistisch zu sein, dem gesunden Menschenverstand zu entsprechen.6 Als Reaktion auf diese scheinbare Realität lieferte Bischof Augustinus von Hippo Anfang des fünften Jahrhunderts die theologische Begründung für die Abwendung der Kirche von der friedenskirchlichen Tradition der früheren Jahrhunderte. Kein einziges Mal bezog sich Augustinus auf den Vers, der den frühen Christen so wichtig war: Dann schmieden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen um und ihre Speere zu Winzermessern (Micha 4,3).7 Doch einige Male, wenn er über die Psalmen predigte, kommentierte er Psalm 46,10: In aller Welt bereitet er den Kriegen ein Ende. Er merkte an:

Dieser Text ist noch nicht in Erfüllung gegangen – Kriege gibt es noch. Die Menschen kämpfen noch gegeneinander um die Vorherrschaft. Es gibt Kriege zwischen Gruppen, Kriege unter Juden, Heiden, Christen und Ketzern. Manche kämpfen um die Wahrheit, andere um die Unwahrheit. Vielleicht wird dieser Text einmal erfüllt. Oder ist er vielleicht trotz allem bereits erfüllt worden? Ja, in manchen Menschen ist er bereits Wirklichkeit. Im „Weizen“-Ertrag ist er bereits erfüllt; im „Unkraut“ jedoch noch nicht!8

Seit Augustinus sind die meisten Christen zutiefst davon überzeugt, dass der Friede nur in unseren Herzen oder nach dem Tod möglich sei. Frieden auf Erden zwischen einzelnen Gruppen oder auch innerhalb der Gemeinde sei dagegen unmöglich. Daher müssten Christen leider trotz aller Bedenken lernen, Gewalt als das geringere Übel im Ringen um Gerechtigkeit zu gebrauchen. Es überrascht nicht, dass seit Augustinus die vorherrschenden christlichen Traditionen des Westens wenig vom Frieden gesprochen haben. Da der Friede als unerreichbar angesehen wurde, ist es nachvollziehbar, dass Augustinus und Ambrosius die christliche Lehre vom „gerechten Krieg“ entwickelten als ein Mittel, Gewalt zu begrenzen.

Über die Jahrhunderte hinweg hat es natürlich auch eine alternative Tradition gegeben. Das ist die Tradition des Franz von Assisi, der in den Nahen Osten ging, um Gespräche mit muslimischen Führern zu führen. Es ist die Tradition der Quäker, die von Anfang an geglaubt haben, dass Wahrheit stärker sei als Macht. Die Tradition der katholischen Arbeiterbewegung, die vorgeführt hat, wie sich Gerechtigkeit und Frieden aus der Verpflichtung ergeben, zu tun, was Jesus lehrte. Die täuferischen Gruppen – zu denen die bereits erwähnten Mennoniten gehören – haben den Frieden als einen zentralen Punkt ihrer Identität etabliert. Eine ihrer prägenden Figuren, Menno Simons, zum Beispiel sah 1537 im Frieden ein Zeichen für die wahre Kirche:

Diese Wiedergeborenen … sind die Kinder des Friedens, die ihre Schwerter zu Pflugeisen und ihre Spieße zu Sicheln gemacht haben und wissen von keinem Krieg mehr … Ihr Schwert ist das Schwert des Geistes, das sie in einem guten Gewissen führen durch den Heiligen Geist.9

All diese Gruppen der alternativen Tradition haben etwas Wesentliches gemeinsam: Sie glauben, dass Gott sich durch Christus definitiv geäußert hat. Sie meinen, die Urgemeinde ist auf etwas Lebensspendendes gestoßen. Sie betrauern die Tatsache, dass die westliche Christenheit diesen ursprünglichen Weg verlassen hat und konventionell geworden ist. Außerdem ist ihr Blick dafür geschärft worden, eine weitere Dimension der Wirklichkeit wahrzunehmen, wie wir sie in einigen Beispielen am Anfang dieses Kapitels geschildert haben. Dies ist die Realität, die uns alle umgibt, die aber die meisten Menschen (einschließlich vieler Christen) leicht übersehen: das unermüdliche Wirken des Gottes des Friedens, der ständig dabei ist, Frieden zu stiften, und der die Nachfolger Jesu dazu aufruft, zu tun, was Jesus getan hat: zu entdecken, wo Gott am Werk ist, und sich ihm anzuschließen (Johannes 5,19).

Das Evangelium des Friedens neu als gute Nachricht entdecken

Heute erkennen Christen neu, wie zentral der Friede ist. Diese Entdeckung machen sie aus verschiedenen Gründen. Sie fühlen sich von Jesus und einem alternativen Ansatz zur Konfliktlösung angezogen. Sie entdecken, dass Christen im Namen Jesu entsetzliche Greueltaten begangen haben, von denen sie sich distanzieren möchten. Und sie sind realistisch. Korruption, Gewalt, Tod und Zerstörung dieser Welt sind ihnen nicht weniger als den sogenannten „Realisten“ bekannt. Allerdings reagieren sie darauf nicht mit mutloser, fatalistischer Resignation, sondern mit einer sorgfältigen Analyse, die zum aktiven Widerstand führt.

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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