Buch lesen: «Handbuch Ius Publicum Europaeum», Seite 16

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[108]

D. Briolas, L’application de la Convention européenne des droits de l’homme dans l’ordre juridique des États contractants: Théorie et pratique helléniques, in: Iliopoulos-Strangas (Fn. 89), S. 82, 94.

[109]

So der Richter beim Staatsrat Briolas (Fn. 108), S. 112.

[110]

Nachweise bei Iliopoulos-Strangas (Fn. 51), S. 188f.

[111]

Vgl. das Urteil des Areopags 40/1998 (Plenum), ToS 1999, S. 103, 104f.

[112]

Im Gegensatz zu der deutschen Übersetzung, in der das Wort „Eigentum“ benutzt wird, wird in beiden Originalsprachen ein eher dem deutschen Wort „Vermögen“ entsprechendes Wort verwendet („biens“ in der französischen Fassung und „possessions“ in der englischen).

[113]

Vgl. EGMR, Nr. 17371/90, Urteil vom 16.9.1996, Rep. 1996-IV – Gaygusuz/Österreich, Absätze 36–52 der Entscheidungsgründe und Punkte 1 und 2 des Tenors (Anspruch auf eine Sozialleistung, hier Notstandshilfe, die zum Teil aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung finanziert wird).

[114]

Vgl. das Urteil des Areopags 457/1999, Yper 2000, S. 280f.

[115]

Näheres zur Bildung dieser originären Gewalt bei G. Kassimatis (Γ. Κασιμάτης), Προς μια νέα έννοια του Κράτους – Το σύγχρονο Κράτος και η υπέρβασή του (Zu einem neuen Staatsbegriff – Der moderne Staat und seine Überholung), 1992, in: ders. (Hg.), Μελέτες ΙΙ (Abhandlungen ΙΙ) – 1980–1998, Κράτος και καθεστώς (Staat und Regime), 2002, S. 13, 45f., 51f., 56f.

[116]

Nach A. Svolos (Α. Σβώλος), Συνταγματικό Δίκαιο (Verfassungsrecht), Bd. I, 1934, S. 79, 91, ist die erhöhte formelle Kraft gewöhnlich ein konstitutives Element der Verfassung im formellen Sinne. In die gleiche Richtung gehend C. Georgopoulos (Κ. Γεωργόπουλος), Επίτομο Συνταγματικό Δίκαιο (Grundriss des Verfassungsrechts), 122001, S. 121.

[117]

Die konstituierende Gewalt hatte sich selbst von Anfang an – d.h. seit den Verfassungen von 1844 von 1864 bis zur letzten Verfassung vor der Diktatur, der Verfassung von 1952 – das Recht entzogen, die „wesentlichen Bestimmungen“ der Verfassung, insbesondere jene, die die Staatsform und die parlamentarische Regierungsform betreffen, zu ändern.

[118]

Vgl. dazu und zum Folgenden Iliopoulos-Strangas/Prevedourou (Fn. 33), S. 278; siehe bereits Iliopoulos-Strangas (Fn. 35), S. 200.

[119]

Vgl. bereits Iliopoulos-Strangas (Fn. 35), S. 200, unter Verweis auf G. Nicolaysen, Vom Beruf zur Verfassunggebung in Europa. Fragestellungen zu einem Thema, EuR 1984, S. 94, 97.

[120]

So Y. Drossos (Γ. Δρόσος), Δοκίμιο Ελληνικής Συνταγματικής Θεωρίας (Eine Abhandlung über die griechische Verfassungstheorie), 1996, S. 664, 671.

[121]

D. Tsatsos (Δ. Τσάτσος), Η ευρωπαϊκή „Συμπολιτεία“ – Προς μια ένωση των λαών με ισχυρές πατρίδες (Die europäische „Sympoliteia“ [„Mitbürgerschaft“] – Auf dem Weg zu einer Vereinigung der Völker mit starken Heimatländern), 2001, S. 47.

[122]

In der Tat war in der griechischen Geschichte der Antike die Achäenische „Sympoliteia“ eine Konföderation der zwölf Städte des Peloponnes, die insbesondere gegen den Einfluss von Mazedonien gerichtet war. Sie wurde von den Römern vernichtet (280–146 v. Chr.).

[123]

So J. Abr. Frowein, Die rechtliche Bedeutung des Verfassungsprinzips der parlamentarischen Demokratie für den europäischen Integrationsprozeß, EuR 1983, S. 301.

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 17 Offene Staatlichkeit: Großbritannien

Patrick Birkinshaw/Martina Künnecke

§ 17 Offene Staatlichkeit: Großbritannien

Allgemeine Hinweise

I.Die europäische Frage im Kontext der britischen Rechtstradition1 – 15

1.Die „europäische Dimension“ und die Parlamentssouveränität1 – 11

2.Zum Europabild12 – 15

II.Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft/Union16 – 41

1.Die Auseinandersetzungen um die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Mitgliedschaft16, 17

2.Nationale Interessen im Kontext der Ratifikationsdebatte18 – 21

3.Dogmatische Grundlagen der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU22 – 26

4.Konfliktlinien27 – 35

a)Souveränität27

b)Demokratie28

c)Reaktion der Gerichte29 – 35

5.Verfassungsrechtliche Grenzen der Integration36 – 41

III.Verfassungsrecht und die Europäische Konvention für Menschenrechte42 – 66

1.Das Common Law als Grundlage des nationalen Grundrechtsschutzes42 – 45

2.Die „Inkorporation“ der EMRK in das britische Verfassungsrecht46 – 61

3.Bedeutung der EMRK für das nationale Verfassungsrecht62 – 66

IV.Verfassungsrechtliche Konzeption der europäisierten nationalen Verfassung67 – 74

Bibliographie

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 17 Offene Staatlichkeit: Großbritannien › Allgemeine Hinweise

Allgemeine Hinweise

Abkürzungen

(in Ergänzung zu dem Beitrag von Martin Loughlin, § 4 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Großbritannien):


BHRC Butterworths Human Rights Cases
CP Consultation Paper
EHRL European Human Rights Law Reports
EHRLR European Human Rights Law Review
EHRR European Human Rights Reports
EWCA Civ England and Wales Court of Appeal (Civil Division)
FLR Family Law Reports
HC House of Commons Paper
QB Law Reports: Queen’s Bench Division.

Zitierweisen

Es gibt keine offizielle Fallsammlung. Der Incorporated Council of Law Reporting for England and Wales, gegründet 1870, veröffentlicht einige der so genannten Law Reports. Unter ihnen befinden sich u.a. die so genannten Weekly Law Reports. Daneben haben die All England Law Reports einen hohen Stellenwert. Die Sammlungen werden als Hardcover veröffentlicht und viele Entscheidungen sind über kommerzielle Datenbanken wie Lexis und Westlaw erhältlich.

Kurze Fallübersichten lassen sich ebenfalls in Tageszeitungen finden, z.B. in The Times, Guardian, Independent und Daily Telegraph.

Urteile des House of Lords und des Privy Council sind im Internet zugänglich unter www.publications.parliament.uk/pa/ld/ldjudinf.htm (28.3.2006); www.privy-council.org.uk/judicial-committee (28.3.2006).

Urteile des High Court und des Court of Appeal sind über die Smith Bernal Datenbank erhältlich: www.casetrack.com (28.3.2006).

Bis 2001 wurden Fälle wie folgt zitiert: z.B. Macarthys v. Smith [1979] 3 All ER 325 oder Equal Opportunities Commission v. Secretary of State for the Employment [1949] 1 WLR 409.

Seit 2001 wird eine neue Zitierweise benutzt, die so genannte neutral citation: JD (FC) v. East Berkshire Community Health NHS Trust and others and two other actions [2005] UKHL 23.

Die Zahl in der Klammer gibt die Jahreszahl an, die Zahl hinter der Angabe des Gerichts gibt die Nummer des Falles an.

Fälle werden zusätzlich auch weiterhin in der alten Form zitiert.

Parteien in Verfahren vor dem Administrative Court des High Court werden wie folgt bezeichnet: R (Regina, die Krone) v. A (Beklagte) ex parte (im Auftrag von) B (Kläger), z.B. R v. Secretary of State for Transport, ex parte Factortame Ltd (No. 4) [1996] QB 615; die Klageformen für das Judicial Review-Verfahren basieren auf historischen Vorgängern, den so genannten „prerogative orders“, da die Kontrolle über die Verwaltung ursprünglich Aufgabe der Krone war.

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 17 Offene Staatlichkeit: Großbritannien › I. Die europäische Frage im Kontext der britischen Rechtstradition

I. Die europäische Frage im Kontext der britischen Rechtstradition

Redaktionell bearbeitet von Nikolaus Plagemann und Dr. Ferdinand Wollenschläger.

1. Die „europäische Dimension“ und die Parlamentssouveränität

1

In diesem Beitrag befassen wir uns mit dem Einfluss der europäischen Integration auf die britische Verfassungsstruktur und mit den verfassungsrechtlichen Mechanismen für die europäische Integration im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland). Beleuchten möchten wir dabei vor allem die Natur und das Ausmaß der Europäisierung der Verfassungsordnung, namentlich mit Blick auf das Verhältnis zwischen den Verfassungsorganen.

2

In vielerlei Hinsicht ist die Verfassung des Vereinigten Königreichs sehr insular. Sie ist ungeschrieben. Sie beruht auf dem Common Law, welches in vielen Teilen der Welt Einzug gehalten hat, nicht allerdings auf dem europäischen Kontinent. Die Entwicklung der englischen Verfassung wurde von der Beziehung und den Konflikten zwischen der Krone und den Reichsständen bestimmt. Aus dieser Beziehung resultiert auch die Bedeutung des Begriffes der Souveränität, so wie er grundsätzlich bis heute verstanden wird. Die Mitgliedschaft in der EU zwingt allerdings zu einer Modernisierung des britischen Souveränitätsverständnisses. Diese Frage der Modifikation des englischen Souveränitätsbegriffes ist für das britische Recht ähnlich schwierig wie die Frage, ob das europäische Recht den Grundrechtsgarantien des deutschen Grundgesetzes standhält, für das deutsche Verfassungsrecht.

3

Die Doktrin der Parliamentary Sovereignty (Parlamentssouveränität) beinhaltet den Grundsatz, dass kein Parlament seine Nachfolger binden kann und dass seine Rechtsakte von keiner Institution oder Person überprüfbar sind. Dies ist ein Ausdruck der politischen Souveränität des Volkes, welches das Parlament repräsentiert. Diese in sich ruhende, auf den Nationalstaat ausgerichtete Doktrin der Parlamentssouveränität war an die Bedingungen anzupassen, welche die Mitgliedschaft in der EU mit sich brachte. Die Inkorporierung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den Human Rights Act 1998 und der Dezentralisierungsprozess in Schottland und Wales führten zu weiteren Modifikationen der Doktrin.

4

Trotz dieser Entwicklungen wurde die Parlamentssouveränität in ihrem rechtlichen Sinne beibehalten. Der britische Begriff der Souveränität bezieht sich insbesondere auf institutionelle Stabilität und Haltbarkeit. Die repräsentative Natur des Parlaments sollte die Interessen schützen, auf denen es beruhte – das Parlament garantierte die verfassungsrechtliche Ordnung der Rechte und Freiheiten der Bürger (Untertanen). Praktische Begrenzungen dieser Doktrin sind jedoch seit Generationen akzeptiert worden.

5

Das Common Law, welches von Richtern angewendet wird, denen gemäß dem Act of Settlement im Jahre 1701 ihre Amtszeit auf Lebenszeit garantiert ist, hat sich schrittweise entwickelt, indem es die Praktiken der Vergangenheit als Präzedenzfälle für die Entwicklungen in der Zukunft nutzt. Das britische Rechtssystem unterscheidet sich insoweit stark von allen kontinentalen Systemen, unter denen es natürlich auch unterschiedliche Traditionen gibt. Trotz dieser Unterschiede hat das Vereinigte Königreich einen bemerkenswerten Grad an Integration und Europäisierung in seiner verfassungsrechtlichen Praxis und Rechtsdogmatik erreicht.

6

Der britischen Tradition liegt in verfassungsrechtlicher Hinsicht „offiziell“ keine „offene Staatlichkeit“ zugrunde. Die britische Tradition ist geprägt durch Einflussnahme auf andere, nicht durch die Rezeption fremder Maßstäbe und Rechtssätze. In Zeiten des britischen Empire war die Übernahme einheimischer Eigenarten in den Kolonien zwar ein bekanntes Phänomen; aber es gab umgekehrt keine wirklich maßgeblichen Einwirkungen fremder Rechtsordnungen auf die verfassungsrechtliche Ordnung und Entwicklung des Vereinigten Königreichs. Seine Verfassung beruht auf dem Common Law, dessen genauer Inhalt allerdings bis heute nicht vollkommen geklärt ist. Eine auf dem Common Law beruhende Verfassung basiert auf den Gebräuchen, Praktiken und Präzedenzfällen der regierenden Institutionen. Die Parameter einer solchen Verfassung werden im Rahmen von gegenseitig anerkannten Limitierungen durch Entscheidungen dieser Institutionen festgelegt. Es war daher die Richterschaft, die Natur und Ausmaß der Parlamentssouveränität bestimmte und prägte, nicht der Gesetzgeber. Dies hat eine gewisse Zwangsläufigkeit, denn das Common Law gibt der Krone ihre Befugnisse (prerogatives) und entscheidet über deren Grenzen sowie seit den 1980er Jahren auch über die Rechtmäßigkeit ihrer Ausübung. Es wird deshalb vertreten, dass das Common Law auf dem so genannten „Fundamental Law“ beruhe, dem Recht des Volkes. Das verfassungsrechtliche Erbe ist reichlich versehen mit Bezugnahmen auf dieses „Fundamental Law“, auf dem das englische Verfassungsrecht angeblich historisch basiert.[1]

7

Mit einer jüngeren Generation von Common Law-Juristen aus Großbritannien und dem Commonwealth hat der Rückgriff auf eine auf dem Common Law beruhende Verfassung eine zunehmend globale Dimension erlangt, wobei versucht wird, Werte wie Rationalität und Menschenrechte in die Tradition des Common Law einzubeziehen.[2] In der Tat sind die Grundsätze des internationalen Gewohnheitsrechts als Bestandteile des Common Law anzusehen, und auch eine zunehmende Internationalisierung des nationalen öffentlichen Rechts ist evident. Dies ermöglicht vielleicht ein Kontinuum von nationalen zu internationalen Normen, kann diese Doktrin doch über viele Jahrhunderte zurückverfolgt werden.[3]

8

Mit der zunehmenden Internationalisierung der Weltordnung seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die britische Rechtstradition zunehmend positivistisch und daher mehr auf die Parlamentssouveränität sowie auf einen rechtlichen Dualismus fixiert. Beide Aspekte nahmen 1973 im Kontext des Beitritts zur EWG und seiner Regelung durch den European Communities Act 1972 einen hohen verfassungsrechtlichen Stellenwert ein. Während die Ratifikation völkerrechtlicher Verträge ausschließlich der Exekutive, der Krone, vorbehalten ist, muss eine Änderung des materiellen Rechts auf der nationalen Ebene vom Parlament durch einen Gesetzgebungsakt bewirkt werden. Infolgedessen musste das Recht der Europäischen Gemeinschaften durch den European Communities Act 1972 im britischen Recht implementiert[4] werden. Diesen Ansatz bekräftigend ist im European Parliamentary Elections Act 2002 mittlerweile darüber hinaus festgelegt, dass jegliche Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments vom englischen Gesetzgeber vor der Ratifizierung des entsprechenden völkerrechtlichen Vertrages legitimiert werden muss.[5]

9

Die britischen Gerichte teilen diesen Ansatz, worin durchaus eine Parallele zur Haltung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes in der Maastricht-Entscheidung[6] gesehen werden kann. Soweit jedoch kein Gesetz vorliegt, können weder das Parlament noch die Gerichte über den Abschluss von Verträgen Kontrolle ausüben. Das Parlament wird normalerweise von dem Abschluss eines Vertrages lediglich unterrichtet.[7] Im Fall Rees-Mogg beantragte der Herausgeber der Times festzustellen, dass dem Außenminister die Kompetenz zur Ratifizierung des Maastrichter Vertrags gefehlt habe.[8] Obwohl das House of Lords Zweifel an der rechtlichen Überprüfbarkeit der Frage hegte, entschied es doch in der Sache.

10

Die Gerichte nutzen völkerrechtliche Verträge zudem als Auslegungshilfen für die Interpretation der Gesetze, durch welche die Verträge in nationales Recht umgesetzt worden sind, wovon sie vor allem in jüngerer Zeit mehr und mehr Gebrauch machen. Die Bereitschaft, internationale Verträge in dieser Weise anzuwenden, hat in einem zu begrüßenden Ausmaß zugenommen, wie u.a. das Gerichtsverfahren im Fall Pinochet zeigt. Die Mehrheit der Law Lords entschied hier, dass allgemeine Regeln des Völkerrechts, welche Folter, Völkermord und Geiselnahme verbieten, belegen, dass ein entsprechendes Verhalten nicht akzeptabel ist, auch nicht für ein ehemaliges Staatsoberhaupt. Da Folter und Geiselnahme nach britischem Recht Straftaten sind, für die das Vereinigte Königreich auch extraterritorial zuständig sei, könnten diese Handlungen auch Gegenstand eines Strafprozesses im Inland sein. In einer neuen Verhandlung entschied das House of Lords in anderer Zusammensetzung, dass die fraglichen Verbrechen, derentwegen Pinochet angeklagt war, außerhalb des Hoheitsbereiches des Vereinigten Königreichs begangen worden seien, im Vereinigten Königreich jedoch gleichwohl verfolgt werden könnten, wenn sie im Zeitpunkt der Tat auch Verbrechen nach englischem Recht waren.[9]

11

Es besteht ferner wie im Fall European Roma Rights Centre v. Immigration Officer at Prague Airport die Bereitschaft, Normen des Völkergewohnheitsrechts für die Interpretation von nationalem Recht heranzuziehen, wenn es um die Verantwortlichkeit von Hoheitsträgern geht.[10]

2. Zum Europabild

12

Bei dem bislang einzigen, die europäische Integration betreffenden nationalen Referendum, das 1975 stattfand, ging es um die Frage, ob die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft aufrechterhalten werden sollte. 67,23% waren dafür, wobei die Wahlbeteiligung bei 64,03% lag. Gleichwohl gibt es aus britischer Sicht nach wie vor gegenläufige politische Konzeptionen von Europa, die in den Debatten um das nach wie vor mögliche Referendum zur Europäischen Verfassung ebenso deutlich werden dürften wie bei anderer Gelegenheit. So gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen über die Erwünschtheit und den potentiellen Einfluss der Europäischen Verfassung. Innerhalb der Konservativen Partei herrscht immer noch eine isolationistische Haltung zu Europa vor; für sie ist der VVE schädlich für Europas Wirtschaft. Die offizielle Position dieser Partei lehnt den VVE daher ab und will die Mitgliedschaft nach einem Scheitern des Referendums neu verhandeln. Einige gehen sogar noch weiter und favorisieren einen Austritt aus der EU. Die offizielle Position der Labour Regierung ist es, dem VVE zuzustimmen und eine Macht in Europa zu bleiben. Bezüglich eines Beitritts zur Währungsunion ist selbst die Regierungspartei gespalten, ist doch die Attraktivität eines solchen Schrittes in den letzten Jahren merklich geschwunden.

13

Die Regierung hat zwei Weißbücher (White Papers) über den VVE veröffentlicht, in denen sie für die Unterzeichnung wirbt. Diese für die Verfassung werbenden Berichte enthalten sehr pragmatische und ökonomische Argumente,[11] wobei die Regierung den Vorteil des VVE zu Recht vor allem in der Vereinfachung und klareren Gestaltung der EU sieht. Denn in der Tat leidet die Union unter einem Mangel an Transparenz und Vermittelbarkeit. Verfassungsrechtlichen oder integrationspolitischen Idealismus gibt es im Vereinigten Königreich im Zusammenhang mit dem VVE dagegen kaum. Die European Union Bill 2005[12] formuliert die Abstimmungsfrage somit nach der Zustimmung zum VVE. Nach einer Umfrage, die der Daily Telegraph, eine eher europafeindliche Tageszeitung, am 29.1.2005 veröffentlicht hat, würden allerdings nur 24% der Stimmberechtigten mit „Ja“ stimmen und 45% mit „Nein“, 25% waren unentschieden.

14

Das Vereinigte Königreich hat sich lange Zeit auch gegen die EU-Grundrechtecharta als Bestandteil des VVE ausgesprochen, bis es erreicht hat, dass die Grundrechtecharta nur im Kompetenzbereich der EU Geltung beansprucht (Art. II-111 Abs. 2 VVE) und dass den sozialen Rechten, welche die „Solidarität“ verbessern sollen, keine Rechtswirkung zukommt. Sie wären lediglich Prinzipien, die Rechtswirkungen nur dann entfalten, wenn sie in materielles Recht umgesetzt werden.[13] Ihren Status als Prinzipien soll zum Beispiel Art. I-9 VVE verdeutlichen, wonach die Union Rechte, Freiheiten und Prinzipien anerkennt, die in der Grundrechtecharta enthalten sind. Diese Wortwahl deute darauf hin, dass diese Rechte bereits existierten, und auch die Formulierung „die Union anerkennt und respektiert“ soll als Hinweis auf den Prinzipiencharakter der Grundrechte verstanden werden. Demnach sei deutlich, dass die EU-Grundrechtecharta keine neuen durchsetzbaren sozialen Rechte schaffe.[14] Ob sich diese Sicht durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

15

Der Widerspruch, einer geschriebenen Verfassung auf internationaler Ebene unterworfen zu sein, während es nach wie vor keine geschriebene nationale Verfassung gibt, ist in Veröffentlichungen des Parlaments nicht unberücksichtigt geblieben. Wie in vielen anderen Staaten gibt es deshalb auch im Vereinigten Königreich den Versuch, das Verhältnis von nationalem und europäischem Recht durch eine funktionale Betrachtung in den Griff zu bekommen und die schwierigeren Fragen zu beantworten, die sich aus der Europäisierung des nationalen Rechts durch die Mitgliedschaft in der EU ergeben.

Erster Teil Offene Staatlichkeit › § 17 Offene Staatlichkeit: Großbritannien › II. Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft/Union