Buch lesen: «An Willem», Seite 2

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Boye brauchte hinter seinen großen Augen, die beim Nachdenken aussahen, als würden sie nach innen sehen, einige Zeit, um sich auszumalen, was Pedersen wohl alles gekauft haben könnte, da dessen Interessen ja weit gefächert waren.

Auch als Pedersen ihm noch eindeutiger erklärte, er habe das versunkene Schiff gekauft, konnte Boye dies nicht recht wahrhaben. Erst als Pedersen ihm sagte, er habe ihm - Boye - das Schiff offiziell überschrieben, damit ein kräftiger und tatenlustiger Mann es hebe, klärten sich die Gedanken des Schlossers. Als Pedersen ausführte, die Bark habe unbekannte Schätze an Bord, unter anderem die Schriftrollen von Carsten Niebuhr aus Persepolis sowie deren 1802 in Kopenhagen gelungene Entschlüsselung, trat Boye so hart auf den Boden einer Wirklichkeit zurück, dass er ab sofort die Taufe wie auch die erneute Schwangerschaft seiner Frau in eine der vielen Nebenkammern seines Kopfes sperrte.

Von diesem Tage an bereitete er seine Expedition zum Mahlsand an der südwestlichen Küste vor. Er beschäftigte sich mit dem grundsätzlichen Bau von Dreimastbarken, mit Gezeiten und dem sichtbaren Bild des Mondes, entwickelte den Plan einer Schienenkarre und las die Reiseerinnerungen Carsten Niebuhrs. In der verbliebenen Zeit erledigte er die Aufträge der Kleinschmiede und sammelte alles Geld, was ihm zur Verfügung stehen konnte.

Sieke, die nicht nur das Äußere ihres Vaters erhalten hatte, sondern auch dessen Ruhe und Gelassenheit, beobachtete die Rastlosigkeit ihres Mannes. Sie wunderte sich nicht, dass Boye nach der Geburt seines zweiten Sohnes Lorenz, auch ohne eine Eisentafel anzufertigen, nur kurz und viel zu spät in das Schlafzimmer gepoltert kam und „Alles gut?“ zu ihr sagte. Dem Neuen drückte er einen schwarzen Finger auf die Nase und rief viel zu laut „Mein Stummel!“. Daraufhin wurde er von Wieglinde wieder vor die Tür gesetzt.

Er hatte gerade feststellen können, dass der zweite Sohn aussah wie der erste. Und der wiederum sah aus wie die Mutter. Sie hatten nichts von ihm und alles von Sieke, und er liebte sie alle.

Ich muss mich wirklich in Acht nehmen. Wenn ich diese Zeit denke, dann denke ich das, was mir erzählt wurde. Vielleicht ist es nicht immer die Wahrheit. Doch es passt. Es passt in alles, was kommen sollte und geschehen würde. Einiges mag etwas anders gewesen sein. Auch die Erinnerungen der Erzähler sind verfälscht. Aber letztlich ist das nicht wichtig. Wichtig ist, dass alles passt.

Einige Monate nach der zweiten Geburt stand im Juni des Jahres 1822 zur Überraschung aller endlich Bendix Pedersen, der Zwillingsbruder Siekes, auf dem Hofplatz. Gemeinsam mit Bendix war Bootsmann eingetroffen. Er würde nie mehr so richtig fortgehen.

Die Ankunft des Schwagers hatte für Boye einige Verzögerungen in seiner Planung zur Folge, weil Bendix sich einquartierte und in den folgenden Tagen große Besuchergruppen hinter dem Haus standen, um sich immer wieder das Abenteuer und die Rettung des Grönlandfahrers anzuhören. Einige waren allerdings auch nur gekommen, um Bootsmann zu studieren, der deshalb großes Aufsehen erregte, weil er die Gewissheit einer Kleinstadt darüber, wie ein Hund eigentlich aussah, durch sein übertriebenes Da-Sein in Frage stellte.

Bendix war vor zweieinhalb Jahren wie immer beim Biikefeuer am Vorabend des Petritages mit einem kleinen Segler nach Glückstadt gefahren, um auf Walfang zu gehen. Er hatte auf der Brigg DOROTHEA unter dem Kommandeur Reimers aus Sylt angeheuert. Schon die Abreise der Brigg war vom Unglück verfolgt gewesen, weil sich das Schiff nur schwer aus dem Eis des Hafens und der Elbe hatte lösen können und Werbanker und Trossen verloren gegangen waren. Im Eismeer dann angekommen hatte die Brigg bereits etliche kleine Lecks. Auf 69° 18´ nördlicher Breite wurde das Schiff zunächst vorn und hinten von großen Eisschollen eingeschlossen, die immer mehr verfroren und weitere Lecks am Rumpf verursachten. Man versuchte zwar, mit Haken, Kabeltauen und Eisbäumen die DOROTHEA frei zu bekommen, doch als ein sehr großes Leck am Hintersteven entstanden war, schien auch unaufhörliches Schöpfen nicht mehr helfen. Als letzte Rettung begann man, Strümpfe und Beutel mit Grütze zu füllen und diese in die Lecks zu stopfen in der Hoffnung, die Grütze würde so weit aufgehen, dass das Wasser nicht mehr eindringen könnte.

Doch auch dies war vergeblich gewesen, sodass man einen Schiffsrat abhalten musste und sich entschloss, das Schiff seinem Schicksal zu überlassen und die Schaluppen auf die Eisschollen zu setzen. Die anschließende Nacht hatte die Mannschaft noch in der Nähe des Schiffes verbracht, indem sie unter Zelten aus Segeltuch geschlafen hatte.

Als die DOROTHEA jedoch am nächsten Morgen vor ihren Augen sank und alles noch schwimmende Gut vom Eis zermalmt worden war, entschloss man sich, den ungewissen Weg zur nächsten Küste zu nehmen. Zum Glück und dank der Navigationskenntnisse des Kommandeurs erreichte man nach ungezählten Tagen ausgehungert und verfroren die aufragende Felsenküste Islands, konnte aber wegen der starken Brandung nicht anlanden. Lange und vergeblich hatten die Seeleute eine flache Stelle gesucht, bis sie aufgeben mussten und sich in ihrer Verzweiflung mit den Booten an Land und in die Felsen werfen ließen. So erreichten sie durchnässt und ausgekühlt Island, und einige hatten erfrorene Füße und Knochenbrüchen.

Vor ihnen lag noch ein langer Weg durch die Schneemassen der Insel, wobei man vier der Seeleute tragen und etlichen die Zehen amputieren musste. Dennoch erreichte die gesamte Gruppe ausgemergelt eine kleines Fjorddorf mit dem Namen Akureiry, wo sich alle ausruhten und auskurierten und Bendix die Bekanntschaft mit Bootsmann machte. Daraus wuchs eine wirkliche Männerfreundschaft. Nach langem Warten auf ein Schiff, das im Sommer nach Süden fahren sollte, konnten sie mit der FAEDRELANDET aus Kopenhagen bis in den Heimathafen Bendix Pedersens gelangen.

Fast jeder außer Sieke glaubte Bendix, der allen versicherte, er würde nie mehr nach Grönland fahren, obwohl er ohne Verdienst zurückgekehrt war. Und es war Boye, der diesen Glauben für sich sofort in ein Wissen ummünzte.

Nachdem der Rummel hinter dem Haus abgeklungen war, man ein großes Fest auf dem Hof der Pedersens im südwestlichen Teil der Landschaft gefeiert und Bendix seinen ersten Sommer seit vielen Jahren genossen hatte, hielt Boye es endlich nicht mehr aus und weihte den Schwager in sein Geheimnis ein, auf das Bendix unerwartet reagierte.

Er hatte in seinem Leben schon sehr viele Geschichten aus der Seefahrt gehört und wies alle Erwartungen an die CAROLINE, die sein Vater dem gutgläubigen Boye in den Kopf gesetzt hatte, als Fantasien eines ehrbaren, aber schon sehr alten Mannes zurück.

„Ansonsten“, erklärte er Boye unangebracht leise, „weiß ich viel über Robben, Wale und das Eis. Über den Mahlsand weiß ich nichts.“

Er verweigerte jegliche Hilfe oder Unterstützung und flüsterte: „Aber mein Vater, Boye, weiß von all dem gar nichts.“

In den folgenden Wochen wurde zwischen den Männern nicht mehr über das Thema gesprochen. Boye ging stur seiner Arbeit nach, und das offene Feuer in der Werkstatt erlosch Tag und Nacht nicht. Er fertigte an Feilbank, Schraubstock und Amboss Schrauben, Schlüssel und Schlösser, Scharniere, Truhen und allerlei Eisenzeug für die Apotheke.

Am Abend jedoch widmete er sich einer selbst konstruierten, sehr großen Pumpe, die von sechs Männern zu bedienen wäre. In diesen Wochen lief er meist mürrisch und nicht ansprechbar herum, was Sieke immer wieder mit einem Spruch aus einem alten Handwerkslied kommentierte: „Schlosser, Schmied und Zimmerleut wissen nichts von Höflichkeit.“

Bendix beschäftigte sich in der Küche bei Sieke mit der Schnitzkunst an Walknochen, aus denen er Lineale, Knöpfe und wunderschön verzierte Dosen und Kästchen herstellte, von deren Verkauf er einigermaßen gut leben konnte, bis er eines Tages eine Nachricht seines Vaters erhielt, ihn doch bitte in den nächsten Tagen aufzusuchen.

Am folgenden Vormittag eines sehr stürmischen Herbsttages traten er und Bootsmann einen zweistündigen Fußmarsch zum Altenteil des Vaters an. Sie wählten nicht die vermatschte Landstraße, sondern trotz des böigen Westwindes den Außendeich Richtung Flussmündung. Über dem aufgerissenen Hochwasser schwebten Silbermöwen und Seeschwalben, und weit draußen in der Fahrrinne quälte sich kreuzend eine Galiote gegen den beginnenden Sturm.

Bendix fand seinen Vater in der Bibliothek vor, die ihm gleichzeitig als Amtsstube diente. In der Mitte des Raumes vor einem massigen Schreibtisch stand ein sehr großer Globus, um den man herumgehen konnte. Pedersen begrüßte den vom Wind zerzausten Sohn mit den Worten: „Du hast ja so`n Backbordkopp wie ich. Wirst mir immer ähnlicher.“

Er machte durchaus nicht den Eindruck, den Bendix Wochen zuvor Boye gegenüber geschildert hatte, drückte Bendix auf einen Stuhl vor eine Bücherwand und begann sofort, direkt und laut das Gespräch: „Wovon lebst Du jetzt? Willst du Knochenschnitzer werden? Das passt doch nicht.“

Bendix, der sein Leben immer gern ohne die Ratschläge seines Vaters geführt hatte, sich aber vielleicht deshalb nun plötzlich durch diese Ansprache in seine Kindheit zurückversetzt fühlte, trat dem nach kurzer Pause entgegen, indem er versuchte, die Unkenntnis des Vaters über den Walfang auszunutzen: „Ich bin ein guter Seemann, und seit Jahren flense ich nicht nur, sondern bin Harpunier und Partgänger. In Kürze könnte ich selbst ein Kommando übernehmen.“

Die Täuschung über den Zustand des Vaters war groß, denn Pedersen konnte diese Argumente fachkundig entkräften und wies darauf hin, dass der Walfang mit jedem Jahr nachlasse und die Erträge immer schlechter würden, denn das Gebiet um Spitzbergen sei endgültig abgefischt. Dies sei der Grund, warum immer weniger Schiffe ins Nordmeer fahren würden. Im Übrigen wisse auch er, dass man nicht einfach Kommandeur werden könne, wenn man nicht die Navigationsschule besucht habe.

Bendix blieb sehr ruhig, war jedoch innerlich aufgewühlt, da er für sich behaupten wollte, zumindest in seinem beruflichen Bereich dem Vater überlegen zu sein. Dies spürte Pedersen, der sich leicht auf die Debatte einließ, um sein eigentliches Ziel zu erreichen.

Bendix schilderte die tatsächlich schlechte Ertragslage, beschrieb dann aber die viel weiter entfernte Fahrroute bis in die Davidsstraße und die bis zu einhundert Tonnen schweren Wale in diesem Gebiet. Weiterhin räumte er ein, er würde sich gerade mit dem Gedanken anfreunden, die örtliche Navigationsschule zu besuchen, sehe im Übrigen kein Problem darin, das Examen zu bestehen, da er schon jetzt perfekt mit Chronometer und Oktanten umgehen könne. Sollte aber der Walfang tatsächlich ständig nachlassen, dann könne ja auch er mit der dann erworbenen Vorbildung ein weiteres Examen zum Flusslotsen ablegen und habe damit die Grundlage einer dauerhaften Existenz gelegt.

Pedersen zeigte sich erfreut über die Zukunftspläne des Sohnes und übergab ihm einige Lehrbücher aus der Bibliothek wie Das System der praktischen Seemannskunde und Das System der praktischen Schifferkunde , warnte Bendix aber davor, eine Entscheidung zu lange hinauszuschieben, denn er habe aus guten Quellen erfahren, dass bei einer stärkeren Erkrankung des örtlichen Navigationsexaminators oder gar mit seinem Tod der Plan bestehe, die Schule zu schließen und in der Folge die Ausbildung und Prüfung nur noch in Kopenhagen zu ermöglichen. Dies allerdings sei doch für Bendix eine noch größere finanzielle Belastung als schon jetzt, wenn er die örtliche Schule aufzusuchen gedenke. Pedersen schloss mit der Frage, wie Bendix sich denn überhaupt die Finanzierung seiner Unternehmungen vorstellen würde.

Der Sohn, der sich tatsächlich in diesem Gespräch zum ersten Mal mit den Gedanken einer Ausbildung konfrontiert sah und dies auch nur, um dem Vater auszuweichen, konnte ihm nur undeutliche Antworten geben. Dennoch gab er sich sicher, schilderte seine Pläne, in den kommenden zwei Jahren große Fahrten als Partgänger anzustreben, weil er große Erträge erwarte und somit eine gute finanzielle Grundlage haben könne, um in die Ausbildung zu gehen.

Hier fand Pedersen einen neuen Zugang, ging in die Offensive und wies dem Sohn nach, er würde seine gesamten Zukunftspläne nur auf Glück und Zufälle bauen, statt einmal eine sichere und erfolgversprechende Unternehmung zu beginnen, die ihn mit einem Schlag von Zukunftssorgen befreien würde. So würde er auch nicht verstehen, warum Bendix ganz entschieden das Angebot Boyes, die CAROLINE gemeinsam zu heben, abgelehnt habe und er gar nicht auf das Gespür und die sicheren Informationen des Vaters vertraue. Anschließend legte Pedersen seinem Sohn die Kaufurkunde der Kopenhagener Reederei vor sowie eine von der gleichen Reederei geschickte Aufstellung der Schiffsladung, die vor allem aus Produkten aus den dänischen Kolonien, jedoch auch aus einer im Auftrag des dänischen Staates in verbleiten Plomben mitgesendeten, geheimen Abschrift aus Persepolis und deren Entschlüsselung bestand.

Der weitere Brief eines befreundeten Mitarbeiters einer Kanzlei aus Kopenhagen an Pedersen beschrieb, dass diese Dokumente mit der CAROLINE hätten nach Altona geschickt werden sollen, weil dort eine neue Expedition vorbereitet werde. Man habe aller Wahrscheinlichkeit nach Hinweise auf ungeahnte, bisher unbekannte Erkenntnisse in Arabia felix erhalten.

Zusätzlich zeigte Pedersen den Brief eines anderen Freundes aus Altona, der bestätigte, dass dort eine Expedition nach Arabien vorbereitet werde, was nun allerdings wegen des Untergangs der CAROLINE ins Stocken geraten sei, insgesamt aber auch große Geldmengen verschlingen würde, sodass der Verlust der Dokumente eventuell zu einer Revidierung der Expeditionsentscheidung in der Hauptstadt führen könne.

Schließlich legte Pedersen die Urkunde vor, in der er das Schiff auf Boye Deletre überschrieben und in der er die weitere Vererbbarkeit des Eigentums sichergestellt hatte.

Bendix teilte dem Vater sein Erstaunen über dessen sorgfältige Recherche mit und erntete dafür den Rat: „Kauf niemals etwas, von dem Du nicht auch alles weißt.“

Er verließ das Haus mit dem Versprechen, alles nochmals gut zu durchdenken und mit Boye zu beraten, wobei er die angebotenen Lehrbücher in der Bibliothek vergaß.

Vor der Tür wurde er nochmals von seinem Vater zurückgerufen, der sehr, sehr leise zu ihm sprach: „Sag mal, Bendix, dieser Hund, was ist eigentlich mit dem? Ich meine, er sieht irgendwie aus wie ...“

„Wie ein Ferkel. Ich weiß“, antwortete Bendix. „Aber er ist ein guter Wachhund. Er ist sehr schlau und gut auf See.“

Bootsmann hob gerade das Bein und pinkelte gegen die Freitreppe.

„Na, wenn Du meinst!“, antwortete der alte Pedersen. „Er pisst ja immerhin wie ein Hund.“

Bootsmann bellte auch wie ein Hund. Das geschah allerdings nur in Situationen größter Aufregung und war ein unangenehm helles, fast quiekendes Gebell. Ansonsten hatte Pedersen natürlich recht. Unter vielen Ferkeln wäre Bootsmann sicher nicht einmal der Muttersau aufgefallen.

Den Sturm im Rücken wurden beide so sehr in Richtung der Stadt getrieben, dass sie ihre gesamte Kraft aufwenden mussten, um nicht ins Rennen zu geraten, was mit einem wahren Flug von der Deichkrone geendet hätte.

Pedersen sah dem Sohn über das flache Land lange nach und war nun sicher, seinem Ziel ein gutes Stück näher gekommen zu sein.

Bendix brauchte keine Zeit zur Überlegung, weil er seine Pläne immer dann umsetzte, wenn er gerade begonnen hatte, über sie nachzudenken. In den folgenden Wochen kam es abends zu immer neuen Gesprächen zwischen ihm und Boye. Sieke stand der Angelegenheit skeptisch gegenüber, ließ dies jedoch nicht durchblicken, holte sich aber von Boye das Versprechen ein, nicht die Arbeit und die Einkünfte aus der Schlosserei zu vernachlässigen.

Die beiden Männer planten, nach Beendigung der Frühjahrsstürme die Unglücksstelle des Schiffes aufzusuchen und den Winter zu nutzen, um gemeinsam die Arbeit an der großen Pumpe zu beenden.

Bendix unterstützte von dieser Zeit an Boye in der Schlosserei, war zunächst Handlanger, lernte sehr schnell mit Zirkel, Winkel, Schmiege, Reißnadel und Körner aber auch mit den verschiedenen Feilen und Hämmern, ja, sogar mit Biegehaken und Obergesenken umzugehen, sodass er bald viele Aufträge eigenständig erledigen konnte.

So verblieb genug Zeit, die Arbeit an der Pumpe voranzutreiben, die im März des folgenden Jahres auf dem Hofplatz montiert wurde und so viel Platz einnahm, dass Sieke am Waschtag die Wäsche nicht mehr aufhängen konnte und der Weg zwischen Schlosserei und dem Wohnhaus nur noch unter großen Mühen zu begehen war. Das stellte sich als sehr unangenehm heraus, war das Wohnhaus seit einiger Zeit ja nur noch auf diese Weise zu erreichen. Der große Schwingarm der Pumpe, der zwanzig Fuß lang war, reichte von Hauswand zu Hauswand und die beidseitig an der Pumpe angesetzten Lederschläuche, die ein Vermögen gekostet hatten, mussten sogar über das Hausdach gelegt werden, weil für sie kein Platz mehr vorhanden war. Auch dies ertrug Sieke mit Gelassenheit.

Als die beiden Männer aber eines Spätnachmittags im April die Pumpe ausprobieren wollten und dafür sechs kräftige, junge Leute in den Hof bestellten, die den Pumparm bedienen mussten, war Sieke zum ersten Mal sehr ungehalten geworden. Boye hatte für dieses Experiment den Ansaugschlauch in den Hofbrunnen und den Schlauch zum Abführen des Wassers zur Straße hin verlegt. Nachdem er einige Eimer Ansaugwasser in das Gerät gegossen hatte, gab er Bendix den Befehl zum Pumpen. In weniger als einer Minute war der Hofbrunnen bis auf den tiefen Grund entleert. Das Wasser aber lief die Straße hinunter, als wenn eine Sturmflut das Innere der Stadt erreicht hätte, und es förderte am Schluss so viel Schlamm aus dem Brunnen mit, dass die Straße in den folgenden Tagen nicht mehr zu begehen war, bis mehrere Regenschauer langsam die Spuren verwischt und weiter fort getragen hatten.

Trotz des Ärgers, den Boye und Bendix mit Sieke bekamen, die sich in den folgenden Tagen das Frischwasser von Bekannten zu besorgen hatte, und trotz der Anfeindungen der Nachbarn, deren Wasserspiegel in den Brunnen ebenfalls gesunken war, die aber auch wie Sieke den Schlamm auf ihre Höfe und in ihre Häuser trugen, waren die beiden Männer überglücklich und begegneten allen bösen Worten mit Humor. Allerdings erhielten sie von Sieke die Auflage, sofort die Unglückspumpe abzubauen und vom Grundstück zu schaffen.

Dem beugten sie sich ohne Mühe, montierten das Gerät wieder auf der Straße, versahen es mit vier großen, eisernen Rädern und transportierten es erst mit einem, später mit drei Pferden bei ohrenbetäubendem Lärm über das Kopfsteinpflaster zum Hafen, wo unter Anwesenheit des alten Pedersen ein weiterer Beweis für die Funktionstüchtigkeit der Pumpe abgelegt und dem Hafen Wasser entnommen und wieder zugeführt wurde.

Der örtliche Rat der Stadt überlegte in der Folge, Boye die Pumpe abzukaufen, um sie dem Brandaufseher zur Verfügung zu stellen. Man löste sich aber nach langem Abwägen von diesem verlockenden Gedanken, weil man rechtzeitig erkannte, dass die schwere Pumpe ein Feuer erst dann erreicht haben würde, wenn es seine Aufgabe erledigt hätte. Dennoch gab man eine Offerte ab, um die Pumpe bei größeren Sturmfluten einsetzen zu können. Boye aber schüttelte wortlos den Kopf.

Er hätte das Gerät niemals verkauft, denn nur er, Bendix und Pedersen hatten nicht nur gesehen, was die Zuschauer am Hafen bemerkten, dass die Pumpe ein großes Wasservolumen transportieren konnte. Ihnen war vor allem aufgefallen, dass sich an der Stelle, wo das Wasser angesaugt worden war, eine tiefe Kuhle im Hafenschlick gebildet hatte. Die Pumpe konnte somit ein großer Erfolg im Mahlsand werden.

Als Boye und Bendix mit Bootsmann in den folgenden Monaten mehrfach bei Hohlebbe den Unglücksplatz im Mahlsand aufsuchten, waren sie erstaunt, dass die Masten manche Male fast zehn Fuß aus dem Sand hervorstachen, andere Male aber nichts von der Bark zu sehen war. Ihre Ausflüge sprachen sich schnell herum, und dies wurde dann auch mit dem merkwürdigen Verhalten der Männer in Verbindung gebracht, die sich geweigert hatten, eine so umwerfende Erfindung wie die Pumpe zu verkaufen.

Langsam wurde immer klarer, dass sie vorhatten, die Bark CAROLINE zu heben.

Einige würdigten dieses Vorhaben mit allergrößter Bewunderung und boten sogar ihre Partnerschaft, zumindest aber ihre Hilfe an. Andere verwiesen schon einmal rechtzeitig auf den ja allen bekannten Geisteszustand des Schlossers, über den man sich schon immer einig gewesen war, auch wenn dieser Zustand zu einer so erstaunlichen Erfindung wie die der Pumpe geführt habe. Nur zwei, vielleicht aber auch nur einer in der Stadt, machten sich ganz andere Gedanken über das Vorhaben.

In der Hölle der Apotheke, die nun auch das Wohnzimmer Jaspersens eingenommen hatte, äußerte dieser allergrößte Bedenken über das Vorhaben Deletres gegenüber Klaasen, denn er hatte durch angeblich verlässliche Quellen Auskunft über die Schiffsladung erhalten. Quellen dieser Art waren in der Stadt keine Seltenheit. Manche wussten mit Sicherheit von der Zollinspektion, dass die Bark Goldbarren transportiert hatte. Andere hatten über den Postmeister erfahren, dass sich Waffen und hochexplosive Stoffe an Bord befanden, die beim Heben des Schiffes eine weit hörbare Explosion herbeiführen und jeden zerreißen würden, der sich in der Nähe aufhalten würde.

Jaspersen allerdings war berichtet worden, dass archäologische Funde aus Kopenhagen transportiert worden waren, um sie andernorts Interessierten vorzuführen. Dabei konnte es sich nur um Funde aus dem nordischen Altertum handeln, folgerte Jaspersen, weil er an gar keine anderen nennenswerten Funde als die aus der nordischen Heroenzeit denken konnte. Er hatte als Student immer wieder das neu entstandene Museum für das nordische Altertum in Kopenhagen besucht und einen unverschüttbaren Zugang zur Geschichte seines Volkes und zu dessen Ursprünglichkeit gefunden.

An langen Abenden in der Hölle hatte er Klaasen, der allerdings das Museum kannte, die einzigartigen Entdeckungen und gut erhaltenen Fundstücke im Detail geschildert. In seiner Bibliothek befanden sich sowohl Johann Friedrich Camerers Bände Briefe von einigen merkwürdigen Gegenden der Herzogthümer Schleswig und Hollstein und auch Den Danske Atlas des Bischofs Erik Pontoppian. Bei den langen Referaten über die Zeiten der Vorväter nahm Jaspersen gern die Sammlung alter dänischer Volkslieder, Balladen und Märchen von Wilhelm Grimm, den er zu dieser Zeit noch verehrte, sowie eine neu erworbene Ausgabe der Danske Folkesagn hervor, um lang und umständlich zu rezitieren.

So war es für Klaasen zwar nicht besonders verwunderlich, dass Jaspersen sich nach dem ihm zugeführten Bericht ebenfalls Gedanken über die CAROLINE MATHILDE und die Mahlsand-Expedition machte. Nachdem aber der Apotheker, der jetzt fast immer eine viel zu große, verschmutzte und verätzte Schürze trug, dem Pastor eine Ballade vorgetragen hatte, die sich nach vielen dramatischen Wendungen schließlich doch dem Ende genähert hatte, weckte er Klaasen plötzlich mit der Behauptung, die Hebung des Schiffes durch die ganze Bagage um Boye Deletre sei ein staatsfeindlicher Akt.

Klaasen, der diese Äußerung zunächst noch im direkten, thematischen Zusammenhang mit den gerade gehörten Titanengeschichten wähnte, wurde der krasse Themenwechsel erst langsam bewusst, als Jaspersen erörterte, die Zeugnisse der Urkräfte eines Volkes wie der Dänen dürften unmöglich von einem Schlosser und einem Walfänger geborgen werden. Noch weniger wäre daran zu denken, dass diese Schatzheber auch noch den Anspruch erheben dürften, dieses Volksgut in ihr privates Eigentum eingehen zu lassen. Klaasens zaghafter Einwurf, man könne diese Männer doch den Schatz heben lassen, um ihn dann von dänischer Staatsseite aus wieder käuflich zu erwerben, quittierte Jaspersen mit einer abfälligen Handbewegung, bei der er wegen der Enge des Raumes eine Flasche übel riechender Flüssigkeit von einem Regal fegte. Damit war dieser Abend beendet.

In der folgenden Zeit ließ sich Jaspersen alles zutragen, was mit den Vorbereitungsarbeiten zur Schatzhebung im Zusammenhang stand. Die meisten dieser Informationen erhielt er vom Postmeister, der schon seines Amtes wegen über alles in der Stadt Bescheid wusste. So erfuhr Jaspersen auch von dem Kaufvertrag zwischen Pedersen und der Reederei und von der eigentlichen Funktion, die Pedersen bei dieser Sache zu haben schien. Aus diesem Grunde begann er, ein scheinbar zufälliges Treffen zwischen sich und Pedersen vorzubereiten, wobei er auf die Unterstützung des Postmeisters zurückgriff.

Jedem war bekannt, dass die Lehnsleute der Halbinsel monatlich zu einer Landesversammlung in der Stadt zusammentrafen. Vom Postmeister aber erfuhr Jaspersen nicht nur die Zeit des Sitzungsbeginns und den zeitlichen Verlauf der Sitzungen, sondern auch die Gewohnheiten des Lehnsmanns, die darin bestanden, am Morgen des Tages zunächst die Familie seiner Tochter zu besuchen und nach der Versammlung noch bis in die Nacht mit den Lehnsleuten im gleichen Lokal weiterzutrinken, bis er dann sehr spät die Heimreise antreten würde. Und diesen letzten Zeitpunkt wollte Jaspersen eines Tages ausnutzen, weil er sich versprach, einen von dem Tag ermüdeten Mann anzutreffen.

Die Arbeit im Mahlsand aber verzögerte sich und wurde in den folgenden Monaten allgemein fast vergessen, weil Boye und Bendix mit den Vorbereitungsarbeiten nur langsam vorankamen. Zum Teil fehlte Geld, doch auch die Schlosserei forderte viel Zeit. Die Arbeit an dem gesamten Unternehmen lief allerdings weiter. Während Boye eine Schüttkippe baute, die auf Spuren laufen sollte, vertiefte sich Bendix in zwei technische Errungenschaften, über die in dieser Gegend noch nicht viele Erfahrungen vorlagen, das Eisengießen und der Dampfantrieb.

Für diese Arbeiten war die Schlosserwerkstatt schon viel zu klein geworden.

Als Boye seine Eisenspuren auf Holzbalken genagelt, aus dem Garten und um die Nebengebäude herum bis zur Straße verlegt und die Schüttkarre abendelang mit grollenden Geräuschen hin und her geschoben hatte, war er schon auf den Protest seiner Frau gestoßen. Es gelang ihm jedoch, diesen abzuwenden, indem er Sieke zeigte, mit welcher Leichtigkeit nun Brennholz, Torf, Kartoffeln, Schweinefutter und Schlossermaterial transportiert werden konnten. Auch als sich Bendix immer weiter ausbreitete, große Sandhaufen im Gemüsegarten aufschüttete, den Schweinestall mit Holzformen zustellte und einen großen Brennofen auf dem Hofplatz baute, blieb Sieke, die mehr Toleranz dem Bruder als dem Ehemann entgegenbrachte, noch relativ ruhig. Als aber schließlich ein zweiter Ofen mit einem großen Wasserkessel darüber auf dem Grundstück entstand, dieses Wasser erhitzt wurde und der Dampf zischend aus wild über den Hof verlegten Rohren entwich, sodass nicht nur das Grundstück, sondern das gesamte Viertel bis zur Kirche außer in Rauch auch in dichten Nebel gehüllt war, forderte Sieke ein grundsätzliches Gespräch.

Es war ein warmer Sommerabend, an dem sie Stühle und einen Gartentisch auf den verbliebenen Platz des Hofes gestellt und zwischen Schienen, Rohren, Sand und Holz eine Bowle bereitet hatte. Nachdem beide Männer verschwitzt und verschmutzt am Tisch saßen, stand Sieke vor ihnen wie vor kurzer Zeit Pedersen, als er anlässlich der Taufe eine Ansprache gehalten hatte. Sieke hatte große Ähnlichkeit mit ihrem Vater. Pedersen war zwar massiger und hatte kaum noch Haare. Doch auch Sieke strotzte wie ihr Vater vor Kraft und Gesundheit, hatte seinen breiten Körper und seinen großen Kopf mit den kleinen, blitzenden, blauen Augen. Ihre vollen Haare waren rotblond, glatt und sehr dick. Der Zopf, den sie sich daraus um den Kopf band, schien endlos lang zu sein.

So stand sie dicht vor den beiden schmutzigen Männern und wies darauf hin, dass sie die Hebung des Schiffes immer unterstützt habe und auch anerkennen müsse, dass die Schlosserei trotz aller übrigen Interessen der Männer weiterhin floriere. Sie erwähnte auch ihre Freude darüber, dass es so ein enges Vertrauensverhältnis zwischen den beiden und zu dem alten Vater gäbe. Noch größer aber sei ihre Freude darüber, dass Bendix durch die gemeinsamen Pläne nun keine der gefährlichen Grönlandfahrten mehr plane. Andererseits aber sei sie durch die Ausweitung der Arbeit in ihrer häuslichen Tätigkeit stark eingeschränkt, würde keinen Platz mehr für das Trocknen der Wäsche finden, hätte kaum noch Zugang zum Schweinestall, zum Brunnen und der Latrine und müsse nun auch noch auf den Gemüseanbau im Garten verzichten. Sie teilte dann mit, sie würde ihre Hausarbeit demnächst einstellen, da sie zwar noch in der Lage sei, diese durchzuführen, aber durch die geschilderten Umstände weitaus mehr Zeit benötige, als der gesamte Tag ihr gäbe. Im Übrigen könne sie sich nicht genügend um die Kinder kümmern, die auf dem Grundstück ohnehin keinen Platz mehr zum Spielen finden würden.

Obwohl Boye und Bendix sofort eine große Einschränkung ihrer Tätigkeit darin erkannten, wenn sie von nun an eventuell selbst einkaufen, kochen, waschen und reinigen müssten, begannen sie zunächst damit, die herausragende Bedeutung ihrer Arbeit zu erklären.

Boye betonte nochmals die allgemeine Nützlichkeit seiner Schüttkarre für den Haushalt, hatte dieses Argument aber schon zu häufig benutzt, als dass es ihm in diesem Gespräch noch Vorteil verschaffen konnte und verstummte zunehmend.

Dagegen gelang es Bendix, ein Bild des zukünftigen Wohlstands durch seine neuen Erkenntnisse zu malen. Von englischen Seeleuten hätte er von der unglaublichen Wirkung der Feuermaschinen gehört, die in Werkstätten andere Maschinen antrieben, Schiffe und Schienenwagen bewegten und den Bauern das mühselige Dreschen abnehmen würden. Diese Entwicklung werde unterstützt durch die Eisengießerei, bei der man Formen herstellen könne, die ein Schmied, Schlosser oder Wagenbauer nur nach sehr langer Arbeit oder auch niemals erschaffen könne. Der Bruder verstieg sich sogar in den Gedanken an fliegende, vom Dampf angetriebene Apparate, mit denen man aus der Luft heraus auf Walfang gehen könne, indem man über dem Wal schwebe wie eine Möwe.

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