Umgelegt vom Killer: Krimi Koffer 9 Romane

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9


Das Schloss hielt Roberto Tardellis erstem vehementen Ansturm nicht stand. Die Tür flog zur Seite und knallte gegen die Wand. Mit einem weiten Satz war der Mafiajäger in der Wohnung. Ein Blick genügte, um die Szene zu überschauen. Claudia Bregg lag mit schreckgeweiteten Augen auf einer breiten französischen Liege.

Ihre Bluse – ein hauchdünnes Ding, durch das die rosige Haut schimmerte – war bis zum Nabel offen. Der Rock war so weit hochgerutscht, dass man den schneeweißen Slip und sehr, sehr viel von den endlos langen Beinen sehen konnte. An ihren kleinen Ohrläppchen baumelten jene großen Ohrringe, von denen Bathseba Lane gesprochen hatte.

Ihre rechte Wange glühte rot. Die fünf Finger einer großen Männerhand zeichneten sich deutlich darauf ab.

Der Bursche, der sie geschlagen hatte, war ein Schwergewicht, das man ernst nehmen musste. Ein Kerl mit Fäusten, die Betonsäulen knicken konnten, und überbreiten Schultern. Sein Gesicht war grau vor Wut.

In dem Augenblick, wo Roberto Tardelli zur Tür hereingeflogen kam, war der Vierschrötige gerade im Begriff, seinen schwarzen Ledergürtel aus den Schlaufen zu reißen, um das Mädchen damit zu züchtigen.

„Lass den Gürtel lieber, wo er ist, Junge“, sagte Roberto Tardelli eisig, „sonst marschierst du hier ohne Hosen raus!“

Der Große starrte Roberto verwirrt an und fragte Claudia: „Verdammt, wer ist das? Was hat der hier zu suchen?“

„Ich bin ein Freund von Claudia“, behauptete Roberto. „Und ich bin hier, um zu verhindern, dass du der Kleinen eine Verzierung abbrichst!“

„Zum Teufel, sie verdient die Prügel!“, schrie der Vierschrötige zornig.

„Wieso?“

„Sie hat mich bestohlen!“

„Das ist nicht wahr!“, verteidigte sich Claudia. „Ich habe ihm den Hunderter, den er vermisst, nicht aus der Brieftasche geklaut. Er muss ihn irgendwo verloren haben.“

„Du hörst, was die Lady sagt!“, knurrte Roberto.

„Diese Biester lügen doch alle wie gedruckt!“

„Ich sage die Wahrheit!“, schrie Claudia mit wild funkelnden Augen. Jetzt, wo Roberto da war, hatte sie keine Angst mehr vor dem Mann.

Dieser stemmte die klobigen Fäuste in die Seiten. „Zum Henker, ich will meinen Hunderter wiederhaben!“

„Dann such ihn da, wo du ihn ausgestreut hast!“, empfahl ihm Roberto Tardelli.

„Du hältst dich da besser raus, Junge!“, blaffte der Vierschrötige. „Das ist eine Angelegenheit, die nur mich und Claudia betrifft. Besser, du machst ‘ne Fliege, bevor ich unangenehm werde.“

„Wenn hier einer das Feld räumt, dann bist du das, Freund!“, gab Roberto Tardelli scharf zurück.

Der andere spannte seine Muskeln. „He, nimmst du dein loses Maul immer so voll?“

Roberto grinste den Großen schief an. „Möchtest du Claudia entscheiden lassen, wer von uns beiden bleiben darf?“

„Verdammt, es ist ganz klar, dass du gehst, und zwar auf der Stelle, weil ich dich nämlich höchstpersönlich an die Luft setzen werde!“

Das Schwergewicht walzte mit blutunterlaufenen Augen heran. Der Bursche verließ sich auf seine Kraft, mit der er Roberto Tardelli ungespitzt in den Boden hätte rammen können, wenn dieser den Fehler gemacht hätte, sich dem Gegner frontal entgegenzuwerfen.

Es wurde ein Kampf Hirn gegen Faust.

Der Vierschrötige schoss einen Hammer ab, der Roberto in der Mitte entzwei geschlagen hätte – wenn er getroffen hätte. Doch der wendige Mafiajäger wich diesem und den nachfolgenden Schlägen geschickt aus. Er konterte mit sicherem Auge und nutzte die Fehler des andern hart und blitzschnell zu seinem Vorteil aus.

Er geriet keine Sekunde in ernsthafte Gefahr.

Hingegen machten dem Großen Robertos brettharte Handkanten schwer zu schaffen. Binnen Kurzem kassierte der Vierschrötige drei Treffer, die ihn hart an den Rand einer schmählichen Niederlage bugsierten. Er versuchte, als Roberto auf dem Vormarsch war, einen Entlastungsangriff, der jedoch ziemlich schiefging. Als Roberto Tardelli die ungedeckte Kinnspitze des Gegners bemerkte, machte er das Maß mit einem kraftvoll hochgezogenen Uppercut voll.

Der streitsüchtige Kerl torkelte rückwärts aus der Wohnung.

Roberto folgte ihm bis auf den Gang, und als er zu einem neuerlichen Schlag ansetzte, riss der Schwere die Hände beschwörend hoch und gurgelte mit dick angeschwollenen Lippen: „Es reicht! Ich habe genug, verdammt!“

„Okay“, nickte daraufhin Roberto. Er blieb noch in Kampfstellung. „Dann darfst du dich jetzt empfehlen. Und ich würde an deiner Stelle nicht noch mal hierher kommen. Es könnte sein, dass wir uns wieder begegnen.“

„Gott behüte!“, ächzte der Große, machte auf den Hacken kehrt und trottete mit hängenden Schultern davon. An dieser Niederlage würde er noch lange knabbern. Er war doppelt so breit und etwas größer als Roberto – und hatte dennoch seine Dresche bekommen. Das muss einen ja ins Grübeln bringen.

Roberto Tardelli hörte die schweren Schritte des Burschen. Er vernahm das Ächzen der Stufen, die vom ersten Stock zum Erdgeschoss hinunterführten, und dann klappte die Haustür.

Das Feld war geräumt.

Als Roberto in Claudia Breggs Wohnung zurückkehrte, lag das Mädchen immer noch auf dem breiten Bett.

Jetzt erst brachte das Mädchen seine Kleidung in Ordnung. Sie warf Roberto einen erstaunten, dankbaren Blick zu. Dann stand sie auf, ging zu einer in die Wand eingebauten Bar, füllte zwei Gläser mit mildem Bourbon und reichte eines davon ihrem Schutzengel, der bei ihr im genau richtigen Moment aufgetaucht war.

„Danke“, sagte sie sanft. „Sie haben sehr viel für mich getan.“

Die fünf Finger an ihrer Wange verblassten langsam. Roberto erwiderte schmunzelnd: „Ich hab‘s gern getan. Ich kann Kerle, die Mädchen schlagen, nicht ausstehen.“

„Jetzt schulde ich Ihnen etwas“, sagte Claudia.

„Unsinn ...“

„Doch, doch.“ Sie wies auf das Bett. „Wollen Sie mit mir schlafen?“

Roberto blickte das Mädchen verwundert an. „Ich bin nicht deswegen hier, Claudia.“

„Das macht nichts. Ich wüsste nicht, wie ich mich anders dankbar erweisen könnte.“

„Ich schon“, sagte Roberto lächelnd. Er beschrieb den Mann, hinter dem er her war, und mit dem Claudia vor dem „Little Tattoo“ gesehen worden war. Es fiel ihm nicht schwer, Mel Kowalski zu beschreiben. Das Dossier, das COUNTER CRIME von diesem gefährlichen Killer angelegt hatte, war nicht nur viele Seiten stark, sondern ihm lagen auch eine Menge Aufnahmen bei, die diesen Berufsmörder in Badehose, Trainingsanzug, Smoking, Parka und so weiter zeigten.

Claudia wusste sofort, von wem Roberto sprach.

Sie hätte wohl kein Wort über Kowalski gesagt, wenn sie nicht in Robertos Schuld gestanden hätte. Schweigen gehörte zu ihren grundlegendsten Geschäftsprinzipien. Doch dieses eine Mal machte sie eine Ausnahme. Und so erfuhr der Mafiajäger, dass Mel Kowalski dem Mädchen erzählt hatte, er wolle heute nach Chicago fliegen.

Für Roberto stand fest: Wenn der Profikiller das gewollt hatte, dann hatte er es inzwischen auch bestimmt getan. Anders formuliert hieß das: Mel Kowalski noch länger hier in Miami Beach zu suchen, war vollkommen sinnlos. Seine Fährte würde erst wieder in Chicago aufzunehmen sein.




10


Obwohl die Hitze in Miami Beach beinahe unerträglich gewesen war, hatte sie ihm besser gefallen als dieser verdammte Regen, der Chicago in eine einzige riesige Pfütze verwandelte. Wie an grauen Schnüren rann das Wasser ununterbrochen vom Himmel. Seit acht Stunden. Und es war noch immer kein Ende abzusehen. Vom Michigansee pfiff ein kühler Wind durch die Straßenschluchten der Metropole und peitschte den wenigen Menschen, die bei diesem Sauwetter unterwegs waren, den Regen erbarmungslos ins Gesicht.

Roberto kroch die Feuchtigkeit in alle Glieder.

Er ging mit verdrossener Miene seines Weges.

Irgendwie kam ihm die Millionen-Einwohner-Stadt, in der er sich nicht zum ersten Mal aufhielt, feindselig vor. So als wollte sie ihn hier nicht haben, weil sie sich noch sehr gut an die vielen Unruhen erinnerte, die er in der jüngsten Vergangenheit hier gestiftet hatte.

COUNTER CRIME bestand nicht nur aus Agenten. Diese große Organisation, die sich so hervorragend zu tarnen wusste, verfügte über ein Netz von Kontaktleuten, Zuträgern, Sympathisanten und Spitzeln, das sich über die gesamten Vereinigten Staaten ausbreitete. Selbstverständlich gab es auch äußerst wichtige Stützpunkte in Übersee. Da waren sie allerdings nicht so dicht gesät wie in den USA.

Alle Leute, die mit COUNTER CRIME irgendwie in Verbindung standen, und in dieser Stadt lebten, waren von Roberto Tardelli bereits kontaktiert worden, doch ohne Erfolg. Keiner hatte Mel Kowalski gesehen.

 

Dennoch war Roberto felsenfest davon überzeugt, dass sich der Killer in Chicago aufhielt.

Roberto hatte sich auch da blicken lassen, wo man aus den verschiedensten Gründen etwas gegen die Mafia hatte, und er hatte mit Männern gesprochen, die im Allgemeinen sehr gut über die Ehrenwerte Gesellschaft Bescheid wussten. Ihnen allen hatte der COUNTER CRIME-Agent klargemacht, dass er scharf wie eine schwedische Rasierklinge auf einen Tipp war, der ihn auf Mel Kowalskis Spur brachte.

Mit einem vorwurfsvollen Blick zum Himmel stieg Roberto Tardelli aus seinem fuchsiaroten Plymouth Fury.

Er lief auf das Hotel zu, in dem er für die Dauer seines Chicagoer Aufenthalts abgestiegen war.

Er schüttelte sich im Foyer wie ein begossener Pudel.

Der Mann an der Rezeption nickte und lächelte. „Bei einem solchen Wetter ist es in unserer Bar am schönsten, Sir.“

„Eine ausgezeichnete Idee“, erwiderte Roberto. Er fuhr mit dem Lift zur sechsten Etage hoch, zog sich trockene Sachen an und bestellte wenig später in der Hotelbar eine Flasche kalifornischen Rotwein. Er trank, und dachte dabei an die herrliche Sonne, in der dieser köstliche Tropfen, der seine Kehle wie Öl hinunterrann, gereift war.

Das lange Warten begann.

Jedes Mal, wenn das Telefon anschlug, zuckte Roberto zusammen. Immer hoffte er, dass der Anruf für ihn sein würde.

Nach einer halben Stunde begann er sich zu fragen, ob er auch tatsächlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, um des Killers habhaft zu werden. Mitten in diese Überlegungen hinein schrillte abermals das Telefon.

Bestimmt wieder nicht für mich, dachte Roberto bitter.

Der Keeper nahm das Gespräch entgegen, drückte den Hörer sodann an seine Brust, wandte sich zu Roberto um, der auf einem Hocker jenseits des Tresens saß, und fragte: „Sind Sie Mr. Tardelli?“

„Seit meiner Geburt“, sagte Roberto aufgekratzt. Die Zeitbombe, die er gelegt hatte, schien jetzt hochzugehen.

„Ein Anruf für Sie.“

„Geben Sie her“, verlangte Roberto tatendurstig. Der Keeper brachte den Apparat und stellte ihn vor Roberto hin.

„Hallo, Mr. Tardelli ...“ Eine aufgeregte Stimme. Zitternd. Die Stimme eines Mannes, aber ziemlich schrill.

„Mit wem spreche ich?“, wollte Roberto wissen.

„Harry Mark.“ Ein Spitzel, der seine Informationen an jeden verkaufte, der sie haben wollte. Er machte seine Geschäfte mit der Polizei genauso wie mit den Gangstern, mit Privatdetektiven ebenso wie mit Mafiosi. Und manchmal verkaufte eiserne Informationen auch zweimal. Dass er an dieser Geschäftspraktik noch nicht zugrunde gegangen war, war vermutlich seiner großen Cleverness zuzuschreiben, und auch seiner langen Nase, mit der er rechtzeitig riechen konnte, wenn es für ihn brenzlig wurde.

„Was gibt‘s, Harry?“, fragte Roberto.

„Ich glaube, ich habe was für Sie, Mr. Tardelli.“

„Spuck‘s aus.“

„Nicht am Telefon und nicht umsonst.“

„Du würdest sogar dem Teufel deine Seele verkaufen, was?“

„Warum nicht?“ Harry Mark lachte nervös. „Ist nur schade, dass er sie nicht haben will.“

„Vielleicht bist du ihm noch nicht schlecht genug“, sagte Roberto. „Wie komme ich an die Information?“

„Kennen Sie den aufgelassenen Bootshafen in Evanston?“

„Ja“, antwortete Roberto.

„Da erwarte ich Sie. In einer halben Stunde.“

„Kannst du mir bei diesem Hundewetter keinen attraktiveren Treffpunkt anbieten?“, meckerte Roberto.

Harry Mark überhörte den Einwand. „Vergessen Sie nicht, einen Hunderter mitzubringen, Mr. Tardelli, denn so viel ist die Information, die ich für Sie habe, nämlich wert.“

Roberto wollte einen anderen Treffpunkt vorschlagen, doch Harry Mark ließ ihm dazu nicht die Gelegenheit, sondern hängte sofort auf. Der Mafiajäger blickte den Telefonhörer missmutig an und schimpfte: „Verflixt, jetzt muss ich noch mal ohne Schwimmweste in diese Sintflut hinaus.“

Der Regen hatte kein bisschen nachgelassen. Hinzu kam, dass der düstere Tag allmählich zum dämmerigen Abend wurde, und somit waren die Sichtverhältnisse hier draußen denkbar schlecht.

Der aufgelassene Bootshafen war so ziemlich das hässlichste Stück Chicago, das Roberto Tardelli kannte.

Die Mole war gebrochen, und hohe Wellen krachten immer wieder dumpf dagegen, als wollte der See dieses Gebilde von Menschenhand völlig zerstören. Die Gischt schoss steil zum Himmel empor, tat sich mit dem Regen zusammen und wurde vom Wind weit über das Gelände getragen.

Roberto hatte eine wasserundurchlässige Nylonjacke übergezogen. Er sprang über tiefe Pfützen, in denen man ertrinken konnte, stolperte über Unrat und Müll, dessen Lagerung hier eigentlich verboten war, wie mehrere unübersehbare Tafeln verkündeten, um die sich jedoch kein Mensch scherte.

Halb verfallene Baracken tauchten aus dem grauen Schleier der Wassermassen auf. Sie schienen geduldig darauf zu warten, bis sich eine Planierraupe ihrer erbarmte.

Roberto versuchte mit seinen Augen die Regenwand zu durchdringen. Das Wasser prasselte ihm unaufhörlich auf den Kopf, rann in breiten Bächen aus seinem Haar, über sein Gesicht, in seinen Nacken. Er fröstelte.

Harry Mark war nirgendwo zu entdecken.

Roberto vermutete den Spitzel in einer der beiden Baracken, die halbwegs Schutz vor dem ekelhaften Wetter boten. Er eilte darauf zu, blickte durch eines der eingeschlagenen Fenster.

„Harry?“

Nichts. Nur das Rauschen des Regens und das dumpfe Klatschen der Wellen im Hintergrund war zu hören.

Es gab mehrere Erklärungen dafür, dass Harry Mark nicht antwortete. Der Bursche konnte zum Beispiel im letzten Moment die Courage verloren haben, hatte auf den Hunderter gepfiffen und war zu Hause geblieben. Es konnte natürlich auch jemand anders dafür gesorgt haben, dass es Harry nicht möglich war, die Verabredung einzuhalten ...

Eine Vielzahl von Gedanken jagten durch Roberto Tardellis Kopf, während er zur zweiten Baracke hinüberwechselte.

Harry Mark war auch dafür bekannt, dass seine Gangart nicht immer ganz sauber war. Und die Mafia ließ es sich gewiss einiges kosten, wenn man ihr den meistgehassten Mann ans Messer lieferte.

Eine Falle?

Die Einsamkeit dieser Gegend war dafür geradezu prädestiniert.

Hatte Harry Mark sein Spiel mit gezinkten Karten gespielt?

Roberto angelte unverzüglich seine Luger aus der Schulterhalfter. Er wollte nicht unvorbereitet sein, falls die eben angestellte Überlegung sich als zutreffend erweisen sollte.

Der Mafiajäger erreichte die zweite Baracke.

„Harry?“, rief er auch hier zum Fenster hinein in die undurchdringliche Schwärze.

Abermals keine Antwort. Dafür aber ein Geräusch, das Roberto Tardelli aufhorchen ließ und warnte. Ein Geräusch, das hier nichts zu suchen hatte: das metallische Klacken eines Pistolenschlittens.

Es war eine Falle!

Roberto schnellte herum. Er suchte nach einer Deckung. Da rief ihn plötzlich jemand scharf an: „Tardelli!“

Und der COUNTER CRIME-Agent erstarrte.




11


Sie standen mitten in der dunkelgrauen Regenwand. Wie Gespenster. Unheimliche Erscheinungen, mit langen, bis fast auf den Boden reichenden glänzenden Regenmänteln. Zwei Hitmen der Cosa Nostra, die alles daransetzen würden, um zu erreichen, dass diese Begegnung für Roberto Tardelli einen tödlichen Ausgang nahm.

Robertos Erstarrung währte nur einen Sekundenbruchteil lang.

Nach dieser winzigen Zeitspanne, handelte der CC-Agent.

Er federte in die Combat-Stellung und schaffte es, ebenso schnell abzudrücken wie seine Gegner.

Donnernd entlud sich seine Luger. Drüben wetterleuchteten die Mündungsfeuer. Die Kugeln der Mafiosi verfehlten Roberto nur um Haaresbreite. Sein Projektil stanzte ein Loch in einen der beiden Regenmäntel, richtete aber außerdem keinen weiteren Schaden an.

Der Hitman, der nur knapp an einer Verletzung vorbeigekommen war, stieß einen kurzen Fluch aus und warf sich, erneut schießend, zu Boden.

Das gleiche tat Roberto. Er landete mitten in einer dreckigen Lache, aber das störte ihn nicht. Lieber schmutzig und am Leben, als sauber und tot. Mit großem Schwung rollte er sich durch die Pfütze und robbte dann über den schlammigen Boden auf die gegenüberliegende Baracke zu.

Zwei gezielte Schüsse ließen die Mafiosi die Gefährlichkeit des Mannes ahnen, den sie zu töten beabsichtigten. So leicht, wie sie es sich vorgestellt hatten, würde es nicht gehen, das begriffen sie in dem Augenblick.

Roberto erreichte die Baracke, fand dahinter Deckung und spähte vorsichtig hinter einem Mauervorsprung hervor in Richtung der Gegner.

Von den Gangstern war im Augenblick nichts mehr zu sehen. Sie schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Oder in Wasser?

Roberto ließ sich von diesem gläsernen Frieden nicht täuschen. Die Kerle waren garantiert noch da. So schnell gaben Typen ihrer Sorte nicht auf. Sie würden noch ein paarmal versuchen ihn zu töten, und es stand nirgendwo geschrieben, dass es ihnen nicht gelingen würde.

Roberto richtete sich vorsichtig auf.

Er lauschte mit angehaltenem Atem.

Das Rauschen des Regens drang an sein Ohr. Das Donnern der Wellen.

Und das Patschen von schnellen Schritten ...

Die Gangster entfernten sich. Bestimmt hatten sie nicht die Absicht, die Segel zu streichen. Sie wollten offensichtlich die Baracke umrunden und auf diese Weise in Robertos Rücken gelangen. Der Mafiajäger glitt an der klatschnassen Barackenwand entlang, erreichte die andere Ecke, lauschte wieder, während er spürte, wie seine Nerven vibrierten.

Zuerst vernahm er das leise Patschen.

Noch konnte er die Killer nicht sehen, aber er wusste, dass sie durch den Regen jagten. Genau auf ihn zu.

Er wartete mit verkanteten Zügen. Seine scharfen Augen suchten die Regenwand ab, die die Hitmen in wenigen Augenblicken durchdringen mussten. Roberto hob mit ruhiger, sicherer Hand die 38er.

Er hatte vor, den Kerlen zu beweisen, dass er eine Nummer zu groß für sie war.

Jetzt tauchten sie aus dem ungewissen, bleiernen Grau auf, waren nicht mehr als zwei schemenhafte, undeutlich erkennbare Figuren, deren Schritte vom Wasser verraten wurden: patsch, patsch, patsch ...

Roberto zielte eiskalt.

Als die Kerle nahe genug waren, drückte er zweimal kurz hintereinander ab. Es hörte sich fast wie ein Schuss an.

Die Hitmen brüllten getroffen auf.

Sie kreiselten in panischem Entsetzen herum und suchten mit langen Sätzen das Weite. Das Grau, das sie eben erst ausgespien hatte, verschluckte sie gleich darauf wieder.

Sekunden später heulte ein Automotor auf, und dann raste ein Wagen in lebensgefährlichem Tempo durch den peitschenden Regen.

Der Spuk war vorbei.

Roberto entspannte sich. Er schob die Luger ins Schulterhalfter und lief triefnass zu seinem Plymouth zurück. Das durch und durch nasse, schlammbedeckte Zeug klebte unangenehm und kalt auf seiner Haut. Zum Teufel, das hatte er Harry Mark zu verdanken. Er knirschte mit den Zähnen und ballte die Hände. Im Moment hatte er keinen größeren Wunsch, als Harry Mark gründlich zu vermöbeln. Aber das würde wohl ein Wunsch bleiben, denn es war gewiss müßig, Harry Mark finden zu wollen. Der gerissene Schurke war bestimmt längst in einem von der Mafia zur Verfügung gestellten Rattenloch untergeschlüpft. Es hätte sehr viel Zeit in Anspruch genommen, ihn da aufzustöbern. Roberto wollte sich nicht verzetteln. Er durfte das größere Ziel, das er vor Augen hatte, nicht vergessen. Er war wegen eines weit größeren Fisches als Harry Mark nach Chicago gekommen, und nichts sollte ihn davon ablenken: Mel Kowalski zu finden und unschädlich zu machen.

 

Um den widerlichen Spitzel würde er sich ein andermal kümmern.

Roberto besaß ein gutes Gedächtnis. Er würde Harry Mark nicht vergessen, was er ihm eingebrockt hatte.

Roberto kehrte zu seinem Hotel zurück.

Der Mann vor der Rezeption starrte ihn mit großen Augen an, als er seinen Zimmerschlüssel verlangte. „Mr. Tardelli ...“

„Ich komme soeben von einer Schlammschlacht, an der ich teilgenommen habe“, sagte Roberto grinsend. „Sie sollten das auch mal probieren. Ist schier zum Totlachen.“

Erst nachdem er warm geduscht hatte, begann er sich allmählich wieder wohlzufühlen. Er ließ die schmutzstarrenden Kleider abholen und zur Reinigung bringen. Im weichen, warmen Frotteemantel setzte er sich auf das Bett, griff nach dem Telefon, und ließ sich von der Zentrale mit einer Nummer in Washington verbinden.

Colonel Myers metallisch klingendes Organ drang Augenblicke später aus dem Hörer. Der Mann war ein Phänomen. Man konnte ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichen. Mochte der Kuckuck wissen, wie er das fertigbrachte. Schlaf schien für Myer ein Ding zu sein, das er nur alle Schaltjahre mal konsumierte.

„Roberto, von wo aus rufen Sie an?“

„Chicago“, antwortete der CC-Agent. Er lieferte seinem Chef den Bericht, den er ihm noch schuldete. Bis jetzt war dafür noch keine Zeit gewesen. Wichtigeres hatte zuerst noch getan werden müssen. Colonel Myer hatte bereits über einen anderen Kanal erfahren, was sich in Miami Beach ereignet hatte.

„Der arme Staatsanwalt. Es trifft immer die besten“, brummte Myer missmutig. „Ich wollte, wir hätten mehr für ihn tun können.“

„Ich hätte mehr für ihn getan, wenn ich früher informiert worden wäre“, sagte Roberto.

„Sie haben das, was mir mitgeteilt wurde, noch in derselben Minute erfahren, Roberto. Schneller ging‘s wirklich nicht.“

Sie ließen dieses Thema fallen. Sie wussten beide, dass niemanden die Schuld traf, dass George Burkes Tod nicht verhindert werden konnte. Die Zeit war diesmal eben eindeutig auf Mel Kowalskis Seite gewesen. Dagegen war einfach kein Kraut gewachsen.

Der nächste Punkt, über den Roberto Tardelli mit dem Colonel sprechen wollte, war Mel Kowalski. Roberto erzählte Myer von Claudia Bregg und davon, dass sie ihm gesagt habe, der Profikiller habe nach Chicago abreisen wollen.

„Deshalb bin ich hier“, sagte Roberto abschließend. „Um Kowalski aufzuspüren.“

„Und? Schon fündig geworden?“

„Das nicht. Aber dafür haben schon zwei Hitmen des Mobs versucht, mich über den Jordan zu schicken.“

Robertos Antwort vermochte den Colonel nicht zu erschüttern. Jeder, der für COUNTER CRIME tätig war, musste ständig damit rechnen, vor einen Waffenlauf zu geraten, der ihm den Tod entgegenschleuderte. Wenn Myer jedes Mal, wenn man Roberto über die Klinge springen lassen wollte, eine halbe Herzattacke bekommen hätte, hätte er seinen Job schon längst zur Verfügung stellen müssen.

Der Colonel sagte nur: „Freut mich, dass den Kerlen nicht gelungen ist, was sie sich vorgenommen hatten.“

Roberto lachte. „Mich auch, Chef. Mich auch.“

„Da ist noch etwas, das mich beschäftigt, Roberto.“

„Was?“

„Chicago ...“, sagte Colonel Myer nachdenklich und gedehnt.

„Ich verstehe nicht, Sir.“

„Ich überlege gerade, weshalb Mel Kowalski ausgerechnet nach Chicago geflogen ist. Ich meine, es gibt in den Staaten Tausende von Städten. Warum hat sich Kowalski ausgerechnet für Chicago entschieden?“

„Ein neuer Job vielleicht?“, sagte Roberto Tardelli.

„Das bringt mich auf eine Idee“, sagte Myer mit einem Mal hastig. „In Chicago sitzt ein Gangsterboss namens Fatty Booger, Sie haben sicher schon von ihm gehört ...“

„Der Mann hat in letzter Zeit viel von sich reden gemacht.“

„Es heißt, dass Booger den Hals nicht voll kriegt. Er breitet sich mehr und mehr aus, wird immer größer – so groß schon, dass er der Ehrenwerten Gesellschaft bereits mehr als unangenehm auffiel. Und nicht nur das. Booger hat sich in der jüngsten Vergangenheit sogar erdreistet, in Gefilde einzudringen, die bislang ausschließlich die Domäne der Mafia waren.“

„Dann erscheint es mir durchaus nicht abwegig, anzunehmen, dass Kowalski den Auftrag erhalten hat, sich um diesen Mann zu kümmern“, sagte Roberto.

Wenn dieser Gedankengang sich als richtig erweisen sollte, brauchte sich Roberto nur in Fatty Boogers Nähe aufzuhalten. Alles Weitere würde sich dann von selbst ergeben. Roberto würde nur die Augen offenhalten müssen, und irgendwann – gewiss schon sehr bald – würde er dann dem Vertragskiller von „Black Friday“ gegenüberstehen ...

Wie ein Nilpferd tauchte Fatty Booger aus den glasklaren Fluten seines riesigen Penthouse-Swimmingpools auf. Er liebte das Überdimensionierte. Er fuhr den größten Wagen, den er für sein Geld bekommen konnte, besaß das größte Penthouse von Chicago und war selbst ein schwammiger Riese, dessen krankhafte Großmannssucht sich auch in allen geschäftlichen Belangen niederschlug. Leuchtstoffbahnen an der Decke machten den verfliesten Raum taghell.

Ein gewaltiges Mosaikbild zierte die Stirnwand.

Es zeigte eine weiße, flügelschwingende Taube auf karmesinrotem Grund.

Das Kunstwerk stammte von einem Maler, der zur Zeit in der Stadt „in“ war und sich der Aufträge, mit denen man ihn überhäufte, schon nicht mehr erwehren konnte. Bestimmt hätte der Maler keinen Finger für Fatty Booger gerührt, wenn dieser den Künstler nicht dezent unter Druck gesetzt hätte.

Ein schlichter Anruf hatte genügt: „Wenn Sie den Auftrag übernehmen, kriegen Sie von mir stolze siebzigtausend Dollar. Sollten Sie aber ablehnen, dann sorge ich persönlich dafür, dass Sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden in der Hölle schmoren!“

Angesichts solcher Aussichten ließ sich der Künstler natürlich sogleich herbei, mit der Arbeit zu beginnen. Er stellte alles andere zurück und war bestrebt, Fatty Booger so rasch wie möglich zufriedenzustellen.

Booger war neunundvierzig. Er sah aus wie neunundfünfzig, aber niemand wäre so verrückt gewesen, ihm das zu sagen. Der Gangsterboss war dick, behäbig und schwerfällig. Nur im Wasser war er so erstaunlich beweglich wie ein unförmiges Walross. Er hatte einen kahlen Schädel, seelenlose Augen, eine breite Nase, dicke, aufgeworfene Lippen und ein schwabbeliges Doppelkinn.

Schnaufend schwamm er zum Beckenrand.

Drei Männer mussten ihm beim Planschen zusehen: seine beiden muskelbepackten Leibwächter und Phil O'Donnell, sein Rechtsanwalt. O'Donnels Figur bildete ein verhungertes Fragezeichen, und im Vergleich zu Fatty Boogers fülligen Maßen sah er noch armseliger aus. Er hatte schräg abfallende Schultern, einen eingesunkenen Brustkorb, kein Selbstvertrauen und den traurigen Blick eines Mannes, der die Leiden der ganzen Welt zu seiner persönlichen Sache machte.

Booger klammerte sich keuchend an die Chromstange.

Er setzte die Diskussion fort, die er mit seinem Anwalt führte, und die er nur kurz unterbrochen hatte, um einmal die Länge des Bassins zurückzulegen.

„Wir werden die Geschichte also so anpacken, wie ich mir das vorstelle.“

Phil O'Donnell machte ein unglückliches Gesicht. Es fiel ihm schwer, Booger zu widersprechen. Es kostete ihn jedes Mal größte Überwindung, denn Fatty hatte es gar nicht gern, wenn man seine Meinung nicht teilte.

„Was siehst du drein, als würde dich ein Dutzend Magengeschwüre plagen?“, schnauzte Booger den Rechtsanwalt an.

O'Donnell leckte sich nervös die Lippen. Er tänzelte von einem Bein auf das andere. „Fatty, du weißt, dass mir immer nur dein Bestes am Herzen liegt. Du darfst nicht glauben, dass ich aus purem Eigensinn gegen deine Idee bin.“

Booger nickte ärgerlich. „Verdammt, Phil, sei doch nicht immer so weitschweifig. Komm endlich zur Sache.“

„Die Sache ist die, Fatty ... Also ich meine, wenn du hören willst, wie ich darüber denke ...“ Es klappte erst beim dritten Anlauf. Da platzte es aus O'Donnell heraus: „Ich finde, du solltest den Bogen nicht allzu sehr überspannen.“

„So, Findest du.“

„Ja, Fatty, das ist meine Meinung zu dieser Sache. Ich finde, du solltest nicht zu viel riskieren.“

„Tu ich doch gar nicht.“

„Doch, Fatty ...“

„Um das beurteilen zu können, müsstest du über den Dingen stehen, das tust du aber nicht“, sagte Booger ärgerlich. „Dir fehlt der Überblick, deshalb glaubst du, die Angelegenheit ist zu riskant.“

„Wenn ich dich darauf hinweisen darf: Die Mafia ist bereits mächtig sauer auf dich.“

„Lass sie doch. Soll sie doch.“

„Du solltest diese Leute nicht noch mehr provozieren, Fatty. Mit denen ist nicht zu spaßen. Wenn die mal den Kanal voll haben, gibt‘s für uns alle nichts mehr zu lachen.“

Boogers Augen verengten sich. „Du hast Schiss, was?“

„Ja, das habe ich, Fatty, und ich finde, das ist keine Schande, wenn man weiß, was die Cosa Nostra mit Leuten macht, die sich ihren Unmut zugezogen haben. Fatty, ich beschwöre dich, unterlass dieses gefährliche Spiel mit dem Feuer. Begnüge dich mit dem, was du hast. Wenn du noch mehr willst, kann es passieren, dass du nicht mal mehr dein Leben behalten darfst.“