Umgelegt vom Killer: Krimi Koffer 9 Romane

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa



3


Die schnittige weiße Jacht trug den Namen ALRAUNE. Sie wiegte sich sanft in der Dünung. Kleine Wellen mit weißen Schaumkronen klatschten in unregelmäßigen Abständen gegen den Rumpf. Außer diesem gab es kein anderes Geräusch. George Burke hatte die Chrysler-Zwillingsmotoren abgestellt, um die hier draußen herrschende Ruhe genießen zu können. Dieser Friede war für den Staatsanwalt wie heilsamer Balsam.

Er stand am Bug der Jacht und pumpte seine Lungen mit der würzigen Meeresluft voll.

Burke war ein schlanker Enddreißiger mit scharf geschnittenem Profil. Seine ernste Miene verriet Entschlossenheit und Stehvermögen bei allem, was er anpackte. Burke hatte Mut und Zivilcourage. Und alle versteckten oder offenen Drohungen von Seiten der Cosa Nostra hatten ihn bis heute nicht zu erschrecken vermocht. George Burke war ein Mann, dessen Gewohnheit es war, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen, egal, wie dick diese auch sein mochte. Damit hatte er bisher immer Erfolg gehabt, und er war nicht bereit, von dieser Grundeinstellung auch nur einen Millimeter abzuweichen.

Er hasste das Verbrechen und jene Parasiten, die von ihm lebten, und er hatte sich bereits in jungen Jahren geschworen, die Unterwelt mit allen Mitteln zu bekämpfen, sobald ihm dies auf Grund seiner Position möglich sein würde. Seit er den Posten des Staatsanwalts bekleidete, war er mit eiserner Verbissenheit darangegangen, diesen Schwur einzulösen. Wenngleich man ihm auch im wohlmeinenden Freundeskreis nahegelegt hatte, von diesen oder jenen Dingen lieber die Finger zu lassen. Das wären zu heiße Eisen, und es könne seiner Gesundheit schaden, wenn er sich in diesen Fällen zu sehr engagierte.

Gerade diese Fälle waren es, die Burkes Eifer besonders anstachelten.

Es machte ihm nichts aus, der von der Mafia meistgehasste Mann in Nashville zu sein. Dass ihn diese unerschrockene und unerbittliche Haltung gegenüber der Ehrenwerten Gesellschaft eines Tages den Kopf kosten könnte, hielt er für ausgeschlossen. Er stand zu sehr im Blickfeld der Öffentlichkeit. Die Mafia würde es nicht wagen, sich an ihm zu vergreifen.

Natürlich verlangte ein solcher Job den ganzen Mann, und manchmal hatte Burke schon das Gefühl gehabt, unter der schweren Bürde, die er sich selbst auferlegt hatte, ächzend in die Knie zu gehen.

Kein Wunder, dass er nachts nicht mehr so gut wie früher schlafen konnte. Kein Wunder auch, dass er angefangen hatte, nach der Pillenuhr zu leben: Morgens, mittags und abends zwei, drei Tabletten – und dazwischen auch mal eine Kapsel zur Stabilisierung des Kreislaufs ...

Folglich war es auch kein Wunder, dass er an manchen Tagen sehr leicht reizbar war.

Wie heute.

Vielleicht war auch die Hitze ein klein wenig daran schuld, dass er sich von Bathseba so leicht auf die Palme hatte bringen lassen. Jetzt, hier draußen in der erholsamen Stille, kam ihm der Grund, weshalb er sich mit seinem Mädchen gezankt hatte, geradezu lächerlich vor.

Er erkannte, dass es durch seine Schuld zum Streit gekommen war. Er hatte Bathsebas Worte in den falschen Hals bekommen. An jedem anderen Tag hätte ihm die gleiche Bemerkung nicht das Geringste ausgemacht. Nur heute – heute hatte er plötzlich rot gesehen. Ihm war das nun völlig unverständlich, und er beschloss, sich bei Bathseba zu entschuldigen.

Niemandem fällt eine Perle aus der Krone, wenn er zugibt, einen Fehler gemacht zu haben. Im Gegenteil, das ist ein Beweis wahrer charakterlicher Größe.

Der Staatsanwalt wandte sich um. Er wollte zum Cockpit zurückkehren und die Motoren wieder anlassen.

Doch plötzlich erstarrte er.

Er war nicht mehr allein auf der ALRAUNE.

Am Heck der Jacht stand ein Mann, den Burke nie zuvor gesehen hatte. Ein Kerl, dessen Haltung seine enorme Gefährlichkeit erahnen ließ. Burke war maßlos verblüfft, denn er hatte den Fremden nicht an Bord kommen gehört.




4


Mel Kowalski stand breitbeinig da. Sein Lächeln war eiskalt. Er hatte den Motor seines kleinen Bootes schon eine Meile von hier entfernt abgestellt und hatte sich dann kraftvoll an die Jacht des Staatsanwalts herangepaddelt. Die Überraschung war ihm voll gelungen.

Burke straffte seinen Körper. „Wer sind Sie? Was wollen Sie auf meiner Jacht?“, fragte er scharf.

Kowalski stellte fest, dass in der Stimme des Staatsanwalts nicht das geringste Quäntchen Furcht mitschwang.

Das kommt noch!, dachte der Killer.

George Burke hingegen fühlte sich vollkommen als Herr der Lage.

Kowalski feixte. „Ich sah Sie hier so allein und dachte, ich könnte Ihnen Gesellschaft leisten.“

„Was glauben Sie wohl, weshalb ich allein hier herausgekommen bin?“, erwiderte Burke giftig.

„Weiß ich nicht.“

„Um meine Ruhe zu haben. Wenn Sie jetzt wieder gehen wollen ...“

Kowalski angelte seinen stumpfnasigen Colt Cobra aus der Hosentasche. „Ich werde gehen, Burke, aber erst, wenn es mir passt!“

Der Revolver vermochte den Staatsanwalt nicht einzuschüchtern. „Was soll das?“, fragte er wütend. „Haben Sie vor, hier so etwas wie einen Piraten zu spielen?“

Kowalskis Züge verhärteten sich. „Du wirst gleich nicht mehr so große Töne spucken, George Burke! Und ich werde dafür sorgen, dass du mehr Ruhe bekommst, als dir lieb ist!“ Seine Stimme wurde leiser. „Ich soll dir innige Grüße bestellen.“

Der Staatsanwalt starrte den Killer unerschrocken an. Er schien davon überzeugt zu sein, dass der Mann nicht den Mumm haben würde, abzudrücken, wenn er sich furchtlos zeigte. Aber da schätzte er Kowalski verdammt falsch ein. Dem Vertragskiller war es völlig gleichgültig, wie sein Opfer den Tod hinnahm – ob ängstlich oder tapfer ... was zählt das schon? Tot ist tot.

„Willst du nicht wissen, von wem?“, fragte Kowalski.

„Interessiert mich nicht. Machen Sie, dass Sie von meiner Jacht runterkommen!“

„Ich stehe im Sold der mächtigsten Organisation von Amerika, Burke. Die Leute, für die ich arbeite, haben genug von den vielen Tritten, die du in letzter Zeit ausgeteilt hast. Du hättest die Warnungen, die man dir zukommen ließ, beherzigen sollen, dann wärst du ein alter Mann geworden – falls du nicht vorher von einem Auto überfahren worden wärst. So aber endet dein Leben hier und heute. Du hast es nicht anders gewollt!“

Kowalski hob seine Waffe.

Burke sagte überzeugt: „Sie werden es nicht wagen, auf mich zu schießen!“

„Nun werd bloß nicht komisch. Mein Auftraggeber lässt sich deinen Tod eine hübsche Stange Geld kosten. Und ich bin nicht gewillt, auf die Moneten zu verzichten.“ Der Killer sagte kein weiteres Wort mehr.

Er ließ seinen Colt sprechen.

Als Burke die Feuerblume aufplatzen sah und gleichzeitig einen furchtbar harten Schlag gegen die Brust bekam, riss er fassungslos die Augen auf, und so starb er auch.

In grenzenloser Fassungslosigkeit.




5


ALRAUNE hieß die Jacht, nach der Roberto Tardelli Ausschau hielt. Er war mit einer kleinen Nussschale unterwegs, deren Außenbordmotor einen höllischen Lärm erzeugte. Dreißig Minuten kreuzte Roberto nun schon auf dem Atlantik. Er hatte sich bei zwei Seglern nach der ALRAUNE erkundigt, hatte von den Leuten aber nur ein bedauerndes Achselzucken geerbt.

 

Seine Unruhe wuchs.

Es war ihm gar nicht recht, dass George Burke in die Einsamkeit hinausgefahren war, denn da würde sein Mörder leichtes Spiel mit ihm haben.

Die weibliche Besatzung eines Kajütkreuzers, teilweise nackt in der Sonne bratend, gab Roberto schließlich den entscheidenden Hinweis. Jetzt wusste er, wohin er seine Nussschale treiben musste, um die ALRAUNE zu erreichen. Sie tauchte wenig später in seinem Blickfeld auf. Groß, schick, beeindruckend. Ein modernes schwimmendes Heim, ausgestattet mit jedem erdenklichem Komfort.

Roberto drosselte den Außenbordmotor.

Das schrille Geräusch, das die ganze Zeit Robertos Ohren beleidigt hatte, reduzierte sich damit auf ein vertretbares Maß.

Als Roberto den Bug der ALRAUNE erreicht hatte, schaltete er den Motor so weit zurück, dass er nicht von der Dünung abgetrieben wurde.

Roberto richtete sich in dem kleinen, schaukelnden Boot auf. Er stellte sich auf die Zehen und machte den Hals lang. Es war ihm aber nicht möglich, einen Blick auf das Deck der Jacht zu werfen.

Er legte seine Hände trichterförmig um seinen Mund und rief: „Mr. Burke! Hallo, Mr. Burke!“

Keine Antwort.

„Mr. Burke!“

Stille.

Roberto spürte, wie sich seine Kopfhaut zusammenzog. Die Situation, die er hier vorfand, gefiel ihm nicht. Sie gefiel ihm ganz und gar nicht. Deshalb griff er nach seiner 38er Luger. Hatte George Burke den Besuch, den ihm Roberto ersparen wollte, bereits gehabt? Dann lebte der Staatsanwalt nicht mehr. Roberto ließ sein Boot an der Steuerbordseite der Jacht ein Stück entlangschnurren.

Von Bathseba Lane wusste er, dass sich George Burke noch nicht lange hier draußen befand.

Die Zeit konnte natürlich gereicht haben, um den Staatsanwalt zu killen. Hatte sie aber auch für den Mörder gereicht, um sich nach der Tat ungesehen wieder abzusetzen? Oder befand sich der Mann noch an Bord dieses Schiffes?

Fragen, auf die sich Roberto Tardelli sehr leicht eine Antwort verschaffen konnte. Er brauchte nur an Bord zu gehen.

Das tat er jetzt unverzüglich.

Mit schussbereiter Waffe huschte er über das Deck. Er war darauf trainiert, jederzeit sein Leben zu verteidigen. COUNTER CRIME nahm seine Agenten im Ausbildungslager jedes Mal so hart her, bis sie auf dem Zahnfleisch krochen.

Nichts wurde diesen Männern geschenkt, denn die raue Wirklichkeit schenkte ihnen auch nichts. Darauf wurden sie gedrillt – aufs Überleben in allen Lagen.

Burke noch einmal zu rufen, erachtete Roberto als sinnlos.

Wenn Burke in der Lage gewesen wäre zu antworten, hätte er es längst getan. Roberto hielt den Atem an und lauschte. Kein verräterisches Geräusch. Er schien sich mutterseelenallein auf dieser großen Jacht zu befinden. Aber er war nicht so verrückt, das einfach als gegeben hinzunehmen, ohne sich gründlich davon überzeugt zu haben.

Der Mafiajäger erreichte das Cockpit der Jacht.

Im selben Moment entdeckte er George Burke.

Der Anblick des Staatsanwalts drehte ihm den Magen um und sein Schweißausbruch verdreifachte sich.




6


Roberto Tardelli machte nicht den Fehler, vorwärtszustürmen und nur noch Augen für den ermordeten Staatsanwalt zu haben. Noch war nicht erwiesen, dass der Killer die Jacht bereits wieder verlassen hatte. Roberto verschaffte sich zuerst auf Deck und anschließend unter Deck Gewissheit, dass er mit dem Toten allein an Bord war.

Erst dann kehrte er zu Burke zurück.

Er schob die Luger in die Schulterhalfter und kniete sich neben den Leichnam, dessen Blut noch nicht geronnen war.

Zu spät!, hämmerte es in Roberto Tardellis Kopf. Du bist zu spät gekommen!

Obwohl ihn daran nicht die geringste Schuld traf, ging ihm dieser brutale Mord doch gewaltig an die Nieren. Er hatte sich gleich nach dem Anruf des COUNTER CRIME-Chefs Colonel Myer in Columbus, Ohio, in die nächste Maschine gesetzt, die nach Miami flog, und war unverzüglich zu Burkes Hotel gefahren, nachdem er eingetroffen war.

Vielleicht wäre das hier zu verhindern gewesen, wenn COUNTER CRIME eine Stunde früher von der Sache Wind bekommen hätte. Wenn! Aber ...

Zu spät.

Man hatte Roberto Tardelli zu spät informiert und dann nur noch gehofft, dass der clevere Mafiajäger das Wunder vollbringen würde, mit dem keiner ernstlich zu rechnen wagte.

Zu spät.

Roberto Tardelli zählte insgesamt sechs Einschüsse. Jeder einzelne Treffer war tödlich gewesen.

Roberto kannte nur einen Mann, der so arbeitete: Mel Kowalski. Jeder andere Killer hätte einmal, zweimal – höchstens dreimal abgedrückt, aber nicht sechsmal. Das tat nur Mel Kowalski. Weil er ein Satan war. Weil es ihm nicht genügte, ein Menschenleben zu vernichten. Er musste immer auch den Körper des Opfers zerstören.

Roberto erhob sich.

Er ballte die Hände und ließ seinen finsteren Blick über den Atlantik schweifen.

„Irgendwann kriege ich dich, Mel Kowalski!“, murmelte er grimmig. „Und dann präsentiere ich dir die Rechnung für das hier! Und für all die anderen Morde, die auf dein verdammtes Konto gehen!“




7


Der schiefergraue Pontiac Firebird rollte die schnurgerade Straße entlang. In dieser Gegend waren die billigeren Quartiere. Vor den Spielsalons hockten Hippie-Typen auf dem Bordstein, rauchten Haschisch oder Marihuana. Zumeist lutschten sie zu zehnt an einer einzigen Zigarette, denn für einen eigenen Joint reichte das Geld nicht.

Die Sonne stand schon tief am Horizont.

Bald würde sie hinter den Dächern der Hotels verschwunden sein.

Dann würden die Ratten, die es auch hier gab, wieder aus ihren Löchern kriechen, verbotene Geschäfte machen, Touristen hereinlegen, bestehlen, erpressen ... Und einige Verbrechen würden im Auftrag der Mafia verübt werden. Roberto Tardelli seufzte. Es war nirgendwo anders in den Staaten. Die Ehrenwerte Gesellschaft hatte ihre Drecksfinger überall. Und sosehr Roberto Tardelli dieser gefährlichen Unterweltorganisation auch schadete, indem er sie unerschrocken und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln bekämpfte – sie restlos zu vernichten würde, das wusste er, ein Traum bleiben, der sich niemals erfüllte.

Der Mafiajäger war zu einer kleinen Spelunke unterwegs, die sich „Little Tattoo“ nannte.

Er hatte den Namen von Bathseba Lane.

Gleich nachdem er den toten Staatsanwalt an Bord seiner Jacht gefunden hatte, war Roberto Tardelli nach Miami Beach zurückgekehrt. Bathseba hatte inzwischen weiter getrunken und sich dann mit einer ziemlichen Schlagseite auf ihr Zimmer zurückgezogen. Dort erfuhr sie von Roberto, was mit George Burke passiert war. Ihr Weinkampf bewies dem Mafiajäger, dass das Mädchen den Staatsanwalt mehr geliebt hatte, als er vermutet hatte.

Er brauchte eine halbe Stunde, um sie so weit zu beruhigen, dass sie wieder ein vernünftiges Wort reden konnte.

Zwischendurch alarmierte er die Wasserpolizei, damit diese Burke hereinholte.

Und während diese Aktion lief, redete Roberto geduldig auf das gebrochene Mädchen ein. „Versuchen Sie sich an Dinge zu erinnern, die Ihnen in den vergangenen Tagen vielleicht ein wenig seltsam vorgekommen sind, Bathseba“, sagte Roberto eindringlich. „Die unscheinbarste Kleinigkeit kann mitunter von eminenter Wichtigkeit sein.“

Das blonde Mädchen schüttelte verzweifelt den Kopf. „Es ist mir nichts aufgefallen, Roberto. Nicht das Geringste.“ Sie wollte nicht nachdenken, oder besser gesagt: Sie konnte nicht. Sie war zu sehr betrunken. Der Schock hatte sie zwar zum Teil wieder ernüchtert, aber fürs Nachdenken war ihr Gehirn einfach zu lahm.

Doch Roberto ließ nicht locker.

Er wusste, dass er das Mädchen quälte, aber er konnte jetzt keine Rücksicht nehmen.

„Versuchen Sie das Rad der Zeit um achtundvierzig Stunden zurückzudrehen, Bathseba“, verlangte er.

„Das kann ich nicht!“

„Sie müssen sich dazu zwingen.“

„Es geht nicht.“

„Möchten Sie, dass der Kerl, der George Burke ermordet hat, für diese gemeine Tat zur Rechenschaft gezogen wird?“

„Ja. Ja, natürlich will ich das.“

„Dann müssen Sie mir helfen, ihn zu finden, Bathseba.“

„Wie denn? Wie?“, schluchzte das Mädchen.

„Ist Ihnen niemand aufgefallen, der sich heimlich für George Burke interessiert hat? Der ihn beobachtete. Vielleicht erinnern Sie sich an ein Gesicht, das Ihnen zwei-, dreimal, vielleicht sogar öfter, begegnet ist ...“

Bathseba Lane schüttelte unentwegt den Kopf, doch urplötzlich hielt sie damit inne. Sie erinnerte sich auf einmal an einen Mann, von dem sie sich im Miami Serpentarium, einer Schlangenfarm, angestarrt fühlte.

„Kann dieser Blick nicht auch George Burke gegolten haben?“, fragte Roberto Tardelli schnell.

„Natürlich könnte das der Fall gewesen sein. George stand ja dicht neben mir.“

„Beschreiben Sie den Mann“, verlangte Roberto, doch das konnte Bathseba nicht. Sie hatte kein Gedächtnis für Personen. Sie konnte sich nur noch daran erinnern, dass der Mann eine Sonnenbrille getragen hatte, die so groß gewesen sei, dass sie fast die Hälfte seines Gesichtes verdeckt hatte. Aber etwas anderes wusste Bathseba Lane zu erzählen: Sie habe diesen Mann tags darauf wiedergesehen. Er sei es ganz sicher gewesen. Er trug wieder diese große Brille auf der Nase, saß vor einer kleinen Spelunke, die sich „Little Tattoo“ nannte, und hatte ein hübsches schwarzhaariges Mädchen mit gewaltigen Ohrringen auf seinen Knien.

Grund genug für Roberto Tardelli, diese Spelunke aufzusuchen!




8


Für zwanzig Dollar bekam Roberto im „Little Tattoo“, eine erschöpfende Auskunft. Die rassige Schwarzhaarige hieß Claudia Bregg und wohnte hinter dem Miami Wax Museum. Der Wirt pries die Vorzüge des Mädchens in schillernden Farben an und bat Roberto anschließend, er möge nicht vergessen zu erwähnen, wer ihn geschickt hatte. Vermutlich kassierte der Typ von Claudia für jeden Freier, den er ihr ins Haus schickte, eine kleine Vermittlerprovision. Es ist erstaunlich, woraus manche Menschen ihr Kapital schlagen, dachte Roberto Tardelli angewidert, während er zu seinem Leihwagen zurückkehrte.

 

Die Fahrt vom „Little Tattoo“ bis zu Claudias Adresse nahm nicht mehr als drei Minuten in Anspruch.

Roberto lief eine schmale Holztreppe hoch.

Fast alle Stufen waren morsch und knarrten entsetzlich.

Der Mafiajäger erreichte die erste Etage. Claudia Bregg wohnte unter dem Dach, hatte der Wirt gesagt, also im zweiten Stock, denn höher war das Gebäude nicht.

Die Stufen der nächsten Treppe waren in einem etwas besseren Zustand.

Zweiter Stock. Drei Türen. Grün, braun und violett gestrichen. An der grünen und an der braunen Tür waren Namensschildchen befestigt. MILLER. BOYD. Folglich musste die violette Tür zu Claudia Breggs Wohnung gehören.

Roberto trat darauf zu.

In dem Moment, wo er anklopfen wollte, drang ein derber Fluch an sein Ohr. Dann ein lautes Klatschen.

Und dann der schrille Schrei eines Mädchens ...