Revolution 1776 - Krieg in den Kolonien 3.

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Revolution 1776 - Krieg in den Kolonien 3.
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Thomas Ostwald

Revolution 1776 – Krieg in den Kolonien

Band 3 – Verräter in Uniform

Edition Corsar

Alle Rechte vorbehalten. Überarbeitete und ergänzte Ausgabe des

Romans „Auf unsers Carls Befehl“

© Edition Corsar Dagmar und Thomas Ostwald 2021 Braunschweig

1.

„Das war fast zu viel für mich.“

Friedrich atmete schwer und stützte sich dabei auf seine junge Frau. Glücklich lächelte sie ihn an, und eng umschlungen gingen sie zum Seeufer hinunter.

Es war ein wunderschöner Frühlingstag. Die Sonne wärmte mit ihren Strahlen Mensch und Tier, überall spross das Grün hervor, Knospen öffneten sich, Vögel jubelten. Der Winter war mild, hatte aber trotzdem viel Schnee und Eis gebracht. Jetzt war die kalte Zeit, die endlos langen Nächte und die Sorge um das Feuer in den Langhäusern vergessen. Mit Macht kündigte sich der Frühling an, und wieder einmal hatte Friedrich einen größeren Streifzug unternommen.

Wer ihn jetzt sah, konnte von der überstandenen Verletzung kaum noch etwas ahnen. Zwar lagen noch schwere Schatten unter seinen Augen, und die dicke, rote Narbe an der Stirn erinnerte an die Kugel, die ihn ins Wasser des Champlain Sees geworfen hatte. Friedrich fühlte sich wieder kräftig und stark, und Anna, seine junge Frau, wich ihm nicht mehr von der Seite, wenn er seine Kräfte im Wald probierte.

Der Jäger hatte großes Glück gehabt. Er konnte sich nur mühsam an die Ereignisse auf dem See erinnern. Da waren die Kanus, und sie waren an die Frachtboote herangefahren, um den Amerikanern die Fluchtmöglichkeit abzuschneiden. Mehr wusste er nicht. Nichts von dem Schuss und dem Sturz in das dunkle Wasser, der tiefen Bewusstlosigkeit, aus der er erst spät erwachte. Und natürlich hatte er auch keine Ahnung, dass der Schuss vom Ufer abgegeben wurde. Von einem Musketier, der glaubte, diese Chance nutzen zu können.

Armin Schulze hasste Friedrich Oberbeck abgrundtief. Umso mehr, weil der Oberjäger das Privileg hatte, von einer jungen, hübschen Frau begleitet zu werden.

Als Friedrich leblos am Ufer antrieb, hatten ihn bereits Indianer entdeckt, aus dem See geborgen und in ein Kanu gelegt. Man hatte ihn dann in das entfernte Dorf bringen müssen, weil dort ein mächtiger Schamane lebte, der schon vielen Kriegern mit Schussverletzungen das Leben gerettet hatte. Sein von den Vorvätern ererbtes Wissen rettete auch den jungen Braunschweiger. Regelmäßig kam der weise Mann, um nach seinem Patienten zu sehen. Auch wenn Anna seine Worte nicht verstand, konnte sie doch vieles nachmachen, was ihr der Schamane zeigte. Wundverbände mit heilenden Kräutern wurden von ihr gewechselt, Tee und stärkende Brühe zubereitet, und schließlich zeigte ihr der Heiler auch, wo sie einige Kräuter selbst finden konnte, die die Genesung beschleunigten.

Schon als der erste Schnee das Mohawk-Dorf mit seinem weißen Schleier bedeckte, verließ Friedrich für kurze Zeit sein Lager. Aber schnell suchte er es wieder auf, weil sich alles um ihn herum drehte. Die Kugel hatte ihn seitlich an der Stirn getroffen, als er sich umdrehen wollte. Das hatte ihm das Leben gerettet. Aus dem sonst tödlichen Schuss wurde eine schwere Verletzung. Die Kugel hatte alles Fleisch weggeschrammt und den Schädelknochen angeschlagen. Die tiefe Wunde brauchte lange Zeit, bis sie sich wieder schloss.

Leider gab es auch in dieser Dorfgemeinschaft niemand, mit dem sie sich unterhalten konnten, und darunter litten die beiden sehr. Sie bemühten sich, von den freundlichen Menschen die wichtigsten Wörter zu lernen, und besonders Anna zeigte sich dabei sehr gelehrig. Jetzt, zum Frühjahr, konnte sie sich mit einfachen Sätzen verständlich machen. Die Höflichkeit der Indianer verbot es, über sie zu lachen, wenn sie manche Wörter falsch benutzte oder aussprach. Geduldig wurde es ihr richtig vorgesprochen, und Anna nahm dankbar jede Hilfe an. Friedrich wollte ihr nicht nachstehen und bemühte sich ebenfalls sehr um Spracherfolge, aber Anna fielen die ungewohnten Laute wesentlich leichter.

Sie fühlten sich sehr wohl in der indianischen Dorfgemeinschaft. Jeder sorgte hier für sein Langhaus. Die Jagd war gut, die Vorräte ausreichend, und auch die beiden Gäste wurden wie Mitglieder der Familie behandelt. Die beiden Deutschen lebten im Haus einer kleinen Familie. Sie bestand aus einem alten Mann, der schon für die Engländer im letzten Krieg gekämpft hatte und den man den French-and-Indian-War nannte. Unter dem Namen ‚Stands-up-and-fight‘ wurde der Krieger weithin bekannt. Bei einem Überfall der Franzosen schlug ihn einer der Soldaten mit einem Gewehrkolben nieder. Aber er war nicht ohnmächtig geworden, sondern sprang wieder auf und tötete seinen Gegner mit einem einzigen Axthieb. Sein Sohn Running Elk war ein vielversprechender Krieger, der tatenhungrig auf die Fortsetzung des Krieges wartete und sein Langhaus mit viel Beute füllen wollte. Moon wurde seine Frau genannt, die freundliche, oft sehr melodisch singende und immer fröhliche Mutter zweier halbwüchsiger Mädchen und absoluter Mittelpunkt der Familie. Sie hatte spontan entschieden, dass man den Verletzten aufnahm, und sich liebevoll um seine Pflege gekümmert. Mit Anna schloss sie sofort Freundschaft und bemühte sich eifrig, ihr alles beizubringen, als wollte sie die junge Deutsche als Tochter aufnehmen. Alle erwiesen sich als ausgesprochen liebenswürdig und hatten ihre Gäste ins Herz geschlossen.

Sobald es ihm nur möglich war, unternahm Friedrich Ausflüge in die Umgebung. Zunächst nur kleine in Begleitung von Running Elk oder Anna, dann immer ausgedehntere, und bald war er sicher, seine alte Kondition wieder erlangt zu haben. Von seiner Gastfamilie lieh er sich ein Gewehr aus. Stand-up-and-fight hatte eine der langen Rifles, mit denen viele amerikanische Kolonisten ausgestattet waren. Friedrich kam damit zurecht, vermisste aber seine deutsche Büchse sehr, die auf dem Grund des Sees ruhte. Die Rifle war durchaus treffsicher und sogar rascher zu laden, als seine Büchse. Aber die Sicherheit der Jagdbüchse war durch nichts zu ersetzen. Nie hatte ihr Besitzer damit einen Fehlschuss getan, während die amerikanische Rifle bei größerer Entfernung doch sehr streute. Diese Erfahrung musste Friedrich bei seiner ersten Hirschjagd machen und stellte sich künftig darauf ein, einen sicheren Schuss erst auf kürzere Distanz zu riskieren.

Jetzt hatte er täglich Jagdglück, kehrte einmal mit einem Bock, dann mit Truthähnen oder Wildgänsen zurück. Auf diese Weise trug er nicht nur zur Abwechslung auf dem Speisezettel bei, sondern wollte auch seinen Gastgebern seine Dankbarkeit zeigen. Oft begleitete ihn Running Elk bei diesen Streifzügen, und die beiden Männer verstanden sich auch ohne viele Worte. Der Mohawk kannte einige englische Ausdrücke, die auch Friedrich inzwischen vertraut waren. Der Deutsche bemühte sich, seine Sprachkenntnisse zu verbessern und ließ sich auch im Wald alles erklären, was er sah.

Nachdem das schöne Frühlingswetter mehrere Wochen angehalten hatte, blieb Anna auch im Dorf zurück und lernte bei den Frauen, die Felle richtig zu gerben. Moon zeigte ihr, wie man dabei vorging, und gemeinsam mit den Töchtern nahmen sie sich die aufgespannten Felle vor. Es war eine mühsame Arbeit, weil die Grannen vollständig entfernt werden mussten, ehe das Fell weiter behandelt werden konnte. Sie wurden dafür auf dem Boden aufgespannt und mit einem scharfen Schaber aus Stein oder Knochen Stück für Stück abgestoßen. Erst danach kamen sie in große Kessel und wurden mit dem Hirn der erlegten Tiere aufgekocht. Das machte sie wasserabweisend und dauerhaft geschmeidig. Fertig zur Weiterverarbeitung waren die Häute aber erst nach dem Räuchern über einem heftig qualmenden Feuer.

Anna bewunderte die handwerklichen Fertigkeiten der indianischen Frauen, unter denen Moon eine wahre Meisterin war, sah ihnen begeistert zu, wenn sie mit den Knochennadeln und Sehne die Stücke verbanden und zu Bekleidungsstücken verarbeiteten. Nur wenige trugen noch diese Art der Kleidung, die meisten bevorzugten Wollstoffe, die sie gegen die gegerbten Fälle bei den umherziehenden Händlern eintauschten. Sie kamen meistens im Frühjahr und Herbst, aber bis jetzt hatte sich noch keiner von ihnen sehen lassen. Durch den Krieg wusste niemand, ob es überhaupt noch Händler gab. Aber noch war es ruhig in den Wäldern um den Champlain-See und den St.-Lorenz-Strom, die Armeen hatten die Winterquartiere bezogen und vertrieben sich die Zeit mit endlosem Exerzieren und Gefechtsübungen.

Als alle nach dem Abendessen noch um die Feuer saßen, sah Friedrich seine Anna an und seufzte tief auf. Sie warf ihm einen beunruhigten Blick zu, und er lächelte.

„Es wird Zeit, dass wir zur Armee zurückkehren, Anna. Nicht mehr lange, und sie werden die Winterquartiere verlassen, um die Amerikaner aus dem Norden zu vertreiben.“

„Schade, dass diese gute Zeit wieder vorbei ist. Von mir aus hätten wir hier noch lange bleiben können“, antwortete seine Frau und lächelte schwermütig.

„Ja, auch ich fühle mich sehr wohl. Aber ich bin Soldat, habe einen Eid geschworen, bin wieder völlig gesund und werde in der Armee gebraucht.“

„Was hast du vor? Wann wollen wir aufbrechen?“

„Wahrscheinlich in den nächsten Tagen schon. Ich habe von Running Elk erfahren, dass eine Abteilung Krieger aus den beiden Dörfern in den Norden will, um sich den Engländern anzuschließen. Wenn der Krieg wieder beginnt, wollen sie sich ihren Anteil an der Beute sichern.“

Der Mohawk kam gerade mit einer Pfeife und dem Tabakbeutel in der Hand zurück und nickte dem Jäger zu.

„Krieg den Amerikanern. Wir alle töten und gute Beute machen. Die Mohawk sind stark. Sie helfen König George.“

„Das ist gut, Running Elk. Deine Männer sind unseren Jägern bestimmt sehr willkommen. Ich habe jedenfalls in den letzten Wochen viel von dir gelernt, obwohl der Wald schon immer meine Heimat war. Wie steht es mit dir, Anna, hast du noch Vorbereitungen?“

 

„Ich bin abmarschbereit, wenn es erforderlich ist, Friedrich. Dann hoffe ich, dass die Rebellen so schnell wie möglich vertrieben werden, damit endlich wieder Frieden herrschen kann. Ich möchte gern den nächsten Winter wieder in der Heimat verbringen.“

Friedrich nahm seine Frau in den Arm und küsste sie zärtlich auf die Wange. Sie wehrte ihn leicht ab, denn die öffentlich gezeigten Zärtlichkeiten waren unhöflich gegenüber ihren Gastgebern. Aber ihre indianische Familie sah längst über solche Gefühlsausbrüche hinweg.

* * *

Der Tag des Aufbruchs rückte näher. Überall sah man Frauen bei Vorbereitungen für die Reise. Trockenfleisch wurde in kleine Stücken gehackt und geschnitten, mit Fett und Beeren zu einer schmackhaften und haltbaren Masse verknetet. Pemmikan nannten sie das Gemisch mit einem Wort aus der Sprache der Cree, und Friedrich sah mit Staunen zu, als die Portionen in Tierblasen abgefüllt und für die Krieger bereitgestellt wurden. Als Forstgehilfe hatte er sich oft gewünscht, etwas Ähnliches bei seinen längeren Aufenthalten im Wald dabei zu haben. Es war in jedem Fall praktischer und nahrhafter als ein Stück trockenes Brot, Käse oder harte Wurst. Und es nahm sehr viel weniger Platz in der kleinen Jagdtasche ein. Er fand den Geschmack durchaus angenehm und würzig und überlegte schon, wie er aus dieser praktischen Wegzehrung Nutzen für seine Jäger ziehen konnte.

Friedrich lernte nicht nur diese Dauernahrung kennen, sondern auch noch vieles andere, wenn er die Männer des Dorfes auf Jagdzügen begleitete. Erstaunt stellte er fest, wie geschickt die Mohawk das Wild beschlichen, sich geräuschlos selbst noch im dichten Unterholz bewegten und blitzschnell und lautlos mit Pfeil und Bogen töteten. Er hatte sich immer für einen guten Jäger gehalten und lernte doch jetzt durch Running Elk Dinge, die völlig neu für ihn waren. Das Pirschen in der Heimat hatte wenig mit dem Jagdzug eines Indianers zu tun, von dessen Geschick oft das Überleben einer ganzen Gruppe abhing.

Seitdem er das Krankenlager endlich wieder verlassen konnte, hatte er seine Uniform nicht mehr getragen. Sie hatte durch die Streifzüge und Kämpfe schon sehr gelitten. Anna sah den grünen Rock sorgfältig auf kleine Löcher und Schnitte durch, flickte und säuberte die Montur und verpackte sie dann gut zu einem handlichen Bündel. Friedrich erhielt von seinen Gastgebern Wollhemd, Leggins und Mokassins und lernte bald die Vorteile dieser bequemen Kleidung während zahlreicher Ausflüge in die Wälder der Umgebung schätzen. Als es kälter wurde, konnte er einen dicken Jagdrock gegen Felle der erlegten Hirsche tauschen. Dieser Jagdrock war ihm schon mehrfach bei den amerikanischen Truppen aufgefallen. Von gefangenen Milizionären erfuhr er, dass die Green Mountain Boys, eine Eliteeinheit der Rebellen, sie bevorzugt trugen.

Dieser Jagdrock war aus dickem Baumwollstoff gefertigt und wies als Besonderheit zwei große, übereinanderliegende Kragen auf, deren Enden gefranst waren. Händler brachten sie zu den Indianern. Es gab sie in roher, ungefärbter Ausführung und in allen möglichen Farben. Als Friedrich mit der dunkelgrün gefärbten Jacke kam, runzelte Anna für einen Moment die Brauen. Auf seinen fragenden Blick erzählte ihm seine Frau, dass diese Jagdröcke auch von den Soldaten getragen wurden, mit denen sie im Wald gekämpft hatte.

„Sie kamen mir vor wie eine gut ausgebildete militärische Gruppe“, erklärte Anna. „Keiner von ihnen wirkte so verlottert und schlecht ausgerüstet wie die meisten Rebellen, die wir bislang gesehen haben. Aber ist das die Uniform von regulären Truppen?“

„Das bezweifle ich, aber wir wissen viel zu wenig über die Rebellen. Ich habe schon davon gehört, dass es private Armeen gibt, die von reichen Pflanzern aufgestellt und bezahlt werden. Vielleicht war es Green Mountain Boys, die du erlebt hast. Jedenfalls ist dieser Rock im Wald sehr viel praktischer als unsere Montur. Man kann sich besser und leichter darin bewegen, und vor allen Dingen stören die langen Rockschöße nicht, mit denen ich oft irgendwo hängen bleibe.“

„Wem sagst du das?“, lachte ihn Anna an. „So viele Dornen und kleine Astreste, die ich schon aus deinem grünen Rock gezogen habe, bilden ja fast einen Wald!“

„Praktisch sind die Rebellen, das muss man ihnen lassen. Weil sie kaum Uniformen haben, nehmen sie diese Handelsware. So etwas müssten wir für uns haben ...“ Friedrich sah mit abwesenden Blick in die Ferne, dann drehte er sich wieder zu seiner Frau. „Was sie jetzt wohl machen, unsere Jungs?“

Anna lächelte und nahm seine Hand.

„Sie werden furchtbar um dich trauern und sicher neue Pläne schmieden, wie sie diesen Krieg ohne ihren besten Oberjäger erfolgreich beenden können!“

Friedrich lachte ebenfalls, dann wurde er wieder ernst.

„Wenn sich das milde Frühlingswetter hält, werden wir wohl morgen oder übermorgen aufbrechen. In spätestens zwei Wochen kann ich mich wieder zurückmelden.“

Anna spürte einen Stich durchs Herz, aber sie ließ sich nichts anmerken. Dass sie ihren Friedrich wiederhatte, war ein großes Glück. Aber der Krieg war noch nicht beendet, und sie musste erneut um ihren Mann bangen, bei jeder Rückkehr der Jäger ängstlich nach seinem Gesicht suchen. Nichts hatte sich geändert, die Zeit bei den Mohawk war nur ein kurzer Aufschub. Sie verdrängte die trüben Gedanken, sprang auf und griff nach einer Tasche, die am Langhaus hing.

„Hier, probier mal meine Mischung aus. Moon hat mir gezeigt, wie man Pemmikan noch verfeinern kann.“

Sie öffnete die mit kleinen, weißen Perlen reich verzierte Tasche und nahm eine Tierblase heraus. Mit zwei Fingern fasste sie in das fettige Gemisch und reichte Friedrich einen kleinen Ballen. Der roch erst vorsichtig daran, dann nahm er eine kleine Probe.

„Mmh, köstlich. Da sind ja sogar Nüsse mit drin!“, sagte er kauend. „Anna, du wirst noch eine perfekte Indianerin. Du sprichst ihre Sprache, kannst Felle wie sie bearbeiten und jetzt auch noch Pemmikan wie eine Mohawk herstellen. Phantastisch! Wir sollten uns überlegen, ob wir nicht hierbleiben und uns von Stands-up-and-fight adoptieren lassen.“

„Schlecht wäre das jedenfalls nicht. Die Mohawk haben zwar ein einfaches, aber sehr schönes Leben. Die Menschen machen einen glücklichen Eindruck. Die Jagd ist gut, der Mais wächst prächtig, und niemand leidet Not. Ich könnte mir durchaus vorstellen, hier zu leben.“

Friedrich sah sie einen Augenblick verdutzt an, dann lachte er.

„Ja, wir beide als Indianer, das wäre etwas, Anna!“

Er fasste sie an den Hüften und wirbelte sie zweimal herum. Anna lachte und fühlte sich sehr glücklich in diesem Moment. So hatte er sie das letzte Mal in der Kaserne herumgewirbelt. Was war seit dieser Zeit alles geschehen!

„Ich werde mal mit dem Hauptmann sprechen, ob er mich nach Kriegsende zu den Mohawk entlässt. Dann bauen wir uns ein Langhaus und leben nur noch in den Tag hinein. Wenn wir Hunger haben, gehe ich auf die Jagd oder fische im See. Komme ich dann nach Hause, wartet meine liebe Frau schon mit einem Kessel voller Fleisch. Eichhörnchen, Kaninchen, ein paar alte Krähen, alles liebevoll zubereitet und...“ Weiter kam er nicht, denn Anna verschloss ihm die Lippen mit einem Kuss.

* * *

Gleichmäßig wurden die Ruder eingetaucht, scheinbar mühelos arbeiteten die schweigenden Männer in den Kanus. Mehr als eine Woche waren sie bereits auf dem Wasser unterwegs, und heute würden sie eine Stelle erreichen, an der die reißende Strömung und die zahlreichen Felsen im Strom die Weiterreise für die zerbrechlichen Kanus unmöglich machte. Fast alle jungen Männer folgten Running Elk auf diesem Kriegszug. Jeder hoffte auf große Beute, wenn er mit den Engländern gegen die Amerikaner kämpfte.

Friedrich beobachtete, wie das Wasser am Rumpf entlangschäumte. Immer stärker wurde hier die Strömung, wie die vorbeitreibenden Äste bewiesen. Aber die Krieger zeigten keine Er-müdungserscheinungen. Friedrich hatte seine Hilfe angeboten, aber man hatte ihm lächelnd zu verstehen gegeben, dass er noch immer ihr Gast sei. So langweilte sich der Jäger während der langen Reise und versuchte, an den Uferrändern Interessantes zu beobachten. Als er einmal einen mächtigen Hirsch entdeckte, der gerade zwischen zwei Bäumen hervortrat, durfte er nicht schießen. Den Mohawk war die Gegend zu unsicher, um ihre Anwesenheit durch einen Schuss zu verraten. Zwar freute sich jeder über frisches Fleisch, aber noch reichten die Vorräte aus.

Jetzt wurden die Kanus ans Ufer getrieben, herausgezogen und die Lasten verteilt. Immer zwei Mann trugen ein Boot, die anderen nahmen Waffen, Decken und Proviant auf, und ein langgezogener Marsch am Ufer begann. Hier schonte sich Friedrich nicht mehr, sondern griff sich eines der Fellbündel und schulterte es zusammen mit ihren Habseligkeiten. Anna hatte sich die beiden zusammengerollten Decken an einem Riemen über eine Schulter gehängt, und die Uniform hing als Bündel verschnürt auf der anderen Seite.

Die Frühlingssonne hatte schon viel Kraft und brachte Friedrich zum Schwitzen. Er war froh, als sie endlich die Stelle erreichten, an der die Kanus wieder eingesetzt werden konnten. Auch hier war die Strömung noch stark, aber es gab nicht mehr so viele Felsen, die sie bedrohten. Gegen Abend lagerten sie in einer kleinen Bucht, die wie geschaffen für die kleine Kanuflotte war. Während ein Teil der Krieger die Gegend erkunden wollte, blieben die anderen zurück und bewachten die Boote.

Friedrich schloss sich den Kundschaftern an, er sehnte sich nach Abwechslung und Bewegung. Als die kurze Dämmerung hereinbrach, entdeckten sie in einiger Entfernung ein hell brennendes Feuer.

„Amerikaner!“, flüsterte ihm sein Nebenmann zu. Er nickte, und man verständigte sich nur noch mit Zeichen. Die Mohawk schlugen einen weiten Bogen um den Platz und näherten sich ihm dann, dabei jede Deckung nutzend, die ihnen der Wald bot. Friedrich folgte ihnen und hielt sich etwas zurück. Das lange Gewehr lag schussbereit in seiner Hand. Wieder einmal bewunderte er die Fähigkeit der Krieger, sich nahezu lautlos zu bewegen. Sie achteten auf jeden trockenen Ast, der ihnen im Weg lag, huschten von einem Baum zum anderen und schienen mit ihm zu verschmelzen, wenn sie einen Moment verharrten.

Dann waren sie so dicht heran, dass sie trotz der Dunkelheit helle Gesichter unterscheiden konnten und deutlich Stimmen hörten. Es war eine sehr gemischte Gruppe, die hier am Ufer lagerte und ein hell loderndes Feuer unterhielt. Offenbar fühlten sie sich völlig sicher, denn Friedrich konnte nur zwei Wachtposten entdecken, die ziemlich nachlässig an Baumstämmen lehnten und ihre Aufmerksamkeit mehr auf das Lager richteten als auf den Wald vor ihnen.

Unter den Amerikanern waren einige in blauen Uniformen, aber der überwiegende Teil sah eher nach einer Gruppe Jäger aus. Sie trugen entweder die gefransten Jagdröcke oder waren ganz in Hirschleder gekleidet. Auf dem Kopf hatten sie fast alle große, breitrandige Schlapphüte aus schwarzem Filz. Ihre Gewehre waren in Pyramiden in der Nähe des Feuers zusammengestellt.

Halb auf das Ufer gezogen lag eine Schaluppe, mit der diese Gruppe unterwegs war. Friedrich entdeckte verpackte Ballen im Boot und vermutete, dass es sich um Felle handelte.

Die Krieger gaben sich Zeichen und zogen sich unbemerkt zurück. In sicherer Entfernung erhoben sie sich und liefen, so schnell sie konnten, wieder zum Lager zurück. Running Elk teilte seine Krieger neu ein. Nur zwei Mann blieben bei Anna und den Booten zurück. Sicherheitshalber hatte man alles wieder verstaut und die Kanus lagen schwimmbereit aneinandergebunden am Ufer. Die Posten hatten die Aufgabe, bei Annäherung des Feindes sofort abzulegen, um die Kanus in Sicherheit zu bringen. Mussten die Mohawk wider Erwarten fliehen, konnten sie ihnen leicht schwimmend folgen.

Dann waren die Krieger um das Lager der Amerikaner verteilt. Running Elk überwältigte einen Wachtposten und gab dafür das Signal für den Angriff. Überall unter den Bäumen blitzte es auf, krachend unterbrachen die Musketen die Stille der Nacht.

Die Amerikaner sprangen auf und eilten zu ihren Waffen, aber im nächsten Augenblick waren die Mohawk heran. In weiten Sätzen hatte Running Elk die Lichtung überquert und schwang drohend eine fürchterliche Kriegskeule. Die ersten Amerikaner, die er erreichte, fielen wie vom Blitz getroffen um, und der Mohawk eilte weiter. Sein schriller Kampfschrei wurde von allen aufgenommen und übertönte den Lärm der Kämpfenden.

 

Friedrich hatte das abgeschossene Gewehr zur Seite geworfen und stürzte sich mit seinem langen Hirschfänger in den Kampf. Vor ihm stand ein Mann in Lederbekleidung kampfbereit mit einer kurzen Axt. Er schlug nach dem Deutschen, der mit einer geschickten Drehung auswich, den Mann unterlief und ihm den Hirschfänger direkt ins Herz stieß. Aus dem Augenwinkel hatte Friedrich eine Bewegung wahrgenommen, wirbelte herum und spießte den Angreifer mitten im Lauf auf. Der Mann prallte zurück, seine Finger griffen die scharfe Klinge, als der Jäger sie zurückriss. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er ihn ungläubig an, dann brach er röchelnd zusammen.

Friedrich sah sich nach dem nächsten Gegner um, aber der Kampf war schon beendet. Die Salve hatte mehrere Amerikaner getötet oder schwer verletzt, und die Mohawk waren so wild über den Rest hergefallen, dass innerhalb weniger Minuten niemand mehr lebte. Das große Feuer war auf dem Platz verstreut, weil einer der Amerikaner im Todeskampf rückwärts hineingestürzt war. Bestialischer Gestank machte sich breit, als die Flammen den Uniformrock erfassten. Mit einer Decke schlug Friedrich sie aus, aber der Mann war bereits tot. Angewidert wischte er das Blut von seiner Waffe und steckte sie in die Scheide zurück. Er hatte für diesen Kampf seinen Gürtel mit der Patronentasche und dem Hirschfänger einfach über das Hemd geschnallt. Jetzt sah er Running Elk, der den Inhalt der Schaluppe untersuchte, und ging zu ihm hinüber.

„Guter Kampf, gute Beute!“, lachte ihm der Krieger zu, als sich Friedrich in das Boot schwang. Der Mohawk hatte eines der Bündel mit dem Messer aufgeschlitzt. Es enthielt tatsächlich Felle und Pelze in beträchtlicher Menge. Zur Freude der Indianer waren aber neben den erbeuteten Waffen noch zahlreiche Musketen, Pulver und Blei in den anderen Paketen.

„Wir könnten das Boot mitnehmen und müssen damit nicht die Kanus füllen!“, sagte Friedrich und erklärte sein Vorhaben zusätzlich mit Gesten. Aber Running Elk hatte ihn gleich verstanden.

„Schweres Boot, nicht so schnell wie Kanus.“

„Ja, aber es hat ein kleines Segel. Damit kommen wir leichter stromauf. Ich kann damit umgehen.“

„Gut. Dann soll es der Grünrock nehmen. Wir holen die Kanus hierher und brechen gleich auf.“

„Du willst die Nacht auf dem Wasser verbringen, Running Elk? Warum?“

„Kein guter Platz hier. Amerikaner warten auf andere Soldaten. Besser, wir sind auf dem Wasser.“

Damit war alles besprochen. Einer von ihnen kehrte zu den Kanus zurück, und als die drei Krieger mit Anna herangerudert kamen, wurde sofort aufgebrochen. Anna setzte sich zu Friedrich in die Schaluppe und ging ihm zur Hand, so gut sie konnte. Der kleine Mast war schnell aufgerichtet, ein leichter Wind blähte das Segel, und gleich darauf hielt Friedrich auf die Flussmitte zu und folgte den Kanus, die bereits einen Vorsprung hatten.

2.

„Köstlich, köstlich. Jetzt weiß ich, was mir die ganze Zeit gefehlt hat.“

Arnold wischte sich mit einem Schnupftuch über die Stirn.

„Das passiert wohl auch nur dir, dass du beim Essen ins Schwitzen kommst. Na, bei deinen Portionen auch kein Wunder!“

Erich grinste den kräftigen Arnold an.

„Nur kein Futterneid, du Hänfling. Wer wie ich schuftet, muss auch gut essen!“

„Wo hast du denn geschuftet?“, stichelte Erich weiter. „Ich habe das Holz fürs Feuer zusammengetragen, die Fleischstücke durchgebraten und mache überhaupt immer alles, und du stöhnst herum. Sieh' dich doch mal an, richtig fett bist du durch den Winter gekommen!"“

„Ich bin nicht fett, das sind alles Muskeln. Komm nur mal herüber, dann zeige dir gern, wie hart dieses Fett ist!“

Bernhard sah auf und gab den beiden einen Wink.

„Hört auf, der Sergeant kommt. Hallo, Sarge, hier ist noch ein gutes Stück für Sie!“

Eggeling kam zusammen mit zwei anderen Jägern in das Lager.

„Viel Zeit zum Rasten bleibt uns nicht mehr. Die Rebellen sind etwa noch fünf Meilen von uns entfernt.“

Unwillkürlich griff Bernhard zu seiner Büchse, die neben ihm an dem Stamm lehnte. Aber der Sergeant hockte sich ans Feuer, nahm einen der Holzspieße mit den Fleischstücken herüber und aß. Auch die anderen griffen hungrig zu.

Zum Schluss nahm Eggeling zwei kräftige Schluck Wasser aus der Feldflasche, stöpselte sie wieder sorgfältig zu und wandte sich dann an die Soldaten.

„Uns interessieren nicht die abrückenden Truppen, die bleiben unbehelligt. Wenn wir uns bei ihnen zeigen, überlegen sie es sich womöglich und kehren wieder um. Bei den Rebellen ist viel Bewegung, große Truppenverbände marschieren in südlicher Richtung und verlassen die Gegend am St. Lawrence. Sorgen macht mir vielmehr die Truppe, die wir eben gesichtet haben. Das ist ein ganz anderer Anblick als diese maroden Miliztruppen, mit denen wir es sonst zu tun haben. Sie sind alle hervorragend ausgerüstet, tragen grüne Jacken, festes Schuhwerk. Im Gürtel haben sie lange Messer und Äxte. Wenn sie auch noch kurze Büchsen hätten, würde ich sie für amerikanische Jägereinheiten halten.“

Arnold pfiff leise durch die Zähne.

„Sieh an, sollten die Rebellen doch noch richtige Truppen haben? Das müssen wir uns ansehen, Sarge!“

Im vergangenen Winter hatte sich der strenge Umgangston bei den Jägern gelockert. Eggeling brummte anfangs über die von den Engländern übernommene Anrede Sarge, sagte aber nichts dazu. Bei den zahlreichen Streifzügen, die die Jäger während des Winterquartiers unternommen hatten, war ihre Kompanie noch stärker zusammengeschweißt worden. Jeder kannte den anderen, konnte sich auf ihn verlassen, wusste von seinen kleinen Fehlern und Schwächen. Major von Barner ließ Hauptmann Schottelius frei gewähren, und der wiederum war großzügig gegenüber den Männern. Bei den Jägern gab es keine Ausschweifung, sie verrichteten auch während des langweiligen Winterquartiers ihren Dienst diszipliniert. Die Unteroffiziere sorgten dafür, dass die Winterruhe nicht ungenutzt blieb. Täglich standen Schieß- und Gefechtsübungen auf dem Plan. Außerdem trugen die Jäger erheblich zur Aufbesserung des Speiseplans der Armee bei. Da sich bald in unmittelbarer Nähe der Quartiere kein Wild mehr aufhielt, durften auch ausgedehnte Jagdzüge unternommen werden, bei denen die Jäger häufig im Freien übernachteten. Arnold, Erich, Wilhelm und Bernhard waren unzertrennlich. Oft waren sie mit Billigung ihrer Vorgesetzten mehrere Tage unterwegs. Manchmal errichteten sie sich ein Basislager, sammelten dort ihre Jagdbeute und kehrten dann schwer beladen zurück. Bei vielen Gesprächen am abendlichen Feuer drehte sich alles um das Schicksal von Anna und Friedrich. Sie hatten nichts mehr von Anna nach ihrem Aufbruch gehört, und man war sich ziemlich sicher, dass sie den Winter in der Wildnis nicht überlebt hatte.

Da auch die Indianer in ihre Dörfer zurückgekehrt waren, kam keinerlei Nachricht zu den Braunschweigern – ausgenommen natürlich die Berichte der Kundschafter über die Einheiten der Rebellen.

In der oft bewährten Schützenkette marschierten sie jetzt durch den Wald, der anrückenden Rebellenarmee entgegen. Eggeling hatte den Befehl ausgegeben, das Eintreffen der zweiten und dritten Gruppe bei einer überdachten Brücke abzuwarten. Dann sollte der Angriff erfolgen und die Rebellen daran gehindert werden, ihren Weg nach Fort Ticonderoga fortzusetzen.

Unbehelligt erreichten sie die große Brücke, die mit einem Dach wie ein Haus gedeckt war. Auf diese Weise bot sie bei Sturm besonders den Viehherden Schutz, die hier durchgetrieben wurden. Weil viele der amerikanischen Flüsse waren bei Regen sehr stark anschwollen, war hier ein sicheres Überqueren selbst bei Hochwasser möglich.

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