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Violet - Die 7. Prophezeiung - Buch 1

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Violet - Die 7. Prophezeiung - Buch 1
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Sophie Lang

Violet - Die 7. Prophezeiung - Buch 1

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Buch 1 - Verletzt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Vorschau Buch 2 - Versprochen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Ende der Vorschau

Impressum neobooks

Buch 1 - Verletzt

Du hast mich verletzt, doch mein Herz zerbrechen wirst du nicht

Ich halte es fest in meinen Händen und ins Licht

Die Sonne wärmt mein Herz

Und irgendwann vergeht der Schmerz

und die Sonne sich funkelnd in den Facetten der Liebe bricht…

Rose von der Au

Prolog

Prinzipiell sind wir alle frei in unseren Entscheidungen.

Nur was nützt eine theoretische Freiheit,

wenn wir sie nicht nutzen.

Forschungsstation FE Sektion 0.

Professor Arrow eilt zum Landeplateau, zu dem zerstörten Transporthelikopter. Rauch steigt auf und Flammen züngeln gegen den Himmel. Verletzte krümmen sich zwischen den Trümmerteilen.

„Was zum Teufel ist hier passiert?“, wendet er sich an den befehlshabenden Vollstrecker. Es handelt sich um Halo, einen Privilegierten aus Sektion 8. Er befindet sich erst seit wenigen Wochen in der Forschungsstation. Der Oberste Gesandte hat ihn höchst persönlich ausgewählt. Das ist Tradition, Ehrensache im Kreise der Bruderschaft. Man kümmert sich frühzeitig um die Nachfolge wichtiger Positionen. Und diese Einrichtung ist unglaublich wichtig. Sollte die Forschungsarbeit von Professor Arrow eines Tages Früchte tragen, dann würde dies das Gleichgewicht der Mächte auf der ganzen Welt entscheidend beeinflussen.

Der Helikopter war vor wenigen Minuten gelandet. Die Ladung war vielversprechend. Eine schwer verletzte junge Frau befand sich unter den Neuankömmlingen. Ihr Genmaterial könnte einzigartig sein und sie könnte den entscheidenden Unterschied ausmachen. Doch jetzt ist sie tot.

„Was zur Hölle?“, fragt Arrow wieder, als er den blutüberströmten Körper der jungen Frau betrachtet. Ein Meter neben ihr liegt ein blauer Teddy auf dem Boden. Professor Arrow hebt ihn auf.

„Sie wollte mich umbringen“, stellt Halo fest. „In dem Moment als sie mich erblickt hat, ist sie auf mich losgegangen. Sie ist eine von ihnen und sie hat enorme Kräfte.“

„Halten Sie den Mund!“ Arrow wendet den Kopf der Toten, sieht ihr direkt in die erstarrten blauen Augen und befreit ihr Gesicht von den blonden, blutverklebten Haaren, während er ihre Lider sanft mir der flachen Hand schließt. Ein Zeichen in der Form eines Sterns prangt von ihrer Stirn.

„Wir hatten keine Wahl“, erklärt Halo.

„Warum wollte sie dich töten?“, fragt Arrow, aber er weiß, weder Halo noch einer der anderen Vollstrecker kann diese Frage beantworten.

Professor Arrow muss Entscheidungen treffen. Er will diese Chance nicht ungenützt lassen. Wer weiß, vielleicht bekommen sie nie wieder eine solche Gelegenheit.

„Bringt sie ins Labor, wir beginnen sofort mit der Operation!“, befiehlt er.

Kapitel 1

3. Prophezeiung

17 Jahre und 9 Monate später.

Aus meinem Augenwinkel sehe ich den Schwanz der Bestie auf mich zurasen. Silberne Stacheln blitzen im Licht der Sonne auf, Luft schreit auf, als fürchte sie sich. Meine Sinne sind darauf trainiert, all das wahrzunehmen. Als wäre mein ganzer Körper ein einziger Reflex, springe ich zur Seite und ducke mich unter dem Tötungsinstrument hindurch.

Der stachelbewaffnete Schwanz schlägt mit solcher Wucht in der Hauswand ein, dass der Putz und Teile der Steinmauer weggesprengt werden.

„Freija, aus der Schusslinie! Zurück zu mir!“, höre ich Jesse rufen, aber ich reagiere nicht. Höre nicht auf ihn. Warum sollte ich auch? Er ist der Fernkämpfer - nicht ich. Wir sind ein Team und ich bin dazu ausgebildet, genau hier zu kämpfen, an meinem Platz, direkt Auge in Auge mit der Bestie.

Sie hat die Größe eines Panzers und ihre schwarze, lederne Haut saugt das Licht auf, wie ein schwarzes Loch. Nur die Stacheln am Schwanz reflektieren die Sonnenstrahlen, die sich in die nach Abfällen stinkende Gasse verirrt haben. Ihre Augen sind schwarz und kaum zu erahnen. Beängstigend. Wir beobachten einander, studieren uns und versuchen den nächsten Angriff vorauszusehen, um einen Zeitvorsprung, einen winzigen Vorteil zu erhaschen.

Für einen kurzen Moment sehe ich so etwas wie Angst in ihren Augen.

Angst?

Was ist das eigentlich? Nur ein verwirrendes Gefühl aus der Vergangenheit, das hier im Kampf, auf Leben und Tod, nichts verloren hat.

Plötzlich wird mir bewusst, dass ich triumphieren werde. Jesses Warnrufe nehme ich vereinzelt wahr. Er will schießen, seine Waffe abfeuern, doch ich stehe im Weg, was mir völlig egal ist, denn der Kampf ist gleich zu Ende.

Die Bestie reißt ihren Schlund auf. Übereinander liegende Zahnreihen, blecken mich an. Speichel trieft, spritzt und tropft in langen Fäden auf den Asphalt. Ihre Einschüchterungsversuche lassen mich kalt.

Ich reiße mein Schwert hoch und im gleichen Augenblick prallen wir aufeinander. Ich springe zur Seite, weiche ihrem Schwanz aus, der durch die Luft peitscht. Drehe mich um die eigene Achse, entfliehe dem aufgerissenen Maul, rolle mich unter dem tonnenschweren Körper durch und entkomme ihren rasiermesserscharfen Klauen.

In einer Vorwärtsbewegung nehme ich alle Einzelheiten wahr. Die Zeit scheint für eine Sekunde ihre ureigene Aufgabe vergessen zu haben, nur um uns zuzusehen. Den Atem anzuhalten und zu beobachten, was jetzt passiert. Wer überlebt.

Und dann entdecke ich die erhoffte Lücke, die einzige Möglichkeit, den Kampf jetzt zu entscheiden. Ich stoße mich wieder vom Boden ab, werfe mich schnell und langsam zugleich, absurd und trotzdem anmutig in die Luft, hechte unter den Körper der Bestie und nur knapp verfehlen mich ihre Fänge. Die Klauen greifen ins Nichts und dann bin ich da, direkt unter ihr.

Ich drehe mich im Flug, weiß, dass ich hart auf dem Rücken aufschlagen werde und dann reiße ich meine Klinge hoch.

Wie leicht es geht, schießt es mir durch den Kopf, als ich die Bauchdecke durchstoße und mein Schwert ins Herz der Bestie ramme. Dann, einen Atemzug zwischen zwei Ewigkeiten, krache ich mit der Seite auf den Asphalt. Der Schmerz in meiner Schulter überfordert meine Sinne.

Ich muss mich darauf konzentrieren, meinen Körper an seine Pflicht zu atmen zu erinnern. Irgendwie versuche ich, mich weg zu rollen, aber es gelingt mir nicht sonderlich gut.

So schnell ich noch kann, richte ich mich auf. Mein linker Arm hängt schlaff an meiner Seite herunter.

Meine Schulter?

Explodiert. Tobt vor Schmerzen.

Aber das muss mir egal sein, denn ich muss bereit sein für ihren nächsten Angriff.

Ich blicke sie an, wie sie regungslos daliegt.

Da begreife ich es. Es gibt keinen nächsten Angriff. Es ist vorbei.

Die Bestie ist tot. Sie liegt vor mir, erstarrt, die Augen noch immer geöffnet. Dann bin ich wieder mit mir beschäftigt. Mit meiner Schulter und den Schmerzen, die sich durch mich hindurchwälzen.

„Freija? Alles okay? Bist du verletzt?“, höre ich Jesses Stimme wie aus weiter Ferne.

Ich sitze auf meinem Hintern und betrachte meinen linken Arm, der jegliche Befehle, stur verweigert. Jesse legt seinen Bogen neben mich.

 

„Verdammt, das sieht übel aus, Engel. Du bist schlimm verletzt“, sagt er sorgenvoll. Seine Augen versprechen nichts Gutes.

„Ach was, die Schulter wird schon wieder“, will ich sagen, aber ich bringe nur ein Flüstern hervor. Was ist los? Wo verdammt ist die Luft zum Atmen, zum Sprechen geblieben?

Jesse schaut ohnmächtig auf meinen Bauch. Warum um Himmels Willen der Bauch? Warum kümmert er sich nicht um meine kaputte Schulter?

Verwirrt schaue ich an mir herab und sehe massenhaft Blut, mein Blut. Unmengen Blut? Wo kommt das her? Sie muss mich doch erwischt haben.

Die Krallen, analysiere ich irgendwie, denn plötzlich und völlig unerwartet trifft mich der Schmerz in meinen Eingeweiden. Es fühlt sich an, als würde mir jemand mit einem verflucht großen Eisenhammer in den Bauch schlagen. Wieder und immer wieder.

Eine unvorstellbare Kälte kriecht in jede Faser meines Körpers. Sie kommt von der Bestie, die langsam aus meinem Blickfeld schwindet. Löst sich ihr Körper bereits in Luft auf oder bin ich es, denn meine Sinne scheinen zu schwinden.

Zum Glück nur die Sinne und nicht mein Leben, hoffe ich.

Verschwommen sehe ich Jesse. Seine Augen sind zwei Lichter in der Dunkelheit, die mich einspinnen, zu sich ziehen.

Was macht er da? Was sagt er zu mir? Ich kann ihn kaum hören. Er ist über mir und spricht mit mir. Wie aus einer anderen Welt, höre ich seine Worte.

„Bleib bei mir. Bleib wach!“, fleht er. Aber ich will jetzt schlafen. Bin müde. Erschöpft. Ich habe die Bestie besiegt, bin verletzt, brauche jetzt Ruhe und schließe meine Augen und alles wird plötzlich ganz friedlich und still.

Ich blicke in künstliches Licht, als ich sie wieder öffne.

Kapitel 2

Alle Erinnerungen sind sofort da. Das ganze Blut; mein Blut und die tote Bestie, die sich ins Nichts aufgelöst hat.

Jesse, der über mir war. Er muss es geschafft haben, mich hierher zu schaffen, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie er das angestellt hat. Wir waren mindestens vier Blocks entfernt von unserem Skygate. Skygate? So nennen wir unseren Schlupfwinkel.

Das Skygate nimmt die komplette 77. und 78. Etage des höchsten Wolkenkratzers von ganz Sektion 13 ein.

Sektion 13?

Früher habe ich einmal dort gewohnt, glaube ich, weil so recht erinnern, kann ich mich daran nicht.

In New York, so wie die Nunbones, also die gewöhnlichen Menschen, Sektion 13 nennen. Ich war auch einmal einer von ihnen, ein Nunbone. Aber das ist lange her und ich kann mich an nichts mehr aus dieser Zeit erinnern.

Lange her, überlege ich. Ich kämpfe jetzt seit fünf Jahren gegen die Bestien, aber es kommt mir vor wie eine halbe Ewigkeit. Als ich elf war, haben sie mich gefunden.

Die Bestien.

Sie haben mich fast getötet. Das rätselhafte Zeichen, das sich wie eine Tätowierung, nur tausendmal schöner, über meinen ganzen Rücken erstreckt, erinnert mich jeden Tag daran. Ich sehe sie jeden Morgen im Spiegel, aber sie ist nur eine von vielen. Ich fasse an meinen Bauch. Eine von vielen wunderschönen Narben; Tattoos.

Jemand nähert sich der Krankenstation. Am Klang seiner Schritte erkenne ich Jesse und bevor er die Tür öffnet, schließe ich meine Augen und stelle mich schlafend. Ich höre, wie er den Raum betritt, die Tür behutsam hinter sich schließt und sich dann den Geräten widmet, an denen ich angeschlossen bin. Irgendetwas scheint ihn zu irritieren. Er fummelt an dem Schlauch, der an meinem Handrücken austritt, herum und prüft, ob er richtig sitzt, und drückt dann wieder ein paar Knöpfe an dem Monitor über meinem Kopf, der meine Lebenszeichen überwacht. Er nimmt meine Hand in seine Hand. Ich spüre seine Finger, wie sie mein Handgelenk umfassen, und muss mir eingestehen, dass ich es mag, wenn er mich so berührt.

Wir berühren uns häufig, das ist nur logisch, weil wir im Team die Bestien jagen.

Jesse ist ein fantastischer Fernkämpfer und ich bin seine Nahkämpferin, sein Engel, wie er mich immer nennt. Wir berühren uns auf der Jagd ständig. Wenn wir uns in einem engen Keller verstecken, wenn wir uns über Mauervorsprünge helfen oder wenn er mich, wie es jetzt wohl geschehen war, in das Skygate zurückgetragen hat.

Aber diese Berührung ist anders, sie hat fast etwas Zärtliches. Aber für Zärtlichkeiten darf es in unserer Welt keinen Platz geben. Das Wagnis ist zu groß, am nächsten Morgen aufzuwachen und allein zu sein, seinen Liebsten an die Bestien verloren zu haben, oder an die Sektion. Jesse und ich sind Freunde, mehr nicht. Aber in einer anderen Welt und unter anderen Umständen wären wir womöglich ein Paar. Darüber denke ich oft nach. Ständig, um genau zu sein.

Ich spüre meinen eigenen Puls, wie er gegen seine Finger pocht, so als wäre es ein kleines Lebewesen, das auf sich aufmerksam machen möchte. Jesse hat Verdacht geschöpft, er ist nicht dumm, das muss ich einräumen.

„Du bist wunderschön“, flüstert er. Vertraut er tatsächlich darauf, ich könnte ihn nicht hören?

Ich halte meine Augen fest verschlossen, aber ich kann das winzige Grinsen nicht davon abhalten, sich über meine Lippen zu legen.

„Ich wusste es!“, schimpft Jesse, doch ich höre es an der Melodie seiner Stimme, wie er sich freut. Er ist glücklich, dass ich wach bin, und ich grinse noch etwas breiter.

Ein Gedanke taucht plötzlich auf und verirrt sich in dem Labyrinth meines komplizierten Gehirns.

Es wäre so schön, wenn er mich wachküssen würde. Nur ein kleiner Kuss auf die Stirn und ich würde sofort meine Augen öffnen.

Nur ein Einfall, den ich gleich wieder in eine Sackgasse verscheuche. Weil er nicht erlaubt ist, weil ich ihn nicht zulassen kann, und dann hebe ich mein linkes Augenlid an. Das Licht der LEDs blendet mich unangenehm und ich muss ein paar Mal blinzeln, jetzt mit beiden Augen, bis ich Jesses Gesicht klar über mir ausmachen kann.

„Hast du wirklich gedacht, ich merke es nicht, wenn du mich veräppeln willst?“, fragt Jesse.

„Mhm, ein Versuch der Schiffbruch erleidet, ist immer noch besser, als es nicht gewagt zu haben.“ Jesse lacht.

„Schön, dass du wieder unter den Lebenden bist. Wie fühlst du dich?“, meint er besorgt und klingt genau so, wie ich Jesse kenne.

„Der Doc hat mich ganz gut zusammengeflickt. Gut, dass wir in einer Zeit geboren sind, in der man kaputte Dinge repariert, anstatt sie wegzuwerfen.“ Jesse schaut mir in die Augen, dann schüttelt er den Kopf - zweimal.

„Du solltest lernen, mit dem Bogen umzugehen oder mit einem Schießeisen, dann hätte sie weniger zu tun.“

„Ich bin mit dem Bogen ziemlich mies und habe noch nie ein Gewehr benutzt! Und wer würde dich dann beschützen, wenn die bösen Bestien kommen?“, scherze ich, aber Jesse ist kein Lächeln zu entlocken.

„Engel, das war verdammt knapp.“

„Ist es das nicht immer?“

„Hättest du Platz gemacht, damit ich schießen kann, dann hätte ich sie erledigt.“

„Und wenn du nicht getroffen hättest, dann hätte sie uns beide erledigt.“

Es sind immer die gleichen Diskussionen. Wir führen sie immer und immer wieder. Nach jeder Jagd, und wir wissen beide, da bin ich mir sicher, dass sie zu nichts führen.

Wir wurden von unseren Ausbildern trainiert, in Sekundenbruchteilen das Kampfgeschehen zu erfassen und dann instinktiv zu handeln. Wäre das nicht so, dann wären wir längst tot, denn wir haben keine Wahl. Jedem in unserem Team wurde eine Rolle zugewiesen und das haben wir nicht selbst zu entscheiden. Das entscheidet allein die Sektion 0.

Sie hat entschieden, dass Asha unser Doc ist, Jesse der Fernkämpfer und ich der Nahkämpfer. Keiner kann aus seiner Rolle schlüpfen und sich vielleicht eine harmlosere erwählen. Würde er das tun, dann flöge er aus dem Team.

Jesse hält immer noch mein Handgelenk fest. Seine Finger sind ganz warm und ich blicke zu ihm auf.

„Wie lange war ich bewusstlos?“

„Drei Tage!“, sagt er nachdenklich.

„Und du?“, frage ich.

„Ich war bei dir, wann immer es Asha erlaubt hat. Sie meinte, der Tod hat an deine Tür geklopft, aber du hast ihm nicht aufgemacht. Mensch Freija, du hast so viel Blut verloren. Zum Glück verträgt dein Körper die synthetischen Blutreserven so gut. Asha meinte, wir haben von deinen Eigenblutspenden nur eine Einzige angerührt. Es fließt jetzt roter Konservensaft durch deine Adern. Kein Wunder, hörst du dich so blechern an.“

Er lächelt, schaut aber gleich wieder todernst.

„Wir haben eigentlich erst in drei Tagen mit dir gerechnet. Die Bestie hat dich übel zugerichtet. Ich soll dir von Asha ausrichten, dass Heldenhaftigkeit eine Todesart ist und keine Lebensart.“ Ich lächle vor mich hin, während mir Jesse den Schlauch aus dem Handrücken herauszieht und den Monitor über meinem Kopf abschaltet.

„Darfst du das denn?“

„Asha meinte, dass sei das Erste was ich tun soll, weil du sowieso gleich aufstehen würdest.“ Gute, alte Asha. Sie versteht mich besser als jeder andere im Skygate. Auch besser als Jesse. Plötzlich knurrt es in meinem Bauch.

„Ich habe Hunger. Mein Magen knurrt“, sage ich jetzt.

Jesse nickt und legt mir einen weißen Bademantel auf das Bett.

„Das Magenknurren steht nicht für Hunger, sondern kommt aus dem Darm und bedeutet, dass er beginnt sich selbst zu reinigen.“

„Jesse könntest du dir das bitte abgewöhnen, so ein alter Klugscheißer zu sein.“

„Ich sage Gouch Bescheid. Erst einmal etwas leicht Verdauliches für den Anfang“, mit diesen Worten verlässt er pikiert die Krankenstation.

Ich habe es gerade geschafft, mich aufzusetzen und mir den Bademantel umzulegen, als Asha ins Zimmer kommt. Sie sieht todmüde und schwermütig aus.

„Freija? Freija!“, rügt sie mich. „Du sollst doch warten, bis ich dich durchgecheckt habe!“

Ich werde es wahrscheinlich nie restlos begreifen, wie ein so junges und zartes Mädchen wie Asha unser Doc werden konnte. Sie ist gerade mal dreizehn, wird bald vierzehn, kann allerdings mit Faden, Nadel und Spritze besser umgehen als alle anderen vor ihr.

Sie ist jetzt erst ein starkes Jahr in unserem Team. Länger als manch anderer vor ihr, geht es mir durch den Kopf. Viele sterben zu früh. Viel zu früh. Kein Kind sollte so früh sterben müssen.

Sie ist mein Liebling, weil sie so herzlich ist, weil sie mich immer wieder so professionell zusammenflickt, weil sie die schlimmsten Verletzungen anschaut, als wären es nur interessante Käfer, die über den Boden krabbeln, und vielleicht auch, weil wir uns so ähnlich sind.

Sie trägt ihre blonden Haare gerne zu einem Zopf gebunden, so wie ich. Naja, ich habe es ihr auch gezeigt, wie es geht. Ich habe ihr den ersten Zopf gebunden, weil sie sich immer ununterbrochen ihre Haare aus dem Gesicht gepustet hat, während sie fieberhaft meine Haut zunähte. Ihre helle Haut, die blauen strahlenden Augen, die kleine Stupsnase - wir könnten Zwillingsschwestern sein, wären da nicht die vier Jahre Altersunterschied zwischen uns.

„Das, was ich jetzt brauche, ist eine Dusche.“

Die Tage, die ich im künstlichen Koma im Bett lag, haben ihre Geruchsspuren hinterlassen, und wenn ich etwas außer den Bestien nicht ausstehen kann, dann ist es dieser muffige Geruch nach kaltem, klebrigem Schweiß und ungewaschener Haut. Einfach nur ekelhaft.

Ich ziehe mir das weiße Nachthemd aus und schleppe mich, mit noch etwas wackeligen Beinen, in die Duschkabine. Es ist mir egal, dass die ersten Liter, die aus dem Duschkopf auf mich niederprasseln, eiskalt sind. Sie sind definitiv nicht kälter als die Bestien und es ist eine willkommene Erfrischung. Ich zucke nicht einmal zusammen und das eisige Wasser auf meiner Haut ist fast wie eine Gehirnwäsche.