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Im Lande des Mahdi I

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Im Lande des Mahdi I
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Erstes kapitel: Ein Chajjal

Die Siegreiche, »EI Kähira« und »Bauwaabe el bilad esch schark«, das Thor des Orientes, so nennt der Ägypter die Hauptstadt seines Landes. Wenn die erstere Bezeichnung längst nicht mehr am Platze ist, so besteht die zweite doch zu vollem Recht. Kairo ist wirklich die Pforte des Ostens. Als solche ist diese Stadt dem Andrange occidentaler Einflüsse am meisten ausgesetzt, und die einst»Siegreiche«ist so altersschwach geworden, daß sie demselben kaum mehr zu widerstehen vermag. Sie wird von Jahr zu Jahr fränkischer, und da, wo ein hochgestellter Europäer einfach niedergestochen wurde, nur weil er behauptete, daß der Sultan die Aja Sofia in Stiefeln betrete, da kann heutzutage jeder Giaur die fünfhundertdreiundzwanzig Moscheen Kairos besuchen, ohne gezwungen zu sein, seine Füße zu entblößen.

Shepheards Hotel, das »Neue Hotel«, das Hotel d‘Orient, das Hotel du Nil, das Hotel des Ambassadeurs und zahlreiche öffentliche Kosthäuser, Cafés und Restaurants bieten dem Fremden vollständige Befriedigung aller Bedürfnisse, welche die Heimat ihm anerzogen hat; aber viel, sehr viel muß er dafür bezahlen, und wer, wie ich, nicht gerade über die Einkünfte eines englischen Lords verfügt, dem ist anzuraten, sich von diesen Versammlungsorten europäischer Krösusse möglichst fern zu halten.

Freilich ist dieser Rat viel leichter gegeben, als er befolgt werden kann, denn wer als Fremder die angegebenen Häuser meiden und doch in Kairo leben will, der ist gezwungen, sich bei Eingebornen einzumieten und muß, wenn er sich nicht täglich und stündlich betrügen lassen will, die Verhältnisse des Landes genau kennen und wenigstens leidlich gut arabisch sprechen. Auf die Ehrlichkeit der Dolmetscher und Diener darf niemand sich verlassen. Ja, man kann einem Diener ein Vermögen anvertrauen und wohl darauf rechnen, daß er nichts entwendet; dafür aber wird er bei jedem kleinen Einkaufe, den er zu besorgen hat, seinen Herrn um einige Para oder gar Piaster betrügen, und solche Verluste, so unbedeutend sie im einzelnen sind, ergeben mit der Zeit eine ansehnliche Summe.

Mit den Dolmetschern ist es noch schlimmer. Geht einer, der die Sprache nicht kennt, mit seinem Dragoman auf den Bazar, so kann er annehmen, daß der letztere mit jedem Verkäufer gemeinschaftliche Sache machen und seinen Gewinnanteil sich später holen werde. Wird doch selbst der Landeskundige höchstens die Hälfte oder gar den dritten Teil der Summe, welche man von ihm fordert, bieten. Um dies zu erproben, nahm ein Franzose, welcher sehr gut arabisch sprach, dies aber verheimlichte, einen Dragoman mit in einen Waffenladen. Er war kaum eingetreten und hatte die gebräuchliche Tasse Kaffee noch nicht erhalten, so hörte er den Händler zu dem Dolmetscher sagen: »Bruder, aber wollen wir dieses christliche Schwein betrügen! Er soll schlechte Sheffielder Ware bekommen und dennoch die Preise von Damaskus zahlen. Den Gewinn teilen wir.« Wie erstaunten beide, als der Franzose ihnen nun im schönsten Arabisch erklärte, daß er weder ein Schwein sei, noch überhaupt die Absicht gehabt habe, hier etwas zu kaufen!

Zwar schreibt ein berühmter Reisender:

»Früher mußte man selbst für alle Bedürfnisse sorgen und wie eine Köchin Reis und Erbsen, Rauchfleisch, Hühner und tausenderlei andere Viktualien, welche in schaudererregender Weise von den Reisehandbüchern aufgezählt werden, einkaufen. Seit Jahren übernimmt der Dragoman alles das und noch weit mehr. Man macht mit ihm einen Kontrakt, nach welchem er sich verpflichtet, so und so viel Gänge für Frühstück und Mittagsmahl und außerdem Licht und Wäsche, Bedienung und Beförderungsmittel zu liefern. Die Verträge werden auf dem Konsulate der Nation, welcher man angehört, geschlossen, und das ist nicht nur für die Sicherheit beider Teile, sondern auch deswegen vortrefflich, weil der gewinnsüchtige Führer sehr wohl weiß, daß er infolge schlechter Erfüllung seiner Obliegenheiten durch den Konsul, bei dem man sich stets, bevor man sich ihm anvertraut, nach seinem Rufe erkundigt, in seiner fernern Thätigkeit gefährdet, ja selbst ruiniert werden kann. Offener Betrug kommt fast niemals vor, während die verschmitzten Araber bei der Schließung des Kontraktes Vorteile zu erringen und Verpflichtungen von ihren eigenen auf die Schultern der Reisenden mit einer Klugheit zu übertragen verstehen, die eben nur ihrer Rasse eigen ist.«

Aber er giebt mit den letzten Worten die Pfiffigkeit dieser Leute zu, und es ist meines Erachtens ganz gleichgültig, ob ich gleich beim Eingehen des Kontraktes oder später über das Ohr gehauen werde. Übrigens ist derjenige, welcher einen solchen Vertrag abschließen kann, wohl zu beneiden, denn es müssen ihm Mittel zur Verfügung stehen, die nicht jeder andere Reisende besitzt. So und so viele Gänge für Frühstück und Mittagsmahl, Hühner und tausenderlei andere Viktualien, Wäsche und Licht! Wohl dem, der in dieser Weise reisen kann! – —

Ich war bei meiner Ankunft im Hotel d‘Orient abgestiegen und hatte mir das billigste Zimmer geben lassen; es sollte mir nur für heute als Wohnung dienen. Dann ging ich aus, um mich nach einem Privatlogis umzusehen. Das Hotel liegt an der Esbekijeh, dem schönsten freien Platze der Stadt. Dieser bildete früher zur Zeit der Nilüberschwemmung eine weite Wasserfläche. Mehemed Ali ließ ihn, um das Wasser von der Mitte fern zu halten, mit einem Kanale einfassen, an dessen Ufern man Bäume pflanzte. Ismail Pascha befahl, den ganzen Raum mit Erde zu bedecken, so daß er nun ebenso hoch liegt wie die übrige Stadt. Ein Teil wurde mit Gebäuden besetzt und der andere in einen Garten mit Kaffeehäusern, Theatern und Grotten umgewandelt. Nachmittags finden hier oft Konzerte statt. Auf der Ostseite liegen die Paläste der Ministerien des Äußern, des Innern und der Finanzen; auf der Südseite erblickt man das Theater und das Opernhaus. Dieser Garten hat eine Fläche von 32000 Quadratmetern, und wer auf diesem weiten Raume die Unzahl der vorhandenen Restaurants, Bierhallen, Liqueur- und Eisbuden, Musikhäuser, Kaskaden und Gaskandelaber erblickt, der würde nicht glauben, sich an der »Pforte des Orients«zu befinden, wenn er nicht durch die überall grünenden und blühenden kostbaren Pflanzen der südlichen Zone daran erinnert würde.

Ich wendete mich südöstlich nach der Muski. Dies ist das alte Frankenviertel, wo, und zwar unter Saladin, die Christen zuerst die Erlaubnis zum Wohnen erhielten. Hier sind die meisten und größten europäischen Läden; hier ist der Verkehr am regsten und infolge dessen das Gedränge am dichtesten. Die Straße ist freilich ziemlich eng und dumpfig, aber ehe die drei »fashionablen« Stadtteile, die nordwestliche Esbekijeh, das westliche Ismailia und das südliche Abdin entstanden, war sie die einzige erträglich breite Straße in ganz Kairo. Hier hat noch alles einen europäischen Anstrich; nur einige alte, arabische, flache Dächer, der echt ägyptische Schmutz und der überall wahrnehmbare Trümmer- und Wüstengeruch erinnern einen, wo man sich befindet.

Will man den unverfälschten Orient sehen, so muß man sich in eines der arabischen Viertel begeben, und dazu bedarf es keines weiten Weges. Ich erinnerte mich meines frühern Aufenthaltes in Kairo und bog in eine enge Seitengasse ein. Sie mündete in eine andere Gasse, und als ich diese erreichte, winkten mir von der alten Lehmmauer eines niedrigen Hauses die vier Inschriften entgegen:

Beer-house

Cabaret à bière

Birreria

Bira, ingliziji we nimsawiji, also englisch, französisch, italienisch und arabisch. Die vierte Zeile war natürlich in arabischer Schrift geschrieben. Ich blieb stehen und betrachtete das Lokal. Das Aussehen desselben stieß mich ab, aber das Wort Bier zog mich an. Das Haus hatte weder Thüre noch Fenster. Die vordere Seite desselben bestand aus zehn hölzernen, vielfach zersprungenen Säulen, welche den obern Teil der Wand trugen. Hinter diesen Säulen lag das also nach der Straße offene Bierlokal. Man sah die wenigen Gäste rauchend auf Stroh- und Bastmatten sitzen oder auf hölzernen Marterfallen hocken, welche höchst wahrscheinlich Stühle sein sollten. Ein unendlich dicker Kerl, welcher auf einem solchen Sitze schwitzte, sah, daß ich mich bedachte; er winkte mit beiden Händen, grinste mir höchst freundlich zu und rief:

»Gel tschelebi, gel tschelebi! Arpa suju pek eji, pek eji – kommen Sie, Herr, kommen Sie! Das Bier ist sehr gut, sehr gut.« – Das war türkisch; der Mann war also ein Osmanli. Als ich seiner Aufforderung nicht sofort folgte, hielt er mir mit der linken Hand die Flasche entgegen und winkte mit der rechten so angelegentlich, daß sein schwerer, faßförmiger Leib in schütternde Bewegung kam; das konnte der Stuhl, welcher ohne Lehne war und schusterschemelartig nur aus drei dünnen Beinen und einem dünnen Sitze bestand, nicht aushalten; er knackte zusammen, und der Dicke fuhr mit einem lauten Krach zur Erde nieder. » O jarik, o göküm, o babaiarim, o tenim, o azalarim, o bukalim – o wehe, o mein Himmel, o meine Väter, o mein Leib, o meine Glieder, o meine Flasche!« zeterte er, indem er die Linke hoch empor hielt, aber keinen Versuch zum Aufstehen machte.

Ich sprang hinzu und konnte mich zunächst nur davon überzeugen, daß sein letzter Ausruf »o meine Flasche!« sehr begründet war. Er hatte sie an einer der erwähnten Säulen zerschlagen und hielt nur noch den leeren Hals in der Hand. Der Inhalt hatte sich über sein Gesicht und seinen ganzen Anzug ergossen. Die andern Gäste blickten lächelnd herüber, aber keiner von ihnen machte Miene, herzukommen, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein.

»Zarar onlarinwar – sind Sie verletzt?« fragte ich ihn, indem ich ihm den Flaschenrest aus der Hand nahm und ihn mit meinem Taschentuche abtrocknete.

»Azalarim dschümle kyrmysch – alle meine Glieder sind zerbrochen!« antwortete er, indem er, auf dem Rücken liegend, beide Arme und beide Beine emporhielt.

 

»Das glaube ich nicht,« tröstete ich ihn; »wären Sie an den Gliedern verletzt, so könnten Sie nicht diese für Sie so schwierige Stellung einnehmen. Versuchen Sie doch, einmal aufzustehen!«

Ich nahm ihn bei den Händen und zog – zog – zog mir fast das Leben heraus, vergeblich! Da kam ein junger, schwarzer Mensch herbei, jedenfalls der Sufratschil [Kellner]; er hatte ein Kohlenbecken in der Hand, mit dessen glühendem Inhalte er die Tschibuks der Gäste in Brand zu setzen pflegte. Der junge besaß ein Gesicht wie einer, der zu jedem tollen Streiche geneigt ist. Er faßte mit der Zange eine brennende Kohle und hielt sie dem Dicken so nahe unter die Nase, daß der Schnurrbart hörbar zu sengen begann. Im Nu war der Türke auf und langte dem Knaben ein solches Bakschisch hinter die Ohren, daß dieser das Becken fallen ließ und schreiend im Hintergrunde verschwand.

» Sakalim, Byjykym güzel – mein Bart, mein schöner Schnurrbart!« schrie der Dicke ingrimmig, indem er die maltraitierte Zierde mit beiden Händen liebkoste. »Wie kann dieser Neger sich an dem Schmucke meiner Männlichkeit vergreifen! Allah brate ihn dafür im tiefsten Winkel der Hölle!«

Jetzt, da er aufgerichtet vor mir stand, konnte ich ihn genau betrachten. Er war nicht zu hoch, aber, wie bereits gesagt, von desto größerem Körperumfang. Sein Gesicht zeigte eine tiefere Röte als nur diejenige der Gesundheit; es hatte den Ausdruck der Ehrlichkeit, und wenn seine Augen jetzt auch zornig funkelten, so schienen sie doch geeignet zu sein, bei anderer Stimmung freundlicher blicken zu können. Sein Alter schätzte ich auf höchstens fünfunddreißig Jahre. Sein Anzug glich genau dem meinigen, weite türkische Schalwar [Hose], eine Weste und kurze Kubaran [Jacke mit Stehkragen], Fez, ein Halstuch unter dem Hemdenkragen und ein Gürteltuch, an den Füßen leichte Stiefeletten, nur daß meine Kleidung von mittelgrauer Farbe, die seinige aber dunkelblau und mit vielen goldenen Tressen und Schnüren verziert war. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der mit dem Inhalte seines Beutels nicht zu geizen braucht.

Jetzt betastete er seinen Körper hinten und vorn, von oben bis unten, und als er erkannte, daß er mit heiler Haut und einigen versengten Schnurrbarthaaren davongekommen sei, erheiterte sich sein Gesicht. Er streckte mir die Hand entgegen und sagte, indem er mir die meinige herzlich schüttelte:

»Allaha schücke, szagh im! Bu wakyt n‘asl idiniz – Gott sei Dank, ich bin gesund! Wie ging es Ihnen diese Zeit?«

»Diese Zeit?« fragte ich erstaunt. »Sie kennen mich, wie es scheint?«

»Und Sie mich nicht?«

»Ich kann mich wirklich nicht erinnern.«

»Ich glaube es, denn Sie haben damals nicht mit mir gesprochen. Setzen wir uns! Sie sind ein Deutscher und werden gern ein Glas Bier trinken. Ich habe Sie gerufen, und Sie müssen die Güte haben, mein Gast zu sein.«

Er setzte sich auf einen festern Stuhl, und ich nahm ihm gegenüber Platz. Welch ein Zufall! Kaum hatte ich in Kairo den Staub des Dschebel Abu Tartur von mir geschüttelt, so traf ich einen Türken, welcher mich kannte und gar nicht übel von mir zu denken schien! Ich war äußerst neugierig, zu erfahren, wer er war und wo er mich gesehen hatte.

» Ja walad, dschib schischaten – he, Junge, bringe zwei Wasserpfeifen!« rief er nach hinten.

Der Negerknabe kam zaudernd herbei und stellte die Pfeifen mit möglichst langen Armen auf den Tisch; er hatte Angst vor einer Wiederholung der Ohrfeige, welche er erhalten hatte. Als er sah, daß der Türke keine zornige Notiz von ihm nahm, faßte er Mut, uns Kohlen zu reichen. Die Köpfe waren mit Tembek gefüllt, einem schweren persischen Tabake, welcher nur aus dem Nargileh geraucht wird.

» A‘tina kizazaten bira nimsawijii – gieb uns zwei Flaschen

österreichisches Bier!« lautete nun der weitere Befehl. Das war eine Höflichkeit gegen mich; ich als Deutscher sollte österreichisches und kein englisches Bier trinken. Desto unhöflicher verhielt er sich gegen den jungen, denn kaum hatte dieser die Flaschen und die beiden Gläser vor uns hingestellt, so bekam er eine so kräftig verbesserte Auflage der ersten Kaffl [Ohrfeige], daß er wie eine Forelle blitzschnell quer durch den Raum und hinten zur Thüre hinausflog.

»Bu-war partschasi – der hat seinen Teil!« sagte der Türke lachend, indem er die Flaschen öffnete, um sich und mir einzugießen. Der Mann trank jedenfalls nicht zum ersten Male mit einem Abendländer, denn er stieß ganz regelrecht mit mir an. Es war Pilsener Bier, ja wirklich Pilsener, und wenn ich mich nicht irre, aus der bürgerlichen Brauerei! Liebster Orient, es wird mir langsam angst um dich! Aber trinke nur weiter, trinke immer Bier; das ist besser als der scharfe Araki, der dir das Blut vergiftet und die Nerven tötet, obgleich Muhammed ihn nicht so wie den Wein verboten hat!

Als wir getrunken hatten und die Pfeifen sich in Gang befanden, musterte der Türke mich mit einem Blicke, welcher von freundlicher Hochachtung zeugte, und sagte dann:

»Sie kennen mich nicht; darum muß ich Ihnen meinen Namen sagen. Ich heiße Murad Nassyr und wohne in Nif bei Ismir‘. Ich bin Bazirgijan [Kauf-und Handelsmann]und habe mehrere Schiffe gehen. Mein Mekteb [Comptoir]befindet sich in Ismir [Smyrna]; meine Niederlagen aber sind in Nif. 0, Effendi, ich habe da schöne, sehr schöne und wertvolle Sachen, an denen sich mancher Pascha erfreut!«

Bei diesen Worten legte er die Spitzen des Daumens und des Zeigefingers an den Mund, küßte sie, schloß die Augen und schnalzte mit der Zunge, als ob er an etwas außerordentlich Schönes denke. Dann fuhr er fort:

»Aber ich bin nicht nur Bazirgijan, sondern auch Krieger. Ich habe auf meinen Reisen oft die Waffen zu führen, und es giebt keinen Menschen, der sich rühmen könnte, mich jemals besiegt zu haben. Mein Name wird Ihnen das schon sagen.«

Er hatte das mit großem Stolze gesprochen und sah mich nun erwartungsvoll an, was ich dazu sagen würde.

»Ihr Name?« fragte ich. »Meinen Sie Murad oder Nassyr?«

»Nassyr natürlich.«

»Nun, dieses Wort hat ja gar nichts mit Tapferkeit zu thun, denn es bedeutet eine Verhornung der Zehenhaut, eine Krankheit der Zehen, welche oft so schmerzhaft ist, daß man Gesichter schneidet, die gar nicht heldenhaft sind.«

Das türkische Wort bedeutet nämlich das liebliche deutsche Hühnerauge.

»Allah, Allah!« rief er aus. »In was für einem Irrtume befinden Sie sich! Das Wort bedeutet ja Sieger!«

»Das arabische Nassyr ist Sieger, nicht aber das türkische Nassyr. Sie müßten Ghalib, Fatih oder Genidschi heißen.«

»Effendi, wollen Sie mich beleidigen oder meine Wangen schamrot machen? Wie können Sie als Deutscher den Namen eines Mannes, dessen Ahnen unter den berühmtesten Sultanen ruhmvoll gekämpft haben, besser beurteilen können, als er selbst.«

»Nun gut, so irre ich mich,« lenkte ich höflich ein. »Verzeihen Sie meine Unwissenheit!«

»Ich verzeihe,« antwortete er befriedigt. »Und nun will ich Ihnen auch sagen, wo ich Sie gesehen habe. Es war in Dschezaïr [Algier], wo mein Schiff vor Anker lag. Kennen Sie dort einen französischen Kaufmann Namens Latréaumont?«

»Allerdings.«

»Sie saßen in einem Kaffeehause der Straße Bab-Azoun. Auch ich kam hin und bemerkte, daß Sie von den Anwesenden unausgesetzt betrachtet wurden. Man sprach leise von Ihnen, und als Sie fort waren, erkundigte ich mich. Ich erfuhr, daß Sie der Deutsche seien, der den Sohn Latréaumonts, welcher überfallen und tief in die Sahara geschleppt worden war, mitten aus der Schar der Henker herausgeholt hatte. Ich habe mir Ihr Gesicht genau gemerkt und Sie, als ich Sie vorhin erblickte, sofort erkannt.«

»Ich kann nicht leugnen, daß ich allerdings dieser Deutsche bin; doch hat man das, was ich that, durch das Churdebin [Mikroskop,Vergrößerungsglas,]betrachtet.«

»Nein, denn ich weiß, daß Sie die ganze große Gum [Raubkarawane]vernichtet haben; es ist Ihnen nicht ein einziger der Imoscharh oder Tuareg entkommen.«

»Ich war ja nicht allein!«

»Ein Engländer und zwei Diener waren mit Ihnen; das ist alles. Ich mußte später in Geschäften zu Latréaumont, und er hat mir die Geschichte ausführlich erzählt. Effendi, wo kommen Sie jetzt her?«

Vom Bir Haldeh im Gebiete der Uelad Ali.«

»Und wo wollen Sie hin?«

»Nach Hause.«

»Nach Deutschland? Werden Sie dort erwartet, oder haben Sie dort notwendige Geschäfte? Ein Effendi wie Sie kann aber doch keine Geschäfte haben!«

Er erwartete meine Antwort mit dem Ausdrucke großer, offen gezeigter Spannung im Gesicht.

»Nun, Geschäfte habe ich freilich nicht, und gerade mit Ungeduld erwartet mich auch niemand.«

»So bleiben Sie hier; bleiben Sie, und reisen Sie mit mir!«

»Wohin?«

»Nach dem Sudan, nach Chartum.«

Welches Anerbieten! Eine Reise da hinauf wäre die Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches gewesen, aber leider konnte ich keinen andern Bescheid geben als:

»Ich kann nicht; es ist mir unmöglich, zu bleiben; ich muß heim.«

»Warum aber, da weder ein Geschäft noch ein Mensch Sie ruft?«

»Dieser hier treibt mich fort,« antwortete ich, indem ich auf die Tasche schlug und den Lederbeutel zog, um ihm denselben vor der Nase zu schütteln. »Soll ich Ihnen die Krankheit, an welcher diese Börse leidet, türkisch oder arabisch nennen? Es ist die Sill, die Zajyflanmal [Schwindsucht], ein Übel, welches nur in der Heimat geheilt werden kann. Das heißt mit anderen Worten, daß mein Geld nur noch zu einem kurzen Kamelritt nach Suez und dann zur schleunigen Heimkehr reicht.«

Ich erwartete natürlich ganz bestimmt, daß er nun die Angelegenheit auf sich beruhen lassen werde, hatte mich aber geirrt, denn er meinte:

»O, Ihnen kann es nicht am Gelde fehlen. Wenn Sie zur Bank von Ägypten in der Muski, zu Oppenheim und Compagnie in der Esbekijeh oder zu Tod, Rathbone und Compagnie am Rosette-Garten gehen, so bekommen Sie sofort, was Sie verlangen. Ich kenne diese Leute.«

»Aber sie kennen mich nicht!«

»So gebe ich Ihnen ein Kiaghat [Zettel, Anweisung]mit!«

»Ich danke! Ich borge nicht. Ich bin nicht so reich wie Sie und kann nicht weiter reisen, als meine Kasse reicht.«

»Sie wollen also wirklich nicht?«

»Nein.«

»Schade, jammerschade!« meinte er, indem sein Gesicht den Ausdruck des aufrichtigsten Bedauerns zeigte. »Sie wären der Mann gewesen, den ich brauchen könnte. Ich freute mich als ich Sie sah, und nahm mir sofort vor, wenn Sie nichts anderes vorhätten, um Ihre Begleitung zu bitten.«

»Sie hätten mich brauchen können?«

»Ja.«

»wozu?«

»Allahl Das fragen Sie noch? Ich will nach Chartum, um meine Schwester ihrem Nischanly [Bräutigam]zuzuführen. Sie hat einige Dienerinnen bei sich, und ich muß mir Leute mieten, auf welche ich mich verlassen kann. Denken Sie, die lange und gefährliche Fahrt auf dem Nile und die halbwilden Araberstämme, durch deren Gebiet wir kommen! Ein Mann wie Sie, der es mit der Gum, mit einer ganzen Schar blutgieriger Tuareg aufgenommen hat, der fürchtet sich nicht. Haben Sie die Gewehre mit, welche Sie damals bei sich hatten?«

»Ja.«

»Nun, so überlegen Sie es sich! Die Reise soll Ihnen keinen Para kosten; ich werde für alles sorgen. Bezahlung, wie einen Diener, darf ich Ihnen freilich nicht bieten; aber ich werde da oben Geschäfte machen, gute Geschäfte, welche viel Geld einbringen, und wir wollen beraten, welchen Teil des Gewinnes Sie erhalten sollen.«

Das war ein Wort! Ich gestehe aufrichtig, daß ich am liebsten gleich ja gesagt hätte, doch erkundigte ich mich:

»Welche Geschäfte sind es, die Sie im Sinne haben?«

Er zwinkerte mit den Augen, und sein Gesicht nahm einen so listigen Ausdruck an, wie ich ihm gar nicht zugetraut hätte.

»Können Sie sich das nicht denken?«

»Nein.«

»Etwa Reqiq machen?«

Er blickte mir mit gespannter Erwartung in das Gesicht. Reqiq heißt Sklaven. Ich antwortete schnell:

»Dazu würde ich meine Hand niemals bieten; ich bin ein Christ! Übrigens sind die Sklavenjagden vom Khedive jetzt verboten.«

Sein Gesicht nahm den früheren unbefangenen Ausdruck an, als er antwortete:

»Ein professionierter Sklavenjäger fragt nicht nach dem Verbote des Khedive; aber ich bin keiner und kann auch gar nicht die Absicht haben, Neger zu fangen. Ich habe vielmehr mein Augenmerk auf Straußfedern, Gummi, Weihrauch, Sennesblätter, Büffelhörner und Elfenbein gerichtet. Von dem allen giebt es in Chartum große Vorräte, und ich habe die Absicht, bedeutende Einkäufe zu machen. Halten Sie das für eine Sünde, für gegen Ihre Religion?«

»Ganz und gar nicht.«

»So reisen Sie mit. Schlagen Sie ein!«

Er hielt mir seine Hand entgegen.

»Die Zeit ist zu kurz, und wir kennen uns nicht,« bemerkte ich.

 

»Ich kenne Sie und wiederhole: Sie sind der Mann, den ich brauche. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie keinen Schaden davon haben werden. Sie werden ganz im Gegenteile bei Ihrer Rückkehr in die Heimat dann einen stark gefüllten anstatt einen leeren Beutel mitbringen.«

Dieses Argument war, wenn nicht gerade maßgebend, so doch aufmunternd. Wenn nur nicht der gar so pfiffige Blick gewesen wäre, mit welchem er vorhin meiner Antwort entgegengesehen hatte! Dieser hatte mich trotz des ehrlichen Gesichtes des Türken mißtrauisch gegen ihn gemacht. Es war mir ganz so, als ob es ihm sehr recht gewesen wäre, wenn ich mich nicht als Gegner des Sklavenhandels zu erkennen gegeben hätte. Darum gab ich ihm jetzt den Bescheid:

»Die Sache eilt nicht so sehr. Geben Sie mir Bedenkzeit!«

»Ganz gern, Effendi. Aber ich denke, Sie wollen nach Suez, falls wir nicht einig werden. Wann würden Sie dahin gehen?«

»Uebermorgen oder den Tag darauf.«

»Nun, so haben wir ja Zeit. Darf ich fragen, wo Sie wohnen?«

»Eigentlich wohne ich noch gar nicht. Ich habe meine wenigen Effekten im Hotel liegen und ging jetzt aus, mir ein Privatlogis zu suchen.«

»Und Sie haben noch keins gefunden?«

»Weder gefunden noch überhaupt gesehen, da Sie gleich bei Beginn meiner Entdeckungsreise die Güte hatten, mich hierher zu winken.«

»Das ist sehr gut; das ist vortrefflich, denn ich habe eine Wohnung für Sie; es fragt sich nur, welche Ansprüche Sie machen.«

»Wenig oder gar keine. Ich brauche eine einfache Stube, mit einem Teppich oder auch nur mit ganz gewöhnlichen Decken belegt. Nur reinlich muß sie sein. Und wenn es einen kleinen, freien Hofraum, in welchem man einen Mund voll frische Luft nehmen kann, dabei giebt, so bin ich mehr als zufriedengestellt.«

»Das sind freilich sehr geringe Ansprüche!«

»Wer gewöhnt ist, auf seinen Reisen unter freiem Himmel zu schlafen, der kann hier in der Stadt seine Bedürfnisse leicht mäßigen.«

»Das ist gar nicht notwendig. Sie können wohnen wie ein Pascha. Das Logis, welches ich Ihnen empfehlen will, ist ein sehr feines. Sie können drei Zimmer haben, mit denen ein Minister höchst zufrieden sein würde.«

»Danke sehr! Ich bin kein Minister und lebe auch nicht auf dem Fuße eines solchen. Gerade weil die Wohnung, weiche Sie mir empfehlen, eine so feine ist, paßt sie nicht für mich und – — für meinen Beutel.«

»O, sie paßt ganz gut, denn Sie haben nicht einen Piaster zu bezahlen.«

»Pah! Wer vermietet drei Zimmer, ohne Bezahlung zu verlangen?«

»Wer? Ich, Effendi, ich!«

»Sie selbst? Besitzen Sie denn ein Haus in Kairo?«

»Nein; aber ich habe mir eins gemietet. Aus Geschäftsrücksichten und wegen der Vorbereitungen zur Reise war ich gezwungen, wenigstens drei Wochen in Kairo zu bleiben. Und weil ich den Harem meiner Schwester bei mir habe, konnte ich weder in einem Hotel noch in einem Privathause sein, welches noch von andern Leuten bewohnt wird; ich mußte mir also ein ganzes Haus mieten, was eine sehr schwere Aufgabe war. Endlich fand ich ein passendes Gebäude, zwei Straßen von hier. Der Besitzer ist ein sehr reicher Mann gewesen und hat seine ganze, prächtige Einrichtung zurückgelassen.«

»Und da haben Sie drei Zimmer übrig?«

»Noch mehr, wenn Sie wollen. Das Haus ist groß und weit, und ich bewohne es ganz allein; da giebt es Stuben, welche wir nie betreten. Es ist ein eigentümliches Gefühl, ein so weitläufiges Gebäude allein zu bewohnen; darum würden Sie mir einen wahren Gefallen erweisen, wenn Sie zu mir ziehen und auch an meinen einsamen Mahlzeiten teilnehmen wollten.«

»Hm! Dieser Vorschlag kommt mir nicht unannehmbar vor. Darf ich mir die betreffenden Zimmer einmal ansehen?«

»Ganz gern! Wenn es Ihnen recht ist, werden wir sofort aufbrechen. Junge, ich will bezahlen!«

Er rief diese letzten Worte nach hinten. Der Negerknabe steckte den Kopf zu der dort befindlichen Thüre herein und zog ihn wieder zurück. Er befürchtete eine nochmalige Wiederholung der Züchtigung und kam nicht, sondern schickte den Wirt. Der Dicke hatte für die Flasche Bier sieben Piaster, also über zwölf Groschen zu bezahlen; er murrte aber nicht über diesen Preis, sondern ließ dem Knaben noch einen Piaster Bakschisch einhändigen. Er schien ein Liebhaber des deutschen Gerstensaftes zu sein und meinte, daß wir dann, wenn ich die Wohnung angesehen hätte, wieder nach hier zurückkehren könnten.

Unterwegs erfuhr ich, daß er seine ganze freie Zeit in diesem Bierhause zuzubringen pflege, weil das Getränk ein ausgezeichnetes und der Verkehr vor dem Hause ein sehr unterhaltender sei. Die Straße verbreiterte sich nämlich dort auf eine kurze Strecke, was zur Folge hatte, daß der echt orientalisch laute Handel und Wandel sich besser entwickeln konnte. Man hatte von dem Bierhause aus einen sehr interessanten Blick auf das Treiben der bunten Masse; das mochte Murad Nassyr angezogen haben.

Wir kamen in die Gasse, in welcher er wohnte. Es war eine Sackgasse, wie es deren viele in Kairo giebt. Die Häuser derselben sahen gar nicht sehr einladend aus, was aber keineswegs auf das Innere schließen ließ. Es giebt Gebäude, welche auf der Straßenseite fast Ruinen gleichen und im Innern wahre Paläste sind. Der Orientale verheimlicht, ganz im Gegensatze zu dem Abendländer, alles, was sich auf seine Häuslichkeit und sein Familienleben bezieht. Das mag seine guten Seiten haben, läßt aber keine soziale Entwicklung, keinen bürgerlichen Zusammenhalt, kein gesellschaftliches Vorwärtsstreben aufkommen.

Viele Häuser waren ganz fensterlos. Wo es aber Fenster gab, da waren sie ganz unregelmäßig und scheinbar gedankenlos angebracht und dazu mit dicken Holzgittern versehen. Lange Fensterreihen mit blinkenden Glasscheiben, welche dem Außenlichte freien Zutritt gewähren, darf man im Oriente nicht suchen. Eine solche Fülle des Lichtes würde höchst störend wirken.

Das Gebäude, welches die Gasse abschloß, also querüber stand, war dasjenige, in welchem der Türke sich eingemietet hatte. Die Thüre war zwar sehr hoch, aber schmal. Ein Reiter konnte hindurch, mußte aber die Füße eng an den Leib des Pferdes legen, um nicht rechts und links anzustreifen. Sie war verschlossen; neben derselben hing an einer Schnur ein hölzerner Hammer, mit welchem Nassyr klopfte.

Erst nach längerer Zeit wurde geöffnet, und zwar von einem Menschen, über dessen Gestalt ich beinahe in Schreck geraten wäre. Indem er so vor mir unter der Thüre stand und mich mit neugierigen Augen musterte, war er um mehr als einen Kopf länger als ich; aber um so schmaler war sein Körper. Seine Brust war nur anderthalb Spannen breit; aber aus jedem Arme hätte ich, die Länge derselben gerechnet, zwei für mich machen können. In diesem Verhältnisse war sein Leib, war jedes Glied und auch das Gesicht gestaltet, lang, ewig lang, aber erschreckend schmal. Seine Nase war wenigstens sechs Zoll lang und dabei so scharf, daß man sie als Schnitzmesser hätte gebrauchen können. Das Gesicht war glatt rasiert. Auf dem Kopfe saß ein Turban von einer solchen Breite, wie ich sie selbst bei den Kurden, welche doch bekanntlich die breitesten Turbans tragen, nicht gesehen hatte. Vom Halse bis nach ganz unten, so daß man die Füße nicht sehen konnte, hing ein hemdartiger Talar von weißer Farbe herab; aber was für ein Weiß!

»Dieser Mann ist Selim, mein Haushofmeister,« sagte der Türke, indem er den langen, gespensterähnlichen Kerl zurück- und mich demselben nachschob. Wir traten ein, und der geisterhafte Selim verriegelte die Thüre hinter uns. Wir befanden uns in einem engen Hausgange, aber nicht in der Mitte, sondern auf der rechten Seite des Parterres, da die Thüre auf derselben angebracht war. Sämtliche Räume lagen also links von uns. Zunächst führte Nassyr mich hinaus in den Hof, dessen Einrichtung eine wirklich kostbare gewesen, jetzt aber sehr verfallen war. Wir gingen auf Marmor. In der Mitte des Hofes befand sich ein Bassin aus demselben Stoffe, aber ohne Wasser. Die vier Seiten wurden von dem Gebäude gebildet, welches den Hof rundum einschloß. Da standen ringsum Säulen, welche das obere Geschoß trugen und zwischen oder hinter denen ich die Thüren sah, welche in die Gemächer führten. Der Türke machte eine kreisförmige Bewegung mit der ausgestreckten Hand und sagte: