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Im Lande des Mahdi I

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Zur Hausthüre kam das Gespenst nicht herein; das war gewiß, weil dieselbe mit Riegeln verschlossen war, und weil Selim dort lag. Ich war überzeugt, daß dieser Schlingel sich gerade denjenigen Ort, an welchem sich die Erscheinung nicht sehen ließ, zur Ruhestätte erwählt hatte. Der Geist stieg unbedingt über die Gartenmauer, in welcher es die schon erwähnten Breschen gab. Dort konnte man ihn kommen sehen. Trotzdem zog ich es vor, mich nicht in dem Garten zu postieren, denn vielleicht befand der Geist sich schon draußen, hätte mich bemerkt und auf seinen heutigen Rundgang verzichtet. Nun ging ich nach dem Hausflur, um nach Selim zu sehen. Er war noch nicht da, kam aber soeben die Treppe herab, mit einer kleinen Lampe in der Hand, welche ihn und die Umgebung matt beleuchtete. Alle Wetter, hatte dieser Held sich für die Geistererscheinung vorgesehen! Von jeder Schulter hing ihm eine Flinte herab; an der linken Seite schleppte ein mächtiger Sarras neben ihm her; sein langes, weißes Gewand war mit einem Tuche umgürtet, aus welchem die Griffe von einigen Messern und Pistolen blickten; in der Linken trug er die Lampe und in der Rechten ein starkes Holz, welches jedenfalls die Stelle einer Keule vertreten sollte. Als er mich erblickte, fuhr er vor Schreck so zusammen, daß ihm die Lampe entfallen wäre, wenn ich sie nicht ergriffen und festgehalten hätte.

»Laß mich in Ruh‘, laß mich in Ruh‘, o böser Geist, o Teufel!« rief er, indem die Keule seiner Hand entglitt.

»Schrei‘ nicht so, Selim!« antwortete ich. »Ich glaube gar, du hältst mich für den Geist!«

Dabei hob ich die Lampe zu meinem Gesichte empor. Als er dasselbe erkannte, meinte er im Tone größter Erleichterung und indem er tief Atem holte:

»Preis sei Allah, daß du es bist, o Effendi! Denn wenn es der Geist gewesen wäre, so hätte ich ihn auf der Stelle erschlagen!«

»Wohl mit der Keule, welche du hier weggeworfen hast?«

»Ja, mit ihr. Sie entfiel mir, als ich eben ausholen wollte. Ist der Herr schon schlafen gegangen?«

»Ja.«

»Die andern auch, und ebenso wollte ich hier mein Lager aufsuchen.«

Er nahm mir die Lampe aus der Hand und leuchtete nach der Thüre, —wo er eine alte Strohmatte ausgebreitet und darauf eine große Decke gelegt hatte, in welche er sich so einhüllen konnte, daß ganz gewiß weder er den Geist noch dieser ihn zu sehen vermochte.

»Und wo befindet sich der Neger?« fragte ich.

»Droben im Vorzimmer der Frauen, wo er sich mit ihnen verrammelt hat. Warum wandelst du hier herum, wo doch jeden Augenblick der Geist erscheinen kann?«

»Ich suchte dich. Ich wollte dich fragen, ob du nicht einige starke Schnüre oder Stricke hast.«

»Ich habe welche und werde sie gleich holen.«

Er brachte mir das Verlangte und riet mir dann, mich schlafen zu legen. Ich kehrte in meine Wohnung zurück, zunächst in das hintere Zimmer, welches erleuchtet war, und wollte nach den Kindern sehen. Sie schliefen fest. Dann ging ich in die nebenanliegende, dunkle Stube und öffnete die Thüre, welche auf die Säulenhalle des Hofes führte. Da setzte ich mich auf den Boden nieder und wartete mit großer Spannung, ob es dem Gespenst belieben werde, heute zu erscheinen.

Offen gestanden, wünschte ich, daß es kommen möge, denn ich wollte gern wissen, ob ich mit meiner Ahnung, daß es ein Mitglied, vielleicht gar der Vorsteher der Verbrüderung sei, das Richtige getroffen hätte. War es Abd el Barak, den ich, wie schon gesagt, für einen starken Menschen hielt, so galt es, vorsichtig und dabei sehr schnell zu sein. Er mußte überrascht werden. Ich wollte ihn im erleuchteten Zimmer erwarten, um zu erfahren, was er, wenn er mich erkannt hatte, machen werde. So saß ich lange Zeit; die Minuten wurden mir zu Viertelstunden. Ich hielt die Augen nach dem in den Garten führenden Durchgang gerichtet. Da hörte ich ein leises Geräusch aus jener Richtung, und von dem Dunkel der mir gegenüber liegenden Säulenhalle hob sich eine schmale, lichtere Stelle ab, welche sich bewegte. Es war eine jetzt in der Nacht grau erscheinende, also wohl weiß gekleidete Gestalt. Sie trat aus der Halle hervor und auf den offenen Hof. Aber sie war nicht allein; eine zweite und eine dritte Gestalt folgten ihr. Gab es etwa drei Gespenster? Dann war mein Verfahren nicht ganz ungefährlich. Die erste Gestalt wendete sich nach links von mir, wo die Zimmer des Türken lagen. Sie hob einen Arm empor, ein Zeichen für die beiden andern, welche sofort einen Lärm begannen, welcher dem Heulen und Pfeifen eines starken Sturmes glich. Dazu reichte der Mund nicht aus; sie mußten Instrumente haben. Ihr Treiben war für mich jetzt Nebensache; ich mußte mein Augenmerk auf den ersten richten. Dieser befand sich hinten bei der letzten Thüre. Jedenfalls schob er jetzt in der von mir vermuteten Weise den Riegel derselben zurück, um in das Zimmer zu treten. Von diesem aus wollte er die anderen Räume des Türken durchschreiten und mußte dann auch in meine Wohnung kommen. Er sollte mich dort auf dem Lager finden. Darum stand ich auf und kehrte schnell, die Thüren hinter mir verriegelnd, in mein erleuchtetes Zimmer zurück, wo ich mich auf das Kissen legte und die Decke so über mich breitete, daß mein Gesicht frei blieb. Die Negerkinder schliefen noch fest. Die Stricke hatte ich mit unter die Decke genommen.

Ich brauchte nicht lange zu warten; der entscheidende Augenblick war da. Ich hörte ein Geräusch an der zu Murad Nassyr führenden Thüre; sie wurde geöffnet, und der Geist trat ein. Er drehte sich zunächst zurück, und beim hellen Schein des Lichtes sah ich in seiner Hand einen dünnen, spitzen Gegenstand, welchen er in die schon erwähnten Löcher steckte, um den jenseitigen Riegel zuzuschieben. Der Kerl mußte seiner Sache sehr sicher sein, daß er es nicht einmal für nötig hielt, sich erst bei mir umzusehen. Ich hielt die Lider so, daß die Augen geschlossen zu sein schienen, ich aber dennoch alles deutlich sehen konnte. Dabei atmete ich ruhig wie ein Schlafender, dafür sorgend, daß meine Brust sich leicht, aber sichtbar hob und senkte.

Ich hätte mich in die Seele Murad Nassyrs hinein ärgern oder schämen mögen! Dieser Geist hatte ganz und gar nicht das landläufig angenommene Aussehen eines Gespenstes. Er war in einen langen, bis auf den Boden reichenden Burnus von weißer Farbe gehüllt, hatte die Kapuze desselben über den Kopf gezogen, und außerdem hing ihm über das Gesicht ein helles Tuch herab, in welches für die Augen zwei Löcher geschnitten waren. Das war doch kein Geist, kein Gespenst, sondern ein Mensch, welcher ganz genau die Gestalt des Abd el Barak hatte.

Draußen hatte sich das Geräusch des Sturmes in das Nachäffen von allerlei Tierstimmen verwandelt, eine wirklich kindische Art und Weise, Gespensterfurcht zu erwekken. Das konnte ich jetzt nicht beachten, denn mein Gespenst hatte sich von der Thüre weg in das Zimmer gewendet, sah sich in demselben um und kam langsam auf mich zu. Es blieb eine kleine Weile vor mir stehen, wahrscheinlich, um mich zu betrachten. Ich hätte sein Gesicht sehen mögen! Aber das war nicht möglich, weil es verhüllt war und weil ich die Augenlider nicht so weit öffnen durfte. Ich konnte durch die Wimpern nur bis dahin schauen, wo sich seine Hände unter dem Burnus befanden. Hielt er mich wirklich für schlafend? Das wäre kein gutes Zeichen für seine Intelligenz gewesen, denn der Lärm, den seine Mitgespenster draußen vollführten, hätte jeden Schläfer aufwecken müssen. Jetzt verließ er mich und ging leise zu den Kindern. Er bückte sich nieder und hob den Zipfel meines Haïk empor. Er sah die beiden Schwarzen, und ich bemerkte eine Bewegung der Überraschung, welche er nicht zu unterdrükken vermochte. Dies gab mir die Überzeugung, daß ich Abd el Barak vor mir hatte.

Er ließ den Zipfel sinken und kehrte völlig geräuschlos zu mir zurück. Er beugte sich über mich, so daß das sein Gesicht verhüllende Tuch senkrecht niederhing und ich nun sein Kinn und auch seinen Mund sehen konnte. Seine rechte Hand kam aus dem Burnus hervor; die Klinge eines Messers blitzte in derselben. Das war gefährlich, und es galt, keinen halben Augenblick zu zögern. Sorge brauchte ich nicht zu haben, denn selbst wenn er stärker als ich war, mußte mir der Schreck zu Hilfe kommen. Ich sprang nicht etwa auf, nein, denn das wäre ein Fehler gewesen, der mich gerade an sein Messer gebracht hätte; vielmehr wälzte ich mich blitzschnell vom Polster herab vor seine Füße und hob dieselben aus, so daß er nach vorn niederstürzte. Das Messer flog aus seiner Hand; er kam mit Kopf und Brust quer auf das Polster zu liegen. Im nächsten Augenblicke war ich über ihm, legte ihm die linke Hand an die Kehle, drückte dieselbe fest zusammen und gab ihm mit der rechten Faust einige Hiebe auf den Hinterkopf. Er machte eine schwache, krampfhafte Bewegung, die ihn nicht befreien konnte, und blieb dann einige Sekunden, die mir aber erlaubten, ihm den einen Strick um den Oberkörper und die Arme zu winden, still liegen. Nun schlug er mit den Beinen aus; ich band sie mit dem anderen Stricke zusammen, so daß er nun vollständig gefesselt und in meine Hand gegeben war. Danach riß ich das Tuch weg und blickte, ganz wie ich erwartet hatte, in das Gesicht Abd el Baraks.

Seine Augen glühten mir förmlich entgegen, doch sagte er kein Wort, was mir sehr lieb war, da ich wünschte, daß die Kinder jetzt noch weiter schlafen möchten. Ich mußte hinaus, und er sollte sie nicht etwa durch Drohungen bewegen können, ihn von den Stricken zu befreien. Aus demselben Grunde mußte ich ihm einen Knebel geben; darum preßte ich ihm mit der einen Hand abermals die Kehle zusammen; er machte, um Luft zu bekommen, den Mund weit auf, und ich schob ihm den zusammengeballten Zipfel des Tuches hinein.

Nachdem ich ihn noch weiter von den Kindern weggezogen hatte, damit er sich nicht leicht zu ihnen hinrollen könne, begab ich mich hinaus in den Säulengang, aber nicht durch die Thüre des erleuchteten Zimmers, weil ich da von den Gespenstern gesehen worden wäre, sondern durch die dunkle Nebenstube. Ich nahm meine schwere Büchse mit, um zuschlagen zu können.

 

Die beiden sauberen Patrone verführten noch denselben Lärm wie vorher. Ich sah, daß sie, um für Tiere gehalten zu werden, sich auf Hände und Füße gestellt hatten. Mich so tief wie möglich niederduckend, schlich ich mich näher. Mein Anzug war dunkel genug, um nicht leicht vom Boden unterschieden werden zu können. Als ich dem Nächsten auf sechs oder sieben Schritte nahe gekommen war, sprang ich auf ihn zu und schlug ihn mit einem Kolbenhiebe nieder. Er stieß einen heulenden Schrei aus, blieb aber liegen. Der andere wurde durch diesen Schrei gewarnt und richtete sich auf. Er sah mich und wendete sich zur Flucht. Ich eilte ihm nach, an dem leeren Wasserbassin vorüber. Aus der Umfassung desselben war ein Stein gefallen; ich sah denselben nicht und stolperte über ihn hinweg, wobei mir mein Gewehr so zwischen die Beine kam, daß es mir aus der Hand geprellt wurde. Ich ließ es natürlich liegen und rannte weiter, hinter dem flüchtigen Chajjal her. Er war leider mit der Örtlichkeit vertrauter als ich und hatte, als ich den Garten erreichte, einen Vorsprung gewonnen, welcher mich zur verdoppelten Eile antrieb. Es ging quer durch den Garten, über Schutthaufen und durch Unkrautgestrüpp der Mauer zu. Er wollte hinauf; ich kam zur rechten Zeit, erwischte ihn am Beine und riß ihn herab. Das geschah mit solcher Gewalt, daß ich das Gleichgewicht verlor, niederstürzte und unter ihn zu liegen kam. Er hatte sein Messer gezogen und holte zum Stoße aus. Durch eine schnelle Wendung erreichte ich, daß der Stoß fehlging; die Klinge fuhr mir zwischen Brust und Oberarm hindurch. Ich stieß ihm die Faust von unten gegen die Nase und versuchte, seinen bewaffneten Arm festzuhalten. Der Schmerz, den ihm der Nasenstöber verursachte, verdoppelte seine Kräfte; er riß sich los. Ich warf mich, um einem abermaligen Stiche zu entgehen, einige Schritte fort und sprang dann auf; er hatte aber auf einen weiteren Gebrauch seines Messers verzichtet; das Entkommen schien ihm wichtiger zu sein, als mich zu verwunden; er schnellte, ehe ich die entstandene Distanz wieder einzuholen vermochte, sich auf die Mauer und sprang drüben herab; dann hörte ich ihn im Galopp davonrennen.

Mochte er entkommen! Ich war froh, seinem Messer entgangen zu sein, und kehrte in den Hof zurück. Dort lag das Gespenst Nummer Zwei noch so, wie mein Kolbenhieb es niedergestreckt hatte. Ich untersuchte den Gürtel des Menschen; es steckte ein Messer darin, welches ich zu mir nahm; dann begab ich mich in den Hausgang, wo der tapfere Selim lag. Als er mich kommen hörte, brach er vor Entsetzen in das bekannte Gebet der Mekkapilger aus.

»O Allah, behüte mich vor dem dreimal gesteinigten Teufel; bewahre mich vor allen bösen Geistern, und verschließe die Tiefen der Hölle vor meinen Augen!«

»Wimmere nicht, sondern stehe auf!« gebot ich ihm. »Ich bin es ja!«

»Du bist es? Wer denn?« klang es unter der Decke hervor, in welche er sich gewickelt hatte. »Ich weiß, wer du bist. Gehe an mir vorüber, denn ich bin ein Liebling des Propheten, und du hast keine Gewalt über mich.«

»Unsinn! Erkennst du mich nicht an der Stimme? Ich bin der fremde Effendi, welcher als Gast bei euch wohnt.«

»Nein, der bist du nicht. Du hast seine Stimme angenommen, um mich zu täuschen. Aber die Hände der heiligen Khalifen sind ausgebreitet zu meinem Schutze, und im Paradiese bewegen sich Millionen Lippen zum Gebete für meine Rettung. 0 Allah, Allah, Allah, laß meine Sünden so klein werden, daß du sie nicht sehen kannst, und hilf mir, den bösen Geist überwinden, der seine Krallen um meinen Nacken schlägt!«

Der Mann, der sich vermessen hatte, es mit allen Helden des Weltalls aufzunehmen, war eine Memme allererster Sorte. Zureden half da nichts. Ohne alle Sorge, daß er Gebrauch von seinem Waffenarsenale machen werde, wickelte ich ihn auf und zerrte ihn hinaus in den Hof, wohin er mir wimmernd folgte. Aber als er da beim Sternenscheine mich erkannte, richtete er sich stolz auf und sagte:

»Effendi, was hast du gewagt!«

»Nichts, gar nichts!«

»Sehr viel, o sehr viel! Preise Allah, daß du noch am Leben bist! Ich habe dich sofort an der Stimme erkannt. Hätte ich dich aber für den Geist gehalten, so wäre deine Seele wie Rauch aus deinem Leibe gefahren, denn ich bin fürchterlich in meinem Zorne und entsetzlich in meinem Grimme!«

»So fürchtest du dich also nicht vor einem Gespenste?«

»Ich mich fürchten? Das kannst du fragen! Ich nehme es mit allen Geistern und Drachen der Hölle auf.«

»Das ist mir außerordentlich lieb, denn du sollst mir den Geist in meine Stube tragen helfen.«

»Den Geist?« fragte er, indem er plötzlich um eine Viertelelle kleiner wurde. »Du scherzest! Wer kann einen Geist tragen?«

»Ich kann es, und du kannst es auch. Dort liegt er; schau hin! Wir wollen ihn in das Zimmer bringen.«

Er folgte mit seinem Blicke meiner ausgestreckten Hand und sah die hell gekleidete Gestalt liegen.

»Hilf uns, 0 Herr, begnadige uns mit deinem Segen!« rief er aus, indem er beide Hände abwehrend von sich streckte. »Kein Befehl des Padischah, kein Gebot und kein Gesetz kann mich dorthin zu der Stelle bringen, an welcher dieser oberste der bösen Geister liegt.«

»Es ist ja gar kein Geist, sondern ein Mensch!«

»Aber du nanntest ihn ein Gespenst!«

»Er hat Gespenst gespielt, um euch in Furcht zu jagen.«

»So sage mir vorher, wie er heißt, wo sein Stamm wohnt und weichen Namen sein Vater und der Vater seines Vatersvaters trägt! Eher kann ich ihn nicht für einen Menschen halten.«

»Das ist alles Unsinn! Er ist ein Mensch. Ich habe ihn besiegt und mit dem Gewehre niedergeschlagen. Und drin in meiner Stube liegt ein zweiter, dem es ebenso ergangen ist.«

»So bist du verloren. Sie haben sich nur zum Schein besiegen lassen und werden über dich und deine Seele herfallen, um sie in Stücke zu zerreißen und in alle Winde zu zerstreuen!«

»So gehe wieder zu deinem Lager und stecke dich unter deine Decke! Sage mir aber niemals wieder, daß du der berühmteste Held deines Stammes seiest!«

Ich ließ ihn stehen, ging zu dem Geiste Nummer Zwei, nahm ihn auf die Achsel und trug ihn fort, nach meinem Zimmer, wo ich ihn niederlegte. Meine letzten Worte waren doch nicht ohne alle Wirkung auf Selim geblieben. Er kam mir, wenn auch zögernd, nach und blickte vorsichtig durch die halb offen gelassene Thür. In der Nähe derselben lag Abd el Barak. Selim erkannte dessen Gesicht. Sehr bedächtig, einstweilen nur den einen Fuß in die Stube setzend, fragte er erstaunt:

»Ist das nicht Abd el Barak, der Vorsteher der heiligen Kadirine? Wie kommt er hierher, und wer hat ihn in Banden geschlagen?«

»Ich, weil er der Geist ist, welcher in diesem Hause spukte. Er kam zu mir herein und wollte mich erstechen. Da habe ich ihn unschädlich gemacht. Er hatte noch zwei Geister mit, diesen hier, den ich niedergeschlagen habe, und einen andern, der mir über die Gartenmauer entkommen ist.«

Jetzt schien dem »größten Helden seines Stammes« ein Licht aufzugehen. Er kam vollends herein, stellte sich vor mich hin und sagte:

»Effendi, du bist zwar kein rechtgläubiger Moslem, aber Allah scheint dich doch in seinen ganz besonderen Schutz genommen zu haben, sonst wärst du jetzt eine Leiche und lägest draußen, starr wie ein Klotz, niedergestreckt von meiner tapfern Hand, welche unüberwindlich ist.«

Und als ich lächelnd die Achsel zuckte, fuhr er fort:

»Bezweifelst du das etwa? Du bist draußen im Hofe gewesen. Wehe dir, wenn ich dich gesehen und für den Geist gehalten hätte! Deine Gebeine wären zertrümmert unter meinen gewaltigen Streichen, und deine zermalmte Seele wäre von hinnen gegangen wie ein zusammengeknilltes Stück Papier. Kein Schöpfer hätte dich in dieser Gestalt wieder erkannt, und es wäre dir keine Stätte geworden im Lande des jenseitigen Lebens. Allah hat dich behütet, und darum solltest du das Christentum verlassen und den wahren Glauben annehmen, welcher seine Bekenner zu Helden macht, die jeden Gegner überwinden.«

»Um ein Held wie du zu werden, braucht niemand einen anderen Glauben anzunehmen. Gehe jetzt, um deinen Herrn herbeizuholen! Ich will ihm zeigen, welcher Art die Gespenster sind, die ihn aus diesem Hause vertreiben wollten.«

»Ich werde ihn rufen. Vorher aber muß ich selbst mit diesem Manne sprechen, welcher uns weismachen wollte, daß er in das Reich der abgeschiedenen Seelen gehöre.«

Er dachte jetzt nicht daran, daß Abd el Barak als Vorsteher der Kadirine eine bedeutende Macht besaß; das Renommieren war ihm zur zweiten Natur geworden, und da sich ihm jetzt eine Gelegenheit dazu bot, fiel es ihm nicht ein, dieselbe ungenützt vorübergehen zu lassen. Er streckte die geballte Hand gegen Abd el Barak aus und sagte:

»In diese Hand warst du schon längst gegeben. Ich durchschaute dich und hätte, wenn es mein Wille gewesen wäre, dich zerdrücken können, wie man einen Schwamm zusammendrückt. Aber ich war zu stolz dazu. Du warst nicht würdig, von meiner Hand berührt zu werden. Darum hob ich dich für diesen Effendi auf, der dich überwunden hat, wenn auch nicht so leicht und schnell, wie ich mit dir fertig geworden wäre. Du bist für mich wie eine tote Kröte, wie ein abgestandener Fisch, den man nicht riechen mag. Du wirst keine Nachkommen haben, und deiner Vorfahren wird kein Mensch gedenken. Aber wenn du gestorben bist, wird deine Seele als Geist spuken müssen in alle Ewigkeit. Das wird der Lohn deiner Thaten sein, während man die meinigen verzeichnen wird in das Buch der Helden und in die Gedichte der Sieger und Eroberer!«

Kein Theaterheld hätte mit größerem Aplomb hinter den Coulissen verschwinden können, als Selim jetzt durch die Thüre verschwand, um Murad Nassyr zu rufen. Abd el Barak sah ihm mit einem Blicke nach, welcher nichts Gutes weissagte. Ich konnte mich jetzt nicht mit ihm, sondern ich mußte mich mit seinem Nebengespenste beschäftigen, denn der Mann regte sich noch immer nicht. Hatte ich ihn vielleicht totgeschlagen? Es wurde mir doch ein wenig angst. Ich untersuchte seinen Schädel; er war geschwollen, aber nicht zerbrochen. Das Herz schlug fühlbar und regelmäßig. Ah! sollte der Mann sich verstellen, um, wenigstens einstweilen, der Demütigung zu entgehen? Ich nahm ihn beim Halse und drückte. Sofort riß er voller Angst, daß ich ihn erwúrgen wolle, die Augen auf und gurgelte:

»Zu Hilfe, zu Hilfe, o Gott, zu Hilfe! Ich ersticke; ich sterbe!«

Ich zog die Hand von seinem Halse und drohte:

»Wer sich tot stellt, der mag sterben. Behalte die Augen offen, wenn du nicht willst, daß ich sie dir für immer schließe! Gespenster finden bei mir keine Gnade.«

Es versteht sich ganz von selbst, daß die schwarzen Geschwister jetzt aufgewacht waren. Sie saßen in ihrer Ecke und betrachteten mit ängstlich aufgerissenen Augen die für sie furchterweckende Scene; aber einige Worte von mir genügten, sie zu beruhigen.

Jetzt nun konnte ich Abd. el Barak den Knebel aus dem Munde nehmen. Hätte ich bisher noch besorgt, daß er mir wegen der im Bierhause stattgefundenen Scene gefährlich werden könne, so war nun jede Veranlassung zu dieser Befürchtung verschwunden; ich hatte den Mann in meiner Hand und durfte annehmen, daß er sich hüten werde, etwas gegen mich zu unternehmen, nämlich offen; seine heimliche Gegnerschaft stand mir noch immer und nun erst recht bevor. Selim war nach der Säulenhalle gegangen, um von da aus durch Klopfen Einlaß bei Murad Nassyr zu begehren. jetzt erschien er unter meiner Verbindungsthüre, um mir zu sagen, daß sein Herr mich erst zu sprechen begehre, bevor er die gefangenen Gespenster sehen wolle.

»So mußt du einstweilen hier bleiben,« beschied ich ihn.

»Richtig, sehr richtig,« antwortete er, indem er mir seit vorigem Tage die erste Verbeugung machte. Er hatte bei der Aufregung der letzten Stunde die altgewohnte Höflichkeit ganz außer acht gelassen.

»Ich hoffe, daß ich dir diese Gefangenen anvertrauen darf?«

»Mit vollstem Rechte, Effendi. Ich werde sie erwürgen, sobald sie nur ein Wort sagen oder eine falsche Bewegung machen. Du darfst versichert sein, daß ich zum Hüter solcher Missethäter wie geschaffen bin. Ein einziger Blick aus meinem Adlerauge genügt, sie in die größte Angst und Bangigkeit zu versetzen. Erlaube mir aber, vorher meine Waffen zu holen!«

»Das ist ja gar nicht nötig; sie sind doch gefesselt!«

Der andere Geist war nämlich auch gebunden worden.

»Das weiß ich sehr wohl, Effendi; aber die Waffen verdoppeln die Würde des Mannes und geben seinen Geboten den Nachdruck, den sie haben müssen.«

Es war klar, er fürchtete sich, mit diesen beiden hilflosen Männern allein zu sein; er brachte also sein ganzes Arsenal geschleppt, und dann ging ich zu Murad Nassyr, dessen Wohnung ich jetzt zum erstenmale betrat. Sie war ebenso fein und bequem eingerichtet wie die meinige. Er stand erwartungsvoll in seiner Schlafstube und begann mit den Worten:

 

»Was ist geschehen, Effendi? Ich kann nicht glauben, was ich gehört habe. Selim hat mir von seinen Heldenthaten berichtet, aber in einer Weise, daß ich über das meiste im unklaren geblieben bin.«

»Nun, was hat er denn erzählt?«

»Acht Gespenster sind dagewesen; zwei haben Sie gefangen; eins ist Ihnen entkommen, und mit den fünf übrigen hat er gekämpft.«

»Und sie natürlich besiegt?«

»Leider nicht, denn er hat sie entfliehen lassen müssen, woran Sie schuld sind.«

»Ich? Warum?«

»Gerade als er dem Siege nahe gewesen ist und sie ihn um Gnade gebeten haben, sind Sie gekommen, um ihn zu Ihrer Unterstützung in den Hof zu holen.«

»Das ist ein Roman, den er sich ausgesonnen hat. Seine fünf Gespenster leben nur in seiner Einbildung oder vielmehr in seiner Lügenhaftigkeit; es hat nur drei gegeben, und mit diesen habe ich es allein zu thun gehabt.«

»Und Abd el Barak befindet sich wirklich unter ihnen?«

»Ja.«

»Unglaublich! Wer hätte so etwas denken können?«

»Ich habe es gedacht, wie Sie sich erinnern werden.«

»Mir ist nichts erinnerlich.«

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß der Geist sich vor mir fürchten werde, daß ich ihn schon gesehen habe? Ich meinte damit Abd el Barak. Ich vermutete, daß er es sei, der dieses Haus unsicher mache, um die Wirtin und dann auch die Mieter zu vertreiben, damit es desto eher der Bruderschaft anheimfalle.«

»Das haben Sie vermutet? Ich hätte es mir nie denken können. Es ist schrecklich! Aber nun erzählen Sie mir, wie es zugegangen ist, denn Selims Worten darf ich doch wohl keinen Glauben schenken.«

»Allerdings nicht, da seine Phantasie den größten Beitrag leistet.«

Ich berichtete ihm das Geschehene so kurz und einfach wie möglich; dennoch hatte ich Mühe, ihn zu bewegen, mir Glauben zu schenken. Daß ein Mann wie Abd el Barak sich zu einer solchen Rolle verstehen könne, war ihm fast undenkbar. Ich forderte ihn auf, sich doch durch den Augenschein zu überzeugen; da antwortete er:

»Ehe ich mich zu diesem Manne begebe, muß ich erst wissen, was wir mit ihm und seinem Gehilfen thun werden. Meinen Sie, daß wir sie laufen lassen?«

»Hm! Eigentlich müßten wir die Sache zur Anzeige bringen.«

»Davor möge Allah uns behüten! Die Behörde von diesem Gespensterspiele zu benachrichtigen, würde nichts anderes heißen, als uns die ganze Kadirine zum Feinde zu machen, und das muß ich auf alle Fälle vermeiden, weil ich den größten Schaden davon haben würde. Meine Geschäftsverbindungen mit Ägypten würden in kurzer Zeit wie abgebrochen sein, und nicht nur mit Ägypten, da die Kadirine sich über ganz Nordafrika und sogar bis tief in den Sudan erstreckt. Und auch Sie dürfen eine so mächtige Verbindung sich nicht zur Feindin machen. Ich bin überzeugt, daß Sie ihr Vaterland nicht wiedersehen würden.«

»Ich muß Ihnen leider beistimmen. Also bestrafen dürfen wir die Thäter nicht lassen. Es ist nicht einmal rätlich, die Sache in anderer Weise an die Öffentlichkeit zu bringen. Aber die Kerle einfach freigeben, geht doch auch nicht, denn sie würden sich auch in diesem Falle an uns zu rächen suchen. Wir müssen irgend eine Sicherheit vor dieser Rache in die Hand bekommen.«

»Das könnte doch nur in Form einer Unterschrift sein?«

»Allerdings, ein schriftliches Bekenntnis, von Abd, el Barak unterschrieben. Wir würden von demselben Gebrauch machen, falls er sich direkt feindlich gegen uns verhält oder uns Veranlassung giebt, zu glauben, daß er uns die Kadirine auf den Hals gehetzt habe.«

»Richtig! Ich überlasse es Ihnen, dieses Schriftstück zu entwerfen. Papier und alles dazu Nötige ist da.«

Nachdem noch einige nähere Bemerkungen über diesen Gegenstand ausgetauscht worden waren, begaben wir uns in meine Schlafstube, wo Selim mit geschultertem Gewehre und drohendem Gesicht vor den Gefangenen stand. Eben als wir eintraten, hörte ich ihn sagen:

»Also dürft ihr ja nicht denken, daß ihr euch hier an ihm rächen könnt. Er ist viel zu klug dazu, indem er den guten Rat befolgt, den ich ihm gegeben habe.«

»Von wem redest du?« fragte ich ihn, da mir diese großsprecherischen Worte auffielen. Sie schienen sich auf mich zu beziehen, auf irgend einen Beschluß von mir, welchen mir angeraten zu haben er sich fälschlicherweise rühmte. Er machte ein ziemlich verlegenes Gesicht und zögerte mit der Antwort.

»Heraus damit!« gebot ich ihm. »Hast du etwa von mir gesprochen?«

Ich fühlte mich zu dieser Frage besonders dadurch veranlaßt, daß ich die Augen Abd el Baraks mit einem höhnischen Blick auf mich gerichtet sah.

»Nein, nicht von dir,« antwortete er endlich. »Von Murad Nassyr, meinem Herrn. Er geht unter meinem Schutze nach Chartum und hat also die Rache dieser Leute nicht zu befürchten.«

»Du bist ein Faselhans und solltest dich im Schweigen üben, anstatt jedermann Geschichten zu erzählen, welche doch ganz anders verlaufen, als du die Meinung hast. Gehe hinauf an die Thüre des Harems, und melde dem Neger, was geschehen ist, damit die Bewohner wissen, woran sie sind, wenn sie bemerken, daß wir nicht schlafen!«

Ich schickte ihn fort, damit er nicht Zeuge unserer Verhandlung mit Abd el Barak sei. Wenn dieser Mensch sich von seiner Plauderhaftigkeit hatte hinreißen lassen, zu erzählen, daß ich morgen mit den Negern Kairo verlassen wolle, konnte ich mich auf alle möglichen Hindernisse oder gar Fährlichkeiten gefaßt machen. Er war am Hafen gewesen, um ein Schiff für mich zu suchen; ich hatte aber keine Gelegenheit gefunden oder vielmehr es im steten Denken an den Geist außer acht gelassen, ihn nach dem Ergebnisse seiner Nachforschung zu fragen. Als er fort war, band ich Abd el Barak los, so daß er seine Glieder wieder bewegen und sich aufsetzen konnte. Dann zeigte ich ihm den Revolver und drohte:

»Zunächst bist du noch ein Gespenst, auf welches ich schießen werde, wenn es eine Bewegung macht, zu welcher ich meine Erlaubnis nicht gegeben habe. Ich erwarte also, daß du genau in deiner jetzigen Stellung verbleibst.«

Er sah mich mit einem Blicke an, in welchem nichts als tierische Wut zu finden war; dann zuckte ein überlegenes Grinsen um seinen aufgeworfenen Mund, und er antwortete:

»Wenn du für den mächtigen Mokkadem der heiligen Kadirine irgendwelche Befehle hast, so sprich!«

»Ich habe dir ebensowenig etwas zu befehlen wie du mir, doch stehe ich im Begriffe, dir einige Vorschläge zu machen.«

»Ich höre!«

Er schlug die Arme stolz übereinander und nahm die Haltung und Miene eines Regenten an, welcher einem tief stehenden Unterthan in Gnaden Audienz erteilt. Am liebsten hätte ich ihm einen Faustschlag versetzt, um ihm in Erinnerung zu bringen, daß er hier nicht der Gebietende sei, mußte aber leider in Anbetracht der vorliegenden Umstände meine Empörung beherrschen. Hier gab es einen frappanten Anlaß, den Einfluß des Islam mit demjenigen des Christentumes zu vergleichen. Welche Liebe, Sanftmut, Demut und milde Freundlichkeit beobachtet man bei den Angehörigen christlicher Kongregationen, und wie hochmütig, verstockt und frech trat dieser Mitleiter einer moslemitischen Verbrüderung auf! Und so sind sie alle, diese unwissenden Moslemim, deren Frömmigkeit sich meist nur im gedankenlosen Herleiern einiger Gebete bethätigt, verbissene und verständnislose Menschen, welche mit Verachtung selbst auf ihre Glaubensgenossen herabsehen, falls diese nicht Mitglieder einer Verbrüderung sind.

»Ich höre!« Das klang so oberherrlich, als ob dieser Gespensterspieler der zur Erde niedergestiegene Geist des Propheten selber sei. Es verursachte mir nicht geringe Überwindung, ihm ruhig zu antworten:.