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Im Lande des Mahdi I

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»Auch ich könnte nicht mit fort, denn ich muß heute unbedingt noch nach Maabdah, wo ich hoffe, den Fakir Abd Asl zu treffen.«



»Und ich auch, das ist ja das Notwendige, was ich noch besorgen möchte. Ich will mich an ihm rächen.«



»Überlaß das mir!«



»Nein, Effendi! Du willst ihn haben, und auch ich trachte nach ihm. Wir haben gleiche Ursachen und gleiche Rechte, und wer von uns beiden zuerst kommt, dem hat der andere zu weichen.«



»Wie kannst du dich rächen wollen! Du hast ja nicht einmal ein Messer bei dir!«



»Der Fakir hat es mir unter einem Vorwande abgenommen, damit ich unten im Brunnen kein Werkzeug haben möchte. Ich hoffe aber, daß du, wenn ich dein Diener geworden bin, mir eins leihen wirst.«



Der junge Mann machte einen außerordentlich guten Eindruck auf mich. Er sprach bescheiden und doch so bestimmt. Sein Gesicht hatte die ehrlichsten Züge, welche man sich bei einem Araber denken kann. Und da er die ganze Nilgegend kannte, konnte er mir wohl von Nutzen sein.



Übrigens wurde mir jetzt manches klar, was mir vorher aufgefallen war. Der Knabe, welcher mich geholt hatte, der alte Gärtner, den ich getroffen hatte, von beiden war ich verhöhnt worden. Sie schienen gewußt zu haben, was mit mir vorgenommen werden sollte. Vielleicht waren beide Mitglieder der »heiligen« Kadirine. Der Fakir hatte mir seinen eigenen Namen und auch den seines Sohnes gesagt; er hatte mir mitgeteilt, daß dieser Ihn Asl jetzt der berühmteste Sklavenjäger sei und dem Führer Ben Wasak in Maabdah einen schlimmen Streich gespielt habe. Diese Mitteilungen konnte er mir nur in einem Anfalle von Übermut gemacht haben und wohl vor allen Dingen auch darum, weil er überzeugt war, daß ich kein Wort ausplaudern könne, da ich ja dem Tode geweiht war.



Nun brachen wir auf, um zur Stadt zurückzukehren. Wegen Ben Nil mußten wir langsam gehen, und so dauerte es weit über eine Stunde, bevor wir die ersten Häuser erreichten. Dort fragte ich ihn, ob er mit Waffen umzugehen verstehe.



»Ja,« antwortete er.



»Und wie steht es mit deinem Mute?«



»Stelle mich auf die Probe, Effendi!«



»Ob du sie bestehen würdest!« meinte da Selim. »Mancher denkt, er besitze Mut, und es ist nicht wahr. Schau mich dagegen an! ich bin der Held der Helden, der Kühnste der Verwegenen.«



»Das habe ich heute erfahren!« antwortete Ben Nil ironisch.



»Nicht wahr! Ich bin in die Tiefen der Hölle gestiegen, um dich heraus zu holen, und ohne mich würde der Effendi den Ausweg nicht gefunden haben, denn als er den letzten Sand zu entfernen hatte, habe ich ihm geleuchtet.«



»Gehörte zum Leuchten Mut?«



»Dazu nicht. Ich muß es nur erwähnen, um zu beweisen, daß ich neben meiner Kühnheit und Verwegenheit auch diejenigen Eigenschaften besitze, welche notwendig sind, einen Gefangenen aus einem unterirdischen Brunnen zu befreien. Du bist Diener des Effendi geworden, und da ich sein Beschützer bin, so bin ich auch der deinige, und ich erwarte, daß du mir ebenso wie ihm gehorchen werdest.«



Da legte ich mich ins Mittel und teilte Ben Nil mit:



»Dieser lange Selim ist weder mein Beschützer noch habe ich sonst ein Verhältnis mit ihm. Er ist der Diener des Gefährten, den ich erwarte; das ist alles.«



»Herr, willst du meine Würde kränken!« rief Selim aus. »Du nennst mich einen Diener! Ich bin der Haushofmeister, der Freund und Vertraute von Murad Nassyr, den ich zu beschützen habe.«



»So ist hier Ben Nil in derselben Weise und demselben Grade der Freund und Vertraute von mir. Er steht dir also vollständig gleich und hat dir nicht zu gehorchen.«



»Aber er ist doch nicht der berühmteste Held seines Stammes.«



»Das darfst du nicht behaupten, da du ihn nicht kennst. Es ist leicht möglich, daß seine Berühmtheit eine größere und begründetere als die deinige ist. Du sprichst so viel von deinem Stamme, aber du hast mir noch nicht gesagt, welcher es ist.«



»Noch nicht? So höre und staune! Ich bin ein Sohn desjenigen Stammes, welcher der erlauchteste aller Stämme der Erde ist. Ich meine den Stamm der Beni Fessara.«



»Droben in Kordofan?«



»Ja, von dorther stamme ich.«



»Warum hast du deinen Stamm verlassen?«



»Weil er keine Kriege mehr führte. Ein Held, wie ich bin, will kämpfen und Blut sehen. Da es das nicht gab, bin ich fortgegangen.«



»Wo hast du denn gekämpft?«



»Allüberall. Ich bin in allen Ländern des Erdballes umhergezogen und habe mit allen wilden Tieren und Menschen gekämpft. Nun mag dieser Ben Nil sagen, zu welchem Stamme er gehört.«



»Ich bin ein Uled-Ali-Beduine,« antwortete der Genannte.



»Und mit wem hast du gekämpft?«



»Mit niemand noch.«



»So bist du ein Windhauch gegen mich und kannst vor mir im Staube knieen. Ich will aber großmütig sein und einen Helden aus dir machen!«



»Und ich,« flocht ich lachend ein, »will ihm die Waffen dazu geben. Kommt mit herein.«



Wir kamen gerade durch den Waffenbazar, und ich trat mit ihnen in einen Laden, wo ich für Ben Nil ein Messer, zwei Pistolen und eine Flinte kaufte, die ich ihm schenkte. Er floß über von Dankbarkeit, hing die Flinte um, steckte die Pistolen und das Messer in den Ledergürtel und schritt dann stolz wie ein König neben Selim her. Ich wollte ihm auch noch einen Anzug – freilich einen billigen – kaufen, doch das hatte Zeit bis morgen, wo ich mir auch einen aussuchen mußte, da der meinige gelitten hatte. Besonders das Klettern im Brunnen war ihm schlecht bekommen.



Im Palaste angekommen, ging Selim zu dem Haushofmeister; ich führte Ben Nil zu meinem Stallmeister und bat um Gastfreundschaft für ihn. Als ich mit kurzen Worten das Geschehene berichtet hatte, wurde auf das schnellste eine solche Menge von Speisen gebracht, daß mehr als zwanzig Personen sich hätten satt essen können. Ben Nil leistete nach fünftägigem Hungern das Menschenmögliche, und auch ich war bei tüchtigem Appetite. Während wir aßen, ließ der Stallmeister einen Boten an das Wasser gehen, um das Boot in stand zu setzen. Bald kam Selim und brachte den dicken Haushofmeister mit. Das erste Wort dieses letzteren an mich war:



»Effendi, siehst du nun endlich ein, was eine Mondfinsternis zu bedeuten hat? Ich befand mich schon am nächsten Tage in Gefahr, und auch euch ist es nun an das Leben gegangen.«



»Du vergissest, daß deine Gefahr uns großen Nutzen gebracht hat,« entgegnete ich, »denn wärest du nicht eingebrochen, so steckten wir noch im Brunnen.«



»Das ist möglich; aber die Übelthäter müssen bestraft werden!«



»Allerdings.«



»Ich hörte von Selim, daß du nach Maabdah willst, um den Fakir zu fangen. Darum habe ich sogleich den Befehl gegeben, ein Boot mit Soldaten zu bemannen. Ich selbst werde mitfahren, um diesen Mörder zu fangen.«



Mir schwante nichts Gutes; darum bat ich ihn:



»Nimm diesen Befehl wieder zurück! Warum willst du dich mit einer Angelegenheit befassen, welcher du doch eigentlich so fern stehst?«



»Warum? Weil ich ihr nicht fern stehe. Du bist doch unser Gast, und wir haben dich lieb und sind verpflichtet, für deine Sicherheit zu sorgen. Außerdem geht diese Sache den Pascha an. Er ist nicht da, und ich als sein Haushofmeister will seine Stelle vertreten.«



»Ich möchte dir nicht Mühe bereiten.«



»Das ist keine Mühe, sondern ein Vergnügen. Als du die Höhle besuchtest, bin ich nicht mitgegangen; jetzt aber, wo es gilt, einen Verbrecher zu fangen, kann ich euch unmöglich allein fahren lassen.«



»Erlaube mir, dir zu sagen, daß ich viel lieber allein fahren würde!«



»Rede mir nicht darein! Es ist meine Pflicht, dir zu helfen, und ich werde also diese Pflicht erfüllen.«



Damit war die Sache abgemacht, und wir brachen auf. Der Stallmeister ging auch mit, ebenso Selim, welcher wieder von seiner Verwegenheit sprach und sich vermaß, den Fakir ganz allein zu fangen.



Am Wasser lagen zwei Boote bereit, eins, welches der Stallmeister und eins, welches der Haushofmeister beordert hatte. Das erstere bestieg ich mit meinem Gastfreunde und Ben Nil; es wurde von Stallknechten gerudert. In das andere stieg der Haushofmeister mit Selim. Es sollte von den Soldaten gerudert werden. Aber was waren das für Soldaten! Als ich bei meiner Ankunft in Siut von dem Reïs Effendina nach dem Palaste geführt worden war, hatte ich im ersten Hofe desselben viele alte Männer sitzen sehen. Sie waren nur notdürftig bekleidet und beschäftigten sich mit Strikken, Nähen und anderen sehr friedlichen Arbeiten. Jetzt sah ich, daß dies Soldaten des Pascha gewesen waren. Ihrer zwölf stiegen ein. Sie waren jetzt bis an die Zähne bewaffnet, aber ihre Waffen hatten ein Aussehen, welches mir nicht imponieren konnte, und die Leute selbst sahen eher wie herabgekommene Insassen eines Armenhauses aus als wie tapfere Söhne des Mars, denen das Wohl eines Pascha anvertraut ist. Bald sah ich, daß ich mich wenigstens in Bezug auf ihre Kräfte geirrt hatte. Als die Boote die Mitte des Stromes erreicht hatten und nun die Segel aufgezogen worden waren, legten sich die alten Burschen so in die Ruder, daß ihr Boot wie ein Fisch abwärts schoß und wir in dem unserigen zurück blieben.



»Halt!« rief ich. »Wir müssen zusammen bleiben.«



»Wir kommen ja in Maabdah zusammen,« antwortete der Dicke, indem er seinen Leuten mit der Hand winkte, sich womöglich noch mehr anzustrengen. Hatte er eine bestimmte Absicht dabei? Ich hielt es für sehr möglich. Ich war ein Christ und wollte einen Fakir fangen, welcher allgemein für heilig gehalten wurde. Durfte man das zugeben? War es nicht besser, zu thun, als ob man mir helfe, und dabei den Mann zu warnen?



Ich gebot den Stallknechten, sich Mühe zu geben, damit wir nicht so sehr zurück blieben; ich nahm selbst ein Ruder in die Hand, doch es war vergeblich, Ich legte es also wieder fort und griff, als wir Mankabat hinter uns hatten, zum Fernrohre, um die rechts vom Nile liegenden Höhen zu betrachten. Auch auf das Boot des Haushofmeisters gab ich acht.

 



Als mir die Felsen von Maabdah zu Gesicht kamen, sah ich auf einem über dem Dorfe liegenden Vorsprunge einen Mann sitzen, welcher den Nil und unsere beiden Boote zu beobachten schien. Ich hätte darauf schwören können, daß es der Gaukler sei. Eben lenkte das vordere Boot nach dem Ufer. Der Mann stand auf und lief fast im Galopp in das Dorf herab, zwischen dessen Hütten er verschwand.



Die Soldaten stiegen aus und marschierten nach dem Dorfe. Noch ehe sie es ganz erreicht hatten, sah ich den erwähnten Mann mit noch einem andern jenseits des Dorfes erscheinen und der Höhe zustreben. Sie verschwanden in einer engen Schlucht. Drei Minuten später legten auch wir an. Es war mir, als ob der zweite Mann der Fakir gewesen sei. Darum ging ich, als ich an das Ufer gesprungen war, nicht nach dem Dorfe, sondern ich eilte in gerader Richtung dieser Schlucht zu. Ben Nil folgte mir, ohne daß ich ihn dazu aufgefordert hatte, auf dem Fuße. Der Stallmeister rief mir nach, doch keinen falschen Weg einzuschlagen, und ging, als ich mir gar nicht die Zeit nahm, ihm zu antworten, mit seinen Stallknechten auch dem Dorfe zu.



»Effendi, dein Weg ist der richtige,« meinte Ben Nil. »Vielleicht erreichen wir den Fakir und den Muza‘bir.«



»Hast du sie erkannt?« fragte ich.



»Ja. Meine Augen sind wohl fast ebenso scharf, wie dein Glas.«



»Kennst du diese Gegend?«



»Ja, aber doch nicht so genau, wie ich jetzt wünsche. Wir haben einigemale hier vor Anker gelegen, aber da auf die Berge bin ich leider nicht gekommen.«



Wir waren über eine Viertelstunde gegangen, ehe wir die Schlucht erreichten. Das Terrain war ein schwieriges, und einen Weg gab es nicht. Sie war sehr schmal und wand sich in kurzen Krümmungen zwischen die steilen Höhen hinein. Nach einiger Zeit teilte sie sich. Da war guter Rat teuer. Sollten wir nach rechts oder nach links gehen?



Hätte ich gewußt, daß aus der einen Schlucht zwei wurden, so hätte ich gleich anfangs auf etwaige Spuren geachtet. Als ich jetzt suchte, fand ich keine. Der Boden bestand aus wüstem Geröll, in welchem ein Fußeindruck unmöglich war. Wir verließen uns auf unser gutes Glück und wendeten uns nach rechts. Nach fünf Minuten hörte diese Schlucht auf. Wir kehrten also zurück und gingen dann links. Dieser Weg schlug einen Bogen und teilte sich dann auch. Wir gingen links und standen bald vor einer Felsenwand, welche nicht zu ersteigen war; folglich wendeten wir uns rechts. Dieser Weg stieg steil an und führte uns auf eine Felsenplatte, welche auf den andern drei Seiten fast senkrecht in die Tiefe fiel. Wir mußten erkennen, daß wir geäfft worden waren, und kehrten um.



»Allah. ist allein allwissend!« zürnte Ben Nil. »Ich kann nicht begreifen, wohin diese Schurken entkommen sind. Sie sind wie verschwunden.«



»Die Art und Weise ihres Verschwindens kann ich mir denken. Diese Höhen sind durch Höhlen zerklüftet. Jedenfalls haben sich die beiden in eine solche versteckt. War der Eingang zu derselben klein, so konnte er leicht durch Steine maskiert werden. Wir können nichts anderes thun, als in das Dorf zu gehen. Vielleicht haben wir uns geirrt, und es waren andere Männer als diejenigen, welche wir vermuteten.«



»Sie waren es, Effendi. Mein Auge täuscht mich nicht; aber ich sehe ein, daß das Suchen vergeblich sein würde. Es wird in kurzer Zeit Abend sein.«



Das war leider richtig. Eine Stunde vor Mittag hatte der Fakir uns abholen lassen; eine Stunde wenigstens hatten wir gebraucht, um an den Brunnen zu kommen; gegen drei Stunden waren wir in und bei demselben gewesen; dann die Rückkehr, das Essen, die Bootsfahrt nach Maabdah, das Suchen in der Schlucht – die Sonne ging drüben hinter den libyschen Höhen unter, und es mußte bald Nacht werden. Wir sahen uns gezwungen, unser Suchen aufzugeben und nach dem Dorfe zu gehen.



Dort fanden wir jedmänniglich – — auf der Erde sitzend und die Pfeife rauchend. Die Einwohner standen dabei und plauderten mit den Soldaten.



»Habt ihr gesucht?« fragte ich den Haushofmeister.



»Nein« antwortete er.



»Warum nicht?«



»Wir wollten deine Ankunft erwarten. Warum gingst du nicht mit uns?«



»Wissen die Leute von Maabdah, welche hier stehen, warum wir gekommen sind?« fragte ich, ohne seine Frage zu beantworten.



»Ja. Ich habe es ihnen natürlich gesagt.«



»So wollen wir getrost wieder nach Siut fahren, denn unser Suchen würde nun, da du geplaudert hast, überflüssig sein.«



»Inschallah – wie es Gott gefällt. Du bist unser Gast, und wir thun, was dir gefällig ist.«



Ich fragte nach Ben Wasak, dem Höhlenführer, und erfuhr, daß er nicht hier, sondern hinunter nach el Arisch sei. In ihn allein hätte ich Vertrauen setzen können, und er hätte mir gewiß geholfen, die Flüchtigen zu entdecken. Da er aber nicht anwesend war, mußte ich auf einen Erfolg unserer Bootsfahrt verzichten. Ich erkundigte mich bei den Leuten, ob der Fakir oder der Gaukler gesehen worden sei, und erhielt nur verneinende Antworten. Schließlich ließ ich es doch geschehen, daß die Hütten durchsucht wurden; es war natürlich vergebens. Ob es in der Schlucht eine Höhle gebe, danach fragte ich lieber gar nicht; ich hätte doch keine Auskunft erhalten, und es war ganz so, wie ich gedacht hatte: Mir, dem Christen, war man ganz gewiß nicht behilflich, einen »wahren Gläubigen«, welcher noch dazu ein heiliger Fakir war, auszuliefern. Ich mußte mich auf mein gutes Glück und auf die Zukunft verlassen; denn, daß ich diesem Menschen noch einmal begegnen würde, davon war ich überzeugt. —



Fünftes kapitel: In der Wüste

Korosko! Ein berühmter, weit bekannter Name, und doch welch eine elende Ortschaft! Dieses nubische Dorf wird von Felsenbergen umgeben, deren nackte Abhänge wie Blechblenden die heißen Sonnenstrahlen sammeln und niederwerfen. Kein Mensch würde hier wohnen; aber bei diesem Orte verläßt der Nil – aufwärts gerechnet – seine bisherige Richtung und windet sich in einem mächtigen Bogen durch die felsige Gegend, welche Batn el Adschar, Bauch der Steine, genannt wird. In diesem Bogen giebt es mehrere Stromschnellen und Katarakte, welche die Schiffbarkeit des Stromes, wenn nicht unterbrechen, so doch sehr hemmen. Die Fahrzeuge müssen ausgeladen, an Seilen durch die Stromengen gezogen und dann wieder beladen werden, was nicht nur große Mühe, sondern auch bedeutenden Zeitverlust verursacht. Darum pflegt man von Korosko aus den großen Bogen, anstatt ihn zu Wasser mitzumachen, zu Lande abzuschneiden und so die Reise um ein Beträchtliches zu kürzen. Dieser Landweg ist ungefähr 400 Kilometer lang und führt durch die Atmur, wie die zwischen Korosko und Berber gelegene nubische Wüste genannt wird. Da der erstgenannte Ort der Ausgangspunkt dieser Wüstenreise ist, so hat man dort sein Gepäck zu ordnen, Kamele zu mieten, die letzten Einkäufe zu machen und vieles andere mehr. Dies giebt dem Orte einige Bedeutung, und dennoch besteht er nur aus höchstens fünfzehn elenden Hütten und einem Khan, in in welchem man übernachten kann. Auch eine Moschee giebt es da, deren Minaret wie ein Taubenhaus gebaut ist. Das sogenannte Postgebäude ist das einzige, welches sich einer verschließbaren Thüre zu rühmen vermag. Am Wasser stehen einige Schuppen, die mit Matten und alter Sackleinwand gedeckt sind. Das sind die Comptoire und Niederlagen der arabischen Händler, welche die Erzeugnisse des Sudans gegen diejenigen Europas umsetzen.



Der erwähnte Wüstenweg mündet bei Abu Hammed wieder auf den Nil. Er war ganz in Vergessenheit geraten. Da erteilte Mehemmed Ali einem kleinen Ababdeh-Häuptlinge den Auftrag, ihn wieder aufzufinden. Der Ababdeh löste diese schwierige Aufgabe ohne Kompaß und andere Instrumente, und dafür wurden er und seine Nachkommen zu Schechs des Wüstenstreifens ernannt. Sein Sohn hieß Hammed Khalifa und zeigte sich als absoluten Beherrscher der Wüste und Karawanen. Er erhob für jedes Kamel einen kleinen Zoll und bürgte dafür für die Sicherheit des Lebens und des Eigentumes der Reisenden. Aus diesem Grunde reiste man durch den Atmur bedenkenloser als durch andere Wüstenstrecken. Und doch reichte auch die Macht dieses Schechs nicht ganz hin, die garantierte Sicherheit zu einer vollständigen zu machen. – — —



Murad Nassyr, mein dicker Türke, war endlich mit seinem Sandal in Siut angekommen und hatte mich, Ben Nil und Selim an Bord genommen. Er erfuhr natürlich sofort, was wir erlebt hatten, und konnte gar nicht begreifen, daß der Haß Abd el Baraks so große Dimensionen angenommen hatte. Natürlich zeigte er sich sehr erfreut darüber, daß ich keinen Schaden davongetragen hatte. Als ich ihm mitteilte, daß ich die Bekanntschaft des Reïs Effendina gemacht hatte, schien er einigermaßen verstimmt darüber zu sein, und ich nahm mir vor, dieses Thema nicht wieder zu erwähnen.



Die Fahrt von Siut nach Korosko kam mir nicht langweilig vor. Es gab so viel zu sehen, zu hören, zu beobachten. Ich saß mit Murad Nassyr unter dem Zeltdache und mußte ihm, wenn er bei guter Laune war, von meinen Erlebnissen erzählen. Er schien es darauf abgesehen zu haben, meine Vergangenheit genau kennen zu lernen, und oft ruhte sein Blick mit einem Ausdrucke auf mir, welcher mich erraten ließ, daß er etwas Wichtiges mit mir vorhabe, aber noch nicht mit sich im reinen sei, ob er es mir mitteilen solle oder nicht.



Seine Schwester sah ich täglich öfters, allerdings nur tief verschleiert. Ihre zwei schwarzen Dienerinnen verhüllten die Gesichter nicht; die beiden weißen aber thaten es, wenn auch nicht mit der Strenge wie ihre Gebieterin. Einst, als der Wind den Schleier Fatmas, der Köchin und Lieblingsdienerin, zur Seite wehte, erblickte ich das Gesicht derjenigen, deren Haare ich im Pillaw gefunden hatte, und ich kann sagen, daß dasselbe ein sehr gewöhnliches war. Das Gesicht der Herrin aber hätte ich sehr gern einmal gesehen.



Wenn sie sich auf dem Deck erging und ich, dasselbe thuend, ihr begegnete, so durfte ich sie grüßen und erhielt einige Worte der Erwiderungvon ihr. Sie erlaubte und that dies, weil sie mir zur Dankbarkeit verpflichtet war. Ihr Bruder sagte mir, daß die Zierde ihres Hauptes wieder zu wachsen beginne. Mein Haarmittel hatte gewirkt. Ihre Stimme war ein sanfter, reiner, tiefer Alt, welcher sehr sympathisch klang.



Wenn ich geglaubt hatte, etwas Näheres über Murad Nassyrs Verhältnisse zu erfahren, so hatte ich mir dies leichter vorgestellt, als es war. Er hielt in dieser Beziehung sehr zurück und schien mich erst genauer kennen lernen zu wollen.



Als wir in Korosko ankamen, verließen wir das Schiff. Der Reïs sollte es über die Katarakte wegbringen, während wir die schnellere Landreise machen wollten. Wir waren zusammen neun Personen, nämlich Murad Nassyr, seine Schwester, ich, vier Dienerinnen, Ben Nil und Selim. Da der Sandal sofort weiter segelte, mußten wir im Orte Quartier nehmen. Wir zogen also in den Khan, wo die Damen vollständig abgesondert logierten.



Das waren langweilige Tage. Wir brauchten Kamele, und es wurden keine gebracht. Die Beduinen ließen uns warten, um recht hohe Löhne von uns zu erpressen. Um mir die Zeit zu vertreiben, schoß ich in den wenigen und sehr lichten Palmengärten nach Tauben oder setzte mich in den lieben Nilschlamm, um zu fischen, was in der Hitze jener Gegend keine Erholung ist. Abends saßen wir rauchend zusammen, um die Kühle zu genießen, und es ist wahr, die Nächte sind dort von einer solchen Temperatur, daß man einen wollenen Überrock recht wohl vertragen könnte.



Es war am dritten Tage des Abends. Wir saßen wieder beieinander, nämlich Murad Nassyr und ich, und ich hatte ihm einige Kapitel aus der biblischen Geschichte erzählt, wofür er sich zuweilen interessierte, da fragte er mich:



»Warum dürft ihr nicht mehrere Frauen nehmen?«



»Das ist sehr einfach. Weil Gott dem Adam nur eine gab.«



»Dürftest du eine Heidin oder eine Muhammedanerin beiraten?«



»Nein.«



»O Allah! Was ist den Christen nicht alles verboten! Wir fragen unsere Frauen nicht, was sie glauben, denn das Weib hat keine Seele. Wenn du nun eine Muhammedanerin liebtest? Würdest du auch diese nicht nehmen?«



»Vielleicht, ja; aber sie müßte Christin werden.«



»Das würde ihr nicht einfallen, sondern sie würde von dir verlangen, Moslem zu werden.«



»Das würde nun wieder mir nicht einfallen.«



»Wenn sie nun sehr schön wäre?«



»Auch dann nicht.«



»Und dazu sehr reich?«



»Nein.«



»Aber du bist doch arm!«



»Du irrst. In meinem Glauben bin ich reich. Ich tausche mit keinem Menschen.«



Er sah einige Zeit vor sich nieder, betrachtete dann mich eine Weile und fuhr nachher fort:



»Ich habe dir schon früher gesagt, daß ich dich gesehen habe und von dir sprechen hörte. Du bist ein Mann für mich, und ich wünsche, dich an mich zu fesseln. Erlaube, daß ich dir etwas zeige!«

 



Er zog ein Portefeuille aus der Tasche, öffnete es und hielt mir es dann hin. Ich sah ein ganzes Paket hoher Noten der englischen Bank.



»Weißt du, welchen Wert diese Scheine haben?«



»Es ist ein Vermögen.«



»Und trotzdem ist das nur ein kleiner Teil dessen, was ich besitze. Und nun will ich dir noch etwas zeigen. Aber von dem, was du jetzt zu sehen bekommst, sollst du ja nicht sprechen. Komm!«



Ich sah, daß die Entscheidung gekommen sei. Er wollte mich für sich gewinnen, wozu und zu welchem Zweck, das mußte ich abwarten. Wir verließen sein Gemach, in welchem wir uns befanden, traten in den Hof hinaus und gingen zu der Thüre, welche in die Räume führte, die von seiner Schwester und deren Dienerinnen bewohnt wurden. Er klopfte an; eine Schwarze öffnete. Er sagte ihr einige leise Worte, und wir wurden eingelassen. Er führte mich zu einer innern Thüre, zeigte auf dieselbe und sagte:



»Tritt ein! Ich werde dich hier erwarten.«



Unter Thüre darf man hier nicht das verstehen, was wir uns unter diesem Worte denken, sondern dicke Palmenmatten, welche beliebig fortgeschoben oder auch ganz weggenommen werden können. Ich schob die Matte zur Seite und trat ein. Was ich sah, das mußte mich in ein nicht geringes Staunen versetzen. Auf einigen übereinander gelegten Teppichen lag ein junges Mädchen von vielleicht siebzehn Jahren. Den linken Arm, in dessen Hand der Kopf ruhte, hatte sie auf ein Kissen gestemmt. Sie trug weite und bis an die Knöchel reichende Frauenhosen; die nackten Füße steckten in Samtpantoffeln; den Oberleib verhüllte eine Art Jäckchen, welches von roter Farbe und reich mit Gold gestickt war, und darüber fiel vom Halse bis auf die Füße ein schleierartiges Oberkleid. Das Haar, in welchem Perlen und goldene Münzen funkelten, war in lange Zöpfe geflochten. An allen Fingern glänzten Ringe. Die Wimpern und Brauen waren mit Khol gefärbt und die Fingernägel mit Hennah gerötet.



Das Gesicht – — ah, dieses Gesicht! Wenn von einer orientalischen Schönheit gesprochen wird, so stellt man sich, um mit dem Dichter zu sprechen, ein »nächtig-, mächtig-prächtiges« Wesen vor, mit den Zügen einer Kleopatra, Emineh oder Schefaka. Und hier – —? Auf den Jahrmärkten meiner Vaterstadt hielt gewöhnlich ein Mädchen aus dem erzgebirgischen Beierfeld Reibeisen und blecherne Löffel feil, welches ein ganz eigenartiges Gesichtchen hatte, so klein und zusam-mengedrückt, eine zwei Finger schmale Stirn, ein Näschen wie eine trockene Zwetschge, nur nicht schwarz, kleine, schmale Lippen, Öhrchen wie ein Mäuschen und Äuglein so klein und so lustig und listig wie – na wie eben auch ein Mäuschen. Ich hatte dieses Gesichtchen nie vergessen können. Und nun lag es da vor mir, dieses Beierfelder Mäuschen, aber in orientalischem Gewande. Es blickte mich aus dem unverschleierten Gesicht halb verschämt, halb erwartungsvoll an und sagte kein Wort.



Aufrichtig gestanden, ich war ein wenig das, was man perplex zu nennen pflegt. So eine Überraschung hatte ich nicht erwartet, und daher kam es, daß ich mich zu der nicht eben geistreichen Frage gedrängt fühlte:



»Wer bist du?«



»Kumra,« antwortete sie.



Dieser türkische Name bedeutet Turteltaube. Sie hatte ihn mit einer tiefen Altstimme ausgesprochen, was mich zu der zweiten Frage veranlaßte:



»Die Schwester Murad Nassyrs?«



»Ja, Effendi.«



»Wußtest du, daß ich kommen würde?«



»Mein Bruder sagte es mir.«



»Bist du wieder krank? Wünschest du, eine Arznei zu haben?«



»Nein. Du hast den Glanz meines Hauptes wieder hergestellt, und weiter fehlt mir nichts.«



»So sage mir, weshalb du mich sehen wolltest!«



»Wolltest? Ich sollte dich sehen. Mein Bruder wünschte es.«



»Nun, so sieh mich einmal an, aber so genau wie möglich!«



Ich stellte mich nahe vor sie hin und drehte mich schnell dreimal um meine eigene Achse. Es flog ein fröhliches Lächeln über ihr Gesichtchen, als sie sagte:



»O Effendi, ich habe dich ja schon so oft gesehen; ich wollte sagen, daß du mich sehen solltest, nicht ich dich.«



»Ah! Warum?«



»Mein Bruder wird es dir sagen.«



»So darf ich wohl fragen, ob die gegenwärtige Audienz zu Ende ist?«



»Ja, sie ist beendet. Er wird dich erwarten.«



Ich verbeugte mich auf orientalische Weise und trat wieder hinaus. Da stand Murad Nassyr, nahm mich beim Arme und führte mich wieder in seine Stube hinüber. Wir setzten uns wie vorhin neben einander, brannten unsere Pfeifen an, und dann entfuhr seinen Lippen das fragende