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Im Lande des Mahdi I

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»Allah! So seid also auch ihr dem Tode geweiht und könnt mir keine Rettung bringen!«

»Verzage nicht. Allerdings will man uns hier verschmachten lassen, aber ich hoffe, diese Absicht zu Schanden zu machen, und dann wirst du mit uns das Licht des Tages wieder schauen. Wie lange befindest du dich schon an diesem Orte?«

»Vier Tage.«

»So mußt du fast verdurstet sein!«

»Nein, Herr. Durst habe ich wenig gelitten, denn es ist hier feucht, und die Mauer hängt voller Tropfen. Aber Hunger habe ich. Ich hatte schon über einen Tag lang nichts gegessen, als ich hierher gelockt wurde. Nun bin ich so schwach, daß ich mich nicht mehr erheben kann.«

Ich muß erwähnen, daß ich mich in freien Augenblicken in den Hof zu begeben pflegte, um den Bakarahengst vollends zu zähmen. Ich hatte ihm stets eine Tasche voll Datteln mitgenommen. Auch heute hatte ich die Tasche gefüllt, war aber nicht dazu gekommen, in den Hof zu gehen. Ich zog also die Datteln hervor und gab sie dem armen Menschen. Als das Selim sah, sagte er:

»Auch ich habe etwas. Der Haushofmeister hat mir Kebab [Fleischstückchen]an kleinen Hölzern über dem Feuer gebraten mitgegeben, da er meinte, daß ich Hunger bekommen könne. Da nimm und iß!«

Die Datteln und das Fleisch reichten hin, einen Hungrigen zu sättigen. Während er aß, betrachtete ich ihn. Er war ein junger Mann von kaum über zwanzig Jahren, hatte nicht arabische Gesichtszüge und machte einen gar nicht üblen Eindruck auf mich. Gekleidet war er nur in eine blauleinene Hose und Jacke, welche durch einen Ledergürtel festgehalten wurden. Auf dem Kopfe trug er den unvermeidlichen Fez. Er aß, ohne zu sprechen, und ich wollte ihn nicht mit Fragen belästigen. Als er fertig war, versuchte er, aufzustehen; es ging so leidlich.

»Allah sei Dank!« sagte er. »Die Speise hat mich gekräftigt, obgleich sie noch nicht in mein Blut übergegangen ist. Wer seid ihr? Sagt mir eure Namen, damit ich euch danken kann!«

Da antwortete Selim schnell:

»Mein Name ist so berühmt und so lang, daß du ihn gar nicht auszusprechen vermöchtest, wenn ich ihn dir ganz sagte. Nenne mich daher Selim, den größten Helden seines Stammes! Ich bin der Leiter und Beschützer dieses Effendi, dessen – — —«

»Das ist überflüssig,« unterbrach ich ihn. »Wer wir sind, das wird dieser Jüngling schon noch erfahren. Nötiger ist es, daß wir wissen, wer er ist und wie er hierher kam.«

»Ich heiße Ben Nil,« antwortete er.

Diese beiden Worte heißen Sohn des Niles; darum fragte ich:

»So bist du am Ufer des Stromes geboren?«

»Nicht am Ufer, sondern auf dem Nile selbst. Meine Mutter befand sich mit Abu en Nil auf dem Wasser unterwegs, als ich geboren wurde.«

»Vater des Niles heißt dein Großvater. So ist er wohl ein Schiffer?«

Fleischstückchen, an kleinen Hölzern über dem Feuer gebraten.

»Er ist der beste Steuermann vom Anfang bis zum Ende dieses Stromes.«

»Und wie kamst du hierher?«

»Ich sollte einen Mann töten helfen, und das wollte ich nicht. Zur Strafe dafür hat man mich hierher gebracht, wo ich elend untergehen soll.«

»Daß du ein solches Verbrechen von dir gewiesen hast, ist sehr brav von dir. Wer waren denn diejenigen, welche es von dir forderten?«

»Es waren ihrer drei; aber ich getraue mich nicht, sie zu verraten, da zwei von ihnen sehr mächtige Leute sind.«

»Ich vermute, daß Abd el Barak sich unter ihnen befindet.«

»Herr, du hast ein ehrliches Gesicht, und ich will dir vertrauen. Ja, Abd el Barak ist dabei. Der zweite war ein berühmter Fakir und der dritte ein Gaukler.«

»Ah! Diese beiden letzteren sind es, die uns hierher gelockt haben.«

»So sind wir Leidensgefährten, und ich will kein Geheimnis vor euch haben, obgleich es euch gleichgültig sein kann, wer derjenige ist, den ich töten sollte.«

»Das kann mir nicht gleichgültig sein, denn ich nehme erstens teil an dir, und zweitens muß es mir lieb sein, über die Absichten meiner Feinde etwas Näheres zu erfahren. Also sage, wer er ist!«

»Er ist ein Fremder, ein Christ aus Almanja. Ein gelehrter Effendi, der sich gegen die heilige Kadirine vergangen hat.«

»Gehörst du zur Kadirine?«

»Ich bin einer der geringsten unter ihren Dienern.«

»Und hast doch nicht gehorcht!«

»Ich bin ein ehrlicher Mann und morde nicht. Nur im Falle eines Krieges, einer Blutrache oder einer schweren Beleidigung würde ich meinen Gegner töten. Und außerdem hatte dieser Fremdling meinem Großvater einen großen Dienst erwiesen.«

»Darf ich erfahren, was für ein Dienst das gewesen ist?«

»Ja. Er war Steuermann eines Sklavenschiffes und sollte deshalb bestraft werden; der Christ ließ ihn heimlich entweichen. Wie kann ich da so undankbar sein, ihn wegen der Kadirine umzubringen!«

»Du hast recht gehandelt, und ich hoffe, es dir vergelten zu können.«

»Du, Herr?«

»Ja, ich. Du sprichst nämlich mit demjenigen, den du ermorden solltest, denn ich bin jener Effendi aus Deutschland.«

»Ist das wahr? Ist das auch nur möglich?«

»Es ist wahr. Frage meinen Begleiter hier, und außerdem kann ich es dir auch noch anderweit beweisen.«

»Das wäre ein Kismet, über welches ich mich freuen würde, wie ich mich in meinem Leben noch nicht gefreut habe.«

»Den Namen deines Großvaters hörte ich nicht nennen; ich habe denselben erst von dir erfahren. Er war Steuermann eines Schiffes, welches nach Siut bestimmt war und, als es den Hafen von Bulak kaum verlassen hatte, in Giseh anlegte?«

»Das ist wahr; das stimmt!«

»Ich sollte mit diesem Schiffe fahren. Des Abends kam der Gaukler an Bord, um mich zu bestehlen. Später sollte ich ermordet werden.«

»Auch das ist richtig. Ich habe es von meinem Großvater erfahren. Weißt du, wie das Sklavenschiff hieß?«

»Natürlich weiß ich es. Es war die Dahabijeh ›es Semek‹, der Fisch.«

»Du sagst die Wahrheit, Effendi. Du bist der Mann, von dem ich spreche und der so gütig gegen meinen Großvater gehandelt hat. Herr, ich danke dir, ich danke dir!«

Er ergriff meine Hand und zog sie an sein Herz.

»Wie aber kannst du von mir wissen?« erkundigte ich mich, »du kannst es nur von deinem Großvater erfahren haben. Dieser wollte nach Gubator zu seinem Sohne; du aber bist hier oben in Siut.«

»Er ist nicht nach Gubator. Er verschwieg dir seine Ab-

sicht. Du handeltest zwar gütig gegen ihn, aber du bist ein Christ. Soll ich dir noch mehr sagen?«

»Nein; ich verstehe dich.«

»Du mußt wissen, daß ich eigentlich mit zur Besatzung der Dahabijeh gehörte. Ich war bei der vorigen Thalfahrt krank geworden und hier zurückgeblieben. Bei der Bergfahrt sollte ich wieder aufgenommen werden. Mein Großvater sprach zwar zu dir davon, daß er nach Gubator gehen werde. Aber die Behörde konnte nachforschen und erfahren, daß er dort zu Hause ist und dann auf ihn fahnden. Darum ging er nicht dorthin, sondern nilaufwärts nach Siut, wo er wußte, daß ich auf ihn wartete. Er traf mich und erzählte mir, was geschehen war. Glücklicherweise fand er sofort Stellung auf einem Schiffe, welches nach Chartum ging. Er blieb infolgedessen nur einen halben Tag hier und beauftragte mich, nach Gubator zu gehen, um der Familie mitzuteilen, welches Unglück ihm widerfahren sei.«

»Warum gingst du nicht? Warum bliebst du hier?«

»Ich wollte gehen; da aber begegnete ich Abd el Barak, dem Mokkadem der heiligen Kadirine – — —«

»Wo begegnetest du ihm?« unterbrach ich ihn.

»Hier auf der Straße.«

»Kennst du seine Wohnung?«

»Nein. Er bestellte mich hinaus vor die Stadt. Als ich zu ihm kam, waren der Fakir und der Gaukler bei ihm, und da forderten sie mich auf, dich zu töten.«

»Du kanntest mich doch nicht!«

»O, man wußte genau, daß du mit dem Schahin, dem Schiffe des Reïs Effendina kommen würdest, und da solltest du mir gezeigt werden.«

»Du gingst also nicht auf die Mordthat ein. Wie wurde das aufgenommen?«

»Man täuschte mich; man that, als ob man meine Weigerung gleichgültig aufnehme. Dann wurde ich von dem Fakir aufgefordert, mit ihm nach dem unterirdischen Grabe eines Marabut zu gehen. Er führte mich hierher. Auch der Gaukler war mit.«

»Abd el Barak nicht?«

»Nein. Dieser mußte wieder fort.«

»Wohin?«

»Das konnte ich nicht erfahren. Ich hörte nur einige heimliche Worte, aus denen ich schließe, daß er die Absicht hat, irgend einen Sklavenhändler vor dem Reïs Effendina zu warnen.«

»So meinst du, daß er sich nicht mehr in Siut befindet?«

»Es ist möglich, daß er noch da ist, aber wahrscheinlich nicht.«

»Hm! Dir wurde also weisgemacht, daß sich hier das Grab eines Marabut befinde?«

»Ja. Warum sollte ich es bezweifeln? Der Fakir, welcher es sagte, ist ja selbst ein Heiliger!«

»Aber ein Heiliger, welcher lügt und mordet. Du hättest ihm nicht glauben sollen.«

»Verzeihe, Effendi! Hat er nicht auch einen Vorwand gehabt, unter welchem er dich hierher lockte?«

»Richtig! Ich bin nicht vorsichtiger gewesen als du und habe dieselben Vorwürfe verdient. Du hattest also den Ort, an welchem wir uns befinden, nie gesehen?«

»Nie.«

»Und kannst uns also keine Auskunft erteilen?«

»Nicht die geringste, Effendi.«

»Das ist schlimm! Wie ist es möglich, uns einen Weg zu bahnen?«

»Es giebt keinen. Ich habe gesucht und keinen gefunden.«

»Wie hast du suchen können? Du befandest dich doch wohl im Finstern?«

»O nein. Wenn man von oben aus zwanzig Schritte herabgestiegen ist, giebt es zwei Seitengänge – —«

»Ich kenne diese beiden Stollen,« fiel ich ein. »Sie können aber nicht weit führen.«

»Vielleicht führen sie ins Freie und die Ausgänge sind mit Sand verschüttet; ich weiß es nicht. Aber man geleitete mich in den einen. Da lagen eine dicke Steinplatte und viele Steine, und da standen auch Thonlampen, mit Öl gefüllt. Es wurden einige angebrannt; ich nahm mir eine und stieg voran. Kaum war ich einige Stufen abwärts gekommen, so rief man mir nach, daß ich hier sterben müsse, weil ich sonst vielleicht verraten könne, daß der fremde Effendi getötet werden soll.«

 

»Armer Teufel! So hast du also meinetwegen leiden müssen!«

»Gelitten habe ich freilich, Effendi. Ich glaubte zunächst, man mache Scherz mit mir. Als man aber den Brunnen mit der Platte und den Steinen bedeckte, sah ich ein, daß es Ernst sei. Ich rief; ich bat und flehte – vergebens. Ich erkannte, daß nach oben keine Rettung möglich sei, und stieg also weiter hinab. Ich untersuchte den ganzen Schacht, auch hier diese Brunnenkammer, und habe nicht eine einzige Stelle gefunden, welche hoffen läßt, daß sich ein Ausgang da befindet. Dann verlöschte die Lampe, Dort liegen die Scherben in der Ecke. Auch ich begann zu verlöschen. Ich bin in diesen Tagen im Finstern hundertmal herauf- und wieder herabgeklettert; endlich konnte ich nicht mehr. Der Ausgang war und blieb verschlossen. Ich glaube, daß ich dem Wahnsinne nahe gewesen bin. Ich habe gebrüllt und getobt, wie ein Verrückter, bis ich nicht mehr konnte und hier liegen blieb.«

»Wie kannst du denn wissen, daß du dich vier Tage hier befunden hast?«

»Ich habe eine Uhr, diese hier. Ein alter Matrose schenkte sie mir in Alexandrien.«

Er zog eine alte, sonnenblumengroße, dreigehäusige Spindeluhr aus der Hosentasche, zeigte sie mir und fuhr fort:

»Ich habe tausendmal nach den Zeigern gefühlt. Schon klang mir der Tod in die Ohren, da hörte ich euch über mir. Ich wollte hinauf, war aber zu schwach dazu. Habt ihr mich gehört?«

»Ja, wir hörten dich. Sprich jetzt nicht weiter; du bist zu schwach. Setze dich nieder und ruhe. Ich werde einmal suchen.«

»Du wirst nichts finden,« erklärte er, indem er sich wieder niedersetzte.

»Auch ich bin überzeugt, daß wenigstens hier die Nachforschung vergeblich ist. Wir befinden uns weit unter der Grundfläche des Hügels, und so glaube ich nicht, daß es von hier einen Gang giebt. Aber einen Ausweg müssen wir finden, und wenn wir ihn uns selbst graben sollten.«

»Das würde wochenlang dauern, und inzwischen sind wir gestorben!«

»Mir ist es ganz und gar nicht wie sterben; ich habe ganz im Gegenteile das Gefühl, als ob wir sehr bald wieder an das Tageslicht kommen würden.«

»O, Effendi, hättest du doch recht!« klagte Selim. »Meine Nerven sind zerrissen, und all meine Hoffnung ist tot. Wir müssen hier sterben und verderben. Warum hat Allah gerade mir dieses Kismet vorgezeichnet!«

»Was jammerst du?« fragte Ben Nil. »Du hast dich vorhin den größten Helden deines Stammes genannt. Wenn du das bist, so scheint derselbe aus lauter Weibern zu bestehen.«

»Beleidige mich nicht! Du hast doch auch gestanden, daß du gebrüllt und geschrieen hast.«

»Ich war allein; jetzt aber sind wir zu dreien.«

Selim wollte zornig antworten; ich gebot ihm Schweigen, denn ich untersuchte die Mauer, indem ich an dieselbe klopfte, um vielleicht eine hohle Stelle zu entdecken. Es gab keine. Und nun wurde hier unten die Luft von Augenblick zu Augenblick schlechter. Es war schon deshalb geraten, nach oben zu steigen, und außerdem war dort mehr Hoffnung, einen verborgenen Weg zu entdecken.

»Wie aber soll ich von hier fort?« fragte Ben Nil. »Ich bin so schwach, daß ich nicht steigen kann.«

»Wir ziehen und tragen dich.«

Ich band ihm den Strick um den Leib. Das andere Ende bekam Selim um den seinigen geschlungen; er mußte voransteigen. Ich nahm Ben Nil so, daß er auf meinen Schultern ritt, so wie ich es mit dem dicken Haushofmeister gemacht hatte; so hob und schob ich ihn, indem ich emporstieg; Selim zog an dem Stricke; auf diese Weise gelangten wir ohne Anstrengung in das vorherige Gemach. Welch ein Glück, daß wir mit Fackeln versehen waren und dem Fakir keine davon gegeben hatten! Die zweite war allerdings beinahe abgebrannt; aber wir hatten ja noch vier. In dem erwähnten Raume angekommen, machte ich mich sofort wieder über die Stelle her, von welcher ich vorher den Sand entfernt hatte. Selim mußte jetzt helfen, während Ben Nil die Fackel hielt. Wir hatten noch nicht fünf Minuten gearbeitet, so begann das wagerechte Loch, welches wir gruben, sich mit Mauerwerk zu umgrenzen.

»Allah ist groß!« rief Selim. »Das ist doch ein Gang!«

»Es scheint so,« antwortete ich.

»Effendi, woher hast du das gewußt?«

»Gewußt nicht, aber erraten habe ich es. Die Luft ist hier so erträglich, daß ich sofort überzeugt war, diese Kammer müsse mit der Außenwelt in Verbindung stehen, und dies hier ist die einzige Stelle, an der es kein Mauerwerk gab; folglich grub ich hier nach.«

»Ja, es ist ein Gang!« wiederholte Selim, indem er aus Leibeskräften weiter wühlte. »Ein gemauerter Gang, dessen Decke an dieser Stelle eingestürzt ist. Der Sand ist nachgebrochen. O Allah, wenn dieser Gang nicht ganz eingestürzt wäre!«

»Wäre er ganz verschüttet, so hätten wir eine viel schlechtere Luft.«

»So glaubst du, daß wir uns retten werden?«

»Ich habe noch keinen Augenblick daran gezweifelt. Hinaus müssen wir auf alle Fälle, wenn nicht hier dann anderswo. Dieser Fakir ist nicht der Mann, uns hier festzuhalten. Er ahnt nicht, welche Mittel einem denkenden und energischen Manne zu Gebote stehen. Grabe weiter!«

»Ja, grabt, grabt; ich will beten!« bat Ben Nil. »Und sollten wir erlöst werden, dann wehe denen, durch deren Hinterlist wir hier eingeschlossen wurden.«

»Ich zermalme diesen Fakir!« knirschte Selirn, indem er den Sand handvoll hinter sich warf. »Sind wir nur erst hinaus!«

»Wir kommen hinaus,« antwortete ich. »Ich glaube sogar die Stelle zu wissen, an welcher wir das Freie erreichen.«

»Das ist zu kühn gesprochen, Effendi.«

»Nicht zu kühn. Weißt du, wie hoch der Hügel ungefähr ist?«

»Nein.«

»Und wie tief wir uns im Innern befinden?«

»Auch nicht.«

»Nun, wir sind bis hierher fünfzig Löcher herabgestiegen, und ich schätze, daß wir uns auf der Grundfläche des Bergkegels befinden. Wir sind wenig tiefer, als die Wüste draußen liegt. Jetzt graben wir nach der Südseite des Hügels. Was befindet sich dort, Selim?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Denke doch an das Loch, in welches der Haushofmeister stürzte!«

»Allah, wallah, tallah! Meinst du etwa, daß – —?«

Er hielt inne und sprach den Satz vor Überraschung nicht aus.

»Freilich meine ich es!«

»Nämlich, daß wir von hier aus in jenes Loch gelangen?«

»Ich bin beinahe überzeugt davon. Es ist zwar hier vom Innern aus nicht genau zu bestimmen, aber ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß dieser Gang, falls er nicht von der geraden Richtung abweicht, derjenige ist, in welchen der Haushofmeister einbrach. Arbeiten wir weiter!«

Zunächst war der Gang vollständig mit Sand gefüllt; als wir ihn aber auf ungefähr zwei Ellen frei gemacht hatten, lag er leer vor uns. Ich kroch mit der Fackel hinein, um ihm zu folgen. Er hatte genau die Höhe und Breite der Ausmauerung des Loches, aus welchem wir den dicken Schwarzen emporgeholt hatten, ein Umstand, welcher mich in meiner vorhin ausgesprochenen Meinung bestärken mußte. Ich konnte mich ziemlich leicht bewegen. Während ich die Fakkel in der einen Hand hielt, kroch ich auf der andern und den Knieen weiter, zehn, zwanzig, vierzig Fuß und noch mehr. Der Gang hielt genau dieselbe Richtung ein, aber fast schien es mir, als ob er eine für meine Voraussetzung zu bedeutende Länge habe. Endlich war er zu Ende, oder vielmehr er war verschüttet, und zwar mit demselben lockern Sande, den wir bisher angetroffen hatten. Eben überlegte ich, ob ich denselben wegräumen oder erst Selim und Ben Nil Nachricht geben solle, da hörte ich hinter mir des ersteren Stimme:

»Allah sei Dank, daß ich dich wieder habe!«

»Warum kommst du mir nach?«

»Weil es nicht länger in dieser Finsternis auszuhalten war.«

»Du fürchtetest dich?«

»Nein, ich war ein Held, aber dieser kleine Ben Nil fürchtete sich.«

»Und weil er sich fürchtete, ließest du ihn allein! Du hast eine ganz eigene Art, deinen Mut zu beweisen. Hier, halte die Fackel; ich will graben.«

Der Sand wich sehr leicht; ich warf ihn unter und hinter mich. Noch war keine Minute vergangen, so fühlte ich frische Luft, welche mir entgegenströmte. Noch eine halbe Minute, und es wurde tageslicht vor mir; der Sand fiel von selbst zusammen, und es gab ein Loch, durch welches ich kroch. Die Sonne stand gerade über meinem Haupte, und ich befand mich – — in dem Loche, aus welchem wir den Haushofmeister geholt hatten. Meine Berechnung oder vielmehr Vermutung war also nicht falsch gewesen.

Nun sog ich die Luft mit vollen Zügen ein, da drängte Selim sich aus dem Gange zu mir heran, richtete sich auch auf und rief in jubelndem Tone:

»Allah il Allah! Die Himmel seien gelobt, und alle heiligen Khalifen sollen – — —«

»Schweig‘ mit deinen Khalifen, du Esel!« fuhr ich ihn mit unterdrückter Stimme an. »Willst du uns verraten?«

»Verraten?« fragte er mit dem dümmsten Gesicht, welches ich jemals gesehen habe.

»Allerdings verraten!«

»An wen?«

»Art diejenigen, welche uns eingesperrt haben.«

»Aber gerade sie sollen erfahren, daß wir frei sind.«

»Das sollen sie, doch nicht vor der Zeit. Wenn sie noch da sind, fangen wir sie. Machst du sie aber vor der Zeit aufmerksam, so reißen sie aus, und wir können dann sehen, wo wir sie finden.«

»Du hast recht, Effendi. Fangen wollen wir sie. Ich werde sie ergreifen und festhalten. Ich werde sie bestrafen und zermalmen. Ich, der würdigste der Helden, will ihnen – —«

»Rede nicht! Ich werde rekognoszieren. Du aber kriechst zurück und holst Ben Nil.«

»Ich?« fragte er entsetzt. »Das geht nicht.«

»Du bist ein Feigling ohnegleichen! Laß ich dich hier, so machst du Dummheiten und kannst alles verderben. Zu dem armen Ben Nil aber zurückzukehren, dazu fürchtest du dich zu sehr.«

»Ich fürchte mich nicht.,«

»Nun, so gehe!«

»Ich bleibe doch lieber hier!«

Der Kerl war wirklich nicht wieder in den Gang zu bringen; ich mußte selbst zurückkehren, schärfte ihm aber vorher ein, daß er sich ruhig zu verhalten und beim Nahen menschlicher Schritte schnell in den Gang zurückzuziehen habe. Ich fand Ben Nil noch da sitzen, wo ich ihn verlassen hatte.

»Was bringst du für Botschaft, Effendi?« fragte er.

»Die beste. Wir sind frei. Der Gang führt in das Freie.«

Da stand er auf, sank aber sofort wieder auf die Kniee nieder und sprach ein lautes Dankgebet. Dann streckte er mir beide Hände entgegen und sagte:

»Herr, diesen Augenblick werde ich dir nicht vergessen. Sollte ich dir danken können und es nicht thun, so mag Allah mich nicht kennen, wenn ich Einlaß in seinen Himmel begehre. Wo ist Selim, dein Begleiter?«

»Er steht schon draußen.«

»Er fürchtete sich wie ein altes Weib und hielt es nicht länger aus. Darf ich mit dir fort?«

»Natürlich! Ich kam ja, dich zu holen. Nur fragt es sich, ob du kräftig genug bist. Der Gang ist sehr lang, aber‘so schmal und niedrig, daß ich dich nicht unterstützen kann.«

»Ich bedarf keiner Hilfe mehr. Die Datteln und Kebab haben mich gestärkt, und die Gewißheit, errettet zu sein, verdoppelt meine Kräfte. Krieche voran, ich folge dir!«

Er hatte nicht unrichtig gesprochen; die verlorenen Kräfte schienen ihm zurückgekehrt zu sein, und wir erreichten das Freie, ja, aber unsern Selim nicht; er war nicht zu sehen, dafür aber desto lauter zu hören. Ich vernahm seine Stimme:

»Ihr Hunde, ihr Hundeenkel und Hundenachkommen! Lauft, lauft, sonst zerdrücken wir euch zwischen den Fingern unserer Hände! Ich bin der erste der Krieger und der oberste der Helden. Lauft, sonst seid ihr verloren!«

Er hätte noch nicht aufgehört zu brüllen; ich rief ihn aber, und er kam an den Rand des Loches. Wie er ohne Hilfe aus der Tiefe der Grube da hinaufgekommen war, das konnte ich nicht begreifen.

»Du solltest doch still sein und dich nötigenfalls verbergen!« zürnte ich ihm. »Was hast du denn zu schreien?«

»Soll ich diesen Hundesöhnen nicht sagen, was ich von ihnen denke?« antwortete er.

»Welchen Hundesöhnen?«

»Dem Fakir und dem Gaukler. Sie laufen nach der Stadt, so schnell sie ihre Füße bewegen können.«

»Wie bist du denn aus dem Loche gekommen?«

»Mit meinen Armen und Beinen. Sind dieselben eben nicht lang genug?«

»Das sind sie freilich; aber ich wünschte, daß du unten geblieben wärest.«

»Effendi, was sollte ich dort unten! Ich gedachte dieser Halunken, und da kam ein Ingrimm und eine Wut über mich, welche nicht zu zähmen waren. Meine Tapferkeit übermannte mich, und ich kletterte aus dem Loche, welches meines Mutes nicht würdig war. Eben stand ich oben, da sah ich die beiden kommen.«

 

»Woher?«

»Vorn Berge herab. Ich brüllte sie wütend an, und sie erschracken so, daß ihre Füße die Schnelligkeit der Gazellen erhielten. Du kannst sie noch laufen sehen.«

»Halte schnell den Strick! Ich muß sie allerdings sehen.«

Ich warf ihm das eine Ende des Strickes zu und turnte mich an dem andern empor. Ja, dort liefen die beiden, was sie nur laufen konnten. Sie waren so weit fort, daß man sie nun nicht mehr einholen konnte. Dieser Selim hatte wieder einmal alles verdorben. Darum fuhr ich ihn zornig an:

»Daran bist du schuld, du alter, unverbesserlicher Schwatzstorch! Hättest du den Schnabel gehalten, so wären diese beiden Menschen in unsere Hände gefallen, und wir hätten sie bestrafen lassen können.«

»Das kann ja auch noch geschehen! Wir werden sie fangen, sobald wir nach Siut kommen.‹,

»Sie werden sich nicht dorthin setzen. Und du bist am allerwenigsten der Mann dazu, solche Leute zu fangen.«

»Ich? Effendi, du verkennst mich schon wieder. Ich bin der Mann, der jeden gefangen nimmt, wenn er nur will.«

»Nun, warum hast du da diese beiden nicht festgehalten?«

»Weil – weil – — weil ich nicht wollte,« stotterte er verlegen.

»Ah, du hast nicht gewollt!«

»Ja. Ich durfte euch doch nicht im Stiche lassen. Was wäret ihr ohne mich gewesen! Diese Kerle aber liefen so schnell davon, daß ich, wenn ich sie hätte gefangen nehmen wollen, unter Jahr und Tag nicht zu euch zurück hätte kehren können.«

»Wo waren sie denn, als du sie erblicktest?«

»Ich stieg eben aus dem Loche, da kamen sie vom Hügel herab. Als sie mich sahen, blieben sie stehen und staunten mich an; da brüllte ich ihnen zornig entgegen, und sie liefen voller Angst eiligst davon.«

»Da hat ein Hase Angst vor dem andern gehabt.«

»Vor dem andern? Zweifelst du etwa, daß ich Mut besitze?«

»Allerdings. Du hast dich vor dem Loche gefürchtet, darum bist du aus demselben gestiegen. Und dann hast du, als du die beiden Männer erblicktest, sie vor lauter Angst angebrüllt. Daß sie da das Weite gesucht haben, ist das Köstlichste an der ganzen Geschichte. Wären sie besonnener gewesen, so hätte es dir und uns schlecht gehen können. Mit dir wären sie schnell fertig gewesen, und wäre dann ich gekommen, so hätte ich, der ich unten im Loche stand, gegen sie, welche oben standen, so gut wie nichts machen können.«

»Was? Sie wären schnell mit mir fertig gewesen? Effendi, ich wollte, sie wären gekommen. Ich hätte sie zwischen meinen Händen zu Mehl zerrieben. Übrigens sind sie uns auch jetzt noch sicher.Wennwir sie bei der Polizei anzeigen, so – —«

»So hört uns die Polizei an und legt dann die Hände in den Schoß,« unterbrach ich ihn.

»So gehe, zu deinem Konsul! Es ist ja einer da!«

»Fällt mir auch nicht ein. Mit einer Angelegenheit, welche ich selbst erledigen kann, belästige ich keinen andern. Gieb jetzt den Strick hinab; wir wollen unsern Ben Nil heraufziehen!«

Ben Nil schlang sich den Strick unter den Armen hindurch und stand dann bald neben uns. Nun, da an seiner Rettung nicht mehr gezweifelt werden konnte, sank er abermals in die Kniee, um zu beten. Die Sonne brannte heiß hernieder, aber dennoch kam uns die Luft so erquickend, so balsamisch vor. Jetzt wollte ich sehen, wie es oben am Schachte aussah. Ich ließ also Ben Nil, welcher sich mehr als wir zu schonen hatte, unten sitzen und stieg mit Selim den Hügel hinan. Der Eingang stand offen, und es waren die Spuren nicht verwischt worden.

»Daraus kannst du ersehen, daß du sie vertrieben hast. Sie haben hier Wache gehalten, und wir hätten sie gewiß ergriffen, wenn du nicht, als du in das Freie tratest, so laut gewesen wärest. Hättest du doch deine Khalifen in Ruhe gelassen!«

»Effendi, ich bin ein gläubiger Moslem und habe die Pflicht, Allah, Muhammed und den Khalifen für alles Gute zu danken.«

»Dabei brauchst du aber nicht zu brüllen wie ein Löwe! Allah sieht und hört selbst die Gedanken des Herzens; Muhammed kannst du aus dem Spiele lassen, und deinen Khalifen wird es auch lieber sein, wenn sie nichts von dir hören. Laß uns einmal hinabsteigen!«

»Du willst wieder hinab? Spiele nicht mit der Hölle! Einmal bist du entkommen; das zweiternal würde sie dich aber nicht wieder aus ihren Armen lassen.«

»Sei nicht albern! Hast du unten im Brunnen eine Spur von Hölle bemerkt?«

»Mehr als nur eine Spur. Ich habe alle Teufel gehört und die Flammen der Verdammnis gesehen.«

»So bleibe hier; du hinderst mich so wie so mehr, als du mich förderst.«

Er wollte mich zurückhalten; ich kroch aber durch den Eingang, brannte drinnen eine Fackel an und stieg dann in den Schacht hinab. Nach den ersten zwanzig Löchern kam ich an die Seitenstollen. Sie standen offen; der Schacht aber war zu. Es lag da ein großer Haufe von Schlammziegeln, so groß, daß er die über das Loch gelegte Platte ganz bedeckte. Diesen Haufen konnte ein Mensch von innen und unten unmöglich heben. Ich kroch auch in die beiden Seitenstollen; sie waren nicht lang und hatten wohl zur Luftzufuhr gedient. In dem einen standen die Lämpchen, von denen Ben Nil gesprochen hatte. Ich zertrat sie und kehrte dann an die Oberwelt zurück.

Der Fakir und der Muza‘bir waren jedenfalls der Ansicht gewesen, daß der Brunnen unten keinen Ausgang habe. Hätten sie eine Ahnung gehabt, daß es anders sei, so wäre uns die Rettung wohl nicht gelungen.

Als wir nun unten bei Ben Nil wieder ankamen, stand er von der Erde auf und sagte:

»Effendi, ich habe soeben zu Allah ein Gelübde gethan, nicht eher zu ruhen, als bis ich mich an Abd el Barak, dem Gaukler und dem Fakir gerächt habe. Erlaubt dir deine Religion auch die Rache?«

»Nein. Die Rache ist Gottes. Aber bestraft soll jede Übelthat werden, und es ist Pflicht eines jeden Menschen, den Verbrecher unschädlich zu machen, damit er nicht noch mehr Böses thun kann.«

»So willst du diese drei bestrafen?«

»Ich nicht selbst, denn ich bin ihr Richter nicht. Auch werde ich jetzt keine Anzeige machen, denn ich weiß, daß dies der Angelegenheit mehr Schaden als Nutzen bringen würde. Man müßte sogar gewärtig sein, daß die Kerls gewarnt würden.«

»Was willst du denn thun?«

»Die Augen offen halten. Gerät mir einer von ihnen in die Hände, dann klage ich ihn an und ruhe nicht eher, als bis er bestraft wird.«

»Du wirst ihn nicht anklagen, denn bevor das möglich wäre, hätte mein Messer ihn getroffen. Der schlimmste von ihnen ist dieser Heuchler Abd Asl, den jeder, der ihn nicht kennt, für den frömmsten Menschen hält; aber er ist ein Teufel in irdischer Gestalt.«

»Abd Asl?« fragte ich erstaunt. »Wen meinst du denn da?«

»Den Fakir natürlich, hast du denn seinen Namen noch nicht gekannt?«

»Wie ich jetzt vermute, habe ich ihn gehört, aber nicht gewußt, daß es der seinige ist.«

»Nun, er heißt Abd Asl.«

»Kennst du den Namen Ibn Asl?«

Der Gefragte sah mich forschend an und erkundigte sich dann:

»Das fragst du mich wohl, weil du an die Dahabijeh denkst, zu deren Bemannung ich gehörte?«

»Nein. Ob du Matrose eines Sklaven- oder eines andern Schiffes gewesen bist, das ist mir sehr gleichgültig.«

»So verachtest du mich nicht deshalb?«

»Nein.«

»So will ich dir sagen, daß ich den Namen Ibn Asl sehr gut kenne.«

»Ist der Mann mit Abd Asl verwandt?«

»lbn Asl ist sein Sohn und wird gewöhnlich ed Dschasuhr, der Kühne, genannt.«

»Ich danke dir. Du bringst mich da an die Thüre eines Geheimnisses, dessen Lösung mir sonst wohl sehr schwer oder gar unmöglich geworden wäre. Bist du schon einmal in Chartum gewesen?«

»Schon oft.«

»Kennst du einen Kaufmann Namens Barjad el Amin?«

»Sehr gut sogar.«

»Was ist er für ein Mann?«

»Er wird für einen ehrlichen Mann gehalten, und ich glaube, daß er dies verdient.«

»Ich freue mich sehr, dies zu hören.«

»Willst du nach Chartum?«

»Ja.«

»Effendi, brauchst du keinen Diener? Nimm mich mit! Ich bin arm; aber du sollst mir gar nichts bezahlen. Nur Essen sollst du mir geben.«

»Gut, du gefällst mir, und ich nehme dich mit. Da du Schiffer bist, ist es mir vielleicht möglich, dich dort in eine gute Stellung zu bringen.«

»Das werde ich mit Freuden annehmen, und du sollst mich nicht als einen Unwürdigen empfehlen. Wann reisest du?«

»Das ist noch unbestimmt. Ich erwarte einen Gefährten.«

»Wenn der nun heute schon kommt? Ich könnte da nicht mit, weil ich noch etwas sehr Nötiges hier zu besorgen habe.«