Die Seepferdchen-Siedlung

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Die Seepferdchen-Siedlung
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Die Seepferdchen-Siedlung

oder

Das Leben weht aus allen Richtungen

Published by neobooks, Neopubli GmbH Berlin

Copyright: ©2020 by Georg von Rotthausen

Georg von Rotthausen

Die Seepferdchen-Siedlung

oder

Das Leben weht aus allen Richtungen

Chronik einer Nachbarschaft im Norden, Teil 1

Dieses Werk ist durch Urheberrecht geschützt. Es ist auf keinen Fall legal, Teile dieses Manuskripts auf elektronischem Weg oder gedruckt zu reproduzieren, zu vervielfältigen oder zu übermitteln. Die Aufnahme dieser Publikation ist strikt verboten und jedwede Speicherung dieses Dokuments ist ohne schriftliche Erlaubnis des Autors nicht erlaubt. Alle Rechte vorbehalten. Jede Zuwiderhandlung führt zu zivilrechtlicher Haftung und strafrechtlicher Verfolgung, im In- und Ausland, ohne Ansehen der Person oder Institution.

Die Personen, Orte und Ereignisse, die in diese Buch dargestellt werden, sind sämtlich fiktiv, außer historische Personen und Ereignisse. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen, lebend oder tot, wäre rein zufällig und in keiner Weise vom Autor beabsichtigt.

This work is protected by copyright. In no way it is legal to reproduce, duplicate or transmit any part of this manuscript in either electronic means or in printed format. Recording of this publication is strictly prohibited and any storage of this document is not allowed unless with written permission of the author. All rights reserved. Any violation will lead to civil liability and criminal prosecution, domestic and abroad, without distinction of person or institution.

The characters, locations and events portrayed in this book are entirely fictitious save for historical individuals and events. Any other similarity to real persons, living or dead, is entirely coincidental and not intended in any way whatsoever by the author.

Kontakt zum Autor:

georg.v.rotthausen@gmx.net

Einleitung

Die Seepferdchen-Siedlung. Ein schönes Fleckchen Erde, idyllisch, ruhig an der holsteinischen Ostseeküste gelegen.

Der Seepferdchen Weg hat ihr den Namen gegeben, und der hat seinen Namen von einem alten Kapitänshaus, das heute die Nummer 3 trägt und als Zier seiner wunderschön geschnitzten Eingangstür ein großes Seepferdchen zeigt, und es wohnt seit vielen Jahre wieder ein Kapitän in ihm − aber sie besteht nicht nur aus diesem einen Weg.

Auch “Zum Seestern”, “Möwe”, “Dünenreihe”, der “Großseglerweg” und die “Admiralsreihe” kamen im Lauf der Jahre dazu.

Verwaltungstechnisch gehört die Siedlung zu einem alten Dorf, das das große Hochwasser von 1872 glimpflich überstanden hat und heute sehr gut vom Tourismus lebt. Die älteren Einheimischen nennen das immer noch Fremdenverkehr, bei den jüngeren heißt das inzwischen prosaisch Tourismus, da man laut Vorgabe der Verwaltung Besucher von auswärts nicht mehr als Fremde vor den Kopf stoßen will.

Man freut sich, wenn die Gäste kommen und viel Geld im Ort ausgeben, aber man freut sich fast noch mehr, wenn sie wieder gehen und die gewohnte Ruhe zurückkehrt. Doch auch das ändert sich langsam, denn die streßgeplagten Binnenländer, auf Platt Stadtminschen genannt, haben die Gegend auch für Winterurlaube entdeckt und es sich partout in den Kopf gesetzt, auch in der kalten Jahreszeit dort ihr Geld loswerden zu wollen. Da sie dabei aber keineswegs immer den Mund halten, außer wenn sie mit Essen beschäftigt sind, und selbst das geht bei manchen geräuschvoll vor sich, ist es mit der gewünschten Ruhe nicht immer und überall weit her.

Manche der Alteingesessenen fügen sich mit einem achselzuckenden Wat schast da maken? in die Gegebenheiten, manche sagen gar nichts mehr, manche denken sich ihren Teil und lesen zum seelischen Ausgleich mindestens einmal täglich ihre Kontoauszüge und wieder andere pflegen den Grundsatz De Gast is Keunig, behalten sich aber vor, hin und wieder auch eine Entthronisierung vorzunehmen und Ferienwahnungswien von der Gästeliste zu streichen.

Einwohner und Gäste haben das große Glück, daß sich bei ihnen neben einem Friseur, liebevoll Verschönerungsrat genannt, eine Bäckerei und ein Metzger halten können, was wiederum den Urlaubern zu verdanken ist, die nun einmal, vor allem morgens, nicht weit laufen mögen, um sich frische Brötchen zu holen oder zu einem dort angebotenen Frühstück niederzulassen. Beim Metzger kann man noch frische Wurst und so weiter erstehen − wenn auch etwas teurer als im Supermarkt − ohne gleich jede Menge Plastikverpackung vor dem Verzehr entfernen zu müssen, und man kann für den nächsten Tag eine Wahl unter drei Mittagessen treffen, was nicht nur dem leiblichen Wohl sondern auch der heißgeliebten Urlaubsfaulheit zuträglich ist − und dem Umsatz des Metzgers. Man muß ja die volle Nutzung einer Ferienwohnung mit Küchenzeile nicht übertreiben, auch wenn sie, inzwischen standardmäßig, sogar eine Spülmaschine einschließt.

Beim Verschönerungsrat, im einzigen Haus, das in leuchtendem Gelb angestrichen ist, lassen sich selbst hektische Stadtfräcke Zeit, und dort tratscht es sich besonders gemütlich.

Am Rand des alten Dorfes hat sich, durchaus zum Vorteil der weiteren Umgebung, aber auch ein Einkaufszentrum niedergelassen, das einem kleineren, alteingesessenen Geschäft in der Ortsmitte allerdings wirtschaftlich das Genick gebrochen hat; der alte Besitzer war gestorben und jüngere Nachfolger konnten es nicht halten. Das hübsche alte Haus wurde abgerissen und gegen einen optisch nichtssagenden Appartementneubau ersetzt − ohne neues Ladenlokal.

Immerhin, der neue Konsum, wie die Älteren ihn nennen, ist zur vierten Nachrichtenbörse geworden − was man beim Bäcker, Metzger, Friseur oder in der fünften, der Postagentur mit Lottoannahme, nicht erfährt − nur eine gemütliche Kneipe gibt es nicht −, hört man dort, wenn der Sluderkraam über Hecke, Gartenzaun oder an’n Strann es noch nicht hergegeben hatte.

Hören wir da doch mal kurz ’rein. Es ist Samstag, der 29. Juni 2019 …

“Sagen Sie mal, Frau Dröhn, haben Sie schon mitgekriegt, daß die Andersons in der Dünenreihe ihr hinteres Grundstück für bannig viel Geld an irgend so einen Stadtfrack aus Lübeck verkauft haben?”

“Nee, wat Se nich seggen, Fru Harmsen! Ist denn das die Möglichkeit? Wo doch die jungen Leute in’t Dörp so dringend Baugrund suchen! Is’ ja hundsgemein so ’was! Gerade Harm Thomsen und seine junge Frau − die Arme is’ ja nun schon wieder schwanger, und das, nachdem doch erst letztes Jahr der lütte Hans zur Welt gekommen is’ und sie nur die kleine Einliegerwohnung bei seinen Eltern haben!”

“Ja, ja, haben ja auch noch nix von Verhütung gehört! Aber wenn man auch so beengt aufeinander wohnt.”

“Das sagen Sie mal, meine Liebe! Wollen alle so erwachsen und aufgeklärt sein! Wenn ich da an meine Jugend denke! Da hat einen der Mann nur einmal verliebt angeguckt − und bums! hatte man ’nen dicken Bauch!”

“Da sagen Sie ’was, meine Liebe! So hab’ ich meine fünf auch zusammenbekommen! Gott, waren das schöne Zeiten! Heute sitzt mein Oller jümmers vorm Fernseher und unsereiner kriegt seine Erotik man nur noch aus der “Goldenen Marianne”!

“Ach, zum Illustriertenlesen komme ich gerade mal im November, wenn die Stadtminschen weg sind, und ehe ich die Erotik wieder spüre, sind die Weihnachtsgäste da!”

“Da sagen Sie ’was, meine Liebe! … Aber haben die Eltern von Frauke Thomsen nicht den großen Hof, 20 Kilometer von hier? Da wär’ doch bannig veel Platz, nich?”

“Ach, die sind doch verstritten!”

“Wat Se nich seggen!”

“Ja klar! Wußten Sie das nicht? Dem feinen Herrn Großbauern war der Schwiegersohn nicht gut genug. Nix an’ne Hacken un so.”

“Ja, ja, das liebe Geld! Thödersens haben sich mit ihrem Kredit wohl auch verhoben. Na ja, wenn man schon sechs Ferienwohnungen hat und noch ein ganzes Haus dazukauft. Kriegen ja den Hals nicht voll. Soll ihnen gar nicht gut damit gehen.”

“Die arme Gesche. Hätte so gute Partien machen können und is’ an so ’nem einfachen Unteroffizier hängengeblieben. Wenn’s wenigstens ein Leutnant wäre! Dabei hätte sie vor zwanzig Jahren Onno Stüversens Frau werden sollen, aber der war ihr ja nicht schön genug, dabei hat er …” Sie beugt sich zu ihrer Tratschpartnerin hin und flüstert ihr etwas ins Ohr, wobei sie mit beiden Händen offenbar eine gewisse Größe andeutet …

“Aber meine Liebe! Darüber spricht man doch nicht!”, verschränkt Leontine Dröhn gespielt entrüstet ihre Arme. “Und woher wissen Sie das?”, will sie dann doch genau wissen.

“Das weiß doch jeder in’t Dörp! Er ist doch immer nach Nakedunien gegangen. Jetzt traut er sich da ja nich‘ mehr hin, wie man hört.”

“Schade, daß ich ihm dort nicht begegnet bin! Na ja, er war ja schon immer etwas anrüchig, und häßlich ist er auch. … Und wirklich …?” Sie deutet, wiederholend, die wahrscheinliche Größe an − wobei sie ihre Hände noch etwas weiter auseinander hält.

“Was ich Ihnen sage, meine Liebe! Er holt sich in Oldenburg immer Unterhosen in Übergröße, sonst bekäme er gar nicht alles untergebracht! Weiß ich aus zuverlässiger Quelle”, macht sie ein wichtiges Gesicht.

“Und was sagen Sie dazu, daß Thödersens Frerk mit seinen siebzehn Jahren noch immer keine Freundin hat! Dabei laufen hier doch einige seute Deerns herum. Man sieht ihn nur mit Arjan Dokelsen herumziehen.”

“Sie denken doch nicht etwa … die beiden …?”

“Kann man’s wissen, so hübsch, wie beide sind”, verzieht Frau Dröhn bekräftigend den Mund und verschränkt ihre Arme. “Aber ich muß dann mal weiter, darf meinen Friseurtermin nicht verpassen. Kommen Sie nachher auf ein Lütt un Lütt vorbei?”

 

“Gern! Es dürfen auch zwei sein …Tschüß denn!”

“Tschüß, Frau Harmsen.”

So ist das in’t Dörp.

Der 20jährige Torben Tramsen hat, nicht zum ersten Mal, einiges mitbekommen, während er Regale auffüllt. Kopfschüttelnd sieht er den beiden Frauen kurz nach.

“Wenn die beiden Tratschweiber nicht über andere herziehen können, dann geht denen auch ‘was ab. Jetzt haben sie es neuerdings mit Arjan und Frerk. Bin gespannt, wann sie mit mir anfangen. Als wenn das so einfach wäre, hier eine Freundin zu finden oder einen Freund. Und Urlauber sind ja oft nur ein paar Tage am Ort. Ist da mal optisch was Nettes dabei, ist es entweder zu jung, zu alt oder zu blöd. Und ‘n richtigen Jugendtreff haben wir hier auch nicht ...”

“Sagen Sie, junger Mann”, wird er von einer älteren Frau mit einem kleinen Mädchen im Schlepptau angesprochen. Beide sind noch recht blaß, also wohl gerade erst angereist.

“Ja, bitte”, dreht er sich um und lächelt die Kundin an.

“Wo haben Sie hier das Brot?”

“Da gehen Sie hier zurück und im nächsten Gang auf der linken Seite”, zeigt er die Richtung an.

“Vielen Dank, sehr freundlich.”

“Oma, krieg’ ich einen Lutscher?”, zupft das kleine Mädchen an der Hose seiner Großmutter.

“Mal sehen, wenn wir den Süßkram finden, Evchen.”

“Hinten rechterhand der dritten Kasse!”, ruft Torben den beiden nach.

“Dankeschön!”, wedelt die nette Dame ihm mit erhobener Hand zu, ohne sich umzudrehen.

“Onno Stöversen denkt auch nur an Kurtaxe und Gewerbesteuer. Der hat ganz vergessen, daß er auch mal jung war”, regt Torben sich in Gedanken weiter auf. “Und meinen Lütt Torben Kliev möchte ich auch endlich mal ’was anderes als meine rechte Hand kennenlernen lassen, verdammich …”

*

Der für das Dorf zuständige Pastor hat ganz andere Sorgen. Thomas Michaelsen zermartert sich den Kopf, wie er den sturen Bürgermeister zur Einrichtung einer Tafel überreden kann, denn ihm fehlen einfach die Räumlichkeiten. Er hat erst seit kurzem die Nachfolge des alten evangelischen Seelsorgers Franz Waldbotten übernommen, der sich krankheitsbedingt völlig zurückgezogen hat und keine Hilfe mehr ist.

Lieferanten für gute Lebensmittel hat er zur Genüge und freiwillige Helfer bekäme er auch zusammen.

Aber wie soll er gegen die wiederholte Feststellung ankommen, man habe keine Armut im Ort und wenn, dann würde die Sichtbarmachung dem Kurbetrieb schaden. Wer denn meine, er habe nicht genug zu essen, der könne ja zur Tafel nach Oldenburg fahren!

Immerhin ist es ihm gelungen, das Busunternehmen der Gegend für die günstige Bereitstellung eines Kleinbusses samt Fahrer einmal die Woche zu gewinnen, und so hat er bereits mehrfach neun Rentner aus dem Ort zur Tafel begleiten, für zwei Schwerkranke und ein altes Ehepaar, das sich zu sehr schämt, dort vorzusprechen, dank der unkomplizierten Tafelleiterin, je eine volle Tasche Lebensmittel mitbringen können.

“Irgendwie muß ich diesen Querschädel dazu bringen, seine Blockade aufzugeben”, murmelt er vor sich hin … und plötzlich fällt ihm etwas ein.

*

Im Haus Möwe 7 gibt es mal wieder eine heftige Diskussion zwischen Mutter und Tochter, genauer gesagt, mit der jüngeren Tochter. Eske Fehnmoor hat einfach keine Lust, ihren Wochenendpflichten nachzukommen.

Sie wollte sich gerade mit ihrer Strandtasche und in sexy Aufmachung − Bauchfrei-T-Shirt, Hüftshorts, darunter im knappsten Bikini, mit Bauchkettchen − barfuß, die Sandalen in der Hand, aus dem Haus schleichen, als ihre Mutter Aaltje sie kurz vor der Haustür, im Küchentürrahmen stehend, mit einem energischen “Wo willst Du denn hin?” ausbremste.

Eske blieb abrupt stehen und drehte sich mit einem genervten Seufzer um.

“Äh, an den Strand, Mama”, sagte sie in mauligem Ton und erwartete stillschweigend ein gnädiges “Na, dann lauf’, mien Deern, und viel Spaß!”, aber stattdessen kam mit verschränkten Armen die Frage “Was haben wir heute für einen Tag?”

“Äh, Samstag, Mama! Steht doch auf dem Küchenkalender!”

“Falsch, meine Süße. Heute ist Dienst-Tag”, wurde sie korrigiert.

Eske sah ihre Mutter an, als wollte sie ihr mitteilen, daß Herr Alzheimer kurz davor sei, verfrüht von ihr Besitz zu ergreifen. Sie ließ ihre Tasche fallen, ging in die Küche, nahm den Kalender von der Wand und deutete auf das Feld, das besagte …

“Hier! Samstag, der 29. Juni 2019!”,

hängte den Kalender mit einem kessen Grienen und Augenaufschlag wieder an seinen Platz − und wollte gehen …

“Hast Du nicht etwas vergessen, mein Kleines?”, hält Aaltje sie erneut an. Eske schaut etwas genervt, zögert kurz und küßt ihre Mutter auf beide Wangen.

“Tschüß, Mama. Ich bin dann gegen 18 Uhr wieder hier. Hab’ einen schönen Tag!” − und damit glaubt sie, den verbalen Passierschein abgegeben zu haben.

“Wir werden einen schönen Tag haben, mein Schatz”, bremst Aaltje sie erneut, “denn heute bist Du dran, mir im Haus und bei der Endreinigung der beiden freiwerdenden Ferienwohnungen zu helfen. Vergessen?”

Eske zieht eine Schnute.

“Bei dem schönen Wetter im Haus arbeiten? Da bleibe ich ja blaß wie eine Leiche! Und Björn wartet auf mich am Strand …”, protestiert sie.

“Was willst Du denn mit dem Pickelbubi?”, hört Eske die unwillkommene Stimme ihrer Schwester Ehlin, die vom Korridor in die Küche schaut. “Seine gejodelten Liebeserklärungen anhören?”, mokiert sie sich über den voll im Stimmbruch befindlichen Jungen und äfft sein Kieksen nach, dem ein spöttisches Grienen folgt.

“Was geht’s Dich an, Du blöde Gans!?”, bäfft Eske sie an. “Immerhin bekomme ich Liebeserklärungen, von denen Du nur träumen kannst!”, schießt sie zurück und streckt Ehlin die Zunge heraus.

“Von einem, bei dem ich eine Lupe brauche, um seinen Johnny Meyer sehen zu können, wollte ich gar keine Liebeserklärungen haben, und sein Gehirn soll ja auch nur walnußgroß sein”, verschränkt Ehlin ihre Arme und verzieht ihr Gesicht zu einem trotzigen Du kannst mich mal!

“Was weißt denn Du, Du dumme Pute!”, keift Eske zurück und ist kurz davor, ihre Schwester zu schubsen, als es beider Mutter reicht.

“Also, ehe die Tiere noch größer werden, gehst Du wohin Du heute möchtest”, bedeutet sie Ehlin, sich zu entfernen, “und Du bringst jetzt Deine Strandtasche erst einmal zurück auf Dein Zimmer und kommst dann wieder her. Umziehen mußt Du Dich nicht, aber dort hängt die Küchenschürze”, deutet Aaltje auf das Haushaltstextil, womit Eskes Protest und Streitbereitschaft beendet werden. “Und nach der Endreinigung mähst Du den Rasen. Das darfst Du gern im Bikini machen, da bekommst Du auch genügend Sonne ab.”

“Manno!”, schreit Eske daraufhin, knallt ihre Strandtasche erst zu Boden und stampft mit dem rechten Fuß auf, ehe sie sie nach einem strengen Blick bei in die Hüften gestemmten Armen ihrer Mutter aufnimmt und mit einem nachzitternden “Immer ich!” ins Obergeschoß abrauscht.

“Überarbeite Dich nicht, Schwesterchen!”, ruft Ehlin ihr provokant-schadenfroh nach, ehe das “Willst Du doch mithelfen?” ihrer Mutter sie mit einem gewinkten “Tschü-hüß!” eiligst das Haus verlassen läßt.

*

Eineinhalb Kilometer weiter, in der Admiralsreihe 5.

Arjan Dokelsen ist zu Besuch bei Frerk Thödersen. Sie sind Klassenkameraden auf dem Gymnasium in Oldenburg und seit Jahren eng befreundet. Da beide keine Geschwister haben, was sie manchmal bedauern, manchmal aber auch nicht, verbringen sie die Wochenenden fast immer zusammen und bleiben oft über Nacht, um gute Gespräche oder eine interessante Partie Schach nicht zwangsweise unterbrechen zu müssen.

Der Himmel an diesem Samstag ist wolkenlos blau, es ist sehr warm, fast heiß.

Die Freunde haben sich am Abend zuvor getroffen. Zur Entspannung der stressigen Schulwoche sahen sie sich in Frerks Zimmer eine Musical-DVD an. Sie sind Fans der alten US-Klassiker, spielen selber beide Klavier und singen sehr gern.

Das Zimmer im Obergeschoß ist recht geräumig, verfügt aber dennoch nur über ein Bett. Darauf flezen sie sich tagsüber gern zum Faulenzen, wenn das Wetter nicht gut genug für Garten und Strand ist, zum gegenseitigen Vorlesen, vor allem im Winter, oder wenn sie, wenn nicht gerade gemeinsam unter der Dusche, sich um die Wette Entspannung verschaffen.

Für die Nacht ist es ihnen aber zu eng. Da losen sie bei jedem Besuch aus − in Arjans Elternhaus steht in dessen Jugendzimmer ein Gästeklappbett zur Verfügung −, wer im Bett schlafen darf, und wer auf die Matratze muß, die zur Nachtruhe, wie immer frisch bezogen, hervorgeholt wird. Der Bettgewinner muß dann das Bettzeug aus der Wäschekammer holen und das “Nest” bauen.

Vor dem Schlafengehen werden als festes Ritual ihre “besten Freunde”, Arjans Jan-hett-keen-Kagel und Frerks Tom Boogspriet, auf ihre Einsatzfähigkeit getestet, ehe sich die Freunde, nach herzlicher Umarmung, nackt in die jeweiligen Kissen kuscheln.

Arjan war an diesem Morgen der erste im Bad, konnte in Ruhe pinkeln und pupen. Danach begutachtete er im Spiegel zufrieden seinen, ihm richtig gutstehenden beginnenden Drei-Tage-Bart. Er hat schulterlange pechschwarze Haare, eine kleine Fläche enganliegender Brusthaare, einen geilen Pornostreifen und der Rest gefällt ihm auch sehr gut. Er hat, wie Frerk, kein Verständnis für Intimrasur, nur bei ihren “Jungs” machen es die Freunde sich aus Jux gegenseitig.

Mit seinem schlanken, durchtrainierten Körper ist er zufrieden, wie Frerk mit seinem, nur daß der ein etwas besseres Waschbrett hat, bei den ebenfalls gewellten langen Haaren dunkelblond ist, mit deutlichem Pornostreifen und ohne Brustfell.

Nach der kleinen narzistischen Betrachtung geht Arjan unter die Dusche, denn wirklich wach ist er noch nicht.

Kaum hat er die Schiebetür der großen Duschkabine geschlossen, als die Badezimmertür sich öffnet und Frerk mit einem Löwengähnen eintritt.

“Moin, Alter”, ruft Arjan ihm zu und dreht die Wasserregler auf.

“Moin”, murmelt Frerk, hebt den Klodeckel hoch und setzt sich, was bei seiner “Morgenpracht” nicht ganz einfach ist. Er rückt alles zurecht und …

“Maak dat Fenster op. Dien Schieten stinkt asig!”, ermahnt Arjan ihn, aber er kennt das schon zur Genüge.

Nach dem Spülen und ersten Reinigen kommt Frerk, ohne viel Umstand zu machen, zu ihm unter die Dusche, läßt sich den Rücken schrubben und faul die Haare waschen. Auch das ist nicht neu.

Mit T-Shirts und Shorts bekleidet gehen sie zum Frühstück, wo Frerks Eltern Hauke und Gesche sie herzlich begrüßen. Die Thödersens freuen sich seit Jahren über die enge Freundschaft der beiden. Arjan ist ein gern gesehener Gast. Er revanchiert sich für die stets ungezwungene Behandlung immer wieder durch Mithilfe bei der Gartenarbeit oder beim Holzmachen für den Wintervorrat.

“Geht Ihr vor dem Mittag an den Strand oder erst danach?”, erkundigt sich Frau Thödersen, um die zuzubereitende Essensmenge einteilen zu können.

Die Jungs sehen sich kurz an.

“Hinterher. Dann können wir auf dem Rad schon ein paar Kalorien abstrampeln”, grient Frerk und entlastet damit sein Portemonnaie von den Kosten einer auswärtigen Mahlzeit, denn an diesem Wochenende wäre er mit dem Bezahlen an der Reihe.

Schmunzelnd wuschelt seine Mutter Frerks volle Mähne. “Es gibt Putenschnitzel mit Gemüse, Pulchen und Rahmsauce.”

“Hört sich gut an, Mama.”

Den Freunden läuft bereits das Wasser im Mund zusammen.

Die Frage, ob sie sich hinter dem Haus nackt sonnen dürften, stellt sich ein ums andere Mal nicht, denn es sind Feriengäste da und Leontines Vorrat an Dorftratsch muß auch nicht aufgefüllt werden, denn sie ist die angrenzende Nachbarin, die immer, mit einem betont wedelnden Staubtuch, nach dem Rechten sieht. Von ihrem Obergeschoß kann sie selbst Frerks Balkon im Auge behalten.

So gehen die Jungs hinauf, entkleiden sich und tragen zur Vorbereitung gründlich Sonnenschutz Faktor 40 auf.

Während sie die Creme einziehen und ihre Wirkung entfalten lassen, überprüfen beide ihre Handys, finden keine beantwortenswerten Nachrichten, und schalten sie wieder aus.

“Gehen wir nach dem Mittagessen an den FKK-Strand? Ich habe keine Lust, meinen weißen Streifen noch zu verstärken. Du bist auch schon schön braun, und Deine ,weiße Badehose‘ ist wieder recht deutlich!” Frerks Blickrichtung ist eindeutig.

“Geht mir genauso. Letztes Jahr waren Jan und Tom am Ende auch schön schokoladenbraun”, grient Arjan. “Hast Du die Photos noch auf Deinem PC?”

 

“Klar”, nickt Frerk und schaltet seinen Computer an. “Da können wir gleich auch nach der Wassertemperatur gucken.”

Er klickt auf Eigene Bilder und ruft eine ganze Galerie witzig verspielter Aufnahmen von ihrem letzten Sommer auf.

“Da! Genauso möchte ich es wieder haben”, deutet Arjan auf ein Bild von Jan-hett-keen-Kagel und einen danebengehaltenen Schokoladenriegel. Frerk und Tom Boogspriet standen ihm damals in nichts nach.

“Sah geil aus”, nickt Frerk bewundernd. Dann grinst er verschmitzt. “Wann haben wir eigentlich zuletzt gemessen?”

“Vor acht Wochen, glaube ich”, verzieht Arjan fragend leicht seinen Mund. Dann wandert sein Blick prüfend zwischen Photos und Realität hin und her. “Könnte sein …”, murmelt er, während Frerk bereits den Zollstock aus einer seiner Schreibtischschubladen hervorzieht und ohne viel Federlesen bei seinem Freund anlegt.

“Cool! 13!”, hält er Arjan das Ergebnis mit Daumennagelanzeige hin. Der nimmt ihm das Maßholz aus der Hand und macht die Gegenmessung.

“Irre! 13,5!”

“Komm, und jetzt im Einsatz”, fordert Frerk ihn auf.

Nicht lange danach …

“Wow! 20! 0,5 mehr!”, staunt Frerk über Arjans Zuwachs, der gleich darauf große Augen macht.

“Der absolute Wahnsinn! 21!”

Die Freunde klatschen begeistert ab.

“Und jetzt am Türrahmen”, fordert Frerk Arjan auf. Dort sind bereits mehrere Meßstriche mit Datum zu sehen.

Arjan positioniert sich, Frerk markiert mit einem Bleistift. Arjan tritt zur Seite, Frerk mißt.

“Ein Meter neunzig, Alter.”

Arjan strahlt.

Frerk stellt sich hin, Arjan zieht den Markierungsstrich.

“Ein Meter einundneunzig! Du bist eben der Größte, Alter!”, und wieder klatschen die Freunde ab.

Nun aber ruft Frerk die Daten der Kurverwaltung auf, klickt die Strandkamera des Textilbereichs an, wo bereits ordentlich Betrieb ist, aber kaum jemand tummelt sich im Wasser.

“17,0. Schau Dir die Stadtfräcke an! Egaalweg to bang in’t Water to gohn!”

“De sünd bang vör’t Schrumpeln!”, lacht Arjan.

“Kann uns nicht passieren”, stimmt Frerk ins Lachen ein. Hohe Fünf!

Die Freunde steigen in die knappsten Badehosen, die sie haben, neonrot und neonblau, damit auch die Dröhn sehen kann, daß sie nicht ganz nackt sind, und gehen höchstvergnügt hinunter, um sich im Garten das erste Sonnenbad des Tages zu gönnen.

*

Im Haus Möwe 6 hat ein weiblicher Teenager von 17 Jahren ähnliche Probleme, die mit Maßband und Waage überprüft werden.

Beke Tondersen ist ein hübsches Mädchen, aber sie findet sich mit ihren 1,68 m als zu klein. Sie hätte gern erstes eigenes Geld als Model verdient, aber ihr fehlen dazu ein paar Zentimeter Körperhöhe.

Einen gewissen seelischen Ausgleich hofft sie immer wieder über ihr Gewicht und die “süße Telephonnumer” zu finden, und beides überprüft sie gerade.

Nackt steht sie im Bad und steigt enttäuscht von der Körperwaage, die unbestechlich 59,5 Kilogramm anzeigt.

Beke atmet tief durch und betrachtet sich im bodenlangen Spiegel.

Sie hat eine schöne makellose Haut, schulterlange dunkelbraune Haare, einen fast flachen Bauch, einen süßen Bauchnabel, ihr Venusdreieck ist verführerisch lockig, ihre Arme sind schlank, sie hat gerade, schöne Beine, zarte Hände − und leuchtende, hellbraune Augen. Aber ihr Busen! Beke findet, sie habe zu wenig Busen! Ihre Nippel sind einfach süß, die Areolen, nicht zu groß und rosig, aber sie findet ihre Brüste seien schlicht zu klein.

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