Update

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Wulf Köhn

Update

Science Fiction Roman

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Update

Der Schnüffler

Allahu Akbar

Über den Wolken

Blinder Passagier

Interkontinentalflug

Der geplatzte Versuch

Evakuierung

Flugunterricht

Tiefflieger

Die Auferstehung

Fieberträume

Der Autopilot

Abfangmanöver

Schwerelos

Pegasus

Einrichten für die Ewigkeit

Wo sind wir?

Einmal um die Erde

Unterdruck

Big Bang

Hermann und die Tschechenmädchen

Der Schrebergarten

Achtbeinige Monster

Ein sensationeller Fund

Navigation

Polarlicht

Apophis

Der Mond

Das letzte Kapitel

INTESCO

Epilog

Personen und Begriffe:

Über den Autor

Impressum neobooks

Update

Definition: aktualisierte [und verbesserte] Version einer

Software, einer Datei o. Ä.

Der Schnüffler

Auf der Mail stand „Café General, Kanonierstraße 13“.

Friedlinde verglich noch einmal die Anschrift mit dem Haus. Der Name „Café General“ stand über den großen Fenstern mit den Raffstores, die einen Blick ins Innere zuließen. Alles sah sehr vornehm aus. Sie nahm all ihrem Mut zusammen und stieg die zwei Stufen hinauf zum Eingang. Die Agentur hatte ihr geschrieben, es wäre ein Tisch reserviert. Sie sah sich um. An einigen der kleinen Rundtische saßen ein paar schwatzende Damen vor ihren Kuchentellern und schauten sich interessiert nach ihr um. An einem Tisch guckte sich ein Pärchen tief in die Augen. Die beiden hatten die Welt um sich herum ver­gessen.

Friedlinde blieb etwas hilflos stehen, doch ein vornehmer Kellner eilte dienstbeflissen herbei.

„Sind Sie allein oder erwarten Sie noch jemanden?“, fragte er.

Friedlinde errötete und antwortete: „Ich bin verabredet. Es soll ein Tisch reserviert sein.“

„Selbstverständlich!“, der Kellner verstand sofort. „Darf ich bitten?“ Er ging voraus zu einer etwas abseits liegen­den Nische und zeigte auf den Tisch mit zwei Stühlen. Das Ganze sah fast wie ein kleines Separee aus. Fried­linde errötete schon wieder, doch das bemerkte der Kell­ner nicht oder er ließ es nicht anmerken.

„Bitte schön, die Dame! Darf ich Ihnen schon einen Kaf­fee bringen?“

Friedlinde zögerte. „Es ist alles bereits bezahlt!“, betonte er.

Sie war beeindruckt. Das war ja wirklich gut vorbereitet.

„Ein Kännchen mit Zucker und Sahne“, bestellte sie, und der Kellner zog sich dezent zurück.

Sie kam sich etwas wie ein Mauerblümchen beim Tanzen vor. Hoffentlich musste sie nicht allzu lange warten. Zugegeben – sie war etwas zu früh dran. Das konnte man im heutigen Verkehr nie so richtig abschätzen. Aber sollte sie deshalb vor dem Café noch die Straße auf und ab gehen?

Dafür hatte sie jetzt genügend Zeit, sich in aller Ruhe umzusehen. Die Damen mit den Tortenstücken schienen sich alle zu kennen. Sie tuschelten miteinander, sogar über die Tischgrenzen hinweg und hielten das wahr­scheinlich für Flüstern. In Wirklichkeit, war es im gesamten Café zu hören. Voller Empörung oder Scha­denfreude – so genau konnte Friedlinde das nicht unter­scheiden – zogen sie über die gerade nicht Anwesenden her und stopften sich genüsslich Tortenstückchen in den Mund. Ab und zu schauten sie erwartungsvoll auch zu Friedlinde hinüber.

Der Kellner brachte den Kaffee und auf einem kleinen Teller noch ein paar Kekse. Das schien hier so üblich zu sein. Friedlinde knabberte symbolisch an einem Keks und legte ihn wieder zurück. Als sie sich den Kaffee ein­schenkte, betrat ein Mann das Café. Sollte er das sein?

Die Kuchendamen unterbrachen ihre Gespräche und betrachteten ihn abschätzend. Was für ein unangenehmer Kerl! Er benahm sich wie der berühmte Platzhirsch, was durchaus nicht zu seiner Erscheinung passte. Reichlich korpulent, mit schwabbelndem Doppelkinn unter dem rot glänzenden Gesicht strich er sich immer wieder über die paar schwarzen Haarsträhnen, die sorgfältig über seiner Glatze drapiert waren. Igittigitt!

Die Damen steckten ihre Köpfe zusammen und hatten ein neues Thema zum Tuscheln.

Der Kellner eilte erneut herbei und führte ihn nach ein paar Worten zu einem anderen Tisch. Friedlinde atmete auf. Sie hatte schon befürchtet, dass er ihre von der Part­neragentur „Zweites Glück“ vermittelte Verabredung wäre.

Bisher war alles sehr seriös abgelaufen. Friedlinde hatte sich nach dem Tod ihres Mannes doch etwas einsam gefühlt und gemeint, sich mit ihren 59 Jahren noch ein­mal ein zweites Glück leisten zu können. So war sie auf die gleichnamige Agentur gestoßen, welche ihr – dank eines ausgeklügelten Auswahlverfahrens – einen zweiten Himmel auf Erden versprach. Vielleicht hatte sie beim Ausfüllen des Fragebogens auch etwas zu großen Wert auf einen finanziell potenten Partner gelegt, was der Agentur die Möglichkeit eröffnet hatte, die äußere Erscheinung als zweitrangig zu betrachten. Das hoffte Friedlinde natürlich nicht. Unauffällig schielte sie zu dem Fettkloß hinüber, der offensichtlich ebenso auf jemanden wartete. Mehrmals schaute er auf seine Taschenuhr, die er protzig an einer goldenen Kette aus der Westentasche zog, und wischte sich mit einem Taschentuch über die schwitzende Glatze.

Die Tür ließ erneut einen Mann herein, der dem Kellner mit einem kurzen „Hallo Oskar!“ zuwinkte und ohne Umschweife auf Friedlinde zuging. Er streckte ihr die Hand hin: „Hano Qwertz“, sagte er und setzte sich auf den freien Stuhl. „Qwertz, wie auf der Computertasta­tur!“

Friedlinde war etwas überwältigt von dem forschen Auf­treten. Er schien nicht das erste Mal hier zu sein.

„Friedlinde Trockenbroth“, stellte sie sich ebenfalls vor. „Mit th am Ende.“

„Sehr angenehm!“, bestätigte der Mann und schaute sich nach dem Kellner um, der bereits mit einem Tablett her­ankam, auf dem zwei Cognacgläser standen. Schweigend stellte er sie auf den Tisch. Das schien ein abgesproche­nes Ritual zu sein. Friedlinde fand das etwas unheimlich. Sie nippte erneut an ihrem Kaffee und knabberte an dem Keks. Wie ging es jetzt weiter?

Der Mann zeigte auf die beiden Cognacgläser und hob seines an. „Das lockert auf und macht die Sensoren frei!“, behauptete er und zeigte unmissverständlich auf Friedlindes Glas. Dann schwenkte er den Cognac in der hohlen Hand und schnüffelte daran, ehe er einen winzig kleinen Schluck auf die Zunge nahm. „Aah! Ein herrli­ches Geschenk der Natur!“

Zögernd versuchte auch Friedlinde einen kleinen Schluck. Ihr verursachte dieses Naturgeschenk ein leich­tes Brennen im Mund. Sie bevorzugte eher Liköre – am liebsten Eierlikör. Aber ihr verflossener Ehemann Hein­rich Trockenbroth war ja auch kein Kind von Traurigkeit gewesen. Sie hatte ihn sehr geliebt – nur den Namen, den er in ihre Ehe mitgebracht hatte, nicht. Wie sich das schon anhörte: Friedlinde Trockenbroth! Vielleicht konnte sie den Nachnamen ja durch eine zweite Heirat loswerden.

 

Der Mann ihr gegenüber – wie hieß er noch mal? – Hano Qwertz sah eigentlich ganz passabel aus. Sein Gesicht konnte man nicht gerade als schön bezeichnen. Er hatte etwas zu große abstehende Ohren, eine riesige Nase und einen beim Sprechen heftig auf und ab hüpfenden Adamsapfel. Das gab ihm insgesamt aber ein lustiges Aussehen. Mit seinem Namen könnte sie auch leben. Friedlinde Qwertz war besser als Trockenbroth.

Hano Qwertz redete die ganze Zeit munter drauflos. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Damen mit einem Cognac ihre Hemmungen verlieren … und ich kann ihn auch gebrauchen!“ Er zeigte lachend auf seine Nase. „Ich schlage vor, wir gehen anschließend auch gleich nach oben.“

„Nach oben?“, fragte Friedlinde erschrocken.

„Ich wohne zwei Etagen höher!“ Er deutete mit dem Zei­gefinger nach oben. „Das ist ganz praktisch mit dem Café hier unten. Ich habe das mit der Agentur so verabredet. Es ist doch viel stilvoller, sich in diesem Ambiente zunächst etwas zu beschnuppern.“

Er wartete geduldig, bis sie in Ruhe ihren Kaffee ausge­trunken hatte. Den Rest Cognac ließ sie stehen. Hano schaute sie an. „Mögen Sie ihn nicht mehr?“ Sie schüt­telte den Kopf, und er nahm ihr Glas und trank den Rest aus. „Wär doch schade drum!“ und dann, nach einer kur­zen Pause: „Woll’n wir?“

Friedlinde ging das alles etwas zu schnell, doch sie hatte das nun einmal angefangen, also musste sie es auch zu Ende bringen. Zögernd erhob sie sich, und Hano ging ihr voraus zur Tür. Im Vorbeigehen grüßte er den Kellner: „Servus Oskar!“

„Servus Hano! Wie immer auf die Agentur?“

„Wie immer!“, bestätigte Hano.

Hano hielt Friedlinde die Tür auf, doch in diesem Moment drängte sich eine andere Frau herein – modisch angezogen, aber stark geschminkt. Sie verströmte einen aufdringlichen Geruch, und Hano rümpfte unauffällig die Nase.

Im Hinausgehen bemerkte Friedlinde noch, wie Oskar die Frau an den Tisch des Fettklopses brachte.

Hano Qwertz führte Friedlinde auf die Straße und gleich wieder in den Hauseingang hinein. Das Treppenhaus war vornehm mit Marmor und Stuck gestaltet. Auf der rech­ten Seite gab es eine niedrige Tür – wahrscheinlich die Wohnung des Hausmeisters. In Frankreich würde man ihn Concierge nennen. Geradezu begann der mit Sisal­teppichen belegte Treppenaufgang, mit einem Treppen­geländer, das einem geschnitzten Löwenkopf entsprang. Das sah aus wie ein Tausendfüßler mit Löwenkopf. Alles sehr vornehm!

„Leider gibt es keinen Aufzug“, bedauerte Hano und stieg rüstig nach oben. Friedlinde hatte Mühe, ihm zu fol­gen. Wie alt war er eigentlich?, fragte sie sich. Er schien deutlich jünger als sie selbst zu sein. Hatte sich die Agen­tur da geirrt?

Im zweiten Stock schloss Hano die Wohnungstür auf. „So, da wären wir!“, stellte er fest und führte Friedlinde in einen kleinen Raum, der recht nüchtern eingerichtet war: ein kleiner Schreibtisch, ein paar Regale an den Wänden, drei Stühle und ein Wandschirm in der Ecke.

Friedlinde war etwas enttäuscht. Sie hatte eine vorneh­mere Wohnung erwartet. Die gab es offensichtlich auch, doch Hano hatte darauf verzichtet, sie zu zeigen und sie gleich in das kleine Zimmer geführt.

„Wir müssen noch ein paar Formalitäten erledigen“, sagte er und bot ihr einen Stuhl an. Er selbst setzte sich an den Schreibtisch und holte ein paar Papiere aus einer Schublade – offensichtlich Vordrucke.

In ihrer Gegenwart begann er, sie auszufüllen.

„Name?“, murmelte er. „Trockenbroth, Friedlinde“.

„Alter?“

„59 Jahre“, antwortete Friedlinde ergeben. Was sollte das alles?

„Benutzen Sie ein Deo?“, wollte er wissen.

„Natürlich!“ empörte sie sich.

„Welche Firma?“, fragte er weiter.

„Was geht Sie das an? Das geht jetzt aber zu weit!“

Er sah sie geduldig an. „Das muss ich schon wissen“, erwiderte er. „Das gehört einfach dazu!“

Sie nannte die Marke, und er notierte das sorgfältig auf seinem Bogen.

„Wie oft benutzen Sie das Deo?“, wollte er noch wissen.

Friedlinde ergab sich ihrem Schicksal und beantwortete geduldig alle weiteren Fragen nach der Häufigkeit der Anwendung und der letzten Benutzung. „Das war heute Morgen, also vor etwa sechs Stunden.“

„Das war’s auch schon“, freute er sich. „Sie können sich dann obenrum freimachen. Den BH dürfen Sie anbehal­ten!“ Er zeigte auffordernd auf den Wandschirm. „Ich lass Sie einen Moment allein!“

Friedlinde starrte ihm entsetzt hinterher, als er das Zim­mer verließ. Was sollte sie jetzt tun. Was hatte er mit ihr vor? Sie hatte sich ein erstes romantisches Treffen wahr­haftig etwas anders vorgestellt. Immerhin durfte sie den BH anbehalten. Warum also nicht?

Sie ging hinter den Wandschirm und zog ihren Pulli über den Kopf. Für ihren BH brauchte sie sich nicht zu schä­men. In der Badeanstalt oder am Strand trug sie auch nicht mehr.

Er kam wieder herein und sah sie auf dem Stuhl sitzen.

„Mein Kompliment!“, sagte er anerkennend, worauf immer sich das bezog.

Er nahm sie an beiden Händen und zog sie etwas nach oben, sodass sie wieder stand. Dann hob er ihren linken Arm nach oben und stellte fest: „Sie sind nicht rasiert. Das ist gut!“

Dann näherte er sich mit seiner großen Nase ihrer Ach­selhöhle und fing an zu schnüffeln.

Das war nun endgültig zu viel für Friedlinde. Sie klappte den Arm wieder nach unten und gab ihm mit der rechten Hand eine saftige Backpfeife. „Was soll denn das?“, schrie sie wütend. „Sie Perverser! Schämen Sie sich! Und so einen vermittelt mir das Zweite Glück! Ich habe das für eine seriöse Agentur gehalten!“

„Zweites Glück?“, fragte Nano erstaunt und hielt sich die brennende Wange. „Ich versteh nicht …“

„Aber ich verstehe sehr gut!“, schimpfte Friedlinde und zog sich den Pulli wieder an. Noch während Hano ratlos dastand, hatte sie mit ein paar Schritten die Tür erreicht, knallte die Wohnungstür hinter sich zu und rannte die Treppe hinunter.

Hano schaute fassungslos auf die heftig vibrierende Tür und lauschte den eiligen Schritten auf der Treppe, die aber schnell vom Teppich geschluckt wurden. Was war denn das? Das war ihm noch nie passiert. Hatte er etwas falsch gemacht?

Doch etwas anderes bereitete ihm noch mehr Kopfzer­brechen. Die Frau hatte gar keinen Geruch gehabt. Irgen­detwas hätte er riechen müssen –, selbst wenn sie noch so gepflegt war. Zumindest hätte er das Deo wahrnehmen müssen. Doch er hatte absolut nichts gerochen. Das hatte er in seiner Tätigkeit als Deotester noch nie erlebt.

Er malte ein großes Fragezeichen auf den Testbogen und legte seine Hand auf die Sensorfläche auf der Schreib­tischplatte. Sofort leuchte der Monitor seines Computers auf, und Roberts Gesicht lächelte ihn an. Er war zwar nur eine Computersimulation – die persönliche Verbindung zwischen ihm und der INTESCO, das war die Abkürzung für die Industrie Testing Corporation. Trotzdem hatte sich zwischen den beiden eine gewisse Vertrautheit ent­wickelt.

Die Agentur beschäftigte sich mit der Qualitätskontrolle aller nur erdenklichen Erzeugnisse, und Hano war einer der Spezialisten für die Wirkung von Deoprodukten. Seine übergroße Nase konnte jede noch so feine Geruchsnuance erkennen. Sein Geruchssinn war fast so sicher wie die eines Schäferhundes. Als Kind wurde er manchmal von Mitschülern auch „Hals-Nasen-Ohren-Qwertz“ genannt. Sein Vorname forderte förmlich dazu heraus. Ohren und Adamsapfel hatten ihm nichts weiter gebracht, doch seine Nase entwickelte sich zum Phäno­men. Für INTESCO war er sehr wichtig. Er konnte an jedem Menschen, vorwiegend unter den Achseln, aber auch im Intimbereich, die Wirkung von Deos und ande­ren Duftstoffen erschnüffeln und war in dieser Hinsicht unfehlbar.

Natürlich war es für die Probanden nicht immer so ein­fach, an sich herumschnüffeln zu lassen – besonders im Intimbereich. Deshalb war mit der Agentur ein Verfahren vereinbart worden, das sich bisher bewährt hatte. Er traf sich mit den Testpersonen immer erst in dem Café im Hause. Diese wussten im Prinzip immer, was auf sie zukam, und hatten ihr Einverständnis schriftlich erklärt. Umso verwunderlicher war das Verhalten der Friedlinde Trockenbroth gewesen. Er verstand das immer noch nicht.

Das Gesicht Roberts lächelte ihm immer noch entgegen.

„Was kann ich für dich tun?“, fragte er.

„Ich hatte Probleme mit der Probandin Friedlinde Tro­ckenbroth. War sie nicht richtig aufgeklärt worden?“ meldete Hano.

Robert antwortete sofort, ohne irgendwo nachzuschauen: „Eine Testperson Friedlinde Trockenbroth ist hier nicht bekannt. Wir haben eine Frau Luzie Schmick ins Café geschickt. Termin war vor 35 Minuten. Ist sie nicht erschienen?“

„Wie sieht sie denn aus?“, wollte Hano wissen, und sofort erschien das Bild einer stark geschminkten Frau auf dem Monitor.

Hano erkannte sie sofort. Das war die unangenehm über­trieben riechende Person, die der Kellner Oskar an den Tisch des Fettklopses geführt hatte.

„Die habe ich gesehen“, bestätigte Hano. „Da muss Oskar wohl etwas verwechselt haben.“ Jetzt verstand er auch, warum die Trockenbrodt von dem „Zweiten Glück“ gesprochen hatte. Das war eine Partnervermitt­lung.

„Was machen wir jetzt mit der Friedlinde Trocken­broth?“, wollte Robert wissen.

„Nichts!“, entschied Hano. Sollte die sich doch selbst mit der Partnervermittlung herumschlagen. Der Fettklops hätte ohnehin nicht zu ihr gepasst. Insofern hatte er ihr wahrscheinlich sogar einen Gefallen getan.

„Ich habe noch ein anderes Problem“, fuhr Hano fort.

Robert hob interessiert eine Augenbraue an. In dieser Hinsicht war er fast menschlich. „Ein Problem?“, fragte er.

„Die Trockenbrodt hatte keinerlei Geruch! Nicht den geringsten!“

„Das gibt es nicht!“, stellte Robert fest.

„Es war aber so!“, behauptete Hano. „Sie hat mich zwar kaum an sich rangelassen, doch irgendetwas hätte ich trotzdem riechen müssen. Kann es sein, dass man mir eine DIP untergeschoben hat?“

„Eine DIP?“, überlegte Robert. „Eine Digitale Person? Das wäre möglich. Das müsste dann aber die Partnerver­mittlung gemacht haben. Vielleicht ist das ein Trick von denen, um schwierige Kunden bei der Stange zu halten.“ Er lächelte verschmitzt. „Ich selber habe ja auch keinen Geruch.“

„Gilt das für alle DIPs?“, wollte Hano wissen.

„Das kommt auf den Einsatzort an“, erklärte Robert. „DIPs, welche mit anderen Menschen zu tun haben, erhalten allgemein auch einen Geruch. Sie werden zwar nicht nach Schweiß stinken, aber mit entsprechenden Duftstoffen können sie sogar ihre Umwelt beeinflussen. Das ist wie mit den Pheromonen bei Schmetterlingen. Die kann man gezielt einsetzen.“

„Dann wird Friedlinde Trockenbrodt ein DIP ohne Duft­stoffe gewesen sein“, stellte Hano fest.

Robert war noch nicht überzeugt. „Kann es nicht sein, dass es an dir liegt?“, fragte er.

„An mir?“, wehrte Hano ab. „Ich kann hervorragend schnüffeln! Wenige Minuten vorher habe ich noch das aufdringliche Parfüm der Luzie Schmick gerochen. Ich habe den Geruch noch immer in der Nase!“

„Im Gehirn!“, korrigierte Robert. „Die Gerüche werden im Gehirn gespeichert! Aber wir können einen Test machen. Dann sind wir sicher. Nimm doch mal die Ver­gleichstests in die Hand!“

Hano holte aus einer Schublade eine Batterie von kleinen Flaschen mit Schraubverschlüssen hervor und schnüf­felte daran. Sie waren absolut geruchsfrei. So sollte es auch sein! Die Verschlüsse ließen nichts hindurch.

Unter der Aufsicht Roberts öffnete er ein Fläschchen mit einer codierten Aufschrift. Mit dem Verschluss zog er einen Teststreifen heraus, der mit der Flüssigkeit getränkt war.

„Ich rieche nichts!“, stellte er fest und zeigte Robert die Codierung.

„Das ist Baldrian!“, stellte Robert fest. „Ziemlich stark!“

Jetzt fiel Hano auf, dass er sich die ganze Zeit irgendwie leer gefühlt hatte. Er konnte sich dieses Gefühl aber nicht erklären. Nun wurde ihm klar, dass er keinerlei Umwelt­gerüche mehr wahrnahm. Seine Nase war völlig nutzlos.

Voller Panik begann er, ein Fläschchen nach dem ande­ren zu öffnen. Das Ergebnis war katastrophal: Er hatte seinen Geruchssinn verloren und damit auch seine Erwerbsgrundlage.

„Ich kann nicht mehr riechen“, gab er auch Robert gegenüber zu. „Wie soll es jetzt weitergehen?“

„Ohne Geruchssinn bist du für INTESCO wertlos!“

Von einem Moment auf den anderen verschwand Robert vom Monitor, stattdessen leuchte das Logo INTESCO auf. Am rechten Rand war ein Stundenglas zu sehen mit dem Schriftzug „Bitte warten!“

 

Hano wartete geduldig. Was würde jetzt passieren? Würde man ihn entlassen? Das konnten sie doch nicht tun!

Nach kurzer Zeit – Hano kam es aber sehr lange vor – erschien Robert wieder mit seinem unverbindlichen Lächeln auf dem Bildschirm.

„Herzlichen Glückwunsch!“, sagte er. „Du hast soeben an einem Experiment teilgenommen und bestanden!“

„Wollt ihr mich verarschen?“, brauste Hano auf. „Habt ihr mir meinen Geruchssinn geklaut?“

„Gewissermaßen ja“, gab Robert zu. „Aber der Hinter­grund lag auf einer ganz anderen Ebene. Ich wurde soe­ben befugt, dich darüber aufzuklären. Da das ganze Projekt jedoch streng geheim ist, musst du vorher noch eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Tust du das nicht oder verstößt gegen die Geheimhaltungsvor­schriften, ist dein Arbeitsverhältnis sofort beendet. Bist du damit einverstanden?“

„Ja“, sagte Hano zögerlich. Was kam da auf ihn zu? Aber arbeitslos wollte er auf keinen Fall werden.

Ein Blatt Papier schob sich aus dem Kommunikator, und er las sich die Bedingungen sorgfältig durch. Es schien kein Haken daran zu sein. Er bestätigte mit seiner Unter­schrift, und der Automat zog das Papier wieder ein.

„Ich möchte eine Kopie!“, forderte er von Robert.

„Das geht nicht! Die ist ebenfalls geheim. Was ist, wenn sie jemand bei dir findet?“

Dann begann Robert zu erklären:

„INTESCO ist gerade dabei, Wirkstoffe zu entwickeln, welche unmittelbar auf das Gehirn einwirken, ohne dass der Betroffene etwas davon bemerkt. Die ersten Substan­zen konnten schon gewonnen werden. Über die Wirkung darf ich keine Auskunft geben. Das Problem ist jedoch die Art der Beibringung. Man kann die Stoffe injizieren oder Speisen beimischen oder auf die Haut sprühen, doch alles ist zu auffällig. Es soll ja dadurch eine Werbebot­schaft untergeschoben werden. Aber wer lässt sich schon eine Spritze geben, damit er anschließend ein bestimmtes Waschmittel benutzt? Da kam ich auf die Idee“, Robert reckte stolz den Kopf nach oben, „dich mit deiner fantas­tischen Spürnase einzusetzen. Das musste natürlich ohne dein Wissen geschehen. Also schickten wir dir Luzie Schmick auf den Hals, die von uns vorher mit dem Wirk­stoff eingesprüht wurde. Das war mit einem ganz billigen Parfüm kaschiert, was ihr gar nicht gefiel. Aber schließ­lich bekam sie ja Geld dafür.“

„Ich sollte also die Testperson sein!“, brauste Hano auf.

„Das ist richtig“, bestätigte Robert. „Inzwischen haben unsere Überwachungskameras allerdings bewiesen, dass Luzie sich kurz vor Erreichen des Cafés mit einem ande­ren Parfüm eingesprüht hat. Wahrscheinlich um das andere zu überdecken. Das war ihr ausdrücklich verbo­ten. Da steht ihr noch gehöriger Ärger ins Haus.“

„Sie war doch gar nicht bei mir!“, wandte Hano ein.

„Aber du hast sie – nach deinen eigenen Angaben – am Eingang des Cafés mit deiner Nase wahrgenommen. Du hast die Aufdringlichkeit ihres Parfüms bemerkt. Das reichte offensichtlich schon aus.“

„Ihr wolltet also bewusst meinen Geruchssinn zerstö­ren?“, empörte sich Hano.

„Nein!“, widersprach Robert. „Dein Geruchssinn ist für uns viel zu kostbar. Wir wollten etwas anderes bewirken. Wir wollten dir ein absolutes Gehör verpassen. Deine Ohren wären bestens geeignet gewesen. Doch in dieser Hinsicht ist das Experiment misslungen. Die Gründe haben unsere Wissenschaftler noch nicht realisiert. Mög­lichweise hängt das mit der Verfälschung durch Luzie zusammen. Aber auch das wären wertvolle Erkennt­nisse.“

„Wie konnte das passieren?“, überlegte Hano. Auf seine Ohren schien der Test keine Auswirkungen gehabt zu haben.

„Die Wirkstoffe, an denen wir arbeiten, können in zwei Richtungen eingesetzt werden. Entweder sie aktivieren durch die Belebung untätiger Synapsen zusätzliche Gehirnzellen oder sie legen genau definierte Teile des Gehirns auf Eis. Die Gehirnzellen werden nicht zerstört, doch die Synapsen werden gelähmt. Die Zellen werden einfach nicht erkannt und sind deshalb ausgeschaltet. Man kann sie jederzeit wieder aktivieren.“

Hano atmete auf. „Dann bekomme ich also meinen Geruchssinn wieder?“

„Das ist nicht so sicher“, dämpfte Robert die Hoffnung. „Erstens wissen wir noch nicht, warum das Experiment missglückt ist, und zweitens haben wir das Gegenmittel noch nicht in der Erprobungsphase. In deinem Fall ist es besonders kompliziert. Statt der Aktivierung zusätzliche Gehirnzellen, die für den Hörbereich zuständig sind, wurden deine Riechzellen deaktiviert – hoffentlich nicht zerstört!“, fügte er hinzu.

„Und wie soll ich mich jetzt verhalten?“, fragte Hano.

„Wir versuchen es erst einmal mit einem ID-Update, dabei erfahren wir vielleicht etwas mehr.“

Hano fasste automatisch an die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Dort konnte er den linsengroßen Chip fühlen, der jedem legalen Bürger gleich nach der Geburt eingesetzt wurde. Damit konnte er sich überall legitimieren. Ab und zu wurde die Soft­ware durch ein Update auf den neuesten Stand gebracht. Das geschah unauffällig bei einer Benutzung der vielen Sensorflächen, die es überall gab: in Supermärkten, öffentlichen Verkehrsmitteln, an Türöffnern, Automobi­len, eben überall, wo man sich identifizieren musste. Das klappte hervorragend.

Hano legte erneut seine Hand auf die Sensorfläche. Das Stundenglas erschien neben Robert auf dem Bildschirm mit dem Hinweis: „Update wird durchgeführt. Das kann etwas länger dauern. Bitte lassen Sie die Hand auf dem Sensor liegen.“

Doch schon wenige Sekunden später wurde der Hinweis „Update abgeschlossen“, eingeblendet. Im gleichen Moment überwältigte Hano eine Geruchswelle. Sein Geruchssinn war wieder da, und nach der Zeit der Geruchslosigkeit empfand er ihn stärker als je zuvor.

„Es hat geklappt!“, lächelte Robert. „Wir haben dich neu programmiert, und deine Riechzellen zusätzlich ver­stärkt. Hoffentlich kommst du damit klar!“

Hano war alles recht. Hauptsache, er konnte wieder rie­chen.

Es klingelte Sturm an seiner Wohnungstür. Wer wollte denn jetzt etwas von ihm? Er erwartete keinen Besuch. Ahnungslos öffnete er die Tür und Luzie drängte sofort herein. Diesmal war ihr Geruch noch unerträglicher, und Hano geriet in Panik. Wiederholte sich jetzt alles?

Luzie begann sofort loszuzetern: „Das war ja eine Frech­heit, was man mit mir gemacht hat!“, legte sie los. „Ich gehe ahnungslos zu dem Treffen und werde von dem Ober zu einem ekelhaften Kerl geschickt, der sofort begann, meine Hand zu küssen – nein, nicht nur die Hand – den ganzen Arm schlabberte er mir voll! Das war ekel­haft! Ich hatte sofort genug und verließ das Lokal, nicht ohne ihm noch eine saftige Ohrfeige verpasst zu haben. Vor der Tür rief ich INTESCO an, wo man mir gestand, dass es eine Verwechslung gegeben hatte. Man verriet mir auch Ihre Anschrift. Zum Glück stand ich ja noch vor der Tür. Und da bin ich jetzt! Ich hoffe, das läuft hier alles etwas seriöser ab. Sie sehen mir nicht gerade wie ein Lustmolch aus.“

Hano war es nicht gelungen, den Redeschwall zu unter­brechen, vor allem, als er bemerkte, dass er schon wieder nichts mehr riechen konnte. Nach der kurzen überwälti­genden Duftwelle, auf der Luzie sich hereingedrängelt hatte, war seine Nase wieder wie betäubt. Das war zuge­geben noch besser als der Gestank von Luzie, aber trotz­dem katastrophal für ihn. Was sollte er jetzt tun? Sie sah auch nicht so aus, als würde sie sich einfach abschieben lassen.

Er bat sie zunächst in sein Wohnzimmer, und sie nahm auf dem Sofa Platz. Während sie geduldig wartete, ging er in sein Arbeitszimmer und nahm erneut Kontakt zu Robert auf.

„Was soll ich jetzt tun?“, fragte er. „Die Luzie Schmick ist in meine Wohnung eingedrungen und hat schon wie­der meinen Geruchssinn zerstört. Wie konntet ihr sie mir nur auf den Hals schicken? Das musste euch doch klar sein!“

Robert nickte unverbindlich. „Ich sehe ein, das war ein Fehler. Wir führen jetzt trotzdem den Test durch.“

„Aber ich kann doch nichts mehr riechen!“, protestierte Hano.

„Dann tust du eben, als ob, und protokolliert alles. Wir werten es dann schon aus. Über deinen Geruchssinn unterhalten wir uns später.“

Hano befolgte alle Weisungen, füllte nach Luzies Anga­ben den Fragebogen aus und schnüffelte etwas an ihr herum. Den Intimbereich ließ er diesmal aus. Schon die Vorstellung, was er dort nicht riechen könnte, erregte Übelkeit.

„Und? Was ist?“, fragte Luzie.

„Das kann ich nicht sagen“, wich Hano aus. „Das wird in der Zentrale ausgewertet.“

„Hauptsache, ich bekomme mein Geld!“, sagte sie befrie­digt. „Ich hätte jetzt durchaus noch etwas Zeit …“, fügte sie hinzu und rückte ihren BH zurecht.

Hano schüttelte sich innerlich. „Nein danke“, wehrte er ab. „Privater Kontakt mit den Testanten ist uns ausdrück­lich untersagt!“

„Na denn eben nicht!“, schmollte Luzie beleidigt und zog die Bluse über. Höflich begleitete Hano sie zum Aus­gang.

Robert wartete noch auf dem Monitor. Sein Gesicht war mit einem unnatürlichen Lächeln „eingefroren“, wech­selte aber zu einem noch unnatürlicheren Grinsen, als Hano zurückkehrte.

„Ich will sofort ein neues Update!“, forderte dieser und legte die Hand auf den Sensor.

Die Prozedur wiederholte sich – mit einem Unterschied: Anschließend roch Hano immer noch nichts.

„Was soll das?“, fragte er. „Ich rieche nichts!“

„Das ist fatal!“, erwiderte Robert. „Das kann aus der Ent­fernung nicht mehr behoben werden. Es bleibt uns nichts weiter übrig, als dich im Labor zu behandeln.“

„Und wo ist das?“, wollte Hano wissen.

„In der Zentrale in Quebec. Wir haben bereits einen Flug für dich gebucht. Du kannst das Ticket sofort ausdru­cken. Zur Legitimation genügt dein ID-Chip.“

Der Drucker spuckte das Ticket aus. Hano warf einen Blick darauf und rief erschrocken: „Das ist ja schon mor­gen früh!“

„Du musst ja nicht packen!“, beruhigte Robert. „Lass dich einfach zum Terminal bringen – den Rest organisie­ren wir! Übermorgen Nachmittag bist du wieder zurück!“