GALDAN und wie er die Lampe des Lichtkönigs zurückholte

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GALDAN und wie er die Lampe des Lichtkönigs zurückholte
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Wolfram Gittel



GALDAN und wie er die Lampe des Lichtkönigs zurückholte





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Inhaltsverzeichnis





Titel







ALS GALDAN GEBOREN WURDE







WIE ALLES GANZ ANDERS WURDE







WIE GALDAN ZUR HÜTERIN DER WEISHEIT KAM







WAS GALDAN AM TOR ERLEBTE







WIE GALDAN DEM FLUSS DER TAUSEND TRÄNEN FOLGTE







WAS GALDAN BEI DEN FALLENDEN WASSERN ERLEBTE







WIE GALDAN ZU DEN SCHNEEGÄNSEN KAM







WIE GALDAN DEN RENTIEREN HALF







WAS GALDAN IM EISPALAST ERLEBTE







Impressum neobooks







ALS GALDAN GEBOREN WURDE



Gleichmäßig rollten die Wellen des riesigen Sees heran. Eine Woge nach der anderen hob sich, lief zwischen die mächtigen Bäume vor dem Ufer hinein und klatschte auf deren Wurzeln, die wie starke Arme in das Wasser tauchten. Sehen konnte man die Wellen nicht. Denn noch war es finster. Der Himmel war mit einem leichten Dunst bedeckt, hinter dem sich die Sterne versteckt hatten. Nur der Mond blinzelte trübe durch den Vorhang.



Die Morgendämmerung machte sich gerade als ein feiner rötlicher Hauch weit hinten am Himmel bemerkbar. Ein kühler Wind schüttelte die Zweige, dass die Blätter rauschten. Langsam kroch die Röte vom Horizont aus höher. Das Dunkel der Nacht wurde schwächer. Als fette Kugel stand der Mond tief im Westen.



Noch ruhte das ganze Land. Die Vögel auf den Bäumen hatten ihre Köpfe unter die Flügel gesteckt. Auf dem Waldboden lagen die Tiere zusammengerollt in tiefem Schlaf. Und selbst die Fische im Wasser standen völlig still, leicht im Schlummer die Flossen bewegend, damit sie nicht abtrieben. Tau senkte sich hernieder und benetzte das Land. - Stille überall. -



Nur an einem Punkt im See, tief unten zwischen den Wurzeln eines Baumriesen gab es keinen

Schlaf

. Dort hatte eine Fischvogel-Familie ihre Nistkolonie. Normalerweise schlafen auch Fischvögel in der Nacht. Aber dies war keine gewöhnliche Nacht. Deshalb wagte niemand, die Augen zuzumachen. Die ganze Fischvogel-Familie war aufgeregt. Unablässig schwamm der Fischvogel-Vater vor dem Nest hin und her. Die größeren Fischvogel-Kinder spitzten immer wieder aus ihrem Nest nebenan und wurden vom Vater hinein gestupst. Auch die Onkels und die Tanten und die alte Muhme in ihren Nestern ringsum waren noch wach und ebenfalls soooo gespannt. Es hätte ja schon am Abend so weit sein müssen! Aber noch immer rührte sich nichts!



Die Fischvogel-Mutter saß nämlich schon seit Wochen auf einem Ei und brütete. Und gestern Abend hätte das Kleine schlüpfen müssen.-



Der ganze Horizont war schon hell. Und eben versank das letzte Stückchen Mond im See. Aber im Ei rührte sich noch nichts. Die Bewegungen des Fischvogel-Vaters wurden ruckartiger. Immer rascher schwamm er hin und her. Manchmal schoss er auch wie ein Pfeil aus dem Wasser und fiel laut klatschend in den See zurück.



Klar und deutlich stand nun der Wald vor dem See, dessen Wasser im Morgenlicht rötlich schimmerte. Da plötzlich! - War da was? - Oder nicht? - War es nur Täuschung? – Oder rührte sich doch was? - Angestrengt lauschte die Fischvogel-Mama. - Doch vergeblich. Enttäuscht und traurig legte sie den Kopf auf ihr silberglänzendes Gefieder, das dicht wie Schuppen an ihrem Körper anlag.



Ob das Kleine in dem Ei überhaupt noch lebte? Hatte sie es auch wirklich stets genug vor kalten Strömungen geschützt? War sie vorsichtig genug gewesen? Fast glaubte sie es nicht mehr.



Blutrot strahlte der gesamte Horizont, schickte hellroten Schimmer weit in den Himmel hinauf. Die ersten Vögel begrüßten den neuen Morgen. Langsam schob sich die Sonne über die ferne Kante des Sees. Tiefe Glut ließ das Wasser erstrahlen, tauchte die Fischvogel-Nester in ein mildes Rosa.



Der Fischvogel-Vater schwamm zur Wasseroberfläche empor. Er streckte den Kopf aus dem Wasser, schaute sich um, als ob er Hilfe suchte. Dann tauchte er wieder ab. Am Nest angekommen schlüpfte er hinein. Er wollte seine Gefährtin trösten. Denn dass das Kleine noch schlüpfen würde, daran glaubte er nicht mehr. -



Da plötzlich – was war das?



Toktok – tok – tok – toktoktok.



Der Fischvogel-Vater reckte den Kopf. Angestrengt lauschte er.



Toktoktok – toktok – tok ---- toktoktok.



Es gab keinen Zweifel! - Es kam aus dem Ei! - Das Kleine rührte sich!!!



Er rüttelte seine Gefährtin, die trübe vor sich hinstarrte.



„Es rührt sich!“ rief er voller Freude. „Es rührt sich!“



Mama Fischvogel reckte den Kopf und lauschte. Laut und vernehmlich hörte sie: tok - tok - toktok – tok – toktoktok.



Sie lehnte ihren Kopf an die Schulter ihres Gefährten und schluchzte erleichtert: „Endlich rührt es sich!“



Im Nu sprang die freudige Nachricht auf die anderen Nester über.



„Es rührt sich! Es rührt sich!“



Nagdor, der älteste der Fischvogel-Kinder, strebe mit raschen Schwimmstößen der Wasseroberfläche zu. Er schoss hoch in die Luft hinauf. Dann breitete er seine Schwingen aus. So schnell er konnte flog er durch den Wald.



„Es rührt sich! Es rührt sich!“ rief er immer wieder. „Es rührt sich!“



Verschlafen reckte die Hasenmama den Kopf. Neugierig spitzten ihre Kleinen aus der Kuhle auf der Wiese. Kaum hörten sie die Nachricht, als sie schon los hoppelten. Die Rehe, die Affen, die Vögel und alle alle Tiere des großen Waldes, die die Fischvögel kannten, eilten zum See. Alle wollten dabei sein, wenn das Kleine die Schale durchbrach.



Goldgelb hob sich die Sonne empor. Ihre Strahlen spiegelten sich im Wasser.



Die Fischvogel-Mama hatte ihren Platz verlassen, um dem Kleinen Raum zu geben. Und dieses arbeitete ganz heftig!



Toktoktoktoktoktok klang es in einem Fort dumpf aus dem Ei.



Dicht drängten sich die Tiere am Ufer. Stupsi, der kleine Hase, war zu neugierig. Er beugte sich viel zu weit vor. Da plötzlich machte es „Plumps“ und er war im Wasser verschwunden. Prustend tauchte er wieder auf. Flaps, der Affe, reckte sich und fischte mit seinen langen Armen den kleinen Hasen wieder heraus. Alle Tiere lachten. Verschämt drückte sich Stupsi an seine Mama.



Währenddessen hatte das Kleine in dem Ei unermüdlich weiter gearbeitet. Auf einmal bekam die Schale große Sprünge und mit einem lauten „plopp“ brach sie auseinander.



„Oh“, sagten die Tiere am Ufer. Denn im Nest lag ein allerliebstes Fischvögelchen, reckte die Beinchen, streckte die Flügelchen. Mit einem Schwups stand es auf seinen Schwimmfüßchen und betrachtete neugierig seine Umgebung.



In diesem Augenblick fiel ein Sonnenstrahl direkt in das Nest. Die Schuppenfedern des Kleinen schimmerten wie reines goldüberstrahltes Silber.



„Wie soll es heißen?“ fragte die Fischvogel-Mama.



„Galdan“, sagte Nidal, die alte Muhme, die schon lange nicht mehr fliegen konnte und die vieles wusste, was man eigentlich gar nicht wissen konnte. „Galdan“, so sagte sie geheimnisvoll, „muss er heißen. Denn der Schein des Lichtkönigs traf ihn bei seiner Geburt. Galdan ist der, der im Licht steht.“ Dann wandte sie sich um und schwamm schwerfällig in ihr algenbesetztes Nest.



„Galdan“, sagte der Fischvogel-Vater, „ist ein schöner Name. Möge er dem Kleinen Glück bringen!“



„Galdan“, sagte die Fischvogel-Mama zärtlich. „Ja, so sollst du heißen.“ Dann strich sie mit ihrer rechten Greifhand dem Kleinen sanft über das Köpfchen.



Galdan schaute sie mit großen Augen an. Dann tapste er unsicher auf sie zu, stupste sie ein paarmal mit seinem Schnäbelchen an und schlüpfte dann zwischen ihre Beine in die weichen Flaumfedern, die ihren Bauch dicht bedeckten.



Die Sonne kletterte weiter am Himmel empor, tauchte das ganze Land in ihr helles wärmendes Licht. -



Lange noch saßen die Tiere am Ufer, staunten über das Fischvögelchen und warteten darauf, dass es sich wieder zeigte. Aber Galdan war müde. Er hatte schwer arbeiten müssen, um durch die Schale zu kommen. Nun schlief er ruhig und sicher in den strahlenden Morgen hinein. -



Immer weiter stieg die Sonne. Die Tageshitze wuchs, kroch über den See, drückte zwischen die Bäume hinein. Nach und nach verließen die Tiere ihren Platz. Sie kehrten in den großen Wald zurück Aber eines wussten sie alle. Sie würden jeden Tag wieder kommen und sich um Galdan kümmern.



Schließlich saß nur noch die Hasenmama da und um sie herum ihre Kleinen. Die wurden auch schon ungeduldig. Nur Stupsi nicht. Er konnte sich überhaupt nicht satt sehen an dem kleinen Fischvogel, von dem nur die Schwanzspitze unter der Mama hervor schaute.



„Stupsi komm!“ mahnte die Hasenmama. „Du siehst doch, dass Galdan schläft!“



„Ja aber er muss doch wieder aufwachen“, entgegnete Stupsi. „Ich muss doch warten. Ich muss ihn doch fragen, ob er mein Freund sein will.“

 



Die Hasenmama lächelte. „Aber Stupsi“, meinte sie dann gütig. „Galdan muss jetzt erst einmal lange und tief schlafen. - Weißt du. Es war für ihn sehr schwer, aus der Schale zu kommen. Nun braucht er Ruhe. Du kannst nicht so lange warten. Morgen ist Galdan bestimmt ganz munter. Und dann kannst du ihn fragen.“



Stupsi schaute seine Mama lange an. Dann fragte er sie: „Meinst du wirklich?“



Die Hasenmama nickte und streichelte schmunzelnd ihrem Sprössling über den Kopf. „Kommt!“ rief sie dann. „Wir gehen nach Hause! Ihr werdet alle schon sehr hungrig sein und auf der Waldwiese wartet der Klee!“



„Au ja!“ riefen alle kleinen Häschen und hoppelten in Windeseile davon. Die Hasenmama musste sich sputen, dass sie sie nicht aus den Augen verlor.



Am nächsten Morgen war Stupsi als erster wach. Ganz aufgeregt weckte er seine Mama: „Mama komm, wir müssen zu Galdan!“



Verschlafen reckte sie sich. Dann rappelte sie sich hoch. Auch die anderen wachten auf. Nach einem ersten Frühstück auf der Kleewiese hoppelten alle zum See. Stupsi war allen anderen weit voran. Er konnte es einfach nicht erwarten, Galdan zu sehen. Doch als er das Ufer erreichte, wurde er bitter enttäuscht. Wie angestrengt er auch auf das Gewässer schaute, von dem kleinen Fischvogel fand sich nicht eine Spur.



„Warum zeigt er sich nicht?“ fragte der kleine Hase ganz verzweifelt seine Mama, die nun auch das Ufer erreicht hatte.



„Vielleicht ist es für ihn noch zu früh. Schau, die Sonne ist doch erst aus dem See gestiegen. Galdan schläft bestimmt noch.“



„Ooch. - Immer schläft Galdan, wenn ich ihn besuche“, maulte Stupsi.



Seine Mutter lachte. „Galdan ist doch noch ganz klein“, erklärte sie. „Er muss noch viel wachsen. Und dazu muss er viel essen und viel schlafen.“



„Ist das immer so, wenn Tierkinder noch ganz klein sind?“ fragte Stupsi staunend.



Die Hasenmama nickte nur.



Da tauchte der Fischvogel-Vater aus den Fluten auf. Er schüttelte seinen Kopf und schlug mit den Flügeln. Als er die Hasenfamilie am Ufer sitzen sah, schwamm er sofort auf sie zu.



„Guten Morgen“, grüßte er sie. „Ihr seid auch schon auf?“



„Wir möchten Galdan besuchen“, platzte Stupsi ganz aufgeregt heraus.



Der Fischvogel-Vater lachte. „Stupsi – Galdan ist noch viel zu klein, um mit dir spielen zu können. Er muss noch im Nest bleiben. Weißt du. Noch braucht er viel Wärme. Darum sitzt er nur unter den Federn seiner Mama. Aber wenn er größer ist, darfst du mit ihm spielen. - Ganz bestimmt.“



„Na gut. - Dann komm ich eben morgen wieder“, meinte Stupsi.



Der Fischvogel-Vater musste schmunzeln. „Nein. So schnell geht es auch wieder nicht. Aber wenn du in zwei Wochen kommst, dann ist es soweit. Dann darf Galdan zum ersten Mal ans Ufer. Und du darfst dabei sein.“



„Au fein! - Aber wie weiß ich, wann es soweit ist?“



„Ich schicke Nagdor.“



„Das ist fein! - Aber was mache ich bis dahin?“



Der Fischvogel-Vater und die Hasen-Mama lachten. Sie strich ihrem Sprössling liebevoll über den Kopf. Dann verabschiedete sich die Hasenfamilie und hoppelte in den Wald zurück.



Aufgeregt erzählte es Stupsi an diesem Tag jedem, dass er dabei sein dürfe, wenn Galdan zum ersten Mal ans Ufer kommt. Als es aber Abend wurde und Nagdor immer noch nicht da gewesen war, wurde der kleine Hase doch ungeduldig. Seine Mama tröstete ihn. Aber am nächsten Tag wollte Stupsi schon wieder ans Ufer. -



Es war für ihn eine harte Geduldsprobe. Morgen um Morgen brach an. Aber der Tag, an dem er Galdan sehen sollte, wollte einfach nicht kommen. Schließlich war es doch so weit. Eines Tages früh, als die Sonne gerade ihre ersten Strahlen in den Wald schickte, saß Nagdor schon vor der Hasenkuhle. Stupsi war ganz überrascht, als er die Augen öffnete.



„Komm, beeile dich!“ forderte er ihn auf. „Galdan wird gleich aus dem Wasser kommen.“



Wie ein Blitz war Stupsi aus der Kuhle und fegte, so schnell er konnte, zum See. Bis die Hasenmama recht begriff, was los war, konnte sie ihren Sprössling schon nicht mehr zu sehen. Langsamer folgte sie mit den anderen.



Ungeduldig saß Stupsi am Ufer und starrte in das Wasser. Immer wieder trommelte er mit den Pfoten auf den weichen Boden. Weit beugte er sich über den Ufersaum.



„Na nicht so eifrig! Denk an Galdans Geburt!“ mahnte die Hasenmama, die nun mit dem Rest der Familie auch den See erreicht hatte.



Stupsi zog sich etwas zurück, kam aber dem Wasser rasch wieder bedrohlich nahe. Er war doch so auf Galdan gespannt!



Da tauchte der Fischvogel-Vater auf. - und ganz dicht neben ihm glänzte das Gefieder eines winzig kleinen Fischvögelchens in der Morgensonne! Stupsi reckte sich, so hoch er konnte.



Galdan! Da vorne schwamm Galdan! Zum ersten Mal in seinem Leben atmete der Fischvogel Morgenluft!



Stupsi sah genau, dass das Tierkind erst Angst hatte, zu atmen. Dann aber, als es sah, wie tief der Vater Luft holte, probierte es das auch. Und die Lungen füllten sich zum ersten Mal mit frischer reiner Luft.



Da hielt es Stupsi nicht mehr. „Galdan!“ rief er. „Guten Morgen! Komm her zu uns!“



Galdan erschrak. Er hatte solche Laute noch nie gehört. Aber sein Vater lächelte nur. „Galdan, das ist Stupsi. Ein kleiner Hase. Du darfst ruhig zu ihm hinschwimmen! Er wartet schon seit deiner Geburt darauf, dich zu sehen.“



Flink paddelte Galdan auf das Ufer zu. Kurz davor hielt er an. Stupsi hopste ganz aufgeregt auf dem Sand hin und her. Er brachte überhaupt kein Wort mehr heraus. Er wollte doch so viel sagen. Aber jetzt wusste er nicht, ob er erst staunen oder erst reden sollte.



„Stupsi?“ fragte Galdan zögernd mit sanfter hoher Stimme.



Der kleine Hase blieb stehen und nickte heftig. „Willst du...? Magst du...? stammelte er. Galdan sah ihn groß an.



„Ich will dein Freund sein“, brachte der kleine Hase endlich heraus.



Galdan betrachtete den Kleinen ausgiebig. Er gefiel ihm. „Ja“, antwortete er. „Lass uns Freunde sein!“



Stupsi hüpfte vor Freude hoch in die Luft. „Au fein!“ rief er. „Komm, wir gehen spielen!“



„Kann ich denn a u s dem Wasser?“ fragte Galdan verwundert. „Na komm schon, Kleiner!“ ermunterte ihn Nagdor. „Du siehst doch, dass ich auch draußen bin.“



Da versuchte Galdan, ans Ufer zu klettern. Aber irgendwie ging das nicht so, wie er sich das gedacht hatte. Er wusste einfach nicht, wie er seine Füßchen zu stellen hatte. Und was machte er mit seinem ganzen Gewicht, das er jetzt spürte? Irgendwie zog es ihn ins Wasser zurück. So platschte er wieder in die Wellen, kaum, dass er seine Füßchen ans Ufer gesetzt hatte. Alle mussten lachen. Auch Galdan lachte mit. Dann probierte er es noch einmal. Diesmal schlug er auch mit den Flügeln. Und dabei wunderte er sich, mit welcher Kraft sie ihn aufs Ufer hoben.



Rasch lernte er all die anderen kennen, die sich nun auch am Wasser eingefunden hatten. Und schon bald tollte die fröhliche Schar durch den Wald.





WIE ALLES GANZ ANDERS WURDE



Tag um Tag und Woche um Woche verstrich. Galdan wuchs und wurde immer größer und stärker. Wie die Tierkinder auch tollten. - Er war immer ganz vorne mit dabei.



Schnell hatte er gemerkt, dass ein Fischvogel nicht nur gut tauchen, schwimmen und laufen, sondern auch prächtig fliegen kann. Wie liebte er es, sich hoch in den Himmel hinauf zu schwingen und dann aus schwindelnder Höhe herabzustürzen! Manchmal bekamen die anderen Angst, weil der kleine Fischvogel so richtig waghalsig war. Aber dann lachte er nur. Von morgens bis abends waren die Tierkinder beisammen und alle hatten Galdan sehr gerne. Auch der kleine Fischvogel mochte seine Freunde sehr. Alle waren glücklich und zufrieden.



Doch dann kam ein Tag, an dem sich alles ändern sollte. An dem etwas passierte, was sich keiner der lustigen Schar je hätte vorstellen können. Dabei begann dieser Tag wie jeder andere.



Frühmorgens, kaum, dass sich die Sonne rotglühend aus dem See gehoben hatte, waren die Tierkinder auch schon munter. Wie immer sammelten sie sich am See, aus dem Galdan längst empor gekommen war. Er zog schon seine Kreise auf dem Wasser.



Nach einer kurzen Begrüßung ging es in den Wald. Es war so herrlich, zwischen den mächtigen Stämmen zu tollen, sich hinter riesigen Blättern zu verstecken, oder an Lianen zu schaukeln! Die jungen Vögel strichen dicht über die Schar hinweg und die Tierkinder, die keine Greifhände hatten, schauten den anderen zu, wie sie im Geäst turnten.



Strahlend wie immer spitzte die Sonne durch das dichte Blätterdach. Sie malte bunte Kringel auf den Waldboden, der dicht mit Gras und wunderbar weichem Moos bedeckt war. Wohlig warm strich die Luft zwischen den Bäumen hin. Ausgelassen tobte die fröhliche Schar. Ihr Gelächter und Gekicher tönte weithin durch den Wald. -



Doch plötzlich beschlich sie alle ein Gefühl, das sie noch nicht kannten. Es umklammerte ihre kleinen Herzen mit festem Griff und presste sie zusammen. Verwirrt schauten sie sich an. Ganz eng drängten sie sich aneinander.



„Was ist nur los?“ fragte Fax, der Affe. Und er klammerte sich an Fee, das zarte Reh. Ängstlich schauten sie sich um. Alles war wie sonst. - Und doch war es ganz anders. Wie sie sich auch umsahen. Sie konnten einfach nicht entdecken, was es war. Galdan merkte es als erster.



„Die Farben!“ rief er. „Alles wird immer blasser, immer düsterer!“



Jetzt sahen es die anderen auch. Die Blätter hatten ein fahles Schmutziggrün angenommen. Die Blüten waren nicht mehr satt gelb oder fruchtig rot, sondern alles war bleich, matt, dunkel.



Es war auch nicht mehr warm in dem großen Wald! Es war plötzlich empfindlich kühl und es wurde immer kälter!



Und die Sonne?



Selbst sie war matt und schwach geworden. Nur ein wenig drang ihr Schimmer noch durch das hohe Blätterdach. Es war schon richtig düster.



„Kommt! Wir gehen nach Hause!“ drängte Stupsi.



„Ja“, kam es leise und zaghaft von allen Seiten.



Langsam setzte sich die Schar in Bewegung. Sie schauten sich ständig um und wussten eigentlich gar nicht, warum sie es taten. Sie fröstelten. Es war jetzt richtig kalt.



Plötzlich hörten sie ein Getrappel von vielen Füßen. Erschreckt blieben sie stehen. Von allen Seiten hetzten nun Tiere an ihnen vorbei, voller Panik und mit angstverzerrten Mienen.



„Was ist denn los?!“ riefen die Kleinen.



Aber keiner antwortete. Alles raste in wilder Hatz an ihnen vorbei. Gruppen von Wildschweinen fegten vorüber, Waldgiraffen, Rehe, Hasen! - Alle Tiere des Waldes rannten wild durcheinander in furchtbarer Angst!



„Schnell! Flieht! Versteckt Euch!“ schrie eine Waldgiraffe. - Und schon war sie verschwunden.



Da rannten die Kleinen, was ihre Beine nur hergaben. - Aber wo sollten sie hin?



Sie waren diesmal weit von zu Hause weggekommen in ihrem Spiel. Normalerweise wäre das nicht so schlimm. Sie würden schon wieder heim finden. - Aber heute?!



Wenn sie nur wüssten, wovor sie eigentlich flohen!



Da sahen sie vor sich einen mächtigen Baum, der weit seine Äste in den Wald hin ausbreitete. Starke Luftwurzeln reichten von den Ästen bis auf den Boden.



Galdan deutete auf ihn: „ Da müssen wir hin! Da können wir uns gut verstecken!“



Und schon rannte und flog alles auf den Baum los. Im Nu hatten sie die Luftwurzeln erreicht, die so stark wie dünne Stämme waren. Sie drangen dazwischen weiter vor. Immer näher kamen sie an den eigentlichen Stamm heran. Unter ihm war es jetzt schon so dunkel, dass sie kaum etwas sahen. Da entdeckten sie eine Stelle, an der mehrere Luftwurzeln dicht beieinander standen. Dorthin eilten sie. Als sie sich eng zwischen die Stämme gedrückt hatten, waren sie von außen nicht mehr zu sehen. Zitternd klammerten sie sich aneinander. Am liebsten hätten sie geschrien! - Aber sie trauten sich nicht.



Wenn nur die Eltern jetzt da wären!



Alles war so unheimlich! Es war so finster! Und das am hellen Tag! Und so kalt! Und so unwirklich!



Vor dem Baum rasten immer noch ganze Herden von Tieren vorbei. Über ihnen tobten jetzt auch die Affen mit wildem Schreien. Scharen von Vögeln schossen zwischen den Bäumen dahin. Alles floh!



Am liebsten wären die Tierkinder auch weiter gerannt. - Aber sie trauten sich nicht mehr hervor.



Da mischte sich in das Getrappel der fliehenden Füße ein merkwürdiges hartes Stampfen, das immer näher kam. Entsetzensschreie gellten durch die Luft. - Und dann sahen sie es.-

 



Wuchtige Gestalten hetzten hinter den fliehenden Tieren her. In ihren mächtigen Schädeln blitzten heimtückische Augen, denen nichts zu entgehen schien. Scharfe Hauer ragten aus den grimmigen Mäulern. Die dicken Wänste schienen von einem harten Schuppenpanzer umhüllt. Und in den mächtigen Pranken hielten sie große Netze.



Da raste ein Reh in seiner Panik direkt auf eine der Gestalten zu. Im Nu hatte die sich zur Seite gedreht, das Netz erhoben und geworfen. - Und schon zappelte das Tier darin!



Andere Häscher verfolgten ganze Rudel und warfen gleichzeitig. Immer wieder zogen welche am Baum vorbei und schleiften Gefangene hinter sich her.



Da plötzlich kamen mehrere dieser fürchterlichen Gestalten direkt auf den Baum zu! Die Tierkinder quetschten sich noch mehr aneinander. Sie zitterten am ganzen Körper und wagten kaum zu atmen.



Was sollten sie jetzt tun?



Sollten sie fliehen? Aber dann wurden sie bestimmt gefangen. Und wenn sie blieben? - Vielleicht wurden sie ja doch nicht gesehen!



Da blieben die Ungeheuer stehen. Eines grunzte etwas. Sofort wandten sich die anderen zu den Luftwurzeln. Sie kletterten mit einer Gewandtheit hinauf, die die Tierkinder ihnen nicht zugetraut hätten. Über sich hörten sie Affen kreischen und Vögel schreien. Dann fielen die ersten Affen herunter. Ganze Netze voller Vögel folgten. Unten fingen inzwischen dazu gekommene Häscher die Beute auf. Dann machten sich alle mit ihren Opfern davon.



Noch eine Weile zogen Ungeheuer mit gefangenen Tieren an ihnen vorbei. Dann war es plötzlich still. Die Blüten und Blätter hatten ihre Farbe wieder und auch die Sonne blinzelte wie sonst durch das Laub. Spürbar zog auch wieder Wärme durch den Wald.



Die kleine Schar blieb aber noch eine ganze Weile zitternd in ihrem Versteck sitzen. Erst dann schlichen sie vorsichtig von Luftwurzel zu Luftwurzel vorwärts. An der letzten blieben sie stehen und schauten sich um, jederzeit bereit, rasch wieder zu verschwinden.



Aber alles blieb wie sonst. Die Sonne schien hell und warm durch das Blätterdach und auch die ersten Vögel zwitscherten schon wieder. Da eilten sie, so rasch sie konnten, nach Hause.



Wie waren ihre Eltern glücklich, dass sie sie wohlbehalten wieder hatten! Sie hatten große Angst ausgestanden. Doch nun war alles wieder gut. Aufgeregt erzählten die Kleinen, was sie erlebt hatten.



Auch Galdan berichtete zu Hause, was sich zugetragen hatte. Die ganze Familie war versammelt und hörte ihm zu. Der kleine Fischvogel war noch ganz außer Atem, erschreckt und verwirrt durch das, was geschehen war. Erst stockend, dann aber immer rascher erzählte er von dem Furchtbaren, was er erlebt hatte.



„Er hat sein Recht wieder sehr gründlich wahrgenommen“, sagte der Fischvogel-Vater bitter, als Galdan geendet hatte.



„Wer? Und welches Recht?“ fragte Galdan erstaunt und entsetzt zugleich.



Alle hoben die rechte Greifhand zum Schnabel und machten eine Geste des Schweigens.



„Was ist denn los?“ drängte Galdan. Aber keiner wollte etwas sagen. Sie zuckten nur mit den Schultern und schwammen zu ihren Nestern.



„Mama, sag doch! Was hat das zu bedeuten?!“ fragte Galdan seine Mutter. Doch die schüttelte nur den Kopf. Weil er sie so flehend anschaute, flüsterte sie schließlich: „Es ist besser, wenn man nicht darüber spricht!“



Galdan erschrak. Was war das nur, das so plötzlich und unerwartet in seine Welt eingebrochen war? Warum war alles auf einmal so anders? Und warum waren alle plötzlich so komisch? Es ging und ging in seinem kleinen Kopf herum. Er konnte einfach keine Antwort finden. Auch als er schon lange in seiner Nestecke lag und alles tief schlief, grübelte er noch. Er musste einfach wissen, was das war!



Während er so nachdachte, kam ihm die Idee. - Die alte Muhme! Nidal! Die musste es wissen!



Behutsam schwamm Galdan zwischen den anderen durch. Dann schlüpfte er aus dem Nest. Ringsum war es ganz dunkel. Das Mondlicht, das schwach durch das Wasser schimmerte, tauchte alles in ein unbestimmtes, die Formen verwischendes Grau.



Aber Galdan wusste genau, wo das Nest von Nidal lag. Zielsicher, wenn auch ganz vorsichtig, schwamm er darauf zu. Er erkannte es aber erst, als er schon fast anstieß.



„Nidal!“ flüsterte er. „Muhme, schläfst du schon?“



– Nichts rührte sich. Da probierte er es noch einmal. Und diesmal etwas lauter. Endlich vernahm er von drinnen ein Geräusch. Dann streckte die Alte ihren Kopf aus dem Nest.



„Wer ruft denn jetzt?!“ fragte sie verwundert und ein bisschen verärgert.



„Ich, Galdan“, antwortete der kleine Fischvogel zaghaft.



„Du?“ staunte Nidal. „Was machst Du denn noch auf?“



„ Ich kann nicht schlafen. Ich muss dauernd an die schrecklichen Gestalten denken.“



„Vor denen brauchst du keine Angst zu haben. Die kommen nicht auf den Grund des Sees. Und ich glaube auch nicht, dass sie noch in der Nähe sind. So wie du erzählt hast, haben sie so vortreffliche Beute gemacht, dass sie bestimmt schon wieder fort sind. Du kannst ruhig wieder ins Nest und weiter schlafen.“



„Das kann ich eben nicht!“ widersprach Galdan. „Ich muss wissen, was das war.“



Nidal schaute lange in die Richtung, aus der Galdan sprach. Dann sagte sie: „Komm zu mir ins Nest! Ich erzähle es dir.“



Galdan ließ sich das nicht zweimal sagen. So schnell konnte es sich die Alte kaum wieder bequem machen, wie Galdan schon drinnen war und sich ebenfalls ein Plätzchen gesucht hatte.



Als Nidal merkte, dass ihr der Kleine zuhörte, begann sie: „Du bist noch sehr jung. Du kennst nur den See, in dem du geboren bist, kennst den Wald und die Luft, die dich trägt. Dies alles gehört zu einem Land, das sehr groß ist. Kaum einer kann ermessen, wo seine Grenzen sind. Und doch ist das noch nicht alles. Es heißt, dass es außer diesem Land noch andere gibt. Länder, die viel größer sind, von denen jedes seine eigene ganz fremde und andere Art hat. -



In unserem Land ist es immer warm, scheint fast immer die Sonne und der Regen dient nur dazu, das Land fruchtbar zu halten. Der König des Lichtes selbst hat dieses Land denen zugewiesen, die er lieb hat.



In den anderen Ländern ist das aber nicht so. Dort regiert der Fürst der Finsternis. Zwar hat er sein Schloss ganz weit weg, dort, wo die Welt aufhört. Aber sein Einfluss ist überall zu spüren. Die Tiere leben in seinem Reich nicht so friedlich miteinander wie bei uns. Es gibt Tiere, die andere fangen und auffressen, die töten, nur um töten zu können. Ständig muss man auf der Hut sein. Niemals ist man sicher.



Damit von den bösen Wesen keines in sein Reich kommen kann, hat der König des Lichtes um das ganze Land eine Mauer gezogen, die niemand zu übersteigen vermag. Nur an einer einzigen Stelle hat er ein Tor gelassen. Dieses Tor war von einer Lampe bewacht. Ihr Licht verhinderte, dass Finsternis in unser Land eindringen kann. So sorgte er dafür, dass seine Untertanen auf ewig in Glück und Frieden leben können...“



„Aber warum kommen dann die fürchterlichen Gestalten doch herein?“ fragte Galdan verwundert.



„Das will ich dir ja gerade erzählen“, erklärte die Alte. „Irgendwann vor langer Zeit gelang es dem Fürsten der Finsternis, unvorsichtige Bewohner unseres Landes zu bewegen, ihm Macht über die Lampe zu geben. Er stahl sie und brachte sie in sein Schloss. Dort steht sie nun verborgen. Wir aber haben keinen Schutz mehr. Das Tor ist offen. Jederzeit kann die Macht des Finsteren zu uns herein. Du hast es erlebt. Immer wieder schickt der Fürst der Finsternis seine Häscher, die Sklaven fangen, damit sie ihm dienen. Wo der Fürst ist, ist es immer dunkel und kalt. So hat er einen Palast ganz aus Eis. Ständig toben fürchterliche Stürme um ihn und es ist dauernd finstere Nacht. Nur einige Fackeln bringen etwas Licht ins Schloss. An diesem schrecklichen Ort müssen die wärmegewohnten Sonnenkinder dienen. Viele sterben bald. Und so braucht er immer wieder neue Sklaven.“



„Aber warum hat noch niemand die Lampe wieder geholt?“



Nidal lächelte. „Galdan, du bist noch klein. Und so weißt du noch nicht, was das bedeutet. Man kann nicht bis zum nächsten Baum gehen und die Lampe pflücken wie eine reife Frucht. Der Weg ist furchtbar weit. Ungeheure Gefahren lauern auf ihm. Und wenn man überhaupt bis zum Palast kommt, heißt das noch nicht, dass man ihn auch wieder verlässt. Dort gibt es ganze Heere dieser fürchterlichen Ges