Karriere eines Jugendlichen

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Karriere eines Jugendlichen
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Winfried Rochner

Karriere eines Jugendlichen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Lustwandler

Drei Zwiegespräche

Der Politikerklärer

Besuch eines Kammerkonzertes im ländlichen Raum

Das Wendewunder "Treuhand"

Die Volks(ver)treter

Eine Familienfeier (Groteske)

Die unendlichen Schreihälse

Karriere eines Jugendlichen

Impressum neobooks

Der Lustwandler

Adam war pünktlich, fleißig, ordentlich und brav, bis auf einige kleine Betriebsliebschaften, aber untertan – einfach preußisch. Nicht besonders intelligent, nicht besonders dumm – so, wie seine Vortänzer Erich der „Große“ ... Erich der „Schnüffler“ – nur nicht so gerissen wie die beiden – Margot, Günter und noch so einige Seiltänzer und Russenknechte. Studieren war Pflicht und er studierte besonders eifrig die wichtigen Aussagen der Urväter des Maximalismus und der Ökonomie. Er wurde in einem Betrieb eingesetzt, der Bauchbinden für Zigarren herstellte, überwiegend für den Export, was wiederum Schalk sehr erfreute. Adam lebte so vor sich hin und nahm alles, was sich ihm bot.

Einer der Urväter hatte Geburtstag und der ganze Betrieb war zum Feiern verurteilt worden.

Adam gehörte der Intelligenz an, doch war er mit der Arbeiterklasse eng verbunden. Die Kumpels hatten die Bauchbinden besonders gut ausgeschnitten, mit einer besonders scharfen Schere, das Zeit sparte und wofür er mit dieser Truppe in regelmäßigen Abständen, alle halben Jahre, den Unvermeidbarkeitsorden erhielt. Dabei lernte er Monika näher kennen, die im Nachbarbüro tätig war. Sie lebte auch so vor sich hin und nahm alles Gebotene mit. Adam und Monika nutzten die Abwesenheit ihres amtlichen sexuellen Betreuers, der durch die Montagearbeit nur an den Wochenenden von Monika die ehelichen Pflichten einforderte. Die Zusammenkünfte bei ihr waren hinreißend und mit vielen „Ach’s“ und „Oh’s“ ausgestattet. Im Laufe der Zeit schlich sich dann eine gewisse Regelmäßigkeit ein, die ihn zusehends langweilte. Das fiel ihm zuerst auf, als er während Monikas rhythmischer Hüftschläge, an den knallenden Auspuff seines Trabants denken musste – woher er denn einen Reparateur bekommen könnte. Dann verirrten sich seine Gedanken noch zu Regina. Wie schön wäre es doch, in ihren Armen zu liegen. Regina hatte zwar zwei Kinder, aber zur nächsten Demonstration zu Rosa und Karl, würde er ein informatives Gespräch mit ihr beginnen.

Adam benötigte zu seinem Gehalt zusätzlich ein paar „Pfennige“. Ganz ohne kleinere und größere Geschenke würde Regina nicht zu begeistern sein, denn ihr Mann war Betriebsdirektor einer Kartoffelpufferfabrik. Adam sah gut aus, er war groß und schlank, hatte dunkles lockiges Haar, doch Geschenke machten sich immer gut. Adam wollte in der Konsumgüterproduktion seines Betriebes in Feierabendarbeit tätig werden – entweder Klodeckel abwischen oder Rasierklingen verpacken. Es wurde ihm nicht genehmigt, wegen der vollen Leistung, die er zur Entwicklung einer neuen Bauchbinde benötigte und wegen der Reproduktion seiner Arbeitskraft. Er erinnerte sich an einen freundlichen Kollegen im Ledermantel, der ihn einmal im Pissoir angesprochen hatte, ob er sich was hinzuverdienen wollte. Er wurde noch gefragt, ob er der „Selbstlosen Ehrenhaften Dienstleistungsgesellschaft“ angehörte, was er nickend bestätigte. Zufällig traf er den Lederbemantelten, als dieser an die Tür seines Nachbarn klopfte. Die Frau von Adam war gerade einkaufen, so gingen sie zusammen in seine Wohnung. Der Lederfritze bedeutete ihm, dass er nicht viel zu machen brauchte, nur mal sehen, ob die Nachbarn zu Erichs Geburtstag die Wischlappen ordentlich zum Trocknen nach draußen hängen würden. (Nur rote Lappen, ohne Flecken.) Dann sollte er zwischen den „Ach’s“ und „Oh’s“ seiner Mieze fragen, wie es so auf der Montage ihres sexuellen Betreuers zugeht – ob er dort die Malerbürste ordentlich auswusch und sein Kumpel endlich die Speichen in sein Betriebsfahrrad eingezogen hatte.

Adam wunderte sich, was der Lederjunge so alles wusste. Na ihm konnte es egal sein, Hauptsache die Kohle stimmte und der sagte nichts seiner Frau von wegen – Monika. In vierzehn Tagen war dann der jährliche Friedhofsgang zu Rosa und Karl dran. Er lief neben Regina, die ihre beiden Kinder mitgebracht hatte. Er schmuste mit den Kindern rum, wie nett sie doch wären und sooo artig. So überzeugte er Regina von seiner liebevollen Redlichkeit.

Da er als Verbesserungsvorschlag noch ein Bändchen für die Bauchbinde eingereicht und dafür den Machbarkeitsorden und zwei Theaterkarten als Auszeichnung bekommen hatte, konnte er Regina ins Theater einladen. Ohne ihre Kinder wollte Regina, wegen des Alibis gegenüber ihrem Betriebsdirektorgatten, nicht mit Adam ins Theater gehen. Er kaufte noch zwei Kinderkarten dazu und sie sahen das Stück „Trixi der Betrüger“. Regina war gerührt. Es klappte dann auch bald mit den „Ach’s“ und „Oh’s“ – allerdings in ihrem Auto. Verschiedentlich sollte er sich an der Neuererbewegung beteiligen, aber Monika nahm zurzeit seine Freizeit in Anspruch. Um die Krampftruppe kam er allerdings nicht herum.

Der Lederkumpel sah eine weitere Möglichkeit der Information, denn der Mann von Regina hatte vor, die Kartoffelpuffer des Betriebes ins Land des Sternenbanners zu exportieren. Da schwante dem Lederaffen nichts Gutes. Beim nächsten Treff mit Adam sollte der dann bei Regina feststellen, ob die Zahnbürsten immer richtig in den Bechern steckten und der Autoschlüssel hinter der Tür hing. Das wurde ganz schwierig für Adam, da sie es ja immer im Auto trieben. Er konnte Regina einmal mittags überzeugen, ihr Sofa auszuprobieren. Da fiel ihm auf, dass ein Karnevalshütchen in der Garderobe lag. Der Ledermantel war hocherfreut. Der Preuße Adam kam langsam in Bedrängnis. Im Betrieb musste eine neue Bauchbinde entworfen werden, da die Zigarren im Inland dünner und im Ausland dicker geworden waren. Die zwei Frauen hielten ihn unter Dampf. Monika hatte noch nicht den letzten Pinselstrich ausgeplaudert, sodass Adam sie noch nicht abschieben konnte. Er geriet unter Stress – ja fast in Panik, die Bauchbindenentwicklung, die zwei Frauen, die Krampftruppe ... das alles schaffte er nicht mehr. Es gab nur einen Ausweg, er musste sich dem Belederten anvertrauen. Der verlangte jetzt, ein Gelübde zu unterschreiben, mit drei Fingern zu schwören und dem Gott der Urväter ewig zu gedenken. Als guter Preuße fiel ihm das nicht schwer. Dafür versprach ihm der Lederganove, seiner Frau nichts auszuplaudern, von Monika und Regina, und ihn vom Dienst in der Krampftruppe zu befreien. Er war jetzt amtlich in den Betten tätig. Für seine Mitarbeit erhielt er noch den Orden für Vaterlandsverräter, denn der Betriebsdirektor durfte jetzt, dank Adams Informationen, in einem anderen Betrieb mit der Hand runde Klöße drehen.

Sie hatte sich sehr, sehr lange angekündigt, in seinem tiefsten Inneren hatte Adam es dumpf geahnt – nun war sie da, die Katastrophe. Der Chef des großen Ostkonzerns hatte die Lehren der Urväter verraten. Die Kumpels im Betrieb, seinem Betrieb, hatten es satt, die Bauchbinden immer nur einzupacken und an den dicken Helmut zu schicken. Durch Zufall hatten sie erfahren, dass Helmut überwiegend damit beliefert wurde und dass der sich, ob des kleinen Preises, schmatzend auf die fetten Schenkel schlug. Sie konnten selber keine Zigarren rauchen, da die Bauchbinden fehlten. Das war zu viel für die fleißigen Kleinen – sie forderten außerdem andere Scheren und buntere Farben.

Die Chefs seiner „Selbstlosen Ehrenhaften Dienstleistungsgesellschaft“ stammelten zunehmend wirres Zeug, die Lederschulter des Sorgentrösters hatte sich aus dem Staube gemacht. Adam saß gebrochen zu Hause bei seiner Frau. Das Essen schmeckte ihm nicht, er nahm zehn Kilo ab. Wo sollte er nun plötzlich seine Wischlappen trocknen – niemand interessierte sich mehr, welche Farbe sie hatten. In all den Jahren hatte er sich so viel Mühe gegeben. Adam rannte irre durch die Straßen, er konnte nicht fassen, was da passierte. In seinem Betrieb gingen fremde Leute ein und aus.

Er wurde mehrfach gefragt, ob sein Stuhlgang noch klappte, ob seine Frau immer noch ihre riesigen Möpse rumschleppte und neue Büstenhalter hatte. Traurig antwortete er auf jede Frage. Bis einer dieser Schlipsträger ihn fragte: „Adam, was willst du noch hier? Du kannst zu uns ins Ministerium der Pfeifendreher nach Bonn kommen. Hier fragt dich keiner mehr, du bekommst ein neues Tretauto, so eine Art Selbstfahrer mit Holzgriff, und lässt deine Wischlappen einfach zurück.“ Seine Augen bekamen sofort den gläubigen Glanz zurück – er vergaß alles, seine Kumpel von der Selbstlosen, die willigen und reifen Mädchen der schönen Stunden, seine Monika und Regina und die bunten Schleifen, die den Bauchbinden fehlten. Nur seine Frau musste er gezwungenermaßen mitnehmen. Sie hatte sich inzwischen bei einem Bischof eingekratzt. Sie und Adam als eingefleischte Atheisten verabscheuten den Mann, aber „Geld stinkt nicht“. So blieb sie am heimischen Herd.

 

Adam ging mit nach Bonn und machte es sich bequem. Die gleichen Tugenden, die Erich an ihm geschätzt hatte, waren bei Helmut hochwillkommen, an dessen fetter Schulter er sich gehörig, laut schluchzend, ausweinen konnte. Seine Frau und sich selbst beglückte er dann bald mit einem schönen im Grünen gelegenen Häuschen, hoffend, dass ihm der Lederjunge nicht mehr begegnete.

Nebenbei erfuhr er, dass Reginas Mann zum Einstampfen seiner Pufferbude herangeholt worden war, sich danach in die Warteschlange vor dem Arbeitsamt eingereiht hatte und von vergangenen Betriebsdirektorenzeiten träumte. Oft denkt Adam zwischen zwei Beamtenflüchen wehmütig an das schöne, gut gefederte Auto von Regina.

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