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Aus der Reihe: Literatur (Leinen)
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Und nicht bloß Trieb zu euch

Violas eineiiger Zwillingsbruder Sebastian hat den Schiffbruch ebenfalls überlebt, aber Viola weiß nichts davon. Sebastian wird von dem Seemann Antonio gerettet. Antonio fühlt sich trotz der kurzen Zeit, die er Sebastian kennt, so sehr zu ihm hingezogen, dass er ihm nach Illyrien folgt, obwohl er mit Orsino wegen eines Kampfes auf See verfeindet ist und es daher für ihn sehr gefährlich ist, illyrischen Boden zu betreten.

ANTONIO

Mög’ aller Götter Milde dich geleiten!

Ich hab’ am Hof Orsinos viele Feinde,

Sonst ging ich nächstens hin, dich dort zu sehn.

Doch mag’s drum sein! Du liegst mir so am Herzen,

Ich will zu dir und mit Gefahren scherzen.

(II, 1)

SEBASTIAN

Es war mein Wille nicht, euch zu beschweren,

Doch da ihr aus der Müh’ euch Freude macht,

Will ich nicht weiter schmälen.

ANTONIO

Ich konnt’ euch so nicht lassen; mein Verlangen,

Scharf wie geschliffner Stahl, hat mich gespornt:

Und nicht bloß Trieb zu euch (obschon genug,

Um mich auf einen längern Weg zu ziehn,)

Auch Kümmernis, wie eure Reise ginge,

Da ihr dies Land nicht kennt, das einem Fremden,

Der führerlos und freundlos, oft sich rauh

Und unwirtbar erzeigt. Bei diesen Gründen

Der Furcht ist meine will’ge Liebe euch

So eher nachgeeilt.

SEBASTIAN

Mein güt’ger Freund,

Ich kann euch nichts als Dank hierauf erwidern,

Und Dank, und immer Dank; oft werden Dienste

Mit so verrufner Münze abgefertigt:

Doch wär’ mein Gut gediegen wie mein Sinn,

Ihr fändet bessern Lohn.

(III, 3)

Antonio leiht Sebastian seinen Geldbeutel, da Sebastian nach dem Schiffbruch mittellos ist. Später verwechselt Antonio Viola in ihrer Verkleidung als Cesario mit ihrem Zwillingsbruder Sebastian und bewahrt sie vor einem Duell mit Junker Andreas, einem Hausgast Olivias. Antonio wird daraufhin verhaftet und bittet Viola/Cesario, ihm den geliehenen Geldbeutel zurückzugeben. Viola hat natürlich keine Ahnung, wovon er redet – für sie ist es ja ihre erste Begegnung.

ANTONIO

Nun bringt die Not mich meinen Beutel wieder

Von euch zu fordern; und es schmerzt mich mehr

Um das, was ich nun nicht für euch vermag,

Als was mich selbst betrifft. Ihr steht erstaunt,

Doch seid getrost. [...]

Ich muß um etwas von dem Geld euch bitten.

VIOLA

Von welchem Gelde, Herr?

Der Güte wegen, die ihr mir erwiesen,

Und dann durch eure jetz’ge Not bewegt,

Will ich aus meinen schmalen, armen Mitteln

Euch etwas borgen: meine Hab’ ist klein,

Doch will ich teilen, was ich bei mir trage:

Da! Meine halbe Barschaft.

ANTONIO

Leugnet ihr mir ab?

Ist’s möglich, braucht denn mein Verdienst um euch

Der Überredung! Versucht mein Elend nicht,

Es möchte sonst so tief herab mich setzen,

Daß ich euch die Gefälligkeiten vorhielt,

Die ich für euch gehabt.

VIOLA

Ich weiß von keiner,

Und kenn euch nicht von Stimme noch Gesicht.

Ich hasse Undank mehr an einem Menschen

Als Lügen, Hoffahrt, laute Trunkenheit,

Als jedes Laster, dessen starkes Gift

Das schwache Blut bewohnt. [...]

ANTONIO

Sebastian, du entehrest edle Züge.

(III, 5)

Junker Andreas und Olivias Vetter Tobias verwechseln wenig später Sebastian mit Viola/Cesario und attackieren den nichtsahnenden Zwilling. Olivia, die Sebastian ebenfalls für ihren geliebten Cesario hält, geht dazwischen und entschuldigt sich für Tobias und Andreas. Wenig später macht sie Sebastian einen Heiratsantrag. Er ist natürlich komplett verwirrt, nimmt den Antrag aber ohne zu zögern an.

OLIVIA, zu Sebastian, den sie für Cesario hält

Ich bitt’ dich, lieber Freund,

Gib deiner Weisheit, nicht dem Zorn, Gehör

Bei diesem wilden ungerechten Ausfall

Auf deine Ruh. [...] Verwünscht sei er von mir,

Eins meiner Herzen kränkt’ er ja in dir.

SEBASTIAN

Wo weht dies her? Wie dünkt es meinem Gaum?

Bin ich im Wahnsinn, oder ist’s ein Traum?

Tauch meinen Sinn in Lethe, Phantasie!

Soll ich so träumen, gern erwach ich nie.

(IV, 1)

SEBASTIAN

Dies ist die Luft, dies ist die lichte Sonne,

Dies Kleinod gab sie mir, ich fühl’, ich seh’ es;

Und ob mich schon Bezauberung umstrickt,

Ist’s doch kein Wahnsinn. Wo ist wohl Antonio?

Ich konnt’ ihn nicht im Elefanten finden.

Doch war er da; man gab mir den Bescheid,

Er streife durch die Stadt, mich auszusuchen.

Jetzt eben wär sein Rat mir Goldes wert:

Denn überlegt mein Geist schon mit den Sinnen,

Daß dies ein Irrtum sein kann, doch kein Wahnsinn,

So übersteigt doch diese Flut von Glück

In solchem Grade Beispiel und Begriff –

Ich hätte Lust, den Augen mißzutrauen,

Und die Vernunft zu schelten, die ein andres

Mich glauben machen will, als ich sei toll,

Wo nicht, das Fräulein toll; doch wäre dies

Sie könnte Haus und Diener nicht regieren,

Bestellungen besorgen und empfangen,

Mit solchem stillen, weisen, festen Gang,

Wie ich doch merke, daß sie tut. Hier steckt

Ein Trug verborgen.

(IV, 3)

Den ärgsten Feind aufs Zärtlichste zu lieben

Als Romeo und Julia sich zum ersten Mal begegnen, ist Romeo noch in Rosalinde verliebt, die seine Liebe jedoch nicht erwidert. Als er Julia trifft, ist es hingegen von beiden Seiten Liebe auf den ersten Blick. Ihre erste Begegnung findet bei einem Ball statt, zu dem Julias Familie, die Capulets, eingeladen haben, und auf den Romeo und seine Freunde maskiert als ungebetene Gäste eindringen. Das Familienoberhaupt der Capulets toleriert das wohlwollend, obwohl er Romeo als Familienmitglied der Montagues, seiner Todfeinde, erkennt. Julia erfährt von seiner Verwandtschaft erst, nachdem sie sich bereits in ihn verliebt hat. Die Verszeilen der ersten Unterhaltung zwischen Romeo und Julia ergeben zusammen ein Sonett.

ROMEO

O, sie nur lehrt den Kerzen, hell zu glühn!

Wie in dem Ohr des Mohren ein Rubin,

So hängt die holde Schönheit an den Wangen

Der Nacht; zu hoch, zu himmlisch dem Verlangen.

Sie stellt sich unter den Gespielen dar,

Als weiße Taub’ in einer Krähenschar.

Schließt sich der Tanz, so nah ich ihr: ein Drücken

Der zarten Hand soll meine Hand beglücken.

Liebt’ ich wohl je? Nein, schwör es ab, Gesicht!

Du sahst bis jetzt noch wahre Schönheit nicht.

[...]

Entweihet meine Hand verwegen dich,

O, Heil’genbild, so will ich’s lieblich büßen.

Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich,

Den herben Druck im Kusse zu versüßen.

JULIA

Nein, Pilger, lege nichts der Hand zu Schulden

Für ihren sittsam-andachtvollen Gruß.

Der Heil’gen Rechte darf Berührung dulden,

Und Hand in Hand ist frommer Waller Kuß.

ROMEO

Hat nicht der Heil’ge Lippen wie der Waller?

JULIA

Ja, doch Gebet ist die Bestimmung aller.

ROMEO

O, so vergönne, teure Heil’ge, nun,

Daß auch die Lippen wie die Hände tun.

Voll Inbrunst beten sie zur dir: erhöre,

Daß Glaube nicht sich in Verzweiflung kehre.

JULIA

Du weißt, ein Heil’ger pflegt sich nicht zu regen,

Auch wenn er eine Bitte zugesteht.

ROMEO

So reg dich, Holde, nicht, wie Heil’ge pflegen,

Derweil mein Mund dir nimmt, was er erfleht. Er küßt sie.

Nun hat dein Mund ihn aller Sünd’ entbunden.

JULIA

So hat mein Mund zum Lohn sie für die Gunst?

ROMEO

Zum Lohn die Sünd’? O, Vorwurf süß erfunden!

Gebt sie zurück. Er küßt sie wieder.

JULIA

Ihr küßt recht nach der Kunst. [...]

Geh, frage, wie er heißt. Ist er vermählt,

So ist das Grab zum Brautbett mir erwählt. [...]

So ein’ge Lieb’ aus großem Haß entbrannt!

Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt.

O, Wunderwerk! Ich fühle mich getrieben,

Den ärgsten Feind aufs Zärtlichste zu lieben.

(I, 5)

Nach dem Ball verabschiedet Romeo sich eilig von seinen Freunden und kehrt zu Julias Haus zurück. Von Julia unbemerkt hört er, wie sie ihre Liebe zu ihm offenbart. Es folgt die berühmte »Balkonszene«, die unter dieser Bezeichnung bekannt geworden ist, obwohl Julia nach den Original Regieanweisungen Shakespeares »oben an einem Fenster« (»above at a window«) erscheint. In Verona gibt es heute sogar einen Julia-Balkon, in der Via Capello 23.

ROMEO

Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?

Es ist der Ost, und Julia die Sonne!

Geh auf, du holde Sonn’! Töte den Mond,

 

Der neidisch ist und schon vor Grame bleich,

Daß du viel schöner bist, obwohl ihm dienend.

O, da er neidisch ist, so dien’ ihm nicht.

Nur Toren gehn in seiner blassen, kranken

Vestalentracht einher: wirf du sie ab!

Sie ist es, meine Göttin! Meine Liebe!

O, wüßte sie, daß sie es ist!

Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das?

Ihr Auge red’t, ich will ihm Antwort geben. –

Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir.

Ein Paar der schönsten Stern’ am ganzen Himmel

Wird ausgesandt und bittet Juliens Augen,

In ihren Kreisen unterdes zu funkeln. [...]

O, wie sie auf die Hand die Wange lehnt!

Wär ich der Handschuh doch auf dieser Hand

Und küßte diese Wange!

JULIA

Weh mir!

ROMEO

Horch! Sie spricht. O sprich noch einmal, holder Engel! [...]

JULIA

O Romeo, Romeo! Warum denn Romeo?

Verleugne deinen Vater! Deinen Namen!

Willst du das nicht, schwör dich zu meinem Liebsten,

Und ich bin länger keine Capulet!

ROMEO

Hör ich noch länger oder soll ich reden?

JULIA

Dein Nam’ ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst,

Und wärst du auch kein Montague. Was ist

Denn Montague? Es ist nicht Hand, nicht Fuß,

Nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Teil.

Was ist ein Name? Was uns Rose heißt,

Wie es auch hieße, würde lieblich duften.

So Romeo, wenn er auch anders hieße,

Er würde doch den köstlichen Gehalt

Bewahren, welcher sein ist ohne Titel.

O Romeo, leg deinen Namen ab,

Und für den Namen, der dein Selbst nicht ist,

Nimm meines ganz!

ROMEO

Ich nehme dich beim Wort!

Nenn Liebster mich, so bin ich neu getauft,

Und will hinfort nicht Romeo mehr sein.

JULIA

Wer bist du, der du, von der Nacht beschirmt,

Dich drängst in meines Herzen Rat?

ROMEO

Mit Namen

Weiß ich dir nicht zu sagen, wer ich bin.

Mein eig’ner Name, teure Heil’ge, wird,

Weil er dein Feind ist, von mir selbst gehaßt.

Hätt’ ich ihn schriftlich, so zerriss’ ich ihn.

JULIA

Mein Ohr trank keine hundert Worte noch

Von deinen Lippen, doch es kennt den Ton.

Bist du nicht Romeo, ein Montague?

ROMEO

Nein, Holde; keines, wenn dir eins mißfällt. [...]

Der Liebe leichte Schwingen tragen mich;

Kein steinern Bollwerk kann der Liebe wehren;

Und Liebe wagt, was irgend Liebe kann:

Drum hielten deine Vettern mich nicht auf.

JULIA

Wenn sie dich sehn, sie werden dich ermorden.

ROMEO

Ach, deine Augen drohn mir mehr Gefahr

Als zwanzig ihrer Schwerter; blick du freundlich,

So bin ich gegen ihren Haß gestählt. [...]

Liebst du mich nicht, so laß sie nur mich finden,

Durch ihren Haß zu sterben wär’ mir besser

Als ohne deine Liebe Lebensfrist. [...]

JULIA

Gut, schwöre nicht. Obwohl ich dein mich freue,

Freu ich mich nicht des Bundes dieser Nacht.

Er ist zu rasch, zu unbedacht, zu plötzlich;

Gleich allzu sehr dem Blitz, der nicht mehr ist,

Noch eh man sagen kann: es blitzt. Schlaf süß!

Des Sommers warmer Hauch kann diese Knospe

Der Liebe wohl zur schönen Blum entfalten,

Bis wir das nächste Mal uns wiedersehn.

Nun gute Nacht! So süße Ruh und Frieden,

Als mir im Busen wohnt, sei dir beschieden.

ROMEO

Ach, du verlässest mich so unbefriedigt?

JULIA

Was für eine Befriedigung begehrst du noch?

ROMEO

Gib deinen treuen Liebesschwur für meinen.

JULIA

Ich gab ihn dir, eh du darum gefleht.

Und doch, ich wollt’, er stünde noch zu geben.

ROMEO

Wollt’st du ihn mir entziehn? Wozu das, Liebe?

JULIA

Um unverstellt ihn dir zurückzugeben.

Allein ich wünsche, was ich habe, nur.

So grenzenlos ist meine Huld, die Liebe,

So tief ja wie das Meer. Je mehr ich gebe,

Je mehr auch hab’ ich: beides ist unendlich.

(II, 2)

Sie liebte mich, weil ich Gefahr bestand

Othello und Desdemona begegnen sich zum ersten Mal im Haus von Desdemonas Vater in Venedig. Othello erzählt ihrem Vater seine Kriegserlebnisse. Desdemona hört mit und verliebt sich in Othello. Die beiden heiraten heimlich. Als Desdemonas Vater davon erfährt, beschuldigt er Othello, seine Tochter »verhext« zu haben. Othello schildert ihm daraufhin, wie es dazu kam, dass Desdemona sich in ihn verliebt hat.

OTHELLO

Ihr Vater liebte mich, lud mich oft ein,

Erforschte fleißig meines Lebens Lauf,

Von Jahr zu Jahr, die Schlachten, Stürme, Schicksalswechsel,

So ich erlebt.

Ich ging es durch, vom Knabenalter her,

Bis auf den Augenblick, wo er gefragt.

So sprach ich denn von manchem harten Fall,

Von rührender Gefahr zu See und Land;

Wie ich ums Haar dem drohnden Tod entrann;

Wie mich der stolze Feind gefangen nahm,

Und mich als Sklav’ verkauft, wie ich erlöst,

Und meiner Reisen wundervolle Fahrt:

Wobei von weiten Höhlen, wüsten Steppen,

Steinbrüchen, Felsen, himmelhohen Bergen

Zu melden war im Fortgang der Geschichte;

Von Kannibalen, die einander schlachten,

Anthropophagen, Völkern, deren Kopf

Wächst unter ihrer Schulter: Das zu hören

War Desdemona eifrig stets geneigt.

Oft aber rief ein Hausgeschäft sie ab.

Und immer, wenn sie eilig dies vollbracht,

Gleich kam sie wieder, und mit durst’gem Ohr

Verschlang sie meine Rede. Dies bemerkend,

Ersah ich einst die günst’ge Stund’, und gab

Ihr Anlaß, daß sie mich recht herzlich bat,

Die ganze Pilgerschaft ihr zu erzählen,

Von der sie stückweis Einzelnes gehört,

Doch nicht mit rechter Folge. Ich begann,

Und oftmals hatt’ ich Tränen ihr entlockt,

Wenn ich ein leidvoll Abenteu’r berichtet

Aus meiner Jugend. Als ich nun geendigt,

Gab sie zum Lohn mir eine Welt von Seufzern.

Sie schwur: In Wahrheit seltsam! Wunderseltsam!

Und rührend war’s! Unendlich rührend war’s!

Sie wünschte, daß sie’s nicht gehört; doch wünschte sie

Der Himmel habe sie als solchen Mann

Geschaffen, und sie dankte mir und bat mich,

Wenn je ein Freund von mir sie lieben sollte,

Ich mög’ ihn die Geschicht’ erzählen lehren,

Das würde sie gewinnen. Auf den Wink

Erklärt’ ich mich.

Sie liebte mich, weil ich Gefahr bestand;

Ich liebte sie um ihres Mitleids willen.

Das ist der ganze Zauber, den ich brauchte.

(I, 3)

Noch farbenstrahlender, als jene Venus

Als Antonius und Kleopatra sich kennenlernen, hat Kleopatra bereits Liebesbeziehungen zu Julius Cäsar, Pompejus und anderen hinter sich – was Antonius ihr in Wut auch einmal vorwirft:

ANTONIUS

Ihr wart halb welk, eh ich euch kannte: Ha! [...]

Ich fand euch, einen kaltgeword’nen Bissen

Auf Cäsars Teller, ja ein Überbleibsel

Gnaeus Pompejus: and’rer heißer Stunden

Gedenk ich nicht, die eure Lust sich auflas,

Und nicht der Leumund nennt: denn ganz gewiß,

Wenn ihr auch ahnen mögt, was Keuschheit sei,

Ihr habt sie nie gekannt!

(III, 11)

Aus der Sicht von Antonius’ Gefolgsmann Enobarbus hört sich die erste Begegnung zwischen Antonius und Kleopatra jedoch ganz anders an. Die Textstelle ist berühmt, weil sie eng auf Shakespeares Quelle, einer Übersetzung von Plutarch, basiert. An den kleinen Veränderungen, die Shakespeare vorgenommen hat, sieht man gut, was an seinen Texten so besonders ist: Bei Shakespeare sind Wind und Segel, Wasser und Ruder ineinander verliebt und können nicht voneinander lassen, während sie miteinander kämpfen, so wie Antonius und Kleopatra.

ENOBARBUS

Die Bark’, in der sie saß, ein Feuerthron,

Brannt’ auf dem Strom: getrieb’nes Gold der Spiegel,

Die Purpursegel duftend, daß der Wind

Entzückt nachzog: die Ruder waren Silber,

Die nach der Flöten Ton Takt hielten, daß

Das Wasser, wie sie’s trafen, schneller strömte,

Verliebt in ihren Schlag: doch sie nun selbst –

Zum Bettler wird Bezeichnung: sie lag da,

In ihrem Zelt, das ganz aus Gold gewirkt,

Noch farbenstrahlender, als jene Venus,

Wo die Natur der Malerei erliegt.

Zu beiden Seiten ihr holdsel’ge Knaben,

Mit Wangengrübchen, wie Cupido lächelnd,

Mit bunten Fächern, deren Weh’n durchglühte

(So schien’s) die zarten Wangen, die sie kühlten;

Anzündend statt zu löschen. [...]

Die Dienerinnen, wie die Nereiden,

Spannten nach ihr, Sirenen gleich, die Blicke,

Und Schmuck ward jede Beugung: eine Meerfrau

Lenkte das Steuer: seid’nes Tauwerk schwoll

Dem Druck so blumenreicher Händ’ entgegen,

Die frisch den Dienst versahn. Der Bark’ entströmend

Betäubt’ ein würz’ger Wohlgeruch die Sinne

Der beiden nahen Ufer: sie zu sehn

Ergießt die Stadt ihr Volk: und Mark Anton,

Hochthronend auf dem Marktplatz, saß allein,

Und pfiff der Luft, die, wär’ ein Vakuum möglich,

Sich auch verlor, Kleopatra zu schau’n,

Und einen Riß in der Natur zurückließ. [...]

Als sie gelandet, bat Antonius sie

Zur Abendmahlzeit; sie erwiderte,

Ihr sei willkommner ihn als Gast zu sehn,

Und lud ihn. Unser höflicher Anton,

Der keiner Frau noch jemals Nein gesagt,

Zehnmal recht schmuck barbiert, geht zu dem Fest,

Und dort muß nun sein Herz die Zeche zahlen,

Wo nur sein Auge zehrte. [...] Nicht kann sie Alter

Hinwelken, täglich Sehn an ihr nicht stumpfen

Die immerneue Reizung; andre Weiber

Sätt’gen die Lust gewährend: sie macht hungrig,

Je reichlicher sie schenkt; denn das Gemeinste

Wird so geadelt, daß die heil’gen Priester

Sie segnen, wenn sie buhlt.

(II, 2)

Schöne neue Welt

In dem späten Stück Der Sturm wird Prospero, Herzog von Mailand und Magier, von seinem Bruder Antonio aus seinem Reich vertrieben und mit seiner dreijährigen Tochter Miranda in einem Boot auf dem Meer ausgesetzt. Vater und Tochter werden an eine einsame Insel gespült. Zwölf Jahre später fährt Antonio zusammen mit dem König von Neapel, Alonso, dessen Sohn Ferdinand und Gefolge mit dem Schiff nah an der Insel vorbei, auf der Prospero mit Miranda lebt. Mithilfe seines Luftgeists Ariel inszeniert Prospero einen Sturm, der die Schiffsbesatzung auf seine Insel spült. Er will späte Rache üben. Ariel trennt Ferdinand von den anderen und führt ihn zu Prospero. Dort begegnet Ferdinand Miranda, und Ariels Zauber sorgt dafür, dass die beiden sich auf den ersten Blick ineinander verlieben. Obwohl diese Entwicklung in Prosperos Sinne ist, tut er zunächst so, als wäre er gegen die Beziehung, um zu testen, wie standhaft die junge Liebe ist.

FERDINAND

Schönes Wunder,

Seid ihr ein Mädchen oder nicht?

MIRANDA

Kein Wunder,

Doch sicherlich ein Mädchen. [...] Dies ist

Der dritte Mann, den ich gesehn; der erste,

Um den ich seufzte. [...]

 

PROSPERO

Eins ist des andern ganz; den schnellen Handel

Muß ich erschweren, daß nicht leichter Sieg

Den Preis verringere. [...]

Du denkst, sonst gäb’ es der Gestalten keine,

Weil du nur ihn und Caliban gesehn.

Du töricht Mädchen! Mit den meisten Männern

Verglichen, ist er nur ein Caliban,

Sie Engel gegen ihn.

MIRANDA

So hat in Demut

Mein Herz gewählt; ich hege keinen Ehrgeiz,

Einen schöner’n Mann zu sehn.

(I, 2)

Prospero setzt Ferdinand gefangen und lässt ihn Holz stapeln. Miranda versucht, ihm die Arbeit abzunehmen.

FERDINAND

Es gibt mühevolle Spiele, und die Arbeit

Erhöht die Lust dran: mancher schnöde Dienst

Wird rühmlich übernommen, und das Ärmste

Führt zu dem reichsten Ziel. Dies nied’re Tagewerk

Wär’ so beschwerlich als verhaßt mir; doch

Die Herrin, der ich dien’, erweckt das Tote,

Und macht die Mühn zu Freuden. O sie ist

Zehnfach so freundlich als ihr Vater rauh,

Und er besteht aus Härte. Schleppen muß ich

Und schichten ein paar tausend dieser Klötze,

Bei schwerer Strafe. Meine süße Herrin

Weint, wenn sie’s sieht, und sagt: so knecht’scher Dienst

Fand nimmer solchen Täter. Ich vergesse;

Doch diese lieblichen Gedanken laben

Die Arbeit selbst; ich bin am müßigsten,

Wenn ich sie tue.

MIRANDA

Ach, ich bitte, plagt

Euch nicht so sehr! Ich wollte, daß der Blitz

Das Holz verbrannt, das ihr zu schichten habt.

Legt ab und ruht euch aus! Wenn dies hier brennt,

Wird’s weinen, daß es euch beschwert. Mein Vater

Steckt tief in Büchern: bitte, ruht euch aus.

Ihr seid vor ihm jetzt auf drei Stunden sicher.

FERDINAND

O teuerste Gebieterin! Die Sonne

Wird untergehn, eh ich vollbringen kann,

Was ich doch muß.

MIRANDA

Wenn ihr euch setzen wollt,

Trag’ ich indes die Klötze. Gebt mir den!

Ich bring’ ihn hin.

FERDINAND

Nein, köstliches Geschöpf!

Eh sprengt’ ich meine Sehnen, bräch den Rücken,

Als daß ihr solcher Schmach euch unterzögt,

Und ich säh’ träge zu.

MIRANDA

Es stände mir

So gut wie euch, und ich verricht’ es

Weit leichter, denn mich treibt mein guter Wille,

Und eurem ist’s zuwider. [...] Ihr seht ermüdet aus.

FERDINAND

Nein, edle Herrin,

Bei mir ist’s früher Morgen, wenn ihr mir

Am Abend nah seid. Ich ersuche euch

(Hauptsächlich um euch im Gebet zu nennen)

Wie heißet ihr?

MIRANDA

Miranda. O mein Vater!

Ich hab’ euer Wort gebrochen, da ich’s sagte. [...]

Was für Gesichter anderswo es gibt,

Ist unbewußt mir; doch bei meiner Sittsamkeit,

Dem Kleinod meiner Mitgift! wünsch ich keinen

Mir zum Gefährten in der Welt, als euch;

Noch kann die Einbildung ein Wesen schaffen,

Das ihr gefiele, außer euch. [...]

FERDINAND

Den Augenblick, da ich euch sahe, flog

Mein Herz in euern Dienst; da wohnt es nun,

Um mich zum Knecht zu machen; euretwegen

Bin ich ein so geduld’ger Tagelöhner.

MIRANDA

Liebt ihr mich? [...]

FERDINAND

Weit über alles, was die Welt sonst hat,

Lieb’ ich und acht’ und ehr’ euch.

MIRANDA

Ich bin töricht,

Zu weinen über etwas, das mich freut. [...]

FERDINAND

Warum weint ihr?

MIRANDA

Um meinen Unwert; daß ich nicht darf bieten,

Was ich zu geben wünsche [...] Fort, blöde Schlauheit!

Führ’ du das Wort mir, schlichte, heil’ge Unschuld!

Ich bin euer Weib, wenn ihr mich haben wollt;

Sonst sterb ich eure Magd; ihr könnt mir’s weigern,

Gefährtin euch zu sein, doch Dienerin

Will ich euch sein, ihr wollet oder nicht.

(III, 1)

Gegen Ende des Stücks begegnet Miranda zum ersten Mal Ferdinands Vater und seinem Gefolge. Dabei spricht sie die berühmten Worte »Schöne, neue Welt«, die der Schriftsteller Aldous Huxley als Titel für seinen 1932 veröffentlichten Roman Brave New World verwendete, der das Szenario einer totalitären Dikatur entwirft:

MIRANDA

O Wunder!

Was gibt’s für herrliche Geschöpfe hier!

Wie schön der Mensch ist! Schöne, neue Welt,

Die solche Bürger trägt!

(V, 1)

In typischer Shakespeare-Manier wird ihre Sicht der Dinge sofort durch eine andere relativiert. Ihr Vater Prospero kommentiert ihren Ausruf trocken: »Es ist dir neu.«