Stoneburner

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Wenn du dich weiter mit Cap Holder anlegst, kannst du davon ausgehen, dass du sie brauchst. Aber wenn du’s je tust, dann mach’s nicht auf offener Straße. Tät mir leid um dich, wenn du den Rest deines Lebens in Brushy Mountain verbringst.

Tät mir auch leid, irgendwie. Er zog sein Hemd aus der Hose und ließ es über die Pistole hängen, dann ging er zur Tür. Wir sehen uns.

Warum hast du’s so eilig?

Thibodeaux drehte sich um. Sag mal, Monk, wer dealt eigentlich hier in der Gegend?

Hast du was Bestimmtes im Sinn?, fragte Monk vorsichtig.

Was wär denn im Angebot?

Ich hab nicht gesagt, dass ich was hab. Aber ich glaub, man findet hier alles, was es sonst auch gibt, wenn man weiß, wen man fragen muss.

Und wenn ich dich frage, Monk, um rauszufinden, wen ich fragen muss?

Glaubst du, ich würd dir das sagen? Ich selbst bestell ja aus dem Sears-Roebuck-Katalog. Wie wär’s?

Thibodeaux grinste. Er hob eine Hand, trat zur Tür hinaus und ließ sie hinter sich zufallen.

Auf seinem geschundenen Bauch fühlte sich die Pistole angenehm kühl an. Am Platz vor dem Gerichtsgebäude parkend, beobachtete er durch die Windschutzscheibe amüsiert die Beschäftigungen, die sich an einem kühlen Nachmittag anboten. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er dem grünen GMC Pick-up vor dem Herrenfriseur. Thibodeaux öffnete das Seitenfenster einen Spalt und schnipste seinen Zigarettenstummel hinaus. Nach einer Weile ging die Tür des Friseurladens auf, und Cap Holder trat auf die Straße. Mit den Fingern fuhr er sich durch die Haare und schob sie nach hinten. Er wirkte zufrieden; die Haare glänzten vor Pomade, die frisch rasierten Wangen waren gerötet und ölig von einer Aftershave-Lotion. Kritisch blickte Cap auf seine polierten Schuhe, bückte sich und wischte mit einem Taschentuch über eine Spitze. Vielleicht ein ernsthaftes Date, dachte Thibodeaux. Mit der Pistole am Bauch summte er den Text eines alten Bluesohrwurms: Take me back baby. Try me one more time.

Mit seinem letzten Geld kaufte er Brot und Konserven, stellte die Vorräte in einem Karton auf die Ladefläche und fuhr zum Haus seines Vaters. Dort besorgte er sich weitere Decken, eine Kaffeekanne und das Geschirr, das er zu benötigen meinte, und holte aus dem Holzschuppen eine Axt. Am späten Nachmittag fuhr er an Matties Haus vorbei. Auf einer Leine flatterte Wäsche in der kräftigen Brise, aber sie selbst sah er nicht. Er fragte sich, ob auch sie in der Nacht Ausschau nach den Lichtern hielt, vielleicht mit der heimlichen Genugtuung einer Wahrsagerin. Zeichen. Zeichen gibt’s genug, nur nicht genug Menschen, sie zu erkennen, hatte sie ihm erklärt. Nun ja, gut. Er stellte sich vor, wie sie mit düsterem, unheilschwangerem Blick in den Himmel starrte. Er dachte an Vergeltung, an die Figuren auf einem Bosch-Gemälde.

Die Strecke führte bergab und war schlecht, weil die alte Straße vom Regen ausgewaschen war und von den tief hängenden Ästen der dicht stehenden Bäume teilweise blockiert wurde. Als er den Pick-up rückwärts zwischen eine kleine Gruppe von halbhohen Kiefern gesetzt hatte, stieg er aus und betrachtete das Versteck kritisch. Wenn man nicht gezielt danach Ausschau hielt, war der Wagen kaum zu sehen.

Verschwommen erhob sich die massige dunkle Form des alten Hotels vor ihm. In geradezu unheimlicher Stille machte er sich auf den Weg dorthin. Nach einer Weile erkannte er die terrassierten Loggien, auf denen in längst vergangener Zeit die reichen Kurgäste getanzt hatten, sah den verwilderten Rosengarten, in dem Liebespaare von Duft und Mondschein umfangen Hand in Hand herumspaziert waren. Das alles war in den langsameren Dreißigerjahren untergegangen, als die Heilbäder mit ihren Mineralquellen aus der Mode kamen und der Landadel seine Dollars woandershin trug.

Er betrat die untergegangene Pracht. Der Boden des Tanzsaals war krumm und wellig, die Treppen innen waren verzogen, die Stufen verrottet, die Decken hingen durch, als könnten sie jeden Moment einstürzen, überall auf dem Boden lagen Putz und Stuckteile. Außer den Gespenstern, die hier noch dahindämmerten, lebten nur mehr Eulen und Füchse in dem Gebäude.

Ehe es dunkel wurde, war er zweimal zum Wagen gegangen und hatte alle Ausrüstung geholt und in sein Turmzimmer gebracht. Er fühlte sich wie ein alter Hund, der sich versteckte, um seine Wunden zu lecken. Er schlief tagsüber und wachte die Nacht durch. Horchte auf das ferne Dröhnen eines Flugzeugmotors.

In der dritten Nacht beschlichen ihn Zweifel an seinem Instinkt. Das andauernde Warten stumpfte ihn ab, außerdem wurde es kälter. Er wachte still weiter, obwohl es nichts zu sehen gab außer Dunkelheit. Harter, eisiger Regen trommelte auf das verfallende Hotel und pfiff durch scheibenlose Fenster. Ab und zu peitschte ihm eine Garbe ins Gesicht, klirrte der Regen auf den Glasscherben. Er merkte, wie er zum Abendlied der summenden Insekten einnickte und sich ihr Flügelsurren und Paarungsgeraschel bis in seine Träume schlich.

Plötzlich schreckte ihn ein tieferes, mechanisches Geräusch auf. Er hörte das Brummen eines Dieselmotors, der sich langsam durch das Unterholz kämpfte. Mit einem Schlag war er hellwach und blickte aus dem kaputten Turmzimmerfenster über die verwilderten Gartenanlagen. Schließlich tauchte aus dem tintenschwarzen Wald ein Scheinwerferpaar auf. Er sah zu, wie die Lichter langsam zwischen den Bäumen dahinkrochen. Wo sie dann anhielten, war – das wusste er – der Rand der Landebahn. Unbewusst hatte sich Thibodeaux aus dem Fenster gelehnt, um mehr zu sehen. Jetzt zog er sich zurück und blickte auf die Uhr, konnte die Zeit jedoch nicht ablesen. Dann bemerkte er ein dröhnendes Geräusch, das er schon eine Weile unbewusst wahrgenommen haben musste. Genau wie der Regen schien es keinen Ursprung zu haben und aus keiner Richtung zu kommen, einfach eine plötzliche Erscheinung. Als er genauer hinhörte, erkannte er, dass es von Westen kam und offenbar von einem Kleinflugzeug stammte. Wie um letzte Zweifel zu zerstreuen, erschienen die roten und grünen Positionslichter in der nebligen Dunkelheit, und das Dröhnen wurde lauter.

Allmählich verknüpften sich die Einzelereignisse zu einem Strang, und Thibodeaux beschlich der Gedanke, dass die Sache für ihn vielleicht eine Nummer zu groß war, dass er sich auf etwas eingelassen hatte, ohne zu wissen, was. Wieder einmal hatte er etwas unterschrieben, ohne vorher das Kleingedruckte zu lesen, und für einen Moment dachte er, es wäre besser, auf der Stelle die Turmtreppe hinunterzulaufen und schleunigst nach Ackerman’s Field zu verschwinden.

Als das Flugzeug mit einer Rechtsschleife zur Landung ansetzte, sprang er auf, schob sich die Pistole in den Hosenbund und rannte die Vordertreppe hinunter. Er lief durch hohes verdorrtes Gras und dann, nachdem er um eine Ecke gebogen war, durch eine so große Ansammlung von Kletten, dass sie wie gepflanzt wirkten. Im Sprint durchquerte er den verkommenen Garten, bevor ihn die Dunkelheit des Waldes verschluckte. Den Pfad zur Landebahn hatte er sich genau eingeprägt, und jetzt fand er sich schnell zurecht, auch wenn ihm ein paar längere herabhängende Äste ins Gesicht peitschten. Über dem Kampf mit dem Gestrüpp und den Ranken verlor er das Flugzeug aus den Augen, aber der lauter werdende Motor verriet ihm, dass es die Schleife vollendet hatte und sich wieder näherte.

Er lief weiter, bis er einen alten Dodge Pick-up sah, der wie ein Wachposten vor einer zerfallenen Hütte stand. Die Scheinwerfer leuchteten auf die leere Landebahn. Mit ohrenbetäubendem Dröhnen setzte das Flugzeug zur Landung an. Die kantige dunkle Silhouette vor dem helleren Himmel erschien Thibodeaux wie ein riesiger Raubvogel. Das Flugzeug rumpelte über die Landebahn und kam kurz vor den Scheinwerferkegeln zum Stehen. Der feuchte Asphalt der Landebahn kam ihm wie ein unergründlich tiefes schwarzes Gewässer vor, an dessen anderem Ufer sich eine Baumlinie andeutete. Die ganze Szene war wegen Thibodeaux’ beschlagener Brillengläser zusätzlich verschwommen, so dass er die beiden Männer, die wie hinterleuchtete Schauspieler auf einer Unterwasserbühne aus dem Schatten traten und zum Flugzeug gingen, nur unscharf sah.

Geduckt und mit der Pistole in der Hand kroch Thibodeaux aus dem Gebüsch, blieb aber im Dunkel der Bäume. Er schlich hinter den Pick-up und spähte vorsichtig nach einem dritten Mann. Seitlich an der Ladefläche des Dodge entlang kroch er weiter bis zur Fahrerkabine und wagte einen Blick hinein. Die Sitze waren zerschlissen und mit den Resten vergangener Genüsse übersät, aber inmitten der zerdrückten Bierdosen entdeckte er einen Aktenkoffer. Er blickte zur Landebahn. Der Pilot war zu den beiden Männern getreten.

Teufel noch mal, dachte er, das geht viel zu leicht.

Während er nach dem Türgriff tastete, warf er einen verstohlenen Blick zu den Männern. Als er das kalte Metall spürte, zog er langsam und sachte am Griff, bis er das leise Klicken des Türverschlusses hörte. In einer Bewegung zog er erst sachte die Tür auf, ergriff dann den Aktenkoffer und holte ihn leise aus dem Wagen. Ein Zittern durchfuhr ihn, und kalter Schweiß brach ihm aus, als er sich, immer wieder über die Schulter blickend, davonschlich. Sein Gesicht war blass, angespannt, halb verrückt. Es war die verzerrte Maske eines Geisteskranken, der gerade sein Glück oder seinen Tod mit den Händen gepackt hatte. Er beschloss, seine wenigen Sachen, die noch im Turmzimmer waren, zurückzulassen, und ging immer schneller werdenden Schritts, zum Schluss fast rennend zu seinem Pick-up. Er öffnete die Tür und warf den Aktenkoffer hinter den Sitz. Als er in der Ferne das dumpfe, vom Nieselregen gemilderte Knallen von Schüssen hörte, ließ er, ohne weiter nachzudenken, den Motor an, zog mit einer Hand die Waffe aus dem Hosenbund, entsicherte sie und legte sie auf den Beifahrersitz. Er wollte so schnell wie möglich zum Highway, wo er von allen anderen Scheinwerferpaaren nicht mehr zu unterscheiden war.

 

In der Stadt hielt Thibodeaux an der erstbesten Telefonzelle. Sie stand unter einer Straßenlampe, deren Licht durch die Windschutzscheibe ins Wageninnere fiel. Er zog den Aktenkoffer hervor, hielt ihn ins Licht und öffnete ihn. Dann blieb ihm die Luft weg. Der Koffer war fast bis obenhin voll von sauber gestapelten, mit einer Banderole umwickelten Geldbündeln; auf jeder Banderole war in Blau $5000 gestempelt. Schnell zählte er die Bündel und überschlug die Summe. Hundertfünfundachtzigtausend Dollar. Er stieg aus, fischte eine Münze aus der Tasche und wählte Cathys Nummer. Es klingelte lange, bis er ihre leise, verschlafene Stimme hörte. Als ihr klar wurde, wer sie anrief, sagte sie: Zur Hölle, warum rufst du mitten in der Nacht an? Du kannst von Glück sagen, dass ich hier bin und nicht mit Cap aus, sonst würde dir Daddy wirklich die Ohren lang ziehen.

Hör zu, es ist was Wichtiges passiert. Ich kann nicht am Telefon drüber reden. Komm raus und geh die Straße runter. Und nimm was zum Anziehen mit.

Spinnst du? Das mach ich garantiert nicht.

Er hatte Angst, sie würde auflegen.

Warte, warte und hör mir zu, es ist wirklich wichtig. Jetzt ändert sich alles. Zieh einfach was an, komm raus und lauf ein Stück die Straße runter. Ich bin in zehn Minuten da.

Er legte auf. Kalter Schweiß stand ihm in den Gruben über beiden Schlüsselbeinen. Er fuhr los und hoffte, dass sie Cap nicht anrief, aber als er ankam, sah er sie die leere Straße entlanglaufen. Er öffnete die Beifahrertür. Sobald sie eingestiegen war, drehte er um und raste so schnell davon, wie es die gewundene Schotterpiste zuließ.

Das muss jetzt aber wirklich sehr besonders sein.

Er griff zwischen seine Füße und hob den Aktenkoffer hoch.

Hier ist deine Fahrkarte weg von hier. Jetzt brauchst du dich nie wieder von Cap Holder schlagen lassen oder in einer beschissenen Bar arbeiten. Damit können wir abhauen und ein neues Leben anfangen, irgendwo, in Kalifornien oder Mexiko oder wo immer du willst.

Woher hast du das?

Er sah sie an. Ich hab’s, und deswegen müssen wir weg, auf der Stelle und ohne stehen zu bleiben. Niemand weiß, dass ich es habe, und es erfährt auch keiner, wenn wir uns sofort vom Acker machen.

Sie lächelte ihn schüchtern an, und als sie es tat, überkam ihn eine nie zuvor verspürte Erleichterung. Er trat fester aufs Gas und fuhr in Richtung County-Grenze.

Nach Selmer machte ihn die Autoheizung schläfrig. Seine Augenlider wurden schwer; nur mit Anstrengung schien er sie offen halten zu können. Die Straße fing an, ihm Streiche zu spielen. Er begann Schlangenlinien zu fahren, weil sich die Fahrbahn im Licht der Scheinwerfer zu bewegen und ihm zu entwischen schien. Als er Kies gegen die Seitenschweller prasseln hörte, zog er den Wagen zurück auf die Fahrbahn, hielt an und stieg aus. Die beißend kalte Luft verschaffte ihm einen klaren Kopf. Gegen den Wagen gelehnt, rauchte er eine halbe Zigarette und schnippte sie in die Dunkelheit. Kurz legte er das Gesicht an das kühle, feuchte Fahrzeugblech.

Nachdem er wieder eingestiegen und losgefahren war, bog er in die nächste Nebenstraße und fuhr bis außer Sichtweite des Highways. Er stellte den Wagen ab und legte sich hin. Die Arme um sie geschlungen, das Gesicht in ihren Haaren, schlief er ein.

Er wachte durchgefroren und verwirrt vom Plärren einer LKW-Hupe auf. Beim Aufrichten schlug er mit dem Kopf gegen den Rückspiegel und fluchte. Hektisch sah er sich um. Eine graue, in Nebel gehüllte Dämmerung. Cathy schlief weiter unter seiner Jacke. Auch der Aktenkoffer war noch da. Er sah nach hinten. Ein riesiger blauer Sattelschlepper. Mit einer gigantischen gelben Maschine als Fracht.

Herrgott, sagte Thibodeaux. Augenreibend stieg er aus und blickte nach links und rechts, als könnte irgendwo eine Ampel oder ein Cop stehen, der den Verkehr regelte.

Ein Mann streckte den Kopf aus der hohen LKW-Kabine. Er trug einen gelben, in den Nacken geschobenen Schutzhelm. Seiner Miene nach war er wütend. Hey, sieh zu, dass du deine Kiste aus dem Weg schaffst. Was machst du hier überhaupt?

Thibodeaux antwortete nicht.

Komm endlich in die Gänge, Mann, und beweg deinen Arsch. Ich muss den Skidder zum Holzeinschlag bringen.

Wo führt die Straße denn hin?, fragte Thibodeaux. Er hatte ein Zigarettenpäckchen herausgezogen und klopfte auf der Suche nach Streichhölzern seine Taschen ab. Vergeblich. Er warf einen Blick auf den Pick-up und sah, dass Cathy aufgewacht war und die Szene durch die Heckscheibe gespannt beobachtete.

Dahin, wo der Skidder hinmuss. Zum Holzeinschlag. Jetzt lass mich endlich durch.

Thibodeaux machte eine hilflose Handbewegung. Ich kann ja nirgends hin. Fahr du zurück und lass mich raus.

Den Teufel werd ich tun und dieses Gespann zurücksetzen. Ich bin’s, der hier richtig ist. Jetzt schaff endlich deine Karre aus dem Weg.

Das geht nicht. Ich kann nirgends hin.

Daran hätt’ste denken sollen, bevor du hier rein bist! Das Gebiet ist abgesperrt. Hast du die Schilder nicht gesehen?

Ich kann nicht lesen, sagte Thibodeaux. Gibt’s denn im Wald ne Stelle, wo ich wenden kann?

Nicht mit den Reifen.

Dann musst du zurücksetzen.

Der Fahrer verschwand in der Kabine, legte einen Gang ein und fuhr langsam vorwärts, bis die beiden Fahrzeuge sich berührten. Der Ford wackelte protestierend, ging kurz in die Knie und rutschte dann nach vorne. Das Heck wich seitlich aus, die Stoßstange beulte sich ein.

Oh Scheiße, sagte Thibodeaux. Plötzlich sah er sich hier im Wald festsitzen, ohne Auto und mit einem Aktenkoffer voller Geld, das ihm nicht gehörte, einer Frau, die nicht seine war. Mit schnellen Schritten lief er um den Ford herum, riss die Beifahrertür auf und zog die Pistole aus dem Handschuhfach. Dann ging er mit der Pistole fuchtelnd zurück zu dem Laster, blieb stehen und zielte zweihändig auf die Windschutzscheibe. Er vermutete, dass er erst noch auf die Beifahrerseite würde schießen müssen, aber der Sattelschlepper blieb sofort mit zischender Druckluftbremse stehen, dann wurde knirschend ein Gang eingelegt, und er begann, langsam rückwärts den Abhang hochzufahren.

Thibodeaux nahm die Pistole in eine Hand und öffnete die Tür des Fords. Fahr du den Wagen rückwärts raus, sagte er.

Kann ich nicht, sagte Cathy, ich zittere am ganzen Körper.

Dann fahr ihn am ganzen Körper zitternd raus, befahl er.

Sie ließ den Motor an und begann, langsam rückwärtszufahren. Sie kurbelte das Fenster herunter und streckte den Kopf raus, um die Straße hinter ihr zu sehen. Thibodeaux lief mit der Pistole in der Hand nebenher. Als sie den Highway erreichten, stand der Sattelschlepper mit eingeschaltetem Warnblinker da. Mit einem Fuß auf der Bremse rutschte Cathy auf den Beifahrersitz, und Thibodeaux stieg ein.

Fahr zur Hölle, du Arschloch, brüllte der Lastwagenfahrer. Thibodeaux reagierte gar nicht darauf.

Dreh einfach um und bring mich nach Hause, sagte Cathy. Vielleicht schaffen wir’s zurück, ehe jemand was merkt.

Auch ihr gab er keine Antwort. Er hatte auf einen verheißungsvolleren Anfang gehofft. Er war nur mit einem Hemd bekleidet und fror. Seine Zähne klapperten. Er war müde und wütend und wollte nichts weiter als eine Tasse heißen Kaffee. Er vermutete, dass reiche Leute normalerweise nicht auf diese Weise in den Tag starteten.

Nachdem sie die Grenze nach Mississippi überquert hatten, hielten sie in Corinth und checkten im Cozy Court ein. Das Motel war eine wenig beeindruckende, L-förmige Ansammlung von Häuserwürfeln aus weiß gestrichenen Hohlblocksteinen. Das Zimmer war lang gezogen und enthielt ein Bett und eine billige Sperrholzkommode, deren Schubladen leicht windschief waren. Darauf lag eine Gideon-Bibel. Sie fielen sofort aufs Bett. Er fühlte sich hundemüde, aber er merkte, dass er nicht schlafen konnte, weil sein Kopf nicht zur Ruhe kam. Sie hörte er bald regelmäßig atmen, und er wusste, dass sie schlief. Nach einer guten Stunde spürte er, wie er in eine tiefe schwarze Grube fiel, und riss sich zurück ins Wachsein. Das Nächste, was er merkte, war, dass er sich an ihren warmen Körper schmiegte und die Arme um sie schlang.

Lass das, sagte sie schläfrig. Eine blindlings ausgestreckte Hand schob ihn weg. Ein paar Minuten lang täuschte er Schlaf vor, dann machte er weiter, schob einen Arm über ihre Brust und spürte den Stoff ihres BHs am Oberarm. Sein Gesicht an ihrem. Ihr Körper berührte seinen, der glatte weiche Stoff ihres Höschens an seinem Schenkel. Mit einem schläfrigen Seufzer drückte er sich enger an sie. Als er sein Bein zwischen ihre schob, spreizte sie die Schenkel, dann spürte er den Knochen ihres Schambeins unter dem Büschel Schamhaar und der seidigen Unterwäsche. Er fühlte sich überempfindlich, lebendiger denn je, jeder kleinsten Bewegung gewahr. Es kam ihm vor, als könnte er sie allein durch seine Sinne in sich aufnehmen, ihr den Willen rauben und sie zu einem Teil seiner selbst machen.

Er ließ seine Hand langsam unter ihren Büstenhalter gleiten und legte sie um ihre rechte Brust. Noch nie war ihm Fleisch so weich vorgekommen, keine Frucht so süß. Sie regte sich, schob den rechten Arm über seinen Hals, der Druck ihrer Schenkel verstärkte sich leicht, aber deutlich spürbar, und sie drängte ihren Unterleib gegen seinen. Entweder fühlte er an seinem Oberschenkel wirklich die heiße Quelle zwischen ihren Beinen, oder er wurde verrückt und bildete sich das ein. Sie schmiegte sich an ihn, die Stoppeln in ihrer Achselhöhle streiften ihn an der Schulter. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesicht wurde vom Leuchtschild vor dem Fenster abwechselnd in rotes oder blaues Licht getaucht. Die Schatten der Wimpern ließen ihr Gesicht orientalisch und geheimnisvoll wirken, ein vertrautes Gesicht, das einen aus einem Zeitschriftenständer oder von einer Kinoleinwand herab ansah. Er spürte ihren Atem an seinem Hals, roch den sauberen Geruch ihrer Haare. Seine Hand schloss sich fester um ihre Brust, und mit Daumen und Zeigefinger knetete er sanft die Brustwarze, deren leichten Druck er in den Fingerspitzen spürte. Ihre Lippen bewegten sich näher an seinen Hals, ihr Atem wurde in seinen Ohren zum Rauschen, ein Aufklaffen der Ewigkeit, dem er nicht widerstehen würde. Er spürte das Blut unter seiner Haut, seine heiße Erektion an seinem Bauch.

Sie bewegte den Arm. Ihre Hand glitt über seinen Bauch nach unten in seine Unterhose und umfasste ihn sanft. Er hielt den Atem an. Kurz fragte er sich, für wen sie ihn hielt, aber es war ihm egal, und er blieb reglos liegen. Ganz egal, für wen sie ihn hielt oder wessen Penis das war, sie hielt ihn fest umschlossen. Er schob seine Hand zwischen ihre Beine, die sich öffneten, um ihn zu empfangen. Durch ihr Höschen spürte er ihre heiße Feuchte, und er drang weiter vor, bis er mit einem Finger in sie geglitten war und glitschiges, nasses Fleisch an seiner rauen Haut spürte. Sanft rieb er ihre Klitoris. Ihr Unterleib drängte gegen seine Hand. Dennoch schlief sie noch, oder? Sie leistete keinen Widerstand mehr, ihr Atem hatte sich beschleunigt, gesteigert, war hitziger geworden.

Cap bringt uns beide um, flüsterte sie.

Dazu muss er uns erst erwischen.

Sie lachte tief und kehlig. Ich sag ihm einfach, ich wollte nicht, aber du hast mich gekidnappt. Mich einfach geschnappt und mitgeschleppt.

Du kannst ihm sagen, was du willst.

Sie schlug die Augen auf, und er blickte in dunkel gerahmte, unergründliche Weiten. Eine Zeile aus einem alten Seemannslied wehte ihm träge durch den Kopf. In der gefahrvollen tiefen See. Ein Gebet für alle, die in Seenot gerieten. Hier konnte man sich auf ewig verlieren, in diesen unerforschten Regionen alle Orientierung einbüßen und dankbar sein für das Verlorensein.

Es geht nicht, Sandy. Wir müssen’s auf ein andermal verschieben.

Vielleicht gibt’s kein andermal, sagte Thibodeaux.

Willst du wirklich?

Der Zyniker in ihm hörte in der Frage die Rührseligkeit eines Melodrams. Solang’s funktioniert, dachte er. Das weißt du doch. Spürst du’s denn nicht?

Doch, ich glaub schon. Aber du musst mich kurz aufstehen lassen. Ich muss erst noch ins Bad.

Sie löste sich von ihm, stand auf und ging zum Bad. Barfuß und geschmeidig, die Füße katzengleich geräuschlos auf den kalten Bodenfliesen. Auch ihre Bewegungen waren katzenhaft in ihrer Ökonomie. Als sie wenige Augenblicke später zurückkam, blieb sie vor dem Bett stehen und griff mit zurückgezogenen Schultern hinter sich, um den BH aufzuhaken. Er fiel zu Boden. Die blassen Blüten ihrer Brüste im Dämmerlicht. In einer flüssigen Bewegung streifte sie ihr Höschen ab und schlüpfte zu ihm ins Bett. Sie umschlang seinen Hals und rollte ihn auf sich. Ihre Beine waren schon gespreizt, um ihn zu empfangen. Er spürte ihr drahtiges Schamhaar an seinem Bauch. Dann stützte er sich auf die Ellbogen, und noch während er über ihr schwebte, merkte er, wie sie ihm die Hüften entgegenbäumte. Lange hatte er von diesem Moment geträumt, und jetzt sah er ihr ins Gesicht, so als würde er diesen Traum nur höchst ungern aufgeben, nicht sehen wollen, ob es wirklich sie war oder ein Sukkubus, den sein Verstand heraufbeschworen hatte. Ihr Gesicht lag im Schatten, fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt, ein Abbild im Zerrspiegel der Liebe oder dessen, was dort als Liebe galt. Er spürte, wie ihre Hand nach seinem Glied griff und sie es dann mit Hüftbewegungen so führte, bis sie es in sich aufnahm. Die Zeit schien sich seltsam zu dehnen, als er sanft in ihre heiße Höhle glitt und sich mit langsamen Stößen auf das zubewegte, was, wie er wusste, eine Art Tod war, und er wünschte, dass er die Zeit fassen und anhalten könnte, damit alles endlich richtig war.

 

Danach drückte sie sich schläfrig an ihn, fuhr mit einem Fingernagel an seinem Kinn entlang, strich zärtlich über den Riss an seiner Wange. Ich bin ganz erstaunt, wie jung du bist. Du bist so jung und straff überall. Cap fühlt sich viel weicher an, und er kriegt einen ziemlichen Bauch.

Richtig weich hat er sich nicht angefühlt, als er mir die Tritte gegen den Kopf verpasst hat. Aber egal. Jetzt würd ich nur lieber nichts von Cap hören.

Ach, bist du etwa eifersüchtig?

Nein, gar nicht.

Willst du jetzt schlafen?

Wenn du das auch willst.

Sie schwieg eine Zeit. Er lag hellwach neben ihr. Eine Wanduhr tickte, aber er sah das Zifferblatt nicht. Irgendwo heulte eine Sirene, ein Krankenwagen oder ein Streifenwagen, wurde leiser und lauter, und schließlich entfernte sie sich außer Hörweite. In dieser Nacht fühlte er sich dem Erhalt der Ordnung nahe. Hinter der Wand erklang das unterdrückte Lachen einer Frau. Wie sah sie aus? War sie jung oder alt, was für ein Leben führte sie?

Er hatte gemeint, dass Cathy eingeschlafen war und mit ihm zugewandtem Gesicht dalag.

Wie viel Geld ist es denn? Wie weit reicht es?, fragte sie.

Genug, um alles zu tun, was wir wollen. Mehr, als wir je ausgeben können.

Das weiß ich. Aber wie viel?

Tja, dachte er, wie viel hättest du gern? Plötzlich wurde ihm das Machtgleichgewicht zwischen ihnen bewusst. Jeder von ihnen beherrschte in gewisser Weise einen Teil des Lebens des anderen. Wie viel kostet es, dich festzuhalten? Wie wenig bräuchte es, dass du dich in der Nacht davonmachst, dich dem erstbesten Mann, den du siehst, an den Hals wirfst? Die Worte von Aunt Mattie tauchten in seinem Kopf auf. Ihre Liebestränke. Amulette. Thibodeaux lag da und fragte sich, wie stark sein Amulett sein musste.

Es sind hundertfünfundachtzigtausend, sagte er, und im nächsten Augenblick wünschte er, er hätte eine niedrigere Zahl genannt.

Meine Güte, sagte sie träge. Das ist ja toll. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel ist.

Nach einer Weile schlief sie ein, aber er blieb wach. Die letzten Tage waren zu aufregend gewesen, und jetzt spürte er, dass sein Leben einen Wendepunkt erreicht hatte. Vielleicht hatten die Götter entdeckt, dass in den vergangenen Jahren etwas schiefgelaufen war und er nicht erhalten hatte, was ihm zustand, und jetzt zogen sie einen Schlussstrich und überhäuften ihn mit Wohltaten. Oder sie prüften ihn mit verschiedenen Versuchungen, ohne zu verraten, welcher Preis dafür fällig würde. Denn im Dunkeln liegend war er sicher, dass sie eine Art Ausgleich, eine Zahlung für geleistete Dienste forderten, und er fragte sich, wie die Schlussabrechnung ausfallen würde.

Er stand auf, ohne sie zu wecken, und spähte durch die Jalousien hinaus. Der Betonboden draußen sah unter den verschiedenfarbig flackernden Neonröhren kalt aus, ehe er sich in der Dunkelheit verlor. COZY COURT stand auf dem Leuchtschild. Zwei Gestalten, gesichtslos und rätselhaft, entfernten sich von einer Reihe parkender Autos. Er würde sie nie wiedersehen, und dennoch spürte er, dass sie einen Moment im Leben gemeinsam verbrachten. Für einen Moment meinte er aus ihren Bewegungen ihr Schicksal erahnen zu können. Sie hatte linkisch den Arm um ihn gelegt, ließ ihn aber jetzt fallen, und er nahm ihre Hand und schlenkerte sie.

Liebt ihr euch?, fragte er sich. Werdet ihr einander lieben, ehren und treu bleiben, bis dass der Tod euch scheidet? Wird das hundertfünfundachtzigtausend Dollar kosten, und wenn, wird es das wert sein? Cathy Meecham hat eine tolle Muschi, aber ich weiß nicht, ob sie so toll ist. In Tijuana hab ich nie so viel bezahlt.

Dennoch fühlte er sich beschwingt wie ein Bewohner einer höheren Realität, in der alles von gesteigerter Bedeutung war, alle Bewegungen etwas schneller, die Kontraste deutlicher waren, Teil einer Welt, in der sich alle Türen öffneten, wenn man nur die Hand zum Klopfen hob. Er blickte wieder zum Bett, dann trat er zu ihr und betrachtete sie. Nie hätte er vermutet, dass er ihr so nah kommen würde. Sie schlief wie ein Kind mit ausgestreckten Armen, die blonden Haare ausgebreitet auf dem Kissen. Er beugte sich vor, um sachte das Laken von ihr zu ziehen und ihren nackten Körper zu betrachten. Sie bestand gänzlich aus Licht und Schatten, die kühlen Rundungen von Brust und Bauch elfenbeinweiß im Vergleich zu dem dunklen Haarschopf darunter. Er lächelte schief, der Lieferant einer Ware, die unerschöpflich war, weil sie sich immer von selbst erneuerte. So ruhig daliegend wirkte sie rein, unbefleckt, ein Opfer, das Abergläubische den Göttern darbrachten. Jeder Sterbliche, der sie berührte, würde verstoßen und gesteinigt und den Fängen des Schicksals überlassen werden.

Er deckte sie wieder zu, wandte sich ab und zog seine Boxerhorts an. Er schaltete den Fernseher ein, beinahe ohne Ton, setzte sich davor in einen Sessel und sah über die Mattscheibe flackernde Bilder und die Moderatoren einer Lokalnachrichtensendung. Den Meldungen nach musste dieses Motelzimmer in Corinth, Mississippi, im Auge eines chaotischen Sturms liegen. Alles außerhalb war in Aufruhr. Die bekannten Städte im Norden nur rauchende Trümmer, Plünderer schlugen Schaufenster ein und rannten verzweifelt durch von Scherben übersäte Straßen, als müssten sie Farbfernseher vor dem heraufziehenden Armageddon retten. In Vietnam hatte es Tote in solch irrwitziger Zahl gegeben, dass selbst Nixon erschrocken war – eine Zusammenfassung der Welt jenseits von Thibodeaux’ Motelzimmer. Hier in Mississippi waren Kirchen und Synagogen bombardiert worden, und inzwischen mussten ihnen auch die Liberalen ausgegangen sein, denn man war sogar dazu übergegangen, Südstaatenhetzer zu erschießen. Hier liegt einer zusammengekrümmt am Boden wie ein Falke, den die Kugel im Flug erwischt hat. Für Thibodeaux waren Opfer und Jäger kaum noch zu unterscheiden.

Dennoch fand er im Chaos auch einen gewissen Trost. In einer Welt, in der die Kurzhaarigen gegen die Langhaarigen kämpften, die Falken gegen die Tauben und die Cops gegen alle, schien die Zeit gekommen, sich für eine Seite zu entscheiden. Er sah keine Möglichkeit mehr, sich herauszuhalten. Er selbst hatte ein Ladenfenster zertrümmert, rannte mit einem Farbfernseher davon. Der Gedanke daran, wovor er floh, erheiterte ihn und stimmte ihn hoffnungsvoll. In einer Welt, die so sehr aus den Fugen war, dass man ihr kaum mehr als eine Woche gab, konnte ein so unbedeutender Schurke wie er spurlos verschwinden und abtauchen wie ein Stein im Wasser.

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