Stoneburner

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Mit einem Schulterzucken sah ihn die alte Schwarze an, nahm den Kartensatz und mischte erneut, dann legte sie ihn vor ihn. Mach vier Stapel, sagte sie zu ihm.

Er platzierte die vier Stapel nebeneinander, und sie legte die Karten noch einmal aus, aber weder sein Abheben noch ihr Mischen änderte etwas an der merkwürdigen Symmetrie seines Schicksals.

Er machte sich Sorgen, ohne zu wissen, warum; schon die Faktoren, die seine Zukunft bestimmten, hatten eine eigene Bedeutung.

Er bemerkte, dass derselbe Ford Pick-up fast jeden Abend vor dem Golden Saddle parkte, derselbe blonde junge Mann Münzen in den Pokerspielautomaten warf und zusah, wie die Maschine ihm fünf Karten präsentierte. Manchmal sah Cathy ihm zu, manchmal nicht, aber Holder wollte kein Risiko eingehen. Er war fest davon überzeugt, dass es besser war, einen Schlussstrich zu ziehen, ehe eine Sache aus dem Ruder lief, dass man eine drohende Gefahr lieber gleich mit der Wurzel ausriss wie Unkraut und alles in der Sonne vertrocknen ließ.

Er betrachtete ihr Gesicht, wenn sie es nicht merkte. Die Unergründlichkeit ihrer Augen. Unter seiner rauen Hand war die Haut ihres Gesichts blass und glatt wie Porzellan, und wenn er ihre Hand hielt, spürte er die Knochen unter der Haut, klein wie die eines Kindes, zerbrechlich wie ein Zweig.

Er ließ in Gedanken langsam sein Leben passieren wie ein Seemann, der ein Tau fierte. Sie war nicht nur die letzte in einer langen Reihe williger Frauen, mit denen er ins Bett gegangen war. Sie war auch die schönste und, so dachte er seit einiger Zeit, vielleicht kam nach ihr auch keine mehr.

Um die Monatsmitte wurde das Wetter milder, die Luft klarer, es wehte ein warmer Südwind. In diesen Tagen des schwindenden Sommers stellte sich bei Thibodeaux so etwas wie eine Routine ein. Im Golden Saddle gab es einen Pokerspielautomaten, und wenn es abends zu dunkeln begann, parkte er seinen Pick-up vor dem Lokal, ging hinein und vorbei am Tresen, wo sie in enger Hüftjeans an der Kasse stand und ihn mit einem beiläufigen Nicken oder einem kurzen Winken grüßte. Als käme er gar nicht wegen ihr, als gälte seine Aufmerksamkeit nur dem Automaten. Er setzte sich auf den dreibeinigen Hocker, warf eine Münze nach der anderen in den Schlitz und sah zu, wie die fünf Karten nebeneinander erschienen. Dann drückte er die Karten, die er nicht wollte, weg und wartete auf die neuen. Sie kamen ihm vor wie Bilder aus einer großen Tiefe, die an die Wasseroberfläche stiegen. Wie die Zukunft, wie Ereignisse, die erst eintreten würden. Sie erschienen wie zufällig, aber er wusste, dass das nicht stimmte, nie stimmte. Es überwogen unpassende Dreien und Sechsen, die unvollständigen Straßen und Fehlfarben. Aber am dritten Abend erwischte er einen Straight Flush in Pik, und als der Automat dreißig Dollar ausspuckte, kam sie zu ihm und sah zu.

Von ihr schien etwas auszugehen, was seine Glückssträhne beendete. Seine Karten wurden schlecht, ihr Magnetfeld wirkte offenbar auch auf ihn. Er nahm von ihr nichts anderes wahr als den Atem und den kaum spürbaren Druck ihrer Brust an seinem Bizeps. Er brach das Spiel ab und steckte den Gewinn ein.

Bevor du zurückgekommen bist, warst du so viele Jahre in der Navy und weiß Gott wo unterwegs, dass sich alle fragen, wie lang du noch hierbleibst.

Ich weiß nicht. Ich überleg, ob ich nach Nashville zurücksoll oder für eine Weile rauf nach New York.

Nach New York? Warum denn?

Gibt keinen Grund. Ich war da nur mal ein paar Monate, und es hat mir gefallen. Ich bin immer ins Village runter. Um die Folksänger zu hören.

Klingt nicht so aufregend. Ich würd gern nach Hollywood. Und das mach ich auch, irgendwann. Alle sagen, ich soll zum Film. Cap verspricht dauernd, dass er mich da unterbringt, tut’s aber nie.

Ich mag New York lieber. In Kalifornien werd ich faul und schlaff.

Würdest du einfach so verschwinden?

Hab ich mir schon überlegt.

Sie lächelte ihn an und legte ihm für einen kurzen Moment ganz leicht die Hand auf die Schulter. Ich hab dich in einem alten Schuljahrbuch gesehen. Du warst Jahrgangsbester.

Dann muss das wohl stimmen. Fühlt sich aber an, als wär das ein anderer gewesen, so lang ist das her.

Weißt du was? Er drehte sich zu ihr, und sie sahen sich in die Augen. Die ihren waren dunkel und verschwörerisch.

Ich glaub, du bist gar nicht so schlau. Ich glaub, du bist einfach ein ziemlich cleverer Schwindler. Du wolltest nur unbedingt die Rede halten und hast alle überlistet, damit sie dich lassen.

Kann gut sein. Das Ganze war wirklich ein Schwindel, aber ich weiß nicht mehr, wer wen ausgetrickst hat. Aber wenn ich nur halb so gut wär, wie du glaubst, dann hätt ich dich schon dazu gebracht, dass du mit mir ausgehst.

Ich wollte dich wegen Cap warnen. Er weiß, dass du was von mir willst, und er ist fürchterlich eifersüchtig. Er ist gewohnt, alles zu kriegen, was er will. Ich finde dich süß und will nicht, dass dir was passiert.

Süß, sagte er mit einem Grinsen. Klingt wie eine Abfuhr.

Was?

Mädchen sagen einem immer was Nettes, wenn sie einen loswerden wollen. Bei dir ist es süß.

Sie lächelte verführerisch. Na, du bist doch auch süß, sagte sie.

Wenn die Kneipe schloss, fuhr er wieder durch die beinahe noch milden Nächte. Aus der Stadt und den Cane Creek Hill hinab. An Matties Haus vorbei fuhr er so tief in den Wald, wie es die Straße zuließ, dann versteckte er den Wagen und ging zu Fuß weiter. Mittlerweile nahm er eine Taschenlampe, eine Decke und eine Thermoskanne mit. Dazu ein Fernglas, geklaut aus dem Haus seines Vaters.

Um kurz nach Mitternacht saß er in dem kanzelgleichen Turmzimmer im Obergeschoss des alten Hotels und beobachtete die Landebahn durch ein Fenster, dessen Scheiben dem Wind oder einem mutwilligen Steinwurf zum Opfer gefallen waren. Er machte kein Licht, trotzdem hatte er den verheerten Luxus vor Augen. Die zerschlissene Brokattapete hing in Fetzen herunter und war von aufgesprühten Flüchen verunstaltet. Das Graffiti-Geprahle von Jugendlichen. Ich. Ich. Ich. Doch die Dunkelheit dämpfte und milderte den Verfall, und er stellte sich eine Zeit vor, von der er nie gehört hatte. Eine Zeit, die wie die Jahre selbst in das Holz eingedrungen war und eine eigentümliche Stimmung hinterlassen hatte. Er kam sich vor wie ein Eindringling, der in den durcheinandergewürfelten Erinnerungen eines alten Manns wühlte. Er träumte von leiser Musik auf den Balkonen, dem Duft von Sommerblumen, Tänzern in einer mimosenduftschweren Nacht. Von geschmuggeltem Scotch, den junge Männer mit Sportcoupés vom Flugfeld heranbrachten, blütenzarten jungen Frauen mit perfekt sitzenden Frisuren, in der Gasbeleuchtung glitzernden Juwelen. Liebenden, die im Dunkel spazieren gingen, Intrigen, gesponnen unter dem samtschwarzen Himmel.

Inzwischen waren sie alle tot, die Spieler wie ihre Spiele. Er hatte das Kinn auf die Brüstung gelegt und die Decke wie eine Mönchskutte um sich gewickelt. Geblieben waren nur die Ratten hinter der Vertäfelung, die dort heimlich hin und her huschten und beharrlich am Holz nagten.

Sie saßen im City Café und warteten darauf, dass es Nacht wurde, dass sich der Tag verabschiedete, dass etwas geschah.

Zur Hölle, Thibodeaux. Du musst noch ne Menge lernen, um so schlau zu werden, für wie du dich hältst. Mann, jemand hat dich draußen am Haus der alten Hexe gesehen.

Ja, da war ich auch. Wo ist das Problem?

Ist erstaunlich, dass sie dich nicht abgeknallt hat. Die ist doch völlig plemplem.

Ach, Quatsch. Die kenn ich seit Ewigkeiten. Sie will einfach ihre Ruhe.

So ein Blödsinn. Frag Weyerhauser. Er hatte direkt vor ihrem Haus einen Platten. Als er draußen beim alten Hotel war.

Weyerhauser? Was wollte der denn da?

Mann, woher soll ich das wissen? Vielleicht hat er nach altem Krempel gesucht. Du weißt schon, so Antiquitäten. Egal. Jedenfalls will er seinen Reifen wechseln und bückt sich, um den Wagenheber unter die Karre zu schieben, und sie ballert mit ner Schrotflinte auf ihn. Im Kopf tickt sie vielleicht nicht mehr richtig, aber ihre Augen scheinen in Ordnung, wenn sie ihm ne Ladung Vogelschrot in den Allerwertesten verpassen konnte. Doc meinte, er hat gebrüllt wie am Spieß und ist losgaloppiert, ohne sich einmal umzudrehen. Fast nen Kilometer ist er gerannt, bis er gemerkt hat, dass er sogar noch die Kurbel vom Wagenheber in der Hand hat.

Da hab ich aber was anderes gehört, sagte Thibodeaux.

Kann ich mir denken, wenn du’s von ihr gehört hast.

Wahrscheinlich wollte sie ihm nur die Zukunft vorhersagen, grinste Thibodeaux. Sie hat gesagt, er wollte ihr altes Zeug klauen.

Glaubst du diesen Wahrsagerquatsch etwa? Was hat sie dir denn vorhergesagt?

Sie hat gesagt, ich hab das Zweite Gesicht.

George kicherte. Mit deinem Gesicht passiert auf alle Fälle was, wenn du nicht aufhörst, dauernd in den Golden Saddle zu rennen und wegen der kleinen Meecham mit der aufgesprühten Hose Stielaugen zu machen. Der alte Wallace meinte, du warst vorgestern da, und Cap hat dich die ganze Zeit beobachtet. Er saß da und hat Kaffee getrunken und dich angesehen, als ob du ein Geschwür wärst, das er möglichst bald loswerden will.

Der alte Wallace drückt sich immer ziemlich blumig aus, sagte Thibodeaux. Wer auch immer der alte Wallace ist.

Manche kapieren’s einfach nicht. Die quatschen davon, dass sie nicht verstehen, was so’n heißes Teil wie die Meecham mit nem alten Bock wie Cap will. Die glauben, es ist wegen dem Geld. Aber das ist Bullshit, ums Geld geht’s nicht. Der Kerl hat einfach nen Riesenschwengel. Ich hab mal gesehen, wie er besoffen hinterm Laden stand und pissen wollte, und da holt er ein Ding raus, lang wie’n Feuerwehrschlauch. Was soll’s denn sonst sein?

 

Ich glaub ja, dass jemand, der so viel heiße Luft von sich gibt wie du, sich nen Job als Föhn suchen sollte.

George wirkte nicht wütend. Er druckte nur mit dem feuchten Boden seiner Bierflasche ineinander verschlungene Kreise auf die schwarze Resopaltischplatte, ehe er wiederholte: Manche kapieren’s einfach nicht.

Thibodeaux war allein. Betrunken und mit den konzentrierten Bewegungen eines Betrunkenen stieg er die Treppe zum Keller des Gerichtsgebäudes hinab. Er kam an der einen Spaltbreit offenen Tür des Sheriffbüros vorbei; der Löwe in seiner Höhle. Eine Schreibmaschine klapperte unregelmäßig. Da kriegt jemand Ärger, dachte Thibodeaux. Vielleicht ein Haftbefehl, sieh zu, dass es nicht deiner ist. Du kennst dich hier ja schon aus. Unten an der Kellertreppe bedachte ihn ein alter triefäugiger Mann mit einem skeptischen Blick, ehe er weiter an einem Stock herumschnitzte. Thibodeaux ging zur Tür mit der Aufschrift GENTLEMEN.

Die öffentliche Toilette stank nach Urin und Erbrochenem. Die Sitten gehen wirklich den Bach runter, dachte Thibodeaux. Gentlemen pissen doch nicht auf den Boden. Und kotzen sich nicht auf die Schuhe. Er lehnte sich kurz an die Wand. Sie war schlammgrün gestrichen und voller Filzstiftgekritzel. Er wartete darauf, dass sein Kopf aufhörte sich zu drehen, aber das geschah nicht. Er stützte sich mit einem Arm an der Wand ab und hangelte sich zum Urinal. Alles drehte sich, die Welt glich einem langsamen Karussell. Im Urinal lagen Teile eines Mittagessens. Zigarettenstummel bluteten dunkel aus, ein sich langsam ausbreitendes Gift. Sein Magen krampfte sich zusammen, und ein heißer saurer Schwall stieg in ihm auf. Er stürzte in die Toilettenkabine und übergab sich in die Schüssel. Seine Augen brannten, er spürte, dass ihm Tränen über die Wangen rannen. Er kniete sich auf den harten Betonboden, so als wollte er zu einer seltsamen Gottheit beten, und drückte eine Wange an die kalte Keramik, ein sicherer Fels in dem ganzen Aufruhr. Darf nicht davon abhängig werden, ist wahrscheinlich zu schwer. Wohl auch am Boden festgemacht. Er wischte sich den Mund ab und spuckte aus. Die Tür war aufgegangen, und jemand musste hereingekommen sein, aber Thibodeaux drehte sich nicht um. Er spürte den leidenschaftslosen Blick des alten Manns in seinem Rücken, hatte aber nicht die Kraft, aufzustehen und in die Welt hinauszugehen.

Stehst du bitte jetzt auf und gehst, hatte sie gesagt. Kümmer dich um deinen Kram. Alles in Ordnung, das mach ich auch gleich, sagte er zu sich selbst. Er las die Kritzeleien. Lebensweisheiten in knappen Sätzen und prägnanten Bildern. CATHY MEECHAM HAT NE SUPER MUSCHI, sagte die Wand zu ihm. Er widersprach nicht. Er kniete sich hin und hielt seinen Kopf in den Händen. Nach einer Weile wurde die Tür sanft geschlossen, und er stand auf. Er wusch sich das Gesicht im Waschbecken, spülte seinen Mund und spuckte aus, wusch und trocknete sich die Hände. So ungefragt wie unerwünscht tauchte eine flüchtige Erinnerung auf wie aus einem stillen Teich. Ihr Vater beugte sich ein wenig vor, um ihre Hand zu ergreifen, weißes Hemd, blonde Locken, die Jacke über den abgewinkelten Arm gelegt. Er erinnerte sich an ihre weißen Kleinmädchensocken und die Sandalen mit Blümchenaufdruck an den Zehen, aber an nichts weiter. Ein Filmschnipsel ohne Davor oder Danach. Schon damals hatte er woandershin geblickt, und jetzt konnte er sich zwar an ihren Haarschnitt erinnern, nicht aber an ihr Gesicht.

Am nächsten Abend im Golden Saddle ging Thibodeaux mit seinem Bier in eine etwas abgelegenere Sitznische, aber sobald Cap Holder ihn entdeckte, erhob er sich und ging zu ihm. Auch auf die Entfernung erkannte Thibodeaux, dass die junge Frau zusah.

Du scheinst ja ziemlich viel Zeit zu haben, sagte Holder, als er sich Thibodeaux gegenüber in die Sitznische setzte und sein Bier auf den Tisch stellte. Viel freie Zeit. Da kannst du einem hart arbeitenden Mann wie mir sicher ein paar von deinen vielen freien Minuten schenken.

Ich weiß nicht, ob ich so viel zu erzählen hab.

Das hab ich auch nicht erwartet, und selbst wenn, würde es mich gar nicht interessieren. Ich bin gekommen, weil ich dir was zu sagen habe, nicht um zuzuhören. Du bist ja einer von denen, die nicht nur deswegen nen Kopf haben, damit’s ihnen nicht in den Hals regnet. Jemand wie du braucht nicht alles auf die harte Tour zu lernen; da reicht’s manchmal auch, wenn man ihm was erklärt.

Thibodeaux trank gemächlich von seinem Bier, dann machte er es sich auf dem weichen Lederpolster der Nische bequem. Das Licht hier war gedämpft, was Holders Gesicht gütig, beinahe väterlich, die harte Narbenhaut weicher erscheinen ließ. Sein Blick wirkte schläfrig und trügerisch unachtsam. In seiner Stirn hing eine widerspenstige Locke. Der mächtige, über den Tisch gebeugte Körper ließ Thibodeaux wie einen Jungen erscheinen.

Ich kannte deinen Dad und deine Ma. Und dich kenn ich schon, seit du ein kleiner Junge bist. Nach so vielen Jahren darf ich sicher offen sagen, was ich denke.

Und was denkst du?

Also gut, ich denke, du bist da in ein Wasser geraten, von dem du gar nicht wusstest, wie tief es ist. Erst bist du nur bis zu den Knöcheln reingelaufen, und weil du keine Angst bekommen hast, bist du weiter rein, knietief. Aber irgendwann ging’s dir bis zum Hals, und du konntest nicht mehr alleine raus. Also bin ich gekommen, um dir ein Seil zuzuwerfen.

Diese selbst gestrickte Philosophie ist mir ein bisschen zu hoch, sagte Thibodeaux. Wenn das noch länger geht, solltest du vielleicht etwas deutlicher werden.

Alles klar, das mach ich. Sieh’s mal so. Du kommst doch erst seit ein paar Tagen hierher. Verdammt, dieser Laden existiert für dich nicht mal richtig. Der ist nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach irgendwohin. Da musst du ihn allen anderen doch nicht madig machen.

Thibodeaux zuckte die Schultern und trank einen Schluck Bier. Du tust so, als wär ich dir auf den Fuß getreten. Bin ich aber nicht. Sie will doch gar nichts von mir. Nur wenn sie’s täte, hätten wir was zu besprechen.

Ich weiß, dass sie nichts von dir will. Verflucht noch mal, ohne meine Erlaubnis würde sie dich nicht mal anpissen, selbst wenn du lichterloh brennst. Aber darum geht’s nicht. Allein weil du’s versuchst, trittst du mir auf den Fuß. Verstehst du? Du trittst mir auf den Fuß, weil du sie bumsen willst.

Schweigend blickte Thibodeaux zu der jungen Frau, die auf die Ellbogen gestützt am Tresen stand und sie beobachtete. Er fragte sich, was in ihr vorging.

Du bist doch schon ein bisschen rumgekommen, fuhr Holder fort. Die Welt ist voller Frauen. Du kannst knöcheltief durch Muschis waten, und wir streiten uns um eine einzige, die nicht mal richtig erwachsen ist? Das ist doch albern. Er beugte sich weiter vor und schlug Thibodeaux auf die Schulter, von einem echten Kerl zum anderen. Okay, das war’s, was ich dir sagen wollte. Wahrscheinlich hast du heute noch was vor. Dann kannst du ja jetzt damit loslegen.

Thibodeaux mochte es nicht, wenn man ihm auf die Schulter schlug, selbst wenn es ein Echter-Kerl-Schlag war. Er warf einen Blick auf die beleuchtete Uhr hinter dem Tresen. Zwanzig nach elf. Er stand nicht auf. Ich hab’s nicht eilig, sagte er.

Ach, ich dachte, ich red mit dir einfach so wie mit den anderen, sagte Holder entschuldigend. Ganz entspannt. Das ist hier so üblich. Ich sag den Leuten ganz entspannt, dass sie ihren Arsch bewegen sollen, und dann ist es üblich, dass sie’s auch tun.

Thibodeaux merkte, dass er ausmanövriert wurde, in eine Ecke gedrängt. Wenn er sich von diesem leutseligen Kleinstadttyrannen aus der Bar jagen ließ, wäre er ein Feigling, und die Frau würde kein Wort mehr mit ihm reden. Und wenn er blieb und sich grün und blau prügeln ließ, dann wäre er ein Trottel, vielleicht sogar einer mit bleibendem Schaden, und das wäre nicht besser. Dennoch verspürte er eine kühle Sorglosigkeit mit einem Kern Sturheit, die ihn nicht den einfachen Ausweg wählen ließ.

Ich weiß, dass du ein harter Kerl bist, sagte er zu Holder. Alle erzählen dauernd, wie hart du bist. Erwachsene Männer fangen an zu zittern, wenn sie dich kommen hören, und Kinder gehen auf die andere Straßenseite, wenn sie dich sehen. Aber trotzdem schickst du mich nicht einfach weg. Wann ich wohin gehe, bestimme ich verdammt noch mal selber.

Holder sah ihn noch immer mit jovialer Freundlichkeit an. Dann mach ich dir einen anderen Vorschlag, kleiner Thibodeaux. Ich geh jetzt und fahr in die Stadt, um zu schauen, was los ist, und trink einen Whiskey. Du kannst gern hierbleiben, aber zur Sperrstunde komm ich wieder, und dann bist du verschwunden. Sonst wisch ich nämlich mit deiner Fresse den Parkplatz sauber.

Er stand auf und ging, ohne sich umzudrehen. Am Tresen blieb er kurz stehen, beugte sich zu der jungen Frau und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dabei legte er ihr die Hand auf die Haare. Unmerklich schüttelte sie den Kopf und wich vor ihm zurück. Sein Gesicht war blass und angespannt. Er ließ sie los und ging zur Tür hinaus.

Nach einem Augenblick der Unschlüssigkeit, die sich auf ihrem Gesicht widerspiegelte, kam sie mit einem weiteren Bier zu Thibodeaux. Sie stellte es auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber auf die Stelle, von der Holder aufgestanden war.

Was hat er gesagt?

Nicht viel. Dass ich mich vor ihm in Acht nehmen soll.

Und das glaubst du nicht?

Tja, besser wär’s wohl, oder? Jedenfalls sagen alle, dass man das soll. Du glaubst es ja auch, und jetzt hat er’s mir höchstpersönlich gesagt.

Ich weiß es sogar. Ich will, dass du dein Bier trinkst und gehst. Er kommt in zwanzig, dreißig Minuten wieder.

Ich will, dass du deine Jacke und deine Handtasche nimmst und mit mir verschwindest.

Spinnst du? Du weißt, dass das nicht geht. Wie weit würden wir ohne Geld kommen? Und warum sollte ich das überhaupt? Was hätte ich davon? Er würde uns finden und beide umbringen.

Wenn er wirklich so brutal ist, warum bleibst du dann bei ihm?

Sie beugte sich ein Stück näher zu ihm und sah sich kurz um, so als wollte sie sichergehen, dass sie ungestört waren. Das Lokal war leer. Ich muss, sagte sie. Er verprügelt mich, wenn ich versuche abzuhauen. Er hat mich schon mal geschlagen und davon hab ich noch immer blaue Flecken.

Lass sehen.

Idiot. Der schlägt nicht so, dass es die anderen sehen. Grün und blau bin ich an den Beinen, an den Oberschenkeln.

Lass trotzdem sehen. Das könnte ganz interessant und auch lehrreich sein.

Du glaubst mir nicht. Du machst dich lustig über mich.

Thibodeaux sah sie an. Er wusste nicht, ob er ihr glaubte. Ihr Gesicht war glatt und schön, ohne ein Anzeichen von Falschheit. Der Blick aus den dunkelblauen Augen offen und ohne Schuldgefühle. Trotzdem beschloss er, dass er ihr nicht glaubte und sie zu seiner oder ihrer eigenen Unterhaltung eine Geschichte erfunden hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendwer sie schlug, nicht einmal Holder.

Als ich in der Abschlussklasse war, hat er ständig vor dem Schulhaus geparkt, um auf mich zu warten, sagte sie. Manchmal den ganzen Tag lang. Du warst da schon in der Navy. Abends ist er mir in dem grünen Pick-up bis nach Hause gefolgt, er fuhr mir immer im Schneckentempo hinterher. Er war verrückt, Sandy, schlicht und einfach verrückt. Dauernd hat er mich angequatscht, aber ich hab nicht geantwortet. Erst hat er lauter dummes Zeug geredet, Blödsinn, mit dem er wahrscheinlich früher Mädchen angemacht hat. Dann wurd’s geschmacklos.

Was hat er denn gesagt?

Na ja, er hat mich gefragt, wann ich ihm einen blase und so.

Und wann hast du’s gemacht?

Sie ignorierte die Bemerkung. Dann hat er irgendwas mit Daddy gemacht, fuhr sie fort. Ich hab nie rausbekommen, was es war. Entweder hat er ihm einen Haufen Geld gegeben, oder er hat ihm gedroht, dass er ihn zusammenschlägt oder so. Daddy war auf einmal ganz seltsam, wenn ich da war. Schließlich hat er lang mit mir geredet. Über Cap. Wie viel Geld er hat, wie viel Land ihm gehört, so was. Er hat mir praktisch befohlen, zu ihm zu gehen.

Was für ein Riesenquatsch. Er hat dir angeschafft, mit Cap Holder zu schlafen? Warum lügst du so? Diese Geh-zu-ihm-und-fick-mit-ihm-Story ist doch totaler Blödsinn. Warum sagst du nicht einfach, wie’s war?

Ich hab nicht erwartet, dass du mir glaubst.

JC Nichols war aus der Küche gekommen und sah zu ihnen. Er war ein griesgrämiger klapperdürrer Mann mit einem chronischen Magenleiden, das bei ihm immerwährende Nervosität und eine generelle Wut verursachte, eine Wut auf alles und jeden, mit dem er in Kontakt kam, ausgenommen Cap Holder. Vor Cap hatte er Angst. Er blickte demonstrativ auf die Uhr, dann auf die leeren Tische. Lass uns sauber machen, sagte er zu Cathy. Bald ist Schluss.

 

Ich komm gleich, rief Cathy.

Du warst doch schon achtzehn, sagte Thibodeaux. Erwachsen. Da hättest du selbst deine Entscheidungen treffen können. Du gehörst niemandem. Du musst Verantwortung übernehmen für das, was du tust.

Er hat damit gedroht, Daddy zu verprügeln, wenn ich’s nicht tu.

Ach, hör doch auf. Lass mich mit dem Unsinn in Ruhe.

Mit Vergnügen. Dann verschwinde einfach und komm nicht mehr her und nerv mich nicht.

JC dimmte das Licht. Hey, wir machen zu, rief er Thibodeaux zu.

Thibodeaux trank von seinem Bier. Ich bin gleich weg, ich hab’s kapiert.

Nicht gleich, sofort. Ich hab doch gesagt, wir schließen. Und vorher müssen wir sauber machen, und dazu musst du draußen sein.

Thibodeaux trank das Bier aus, stand auf und legte Geld auf den Tisch. Als er vor der Tür stand, hörte er, wie JC hinter ihm absperrte. Er lehnte sich gegen die Mauer. Sah zum Himmel. Die Sterne jenseits der Neonschilder wirkten trübe und fern, unerreichbar wie seine Vergangenheit. Scheiß auf sie, dachte er. Sie will’s so. Jeder mit einem Fünkchen Verstand würde die Finger von ihr lassen. Das sollte ich auch machen. Einfach weg sein wie ein verschossener Ball im Gestrüpp. Plötzlich ging die Außenbeleuchtung aus, und er stand im sanften Schimmer eines Nachtlichts.

Es dauerte ein paar Minuten, bis der Pick-up kam, aber dann kam er schnell und schoss vom Highway auf den Parkplatz. Die Scheinwerfer hüpften kurz nach oben, als er über den Randstein bretterte und die Lichtkegel Thibodeaux an die Mauer pinnten. Kies spritzte zur Seite, als der Pick-up auf ihn zuraste. Oh Scheiße, dachte Thibodeaux. Plötzlich sah er klar, beinahe überdeutlich vor sich, wie er von einem Gewehrschuss in der Mitte zerteilt wurde. Sein Rumpf würde gegen die Mauer des Lokals klatschen, er selbst morgen Tagesgespräch sein. Dann würden die Leute kommen und auf die blutigen Fetzen zeigen, die von ihm noch am Backstein klebten. Vom Rest redete man lieber nicht. Er wirbelte herum und lief los.

Holder trat auf die Bremse, und noch ehe der Wagen zum Stehen gekommen war, hatte er die Tür aufgerissen. Thibodeaux war schon an der Ladefläche seines Pick-ups und hatte die Kurbel des Wagenhebers ergriffen, als er Holders Arme spürte, die ihn wie zwei Schraubzwingen umklammerten. Er wurde durch die Luft gewirbelt. Seine Hand knallte gegen den Pritschenrand, der Wagenheber flog knirschend in den dunklen Kies. Wolltest du etwa mit der verdammten Kurbel auf mich losgehen?, sagte Holder. Thibodeaux spürte seinen heißen Atem, roch den sauren Whiskeygeruch. Holder ließ ihn los, aber bevor Thibodeaux die Hände heben konnte, rammte ihm Holder die rechte Faust in den Bauch, dann schlug er ihm mit der linken wuchtig in die Rippen. Thibodeaux ging zu Boden, die Knie auf dem Kies, die Arme an den Rumpf gedrückt, und rang um Atem. Holder trat ihm von der Seite gegen den Kopf, und Thibodeaux’ Brille flog davon. Er selbst knallte mit dem Gesicht auf den Parkplatz.

Es gibt Idioten, die selbst die einfachsten Erklärungen nicht kapieren, sagte Holder. Denen muss man alles zeigen. Für Thibodeaux klang Holder blechern, eine Stimme aus weiter Ferne oder aus alten Zeiten, die auf einer Schelllackplatte ein Selbstgespräch führte.

Thibodeaux presste Luft in seine Lunge. Jeder Atemzug schmerzte, aber auch Nichtatmen tat weh. Mit schmerzverzerrtem Gesicht tastete er nach seiner Brille, dann griff er mit der Hand nach oben, zog die Tür auf und kletterte in seinen Wagen. Er fummelte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn um, dann blickte er zum Beifahrerfenster hinaus. Hölzern kletterte Holder in seinen Pick-up, neben dem jetzt Cathy stand, und stieß die Beifahrertür auf. Thibodeaux spuckte Blut auf die Fußmatte. Du gottverdammtes Arschloch, sagte er laut. Cathy ging vorne um Holders Pick-up herum und stieg ein. Mit einer Hand strich sie sich bedächtig über die Haare. Einmal drehte sie sich zu Thibodeaux um. Bitte, du hast deine Show bekommen, dachte er. Der grüne Pick-up fuhr vom Parkplatz. Thibodeaux drehte den Zündschlüssel, aber weil der Motor bereits lief, jaulte der Anlasser wütend auf. Er erschrak und ließ den Zündschlüssel los. Mit beiden Händen packte er das Lenkrad und fuhr vorsichtig an.

Mit geschlossenen Augen und hinter dem Kopf verschränkten Händen lag Thibodeaux auf dem Bett. Unter seinen Augenlidern flatterten Kalenderblätter langsam im Wind davon, eine Montage über das Vergehen der Zeit aus einem alten Vierziger-Jahre-Film. Das Leben zerrann ihm unter den Fingern, und er als Fliehender vor einer strikten Ordnung stand vor der quälenden Aufgabe, sein inneres Chaos wieder einem strengen Regiment unterwerfen zu müssen. Sich auf eine Welt einzulassen, die sich seinem Gefühl nach auf niemanden einließ.

Er schlug die Augen auf. Der Wasserfleck an der Decke schien der Fantasie eines surrealistischen Malers entsprungen. Er drehte sich um und tastete neben dem Bett nach den Zigaretten. Zerknüllte die leere Packung und warf sie gegen die Wand. Er rollte sich wieder auf den Rücken und überlegte, welche Möglichkeiten er hatte.

Er dachte an Nashville und weiter zurück an New York. Wenn er dorthin zurückging, hätte er keine Nummer und keinen Namen mehr. Wäre frei von allen Fesseln. Er könnte auch über die Grenze nach Kanada. In den blauen kanadischen Rockies konnte man sicher leicht untertauchen. Oder in der Gasse aus Dylans »Subterranean Homesick Blues« verschwinden.

Dann spürte er das leichte Ziehen seiner Kameradschaft mit Stoneburner. Blutsbrüder. Wer ist verrückt, wer nicht? Bist du eingesperrt, oder bin ich draußen?

Bei Monk de Vries auf dem Tresen lagen eine Schuhschachtel voller Ginseng, ein Rasiermesser und eine Schachtel Bleikugeln, dazu Kleber und eine Bürste. Thibodeaux sah ihm eine Weile zu. Monk schnitt den Ginseng der Länge nach auf, schabte die Wurzel mit dem Messer aus, füllte den Hohlraum mit Kugeln, schmierte mit der Sorgfalt eines Chirurgen Kleber auf die Schnittstellen und klebte die beiden Ginsengteile wieder zusammen.

Es gibt nichts, was es nicht gibt, sagte Thibodeaux.

Zum ersten Mal sah Monk auf. Herr im Himmel, rief er. Bist du unter ne Dampfwalze gekommen?

Hatte ne verschärfte Diskussion. Thibodeaux grinste. Auf seiner linken Schläfe prangte ein großer Bluterguss, ein gezackter Riss lief über seine Wange.

Monk schnaubte und nahm ein weiteres Stück Ginseng.

Du solltest den andern sehen, sagte Thibodeaux.

Wie’s der Zufall will, hab ich den schon gesehen. Heut früh erst. Der war frisch wie der junge Morgen.

Du weißt nicht zufällig, wo man ne günstige Pistole herkriegt?, fragte Thibodeaux.

Monk legte eine kleine Beretta auf den Tresen. Sie sah alt und abgenutzt aus. Die könnt ich dir überlassen. Für dreißig.

Hast du auch Munition dafür?

Klar hab ich die. Kostet aber extra.

Egal. Ohne Munition hilft sie mir ja nichts. Während er das sagte, zählte er das Geld ab.

Monk kippte eine Handvoll Patronen aus einer Schachtel aus. Verdammt, die leg ich so drauf. Wenn ich wüsste, dass du den Schweinekerl umlegst, würde ich dir auch die Pistole umsonst geben. Aber das hast du ja nicht vor, oder?

Nicht, wenn er nicht noch mal auf mir rumtrampelt.

Du kannst den Arsch gern umbringen. Das Teil hier lässt sich nicht zu mir zurückverfolgen, außer du steckst ihnen was. Aber wenn du das tust, streit ich sowieso alles ab.

Ich will sie nur für alle Fälle.