Nur auf LitRes lesen

Das Buch kann nicht als Datei heruntergeladen werden, kann aber in unserer App oder online auf der Website gelesen werden.

Buch lesen: «Namenlos», Seite 58

Schriftart:

– Ich nehme Euer Anerbieten mit Dank an, Mr. Mazey, sagte sie. Ihr wißt nicht, welchen harten Schlag Ihr mir zufügtet, als Ihr mir jenen Brief aus der Hand nahmt. Aber Ihr thatet Eure Pflicht – und ich kann Euch nur dankbar sein, daß Ihr mich heute früh entfliehen laßt, so hart Ihr auch heute Nacht gegen mich gewesen seid. Ich bin nicht ein solch schlimmes Mädchen, als Ihr von mir denkt, wahrlich nicht.

Der alte Mazey wies diesen Gegenstand zurück mit einer abermaligen traurigen Handbewegung.

– Laß es gut sein, sprach der Alte, laß es gut sein! Bei einem Sünder, wie ich bin, macht es keinen Unterschied. Wenn Du auch fünfzig Mal schlechter wärst, als Du bist, so würde ich Dich doch ganz ebenso laufen lassen. Nimm Deinen Hut und Dein Umschlagetuch und komm fort. Ich bin mir selber ein Greuel und für Andere eine Warnung: Das bin ich. Kein Gepäck höre Du! Laß all Dein Zeug zurück, auf daß es, wo’s nöthig, Seiner Gnaden dem Admiral überliefert werden kann. Ich kann dann mit Deinen Koffern hart genug sein, Du junge Isebel, wenn ich auch mit Dir nicht hart sein kann.

Mit diesen Worten ging der alte Mazey voran aus dem Zimmer.

– Je weniger ich von ihr sehe, desto besser, Insonderheit um Brust und Taille herum; sprach er zu sich selbst, als er mit Hilfe des Geländers die Treppe hinunter humpelte.

Das Wägelchen stand im Hintergarten, als sie die unteren Gegenden des Hauses erreichten und Dawkes (der Dienstmann des Amtmannes des Gutes) machte eben den letzten Riemen am Geschirr des Pferdes fest. Der Reif des Frühmorgens sah noch ganz weiß aus im Schatten. Die funkelnden Steinchen des Reifes glitzerten hell auf den zottigen Pelzen des Brutus und Cassius, wie sie sich auf dem Hofe umhertrieben und mit dampfenden Schnautzen und langsam wedelnden Schwänzen auf das Fortfahren des Wagens warteten. Der alte Mazey ging allein hinaus und brauchte seinen Einfluß auf Dawkes. Dieser riß vor blöder Verwunderung die Augen auf und legte für seine Reisegefährtin ein Lederkissen auf den Sitz. Zusammenschauernd in der scharfen Morgenluft wartete Magdalene während der Vorbereitungen zur Abfahrt, indem sie sich nur einer traurigen Gedankenverwirrung und einer grausamen Beängstigung im Herzen bewußt war. Sie zitterte ebenso hilflos, wie in der Nacht, als jetzt der Alte seine Augen der Nachsicht zum letzten Male auf sie warf und ihr einen Abschiedskuß auf die Wangen drückte. In der nächsten Minute fühlte sie, wie er ihr in den Wagen half und sie auf die Schulter pochte. Dann hörte sie ihn in vertraulichem Flüstern ihr zuraunen, daß sie, ob sie nun sitze oder stehe, allemal so schlank wie eine Puppe! sei. Dann war eine Pause, in der Nichts gesprochen wurde und Nichts geschah, darauf nahm der Kutscher die Zügel in die Hand und stieg auf seinen Platz.

Sie erhob sich im Augenblicke der Abfahrt und sah sich um. Der letzte Gegenstand, den sie auf St. Crux sah, war der alte Mazey, wie er im Hofgarten, neben sich seine Kameraden im Guten und im Bösen, die Hunde, seinen Kopf schüttelte, und diese mit den Schweifen wedelnd, schier damit Tact hielten. Die letzten Worte, welche sie hörte, waren das Lebewohl, das der Alte ihrem Liebreiz nachrief.

– Einbruch oder nicht Einbruch, sagte der alte Mazey, sie ist ein schöngebautes Mädchen, wenn ich jemals ein schönes gesehen habe. Wie jammerschade, wie jammerschade!

Vierzehntes Buch
Zwischenscene in Briefen

I
George Bartram an Admiral Bartram

London,
den 3. April 1848.
Lieber Oheim!

Nur eine eilige Zeile, um Dich von einem augenblicklichen Hinderniß in Kenntniß zu setzen, an das Keiner von uns gedacht hat, als wir von einander auf St. Crux Abschied nahmen. Während ich die ersten Tage der Woche auf dem »Meierhofe« unnütz hinbrachte, müssen die Tyrrels ihre Anordnungen getroffen haben, London zu verlassen. Soeben komme ich von Portlandsplatze. Das Haus ist zugeschlossen, und die Familie – Miss Vanstone natürlich mitgerechnet – verließ gestern England, um die Saison in Paris zuzubringen.

Laß Dich, ich bitte, dies kleine Hinderniß sogleich im Anfange ja nicht beirren. Es ist von keiner großen Bedeutung. Ich habe die Adresse der Wohnung, wo die Tyrrels eingezogen sind, und ich denke ihnen mit dem heutigen Nachtzug nachreisen. Ich werde in Paris schon meine Gelegenheit wahrnehmen, gerade so schnell, als in London selbst. Verlaß Dich darauf, daß das Gras nicht unter meinen Füßen wachsen soll. Ich werde doch einmal in meinem Leben die Zeit bei der Stirnlocke fassen, als ob ich der ungestümste Mann in England wäre, und sei versichert, den Augenblick. sowie ich den Erfolg weiß, sollst Du ihn ebenfalls erfahren.

herzlich

Dein getreuer

George Bartram.

II
George Bartram an Miss Garth

Paris, den 13. April.
Liebe Miss Garth!

Ich habe soeben mit schwerem Herzen an meinen Oheim geschrieben, und ich denke, es ist gegenüber Ihrer freundlichen Theilnahme an mir meine Schuldigkeit, daß ich nicht unterlasse, den nächsten Brief an Sie zu richten.

Sie werden meine Enttäuschung mit mir fühlen, glaube ich, wenn ich Ihnen in den kürzesten und deutlichsten Worten sage, daß Miss Vanstone mich zurückgewiesen hat. – —

Meine Eitelkeit hat mich vielleicht beklagenswerther Weise verblendet; allein ich bekenne, daß ich einen ganz andern Erfolg erwartet hätte. Meine Eitelkeit verblendet mich vielleicht noch; denn ich muß Ihnen gestehen, daß ich der Meinung bin, Miss Vanstone hat mich nur mit schwerem Herzen zurückgewiesen. Der Grund, den sie für ihren Entschluß angab, Ersterer ohne Zweifel in ihren Augen ein stichhaltiger Grund – schien mir weder damals, noch scheint er mir jetzt hinreichend zu sein. Sie sprach in der angenehmsten und freundlichsten Art und Weise; allein sie erklärte fest, daß »die Mißverhältnisse ihrer Familie« ihr als ehrlich denkenden Jungfrau keine andere Wahl ließen, als ihrerseits an meine eigene Wohlfahrt zu denken, da ich selber nicht daran gedacht habe, und dankbar meinen Antrag von der Hand zu weisen.

Sie war so schmerzlich aufgeregt, daß ich nicht wagen konnte, so für meine Angelegenheit zu sprechen, wie ich es wohl unter anderen Verhältnissen gethan haben würde. Bei dem ersten Versuche, den ich machte, um auf die Personen zu kommen, ersuchte sie mich, sie zu schonen und verließ plötzlich das Zimmer. Ich bin noch ungewiß, ob ich die Familienmißverhältnisse, welche diese Kluft zwischen uns aufgerissen haben sollen, dieselben sind, um derentwillen nur ihre Eltern anzuklagen sein würden, oder ob sie darauf deuten will, daß sie eine Frau, wie Mrs. Noël Vanstone, zur Schwester hat. In welchem von diesen Umständen das Hinderniß liegt: nach meiner Ansicht gibt es hier kein Hinderniß. Kann denn dasselbe durch Nichts entfernt werden? Gibt es keine Hoffnung? Verzeihen Sie, daß ich solche Fragen thue. Ich kann meine bittere Enttäuschung unmöglich in mir bergen und allein tragen. – Weder sie, noch Sie, noch irgend Jemand außer mir können wissen, wie ich sie liebe. —

Immerdar

Ihr Getreuer,

George Bartram.

NS. Ich werde in ein oder zwei Tagen nach England zurück gehen, indem ich auf dem Wege nach St. Crux über London reise. Es sind Familienangelegenheiten in Verbindung mit dem leidigen Geld, welche mich mit äußerst geringem Vergnügen auf meine nächste Unterredung mit meinem Oheim blicken lassen. Wenn Sie Ihren Brief an Long’s Hotel richten, so wird er mich sicherlich treffen.

III
Miss Garth an George Bartram

Westmoreland-House, den 16. April.
Lieber Mr. Bartram!

Sie hatten ganz Recht, wenn Sie vermutheten, daß Ihr Brief mich betrüben würde. Wenn Sie zugleich vermuthet hätten, daß derselbe mich zugleich unwillig machen würde, so würden Sie ebenfalls das Richtige getroffen haben. Ich habe keine Geduld mit dem Stolze und der Verkehrtheit der jungen Frauenzimmer von heutzutage.

Ich habe Nachricht von Nora Es ist ein langer Brief, welcher die Einzelheiten ganz ausführlich darstellt. Ich will nun das ganze Vertrauen auf Ihre Ehre und Verschwiegenheit setzen, welches ich in der That für Sie in mir trage. Um Ihretwillen und um Noras willen will ich Sie wissen lassen, welches der Gewissenszweifel ist, der schuld daran ist, daß Dieselbe in ihrem Stolze und Wahne Sie verschmäht. Ich bin alt genug, um mich aussprechen zu können, und das kann ich Ihnen sagen, wäre sie nur gescheidt genug gewesen, sich bloß von ihren eigenen Wünschen leiten zu lassen, so würde sie gar zu gern Ja gesagt haben.

Die eigentliche Ursache von all dem Unheil ist niemand Geringeres, denn Ihr würdiger Oheim – Admiral Bartram.

Es scheint, daß der Admiral sich in den Kopf gesetzt hatte – vermuthlich in Ihrer Abwesenheit von St. Crux – sich selber nach London aufzumachen und seiner eigenen Neugierde betreffs Noras nachzugehen, indem er unter dem Vorwande, seine alte Freundschaft mit den Tyrrels zu erneuern, auf Portlandsplatz einen Besuch machte. Er kam zur Zeit des zweiten Frühstücks und sah Nora Nach Allem, was ich höre, erhielt er ersichtlich von ihr einen bessern Eindruck, als er erwartete oder wohl gar wünschte, als er in das Haus kam.

Soweit ist dies bloße Vermuthung, aber es ist unglücklicherweise ganz ausgemacht, daß er und Mrs. Tyrrel nach dem Frühstück eine Unterredung unter vier Augen miteinander hatten. Ihr Name wurde nicht genannt, aber als die Rede auf Nora kam, dachten natürlich Beide an Sie. Der Admiral, der ihr selbst volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, erklärte sich von Mitleid ergriffen über ihr hartes Lebensloos. Der ärgerliche Wandel ihrer Schwester dürfte – wie er fürchtete – ihrer Zukunft allezeit im Wege stehen. Wer könnte sie heirathen, ohne es erst zur Bedingung zu machen, daß sie und ihre Schwester für immer geschiedene Leute wären? Und selbst dann noch würde das Hinderniß bleiben, das ernste Hinderniß für die Familie ihres Gatten, mit einer solchen Frau wie Mrs. Noël Vanstone verschwägert zu sein. Es sei sehr traurig, es sei nicht des armen Mädchens Schuld, aber es sei nichtsdestoweniger wahr, daß ihre Schwester der Stein des Anstoßes für ihr ganzes Leben bleiben würde. – So sprach er etwa, nicht eigentlich übelwollend gegen Nora, aber mit einem hartnäckigen Glauben an seine eigenen Vorurtheile, der wie Uebelwollen aussah und den Leute von mehr Gefühl als klarem Verstande nur zu geneigt sind, bitter zu empfinden.

Zum Unglück ist Mrs. Tyrrel von solcher Art. Sie ist eine vortreffliche Frau mit warmer Empfindung, von lebhaftem Charakter, aber sehr wenig Urtheil, Nora aufs herzlichste zugethan und für deren Wohl über alle Maßen bedacht. Nach Allem, was ich erfahre hat sie dem Admiral übel genommen und als selbstsüchtig und eitel im höchsten Grade ausgelegt, daß er seine Meinung ihr so gerade ins Gesicht sagte, und dann, als er fort war, dies als einen ihr gegebenen Wink betrachtet, die Besuche seines Neffen nicht weiter zu befördern, gedeutet, – und das sei ein schreiendes Unrecht, gegenüber, der Herrin des Hauses in ihren eignen vier Wänden. Dies war schon thöricht genug, aber das noch Thörichtere sollte erst noch kommen.

Sobald Ihr Oheim fort war, ließ Mrs Tyrrel unkluger- und tactloserweise Nora kommen, wiederholte ihr die eben stattgefundene Unterredung und machte sie auf den Empfang aufmerksam, den sie von dem Manne zu erwarten habe, der in der Stellung eines Vaters zu Ihr stehe, falls sie einen Heiratsantrag von Ihnen annähme. Wenn ich Ihnen sage, daß Noras treue Anhänglichkeit an ihre Schwester noch unerschüttert fortbesteht und daß unter ihrer edlen Ergebung in die unglücklichen Verhältnisse ihres Lebens ein leicht verletzliches Feingefühl gegenüber Beschimpfungen jeder Art, das tief in ihrem Wesen liegt, verborgen ist, so werden Sie den wahren Beweggrund verstehen, warum dieselbe Sie verworfen hat, was Sie so natürlich und gerechtermaßen verletzen mußte. Es sind alle Drei in dieser Angelegenheit gleichmäßig anzuklagen. Ihr Oheim hatte Unrecht, daß er so unumwunden und unüberlegt seine Einwände aussprach. Mrs. Tyrrel hatte Unrecht, daß sie sich von ihrer Leidenschaft hinreißen ließ, sich selber für beleidigt anzusehen, da kein Mensch an eine Beleidigung gedacht hatte. Und Nora hatte Unrecht, daß sie einen falschen Stolz und einen hoffnungslosen Glauben an ihre Schwester, den füglich kein Dritter theilen kann, über die höheren Anforderungen stellte, die eine Neigung, die das Glück und die Wohlfahrt ihres ganzen Lebens hätte sichern können, an sie hatte.

Allein das Unheil ist nun einmal angerichtet. Die nächste Frage ist, kann der Schaden wieder gut gemacht werden?

Ich hoffe und glaube es allerdings. Mein Rath ist der: nehmen Sie das Nein als keine Antwort. Lassen Sie ihr Zeit, darüber nachzudenken, was sie gethan hat, und es im Stillen, was ich meinestheils gewiß glaube; zu bereuen. Haben Sie. Vertrauen auf meinen Einfluß über sie, um Ihre Angelegenheit in Ihrem Interesse zu betreiben bei jeglicher Gelegenheit, die ich finden kann, warten Sie ruhig den rechten Augenblick ab und fragen Sie wieder bei ihr an. Die Männer, welche gewohnt sind, selber aus Ueberlegung zu handeln, sind viel zu rasch beider Hand, zu denken, daß die Frauen ebenfalls aus Ueberlegung handeln. Die Frauen sind weit entfernt davon. Sie handeln nach den Eingebungen des Augenblicks und bedauern es hinterher in neun Fällen unter zehn bitterlich. Inzwischen müssen Sie Ihre Interessen selber fördern, indem Sie Ihren Oheim bearbeiten, seine Meinung zu ändern oder wenigstens das Zugeständniß zu machen, seine Meinung für sich zu behalten. Mrs. Tyrrel hat sich voreilig der Ueberzeugung hingegeben, daß der von ihm angerichtete Schade ein mit Willen geschehener sei, was soviel sagen will, als ob er, als er ins Haus kam, schon im hellsehenden Geiste vorausgewußt hätte, was sie thun würde, wenn er fort wäre. Meine Erklärung der Sache ist eine viel einfachere. Ich glaube, daß die Kenntniß von Ihrer Neigung natürlich seine Neugier rege machte, den Gegenstand derselben kennen zu lernen, und daß Mrs. Tyrrels tactlose Lobeserhebungen über Nora ihn reizten, seinerseits mit seinen Einwürfen offen herauszutreten. Auf jeden Fall ist Ihnen Ihr Verfahren ebenso deutlich vorgezeichnet. Gebrauchen Sie Ihren Einfluß auf Ihren Oheim, um ihn zu überreden, die Sache wieder ins Gleiche zu bringen, vertrauen Sie meinem festen Entschlusse Nora als Ihre Gattin zu sehen, ehe sechs Monate ins Land gehen, und betrachten Sie stets als Ihre Freundin und mütterliche Beratherin

Ihre ergebene

Harriet Garth

IV
Mrs. Drake an George Bartram

St Crux, den 17. April.
Sir

Ich richte diese Zeilen an das Hotel, in welchem Sie zu London zu wohnen pflegen, in der Hoffnung, daß Sie bald genug ans dem Auslande zurückkehren mögen, um meinen Brief sonder Verzug zu erhalten.

Ich bedaure melden zu müssen, daß einige unangenehme Vorfälle auf St. Crux sich zugetragen haben, seit Sie fort sind, und daß mein hochverehrter Brodherr, der Admiral, gut nicht mehr wie früher wohl auf ist. Aus diesen beiden Gründen nehme ich mir die Freiheit, auf eigne Hand an Sie zu schreiben: denn ich denke, Ihre Gegenwart ist in dem Hause sehr nöthig.

In den ersten Tagen des Monats ereignete sich ein sehr bedauerlicher Umstand. Unser neues Stubenmädchen wurde von Mr. Mazey in einer späten Stunde der Nacht mit seines Herrn Schlüsselkörbchen in den Händen betroffen, wie es in Privaturkunden herumstöberte, die in der östlichen Bücherstube aufbewahrt werden. Das Mädchen entfernte sich den andern Morgen heimlich aus dem Hause, ehe noch Jemand von uns auf war, und hat seitdem Nichts wieder von sich hören lassen. Dies Ereigniß hat meinen Herrn höchlich aufgeregt und beunruhigt, und um das Unglück vollständig zu machen, wurde der Admiral gerade an dem Tage, wo das gewissenlose Benehmen des Mädchens entdeckt wurde, von den ersten Anzeichen eines heftigen Erkältungsfiebers ergriffen. Er wußte selbst nicht, noch sonst Jemand, wo er sich die Erkältung zugezogen hatte. Der Arzt wurde geholt und hielt das Fieber auch nieder bis vorgestern, wo es wieder ausbrach unter Umständen, welche Sie beklagen werden, sowie es mich schmerzt, sie niederschreiben zu müssen.

An dem bereits erwähnten Tage, nämlich am Fünfzehnten des Monats benachrichtigte mich mein Herr selber, daß er durch einen den Morgen aus dem Auslande von Ihnen empfangenen Brief, der ihm schlechte Nachrichten gebracht habe, im höchsten Grade beunruhigt werde. Er sagte mir nicht, was das für Nachrichten seien, aber ich habe ihn noch nie zuvor in allen den langen Jahren, die ich in seinen Diensten verlebt habe, so unglücklich und aufgeregt gesehen, und so ganz außer sich, als er mir an jenem Tage vorkam. In der Nacht schien seine Unruhe zuzunehmen. Er war in einem aufgeregten Zustande, daß er den Ton von Mr. Mazeys schwerem Athem draußen nicht ertragen konnte und dem alten Manne die gemessene Weisung gab, sich diese Nacht in einer der Kammern zur Ruhe zu begeben.

Mr. Mazey sah sich natürlich zu seinem Bedauern genöthigt zu gehorchen. Unser einziges Mittel, um den Admiral zu verhindern, im Schlafe sein Zimmer zu verlassen, war somit zu Nichte gemacht, und so kamen wir, Mr. Mazey und ich, überein, daß wir abwechselnd die Nacht bei ihm wachen wollten, indem wir in einem der an unseres Herrn Kammer anstoßenden Zimmer bei halboffener Thüre Wache hielten. Wir konnten auf nichts Besseres verfallen, da wir wußten, daß er es nicht leiden würde, wenn wir ihn einschlössen zumal wir, auch wenn wir hätten wagen wollen, ihn ohne seine Erlaubniß einzuschließen, den Thürschlüssel nicht in den Händen hatten. Ich hielt die Wache in den ersten beiden Stunden, und dann nahm Mr. Mazey meine Stelle ein. Nachdem ich ein wenig auf meinem Zimmer gewesen war, fiel mir ein, daß ja der alte Mann schwerhörig war und daß, wenn seine Augen in der Nacht schwierig würden, man vollends sich nicht darauf verlassen konnte, daß seine Ohren ihn, wenn etwas verfiel, benachrichtigten. Ich fuhr wieder in meine Kleider und ging zu Mr. Mazey zurück. Er war weder eingeschlafen, noch munter, er war in einem Mittelzustande. Mein Geist ahnte das Schlimmste, und ich ging in das Zimmer des Admirals. Die Thür war offen, – das Bett war leer.

Mr. Mazey und ich gingen sofort die Treppe hinunter. Wir sahen in alle Zimmer im nördlichen Flügel, eins nach dem andern, und fanden keine Spur von ihm. Ich dachte sodann an das Besuchszimmer und ging, weil ich am schnellsten von uns Beiden auf den Füßen war, dorthin voran. In dem Augenblick wo ich um die scharfe Ecke des Ganges herum kam, sah ich meinen Herrn durch die offene Zimmerthür im Schlafwandeln auf mich zukommen, die Schlüssel in der Hand. Da befiel mich die Furcht und hat mich nicht wieder verlassen, sein Traum möchte ihn durch die Banquethalle in den östlichen Flügel geführt haben. Wir unterließen es, ihn aufzuwecken und folgten ihm nach, bis er selber in seine Kammer zurückging. Den nächsten Morgen kamen, es ist traurig zu sagen, alle schlimmen Anzeichen wieder zum Vorscheine, und keines von den angewandten Mitteln hat gefruchtet, um die Krankheit zu überwältigen. Nach dem Rathe des Arztes vermieden wir es dem Admiral zusagen, was vorgefallen war. Er ist immer noch in dem Wahne, daß er die Nacht wie gewöhnlich auf seinem Zimmer zugebracht habe.

Ich bin mit Fleiß auf alle Einzelheiten dieses unseligen Zwischenfalles eingegangen, weil weder Mr. Mazey noch ich selber uns von Schuld frei sprechen wollen, wenn wir Tadel verdient haben. Wir haben Beide gethan, was wir fürs Beste hielten, und bitten Sie Beide flehentlich, Sie wollen unsere verantwortliche Stellung erwägen und je eher je lieber nach St. Crux kommen. Unser verehrter Herr ist sehr schwer zu behandeln, und der Arzt meint, wie wir selber, daß Ihre Anwesenheit im Hause vonnöten ist.

Ich verbleibe, Sir, mit Mr. Mazeys und meinen eigenen achtungsvollsten Grüßen

Ihre ergebene Dienerin,

Sophia Drake.

V
George Bartram an Miss Garth

St. Crux, den 22. April.
Liebe Miss Garth

Entschuldigen Sie mich, daß ich Ihnen nicht eher für Ihren freundlichen Trostbrief gedankt habe. Wir sind auf St. Crux in trauriger Unruhe. Jede kleine Aufregung, welche ich über meines armen Oheims unselige Dazwischenkunft auf Portlandplatz gefühlt habe, ist ganz und gar aus meinem Herzen entschwunden über das Unglück seiner schweren Krankheit. Er leidet an einem heftigen Fieber infolge einer Erkältung, und es haben sich Anzeichen gemeldet, die bei seinem Alter das Schlimmste fürchten lassen. Ein Arzt aus London ist jetzt im Hause. Sie sollen binnen wenigen Tagen mehr erfahren. Mittlerweile betrachten Sie mich als Ihren aufrichtig dankbaren und herzlich ergebenen

Getreuer

George Bartram.