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Buch lesen: «Namenlos», Seite 44

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Von Miß Vanstone___________|_____|____

erhalten . . . . . . £ | 200 |

schrieb der Hauptmann mit düsterm Angesicht.

– Du bist doch nicht böse mit mir? sagte Mrs Wragge, indem sie furchtsam durch ihre Thränen nach ihrem Manne hinsah. Ich möchte gern ein Wort des Trostes haben, Hauptmann. Ach, sage mir doch, wann werde ich sie wiedersehen!

Der Hauptmann schlug das Buch zu und gab seine Antwort in dem einen unerbittlichen Worte:

– Niemals!

Zwischen elf und zwölf Uhr in jener Nacht fuhr Mrs. Lecount in Zürich ein.

Ihres Bruders Haus war verschlossen, als sie dort anhielt. Mit Schwierigkeit und Zeitverlust wurde das Dienstmädchen geweckt. Dies schlug seine Hände in sprachlosem Erstaunen zusammen, als es die Thür öffnete und sah, wer die Fremde war.

– Lebt mein Bruder noch? frug Mrs. Lecount, als sie ins Haus trat.

–Er lebt noch! gab das Mädchen zurück. Er ist zur Erholung aufs Land gegangen, um seine Genesung in der frischen Luft zu beendigen.

Die Haushälterin fuhr zurück gegen die Wand der Hausflur. Der Kutscher und das Mädchen setzten sie auf einen Stuhl. Ihr Gesicht war entfärbt, und die Zähne klapperten ihr im Munde.

– Lassen Sie den Arzt meines Bruders holen, sagte sie, sobald sie wieder sprechen konnte.

Der Arzt kam. Sie übergab ihm einen Brief, ehe er ein Wort sagen konnte.

– Schrieben Sie diesen Brief?

Er sah rasch darüber hin und antwortete ihr ohne Zögern.

– Ganz gewiß nicht!

– Es ist aber Ihre Hand.

– Es ist eine Fälschung meiner Handschrift.

Sie erhob sich von dem Stuhle, neue Kraft in sich fühlend.

– Wann geht die Post zurück nach Paris? frug sie.

– In einer halben Stunde.

– Gehe augenblicklich hin und bestelle mir einen Platz darin!

Das Mädchen zögerte, der Arzt machte Vorstellungen. Sie blieb taub für Beide.

– Gehe fort, wiederholte sie, oder ich gehe selber.

Man gehorchte. Das Mädchen ging, um den Platz, zu bestellen, der Doctor blieb und hatte eine Unterredung mit Mrs. Lecount. Als die halbe Stunde vorüber war, half er ihr in die Post hinein und gab heimlich dem Conducteur einen Wink, auf die Reisende Acht zu geben.

– Sie ist ohne. Unterbrechung von England her gereist, sagte der Arzt, und sie reist, ohne sich Rast zu gönnen, wieder Zurück. Nehmen Sie dieselbe daher in Acht, sonst bricht sie unter der doppelten Reife zusammen.

Die Post fuhr ab. Ehe die erste Stunde des neuen Tages abgelaufen war, war Mrs. Lecount unterwegs nach England zurück.

Achtes Buch
Zwischenscenen in Briefen

I
George Bartram an Noël Vanstone

St. Crux, den 4. September 1847.
Lieber Noël!

Hier hast Du gleich von vornherein zwei offene Fragen. Im Namen alles Geheimnißvollem was hast Du, daß Du Dich verborgen hältst? Und warum wird Alles auf Deine Heirath Bezügliche vor Deinen ältesten Freunden als tiefstes Geheimniß bewahrt?

Ich bin in Aldborough gewesen, um zu versuchen, ob ich Dich von jenem Orte aus aufspüren könnte, und bin so klug zurückgekommen, wie ich hingegangen war. Ich habe mich an Deinen Advocaten in London gewandt und habe zur Antwort erhalten, daß Du ihm verboten habest, den verborgenen Ort Deines Aufenthaltes irgend Jemand zu nennen, ohne erst die Erlaubniß dazu von Dir erhalten zu haben. Alles, was ich von ihm erlangen konnte, war, daß er jeden Brief, der ihm anvertraut würde, an Dich befördern würde. Demnach schreibe ich und, vergiß es nicht, erwarte auch eine Antwort.

Du wirst vielleicht in Deiner übellaunigen Art fragen, was ich mit Angelegenheiten von Dir, welche Du für gut findest geheim zu halten, zu schaffen habe? Mein lieber Noël, es liegt ein ernster Grund vor, daß wir von hier aus mit Dir in Briefwechsel treten. Du weißt nicht, welche Ereignisse auf St. Crux vorgefallen sind, seit Du wegeiltest, um Dich trauen zu lassen, und obgleich ich Briefschreiben hasse, so will ich doch eine Stunde auf der Jagd heute Opfern, um zu versuchen, Dich aufzuklären.

Am dreiundzwanzigsten des letzten Monats wurden der Admiral und ich bei unserm Weine nach Tische durch die Meldung gestört, daß ein Fremder unerwartet auf St. Crux eingetroffen sei. Wer denkst Du wohl, daß der Gast war? – Mrs. Lecount!

Mein Oheim verließ mit seiner gewöhnlichen altmodischen Junggesellengalanterie, welche jeder Schürzenträgerin gleiche Rücksicht zollt, sofort die Tafel, um Mrs. Lecount selbst zu bewillkommnen. Wie ich noch schwankte, ob ich ihm folgen sollte oder nicht, wurde meinem Ueberlegen plötzlich durch einen lauten Ruf vom Admiral ein Ende gemacht. Ich eilte in das Morgenzimmer, – und dort war Deine unglückliche Haushälterin mehr todt als lebendig auf dem Sopha, alle Dienstmädchen um sie her versammelt. Sie war von England nach Zürich und von Zürich wieder zurück nach England gereist – ohne Anhalten; und sie sah ernstlich und buchstäblich halbtodt aus. Ich war sofort mit meinem Oheim darüber einig, daß das Erste, was geschehen mußte, war, nach dem Arzte zu schicken. Wir schickten sofort einen Reitknecht weg und ließen auf das ausdrückliche Ersuchen von Mrs. Lecount alle Mädchen insgesamt aus dem Zimmer gehen.

Sobald wir allein waren, überraschte uns Mrs. Lecount mit einer einzigen Frage. Sie fragte, ob Du einen Brief erhalten, den sie, ehe sie England verließ, an Dich hierher aufgegeben habe. Als wir ihr sagten, daß der Brief auf Deinen ausdrücklichen Wunsch unter Couvert an Deinen Freund, Mr. Bygrave, geschickt worden sei, wurde sie kreideweiß, und als wir hinzufügten, daß Du uns in Gesellschaft desselben Mr. Bygrave verlassen habest, schlug sie ihre Hände zusammen und starrte uns an, als ob sie ihre Besinnung verloren hätte. Ihre nächste Frage war:

– Wo ist Mr. Noël jetzt?

Wir konnten ihr nur eine Antwort geben: Mr. Noël habe uns nicht benachrichtigt. Sie sah vollkommen wie vom Donner gerührt aus, als sie das hörte.

– Er ist in sein Verderben gegangen! sagte sie.

Er ist gegangen in Gesellschaft des größten Schurken in England. Ich muß ihn finden! Ich sage Ihnen, ich muß Mr. Noël finden! Wenn ich ihn nicht sogleich finde, wird es zu spät sein.

– Er wird heirathen! brach sie wie eine Wahnsinnige aus, auf Ehre und Seligkeit, er wird heirathen!

Der Admiral sagte ihr – unvorsichtig vielleicht, aber mit der besten Absicht, daß Du schon verheirathet seiest. Da gab sie einen Schrei von sich, der die Fensterscheiben klirren machte, und fiel ohnmächtig aufs Sopha zurück. Der Arzt kam gerade zur höchsten Zeit und brachte sie bald wieder zu sich. Allein sie wurde in derselben Nacht krank, sie ist seitdem immer schlimmer geworden, und der letzte ärztliche Bericht ist, daß das Fieber, an dem sie leidet, auf dem besten Wege ist, ihr Gehirn anzugreifen.

Nun haben weder ich, noch mein Oheim den Wunsch, uns in Dein Vertrauen eindrängen zu wollen. Wir sind natürlich erstaunt über das außerordentliche Geheimniß, daß über Dir und Deiner Heirath schwebt, und wir können uns nicht der Thatsache verschließen, daß Deine Haushälterin ersichtlich einen guten Grund hat, um Mrs. Noël Vanstone mit einer Feindseligkeit und einem Mißtrauen anzusehen, welche, wie wir gern glauben wollen, jene Dame zu verdienen wohl kaum Anlaß gegeben hat. Was immer für ein seltsames Mißverständniß in Deinem Hause walten mag, ist Deine Sache, wenn Du es vorziehst, es für Dich zu. behalten – und nicht unsere. Alles, was wir zu thun berechtigt sind, ist: Dir zu sagen; was der Arzt sagt. Seine Patientin sprach irre; er glaubt nicht, für ihr Leben stehen zu können, wenn es mit ihr so fort geht, wie jetzt, und er meint, weil er findet, daß sie beständig von ihrem Herrn spricht, daß Deine Gegenwart gut sein würde, um sie zu beruhigen, wenn Du sofort hierher kommen und Deinen Einfluß ausüben könntest, ehe es zu spät ist.

Was sagst Du dazu? Willst Du Dich aus dem Dunkel, das dich umgibt, hervormachen und nach St. Crux kommen? Wenn es sich um einen gewöhnlichen Dienstboten handelte, so könnte ich begreifen, wenn Du zögertest, die Freuden Deiner Flitterwochen zu verlassen um einer solchen Sache willen, die man hier Dir zumuthet. Aber, lieber alter Freund, Mrs. Lecount ist kein gewöhnlicher Dienstbote. Du bist ihr für ihre Treue und Anhänglichkeit sowohl von Deines Vaters Lebzeiten her, als auch aus Deiner Zeit, zu Danke verpflichtet; und wenn Du die Besorgnisse, welche dieses unglückliche Weib bis zum Wahnsinn treiben, wirklich beschwichtigen kannst, so denke ich wirklich, daß Du hierher kommen und Dies thun solltest. Daß Du darum Mrs. Noël Vanstone verlassen solltest, kommt gar nicht in Frage. Es liegt keine Nothwendigkeit zu einem so harten Schritte vor. Der Admiral wünscht, daß ich Dich daran erinneren soll, wie er Dein ältester lebender Freund sei, und daß sein Haus Deiner Gattin zur Verfügung stehe, wie es Dir gegenüber immer gewesen ist. In diesem großen Gebäude, in dem man bequem spazieren reiten könnte, hat sie keine nähere Berührung mit dem Krankenzimmer zu fürchten, und bei all den Eigenheiten des Oheims wird sie sicherlich das Erbieten seiner Freundschaft nicht verschmähen.

Habe ich Dir schon gesagt, daß ich nach Aldborough ging, um zu sehen, ob ich nicht einen Fingerzeig über Deinen Aufenthalt erhalten könnte? Ich kann mir nicht erst die Zeit nehmen, umzuwenden und nachzusehen. Wenn ich es also Dir schon gesagt haben sollte, gut, dann sage ich Dirs zum zweiten Male. Die Wahrheit ist, ich machte in Aldborough eine Bekanntschaft, von der Du schon weißt, wenigstens von Hörensagen.

Nachdem ich mich vergeblich nach Amsee gewendet hatte, ging ich in den Gasthof, um nach Dir zu fragen. Die Wirthin konnte mir keine Mittheilungen machen. Aber in dem Augenblicke, wo ich Deinen Namen nannte, fragte sie, ob ich mit Dir verwandt sei, und als ich ihr nun sagte, daß ich Dein leiblicher Vetter sei, sagte sie, es wäre jetzt eine junge Dame im Hotel, deren Name ebenfalls Vanstone sei und welche in großen Aengsten schwebe über eine vermißte Verwandte und sich mir vielleicht von Nutzen erweisen könnte, oder umgekehrt, der ich von Nutzen sein könnte, wenn wir von unseren wechselseitigen Geschäften in Aldborough wüßten. Ich hatte auch nicht die geringste Idee, wer sie wohl sein könne; aber ich schickte ihr aufs Geratewohl meine Karte, und fünf Minuten später, siehe, da befand ich mich einem der liebenswürdigsten Frauenzimmer gegenüber, welche diese meine Augen jemals geschaut haben.

Unsere ersten einleitenden Worte bekehrten mich, daß ihr mein Familienname von Hörensagen bekannt war. Wer denkst Du wohl, daß sie war? – Die älteste Töchter meines und Deines Oheims – Andreas Vanstone. Ich hatte in früheren Jahren meine arme Mutter von ihrem Bruder Andreas sprechen hören, und ich wußte auch von der traurigen Geschichte auf Combe-Raven. Allein unsere Familien, wie Dir wohl bekannt sein wird, waren einander immer entfremdet gewesen, und ich hatte meine reizende Cousine noch nie zuvor gesehen. Sie hat die dunklen Augen und Haare und das milde zurückhaltende Benehmen, das ich von jeher an Frauen bewundert habe. Ich will nicht unsere alten Meinungsverschiedenheiten über das Benehmen Deines Vaters gegen dieses beiden Schwestern wieder vorbringen oder in Abrede stellen, daß sein Bruder Andreas sich schlecht gegen ihn benommen habe: bin auch bereit, anzuerkennen, daß der hohe sittliche Standpunkt, den er in dieser Sache einnahm, für einen so elenden Sünder, als ich bin, ganz unerreichbar und unerfaßlich ist, und will nicht bestreiten, daß meine eigenen verschwenderischen Gewohnheiten mich unfähig machen, eine Meinung abzugeben über anderer Leute Geldangelegenheiten. Aber mit allen diesen Zugeständnissen und Einschränkungen kann ich Dir nur Eins sagen, Noël. Wenn Du jemals die ältere Miss Vanstone sähest, so prophezeihe ich Dir dreist, daß Du zum ersten Male in Deinem Leben zweifeln würde, ob es gut gethan war, Deines Vaters Beispiel zu befolgen. —

Sie erzählte mir ihre kleine Geschichte, das arme Kind, ganz einfach und anspruchslos. Sie hat jetzt ihre zweite Stelle als Erzieherin und wie gewöhnlich kannte ich, der ich alle Welt kenne, auch diese Familie. Sie ist befreundet mit meines Oheims Familie, welcher Letztere sie in der späteren Zeit aus dem Gesicht verloren hatte, die Tyrrels vom Portland-Platz – und sie behandeln Miss Vanstone mit solcher Freundlichkeit und Achtung, als wenn sie ein Glied der Familie wäre. Eine von deren alten Dienerinnen begleitete sie nach Aldborough, und der Zweck ihrer Reise an diesen Ort war derjenige, den die Wirthin angeführt hatte. Das Familienmißgeschick hat, wie es scheint, auf die jüngere Schwester der Miss Vanstone einen tiefen Eindruck gemacht, dieselbe hat ihre Verwandten und Freunde verlassen und wird schon seit einiger Zeit von zu Hause vermißt. Sie hat zuletzt aus Aldborough von sich hören lassen, und ihre ältere Schwester hatte sich gleich nach ihrer Rückkunft mit den Tyrrels vom Festlande aufgemacht, um an diesem Orte Nachfrage zu halten.

Dies war Alles, was mir Miss Vanstone sagte. Sie frug, ob Du Etwas von ihrer Schwester gesehen hättest, oder ob Mrs. Lecount Etwas von ihrer Schwester wüßte, vermuthlich, weil sie erfahren hatte, daß Du in Aldborough wärest. Natürlich konnte ich ihr meinerseits Nichts sagen. Sie ließ sich nicht weiter über den Gegenstand aus, und ich konnte mir nicht herausnehmen, mehr zu fragen. Alles, was ich that, war, daß ich mich aus allen Kräften daran machte, sie bei ihren Nachforschungen zu unterstützen. Der Versuch schlug vollständig fehl: Niemand konnte uns Aufschluß geben. Wir versuchten natürlich mit einer Personalbeschreibung, und wunderlich klingt es, die einzige junge Dame, die vorher in Aldborough war, welche der Beschreibung entsprach, war von allen Leuten in der Welt die Dame, die Du geheirathet hast! Wenn sie nicht einen Oheim und eine Tante gehabt hätte – welche Beide den Ort verlassen haben – so würde ich angefangen haben, zu vermuthen, daß Du, ohne es zu wissen, Deine Cousine geheirathet hättest. Ist dies der Schlüssel zu dem Geheimniß? Werde nicht böse; ich muß meinen kleinen Spaß machen und muß halt, Gott sei’s geklagt, so unbedachtsam schreiben, wie ich spreche. Das Ende davon war: unsere Nachforschungen waren alle umsonst, und ich reiste mit Miss Vanstone und ihrer Dienerin bis zu unserm Haltepunkte auf der Eisenbahn hierher. Ich denke die Tyrrels zu besuchen, wenn ich das nächste Mal in London bin. Ich habe wirklich die Familie unverantwortlich lange arg vernachlässigt.

Hier bin ich mit meinem dritten Briefbogen fertig! Ichs nehme nicht oft die Feder zur Hand; aber wenn ich es einmal thue, so wirst Du mir Recht geben, daß ich mich eben nicht sehr beeile, sie wieder wegzulegen. Denke von dem Uebrigen in meinem Briefe, was Du willst: aber überlege, was ich Dir von Mrs. Lecount gesagt habe, und vergiß nicht, daß die Zeit von Wichtigkeit ist.

Immer der Deinige,

George Bartram.

II
Nora Vanstone an Miss Garth

Portland-Platz.
Meine liebe Miss Garth!

Noch mehr Kammer, noch mehr vergebliche Hoffnungen! Ich bin eben von Aldborough zurück, ohne eine Entdeckung gemacht zu haben. Magdalene ist noch immer für mich verloren.

Ich kann dies neue Scheitern meiner Hoffnungen keineswegs einem Mangel an Ausdauer und Umsicht beimessen, den ich mir beim Anstellen der nöthigen Nachforschungen etwa zu Schulden kommen ließ. Meine Unerfahrenheit in solchen Dingen wurde sehr freundlich und unerwarteter Weise durch Mr. George Bartrams Beistand unterstützt. Durch ein seltsames Zusammentreffen war auch er gerade in Aldborough anwesend und stellte Nachforschungen nach Mr. Noël Vanstone an, ganz zu derselben Zeit, wo ich dort war und nach Magdalenen forschte. Er schickte mir seine Karte zu und da, als ich den Namen sah, mir einfiel, daß er mein Cousin sei, wenn ich ihn so nennen darf, dachte ich, daß es nicht unschicklich sei, ihn zu sehen und ihn um seinen Rath zu bitten. Ich unterließ es um Magdalenens willen, in Einzelheiten einzugehen, und machte daher keine Anspielung auf den Brief von Mrs. Lecount, welchen Sie statt meiner beantworteten. Ich sagte ihm nur, daß Magdalene vermißt werde und zuletzt aus Aldborough von sich hören gelassen habe. Die freundliche Theilnahme, welche er dadurch, daß er sich ganz meinem Beistande widmete, an den Tag legte, ist über alle Beschreibung. Er behandelte mich in meiner verzweifelten Lage mit einer Zartheit und einer Achtung, welche ich in dankbarem Herzen nimmer vergessen werde, wenn er auch vielleicht längst selber unser zufälliges Zusammentreffen aus der Erinnerung verloren haben wird. Er ist noch jung – nicht älter als dreißig, sollte ich meinen. In Gesicht und Gestalt erinnert er mich ein wenig an das Bild meines Vaters auf Combe-Raven, ich meine das Bild im Speisesaale von meinem Vater, als er ein junger Mann war.

So nutzlos, wie unsere Nachforschungen waren, so liegt doch ein Ergebniß vor, das einen wunderbaren und tiefen Eindruck aus meinen Geist hinterlassen hat.

Es scheint, daß Mr. Noël Vanstone kürzlich eine junge Dame, Namens Bygrave, die er in Aldborough getroffen hatte, geheirathet hat, und zwar unter geheimnißvollen Umständen. Er ist mit seiner Gattin weggegangen, ohne Jemand außer seinem Advocaten zu sagen, wohin. Dies hörte ich von Mr. George Bartram, welcher bemüht war, seine Spur ausfindig zu machen, um ihm die Nachricht von der schweren Erkrankung seiner Haushälterin mitzutheilen, welche letztere beiläufig dieselbe Mrs. Lecount ist, deren Brief Sie beantworteten. So weit ist Nichts, werden Sie vielleicht sagen, was ein besonderes Interesse für uns Beide haben könnte. Allein ich meine, Sie werden so erstaunt sein, als ich es war, wenn ich Ihnen sage, daß die von den Leuten zu Aldborough gegebene Beschreibung von Miss Bygrave sehr anffallend und unerklärlich der Beschreibung von Magdalenens Aeußern ähnlich ist.

Diese Entdeckung, zusammengehalten mit all den uns bewußten Umständen, hat auf meinen Geist einen Eindruck gemacht, den ich Ihnen nicht beschreiben kann, den ich mir selbst nicht klar zu machen wage. Ich bitte, kommen Sie und besuchen Sie mich! Ich habe mich nie so unglücklich gefühlt um Magdalenens willen, als gerade jetzt. Die Anstrengung muß meine Nerven auf wunderbare Weise zerrüttet haben. Ich fühle die trübsten Ahnungen wegen der geringfügigsten Dinge. Diese zufällige Aehnlichkeit einer ganz fremden Person mit Magdalenen erfüllt mich in manchen Augenblicken mit ganz entsetzlichen Ahnungen, lediglich weil Mr. Noël Vanstones Name zufällig damit in Verbindung gebracht ist. Noch einmal, ich bitte, kommen Sie zu mir – ich habe Ihnen so viel zu sagen, daß ich weder im Stande bin, noch wage, es dem Papiere anzuvertrauen.

Dankbar und herzlich die Ihrige,

Nora.

III
Mr. John Loscombe, Anwalt, an George Bartram Esq

London, Lincoln’s Inn,
den 6. September 1847.
Mein Herr!

Ich bekenne mich zum Empfang Ihres Billets mit dem Einschluß eines Briefes an meinen Clienten Mr. Noël Vanstone und Ihrem Ersuchen, daß ich selbigen an Mr. Vanstones gegenwärtige Adresse befördern möchte.

Seitdem ich das letzte Mal das Vergnügen hatte, mit Ihnen über diesen Gegenstand zu verhandeln, ist meine Stellung zu meinem Clienten eine ganz andere geworden. Drei Tage sind es her, da erhielt ich einen Brief von ihm, welcher seine Absicht aussprach, seinen Aufenthaltsort den nächstfolgenden Tag verändern zu wollen, mich aber betreffs der Gegend, wohin er die Absicht hatte sich zu wenden, ganz in Unkenntniß ließ. Ich habe seitdem Nichts wieder von ihm gehört, und da er vorher eine größere Stimme als gewöhnlich bezogen hatte, so liegt keine augenblickliche Notwendigkeit vor, wieder an mich zu schreiben, wenn man nämlich annehmen darf, daß es sein Wunsch ist, seinen Aufenthaltsort vor Jedermann, mich eingeschlossen, verborgen zu halten.

Unter diesen Umständen halte ich es für das Beste, Ihnen Ihren Brief zurückzusenden mit der Versicherung, daß ich es Ihnen zu wissen thun werde, wenn ich wieder in der Lage sein sollte, denselben an seine Bestimmung befördern zu können.

Ihr ergebener Diener,

John Loscombe.

IV
Nora Vanstone an Miss Garth

Portland-Platz.
Meine liebe Miss Garth!

Vergessen Sie den Brief, den ich Ihnen gestern schrieb, und all die trüben Ahnungen welche er enthält. Die Frühpost von heute hat mir neues Leben gegeben: ich habe von Magdalenen gehört!

Der Brief ist sehr kurz, er scheint in Eile geschrieben zu sein. Sie sagt, sie habe seit einigen Nächten von mir geträumt, und ihre Träume hätten sie besorgt gemacht, daß ihr langes Schweigen mir ihretwegen mehr Kummer gemacht habe, als sie werth sei.

Sie schreibe daher, daß sie munter und wohl sei, daß sie hoffe, mich ehestens zu sehen, und daß sie mir, wenn wir zusammen sein würden, Etwas zu sagen habe, was meine schwesterliche Liebe zu ihr stärker als Etwas je zuvor auf die Probe stellen werde. Der Brief trägt kein Datum; aber das Postzeichen ist:

ALLONBY,

welches, wie ich nach Zuratheziehung des Zeitungslexikons gefunden habe, ein kleines Seebad in Cumberland ist. Es ist keine Hoffnung, daß ich wieder zurückkehren kann; denn Magdalene sagt ausdrücklich, daß sie am Vorabend ihrer Abreise von ihrem gegenwärtigen Aufenthalte stehe und nicht sagen könne, wohin sie zunächst gehen werde, noch Anweisung hinterlassen, wie ihr etwaige Briefe nachgeschickt werden könnten.

In glücklicheren Zeiten würde ich diesen Brief noch lange nicht für einen befriedigenden gehalten haben, und ich würde ernstlich beunruhigt gewesen sein, durch jene Anspielung auf eine künftige vertrauliche Mittheilung von ihrer Seite, welche meine Liebe zu ihr mehr denn je auf die Probe stellen solle. Allein nach all der Herzenspein, die ich erduldet, scheint das Glück, ihre Handschrift wiederzusehen, mein Herz zu erfüllen und alle anderen Gefühle daraus zu verbannen. Ich schicke Ihnen nicht ihren Brief, da ich weiß, daß Sie mich bald besuchen werden, und ich mir die Freude gönnen muß, zu sehen, wie Sie ihn lesen.

Ihre immerdar herzlich zugetane

Nora.

NS. George Bartram machte heute Besuch bei Mrs. Tyrrel. Er bestand darauf, zu den Kindern geführt zu werden. Als er fort war, lachte Mrs. Tyrrel in ihrer gutmüthigen Weise und sagte, daß sein Eifer, die Kinder zu sehen, in ihren Augen sehr darnach aussähe, als wolle er nur mich sehen. Sie können denken, wie sehr mein Geist sich erheitert, wenn ich meine Feder anwenden kann, solchen Unsinn niederzuschreiben!