Kostenlos

Namenlos

Text
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

– Steckt Ihr niemals Feuer an diesem abscheulichen Orte an? frug Magdalene.

–Es kommt ganz darauf an, auf welcher Seite des »Knochenkälter« Seine Gnaden der Admiral wohnt – sagte der alte Mazey. Seine Gnaden liebt sein Quartier manchmal auf die eine, manchmal auf die andere Seite des Hauses zu verlegen. Wenn er im Norden des Knochenkälters wohnt, woher Du just kommen bist, so verschwenden wir unsere Kohlen hier nicht. Wohnt er aber südwärts des Knochenkälters, wohin wir demnächst uns wenden, so stecken wir das Feuer in dem Kamin und die Kohlen auf dem Becken an. Jede Nacht, wenn wir das thun, wird die Feuchtigkeit über uns Herr, jeden Morgen kommen wir wieder und werden der Feuchtigkeit Herr.

Mit dieser merkwürdigen Erklärung gings der alte Mazey an das untere Ende der Halle voran, machte noch mehrere Thüren auf und führte Magdalenen durch eine neue Folge von Zimmern, vier an der Zahl, alle von mäßiger Größe und allesamt in derselben Weise ausgestattet, als die Gemächer in dem nördlichen Flügel. Sie sah zu den Fenstern hinaus und erblickte die vernachlässigten Gartenanlagen von St. Crux, die von Unkraut und Brombeersträuchern überwuchert waren. Hier und da in nicht großer Entfernung in den Fluren wandte sich die sanftgebogene Linie eines der kleinen Rinnsale, wie sie der Gegend eigenthümlich waren, im Sonnenschein glitzernd, durch einzelne Blößen des Baumschlags und Brombeergesträuchs. Die weitere Ferne über dem flachen Lande im Osten war hier und da mit kleinen Dörfern besäet, von dem Netzwerk der »Hinterwasser« durchschnitten und wieder durchschnitten und plötzlich durch die lange gerade Linie des Seedammes abgeschlossen, welcher die schutzlose Küste von Essex gegen das Hereinbrechen des Meeres sicher stellt.

– Haben wir noch mehr Zimmer zu sehen? frug Magdalene, nachdem sie nach den Gärten sich umgesehen hatte, und schaute sich nach einer andern Thür um.

– Nein, keine weiter, mein Kind, wir sind hier auf den Grund gekommen, und wir können uns nun wenden und wieder umkehren, sprach der alte Mazey. Es ist noch eine andere Seite vom Hause, genau südlich von Dir, wie Du jetzt stehst, die uns bald auf den Kopf fällt. Du mußt in den Garten gehen, wenn Du sie sehen willst, sie ist an der andern Seite dieser Wand hier durch eine Ziegelsteinmauer von uns getrennt. Die Mönche wohnten genau südlich von uns, mein Kind, hunderte von Jahren, bevor Seine Gnaden der Admiral geboren wurde, oder auch nur an ihn gedacht wurde, und eine schöne Zeit dazu hatten sie, wie ich gehört habe. Sie sangen alle Morgen in der Kirche – und jeden Nachmittag, da tranken sie Grog in dem Obstgarten. Sie schliefen ihre Grogräuschchen auf den besten Federbetten aus und wurden von der Nachbarschaft dick und fett, Jahr auf, Jahr ein. Glückliche Bettler, glückliche Bettler! —

Dergestalt die Mönche anredend und offenbar bedauernd, daß er selbst nicht in jenen guten alten Zeiten gelebt hatte, führte sie der Alte wieder durch die Zimmer zurück. Auf dem Rückwege durch »Satans Knochenkälter« ging Magdalene voran.

– Sie ist so schlank wie eine Pappel, murmelte der alte Mazey vor sich hin, indem er hinter seiner jugendlichen Gefährtin drein humpelte und sein ehrwürdiges Haupt wohlgefällig hin- und herwiegte.

– Ich war nie wählerisch, welchem Volke sie angehörten, aber ich habe sie immer gern schlank und schön gewachsen gehabt und werde sie auch immer schlank und schön gewachsen gern haben bis an mein letztes Stündlein.

– Sind noch mehr Zimmer oben im zweiten Stock zu sehen? frug Magdalene, als sie zu dem Punkte zurückkehrten, von wo sie ausgegangen waren.

Der ihr von der Natur gegebene helle klare Ton der Stimme hatte sich für das schwere Gehör des alten Seemannes bisher ziemlich leicht verständlich gemacht. Zu ihrem Erstaunen wurde er plötzlich stocktaub gegen ihre letzte Frage.

– Weißt Du Deine Compaßgegenden noch? frug er. Wenn Du sie nicht mehr weißt, so stelle Dich wieder mit dem Rücken gegen die Wand, und wir wollen sie noch Mal durchgehen, von Norden angefangen.

Magdalene versicherte ihm, daß sie sich jetzt mit alle Gegenden, Norden mitgerechnet, ganz vertraut fühlte, und wiederholte sodann ihre Frage in lauterem Tone. Der Alte wich ihr eigensinnig wieder aus und wurde noch tauber als zuvor.

– Ja, mein Kind, sagte er. Du hast Recht, es ist kalt in diesen Räumen und, wenn, ich nicht zu meinem Feuer zurückkehre, wird mein Feuer ausgehen, nicht wahr? – Wennst Du in Deinen Compaßgegenden nicht mehr sicher bist, so komme nur zu mir, und ich will Dich denn wieder zurecht weisen.

Er blinzelte ihr freundlich zu, pfiff den Hunden und humpelte ab. Magdalene hörte ihn über seinen Erfolg vergnüglich kichern, den er gehabt hatte, als es galt, ihrer Neugierde betreffs des zweiten Stockes auszuweichen.

– Ich weiß, wie ich sie zu nehmen habe! sprach der alte Mazey für sich mit hohem Selbstbewußtsein. Groß oder klein, einheimisch oder fremd, Liebste oder Frau: ich weiß schon mit ihnen fertig zu werden!

Sich selbst überlassen machte Magdalene von der trefflichen Art des Seemanns seine Leute zu behandeln, für sich ihre besondere Nutzanwendung, indem sie sofort die Treppe hinaufging, um auf eigene Hand im zweiten Stock ihre Nachforschungen anzustellen er mit Steinen ausgelegte Gang war hier ganz genau ebenso, wie der im ersten Stock, nur mit dem Unterschiede, daß noch mehr Thüren sich auf denselben öffneten. Sie machte aufs Geradewohl die beiden nächsten Thüren eine nach der andern auf und entdeckte, daß beide Zimmer Schlafstuben waren. Die Besorgniß, von einem der Dienstmädchen in einem Theil des Hauses, mit welchem sie Nichts zu schaffen hatte, überrascht zu werden, verbot ihr, ihre Forschungen in dem Stockwerk der Schlafgemächer nicht gleich zu weit zu treiben. Sie eilte rasch ans Ende des Ganges, um zu sehen, wo er endigte, entdeckte, daß er in eine Rumpelkammer auslief, welche der Lage des Vorsaales eine Treppe tiefer entsprach, und wandte ihre Schritte augenblicklich wieder zurück.

Auf dem Rückwege bemerkte sie einen Gegenstand, der vorher ihrer Aufmerksamkeit entgangen war. Es war ein niederes Rollbett, das gleichlaufend mit der Wand dicht an einer der Thüren auf der Seite der Kammern stand. Trotz dieser seiner wunderlichen und unbehaglichen Stellung war das Bett offenbar Nachts von einem Schläfer benutzt, die Bettwäsche war darauf, und der Zipfel einer dicken rothen Fischermütze guckte unter dem Kopfkissen hervor. Sie wagte die Thür zu öffnen, an welche das Bett gerückt war, und befand sich, wie sie aus gewissen Zeichen und Merkmalen richtig geschlossen hatte, im Schlafgemach des Admirals. Eine Durchsicht des Zimmers von der Dauer eines Augenblicks war Alles, was sie zu wagen das Herz hatte, und sie kehrte darauf, die Thüre leise schließend, in die Küchengegend zurück.

Das Rollbett und die seltsame Stellung desselben blieben ihr den ganzen Nachmittag in Sinn und Gedanken. Wer konnte in aller Welt darin schlafen? Die Erinnerung an die rothe Fischermütze und die Kenntniß, welche sie bereits von Mazeys wahrer Hundetreue gegen seinen Herrn erlangt hatte, verhalfen ihr zu dem Schlusse, daß nur der alte Seemann der Insasse des Rollbettes sein könnte. Aber warum sollte er, da es doch Kammern vollauf und genug gab, jene kalte und trostlose Lage in der Nacht einnehmen? Warum sollte er als Wache vor seines Herrn Thüre schlafen? Gab es für die Nacht irgend eine Gefahr im Hause, vor welcher der Admiral sich fürchtete? – Die Frage schien lächerlich, und doch nöthigte die Stellung des Bettes sie ihr immer wieder unwiderstehlich auf.

Angereizt durch ihre unbezwingliche Neugierde über diesen Punkt, wagte Magdalene eine Frage an die Haushälterin. Sie bekannte, auf dem Gange im zweiten Stock von einem Ende zum andern gewandert zu sein, nur um zu sehen, ob er eben solang sei, als der im ersten Stock und erwähnte, mit Erstaunen die seltsame Stellung des Rollbettes bemerkt zu haben. Mrs Drake antwortete auf ihre versteckte Frage kurz und scharf.

– Ich will es einem jungen Mädchen, wie Du, nicht zu hoch anrechnen, sprach die alte Dame, daß es ein wenig neugierig ist, wenn es zum ersten Male in ein seltsames Haus wie dieses ist, kommt. Aber merke Dir für die Zukunft, daß Deine Arbeit nicht indem Stockwerk mit den Kammern ist. Mr. Mazey schläft in dem Bette, das Du bemerkt hast. Es ist seine Gewohnheit in der Nacht, vor seines Herrn Thüre zu schlafen.

Nach dieser magern Erklärung schlossen sich Mrs. Drakes Lippen und thaten sich nicht wieder auf.

Später am Tage fand Magdalene eine Gelegenheit, sich an den alten Mazey selbst zu wenden. Sie fand den Alten bei sehr guter Laune, wie er seine Pfeife schmauchte und sich an seinem Feuer einen Zinnkrug mit Ale wärmte.

– Mr. Mazey, frug sie kühnlich, warum stellt Ihr Euer Bett in jenen kalten Gang hinaus?

– Was, Du bist oben gewesen, Du junger Gelbschnabel? sagte der alte Mazey und sah von seinem Krug mit einem Seitenblicke auf.

Magdalene lächelte und nickte.

– Macht, hin, sagt es mir, sprach sie schmeichelnd, warum schlaft Ihr vor des Admirals Thür?

– Warum scheitelst Du Dein Haar mitten über der Stirn, mein Kind, frug der alte Mazey, mit einem zweiten Seitenblick.

– Nun ich denke, weil ich gewohnt bin, es zu thun, antwortete Magdalene.

– So, so? sagte der Alte. Also darum, he? Gut, mein Kind, der Grund, warum Du Dein Haar in der Mitte scheitelst, ist der nämliche, warum ich vor des Admirals Thür schlafe.

– Ich weiß schon, mit ihnen fertig zu werden! schmunzelte der alte Mazey, indem er wieder in sein Selbstgespräch verfiel und sein Ale mit großem Triumph rührte. Lang oder kurz, fremd oder einheimisch, Liebste oder Frau: ich weiß mit’s Frauenzimmer fertig zu werden!

Magdalenens dritter und letzter Versuch, das Geheimniß des Rollbettes zu lösen, wurde gemacht, als sie den Admiral bei Tische bediente. Die Fragen des alten Herrn gaben ihr Gelegenheit, ohne den geringsten Schein von Anmaßung oder Mißachtung auf den Gegenstand zurückzukommen. Allein derselbe erwies sich auf seine Art gerade so verschlossen, wie der alte Mazey und Mrs. Drake auf ihre Art gewesen waren.

 

– Das geht Dich Nichts an, mein Kind, sagte der Admiral etwas derb. Sei nicht neugierig. Guck in Dein Altes Testament, wenn Du hinunter gehst und siehe, was in dem Paradiesgarten durch Neugierde angerichtet worden ist. – Sei ein gutes Mädchen und mach es nicht, wie Deine Mutter Eva.

Als Magdalene spät am Abend am Ende des Ganges des zweiten Stockwerks vorbeikam, indem sie allein auf ihr Zimmerlein hinaufgehen wollte, blieb sie stehen und lauschte. Ein Schrank stand am Eingange des Corridors, um denselben den Blicken der auf der Treppe vorbeikommenden Personen zu verbergen. Das Schnarchen, das sie auf der andern Seite des Schrankes hörte, ermuthigte sie, um denselben herum zu schlüpfen und ein paar Schritte vorwärts zu schreiten. Indem sie das Licht ihres Leuchters mit der Hand verhüllte, wagte sie sich dicht an die Thür des Admirals heran und sah zu ihrem Erstaunen, daß das Bett, seit sie es am Tage gesehen hatte, so gerückt worden war, daß es quer vor der Thür stand und Jedwedem, der in des Admirals Zimmer eindringen wollte, den Weg versperrte. Nach dieser Entdeckung war der alte Mazey selbst, wie er wacker schnarchend dalag, die rothe Fischermütze tief in die Augen gedrückt und das Deckbett bis an die Nase herausgezogen, – ein Gegenstand von im Vergleich mit seinem Bett geringerer Wichtigkeit für sie. Daß der Alte wirklich als Wache vor seines Herren Thür schlief und daß er und der Admiral und die Haushälterin in das Geheimniß dieser räthselhaften Maßregel eingeweiht waren, war nun außer allem Zweifel.

– Ein seltsames Ende, dachte Magdalene, indem sie über ihre Entdeckung auf ihrem Wege nach ihrem Schlafgemach hinauf nachgrübelte. Ein seltsames Ende für einen seltsamen Tag!

Zweites Capitel

Die erste Woche verging, es verging die zweite Woche, und Magdalene war allem Anscheine nach der Entdeckung des »geheimen Artikels« noch um keinen Schritt näher, als an dem Tage, wo sie ihren Dienst auf St. Crux antrat.

Aber diese vierzehn Tage, so leer an Ereignissen sie auch waren, waren doch nicht eine verlorene Zeit. Ihre Erfahrungen hatten sie bereits in einem wichtigen Punkte befriedigt, hatten ihr gezeigt, daß sie dem eingewurzelten Mißtrauen der anderen Dienstmädchen Trotz bieten konnte, die Zeit hatte die Frauenzimmer an ihre Gegenwart im Hause gewöhnt, ohne jedoch das dunkle Gefühl zu erschüttern, das eine Jede von ihnen hatte, daß nämlich der neue Ankömmling nicht ihres Gleichen sei. Alles, was Magdalene zu ihrem eigenen Schutze thun konnte, war, das in einem dunklen Gefühl sich aussprechende weibliche Mißtrauen gegen sie auf die lediglich ablehnende Art zu beschränken, in welcher sich dasselbe von Anfang an geäußert hatte; und dies setzte sie denn auch durch.

Einen Tag wie den andern belauerten sie die Frauenzimmer mit der unermüdlichen Wachsamkeit der Bosheit und des Mißtrauens, und einen Tag wie den andern wurden sie auch nicht durch die Spur einer Entdeckung für ihre Anstrengungen belohnt. Schweigsam, verständig und fleißig, immer eingedenk seiner selbst und seiner Stellung that das neue Stubenmädchen seine Arbeit. Ihre einzigen Ruhe und Erholungsstündchen waren die im Laufe des Tages bei dem alten Mazey und seinen Hunden verlebten Augenblicke und die kostbare Ruhe der Nacht, während der sie in der Stilleinsamkeit ihres Kämmerleins vor jeder Beobachtung sicher war. Dank dem Ueberflusse von Schlafzimmern auf St. Crux hatte jedes Dienstmädchen die Wahl, wenn es ihm gefiel, in einer eigenen Kammer zu schlafen. —

In der Nacht allein auf ihrem Zimmer konnte Magdalene wagen, wieder sie selber zu sein, konnte von der Vergangenheit träumen und aus ihren Träumen erwachen, ohne neugierigen Augen zu begegnen, die hätten sehen können, daß sie in Thränen war, konnte über die Zukunft sinnen, ohne von einem Flüstern in Winkeln aufgeschreckt zu werden, das sie sofort mit dem Verdachte zeichnete, »sie führe Etwas im Schilde«

Soweit durch die vollkommene Sicherheit ihrer Stellung im Hause befriedigt, zog sie sodann noch einen zweiten Nutzen aus ihrer Lage, welcher ihrem Geiste allen Zweifel betreffs der Mrs. Lecount benahm.

Theilweise aus dem gelegentlichen Geplauder der Mägde bei Tische in der Gesindestube, theils aus einer angestrichenen Stelle in einer schweizerischen Zeitung, welche sie eines Morgens auf dem Lehnstuhle des Admirals aufgeschlagen gefunden hatte, erhielt sie die willkommene Gewißheit, daß diesmal keine Gefahr zu fürchten war von einem Erscheinen der Haushälterin auf der Scene. Lecount hatte, wie es sich herausstellte, nach dem Tage, wo ihr Herr starb, noch eine Woche oder drüber auf St. Crux gewohnt und dann England verlassen, um an ihrem Geburtsorte von den Zinsen ihres Vermächtnisses in ehrenvoller und behäbiger Zurückgezogenheit zu leben. Die Stelle in der schweizerischen Zeitung schilderte die Ausführung dieses löblichen Vorsatzes. Mrs. Lecount hatte sich nicht nur in Zürich zur Ruhe gesetzt, sondern – wohlweislich der Ungewißheit des Lebens eingedenk bereits die wohlthätigen Zwecke festgestellt, zu welchen ihr Vermögen nach ihrem Tode angewendet werden sollte. Die eine, Hälfte desselben war zur Gründung eines »Lecount-Freitisches« für arme Studenten an der Universität Genf bestimmt, die andere Hälfte sollte vom Stadtrathe zu Zürich zum Unterhalt und zur Erziehung einer gewissen Anzahl von Waisenkindern weiblichen Geschlechts, gebürtig aus der Stadt, verwendet werden, welche in späteren Jahren zu Dienstmädchen angelernt werden sollten. Die schweizerischen Blätter erwähnten dieser menschenfreundlichen Stiftungen in Ausdrücken des ausbündigsten Lobes. Zürich wurde um den Besitz eines solchen Ausbundes von Gemeinsinn beglückwünscht, und Wilhelm Tell in seiner Eigenschaft als Befreier der Schweiz nicht eben zu seinem Vortheil mit Mrs. Lecount verglichen.

Die dritte Woche begann, und erst jetzt erhielt Magdalene Gelegenheit, ihren ersten weiteren Schritt zur Entdeckung des Geheimartikels zu thun.

Sie erfuhr vom alten Mazey, daß es seines Herrn Gewohnheit sei, in den Winter- und Frühjahrsmonaten die Zimmer im nördlichen Flügel zu bewohnen und während des Sommers und Herbstes die Nordpolfahrt durch »Satans Knochenkälter« zu bestehen und in den östlichen Gemächern, welche auf den Garten hinausgingen, zu wohnen. Wie nun einmal die Banquethalle wegen der unzureichenden Geldmittel des Admirals in ihrem feuchten und wüsten Zustande blieb und das Innere von St. Crux dergestalt unbequem in zwei getrennte Wohnungen getheilt war, so konnte füglich keine passendere Anordnung als diese getroffen werden. Dann und wann kamen – wie Magdalene ebenfalls von ihrem Gewährsmanne herauslockte – Tage im Winter und Sommer, wo der Admiral, um den Zustand der Gemächer, welche er zur Zeit unbewohnt ließ, besorgt wurde und wo er es sich nicht nehmen ließ, in eigener Person die Möbel, die Bilder und die Bücher zu untersuchen. Bei solchen Gelegenheiten wurde im Sommer wie im Winter ein paar Tage vorher in dem großen Kamin ein helles Feuer angezündet und wurden die Kohlen auf der Dreifußpfanne angesteckt, um die Banquethalle so warm zu machen, als die Umstände es zuließen. Sobald dann die Besorgnisse des alten Herrn wieder beruhigt waren, wurden die Zimmer wieder verschlossen, und »Satans Knochenkälter« war wieder auf Wochen und abermals Wochen hinaus der Feuchtigkeit, der Verödung und dem Verfalle preisgegeben. Der letzte dieser zeitweiligen Wanderzüge hatte erst wenige Tage vorher stattgefunden, der Admiral hatte sich vergewissert, daß die Zimmer im östlichen Flügel durch die Abwesenheit ihres Bewohners nicht schlechter geworden, und man konnte nun mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß er in dem nördlichen Flügel auf Wochen, und vielleicht wenn die Jahreszeit streng war, auf Monate hinaus festsitzen werde.

So geringfügig diese Einzelheiten auch an sich sein mochten, so hatten sie doch für Magdalenen eine ernste Bedeutung; sie verhalfen ihr dazu, das Gebiet ihrer Nachforschungen schärfer zu begrenzen. Indem sie annahm, daß der Admiral wahrscheinlich alle seine wichtigen Urkunden bequem zur Hand zu haben wünschte, konnte sie sich überzeugt halten, daß der Geheimartikel in einem oder dem andern Zimmer des nördlichen Flügels aufbewahrt wurde.

Aber in welchem Zimmer? —

Diese Frage war nicht leicht zu beantworten.

Von den vier— wohnbaren Zimmern, welche am Tage alle dem Admiral zur Verfügung standen, das heißt, das Speisezimmer, die Bibliothek, das Morgenzimmer und das Gastzimmer, das auf den Vorsaal hinausging, schien die Bibliothek dasjenige Gemach zu sein, in welchem er, wenn er ja einem den Vorzug gab, den größten Theil seiner Zeit zubrachte.

In diesem Zimmer war ein Tisch mit Schubkästen, die verschlossen waren; ferner waren da ein italienischer Schrank mit Thüren, die verschlossen waren, außerdem fünf Wandschränke unter den Bücherständern, von denen auch jeder verschlossen war. Es waren auch in den anderen Zimmern ähnlich verwahrte Verschlüsse, und in allen oder manchen von diesen konnten Papiere aufbewahrt sein.

Sie war wohl auf seinen Ruf erschienen und hatte ihn bald in dem einen, bald in dem andern Zimmer Schränke aufschließen und Schränke zuschließen sehen, am öftersten in der Bibliothek. Sie hatte gelegentlich bemerkt, wie sein Gesicht ärgerlich und ungeduldig war, wenn er sich von einem offenen Schranke oder Schubkasten nach ihr umsah und seine Befehle ertheilte, und schloß daraus, daß irgend Etwas in Beziehung auf diese seine Papiere und Besitzstücke – mochte es nun der Geheimartikel sein oder nicht – ihn von Zeit zu Zeit reizbar und Verdrießlich machte. Sie hatte ihn mehr als ein Mal Etwas in einem der Zimmer verschließen, dann herauskommen und in ein anderes gehen, daselbst einige Minuten bleiben, dann ins erste Zimmer mit den Schlüsseln in der Hand zurückkehren und hastig die Schlösser mustern und probieren hören. Diese krankhafte Aengstlichkeit betreffs seiner Schlüssel und Schränke konnte die Folge der angeborenen Unruhe seines Charakters, wie sie durch die zweck- und ziellose Muße eines Lebens ohne Amt und Beschäftigung, eines Lebens, das ohne eine regelmäßige Arbeit für irgend eine gewisse Stunde des Tages sich zwischen Kleinigkeiten hin- und hertrieb, bei einem von früh auf an Thätigkeit sehr gewohnten Manne nur noch verstärkt werden mußte, sein. Auf der andern Seite war es ebenso wahrscheinlich, daß dieses Kommen und Gehen, dies Auf- und Zuschließen dem Vorhandensein einer geheimen anvertrauten Sorge zuzuschreiben war, welche unerwarteter und ungebetener Weise in das Leben des alten Herrn, das bisher so frei dahin floß, eingetreten war, und welche ihn nun durch ein drückendes Gefühl quälte, das ihm in seinen späteren Lebensjahren ganz neu war. Die eine von diesen Erklärungen konnte für sein Benehmen einen gerade so guten Grund anführen, als die andere. Welches nun aber die richtigere Erklärung war, das war Magdalenen unmöglich, wie die Dinge jetzt standen, anzugeben.

Zu der einen gewissen Entdeckung, welche sie machte, gelangte sie durch die Beobachtung seines Treibens am ersten Tage. Der Admiral war ein peinlich sorgfältiger Mann in der Bewährung seiner Schlüssel.

Alle kleineren Schlüssel trug er an einem Ringe in der Brusttasche seines Rockes. Die größeren schloß er zusammen ein, meistens aber nicht regelmäßig in einen der Schubkästen des Tisches im Bibliothekzimmmer. Manchmal ließ er sie des Nachts auf diese Weise verwahrt, manchmal nahm er sie in einem kleinen Korbe mit sich hinauf in die Kammer. Er hatte keine regelmäßige Zeiten, um sie dort zu lassen oder mit fort zunehmen.

Er hatte. keinen erkennbaren Grund dafür, daß er dieselben bald in dem Tischkasten in der Bibliothek bewahrte, bald an einem andern Orte verschloß. Die ihm zur Gewohnheit gewordene Laune und der Eigensinn, die sich in seinen Handlungen aussprachen, machten in den gegebenen Fällen jede Bemühung zu Schanden, dieselben auf feste Regeln zurückzuführen, und spotteten aller Versuche, dieselben etwa gar vorausberechnen zu wollen.

Die Hoffnung, durch künstliche Schlingen, die ihm während seines Geplauders gelegt wurden, eine sichere Unterlage und einen gewissen Anhalt für weitere Maßregeln zu gewinnen, erwies sich von Anbeginn als eitel.

In der Stellung, in welcher sich Magdalene ihm gegenüber befand, würden alle Versuche dieser Art schon jedem Manne gegenüber im höchsten Grade mißlich und gefährlich gewesen sein. Dem Admiral gegenüber waren sie schlechterdings unmöglich. Sein Hang, von einem Gegenstand auf den andern überzuspringen, seine Gewohnheit, seine Zunge immerfort gehen zu lassen, so lange nur Jemand, gleichviel wer, im Bereiche seiner Stimme war, sein komischer Mangel an Würde und Zurückhaltung gegenüber seinen Dienstboten, waren auf den ersten Anblick vielversprechend, in der Wirklichkeit kam aber rein gar Nichts dabei heraus. Magdalene mochte so arglos, so ehrerbietig, als sie wollte, Miene machen, ihres Herrn Beispiel und seine offenbare Vorliebe für sie zu benutzen: der alte Herr bemerkte sofort ihr Herausgehen aus ihrer Stellung und wies sie auch sofort wieder dahin zurück; freilich in einer so gut gelaunten Art, daß man ihm darob nicht böse sein konnte; aber doch mit so unzweideutiger Festigkeit der Absicht, daß ein Ausweichen nicht möglich war. So widersinnig es auch klingen mag: der Admiral war zu vertraulich, als daß man ihm zu nahe kommen konnte; er hielt die zwischen ihm und feinen Dienstboten bestehende Kluft wirksamer inne, als wenn er der stolzeste Mann in England gewesen wäre. Die genau berechnete Zurückhaltung eines Obern gegenüber einem Untergebenen kann gelegentlich wohl einmal nachlassen, niemals aber die genau berechnete Vertraulichkeit.

 

Die Zeit rückte langsam vorwärts. Die vierte Woche kam heran, und Magdalene hatte noch keine neuen Entdeckungen gemacht. Die Aussicht war im höchsten Grade niederschlagend. Sogar in dem glücklichen Falle auf den sie sich jedoch allem Anscheine nach keine Rechnung machen durfte – in dem Falle, daß sie ein Mittel entdeckte, in den Besitz von des Admirals Schlüsselbund zu gelangen, konnte sie nicht darauf rechnen, dieselben, ohne Verdacht zu erwecken, länger als wenige Stunden in ihren Händen zu behalten, Stunden noch obendrein, welche sie sich durchaus nicht ordentlich zu nutze machen konnte, da sie nicht wußte, wo sie ihre Nachforschungen beginnen sollte. Der Geheimartikel konnte in einem von den etlichen zwanzig Verschlüssen für Papiere, die in vier verschiedene Zimmer vertheilt waren, verwahrt sein. Und welches war das Zimmer, in das man mit der größten Wahrscheinlichkeit sehen, welcher Verschluß versprach das Meiste, mit dem man also beginnen konnte, welche Lage unter den Haufen Papieren konnte das eine Papier, das man so nöthig brauchte, füglich einnehmen? – Sie war nicht im Stande sich diese Frage zu beantworten. Auf allen Seiten durch unberechenbare Ungewißheit gehemmt, – verurtheilt zu dem Loose, blindlings umher zu tappen in der unmittelbaren Nähe des erwünschten Zieles und Gegenstandes, harrte sie auf den glücklichen Zufall, der niemals kam, auf das Ereigniß, das niemals eintrat, mit einer Geduld, welche bereits in die dumpfe Ergebung der Verzweiflung überzugehen drohte.

Nacht für Nacht blickte sie zurück auf die entschwundenen Tage; aber kein Ereigniß war ihr erinnerlich, das einen vor den andern ausgezeichnet hätte. Die einzigen Unterbrechungen in der trübseligen Einförmigkeit des Lebens auf St. Crux wurden durch die sehr bezeichnenden Vergehen des alten Mazey und der Hunde hervorgebracht.

In gewissen Zwischenräumen brach bei Brutus und Cassius die angeborene Wildheit ihrer Naturen wieder hervor. Die bescheidene Bequemlichkeit des Lebens im Hause, die würzigen Genüsse der Leckergerichte, das wohlige Verdauen auf den Decken vor dem Herde: Alles verlor seinen Reiz für sie, und die Köter verließen undankbar das Haus, um in der Außenwelt, auf Kurzweil und Abenteuer auszuziehen.

Bei diesen Gelegenheiten wurde die stehende Redensart nach Tische, das einsilbige Frage- und Antwortspiel zwischen dem alten Mazey und seinem Herrn, in einem Punkte ein wenig anders.

– Gott erhalte die Königin, Mazey!

und

– Wie geht der Wind, Mazey?

Diese bekannten Aussprüche erhielten einen Nachsatz:

– Wo sind die Hunde, Mazey?

– Hinaus ins Freie, Euer Gnaden, daß der Satan sie bei der Leine nähme! war des Veteranen nie fehlende Antwort.

Der Admiral seufzte dann alle Mal und schüttelte wohl auch ernst sein altes graues Haupt bei solcher Nachricht, als ob Brutus und Cassius schier seine Söhne gewesen wären, welche ihn lieblos behandelt hätten. Nach Verlauf von zwei bis drei Tagen kamen die Hunde stets zurück, abgetrieben, schmutzig und gründlich über sich zerknirscht Für den ganzen folgenden Tag wurden sie zur Strafe unweigerlich angebunden. Den dritten Tag wurden sie rein gescheuert und feierlich wieder in den Speisesaal und die menschliche Gesellschaft zugelassen. Dort erhielt die Zucht durch die zarte Vermittlung der Tunkschüssel wieder die Oberhand über sie, und die verlorenen Sohne des Admirals ließen, wenn sie die Deckel abheben sahen, wieder so reichlich Speichel fließen, wie je zuvor.

Der alte Mazey seinerseits erwies sich manchmal ebenso unrühmlich zu Ausschreitungen geneigt, als die Hunde. In Zwischenräumen brach auch bei ihm die ursprüngliche Wildheit seiner Natur aus, auch er verlor allen Geschmack für die bequeme Häuslichkeit und verließ undankbar das Haus. Er verschwand gewöhnlich Nachmittags und kehrte in der Nacht so betrunken heim, als Branntwein nur machen konnte. Er war nachgerade ein zu seetüchtiges Schiff geworden, als daß er bei diesen Gelegenheiten Schadennehmen konnte. Seine steif und morsch gewordenen alten Beine mochten manchmal wunderliche Kreuz- und Querfahrten machen, um vorwärts zu kommen; aber sie versagten ihm nie den Dienst; seine schlechten alten Augen sahen vielleicht Alles doppelt; aber sie ließen ihn doch den Heimweg finden.

Die Dienstmädchen konnten sich die größte Mühe geben, wie sie wollten: sie konnten ihm doch niemals einreden, daß er betrunken sei; er wies jedes mal die Anschuldigung mit Unwillen zurück. Er ließ den Gedanken nicht einmal sich selber insgeheim beikommen, ehe er nicht eine unfehlbare Probe seiner Erfindung an sich vorgenommen hatte.

Es war bei diesen Fällen starker Bacchushuldigungen seine Gewohnheit, eigensinnig auf seine Stube im Erdgeschoß zu humpeln, das Schiffsmodell von Kaminrücken zu nehmen und zu sehen, ob er mit der nie zu Stande gebrachten Arbeit des Aufsetzens des Takelwerks zu Rande käme. Wenn er die kleinen Rahe zerbrochen und die zarten Taue zerrissen hatte, dann – aber nicht eher – gab der Alte die Thatsachen, wie sie lagen, auf Grund des Augenbeweises zu.

– Ei, ei! pflegte er vertraulich zu sich selber zu sagen. Die Frauenzimmer haben Recht, – wieder betrunken, Mazey, – wieder betrunken!

War er zu dieser Entdeckung gelangt, so war er so schlau, in den unteren Räumen des Hauses zu warten, bis der Admiral in seinem Schlafzimmer war, stieg dann in Pantoffeln, die kein Geräusch machten, hinauf auf seinen Posten. Zu vorsichtig, als daß er versucht hätte, in sein Rollbett zu steigen, wodurch er nur Gefahr gelaufen wäre, gegen seines Herrn Thür zu fallen, ging er immer bedächtig den Gang auf und nieder. Mehr denn einmal hatte Magdalene um den Schrank herumgeschaut und den alten Matrosen sehr unruhig seine Wache halten und sich noch einmal auf seinen Posten an Bord des Schiffes zurückversetzen sehen.

– Das ist doch ein merkwürdig lebhaftes Fahrzeug auf der See, pflegte er halblaut zu Murmeln, wenn seine Beine ihn im Zickzack den Gang hinunter trugen oder ihn für einen Augenblick nach seiner eigenen Anweisung mit dem Rücken gegen die Wand die Compaßgegenden studieren ließen.

– Eine dreckige Nacht, merke ich, pflegte er dann wohl weiter zu brummen, indem er sich abermals in Bewegung setzte So dunkel wie Deine Tasche, und der Wind kommt uns wieder aus demselben Loche entgegen…

Den nächsten Tag wurde der alte Mazey, wie die Hunde, zur Strafe unten gelassen. Den zweit folgenden Tag wurde er aber wie die Hunde wieder zu seinen Vorrechten gelassen, und die stehende Redensart nach Tische wurde aufs Neue verändert. Beim Eintritt ins Zimmer blieb der alte Seemann sogleich stehen und brachte in folgender kurzen, aber bündigen Redewendung mit dem Rücken gegen die Thür seine Entschuldigung vor.