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II
Mr. Pendril an Miss Garth

Searle-Street,
den 4. Januar 1848.
Liebe Miss Garth!

Von Mrs. Noël Vanstone selbst habe ich Nichts gehört. Aber ich habe erfahren, seitdem ich Sie sprach, daß der Bericht von der Lage, in welche sie durch den Tod ihres Mannes gekommen ist, als zuverlässig betrachtet werden kann. Kein Vermächtniß irgend einer Art ist ihr hinterlassen worden. Ihr Name ist nicht ein einziges Mal in ihres Mannes Testament erwähnt.

Bei dem Stande unserer Kenntniß von der Sache können wir uns nicht verhehlen, daß dieser Umstand uns neue Schwierigkeiten zu bereiten droht, vielleicht sogar neuen Kummer. Mrs. Noël Vanstone ist nicht die Frau, welche sich dem gänzlichen Umsturz all ihrer Pläne und all ihrer Hoffnungen fügen wird, ohne einen verzweifelten Widerstand zu leisten. Gerade die Thatsache, daß seit dem Tode ihres Gatten durchaus Nichts wieder von ihr gehört worden ist, bereitet mich im Geiste auf ein neues bevorstehendes Unheil vor. In ihrer Lage und mit ihrem Charakter muß ich, je ruhiger sie ist, desto bestimmter ein für alle Mal für die Zukunft mißtrauen Es ist ganz unmöglich zu sagen, zu welchen gewaltsamen Schritten ihre gegenwärtige Noth sie treiben mag. Es ist unmöglich, uns vor einem öffentlichen Aergerniß sicher zu fühlen, das sie dies Mal geben kann und das ihre unschuldige Schwester ebenso sehr berühren dürfte, als sie selber. Ich weiß, Sie werden den Beweggrund nicht mißdeuten, der mich veranlaßt hat, diese Zeilen zu schreiben. Ich weiß, Sie werden nicht denken, daß ich unbedacht genug bin, Ihnen unnöthige Unruhe zu verursachen. Mein aufrichtiger Wunsch, jene glückliche Aussicht verwirklicht zu sehen, auf die Sie in Ihrem Briefe hindeuten, hat mich veranlaßt, weit weniger zurückhaltend als ich sonst wohl gewagt haben würde, an Sie zu schreiben. Ich ersuche Sie aufs Dringendste Ihren Einfluß bei jeder Gelegenheit, wo Sie denselben füglich ausüben können, dahin geltend zu machen, daß die aufblühende Neigung unterstützt und außer Bereich etwaiger kommender Ereignisse gestellt werde, sobald Sie eben in der Lage sind, Dies zu thun. Wenn ich Ihnen sage, daß das Vermögen, welches man Mrs Noël Vanstone geraubt hat, ganz und gar dem Admiral Bartram vermocht worden ist, und wenn ich hinzufüge, daß Mr. George Bartram seines Oheims muthmaßlicher Erbe ist, so werden Sie wohl – denke ich – zugeben, daß ich Ihnen nicht ohne guten Grund einen Wink gebe.

Ihr ganz getreuer

William Pendril.

III
Admiral Bartram an Mrs. Drake
(Haushälterin auf St. Crux.)

St. Crux,
den 10. Januar 1848.
Werthe Mrs. Drake!

Ich habe Ihren-Brief aus London erhalten, welcher besagt, daß Sie endlich ein neues Stubenmädchen für mich gefunden haben, und daß das Mädchen bereit ist, mit Ihnen nach St. Crux zurückzukehren, sobald Ihre anderen Geschäfte in der Stadt Ihnen zurückzukommen erlauben.

Diese Anordnung muß allsogleich geändert werden aus einem Grunde, den es mich von Herzen schmerzt, niederschreiben zu müssen.

Die Krankheit meiner Nichte, Mrs. Girdlestone, welche anfänglich so leicht zu sein schien, daß sie Niemand von uns beunruhigte, selbst den Arzt mit eingeschlossen, – ist zu einem traurigen Ende gekommen. Ich erhielt heute früh« die erschütternde Nachricht von ihrem Ableben. Ihr Gemahl soll vor Schmerz dem Wahnsinn nahe sein. Mr. George ist bereits zu seinem Schwager gereist, um die letzten traurigen Pflichten zu erfüllen, und ich muß ihm folgen, ehe das Begräbniß stattfindet. Wir haben vor, Mr. Girdlestone dann mit wegzunehmen und zu versuchen, was der Wechsel des Orts und neue Scenen für Eindruck auf ihn hervorbringen. Unter diesen traurigen Umständen muß ich vier bis sechs Wochen wenigstens von St. Crux wegbleiben – Das Haus wird zugeschlossen bleiben, und das neue Mädchen wird vor meiner Rückkehr nicht gebraucht werden.

Sie werden daher dem Mädchen nach Empfang dieses Briefes sagen, daß ein Todesfall in der Familie eine augenblickliche Veränderung in unserer Einrichtung bewirkt hat. Wenn sie bereit ist zu warten, so können Sie dieselbe ruhig in Dienst nehmen, um binnen sechs Wochen hier anzuziehen. Ich werde dann zurück sein, wenn Mr. George es nicht ist. Wenn sie sich weigert, so zahlen Sie ihr eine Entschädigung, wie es billig ist, und seien Sie dann fertig mit ihr.

Ihr

Arthur Bartram.

IV
Mrs. Drake an Admiral Bartram

Den 11. Januar.
Hochgeehrter Herr!

Ich hoffe morgen mit meinen Geschäften zu Ende und in St. Crux zurück zu sein, schreibe aber, um Ihnen Besorgnisse zu ersparen, im Fall ich aufgehalten werde.

Dasjenige Frauenzimmer, das ich in Dienst genommen – Louise heißt es – ist bereit seine Zeit abzuwarten; seine gegenwärtige Herrin, welche für dessen Fortkommen besorgt ist, will während der Zwischenzeit für dasselbe sorgen. Sie ist einverstanden, daß sie in sechs Wochen von heute an gerechnet, als am fünfundzwanzigsten Februar, ihren neuen Dienst antritt.

Indem ich bei dem traurigen Verlust, der Ihre Familie heimgesucht hat, den Ausdruck meines achtungsvollsten Beileides zu genehmigen bitte, verharre ich,

Hochgeehrter Herr,

Ihre ergebene Dienerin,

Sophie Drake.

Dreizehntes Buch
Auf St. Crux

Erstes Capitel

– Dies ist das Zimmer, wo Du schlafen wirst. Leg Dich zeitig nieder und komm dann wieder in mein Zimmer herunter. Der Admiral ist zurück, und Du wirst ihn heute zum ersten Male bei Tisch zu bedienen haben.

Mit diesen Worten machte Mrs. Drake, die Haushälterin, die Thür zu, und das neue Stubenmädchen war auf seinem Schlafzimmer zu St. Crux allein.

Dieser Tag war der ereignißvolle fünfundzwanzigste – Februar. In knapp vier Monaten von der Zeit an, wo Mrs. Lecount die Weisung ihres Herrn seinem Testamentsvollstrecker in die Hand gegeben hatte, war gerade die Fügung von Umständen, der vorzubeugen dessen erster und vornehmster Zweck gewesen war, jetzt eingetreten. Mr. Noël Vanstones Wittwe und Admiral Bartrams geheimer Artikel waren unter ein und demselben Dache. Soweit hatten sich die Verhältnisse ohne alle Ausnahme zu Gunsten Magdalenens gestaltet. Soweit war der Weg, der sie nach St. Crux geführt hatte, ohne Hindernisse gewesen. Louise, deren Namen sie jetzt angenommen hatte, war vor drei Tagen mit ihrem Manne und ihrem Kinde nach Australien abgesegelt. Sie war das einzige lebende Wesen, dem Magdalene ihr Geheimniß anvertraut hatte, und sie war jetzt nicht mehr in Sieht der englischen Küste. Das Mädchen war bis zuletzt aufmerksam, pünktlich und auf das Interesse seiner Herrin aufrichtig bedacht gewesen. Sie hatte die Pein ihrer Unterredung mit der Haushälterin überstanden und keine von den Weisungen vergessen, durch die sie darauf vorbereitet war. Sie hatte selbst vorgeschlagen, den durch den Todesfall in der Familie des Admirals verursachten Aufschub sich zu nutze zu machen, indem sie mit dem äußerst wichtigen Unterricht in den häuslichen Verrichtungen fortfuhr, von deren vollkommener Aneignung das Gelingen des kühnen Wagnisses ihrer Herrin abhing. Dank der so gewonnenen Zeit hatte Magdalene, als Louisens Hochzeit vorbei und der Tag der Abreise gekommen war, bis auf die kleinste Einzelheit Alles gelernt und sich zu eigen gemacht, was ihre frühere Jungfer ihr lehren konnte. An dem Tage, wo sie über die Schwelle von St. Crux schritt, begann sie ihr verzweifeltes Wagstück, ausgerüstet mit rascher Geistesgegenwart unter allen Anforderungen, die ihr späteres Leben ihr gelehrt hatte, noch mehr gerüstet durch die angelernte Fähigkeit, die sie besaß, zur Annahme von Rollen, die nicht ihre eigenen waren, am meisten aber gerüstet durch ihre acht Wochen hindurch täglich fortgesetzte Vertrautheit mit den praktischen Erfordernissen der Stellung, welche sie auszufüllen übernommen hatte.

Sobald sie nach dem Weggang von Mrs. Drake allein war, packte sie ihren Koffer aus und zog sich für den Abend an.

Sie zog ein lavendelfarbenes Taffetkleid an, halber Traueranzug um Mrs. Girdlestone, wie es nach den Weisungen des Admirals für alle Mädchen im Hause vorgeschrieben war, dazu eine weiße Musselinschürze, eine hübsche weiße Mütze und ein Kragen mit Bändern wie das Kleid.

In dieser Dienstbotentracht, in dem einfachen glatten Kleide, das bis an den Hals hinauf ging, in dem hübschen kleinen weißen Häubchen hinten auf dem Kopfe, in dieser für alle Männeraugen, nur nicht für die Leinwandkenner einfachen Tracht, welche aber die bescheidenste und reizendste ist, die ein Weib tragen kann, entzogen sich die traurigen Veränderungen, welche innere Leiden in ihrer Schönheit hervorgebracht hatten, beinahe gänzlich der Wahrnehmung. In dem Abendanzuge einer Dame, mit ausgeschnittenem Kleide, mit ihrer in steifen Seidenstoff eher gewappneten, denn gekleideten Gestalt würde sie der Admiral in seinem Staatszimmer unbeachtet gelassen haben. In dem Abendanzuge eines Dienstmädchens konnte kein Verehrer des Schönen sie ein einzig Mal anschauen, ohne gar bald wieder den Blick auf sie zu lenken und sie zum zweiten Male anzusehen.

Als sie die Treppe herunterstieg, um nach der Stube der Haushälterin zu gehen, kam sie an den Thüren zu zwei langen Corridors vorüber, in welche sich lange Reihen von Zimmern öffneten, der eine Corridor im zweiten, der andere im ersten Stock des Hauses.

 

– Viele Zimmer! dachte sie, als sie die Thüren erblickte. Eine saure Arbeit für mich, hier zu suchen, was ich zu finden im Sinne habe!

Als sie das Erdgeschoß erreichte, begegnete ihr ein wettergebräunter alter Mann, der stehen blieb und sie mit anscheinend großem Interesse ansah. Es war derselbe Mann, den Hauptmann Wragge in dem Hintergarten auf St. Crux mit dem Schnitzen eines Schiffsmodells beschäftigt gesehen hatte. In der ganzen Nachbarschaft war er weit und breit als »des Admirals Bootsmann« bekannt. Er hieß Mazey. Sechzig Jahre hatten ihre Geschichte tüchtiger Arbeit zu Wasser und tüchtigen Trinkens zu Lande auf des Veteranen dunkles runzliges Gesicht geschrieben. Sechzig Jahre hatten seine Treue ersprobt und sein leckes altes Gerippe am Ende der Reise in seines Herrn Hause in sichern Port geführt.

Da Magdalene niemand Anderes erblickte, den sie fragen konnte, ersuchte sie den Alten, ihr den Weg zu zeigen, welcher auf das Zimmer der Haushälterin führte.

– Ich will ihn Dir zeigen, mein Täubchen, sprach der alte Mazey, indem er mit der lauten und hohlen Stimme redete, welche den Schwerhörigen eigen zu sein pflegt. Du bist das neue Mädchen, he? Weiß Gott, ein schön gewachsenes Dirnchen! Seine Gnaden der Admiral haben ein Stubenmädchen gern mit sauberm Steuerbord und Bug. Du wirst ihm recht sein, wirst ihm recht sein.

– Du darfst nicht darauf achten, was Mr. Mazey zu Dir sagt, bemerkte die Haushälterin, die ihre Thür aufmachte, als der alte Matrose mit jenen Worten Magdalenens Lob verkündigte. Er hat die Erlaubniß zu reden, wie es ihm gefällt, und er ist sehr langweilig und derb in seinen Gewohnheiten; aber er meints nicht böse.

Mit dieser Entschuldigung des Veteranen führte Mrs. Drake Magdalenen erst zu dem Speiseschranke und dann in die Wäschekammer, indem sie dieselbe mit aller sich ziemenden Förmlichkeit in ihre häuslichen Gebiete einführte. Als diese Feierlichkeit vorüber war, wurde das neue Stubenmädchen mit herausgenommen, und ihr das Speisezimmer gezeigt, das auf den Corridor im ersten Stock führte. Hier wurde sie angewiesen, zu decken und den Tisch vorzurichten für eine einzige Person – da Mr. George Bartram noch nicht mit seinem Oheim auf St. Crux zurückgekehrt war. Mrs. Drakes scharfe Augen beobachteten Magdalenen aufmerksam, wie sie diese ihre erste Obliegenheit verrichtete, und sie mußte sich, als die Tafel fertig war, überzeugt fühlen, daß das neue Mädchen sich auf seinen Dienst vollkommen verstand.

Eine Stunde später wurde die Suppenterrine auf den Tisch gestellt, und Magdalene stand allein hinter des Admirals leerem Stuhle, ihres Herrn erster Aeußerung gewärtig, wenn er ins Speisezimmer treten würde.

Eine große Glocke erschallte in den unteren Räumen, schnelle schleifende Schritte raschelten auf den Steinen des Corridors draußen, die Thür ging plötzlich auf, und ein großer, hagerer alter Herr mit scharfem Auge, verbissenen Lippen, lärmend unruhigen Bewegungen trat ins Zimmer mit zwei stattlichen Labrado-Hunden hinter sich und nahm seinen Platz an der Tafel in heftiger Eile ein. Die Hunde folgten ihm und setzten sich mit der äußersten Gemessenheit und Ruhe links und rechts neben seinen Stuhl.

Dies war Admiral Bartram, und dies waren seine Gesellschafter bei seinem einsamen Mahl.

– Ei, ei, ei! Das ist gewiß das neue Stubenmädchen! begann er, indem er Magdalenen scharf, aber durchaus nicht unfreundlich ansah. Wie ist Dein Name, liebes Kind? – Louise also? Ich werde Dich Lucie rufen, wenn Dirs recht ist. Nimm den Deckel ab, meine Gute – ich bin heute eine oder zwei Minuten zu spät gekommen; sei Du deßwegen morgen nicht unpünktlich; ich bin gewöhnlich genau auf den Schlag da, wie ein Uhrwerk – Wie ist Dir die Reise bekommen? Hat Dich mein Federwagen bei der Fahrt von dem Haltepunkt bis hierher sehr umhergestoßen? – Eine capitale Suppe das! heiß wie Feuer – erinnert mich an die Suppe, die wir in Westindien Anno Drei gewöhnlich hatten. – Hast Du Deine halbe Trauer an? Stell Dich her und laß mich sehen! – Ach ja, recht hübsch und nett und fein. – Arme Mrs. Girdlestone! Ach, liebe, liebe, liebe, arme Mrs. Girdlestone! – Du fürchtest Dich doch nicht vor Hunden, Lucie? – Wie? Was? Du hast Hunde gern? Das ist recht! Sei immer freundlich gegen diese armen einfältigen Thiere. Diese beiden Hunde speisen täglich bei mir, ausgenommen, wenn Gesellschaft da ist. Der Hund mit der schwarzen Nase da ist Brutus, und der mit der weißen Nase ist Cassius. – Hast Du je gehört, wer Brutus und Cassius waren? – Alte Römer? Richtig, Du gutes Kind. Vergiß nicht Dein Buch und Deine Nadel; Du sollst auch ein Mal einen guten Ehemann haben. – Nimm die Suppe weg, mein Kind, nimm die Suppe weg.

Dies war der Mann, dessen Geheimniß zu erhaschen jetzt das einzige Dichten und Trachten Magdalenens war! Das war der Mann, dessen Name den ihrigen in Noël Vanstones Testament ersetzt hatte!

Der Fisch und der Braten folgten, und das Geplauder des Admirals hatte seinen Fortgang, bald als Selbstgespräch, bald zum Stubenmädchen gewandt, bald an die Hunde gerichtet, so vertraulich und unzusammenhängend, wie immer. Magdalene bemerkte mit einigem Erstaunen, daß die Gesellschafter des Admirals bis jetzt keinen Bissen Von dem Teller ihres Herrn erhalten hatten. Die beiden prächtigen Thiere saßen auf ihre Pfoten gekauert, mit ihren großen Köpfen über dem Tische, den Fortgang der Mahlzeit mit der größten Aufmerksamkeit beobachtend, aber ersichtlich ohne Erwartung, Etwas davon zu erhalten. Der Braten wurde entfernt, der Teller des Admirals gewechselt, und Magdalene nahm die silbernen Deckel von den zwei Schüsseln auf beiden Seiten der Tafel ab. Als sie die erste der duftigen Schüsseln ihrem Herrn reichte, gaben die Hunde plötzlich ein athemloses persönliches Interesse an den Dingen zu erkennen. Brutus lief der Speichel aus dem Rachen, und die Zunge des Cassius, welche vor unaussprechlicher Erwartung zum Vorschein kam, bewegte sich zwischen den ungeheuren Kinnbacken hin und her.

Der Admiral langte sich selbst reichlich aus der Schüssel zu, schickte Magdalenen an den Nebentisch, um ihm etwas Brod zu holen, und als er dachte, daß ihr Auge nicht auf ihn gerichtet sei, schob er heimlich den ganzen Inhalt seines Tellers in Brutus Rachen. Cassius winselte leise, als sein glücklicher Kamerad dies würzige Zwischengericht mit einem Schluck hinunterschlang.

– Ruhig, du dummer Kerl, flüsterte ihm der Admiral zu, du kommst das nächste Mal dran!

Magdalene reichte die zweite Schüssel. Noch ein Mal langte sich der Admiral reichlich zu, noch ein Wink schickte er sie an das Seitentischchen, noch ein Mal schob er den ganzen Inhalt des Tellers in die Kehle des Hundes, indem er dies Mal Cassius erwählte, wie es sich für ihn als aufmerksamen Herrn und als Unparteiischen Mann geziemte Als der nächste Gang folgte, der in einem einfachen Pudding und in einem ungesunden Cream bestand, wurde Magdalenens Vermuthung über die Thätigkeit der Hunde bei der Tafel bestätigt. Während der Herr den einfachen Pudding zu sich nahm, verschlangen die Hunde den kunstvollen Cream. Der Admiral fürchtete offenbar, auf der einen Seite seiner Köchin zu nahe zu treten und auf der andern sich selbst Schaden zu thun, und Brutus und Cassius waren die beiden abgerichteten Mitschuldigen, welche ihm jeden Tag halfen, über diese Schwierigkeiten hinwegzukommen.

– Sehr gut, sehr gut! sagte der alte Herr mit dem offenbarsten Doppelsinne. Sage der Köchin, mein Kind, ein capitaler Cream!

Als Magdalene nun Wein und Nachtisch auf die Tafel gestellt hatte, war sie im Begriff, sich zurückzuziehen. Ehe sie das Zimmer Verlassen konnte, rief sie ihr Herr zurück ins Zimmer.

– Halt, halt! sagte der Admiral. Du kennst noch nicht die Sitte des Hauses, Lucie. Stell noch ein Glas hierher, zu meiner Rechten, das größte, das du finden kannst. Ich habe einen dritten Hund, der beim Nachtisch hereinkommt, einen trunkenen alten Seehund, welcher zu Land und zu Wasser mein Schicksal getheilt hat wohl fünfzig Jahre und drüber. – Ja, ja; das ist die Art Gläser, die wir brauchen. Du bist ein gutes Kind. – Du bist ein hübsches, gescheidtes Kind. Ruhig, mein Schatz, Du brauchst Dich nicht zu fürchten!

Ein plötzliches Pochen außen an der Thüy worauf ein mächtiges Anschlagen von Seiten der beiden Hunde erfolgte, hatte Magdalenen erschreckt.

Herein! rief der Admiral.

Die Thür ging auf, Brutus und Cassius wedelten fröhlich mit den Schwänzen, und der alte Mazey marschierte in gestreckter Haltung rechts vom Stuhle seines Herrn auf.

Der Veteran stand da mit weit gespreizten Beinen und sorgfältig gewahrtem Gleichgewicht, als ob das Speisezimmer eine Cajüte und das Haus ein seine Straße ziehendes Schiff auf hoher See gewesen wäre.

Der Admiral füllte das große Glas mit Portwein, füllte sein eigenes Glas mit Rothwein und erhob es an seine Lippen.

Gott segne die Königin, Mazey! sprach der Admiral.

– Gott segne die Königin, Euer Gnaden, sprach der alte Mazey, indem er seinen Portwein hinunterwarf, wie die Hunde die Tunke.

– Wie ist der Wind, Mazey?

– West und bei Nord, Euer Gnaden.

– Guten Abend, Mazey.

– Guten Abend, Euer Gnaden.

Als diese feierliche Nachtischhandlung dergestalt beendigt war, machte der alte Mazey einen Diener und schritt wieder zum Zimmer hinaus. Brutus und Cassius streckten sich auf ihren Bauch, um die Pilze und feinen Saucen in der Alles ausgleichenden Hitze des Feuers zu verdauen.

– Für Das, was uns bescheeret worden, mache der Herr uns dankbar im Herzen, sprach der Admiral. – Gehe hinunter, gutes Kind, und nimm Dein Abendbrod ein. Eine leichte Speise, Lucie, wenn Du meinen Rath hören willst, eine leichte Speise, sonst wirst Du den Alp bekommen. Frühzeitig zu Bett, meine Liebe, und frühzeitig auf, das macht ein Stubenmädchen gesund und wohlhabend und gescheidt. Das ist die Weisheit Deiner Vorgängerinnen, – Du mußt nicht darüber lachen. – Gute Nacht.

Mit diesen Worten wurde Magdalene entlassen, und so endete ihre Bekanntschaft des ersten Tages mit Admiral Bartram.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen enthielten die Anweisungen für das neue Stubenmädchen unter Andern einen merkwürdigen Befehl, der für sie in ihrer Lage ganz besonders von Interesse war. Während der Abwesenheit des alten Herrn vom Hause, welche diesen Tag über wegen Geschäften an Ort und Stelle, die ihn nach Ossory führten, stattfand, erhielt sie die Weisung, sich mit dem ganzen bewohnten Theil des Hauses bekannt zu machen und die Lage der verschiedenen Zimmer kennen zu lernen, um dann zu wissen, wohin die Klingeln sie riefen, wenn sie dieselben hörte. Mrs. Drake wurde mit der Pflicht betraut, die Entdeckungsreise des neuen Ankömmlings zu leiten, wenn sie nicht etwa anderweitig beschäftigt wäre, in welch letzterem Falle auch eine von den untergeordneten Dienstboten ebenfalls berechtigt sein sollte, Magdalenen als Führerin zu dienen.

Nachmittags fuhr der Admiral nach Ossory, und Magdalene stellte sich im Zimmer von Mrs. Drake ein, um im Hause herumgeführt zu werden. Mrs. Drake war zufällig anderweitig beschäftigt und wies sie an das erste Hausmädchen. Das erste Hausmädchen war zufällig in derselben Lage, als Mrs. Drake und verwies sie an die unteren Hausmägde. Die unteren Hansmägde erklärten, sie seien alle behindert und hätten keinen Augenblick Zeit übrig; sie schlugen in nicht eben sehr höflicher Art und Weise den alten Mazey vor, der Nichts auf Gottes Welt zu thun habe und das Haus so gut, oder noch besser kenne, als das ABC. Magdalene nahm den Wink mit geheimer Empörung und Verachtung hin, welche zu verbergen ihr einen harten Kampf kostete. Sie hatte den Abend vorher gemerkt und wußte nun ganz bestimmt, daß alle Dienstmädchen im Hause Merkwürdigerweise mit derselben mürrischen Einhelligkeit des Mißtrauens sie schon mit scheelen Augen unter sich sahen. Mrs. Drake war, wie sie sich mit eigenen Augen überzeugt hatte, diesen Morgen wirklich mit ihren Abrechnungen beschäftigt. Allein von allen den Mädchen unter ihr, die sich entschuldigten, hatte keines vorgegeben, mehr als gewöhnlich beschäftigt zu sein. Ihre Blicke sagten deutlich:

– Wir können Dich nicht leiden und mögen Dich darum auch nicht im Hause herumführen.

Sie fand sich nicht nach den ihr gegebenen dürftigen Winken, sondern nach dem Klange der knarrenden und zitternden Stimme des Veteranen zum alten Mazey, wie er in seiner Abgeschiedenheit einen Vers aus dem unsterblichen Seemannsliede: »Tom Bowling« sang. Gerade als sie die steinernen Gänge im Erdgeschoß des Hauses dahin schritt, ungewiß, wohin sie sich zunächst wenden sollte, hörte sie die tonlose Stimme des Alten in der Ferne die folgenden Worte singen:

 
Sein’ Gestalt war von der männlichsten Schö–ö—önheit
Sein Herz war mild und sanft;
Treulich that hienieden Tom seine Pflichten,
Aber jetzt ist er gangen fo–o—o—o—ort,
Aber jetzt ist er ga—a–a-angen fort!
 

Magdalene ging in der Richtung der zitternden Stimme und befand sich alsbald in einem kleinen Zimmer, das nach dem Hinterhof ging. Da saß der alte Mazey mit seiner Brille weit unten auf der Nase, mit seinen knorrigen alten Händen am Takelwerk seines Schiffsmodells herumfahrend. Da lagen auch wieder Brutus und Cassius und verdauten am Feuer und schnarchten, als ob sie sich ganz wohlig dabei fühlten. Da hing Lord Nelson an der einen Wand in grellen Wasserfarben und dort an der andern eine Abbildung von Admiral Bartrams letztem Flaggenschiff unter vollen Segeln auf einer See, die wie Schiefer aussah, darüber ein Himmel in der Farbe des Lachses, um die Täuschung vollkommen zu machen.

 

– Was, sie wollen Dich nicht im Hause herumweisen, wirklich? sagte der alte Mazey. Dann will ich es thun! Das erste Hausmädchen ist ein sauertöpfiges Ding, ja, mein Kind, wie es je eines gab. Du bist zu jung und gutaussehend, als daß Du ihnen gefallen könntest – Das ist es nur.

Er stand auf, nahm seine Brille ab und schürte das Feuer ein wenig.

– Sie ist schlank wie eine Pappel, sagte der alte Mazey in schläfrigem Selbstgespräch vor sich hin und betrachtete Magdalenens Gestalt.

– Sie ist kerzengerade, wie eine Pappel, und Seine Gnaden der Admiral sagt es auch!

– Komm mit, mein Kind, fuhr er fort und wandte sich wieder zu Magdalenen. Ich will Dir erst Deine Compaßgegenden lehren. Wenn Du Deinen Compaß hast, mag es drüber oder drunter gehen, so wirst Du auch eine glatte Fahrt haben durchs ganze Haus.

Er ging nach der Thür voraus, blieb stehen und ging, plötzlich seines Schiffes im verjüngten Maßstabe gedenkend, wieder zurück, um sein Schifflein in einen leeren Wandschrank zu stellen, – schritt wieder nach der Thür voraus, blieb abermals stehen, erinnerte sich, daß einige von den Zimmern etwas kalt waren, und polterte nun fluchend und brummend umher und suchte seinen Hut. Magdalene setzte sich ruhig nieder, um auf ihn zu warten. Sie verglich mit dankbarem Herzen seine Behandlung mit derjenigen, welche sie von Seiten der Frauenzimmer erfahren hatte.

Man mag sich so fest, als man wolle, dessen erwehren, mag sich so stolz, als man will, darüber hinwegsetzen: alle grundsätzliche Unfreundlichkeit – gleichviel wie wenig man darauf zu geben hat – hat einen bittern Stachel in sich, der uns bis aufs Leben trifft.

Magdalene erfuhr an sich den Grad, in dem sie die kleine Bosheit der Mägde gefühlt hatte, nur an dem Eindruck, welchen hinterher die rauhe Freundlichkeit des Matrosen auf sie machte. Der stumme Willkommen der Hunde, als die Bewegungen im Zimmer sie aus ihrem Schlafe erweckt hatten, rührte sie noch mehr. Brutus schob seine mächtige Schnauze zutraulich in ihre Hand, und Cassius legte ihr eine seiner Vorderpfoten freundschaftlich auf den Schooß. Ihr Herz empfand Heimweh, als sie die beiden Thiere streichelte und liebkoste. Es war ihr, als ob es erst gestern geschehen sei, wo sie und die Hunde auf Combe-Raven zusammen im Garten sich getummelt und sie die Sommermorgen auf dem schattigen grünen Rondel vor dem Hause fröhlich hinweg gespielt hatte. —

Der alte Mazey fand endlich seinen Hut, und sie brachen nun mit den Hunden hinter sich zu ihrer Entdeckungsreise auf.

Indem sie das Erdgeschoß des Hauses verließen, welches ganz und gar von Gesindestuben eingenommen war, stiegen sie ins erste Stock hinauf und traten in den langen Corridor, mit welchem Magdalene sich bereits den Abend vorher bekannt gemacht hatte.

– Stell Dich ’mal mit dem Rücken hierher, sagte der alte Mazey und zeigte auf die lange Wand, welche in unregelmäßigen Zwischenräumen von Fenstern unterbrochen wurde, die aus einen Hofgarten und Fischteich hinaus gingen, und auf die rechte Seite des Ganges, wo Magdalene jetzt stand. —

– Stell Dich ’mal mit dem Rücken gegen diese Wand, sagte der alte Veteran, und sieh geradeaus. Was siehst Du da?

– Die andere Wand des Ganges, sagte Magdalene.

– So, so? Was denn noch?

– Die Thüren, welche in die Zimmer führen.

– Was sonst noch?

– Weiter sehe ich Nichts.

Der alte Mazey kicherte, blinzelte und drohte Magdalenen mit seinem knorrigen Zeigefinger bedeutungsvoll.

– Du siehst eine von den Gegenden des Compasses, mein Kind. – Wennst Du Deinen Rücken gegen diese Wand gekehrt hast und wennst Du geradeaus siehst, so siehst Du Norden.32

– Wennst Du Dich jemals hier verlaufen solltest, so stell Dich mit dem Rücken gegen die Wand, sieh geradeaus und sage zu Dir:

– Ich sehe nach Norden!

– So machst Du’s, wenn Du ein gutes Kind bist und nicht vergissest, was man Dir gesagt hat!

Nachdem der alte Mazey diese vorläufige Belehrung gespendet, öffnete er die Thür linker Hand auf dem Gange. Sie führte in das Speisezimmer, mit dem Magdalene bereits vertraut war. Das zweite Zimmer war für die Bibliothek hergerichtet, und das dritte als ein Morgenzimmer.

Die vierte und fünfte Thür, beide zu ausgeräumten und unbewohnten Zimmern führend und beide verschlossen, brachten sie an das Ende des nördlichen Flügels des Hauses und an den Eingang zu einem zweiten und kürzeren Gange, welcher im rechten Winkel auf den ersten stieß.

Hier kam der alte Mazey, welcher während der Besichtigung der Zimmer seine Zeit hübsch gleichmäßig in Plaudereien von Seiner Gnaden dem Admiral und Signalpfiffen für die Hunde getheilt hatte, mit aller möglichen Schnelligkeit auf die Gegenden des Compasses zurück und wies Magdalenen mit schauerlichem Ernst an, sich abermals mit dem Rücken an die Wand zu stellen. Sie versuchte«diese Anstellung abzukürzen, indem sie ganz richtig angab, daß ihre gegenwärtige Stellung, wie sie wüßte, nach Osten wäre.

– Sprich Du doch nicht von Osten, mein Kind, sagte Mazey, indem er unerschütterlich nach seinem eigenen Lehrplane fortfuhr, – bis Du erst Osten kennst. Stell Dich mit dem Rücken gegen die Wand und sieh geradeaus. Was siehst Du?…

Und so ging der Unterricht durch Frage und Antwort fort.

Als das Ende erreicht war, war Magdalenens Lehrmeister befriedigt. Er lachte und blinzelte wieder wie vorher.

– Jetzt kannst Du von Osten sprechen, mein Kind, sagte der Veteran, denn jetzt kennst Du ihn.

Der östliche Flügel brachte sie nur einige Fuß vorwärts und endigte in einen Vorsaal mit einer hohen Thür, die ihnen, als sie vorwärts gingen, entgegenstand. Die Thür führte sie in ein großes, hohes Wohnzimmer, das wie die übrigen Zimmer, mit kostbaren altmodischen Möbeln ausgestattet war. Aber durch Dieses Zimmer schreitend schob Magdalenens Führer eine schwere Schiebethür gegenüber der Eingangsthür hinweg.

– Deck Deine Schürze auf den Kopf, sagte Mazey. Wir kommen jetzt in die Banquethalle. Der Boden ist verteufelt kalt, und die Feuchtigkeit steckt an dem Orte fest wie Rußflocken in einem Meiler. Seine Gnaden der Admiral nennt es die nordwestliche Durchfahrt. Ich habe auch einen Namen dafür. Ich nenne es: Satans Knochenkälter.33

Magdalene ging durch den Vorsaal und befand sich in in der alten Banquethalle von St. Crux.

Zu ihrer Linken sah sie eine Reihe hoher Fenster mit tiefen Nischen, auf eine Wandfläche von mehr als hundert Fuß Länge vertheilt. Rechts von ihr hing in einer langen Reihe von einem Ende zum andern an der gegenüberliegenden Wand eine abscheuliche Sammlung schauriger nachgedunkelter alter Bilder in morschen Rahmen, Schlachtscenen zu Wasser und zu Lande darstellend. Unter den Gemälden in der Mitte der Wand gähnte der gräuliche Schlund eines Kamins mit einem hohen Mantel von schwarzem Marmor. Das einzige Möbel, wenn man es Möbel nennen kann, – das man in der öden Leerheit des Raumes weit und breit zu sehen bekam, war ein hagerer alter Dreifuß von merkwürdiger getriebener Arbeit, der ganz allein inmitten der Halle dastand und ein weites rundes Becken trug, das tief mit der Asche eines erloschenen Kohlenfeuers angefüllt war. Die hohe Decke, einstmals schön geschnitzt und vergoldet, war von Schmutz und Spinneweben entstellt, die nackten Wände an jedem Ende des Gemaches waren von Feuchtigkeit fleckig, und die Kälte des Marmorbodens drang durch den schmalen Streifen einer Matte, die gleichlaufend mit den Fenstern, als Fußpfad für Diejenigen gelegt war, welche die Wildniß des Raumes betraten. Man hätte keinen bessern Namen dafür erfinden können, als der ihm vom alten Mazey gegebene war. »Knochenkälter« war in der That die genaue Beschreibung in zwei Worten von der Banquethalle zu St. Crux.

32Der alte Mazey spricht im Original Noathe statt North. W.
33Dachte der alte Trinker dabei zugleich an die Kelter?