Nur auf LitRes lesen

Das Buch kann nicht als Datei heruntergeladen werden, kann aber in unserer App oder online auf der Website gelesen werden.

Buch lesen: «Blinde Liebe», Seite 17

Schriftart:

Zweiter Band

Neununddreißigstes Kapitel

Mountjoy blieb zurück in peinigendem Grübeln darüber, wie er wohl den unheilvollen Einflüssen entgegenwirken könnte, unter denen Iris' von Natur so ehrliche Seele in so tief betrübender Weise litt. Hielt doch die Anwesenheit des Doktors die arme Frau in einem fortwährenden Kampfe zwischen ihrem eigenen natürlichen Gefühl, das sie ihm mißtrauen hieß, und zwischen den gebieterischen Versicherungen ihres Gatten, der ihn ihrem Vertrauen empfahl. Kein größerer Dienst hätte darnach Iris erwiesen werden können, als wenn es gelang, diesen Menschen zu entfernen, aber wie konnte das geschehen, ohne daß ihr Gatte beleidigt werde? Mountjoys Geist war noch beschäftigt, auf Mittel und Wege zur Ueberwindung dieses Hindernisses zu sinnen, als er hörte, daß die Thüre geöffnet wurde. Hatte Iris sich wieder gefaßt? Oder waren Lord Harry und sein Freund zurückgekommen?

Die Person, welche das Zimmer betrat, war das wunderliche Kammermädchen der Frau Iris, Fanny Mere.

»Kann ich Sie auf ein paar Worte sprechen, Sir?«

»Gewiß, was gibt es?«

»Bitte, sagen Sie mir Ihre Adresse!«

»Für Ihre Herrin?«

»Ja.«

»Will sie mir schreiben?«

»Ja.«

Hugh gab dem sonderbaren Mädchen die Adresse seines Hotels in London. Für einen Augenblick ruhten ihre Augen mit einem prüfenden Ausdruck auf ihm. Dann öffnete sie die Thür, um hinauszugehen, zögerte, überlegte einen Augenblick und kam wieder zurück.

»Ich möchte meinerseits noch einige Worte mit Ihnen sprechen. Wollen Sie hören, was ein Dienstbote zu sagen hat?«

Mountjoy erwiderte, daß er bereit sei, sie anzuhören. Sie trat dicht vor ihn hin und sagte:

»Ich glaube, Sie lieben meine Herrin.«

Ein gewöhnlicher Mann würde die familiäre Art und Weise, in der sie sich ausdrückte, übel aufgenommen haben. Mountjoy jedoch wartete ruhig ab, was noch kommen werde. Fanny Mere nahm auch wirklich rasch von neuem das Wort und zeigte in ihrem ganzen Benehmen eine Erregung, die bisher nie an ihr wahrzunehmen gewesen.

»Meine Herrin nahm mich in ihre Dienste; sie vertraute mir, als andere Damen mir die Thür gewiesen hatten. Als sie mich zu sich kommen ließ, war ich ein unglückliches, verlorenes Mädchen. Ich hatte niemand, der Teilnahme für mich fühlte, niemand, der mir helfen wollte. Sie ist die einzige Freundin, die mir mitleidig die Hand bot. Ich hasse die Männer und frage nichts nach den Frauen, ausgenommen nach einer. Da ich eine Dienerin bin, so darf ich nicht sagen, daß ich die eine liebe; wenn ich eine Dame wäre, so würde ich es wahrscheinlich nicht sagen. Liebe ist so gemein, ist so lächerlich! Sagen Sie mir das eine, ist der Doktor Ihr Freund?«

»Der Doktor ist nicht mein Freund.«

»Ist er vielleicht Ihr Feind?«

»Ich kann das kaum sagen.«

Sie sah Hugh mißvergnügt an.

»Ich wünschte, es wäre so,« sagte sie. »Warum verstehen wir uns nicht? Werden Sie über mich lachen, wenn ich Sie das erste beste, das mir in den Kopf kommt, frage? Sind Sie ein guter Schwimmer?«

Eine seltsame Frage selbst im Munde einer Fanny Mere, aber sie war in ernstem Tone ausgesprochen, und Mountjoy beantwortete sie ernst. Er sagte daß er immer für einen guten Schwimmer gegolten habe.

»Vielleicht,« fuhr sie fort, »haben Sie schon einmal einem Menschen das Leben gerettet?«

»Ich bin zweimal so glücklich gewesen, jemand das Leben zu retten,« antwortete er.

»Wenn Sie nun sehen würden, daß der Doktor nahe am Ertrinken wäre, würden Sie ihn dann retten? Ich würde es gewiß nicht thun!«

»Hassen Sie ihn denn so bitter?« fragte Hugh.

Sie ließ diese Frage vollständig unbeachtet.

»Ich wünschte, Sie würden mir helfen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Angenommen, Sie könnten meine Herrin von diesem Menschen befreien, dadurch, daß Sie ihm einen Fußtritt geben, würden Sie es thun?«

»Ja, mit Vergnügen.«

»Ich danke Ihnen, Sir! Jetzt habe ich meine Absicht erreicht. Mr. Mountjoy, der Doktor ist der Fluch in dem Leben meiner Herrin; ich kann es nicht ertragen, das länger ruhig mit anzusehen. Wenn wir nicht auf irgend eine Weise von ihm befreit werden, so werde ich noch etwas Schlimmes anstellen. Wenn ich bei Tische bediene und sehe, wie er sein Messer gebraucht, dann möchte ich es ihm gleich aus der Hand reißen und ins Herz bohren. Ich hoffte, mein Herr würde ihn aus dem Hause werfen, als sie sich stritten, aber mein Herr ist selbst zu schlecht dazu, um das zu thun. Um Gottes willen, helfen Sie meiner Herrin, Sir, oder zeigen Sie mir wenigstens den Weg, wie ich es thun kann!«

Mountjoy begann jetzt aufmerksamer zu werden. »Woher wissen Sie denn,« fragte er, »daß Lord Harry und Mr. Vimpany sich gestritten haben?«

Ohne das geringste Zeichen von Verlegenheit zu verraten, erzählte ihm Fanny Mere, daß sie an der Thüre gehorcht habe, während ihr Herr und sein Freund über ihre Geheimnisse verhandelten. Sie hatte auch die Gelegenheit wahrgenommen, durch das Schlüsselloch zu sehen.

»Ich glaube, Sir,« sagte das merkwürdige Mädchen, »Sie würden so etwas nie gethan haben.«

»Gewiß nicht.«

»Würden Sie es auch nicht thun, wenn es meiner Herrin nützen könnte?«

»Nein.«

»Und doch lieben Sie sie? Sie sind ein bemitleidenswerter, ja, soweit ich es verstehe, der einzige bemitleidenswerte unter allen Männern. Vielleicht, wenn Sie in Angst um Mylady geraten, dann werden Sie geneigter sein, zu helfen; ich bin neugierig, ob ich Ihnen Angst machen kann. Erlauben Sie, daß ich es versuche?«

Die aufrichtige Anhänglichkeit des Mädchens an Iris sprach bei Hugh für sie.

»Wenn Sie wollen, so versuchen Sie es,« sagte er freundlich.

Indem sie so ernst wie immer sprach, berichtete Fanny, was sie durch das Schlüsselloch gesehen und gehört hatte. Was sie gesehen hatte, ist nicht der Erzählung wert; was sie gehört hatte, erwies sich als wichtiger.

Das Gespräch zwischen dem Lord und dem Doktor drehte sich ums Geld; sie tauschten gegenseitig Bemerkungen aus, wie sie solches auftreiben könnten. Lord Harrys Plan war, das Nötige auf seine Lebensversicherung aufzunehmen. Der Doktor sagte, das sei unmöglich, die Lebensversicherung müsse erst drei oder vier Jahre gelaufen sein, ehe sich so etwas thun lasse.

»Ich will Ihnen etwas Besseres und Sichereres vorschlagen,« sagte Mr. Vimpany. Es mußte auch wieder etwas Schlechtes gewesen sein, denn er flüsterte es dem Lord ins Ohr.

Lord Harry war jedoch damit nicht einverstanden.

»Wie könnte ich meiner Frau je wieder unter die Augen treten,« sagte er, »wenn sie es entdeckte.«

Der Doktor entgegnete:

»Ach, haben Sie doch keine Angst vor Ihrer Frau! Lady Harry wird sich noch an viele Dinge gewöhnen müssen, an die sie wenig dachte, bevor sie Sie heiratete.«

Lord Harry erwiderte:

»Ich habe mein möglichstes gethan, Mr. Vimpany, um meiner Frau eine bessere Meinung von Ihnen beizubringen; wenn Sie aber noch mehr Derartiges sprechen, dann werde ich mich zur Ansicht meiner Frau bekehren. Lassen Sie das jetzt.«

»Mir ist es recht,« antwortete der Doktor darauf, »ich will es lassen und warten bis an den Tag, an welchem Sie Ihre letzte Banknote angreifen.«

Damit hatte das Gespräch an diesem Tage seinen Abschluß gefunden, und Fanny wollte nun wissen, was Mr. Mountjoy davon denke.

»Ich denke, daß Sie mir einen Dienst erwiesen haben, Fanny!« antwortete Hugh.

»Sagen Sie mir, wie, Sir.«

»Ich kann Ihnen nur das eine sagen, Fanny: Sie haben mir den Weg gezeigt, auf welchem es mir gelingen wird, Ihre Herrin von dem Doktor zu befreien.«

Zum erstenmale verlor Fanny ihre unerschütterliche Ruhe vollständig. Das unterdrückte Feuer in ihr flammte auf. Dem augenblicklichen Drang ihrer Gefühle nachgebend, küßte sie Mountjoys Hand, aber in demselben Augenblicke, da ihre Lippen die Hand berührten, fuhr sie, heftig erschrocken, zurück. Die natürliche Blässe ihres Gesichtes trat noch schärfer hervor als sonst. Bestürzt über diese plötzliche Veränderung fragte Hugh sie, ob sie unwohl sei.

Sie schüttelte den Kopf.

»Das ist es nicht, Ihre Hand ist die erste Hand eines Mannes, die ich geküßt habe, seitdem« – sie stockte. »Bitte, fragen Sie mich nicht darnach! Ich wollte Ihnen nur danken, Sir, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen! Ich darf aber jetzt nicht länger hier bleiben.«

Als sie das sagte, ließ sich das Geräusch eines Schlüssels vernehmen, der das Schloß der Hausthür öffnete.

Lord Harry war zurückgekehrt.

Vierzigstes Kapitel

Von seinem ärztlichen Freunde begleitet, trat der irische Lord, verdrießlich gestimmt, in das Zimmer. Er sah nach Fanny hin und fragte nach ihrer Herrin.

»Mylady ist auf ihrem Zimmer.«

Als Lord Harry dies hörte, drehte er sich rasch nach Mountjoy um. Im Begriff zu sprechen, besann er sich jedoch eines Bessern und begab sich in das Zimmer seiner Frau. Fanny folgte ihm.

»Jetzt schaffen Sie den Doktor fort,« flüsterte sie Hugh zu, indem sie einen Blick auf Mr. Vimpany warf. Derselbe befand sich in keineswegs zugänglicher Stimmung; er stand am Fenster, seine Hände in den leeren Taschen, und blickte mißmutig hinaus; Hugh war aber nicht geneigt, die günstige Gelegenheit vorübergehen zu lassen; er fragte daher:

»Sie scheinen heute nicht in der gleichen guten Laune zu sein wie gewöhnlich?«

Der Doktor entgegnete mürrisch, Mr. Mountjoy würde wahrscheinlich auch nicht besonders vergnügt und fröhlich sein, wenn er sich in seiner Lage befände. Lord Harry habe ihn mit in das Zeitungsbureau genommen, nachdem er ihm vorher deutlich zu verstehen gegeben, daß ein kleines Taschengeld zu verdienen wäre, wenn er Mitarbeiter an der Zeitung würde. Und wie hatte die Sache geendet? Der Herausgeber hatte erklärt, daß die Liste der Mitarbeiter vollständig sei, und achselzuckend hinzugefügt, Mr. Vimpany müsse warten, bis eine Stelle wieder frei würde. Ein höchst unverschämtes Ansinnen! Hatte darauf Lord Harry – er solle nur bedenken, einer der Besitzer der Zeitung – seine Autorität geltend gemacht? Nicht im mindesten. Seine Lordschaft hatte den Doktor fallen lassen, wie man eine heiße Kartoffel fallen läßt; er hatte sich in erbärmlicher Weise dem Ausspruche seines Untergebenen gefügt. Was dächte nun Mr. Mountjoy von einem solchen Benehmen?

Hugh antwortete ausweichend, indem er dem Doktor in höflichster und liebenswürdigster Weise seine Dienste anbot.

»Kann ich Ihnen nicht aus Ihrer Verlegenheit helfen?« fragte er.

»Sie?« rief der Doktor. »Haben Sie denn ganz vergessen, wie Sie mich empfingen, Sir, damals, als ich Sie in Ihrem Hotel in London um ein kleines Darlehen bat?«

Hugh gab zu, daß er damals vielleicht allzu heftig gesprochen habe.

»Sie überraschten mich,« sagte er, »und – vielleicht irre ich mich auch – es kam mir so vor, als wären Sie – um den mildesten Ausdruck zu gebrauchen – auch nicht gerade besonders höflich gewesen. Als Sie mich verließen, glaubte ich etwas wie drohende Worte zu vernehmen, und kein Mensch hat es gern, in solcher Weise behandelt zu werden.«

»Wenn Sie darauf kommen,« erklärte der Doktor kühn, »so muß ich Ihnen gestehen, daß ich ganz ähnlich empfand. Es ist mir jetzt völlig klar, daß damals zwischen uns ein kleines Mißverständnis obgewaltet hat. Ich war auch aufrichtig betrübt über das, was ich gesagt, sobald ich die Thür hinter mir geschlossen hatte. Während ich langsam die Treppe hinunter ging, dachte ich daran, wieder umzukehren und Sie freundlichst um Entschuldigung zu bitten. Wenn ich das nun gethan hätte?« fragte Mr. Vimpany, im stillen sehr neugierig, ob Mountjoy wohl so dumm sein würde, ihm zu glauben.

Hugh aber benützte die Gelegenheit, um der Verfolgung seines Planes näher zu rücken.

»Wenn Sie zurückgekommen wären, so würden Sie mich freundlicher gegen Sie gefunden haben,« antwortete er, »als Sie erwarten konnten.«

Diese ermutigende Antwort hatte ihn einige Anstrengung gekostet. Obgleich er sich bewußt war, nur im freundschaftlichen Interesse für Iris zu handeln, sank er doch durch eben diese Handlungsweise um eine Stufe in seiner Selbstachtung herab.

Unter anderen Umständen würde das Zögern, mit dem seine Antwort erfolgte, so unmerklich es auch war, vielleicht Verdacht erregt haben. Wie die Dinge aber hier lagen, konnte Mr. Vimpany nur goldene Aussichten entdecken, die seine Augen blendeten.

»Ich bin doch begierig,« sagte er, »ob Sie wirklich beabsichtigen, sich gegen mich jetzt freundlich zu erweisen?«

Es war unnötig, irgend welche schonende Rücksicht auf die Gefühle eines Mannes wie Mr. Vimpany zu nehmen.

»Angenommen nun, Sie hätten das Geld, welches Sie brauchen, in Ihrer Tasche,« fragte Hugh, »was würden Sie dann damit beginnen?«

»Ich würde, ohne mich nur einen Augenblick zu besinnen, spornstreichs nach London zurückkehren und die erste Nummer meines Werkes, von dem ich Ihnen erzählt habe, herausgeben.«

»Und Ihren Freund, Lord Harry, hier im Stiche lassen?«

»Was nützt mich ein Freund, der beinahe ebenso arm ist wie ich; er läßt mich erst kommen, damit ich ihm einen guten Rat geben soll, und da ich ihm einen Weg zeige, auf welchem er die leeren Taschen von uns beiden füllen kann, will er nichts davon wissen. Zu welcher Sorte rechnen Sie einen solchen Freund?«

Gib ihm Gold und schaffe ihn fort! Das war der Rat, den der geheime Berater in seiner Brust Mountjoy zuflüsterte.

»Haben Sie den Kostenüberschlag des Verlegers bei sich?« fragte er.

Der Doktor zog sogleich das Dokument aus der Tasche.

Für einen reichen Mann war die erforderliche Summe allerdings sehr unbedeutend. Mountjoy setzte sich an den Schreibtisch. Als er die Feder ergriff, schienen die hervorstehenden Augen Mr. Vimpanys aus seinem Kopfe springen zu wollen.

»Wenn ich Ihnen das Geld leihe –« begann Hugh.

»Wirklich, Sie wollen das?« rief der Doktor.

»Ich will es thun unter der Bedingung, daß niemand außer uns beiden von dem Darlehen erfährt.«

»O Sir, auf mein heiliges Ehrenwort!«

Eine Anweisung an Mountjoys Bankier auf die nötige Summe und dazu noch ein kleiner Beitrag zu den Reisekosten stimmten Mr. Vimpany zu den feierlichsten Beteuerungen. »Mein Freund, mein Wohlthäter,« begann er, wurde aber sofort von Hugh unterbrochen. Mr. Vimpanys Freund und Wohlthäter zeigte auf die Uhr und sagte:

»Wenn Sie das Geld noch heute haben wollen, dann ist es gerade noch Zeit, nach Paris zu kommen, bevor die Bank geschlossen wird.«

Mr. Vimpany brauchte das Geld sehr nötig, er brauchte immer Geld. Seine Dankbarkeit brach zum drittenmal in laute Worte aus:

»Gott segne Sie!« sagte er salbungsvoll.

Derjenige, dem dieser überschwengliche Dank galt, wies durch das Fenster in der Richtung der Bahnstation. Mr. Vimpany hielt sich nun nicht länger damit auf, seine Gefühle auszudrücken, sondern eilte fort, um noch glücklich den Zug zu erreichen.

Er hatte die Zimmerthür offen stehen lassen. Eine Stimme fragte von außen:

»Ist er fort?«

»Kommen Sie herein, Fanny,« antwortete Mountjoy, »er wird entweder heute abend noch oder spätestens morgen früh nach London zurückkehren.«

Das eigentümliche Mädchen steckte ihren Kopf durch die Thüre herein.

»Ich werde auf der Bahnstation sein,« sagte sie, »um mich mit eigenen Augen von seiner Abreise zu überzeugen.«

Ihr Kopf verschwand plötzlich, bevor es Mountjoy möglich war, ihr etwas zu erwidern. Befand sich noch eine andere Person draußen? Die andere Person trat in das Zimmer, es war Lord Harry. Er sagte ohne sein gewöhnliches Lächeln:

»Ich möchte mit Ihnen einige Worte sprechen, Mr. Mountjoy!«

»Worüber, Mylord?«

Diese direkte Frage schien den Irländer in Verlegenheit zu setzen, er zögerte.

»Ueber Sie,« sagte er. Dann hielt er inne und schien wieder zu überlegen. »Und über eine andere Person,« setzte er geheimnisvoll hinzu.

Hugh waren alle Unklarheiten grundsätzlich verhaßt. Er fühlte daher auch jetzt den Drang, eine bestimmtere Antwort zu fordern.

»Steht diese andere Person mit mir in irgend einer Verbindung, Mylord?« fragte er.

»Ja, das thut sie.«

»Wer ist diese Person?«

»Meine Frau.«

Einundvierzigstes Kapitel

Der höfliche Irländer verbeugte sich und wies mit der Hand auf einen Stuhl. Der wohlerzogene Engländer erwiderte die höfliche Verbeugung und setzte sich nieder. Lord Harry hob an:

»Sie werden mich hoffentlich entschuldigen, wenn ich im Zimmer auf und ab gehe; die Bewegung kommt mir zu statten, wenn ich in Verlegenheit bin, etwas in entsprechender Weise auszudrücken. Zuweilen irre ich um die Sache rund herum, bevor es mir möglich ist, sie zu erreichen, und ich fürchte, eben jetzt geht es mir so. – Beabsichtigen Sie, sich länger in Paris aufzuhalten?«

»Das hängt ganz von den Umständen ab,« antwortete Mountjoy.

»Sie sind zweifellos schon früher mehreremale in Paris gewesen,« fuhr Lord Harry fort. »Finden Sie es jetzt im ganzen nicht still und langweilig?«

Hugh, der gar nicht wußte, was das eigentlich heißen sollte, entgegnete, daß er Paris niemals langweilig finde, und wartete immer ungeduldiger auf eine nähere Erklärung.

»Die meisten Leute sind der Ansicht,« entgegnete Lord Harry, »daß Paris nicht mehr so heiter ist, wie es früher war; es gibt jetzt keine so guten Theater, keine so guten Schauspieler mehr wie früher. Die Restaurants sind schlechter, und die Gesellschaft ist sehr gemischt. Die Fremden halten sich hier nicht mehr so lange auf, wie es früher der Fall war. Man hat mir sogar erzählt, daß Amerikaner sehr enttäuscht gewesen und zur Abwechslung nach London gegangen seien.«

Konnte er irgend einen ernsthaften Zweck mit diesen unnötigen Redereien verfolgen – oder ging er jetzt, wie er selbst vorhin erzählt hatte, nur um den Hauptgegenstand, um seine Frau und seinen Gast herum, um erst später wirklich darauf zu sprechen zu kommen? Von Anfang an hatte Hugh vermutet, daß Eifersucht im Spiel sei; aber er verstand doch nicht – was vielleicht nur natürlich in seiner Lage war – die Rücksicht auf Iris und die Furcht, sie zu beleidigen, durch welche ihr eifersüchtiger Gatte jetzt noch zurückgehalten wurde. Lord Harry machte in der That den Versuch, – allerdings in sehr ungeschickter Weise – die Beziehungen zwischen seiner Frau und ihrem Freund abzubrechen, und wählte dazu Mittel, welche seine wahre Gemütsstimmung vor den beiden verbergen sollten. Da Hugh den Grund der Zurückhaltung des Lords nicht verstand, so hatte er den Eindruck, als ob man mit ihm spiele; er bezwang sich aber und verhielt sich daher ruhig.

»Sie scheinen meine Unterhaltung nicht besonders interessant zu finden,« bemerkte Lord Harry.

»Ich kann den Zusammenhang nicht herausfinden,« entgegnete Mountjoy, »der zwischen dem von Ihnen bis jetzt Gesagten und dem Gegenstand besteht, über welchen Sie mit mir zu sprechen beabsichtigten. Bitte, entschuldigen Sie, wenn es den Anschein hat, als ob ich Sie zur Eile antreiben wollte, falls Sie irgend einen Grund haben, zu zögern.«

»Sie lesen in mir wie in einem Buch!« rief Lord Harry aus. »Es ist wirklich Verlegenheit, die mich jetzt zögern läßt. Ich bin ein sehr veränderlicher Mensch. Wenn ich irgend etwas ungern ausspreche, so kann ich es zuweilen nicht schnell genug thun, und zuweilen schiebe ich es immer und immer wieder hinaus. – Darf ich Ihnen nicht irgend eine Erfrischung anbieten?« fragte er, wieder ganz unvermittelt von dem Gegenstand des Gesprächs abspringend.

Hugh lehnte dankend ab.

»Nicht einmal ein Glas Wein? Solchen weißen Burgunder werden Sie selten zu trinken bekommen.«

Jetzt wurde endlich doch Hughs britische Hartköpfigkeit rege; er wiederholte seine Ablehnung kurz und bündig. Lord Harry sah ihn ernst an und kam nun endlich dem offenen Bekenntnis seiner Gefühle näher, als es bis jetzt geschehen war.

»Lassen Sie uns von meiner Frau sprechen. Als ich heute morgen mit Vimpany wegging, – er ist diesmal kein so guter Gesellschafter, wie er es sonst zu sein pflegt; der Arme ist durch Unglück verbittert, ich wünschte, er kehrte nach London zurück. Also, was ich gesagt habe – das heißt, was ich sagen wollte: Ich ließ Sie heute morgen in Lady Harrys Gesellschaft zurück. Zwei alte Freunde, dachte ich mir, werden froh darüber sein, daß sie sich über vergangene Zeiten unterhalten können. Als ich wieder nach Hause zurückkomme, finde ich Sie allein, und mir wird gesagt, Lady Harry sei in ihrem Zimmer. Und was sehe ich, als ich dorthin komme? – Ich sehe die schönsten zwei Augen von der Welt, und die Geschichte, die sie mir erzählen, lautet: ›Wir haben geweint.‹ Als ich dann frage, was denn geschehen sei – ›nichts, mein Liebling!‹ ist die ganze Antwort, die ich bekomme. Welcher Gedanke mußte mir da sofort aufsteigen? – Es hat ein Streit stattgefunden zwischen Ihnen und meiner Frau?«

»Ich kann es durchaus nicht in diesem Licht sehen, Lord Harry.«

»Weil Sie kein Irländer sind. Sie als Engländer werden uns begreifen. Aber lassen wir das. Eines nur, Mr. Mountjoy, möchte ich mir die Freiheit nehmen, Ihnen sogleich zu sagen: ich würde es Ihnen Dank wissen, wenn Sie nächstens einmal einen Streit mit mir anfangen wollten.«

»Sie zwingen mich, Ihnen zu sagen, Mylord, daß Sie in einer vollständigen Täuschung befangen sind, wenn Sie annehmen, daß irgend ein Streit oder auch nur der Gedanke eines Streites zwischen Lady Harry und mir entstanden ist.«

»Versichern Sie mir das auf Ihr Ehrenwort als Gentleman?«

»Ganz gewiß.«

»Sir, ich bedaure tief, dieses zu hören.«

»Was bedauern Sie tief, Mylord? Daß ich Ihnen mein Ehrenwort gegeben habe, oder daß ich mich nicht mit Lady Harry gestritten habe?«

»Beides, Sir. Bei dem Flötenspieler, der einst vor Moses spielte, beides!«

Hugh stand auf und ergriff seinen Hut.

»Wir werden bessere Gelegenheit haben, uns zu verstehen,« bemerkte er, »wenn Sie die Güte haben wollen, mir zu schreiben.«

»Legen Sie Ihren Hut noch einmal hin, Mr. Mountjoy, und haben Sie, bitte, noch einen Augenblick Geduld. Ich habe versucht, mich mit Ihnen zu befreunden, aber ich muß Ihnen offen gestehen, daß es mir nicht gelungen ist, irgend einen Berührungspunkt zwischen uns ausfindig zu machen. Vielleicht beleidigt Sie dieses freie Geständnis?«

»Weit davon entfernt: Sie gehen nun doch schließlich geradenwegs auf den Gegenstand los, wenn ich es wagen darf, das auszusprechen.«

Die gute Haltung des irischen Lords war jetzt vollständig verschwunden. Sein hübsches Gesicht hatte sich verhärtet, und seine Stimme war rauh geworden. Seine Eifersucht, die bis dahin ehrenwerte Gefühle zurückgehalten hatten, brach jetzt ungehindert hervor. Seine Sprache verriet, wie schon bei früheren Gelegenheiten, den Umgang mit schlechter Gesellschaft, der eine der traurigen Folgen seines abenteuerlichen Lebens gewesen war.

»Es mag sein, daß ich gerader vorgehe, als es Ihnen angenehm ist,« erwiderte er. »Ich befinde mich Ihnen gegenüber in einer geteilten Stimmung. Mein gesunder Verstand sagt mir, daß Sie der Freund meiner Frau sind, und die besten Freunde streiten sich bisweilen. Gut, Sir. Sie leugnen dies Ihrerseits; ich sehe mich jedoch in die Notwendigkeit versetzt, meinem andern Gefühl zu folgen – und dieses, kann ich Ihnen sagen, ist durchaus kein angenehmes. Sie dürfen der Freund meiner Frau sein, mein Verehrtester, aber Sie sind mehr als das. Sie haben sie immer geliebt und lieben sie auch jetzt noch. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, aber wiederholen Sie ihn nicht. Nun, verstehen wir uns endlich?«

»Ich empfinde eine viel zu aufrichtige Hochachtung für Lady Harry, um Ihnen zu antworten,« entgegnete Mountjoy. »Zu gleicher Zeit lassen Sie mich auch bekennen, Mylord, daß ich Ihnen sehr verpflichtet bin. Sie haben mich daran erinnert, daß ich eine große Dummheit beging, als ich ohne Einladung Sie besuchte. Ich stimme mit Ihnen darin vollständig überein, je eher ich meinen Fehler wieder gut mache, um so besser ist es.«

Nach diesen Worten verließ Mountjoy das Zimmer und das Haus.

Auf dem Rückweg in sein Hotel erwog er in düsterem Sinnen den Stand der Dinge.

Seine eigene Handlungsweise, die freilich nach den Worten, die er hören mußte, unerläßlich war, hatte ihm die Thüren der Villa verschlossen und allen ferneren Zusammenkünften zwischen Iris und ihm ein Ende gemacht. Wenn sie versuchen wollten, brieflich mit einander zu verkehren, so würde Lord Harry Gelegenheiten genug haben, diese Korrespondenz zu entdecken und daraus natürlich neuen Stoff für seine Eifersucht zu schöpfen. Während der schlaflosen Nacht mußte Hugh immer an seine ratlose Lage denken: es schien ihm keine andere Wahl übrig zu bleiben, als sich ruhig in sein Schicksal zu ergeben und nach England zurückzukehren.