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Buch lesen: «Antonia», Seite 37

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Die Sonne erhob sich strahlend am unbewölkten Himmel. Als die frische, scharfe Luft des Morgens in ihrem stärkeren Scheine wärmet wurde, traten die Frauen wieder in das Zimmer und zogen den Vorhang und den Laden theilweise vom Fenster zurück. Die Strahlen des neuen Lichtes fielen hell und herrlich auf das Gesicht des Mädchens, der leise Wind bewegte die leichteren Locken ihres Haares. Einst würde sie dies erweckt haben, jetzt aber wurde sie davon nicht gestört.

Bald darauf hörte man unten in der Halle durch die halb offene Thür des Zimmers die Stimme des Kindes, welches mit den Frauen in das Haus gekommen war. Das kleine Geschöpf stieg langsam die Treppe hinauf und sang sein stammelndes Morgenlied vor sich hin. Vor ihm her kam eine zahme Taube, die auf dem Lebensmittelmarkte vor den Mauern, gekauft, aber als Spielzeug und Liebling des Kindes von seiner Mutter verspart worden, war. Der Vogel flatterte girrend in das Zimmer, ließ sich am Kopfende des Lagers nieder und begann dort seine Federn zu putzen. Die Frauen waren von der Erstarrung des alten Mannes angesteckt worden und machten keine Bewegung, um dem Kinde zu gebieten, sich zu entfernen oder die Taube von ihrem Orte zunehmen – sie wachten gleich ihm. Aber die sanften, lockenden Töne des Vogels waren eben so machtlos für das Ohr des Mädchens, wie der Sonnenstrahl für ihr Gesicht,– — noch immer wachte sie nicht auf.

Das Kind trat ein, hielt in seinem Liede inne und kletterte an dem Bette hinauf. Es hielt der Taube eine von seinen kleinen Händen hin, damit diese sich darauf niederlassen möge, legte die andere leicht auf Antoninens Schulter und drückte seine frischen, rosigen Lippen auf die verblichene Wange des Mädchens.

»Ich und mein Vogel sind gekommen, um heute Antoninen gesund zu machen,« sagte es ernsthaft.

Die stillen, schwergeschlossenen Augenlider bewegten sich; sie zitterten, gingen auf, schlossen sich und gingen dann wieder auf. Die Augen besaßen einen schwachen, träumerischen, bewußtlosen Blick. Aber Antonina lebte – Antonina war endlich zu einem Tage auf Erden erwacht! Der starre Blick ihres Vaters blieb immer noch auf sie geheftet wie Anfangs, auf seinem Gesicht herrschte aber Oede, war jeder Schein der Empfindung und des Lebens verschwunden. Als die Frauen auf Antoninen und dann wieder auf ihn blickten, begannen sie zu weinen. Das Kind setzte leise sein Morgenlied fort, und richtete es bald an das verwundete Mädchen, bald an die Taube.

In diesem Augenblicke traten Vetranio und der Arzt ein. Der Letztere ging auf das Bett zu, nahm das Kind von demselben herab und betrachtete Antoninen aufmerksam. Endlich sagte er halb zu Numerian gewendet, halb zu sich sprechend:

»Sie hat lange, tief bewegungslos, fast ohne zu athmen geschlafen – einen Schlaf, der Allen, die ihn sahen, wie der Tod vorkam!«

Der Greis antwortete nicht; aber die Frauen bestätigten es eifrig.

»Sie ist gerettet!« fuhr der Arzt fort, indem er das Bett gemächlich verließ und Vetranio anlächelte, »Ihr müßt sie aber noch viele Tage lang gut in Acht nehmen.«

»Gerettet! gerettet»wiederholte das Kind freudig, indem es die Taube im Zimmer frei ließ und zu Numerian lief, um auf seine Kniee zu klettern. Der Vater blickte nieder, als die klare, junge Stimme in seinem Ohr erschallte, die in seinem Herzen so lange vertrockneten Freudenquellen wallten wieder auf, als er die kleinen Hände bittend zu sich erheben sah, sein graues Haupt senkte sich, – er weinte.

Auf ein Zeichen des Arztes wurde das Kind aus dem Zimmer geführt. Alle darin Zurückgebliebenen bewahrten eine Stille tiefer, feierlicher Bewegung. Man vernahm nichts, als das unterdrückte Schluchzen des alten Mannes und die schwachem sich entfernenden Töne der Kinderstimme, das noch sein Morgenlied sang, und jetzt bildete ein freudig fortwährend wiederholtes Wort den ganzen Text der Musik. Es hieß:

»Gerettet! gerettet!«

Schluß
»Ubi thesaurus, ibi cor.«

Kurz nach der Eröffnung der Lebensmittelmärkte außerhalb der Thore von Rom brachen die Gothen ihr Lager vor der Stadt ab und marschirten nach Toskana, wo sie sich in Winterquartiere legten. Die Unterhandlungen, welche Alarich mit dem Hofe und der Regierung zu Ravenna anknüpfte, wurden von dem Sieger mit schlauer Mäßigung und von den Besiegten mit verblendetem Uebermuthe geführt und endeten mit einer Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. Rom wurde von den Barbaren ein zweites und drittes Mal belagert. Bei dem letzteren Anlasse wurde ie Stadt geplündert, ihre Paläste verbrannt, ihre Schätze weggenommen und nur die Denkmäler der christlichen Religion verschont. Unsere Erzählung hat es aber nicht weiter mit den Gothen zu thun, die Verbindung mit ihnen, in welcher sie bis jetzt stand, schließt mit dem Ende der ersten Belagerung von Rom. Wir können die Aufmerksamkeit des Lesers nicht weiter für historische Ereignisse in Anspruch nehmen. Unser kleines, zu seiner Unterhaltung aufgeführtes Schauspiel ist vorüber. Wenn er jedoch für Antoninen einige Theilnahme gefühlt und noch bewahrt, so wird er sich nicht weigern, uns zu folgen und ehe wir scheiden, wieder auf sie zu blicken.

Es war mehr als ein Monat vergangen, seit sich das Belagerungsheer in seine Winterquartiere zurückgezogen hatte, als mehrere Bürger von Rom sich auf der Ebene außerhalb der Mauern versammelten, um eines der ländlichen Feste der alten Zeit zu begeben, die von den Italienern unserer Tage, wenn auch mit verschiedenen Gebrüuchem doch mit derselben Heiterkeit noch immer gefeiert werden.

Die Stelle war ein ebenes Grundstück vor dem Pincischen Thore, welches auf der Rückseite einen dichten Pinienhain hatte und nach Norden zu über das flache Land der Umgegend von Rom schaute. Die Personen welche sich hier zusammen gefunden hatten, gehörten meist der untern Klasse an. Ihre Belustigungen bestanden im Tanzen, der Musik, Kraft und Glücksspielen, und was für Leute, die vor Kurzem erst eine Hungersnoth überstanden hatten, das Wichtigste war, reichlichem Essen und Trinken, langer, ernstlicher, extasischer Beschäftigung der Kinnladen und der Zunge.

Unter der Versammlung befanden sich einige Individuen, die durch ihre Kleidung und Manieren wenigstens äußerlich über die allgemeine Masse erhoben wurden. Diese Personen gingen an verschiedenen Stellen des Platzes nicht als Theilnehmer, sondern als Beobachter der Spiele zusammen auf und ab. Einer von ihnen blieb jedoch, wohin er sich auch wenden mochte, vereinzelt. Er hielt einen offenen Brief in der Hand, den er von Zeit zu Zeit ansah, und schien gänzlich von seinen Gedanken in Anspruch genommen zu werden. Diesen Mann können wir sowohl seiner selbst wegen, als auf in Bezug auf die Eigenthümlichkeit seiner zufälligen Lage vortheilhaft erwähnen, denn er war der Lieblingsdiener der frühern Freuden Vetranio’s – der »industriöse Carrio«

Der Freigelassene, – den wir unsern Lesern das letzte Mal im zweiten Bande vorstellten, als er seinem Herrn die Abfälle, welche er während der Hungersnoth für die Consumtion im Palaste zusammengebracht hatte, aufwies – hatte in der letzten Zeit eine bedeutend höhere Stellung im Vertrauen Vetranio’s erhalten. Bei der Organisation des Gastmahls des Hungers hatte er sich kluger Weise enthalten, den geringsten Wunsch blicken zu lassen, sich aus der Katastrophe zu retten, in welche sich zu stürzen der Senator und seine Freunde entschlossen gewesen waren. Er begab sich an einen sichern Ort, wo er das Ende der Orgie erwartete und erschien, als er fand, daß ihr unerwarteter Ausgang seinen Herrn noch am Leben und seiner Dienste bedürftig ließ, von Neuem als treuer Diener, der bereit war, seine gewohnten Beschäftigungen mit unvermindertem Eifer wieder aufzunehmen.

Nach der Zerstreuung seiner Dienerschaft während der Hungersnoth und der allgemeinen Verwirrung, die, als die Blockade aufgehoben wurde, in den socialen Verhältnissen Roms eintrat, fand Vetranio in seiner Nähe, außer Carrio, Keinen, auf den er sich verlassen konnte – und er verließ sich auf ihn. Dieses Vertrauen war übrigens nicht unverdient. Der Mann war egoistisch und habsüchtig genug, aber eben diese Eigenschaften verbürgten seine Treue gegen seinen Herrn, so lange dieser Herr die Gewalt zu strafen und die Fähigkeit zu belohnen bewahrte.

Der Brief, welchen Carrio in der Hand hielt, war ihm nach einer, Vetranio gehörigen Villa, am Strande der Bai von Neapel, von welcher er eben zurückgekehrt, zugekommen, und von dem Senator selbst in Rom geschrieben. Die Einleitung dieser Zuschrift schien den Freigelassenen nur wenig zu interessiren – er enthielt Lobeserhebungen über den Fleiß, womit er das Landhaus für die sofortige Bewohnung durch seinen Eigenthümer eingerichtet hatte, und sprach das Verlangen seines Herrn aus, Rom so schnell als möglich zu verlassen, um in völliger Ruhe leben und die stärkende Seeluft athmen zu können, wie es die Aerzte gerathen hatten. Der letzte Theil des Briefes war es, welchen Carrio las, und immer wieder las, und dann mit ungewohnter Aufmerksamkeit und Geistesanstrengung überdachte.

Er lautete, wie folgt:

»Ich habe Dir jetzt eine Aufgabe anzuvertrauen, welche Du mit der größten Treue ausführen wirft, wenn Du auf meine Gunst Werth legst, oder den Reichthum achtest, von welchen( Du Deine Belohnung erhalten kannst. Als Du Rom verließest, lag die Tochter Numerians in Todesgefahr – sie ist seitdem genesen. Fragen, die ich ihr vorgelegt, haben mich mit einem großen Theile ihrer Geschichte, welche mir bisher fremd war, bekannt gemacht, und bewogen aus besondern Gründen, ein Bauernhaus mit seinen Ländereien jenseits der Vorstädte zu kaufen. (Der Umfang des Gutes und seiner Lage sind auf dem Pergament, welches hier beiliegt, verzeichnen) Der Bauer, welcher das Gut früher bewirthschaftete, hat die Hungersnoth überlebt und wird fortfahren, es für mich zu bewirthschaften.Es ist aber mein Wunsch, daß der Garten und Alles, was er enthält, zur unbeschränkten Verfügung Numerians und seiner Tochter bleiben soll, die oft dorthin kommen werden und dort von nun an als meine Stellvertreter und mit meiner Gewalt bekleidet betrachtet werden müssen. Du wirst Deine Zeit in die Beaufsichtigung der wenigen Sklaven, welche ich während meiner Abwesenheit im Palast zurücklasse, und des Bauers und seiner Arbeiter, die ich auf das Gut gesetzt habe, theilen, und mir für die gehörige Verrichtung Deiner Pflichten sowohl, wie Derjenigen unter Dir, verantwortlich sein. – Sei versichert, daß Du durch die gute Erfüllung dieses Auftrages in diesen, wie in allen andern Dingen Deinen eignen Vortheil befördern wirst.«

Der Brief schloß damit, daß der Freigelassene angewiesen wurde, an einem gewissen Tage nach Rom zurückzukehren, und sich zu einer gewissen Stunde nach einem Bauernhause zu begeben, wo er seinen Herrn treffen werde, der ihm noch weitere Aufträge zu ertheilen habe und das neu erworbene Eigenthum zu besuchen gedenke, ehe er seine Reise nach Neapel antrete.

Die Verblüffung, mit welcher Carrio die oben angeführte Stelle in dem Briefe seines Herrn las, war ungeheuer. Da er sich der Umstände erinnerte, welche Vetranio’s frühere Verbindung mit Antoninen und ihrem Vater begleitet hatte, würde ihn der bloße Umstand des Ankaufes eines Gutes, um einer ohne Zweifel zufälligen Laune des Mädchens zu schmeicheln, nur wenig in Erstaunen gesetzt haben. Daß diese Handlung aber die sofortige Trennung des Senators von Numerians Tochter zur Folge haben, und sie weiter nichts von dem Gute gewinnen sollte, welches offenbar auf ihren Antrieb gekauft worden war, als die Gewalt über einen kleinen Garten, und daß dabei doch die Unverletzlichkeit dieses werthlosen Privilegiums in so ernsthaften Ausdrücken und mit so gebieterischem Tone, wie sie der Senator noch nie angewendet hatte, verordnet wurde – dies waren Widersprüche, welche aller Scharfsinn Carrio’s nicht in Einklang zu bringen vermochte. Der Mann war im Laster geboren und erzogen, das Laster hatte ihn genährt, gekleidet, frei gemacht, ihm in seiner kleinen Sphäre Ruf und Gewalt verliehen – er lebte in ihm, wie in der Atmosphäre, welche er athmete; wenn man ihm eine Handlung zeigte, die sich nur auf einen Grundsatzreiner Rechtlichkeit bezog, so stellte man ihm ein Problem, welches er nicht zu lösen vermochte, und doch ist es in einer Beziehung unmöglich, ihn für gänzlich schlecht zu erklären. Er war mit allen Unterschieden zwischen Gutem und Bösem unbekannt und dachte aus völliger Unfähigkeit, das Rechte einzusehen, unrecht.

Wie sehr ihn aber auch seine Instruktionen verblüffen mochten, so befolgte er sie doch jetzt, wie er sie auch in späteren Tagen zu befolgen fortfuhr, buchstäblich. Wenn es eine Kunst ist, seinem eigenen Vortheil zu dienen, so gebührte dem Carrio eine erste Professur in dieser Kunst: Er kam nicht nur pünktlich, sondern sogar vor der bestimmten Zeit in das Bauernhaus, rief den ehrlichen Landmann und dessen Arbeiter vor sich und erklärte ihnen alle Umstände der Gewalt, womit ihn sein Gönner bekleidet hatte, mit einer geläufigen, peremtorischen Feierlichkeit, die seine einfachen Zuhörer in Verwirrung setzte, und einen tiefen Eindruck auf sie machte. Er fand Numerian und Antoninen im Garten, als er in denselben trat.

Das Mädchen war seit ihrer Genesung täglich in einer Sänfte dorthin getragen worden und ihr Vater ihr gefolgt. Sie trennten sich jetzt nie mehr, der Greis erinnerte sich, als seine erste allumfassende Besorgniß um sie sich beruhigt hatte, wieder deutlicher der entsetzlichen Entdeckung im Tempel und der noch entsetzlichern Katastrophe, welche ihr gefolgt war und suchte in der Gegenwart seines Kindes beständige Zuflucht vor den Schrecken des Andenkens.

Der Freigelassene beobachtete während seines Gesprächs mit dem Vater und der Tochter einmal ausnahmsweise eine unwillkürliche und ungeheuchelte Ehrerbietung, aber er faßte sich kurz, und ließ sie fast augenblicklich wieder allein.

So arm und hilflos sie auch waren, flößten sie ihm doch Ehrfurcht ein, sie blickten, dachten und sprachen wie Wesen, die mit einer andern Natur begabt waren, als er, sie verknüpften sich auf ihm unbekannte Weise mit dem Geheimnisse des Grabes im Garten – er würde in der Gegenwart des Kaisers selbst gefaßt gewesen sein, in der ihren aber war es ihm unbehaglich. Er begab sich also nach der ihn mehr ansprechenden Scene des ländlichen Festes, welches in der unmittelbaren Nachbarschaft des Bauernhauses gehalten wurde, um die Ankunft seines Patrons zu erwarten und sich von Neuem durch die Lesung des Briefes Vetranio’s zu verblüffen.

Die Zeit war jetzt nahe, wo der Freigelassene nach seinem angewiesenen Posten zurückkehren mußte. Er rollte sorgfältig seinen Instruktionsbrief zusammen, betrachtete einige Minuten lang die Unterhaltungen, welche bisher seine Aufmerksamkeit so wenig erregt hatten, wendete sich dann um, und begab sich durch den Pinienhain auf den Rückweg.

Wir wollen ihm folgen.

Beim Verlassen des Haines führte ein Fußpfad über einige Felder nach dem Bauernhause, – dort angekommen, zauderte Carrio einen Augenblick und ging dann langsam weiter, um das Naben seines Herrn, auf dem nach der Landstraße führenden Wege, zu erwarten. An diesem Punkte wollen wir uns von ihm trennen, um durch das Gitterpförtchen in den Garten zu treten.

Die Bäume, Blumenbeete und Rasenplätze, befanden sich alle noch in ihren frühem Verhältnissen. Es war, seit wir den Ort zuletzt gesehen, nichts hinzu gefügt oder hinweggenommen worden, auf Hermanrich’s Grabe zeigte sich jedoch eine Veränderung. Der Rasen auf demselben war erneuert und auf dem Pfade, welchen Goiswintha’s Schritte ausgetreten hatten, eine Kante von kleinen immer grünen Sträuchern darum gepflanzt worden. An dem einen Ende des Hügels war ein weißes Marmorkreuz errichtet, – die kurze lateinische Inschrift darauf bedeutete: »Betet für die Todten!«

Die Sonne schien ruhig auf das Grab und auf Numerian und Antonina, die neben demselben saßen. Zuweilen, wenn die Lustigkeit des ländlichen Festes lauter wurde, erreichte sie dieselbe in schwachen, leisen Klängen, zuweilen hörten sie die Stimmen der Arbeiter auf den benachbarten Feldern, die bei ihrer Arbeit mit einander sprachen. Außer diesen waren aber keine Töne laut genug, um unterschieden werden zu können. Noch immer lagen auf den Gesichtern des Vaters und der Tochter, der Ausdruck von Trauer und Schwäche, welchen Kummer und Leiden hinterlassen, aber auch Resignation und Frieden erschienen auf denselben, – Resignatiom die durch die harte Belehrung des Schmerzes vervollkommnet wurde, und Frieden, der dadurch um so reiner ward, daß ihn das Eine dem Andern mitheilte, gleich der starken, unsterblichen Liebe, aus welcher er erwuchs.

In dem Blicke und der Haltung des Mädchens, als sie jetzt dasaß und an den jungen Krieger dachte, der für ihre Vertheidigung und Liebe gestorben war, und die Sträucher dichter um das Grab zog, lag jetzt ein Ausdruck, welcher, so verändert sie auch war, doch in einer andern Form an die alte Poesie und Ruhe erinnerte, die ihre Existenz erfüllt hatte, als wir sie zum er en Male beim Singen, zur Musik ihrer Laute, im Garten auf dem Monte Pincio erblickten. Als sie auf die Umgebungen des Bauernhauses blickte, waren ihre Gedanken nicht die des Entsetzens und der Verzweiflung. Ihr Schmerz war keiner von denen, die egoistisch vor Allem zurückbeben, was die Erinnerung an die Todten belebt – für sie war ihr Einfluß auf das Gedächtniß ein angenehmer und beschützender, der dem frömmsten Leben einen besseren Zweck und den reinsten Gedanken eine edlere Natur gab.

So saßen sie am Grabe – trübe, aber zufrieden, bereits wegemüde auf der Wallfahrt des Lebens, aber doch darein ergeben, weiter zu reisen, wenn sie konnten, als ein ungewöhnlicher Lärm, das Geräusch von rollenden Rädern und ein verwirrtes Stimmengemisch auf dem Wege hinter ihnen hörbar wurde. Sie blickten sich um und sahen, daß Vetranio sich ihnen allein durch die Gartenthür näherte.

Er kam langsam auf sie zu, das schleichende Gift, welches ihm das Gastmahl des Hungers eingeflößt hatte, gab deutlich seine Gegenwart in ihm kund, als der helle Sonnenschein auf sein abgezehrtes Gesicht fiel. Er lächelte freundlich, als er Antoninen anredete, aber die starken Empfindungen, welche dieses Lächeln verhüllen sollte, verriethen sich in seiner bebenden Stimme.

»Dies ist auf Jahre unsere letzte Begegnung – vielleicht ist es auf lebenslang,« sagte er. »Ich zögere beim Beginn meiner Reise, aber Dich als Schutzengel der Stelle zu erblicken, die Dir auf Erden am kostbarsten ist – als Herrin des Wenigen, was ich Dir hier gebe« – er hielt einen Augenblick inne und deutete auf das Grab, worauf er fortfuhr, – »Du kannst nie wissen, ich kann nie sagen, welche Sühne ich Dir schuldig bin. Bedenke nur, daß ich in der Erinnerung an Dich, eine Begleiterin in die Einsamkeit mitnehme, wohin ich mich begebe. Sei fernerhin um meinetwillen ruhig, gut und glücklich und vergiß, während Du den Senator früherer Tage vergiebst, des Freundes nicht, der jetzt von Dir scheidet, Lebewohl!«

Er hielt ihr seine Hand hin, eine Röthe überzog die Wange des Mädchens, als sie einige inartikulirte Worte der Dankbarkeit murmelte, sich über dieselbe beugte und sie an ihre Lippen drückte. Vetranio’s Herz klopfte schnell, die Geberde belebte von Neuem ein Gefühl, welches er nicht zu hegen wagte, – aber er blickte auf das bleiche, niedergeschlagene Gesicht vor sich am Grabe, das sich trübe neben ihm erhob, und unterdrückte es von Neuem.

Noch einen Augenblick säumte, er, um ein Lebewohl mit dem Greise auszutauschen, dann wendete er sich schnell ab, schritt durch die Thür und war ihren Augen entschwunden.

Antoninens Thränen fielen schnell auf das Gras, als sie wieder ihren Platz einnahm. Als sie von Neuem den Kopf erhob und sah, daß ihr Vater sie anblickte, schmiegte sie sich dicht an ihn und legte einen von ihren Armen um seinen Hals, während der andere allmälig an ihrer Seite niedersank, bis ihre Hand die obersten Blätter der um das Grab wachsenden Sträucher berührte.

Sollen wir noch länger in dem Garten verweilen? Nein! Für uns, wie für Vetranio ist es jetzt Zeit, zu scheiden! So lange noch der Friede um die Mauern von Rom wacht, so lange die Herzen des Vaters und der Tochter nach den Prüfungen, die sie erschüttert haben, noch zusammen in Sicherheit ruhen, wollen wir den Schauplatz verlassen. Hier, wenigstens ruht die Geschichte, welcher wir über ein dunkles, stürmisches Gebiet gefolgt sind, auf einem ruhigen Felde und hier sei es uns vergönnt, uns von ihr zu trennen.

So wandert der Reisende, welcher den Lauf eines Flusses verfolgt, den Tag über unter den Felsen und Abgründen, zwischen welchen er von seiner stürmischen Quelle herfließt und hält, wenn der Abend kommt, an und ruht da aus, wo das Ufer grasig und die Strömung ruhig ist.

Ende des dritten und letzten Bandes
Buchdruckerei C. H. Voigt in Penig