Ängste von Kindern und Jugendlichen

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Ängste von Kindern und Jugendlichen
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Störungen systemisch behandeln

Störungen systemisch behandeln

Band 3

Herausgegeben von

Hans Lieb und Wilhelm Rotthaus

Zu diesem Buch gibt es ergänzendes Material

online: carl-auer.de/zmkj

Wilhelm Rotthaus

Ängste von Kindern und Jugendlichen

Zweite Auflage, 2021


Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

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Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

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Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

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Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Reihe »Störungen systemisch behandeln«, Band 3

hrsg. von Hans Lieb und Wilhelm Rotthaus

Reihendesign: Uwe Göbel

Umschlag und Satz: Heinrich Eiermann

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Zweite Auflage, 2021

ISBN 978-3-8497-0069-0 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8281-8 (ePub)

© 2015, 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

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Inhalt

Vorwort der Herausgeber

Vorwort

Zum Geleit

1 Einleitung

2 Klinisches Erscheinungsbild

2.1 Vom Phänomen zur Diagnose (und zurück)

2.1.1Ängste in der Kindheit

2.1.2Die Angst, dein sorgender Freund

2.1.3Diagnose »Angststörung«

2.1.4 Was sagen Diagnosen?

2.1.5 Chancen und Risiken von Diagnosen

2.2 Angststörungen

2.2.1 Angststörungen generell

2.2.1.1 »Angststörung« als Oberbegriff für unterschiedliche Störungsbilder

2.2.1.2 Häufigkeit von Angststörungen

2.2.1.3 Komorbidität

2.2.1.4 Verlauf

2.2.1.5 Angststörungen und Suizid

2.2.1.6 Geschwister von Kindern mit Angststörungen

2.2.1.7 Differenzialdiagnose

2.2.2 Spezielle Angststörungen

2.2.2.1 Angststörung mit Trennungsangst

2.2.2.2 Spezifische Phobie

2.2.2.3 Soziale Phobie

2.2.2.4 Generalisierte Angststörung

2.2.2.5 Panikstörung

2.2.2.6 Agoraphobie

2.2.2.7 Prüfungsangst

2.2.2.8 Albträume

3 Neurobiologie der Angst

3.1 Generelle Erkenntnisse zur Bedeutung der Angst

3.1.1 Neurobiologie und Psychotherapie

3.1.2 Die Angst als stammesgeschichtlicher und individueller Motor der Entwicklung des Menschen

3.1.3 Das Zusammenspiel von Amygdala und präfrontalem Kortex

3.1.4 Angsterregung klingt nur langsam ab

3.1.5 Stress senkt die Schwelle für Angst

3.1.6 Der »Sinn« typischer Symptome bei Angststörungen

3.1.7 Nichtbewusste Auslöser von Angst und Stress

3.1.8 Die Bedeutung der »Bedeutungszuordnung«

3.1.9 Angst beeinträchtigt Lernen und Leistung

3.2 Spezielle neurobiologische Erkenntnisse zur Therapie von Angststörungen

3.2.1 Angst kann man nicht willentlich »wegmachen«

3.2.2 Angstreaktionen kann man nicht löschen

3.2.3 Der Weg der Angstreduzierung ist Hemmung

3.2.4 Neulernen im bewussten Funktionsmodus

4 Evolutionsbiologie der Angst

5 Risikofaktoren für Angststörungen von Kindern und Jugendlichen

5.1 Familiäre Häufung von Angststörungen

5.2 Höhere Rate an Angststörungen bei Mädchen

5.3 Kinder mit verhaltensgehemmtem Temperament

5.4 Angstsensitivität

 

5.5 Verzerrungen der Informationsverarbeitung

5.6Kontrollerfahrungen in der Kindheit

5.7 Elterlicher Erziehungsstil

5.8 Emotionsregulation

6 Störungsverständnis und Therapieansätze der verschiedenen Psychotherapieverfahren

6.1 Störungsverständnis und Therapieansätze der psychodynamischen Therapie

6.1.1 Störungsverständnis

6.1.2 Therapieansätze

6.2 Störungsverständnis und Therapieansätze der Gestalttherapie

6.2.1 Störungsverständnis

6.2.2 Therapieansätze

6.3 Störungsverständnis und Therapieansätze der personenzentrierten Psychotherapie

6.3.1 Störungsverständnis

6.3.2 Therapieansätze

6.4 Störungsverständnis und Therapie ansätze der Verhaltenstherapie

6.4.1 Störungsverständnis

6.4.2 Therapieansätze

6.5 Bindungstheoretisches Störungsverständnis

6.6 Schematheoretisches Störungsverständnis

7 Systemtherapeutisches Störungsverständnis der Angststörungen von Kindern und Jugendlichen

7.1 Generelle Aspekte

7.2 Angst als Signal für anstehende Entwicklungsprozesse

7.2.1 Entwicklung als familiäre Koevolution

7.2.2 Das Angsttetralemma

7.2.3 Angst als Ausdruck des Noch-nicht-Wissens

7.3 Die beziehungsregulierende Funktion von Angststörungen

7.4 Keine Angst haben wollen

7.5 Das Vermeiden der Angstsituation

7.6 Hilfe von Angehörigen

7.7 Das Symptom als kommunikativ erzeugtes Problem

7.8 Krankheitsverständnis der sozialen Phobie

8 Systemische Therapie der Angststörungen von Kindern und Jugendlichen

8.1 Systemische Therapie in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und ihren Angehörigen

8.2 Das Konzept der klinischen Konstellation

8.3 Der Nutzen störungsspezifischer Erkenntnisse für die Systemische Therapie

8.4 Neugierde und die Fähigkeit, Unsicherheit zu ertragen und zu schätzen

8.5 Systemische Hypothesenbildung

8.6 Die Entwicklung neuer Ideen zu Angst im therapeutischen Gespräch

8.6.1 Konsequenzen aus Neurobiologie und Evolutionsbiologie

8.6.2 Die Physiologie der Angst

8.6.3 Lösungen 2. Ordnung

8.6.4 Die guten Seiten der Angst

8.6.5 Angst als aktives Tun

8.7 Die Wahl des Settings als Intervention und Thema der Kommunikation

8.8 Ziel- und Auftragsklärung

8.9 Das Vermeiden vermeiden – sich der Angst aussetzen

8.10 Ablenkung

8.11 Energie folgt der Aufmerksamkeit

8.12 Musterunterbrechung

8.13 Paradoxe Handlungsvorschläge

8.14 Positive Konnotation und Umdeutung (Reframing)

8.15 Die Externalisierung der Angst

8.16 Teilearbeit

8.17 Teilearbeit mit Handpuppen

8.18 Geschichten

8.19 Symptomdarstellung und -veränderung

8.20 Imaginäre Helfer

8.21 Rituelle Handlungen

8.22 Angsten und Entangsten

8.23 Zutrauen – Zumuten – Zulassen

8.24 Unterstützer gewinnen

8.25 Lebensgeschichtliche Sequenz von Familienbrettskulpturen

8.26 Spezifische Angststörungen

8.26.1 Prüfungsangst

8.26.2 Albträume

9 Medikamentöse Therapie

10 Rückfallprophylaxe

Literatur

Über den Autor

Vorwort der Herausgeber

Ursprünglich ein querdenkendes Außenseiterkonzept, hat sich der systemische Ansatz heute in vielen Bereichen der Therapie und der Beratung theoretisch wie praktisch etabliert. Auch Vertreter anderer Schulen bereichert er mittlerweile in ihrer Arbeit. Die Etablierung eines Paradigmas birgt für dieses selbst aber auch Risiken, weil sie stets mit der Verfestigung von Denk- und Handlungsgewohnheiten einhergeht. Die Reihe Störungen systemisch behandeln stellt sich vor diesem Hintergrund zwei Herausforderungen: Nichtsystemischen Behandlern und Vertretern anderer Therapierichtungen soll sie komprimiert und praxisorientiert vorstellen, was die systemische Welt im Hinblick auf bestimmte Störungsbilder zu bieten hat. Innerhalb der Systemtherapie steht sie für eine neue Phase im Umgang mit dem Konzept von »Störung« und »Krankheit«.

Historisch gesehen war einer ersten Phase mit erfolgreichen Konzepten zu Krankheitsbildern wie Schizophrenie, Essstörungen, psychosomatischen Krankheiten und affektiven Störungen eine zweite Phase gefolgt, die geprägt war von einem gezielten Verzicht oder einer definitiven Ablehnung aller Formen störungsspezifischer Codierungen. In jüngerer Zeit wenden sich manche Vertreter der systemischen Welt wieder störungsspezifischen Konzepten und Fragen zu – und werden von anderen dafür deutlich attackiert. Diese neue Welle ist bedingt durch die Anerkennung der Systemtherapie als wissenschaftliches Heilverfahren, durch den Antrag auf deren sozialrechtliche Anerkennung und nicht zuletzt dadurch, dass viele im klinischen Sektor systemisch arbeitende Kollegen täglich gezwungen sind, sich zu störungsspezifischen Konzepten zu positionieren.

Die systemische Welt hat hierzu einiges anzubieten. Die Reihe Störungen systemisch behandeln will zeigen, dass und wie die Systemtheorie mit traditionellen diagnostischen Kategorien bezeichnete Phänomene ebenso gut und oft besser beschreiben, erklären und mit hoher praktischer Effizienz behandeln kann. Sie verfolgt dabei zwei Ziele: Zum einen soll systemisch arbeitenden Kollegen das große Spektrum theoretisch fundierter und praktikabler systemischer Lösungen für einzelne Störungen zugänglich gemacht werden – ohne das Risiko, die eigene systemische Identität zu verlieren, im besten Fall sogar mit dem Ergebnis einer gestärkten systemischen Identität. Gleichzeitig soll nichtsystemischen Behandlern und Vertretern anderer Schulen das umfangreiche systemische Material an Erklärungen, Behandlungskonzepten und praktischen Tools zu verschiedenen Störungsbildern auf kompakte und nachvollziehbare Weise vermittelt werden.

Verlag, Herausgeber und Autoren bemühen sich, einerseits eine für alle Bände gleiche Gliederung einzuhalten und andererseits kreativen systemischen Querdenkern die Freiheit des Gestaltens zu lassen.

An die Stelle der Abgrenzung und der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Therapieschulen ist heute der Austausch zwischen ihnen getreten. Die Reihe Störungen systemisch behandeln versteht sich als ein Beitrag zu diesem Dialog.

Dr. Hans Lieb, Dr. Wilhelm Rotthaus

Vorwort

Angst ist, so schreibt Wilhelm Rotthaus gleich zu Beginn seines Textes, „das vielleicht wichtigste Gefühl, das wir haben“. Gleichzeitig wird die Angst aber, wenn sie übermäßig ist, quälend und lähmend. Viele Kinder und Jugendliche leiden in hohem Maße unter dieser übermäßigen Angst, sodass sie psychotherapeutische Hilfe benötigen. Nun bin ich selber Verhaltenstherapeut, und wir Verhaltenstherapeuten sind ja durchaus zu Recht stolz darauf, bei der Behandlung von Ängsten beachtliche Erfolge erzielen zu können. Zum Glück führt aber das Vorhandensein von Therapiekonzepten, die nachgewiesenermaßen bei einer relevanten Anzahl von Patienten helfen, nicht dazu, dass nicht weitere Bemühungen unternommen werden, noch mehr Patienten noch besser helfen zu können.

Der in dem vorliegenden Buch weit geöffnete Blick auf den Menschen in seinem System hilft dabei zu erkennen, dass die symptomorientierte Behandlung der Angst nur ein Teilaspekt des Vorgehens sein kann; denn in vielen Fällen hat die Angst auch beziehungsregulierende Funktion. Immer ist sie eingebettet in eine spezifische Konstellation von Ressourcen und Problemen des Indexpatienten und aller im System relevanten Personen sowie deren Beziehungen und Interaktionen untereinander. Die Bewältigung der Angst ist eben auch eine Entwicklungsaufgabe für das System, worauf Wilhelm Rotthaus ausführlich hinweist.

 

Wie bei anderen Störungen auch, so darf bei den Angststörungen nicht vergessen werden, dass die Unterschiede zwischen den Patienten in ihren Systemen mindestens genauso wichtig sind wie die Gemeinsamkeiten. Diese Unterschiedlichkeit führt dazu, dass es eben nicht das eine Vorgehen gibt, welches allen Patienten gleichermaßen hilft. Vielmehr ist es wichtig, ein breites Methodenrepertoire anwenden zu können, um den einzelnen Patienten und ihren Familien bestmöglich zu helfen. Und dabei ist es aus Patientensicht letztlich völlig unerheblich, unter welchem Label (Systemische Therapie, Verhaltenstherapie …) diese Hilfen angeboten werden. Auch wenn sich diese Einstellung im Rahmen unseres Gesundheitssystems noch lange nicht wird durchsetzen können: Gerade aus diesem Grund schreibe ich als ausgebildeter Verhaltenstherapeut besonders gern ein Vorwort für dieses Buch eines renommierten systemisch orientierten Kollegen. Noch sind wir nicht bei einer allgemeinen, schulenübergreifenden Psychotherapie angekommen, aber Bücher wie dieses können ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin sein.

Auf der einen Seite übernimmt Wilhelm Rotthaus ohne jede Berührungsangst zentrale Aspekte der Verhaltenstherapie (vor allem Exposition; ebenso werden aber auch Gedankenstopp und Selbstverbalisation – originär verhaltenstherapeutische Methoden – erwähnt) in sein Therapiekonzept, weil sie eben auch im Rahmen einer systemisch orientierten Therapie sinnvoll eingesetzt werden können. Andererseits wird eine Fülle von Methoden dargestellt, die systemischen Ursprung haben und systemisch begründet werden, die aber auch im Rahmen verhaltenstherapeutisch orientierter Therapiekonzepte eingesetzt werden können – erwähnt seien hier Reframing, die Einführung von rituellen Handlungen und imaginierten Helfern, Musterunterbrechung, paradoxe Handlungsanleitungen sowie die Techniken der Externalisierung und der Teilearbeit.

Und dann gibt es da noch die Handlungsideen, bei denen systemischer Ansatz und Verhaltenstherapie sich nur graduell zu unterscheiden scheinen. Viele systemische Methoden können auch als kognitive Umstrukturierung verstanden werden und werden auch vom Autor so deklariert. Wilhelm Rotthaus arbeitet an dieser Stelle den Unterschied zur kognitiven Umstrukturierung in der Verhaltenstherapie dahin gehend heraus, dass in seinem Konzept der Therapeut bzw. die Therapeutin nicht mit dem Anspruch arbeite zu wissen, welche Kognitionen für den Patienten die besseren seien, sondern auf viel grundlegendere Art zu selbstbestimmten kognitiven Veränderungen anregen will. Hier könnte man konstruktiv darüber streiten, ob das tatsächlich ein substanzieller Unterschied zwischen den Verfahren ist.

Und schließlich gibt es noch diejenigen Konzepte, die der Autor hier einbaut, die weder der einen noch der anderen Therapieschule zuzuordnen, aber in einer fachgerechten Psychotherapie sicher von besonderer Bedeutung sind. Psychotherapeutische Hilfe – und eben auch das wird in dem vorliegenden Buch deutlich – muss grundbedürfnisorientiert sein. Stets ist nicht nur nach der Funktion des Verhaltens für das System zu fragen, sondern auch nach den Auswirkungen auf die psychischen Grundbedürfnisse (Bindung, Selbstwert, Orientierung/Kontrolle, Lustgewinn/Unlustvermeidung) der Patienten.

Ist also jetzt alles sowieso irgendwie dasselbe? Benötigen wir gar keine schulenspezifischen Therapiekonzepte mehr, und ist das vorliegende Buch ein Beispiel für eine neue, schulenüberwindende Psychotherapie? Nein, soweit sind wir (noch?) nicht, weder im Bereich der Forschung noch im Bereich der Theoriebildung. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, unterschiedliche Arten, die jeweilige Problemkonstellation erfassen zu wollen, unterschiedliche Schwerpunkte in der Behandlung. Aber es gibt keine Notwendigkeit für rituelle Abgrenzungen voneinander, keine Notwendigkeit, vermeintlich grundsätzliche Unterschiede zu strapazieren. Stattdessen wird hier ein klar systemisch orientiertes Buch vorgelegt, in das aber völlig unaufgeregt Ideen und Konzepte aus anderen Schulen integriert wurden. An der einen oder anderen Stelle scheint die Distanz zwischen den Verfahren so gering zu sein, dass sie fast zu vernachlässigen ist. An anderen Stellen aber gibt es diese Unterschiede, und sie können und müssen auch noch weiterhin Ausgangspunkt für fruchtbare Auseinandersetzungen mit dem Thema der Integration oder gar der Überwindung von Psychotherapieschulen zum Wohle der Patienten sein.

Besonders erhellend sind in dem vorliegenden Buch die Abschnitte zum systemischen Störungsverständnis. Hier wird der Blick – unter anderem – als Erweiterung einer symptomzentrierten Sichtweise sowohl auf beziehungsorientierte Hypothesen als auch auf die Entwicklungsaufgaben gelegt, die Kinder und Jugendliche im Zusammenspiel mit ihren Eltern zu bewältigen haben. Dass Ängste – egal welcher Art – als Signal für anstehende Entwicklungs- und Entscheidungsschritte angesehen werden können, ist plausibel und erweitert das Verständnis für diese Störungen.

Methodisch stellt Wilhelm Rotthaus ein breites Spektrum vor, sodass einzelfallorientiert die hilfreichsten Methoden ausgewählt werden können. Insofern ist dieses Buch kein „Manual“, das für die verschiedenen Patienten die gleiche Vorgehensweise empfiehlt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Therapeuten werden nicht aus der Verantwortung entlassen, auf die Besonderheiten des Einzelfalls zu achten und angemessene Therapiemethoden auszuwählen. Hier ist nichts besonders hervorzuheben; denn alles passt – nur eben auf unterschiedliche Patienten.

Ich hoffe, dass dieses Buch eine breite Leserschaft erreicht; denn die hier differenziert unter Berücksichtigung allgemeinpsychologischer Erkenntnisse herausgearbeitete systemische Perspektive kann – wie im ersten Absatz dieses Vorwortes gefordert – dazu beitragen, tatsächlich noch mehr Betroffenen noch besser zu helfen.

Prof. Dr. Michael Borg-Laufs Mönchengladbach, im Januar 2015