Missbrauchte Gottesdienerinnen

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Fälle aus der jüngsten Vergangenheit

Leider hat es auch in der jüngsten Vergangenheit Fälle gegeben. So berichtete The Korea Times erst vor kurzem von einem Fall aus dem Jahr 2011, der im Februar 2018 öffentlich bekannt geworden war. Die koreanische Ordensfrau K. war während eines Einsatzes im Sudan von H. M., einem koreanischen Diözesanpriester, belästigt worden. Während beide im Sudan waren, „musste sie die ganze Nacht aufbleiben, weil sie befürchtete, dass H.M. ihr Zimmer einbrechen und sie vergewaltigen würde. Dieser hämmerte stundenlang bis in die Morgendämmerung auf ihre Türe ein. Eines Tages brach er das Schloss auf, kam in ihr Zimmer und sagte: ‚Ich kann meinen Körper nicht kontrollieren, also solltest du mir helfen.’ K. sagte, dass sie es kaum schaffte, aus dem Raum zu entkommen.“ Obwohl die Ordensfrau sich hilfesuchend an zwei andere Priester wandte, die dort waren, unternahmen diese nichts. Mittlerweile ist H.M. suspendiert worden.

Es gibt aber auch prominente jüngere Fälle aus Europa, wie jenen des Gründers der Johannesgemeinschaft, Marie-Dominique Philippe. Er entwickelte eine Spiritualität der geistlichen Liebe, die er (und vermutlich auch andere Patres derselben Gemeinschaft) dazu nutzte, sich jungen Schwestern und anderen jungen Frauen sexuell zu nähern. Bekannt geworden ist auch der Fall von G. C., dem Gründer der Gemeinschaft der Seligpreisungen, der über Jahre hinweg junge Ordensfrauen in sogenannten „mystischen Vereinigungen“ zum Geschlechtsverkehr zwang. Eine Zeugin dieser Vorfälle erinnert sich wie folgt: „Eines Tages begann er mir zu erklären, dass er die ‚mystische Vereinigung’ praktizierte, eine Vereinigung des Gebets, aber auch eine sexuelle Vereinigung, die ihm zufolge von der heiligen Klara mit dem heiligen Franziskus von Assisi oder von Papst Johannes Paul II. mit Schwester Faustina Kowalska vollzogen worden wäre. Er behauptete, dass das nur wahre Mystiker verstehen könnten. Lassen Sie es mich anders formulieren: Er hat die Schwestern verführt und mit ihnen geschlafen, indem er sie davon überzeugt hat, dass es der Wille des Himmels war. Ich war am Boden zerstört, als ich das erfuhr, und ich brauchte Tage, um es zu begreifen. Ich beschloss damals, es dem Leiter zu sagen, aber er glaubte mir nicht. Also habe ich in seiner Gegenwart E. am Telefon angerufen. Ich schaltete auf Lautsprecher und sprach mit E. über eine junge, psychisch fragile Schwester, mit der er regelmäßig schlief. Ich fragte ihn, was wäre, wenn sie schwanger würde. In dem Glauben, dass er mit mir allein war, antwortete E.: ‚Sie wird in die Vereinigten Staaten fliehen, das Kind auf die Welt bringen, und dann werden wir so tun, als hätte sie es adoptiert.’ Ich war sehr besorgt um diese Schwester. E. hatte in der gleichen Nacht mit ihr geschlafen, in der sie ihre Gelübde ablegte.“

Neben diesen öffentlich bekannt gewordenen Fällen gibt es eine schwer kalkulierbare Zahl (bislang) nicht öffentlich gewordener Fälle. Von letzteren können beispielsweise die Mitglieder von AVREF [Aide aux Victimes de mouvements Religieux en Europe et Familles] erzählen. Dem Verein mit Sitz in Paris, der sich um Opfer von geistlichem Missbrauch in katholischen Gemeinschaften kümmert, liegen Opferberichte vor, die darauf schließen lassen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Das Muster ist immer dasselbe: Oft sehr junge Ordensfrauen werden von Priestern missbraucht, die ihre Rolle als Gründer, Beichtväter oder geistliche Begleiter ausnutzen, um die Frauen zu – bisweilen spirituell überhöhten und vermeintlich einvernehmlichen, bisweilen aber auch gewaltsam erzwungenen – sexuellen Handlungen zu nötigen. AVREF kümmert sich vor allem um die Fälle, über die wohl kaum jemals in irgendeiner Zeitung berichtet werden wird. Die meisten Opfer sind von ihren Erlebnissen so verletzt, verwirrt und nicht selten traumatisiert, dass sie schlicht nicht in der Lage sind, an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn sie es überhaupt fertig bringen, sich jemandem anzuvertrauen. Auch das geschieht oft nur zaghaft und erst viele Jahre nach den Missbrauchserfahrungen.

Das Resümee des hier gesammelten Befundes kann nur aus zwei sehr deutlich und drängend formulierten Fragen bestehen: Wie kommt es, dass Ordensfrauen in einer so erschreckend hohen Zahl Opfer von sexuellem Missbrauch werden konnten (und vermutlich immer noch werden)? Und: Wie kommt es, dass niemand in der Kirche sich diese Frage ernsthaft zu stellen scheint?

Dass kirchliche Einrichtungen sich zwar einerseits der Schwere interner Vorfälle offensichtlich bewusst sind, aber andererseits kaum andere Maßnahmen ergreifen als diese möglichst von der Öffentlichkeit fernzuhalten, ist ein Phänomen, mit dem wir schon in den Kindesmissbrauchsfällen traurige Bekanntschaft gemacht haben. Allerdings hat die Kirche sich im Umgang mit Kindesmissbrauch erstmals gezwungen gesehen, sich trotz dieser internen Tendenz öffentlich mit den Taten und der eigenen institutionellen Verantwortung auseinanderzusetzen. Warum sollte eine solche Auseinandersetzung hier nicht auch möglich sein, wo wir Grund zur Annahme haben, dass es in mindestens dreiundzwanzig afrikanischen, asiatischen, europäischen und amerikanischen Ländern zu sexuellem Missbrauch an Ordensfrauen gekommen ist, dass dieser Missbrauch teils Todesfälle, erzwungene Abtreibungen, schwere psychische Erkrankungen und jahrzehntelanges Leid Betroffener nach sich gezogen hat, dass er womöglich um die dreißig Prozent aller Ordensfrauen betrifft und nach wie vor stattfindet?

Die eigentliche Frage ist aber nicht die nach den Ursachen des Schweigens, sondern die nach den Ursachen des Missbrauchs (wiewohl beide vermutlich eng zusammenhängen): Wie ist es möglich, dass Ordensfrauen in einer so erschreckend hohen Zahl Opfer von sexuellem Missbrauch werden konnten? Welchen Anteil haben Machtverhältnisse zwischen Oberinnen und Schwestern, zwischen Priestern und Schwestern? Welchen Anteil hat eine vielleicht spezifische Dynamik der geistlichen Begleitung zwischen zölibatär lebenden Menschen? Wie offen kann über solche Fälle in den Gemeinschaften gesprochen werden? Finden Opfer in ihren Gemeinschaften eine Atmosphäre vor, in der sie reden können, eine Atmosphäre, in der die Reputation der Gemeinschaft im Zweifelsfall nicht über dem Wohlergehen des einzelnen Mitglieds steht? Wie soll mit Tätern umgegangen werden – auch und gerade dann, wenn es sich vielleicht um angesehene Kleriker und renommierte geistliche Begleiter handelt?

Nicht zuletzt gilt es, die Frage nach der Stellung von Ordensfrauen im kirchlichen Machtgefüge zu stellen. Ist die Ignoranz gegenüber den bekannt gewordenen Missbrauchsfällen vielleicht nicht nur eine Reaktion auf den Missbrauch, sondern ebenso eine Ursache für diesen Missbrauch? In der diesjährigen Märzausgabe des Osservatore Romano haben sich mehrere Ordensfrauen zu Wort gemeldet, deren Aussagen eine solche These zumindest stützen würden. Die Ordensfrauen berichten von Ausbeutungserfahrungen. Viele Schwestern würden ohne Arbeitsvertrag und ohne vernünftige Bezahlung als Haushälterinnen oder pastorale Mitarbeiterinnen arbeiten. Schwestern würden Priestern und Bischöfen gewissermaßen zur Verfügung gestellt werden, um für sie zu putzen, die Wäsche zu waschen, ihnen das Essen zu servieren – aber sie würden bisweilen nicht einmal eingeladen, mit dem jeweiligen Würdenträger am selben Tisch zu essen. Eine Schwester wird mit den Worten zitiert: „Die Schwestern werden als Freiwillige betrachtet, über die nach Belieben verfügt werden kann. Das führt zu echtem Machtmissbrauch.“ Dass die Frauen, die in diesem Artikel zitiert werden, sich dazu entschieden haben, anonym zu bleiben, zeugt von einem Klima der Angst in der Kirche, das es von Seiten der Verantwortlichen zu überwinden gilt, indem sie diesen Frauen entgegenkommen. Es ist allerdings ein bemerkenswerter und hoffnungsvoller Schritt, dass sie sich überhaupt zu Wort gemeldet haben.

Überhaupt gibt es Anlass zur Zuversicht, dass wir uns in einem geschichtlichen Moment befinden, der günstig ist, um endlich über dieses Thema zu sprechen. Wir erleben eine anhaltende Debatte, in der Frauen weltweit über sexuellen Missbrauch sprechen und Gehör finden. Die Zeit der Aussprache hat aber im Grunde schon vor Jahrzehnten begonnen, nämlich in dem Moment, in dem M.O’D., M. und E. erstmals mit Nachdruck auf den sexuellen Missbrauch von Ordensfrauen aufmerksam gemacht haben. Und auch wenn die bekannt gewordenen Fälle lange totgeschwiegen wurden, ist seither nicht nichts passiert: Langsam und nachhaltig hat sich bei bestimmten Menschen in der Kirche ein Bewusstsein dafür etabliert, dass es solche Fälle gibt und dass es notwendig ist, darüber zu sprechen. Als ich im vergangenen Herbst einen Vortrag über geistlichen Missbrauch hielt, bei dem unter anderem geistliche Begleiter und Leiterinnen von Exerzitienhäusern aus verschiedenen deutschen Diözesen anwesend waren, war ich überrascht, wie deutlich sich einige der Anwesenden spontan in Bezug auf dieses Thema – das ja mit dem Vortragsthema nicht unmittelbar in Zusammenhang stand – zu Wort meldeten. Sie versicherten, sexueller Missbrauch wäre ein großes Thema für Ordensfrauen. In der geistlichen Begleitung und in Exerzitien würde das immer wieder angesprochen.

Wenn Opfer erst einmal eine Stimme gefunden haben, um in einem geschützten Rahmen über das ihnen angetane Leid zu sprechen, haben sie damit schon den ersten Schritt zur Aufarbeitung getan. Die kirchliche Gemeinschaft und die Ordensgemeinschaften sollten ihnen nun entgegenkommen. Wir wissen mittlerweile ja nicht nur, dass die prädominante Sorge um das institutionelle Ansehen, das damit verbundene Schweigen und das Beharren auf „internen Lösungen“ nicht dazu führen, dass Missbrauch wirksam bekämpft werden kann. Wir wissen auch, dass Opfer sexuellen Missbrauchs auch nach Jahrzehnten noch unter den Taten leiden und Hilfe brauchen – und zwar nicht nur Hilfe in Form von Therapien: Opfer brauchen mindestens ebenso existenziell die offizielle Anerkennung des von ihnen erlittenen Unrechts. Sie haben außerdem ein Recht auf die Verantwortungsübernahme durch die in vielen Fällen mitschuldig gewordenen Institutionen und auf die Verfolgung der Täter. Wir wissen aber mittlerweile auch, dass die prädominante Sorge um das institutionelle Ansehen, das damit verbundene Schweigen und das Beharren auf „internen Lösungen“ nicht dazu führen, dass Missbrauch wirksam bekämpft werden kann.

 

Auf den erschreckenden, in diesem Buch zusammengetragenen Befund scheint es mir nur eine angemessene Reaktion von kirchlicher Seite zu geben: Die Bedingungen des Missbrauchs zu untersuchen, die Täter zu konfrontieren und zur Rechenschaft zu ziehen und wirksame Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Fälle zu ergreifen. Zuallererst aber gilt es den Opfern die Angst vor dem Sprechen zu nehmen und ihnen Gehör zu schenken. Es ist die Aufgabe der kirchlichen Verantwortlichen, der Religiosenkongregation, der Ordensoberen, der Ortsordinarien, der Bischofsvikare für das geweihte Leben und der Ordensreferentinnen der einzelnen Diözesen, den Opfern von offizieller Seite das zuzurufen was „Schwester C. sich im Osservatore nur unter Pseudonym zu sagen traut: „Ihr habt das Recht zu reden!“

Verbrecher in Kirchengewändern

Zu „GOTTES MISSBRAUCHTE DIENERINNEN“, ARTE:

Endlich öffnet sich der Vorhang. Ein wenig nur, aber er wird nicht mehr zu schließen sein von denen, die das Leugnen und Vertuschen von Verbrechen jahrzehntelang erfolgreich betrieben haben: von den Männern an der Spitze der katholischen Kirche. Denn nun hat auch der Papst zugegeben, was der Vatikan seit Dekaden weiß: dass etliche Mönche und Priester seiner Kirche nicht nur Minderjährige, sondern auch Nonnen erpresst und vergewaltigt haben.

„Neben der Pädophilie versucht die Kirche ein weiteres Verbrechen zu vertuschen. Weltweit begehen Priester sexuellen Missbrauch an Ordensfrauen, die ihrer Autorität unterstehen.“ Umstandslos klar formulieren Eric Quintin und Marie-Pierre Raimbault den Einstieg ihres Dokumentarfilms „Gottes missbrauchte Dienerinnen“. Darin zeichnen sie die Leidenswege einiger Opfer nach und enthüllen die globale Dimension kirchlicher Kriminalität.

Im Zentrum stehen die Berichte von ehemaligen Nonnen aus Frankreich, wo der Priester D. in der von ihm gegründeten Gemeinschaft „Saint Jean“ jahrzehntelang junge Frauen vergewaltigen konnte, ohne dass die Kirchenoberen einschritten, obwohl sie von der perversen Veranlagung des Mannes wussten. Und keiner seiner Brüder im Geiste wurde während der 40 Jahres des Bestehens dieses Männerbunds, der „freundschaftliche Liebe“ predigte und erzwungenen Sex praktizierte, jemals entlassen oder verurteilt – abgesehen von einigen Pädophilen.

Die jungen Frauen werden, wie die ehemalige Nonne D. schildert (die ihre Erfahrungen auch in dem Buch „Nicht mehr ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau“ beschrieben hat), von den sexuellen Avancen der Priester überrascht, wähnen sie sich doch in einer Welt der Keuschheit. „Das Wort Vergewaltigung war noch nicht in meinem Kopf“, sagt eine. Die Männer wissen das auszunutzen, zumal sie nichts zu befürchten haben. Ihre Opfer wagen aus ihrem Verständnis von Gehorsam oder aus Scham nicht, sich mitzuteilen. Tun sie es doch, werden ihre Berichte unterdrückt von Äbtissinnen oder Bischöfen.

Besonders drastisch schildern das die Autoren am Beispiel von afrikanischen Ordensschwestern, die mitunter von ihren Oberinnen wie Sexsklavinnen an Priester verkauft werden. Die ärmlichen Verhältnisse, aus denen die Novizinnen oft stammen, spielen den kriminellen Tätern in die Hände: Wer etwa wegen einer Schwangerschaft aus dem Orden verstoßen wird, steht mittellos da.

Viele Frauen werden von den Verbrechern in Kutten zur Abtreibung gezwungen. Darüber haben zwei Nonnen 1994 und 1998 nach „sechs Jahren Erfahrungen in 23 Ländern auf allen fünf Kontinenten“ den Vatikan unterrichtet. Mit diesem Wissen mutet die Aussage von Papst Franziskus aus einer Rede vom vergangenen Oktober umso zynischer an. Da verurteilt er Abtreibungen, denn das sei, „als würde man sich einen Auftragsmörder suchen, um ein Problem zu beseitigen“.

Quintin und Raimbault nennen zahlreiche Belege für die Machenschaften von Priestern und Kirchenoberen und versuchen mit einer dramaturgischen Steigerung eine klare Struktur zu schaffen; die Opfer werden mit Diskretion gefilmt, die Symbolbilder, oft diese schönen alten Klosterbauten zeigend, zeichnen umso schärfer den Kontrast zwischen salbungsvollen Worten und kriminellem Tun.

Und am Ende versuchen die Autoren sogar – ungewöhnlich für Dokumentarfilmer, einzugreifen, indem sie dem Vatikan eine Begegnung zwischen dem Papst und zwei der missbrauchten ehemaligen Nonnen vorschlagen. Nach langem Zögern willigt Rom ein – doch nur für ein Treffen ohne Zeugen. Damit bestätigt die Spitze der Kirche nur, was seit je ihre unselige Praxis ist: Geheimhaltung um jeden Preis. Die Frauen lehnen ab.

Gehorsam zur sexuellen Gewalt

Klostermauern, Stadtstraßen rund um den Vatikan, sakrale Innenräume, Menschen an Schreibtischen im Halbdunkel, Menschen hinter Holzgittern in Beichtstühlen: Man denkt bei den Bildern des französischen Dokumentarfilms „Gottes missbrauchte Dienerinnen“, der das Ausmaß und die Systematik sexueller Übergriffe von Priestern auf Ordensfrauen zu vermitteln versucht, wohl nicht an den Wald. Und doch erklärt ein menschlicher Fehler im Umgang mit der Natur die Haltung der katholischen Kirche.

Werden Wälder von Menschen zu konsequent vor Bränden geschützt, sammelt sich das Totholz zu einer ungeheuren Brandlast an. Von nun an könnte jeder Funke das Ökosystem tatsächlich vernichten. Möglicherweise gibt es im Vatikan eine ungute Allianz aus Leugnern und Aufklärungswilligen, die ihre Kirche aus ganz unterschiedlichen Perspektiven als brennbaren Bau voller Zunder sehen. „Gottes missbrauchte Dienerinnen“ legt jedenfalls nahe, dass so vieles so lange ignoriert wurde, dass sich offene Aufklärung durchaus zu einem nicht mehr kontrollierbaren Brand entwickeln könnte.

Zum Selbstverständnis von Nonnen gehört der bedingungslose Gehorsam – manche Priester nutzen das aus

Die Kirche wiederholt jedenfalls stur jene Politik des Verschweigens, des Zauderns und des fruchtlosen internen Ermahnens, die schon beim Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nur zu noch mehr Leid und zu einer großen Vertrauenskrise geführt hat.

Die Regisseure Eric Quintin und Marie-Pierre Raimbault haben mit Frauen gesprochen, die lange innerhalb der Kirche Gehör für ihr Leiden gesucht hatten. Bestenfalls hat man interne Entschuldigungszeremonien abgehalten, wenn die Vernetzung von Opfern ein und desselben Gewohnheitstäters zu bedrohlich wurde. An die Strafverfolgungsbehörden hat man sich nie gewandt. Man hat nicht einmal dafür gesorgt, dass schwer Belastete nicht weiterhin ihre Autorität gegenüber auf Gehorsam gedrilltenOrdensschwestern missbrauchen konnten.

Die Zeugenaussagen in dieser Dokumentation bringen Perfides und Kriminelles zutage, Psychotricks und klare Verbrechen. Priester erklären jungen Nonnen, ihre körperlichen Übergriffe seien ihnen im Gebet von Jesus aufgetragen worden, denn den Nonnen solle die Liebe Christi körperlich erfahrbar werden. Immer wieder kommt es zu Schwangerschaften. In mehr als einem Fall wurden Nonnen zur Abtreibung genötigt.

Bislang hat kein Papst etwas Wirkungsvolles unternommen, um der sexuellen Versklavung von Ordensfrauen einen Riegel vorzuschieben

Eine missbrauchte junge Frau kann hier in schlichten Worten klarmachen, welche idealen Opfer übergriffige Priester an Nonnen haben: „In meiner Rolle war das normal, dass ich Sachen aushalten musste, die ich nicht wollte. Das hat zum Gehorsam dazugehört. Dass ich Sachen getan habe, die ich nicht verstanden habe, dass ich Sachen getan habe, die für mich schmerzhaft waren, das war alles normal.“

Nach der Enthüllungsserie über die Vergehen pädophiler Priester tritt jetzt ein weiterer Skandal zutage, den die Kirche bislang noch zu vertuschen sucht:

Überall in der Welt werden Ordensschwestern von hierarchisch über ihnen stehenden Klerikern sexuell missbraucht – von Priestern und Würdenträgern bis in den Vatikan hinauf. Den Dienerinnen Gottes, die in Folge dieser Vergehen schwanger werden, droht der Verstoß aus ihren Gemeinschaften oder sie werden zur Abtreibung gezwungen.

Diese systemimmanenten Verbrechen wurden zumeist ignoriert und sündige Priester vom Vatikan-Gericht freigesprochen. In den letzten 20 Jahren fing die Mauer des Schweigens jedoch an zu bröckeln. Trotz expliziter Berichte, die von Hinweisgebern an den Heiligen Stuhl gerichtet wurden, gaben sich drei Päpste die Ferula in die Hand, ohne der systematischen sexuellen Versklavung von Ordensfrauen einen Riegel vorzuschieben.

Bruder Spaghettus im „Wort zum Freitag“ vom 7. März 2019 kommentierte:

Mich hat der Bericht (von Arte) erschüttert, ich bin immer noch leicht aufgewühlt. Klar, der Missbrauchsskandal an Kindern ist vielleicht noch heftiger. Aber das kann und sollte man erstens nicht gegeneinander aufwiegen, und zweitens kam der scheibchenweise, wirkte also nicht ganz so wie Dampfhammer.

Arte hat sich 1:36 h Zeit genommen, um jahrelange Recherchen schlüssig zusammen zu fassen. Das von vorn bis hinten völlig glaubwürdig. Besonders gelungen fand ich die Darstellung, wie dieser sexuelle Missbrauch von Nonnen bis hin zur Zwangsprostitution institutionalisiert war. Seit mindestens 20 Jahren lagen erste Anzeigen beim Vatikan vor. Wie bei den Kindern wurde auch hier alles gedeckelt. Nonnen, die schwanger wurden, mussten ihre Kinder zur Adoption frei geben oder abtreiben. Oft wurden sie anschließend von ihren Orden ausgeschlossen und saßen mittellos auf der Straße. Eine besondere Form des Missbrauchs gab es in Aidsgebieten. Da konnten die armen Priester aus Furcht nicht mehr zu Prostituierten gehen, also mussten die Nonnen ran. Kann man doch verstehen, oder? Die, denen das gemeldet wurde, hatten jedenfalls Verständnis. Für die Priester, versteht sich, nicht für die Nonnen.

Das führt mich zum nächsten Punkt. Arte hat es hervorragen verstanden klar zu machen, warum die Opfer im kirchlichen Gefüge nahezu chancenlos waren. Das Gemenge von gewohnter Unterordnung, Gelöbnis, äußerem Druck und Liebe zu Kirche bzw. zu Jesus war zu dicht. Beeindruckend war da die Aussage einer deutschen Ordensfrau. Für sie war nicht die Vergewaltigung das Schlimmste, sondern der Verlust der Jungfräulichkeit. Die hatte sie Jesus versprochen. War sie nun noch seine Braut? Hatte sie ihn verraten? Bei mir kam nie der Gedanke auf: selbst schuld, warum seid ihr in dem Verein. Dafür eine Menge Verständnis.

Aber auch eine Menge Wut. Auf die Täter, auf die Verschweiger, auf die Institution und auf den Papst selbst.

Der war zwar auf Druck von außen bereit, sich mit zwei Opfern zu treffen, allerdings nur im Geheimen. Also genau das, was alle anderen vor ihm auch schon gemacht haben: sich entschuldigen aber nicht dazu stehen und, vor allem, nichts ändern.

Für mich ist klar, diese weltgrößte Verbrecherorganisation Kirche ist nicht reformierbar. Zu stark sind die Seilschaften, zu stark der Drang, nach außen makellos da zu stehen und viel zu gering der Wunsch, wirklich etwas ändern zu wollen. Auch beim ehemaligen Hoffnungsträger Papst Franziskus.

Da hilft wirklich nur noch eins, das zu tun, was man mit kriminellen Organisationen tut: sie zerschlagen. Bei der Mafia versucht man das schon lange. Die Kirche ist noch schlimmer und das schon ewig. Raub, Betrug, Erpressung, Mord, alles wird geboten. Sie muss aufgelöst werden, ihr Vermögen ersatzlos eingezogen, die Archive geöffnet und die Täter bestraft.

Leider eine Utopie. Überall ist die Kirchenlobby am Werk und mit der Politik verwoben. Aber wir können eins klar machen:

Wer diese Kirche in irgendeiner Weise fördert, unterstützt eine kriminelle Vereinigung.

Egal ob Staaten ihr finanzielle Zuwendungen, Begünstigungen oder Sonderrechte gewähren, egal ob Privatleute für die Kirche werben, sie verteidigen oder für sie spenden, sie alle machen sich mitschuldig an ihren Verbrechen.

Wenn wir das in immer mehr Köpfe bekommen, haben wir schon einiges geschafft.

Der Katholische Deutsche Frauenbund e.V. (KDFB) fordert den Vatikan und die Deutsche Bischofskonferenz in einem Schreiben vom 18.03.2019 unter der Überschrift „Missbrauch von Ordensfrauen ist ein Verbrechen!“ auf, den an Ordensfrauen begangenen geistlichen und sexuellen Missbrauch öffentlich zu machen und verfahrensmäßig genauso wie den Missbrauch an Minderjährigen zu ahnden.

 

Anlässlich der Arte-Dokumentation „Gottes missbrauchte Dienerinnen“ spricht sich der KDFB-Bundesausschuss für eine umfassende Aufklärung und strafrechtliche Verfolgung der weltweit durch Priester begangenen Verbrechen an Ordensfrauen aus. „Wir sind erschüttert über diese Taten, die im geschlossenen System der Weltkirche stattfinden, und darüber, dass sie bewusst verschwiegen und vertuscht werden. Ordensfrauen zur Befriedigung eigener sexueller Bedürfnisse zu benutzen und ihr Gehorsamkeitsgelübde zu instrumentalisieren, ist eine tiefe Verletzung ihrer Menschenwürde, ein Ausnutzen ihrer Lebens- und Glaubenssituation und ein besonders perfider Missbrauch von Macht“, erklärt KDFB-Präsidentin Maria Flachsbarth.

Der KDFB fordert daher den Vatikan auf, die seit Langem bekannten und dokumentierten Vorgänge über den weltweiten geistlichen und sexuellen Missbrauch von Ordensfrauen zu veröffentlichen und dazulegen, was dagegen unternommen wurde bzw. konkret unternommen wird. Täter sollen benannt und alle Taten straf- und kirchenrechtlich verfolgt werden. An die Deutsche Bischofskonferenz appelliert der KDFB, die an Ordensfrauen begangenen Verbrechen verfahrensmäßig genauso zu ahnden wie den Missbrauch an Minderjährigen.

„Als Christinnen sehen wir eine dauerhafte Aufgabe darin, das System des Klerikalismus in der Kirche zu verändern. Dies bezieht auch Frauen ein, die dieses System mittragen“, so Flachsbarth. Der KDFB wird deshalb das Thema „Verfolgung und Prävention von Missbrauch in der Kirche“ konsequent weiter im Blick halten und unterstützt die Kampagne „overcomingsilence“ von voices of faith. „Wir sind uns im Klaren darüber, dass wir uns mitschuldig machen, wenn wir Tätern durch unser Schweigen Raum geben“, stellt die KDFB-Präsidentin fest.

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