Kriminalfälle aus der DDR - 2. Band

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Kriminalfälle aus der DDR - 2. Band
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Walter Brendel

Kriminalfälle aus der DDR

2. Band

Nach Gerichtsakten, Vernehmungsprotollen und Stasi-Unterlagen

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

gunter.50@gmx.net

Inhalt

Impressum

Einführung

13. Die Hinrichtung des Wolfgang M.

14. Tod eines Funktionärs aus dem Volksbildungsministerium

15. Die kopflose Leiche

16. Zweifacher Totschlag durch einen Stasi-Mann

17. Missbraucht und ermordet

18. Der Tod zweier Jugendlicher

19. Tod einer Pastorin

20. Geheime Privatsache

21. Die Monster-Mutter

22. Das verschwundene Kind

23. Serienvergewaltigung

24. Hetzjagd in Merseburg

25. Zwangsadoption

Zusammenfassung des 2. Bandes

Quellen

Einführung

Die DDR investiert viel in die Aufklärung von Verbrechen, auch die, die es eigentlich gar nicht geben darf. Bei einen Angriff auf dem Staat kennt die Führung keine Gnade, und was, wenn auch der Klassenfein noch darin verwickelt ist? Viele Fragen bleiben bis heute offen. Als die DDR schon fast an ihrem Ende war, wurde die Todesstrafe abgeschafft. Ihre Aufarbeitung in der Bundesrepublik wird bis heute kontrovers beurteilt. Die Geschichte der DDR spaltet noch immer die Gesellschaft in Ostdeutschland. Das letzte Zeugnis, das der Mensch hinterlässt, ist ein Eintrag in den Friedhofsakten. Wird der Verstorbene verbrannt, macht das Einäscherungsbuch Angaben zur Person, zum Sterbetag und zum Ort der Beisetzung. Jeder Eintrag erhält eine fortlaufende Nummer; diese wird auch auf dem Stein eingraviert, den man vor der Einäscherung in den Sarg legt und dann mit der Urne beisetzt. Für jeden Verbrennungsofen wird zudem ein eigenes Verzeichnis geführt, das sogenannte Ofenbuch. Anonyme Beisetzungen gebe es nicht, versichert Günter Schmidt von der Verwaltung des Leipziger Südfriedhofs. Das gilt auch für Gemeinschaftsgräber ohne individuelle Grabsteine, die erst in der DDR und jetzt in ganz Deutschland Verbreitung gefunden haben.


Blick ins Innere des ehemaligen Gefängnisses in der Südvorstadt von Leipzig, der zentralen Hinrichtungsstätte der DDR. Vor 25 Jahren, am 26. Juni 1981, wurde mit der Erschießung des Stasi-Offiziers Werner Teske zum letzten Mal ein offizielles Todesurteil in der DDR vollstreckt

Die Akten des Südfriedhofs sind allerdings nicht vollständig. Für den 14. Dezember 1979 heisst es im Einäscherungsbuch unter der Nummer 360 595 nur „Anatomie“. Der Leichnam stammte also angeblich aus dem anatomischen Institut der Universität. Der Vermerk ist unleserlich an den Seitenrand gekritzelt, auch die Nummerierung stimmt nicht. Auf die 599 folgt die 595. Solche Unregelmässigkeiten finden sich in dem penibel geführten Buch sonst nirgends. Als Grabstelle ist das Feld J 30 angegeben, doch dort ruht keine Urne mit der angegebenen Nummer. Der fingierte Eintrag diente der Irreführung. Bei dem anonymen Toten handelt es sich um den Stasi-Offizier Gert Trebeljahr, der am 10. Dezember 1979 wegen Spionage hingerichtet worden war.

Obwohl die Todesstrafe bis zu ihrer Abschaffung im Jahr 1987 die vom Strafgesetzbuch vorgesehene Höchststrafe war, umgab der kommunistische Staat die Ausführung mit einem Geheimnis. Die Todeskandidaten wurden am Tag der Exekution in die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR verlegt: die separat gelegene ehemalige Hausmeisterwohnung des Leipziger Stadtgefängnisses. Hier erfuhr das Opfer, dass es jetzt sterben werde. Der Verurteilte wurde in einen fensterlosen Raum mit einem Abfluss im Boden geführt. Bis 1968 fand die Hinrichtung mit der Guillotine statt. Später trat der Scharfrichter nach sowjetischem Vorbild von hinten an den Delinquenten heran und tötete ihn mit einem Genickschuss. Im Gefängnis wussten nur wenige, dass dessen stellvertretender Direktor als Henker amtierte.

Zeugen waren außer einem Staatsanwalt, dem Leiter der Haftanstalt und einem Arzt der Volkspolizei nicht zugegen. Auch der Totenschein wurde gefälscht. Bis heute kann man nur spekulieren, was die SED zu dieser Heimlichtuerei veranlasste. Vielleicht war es das sowjetische Erbteil der DDR, jene Mischung aus Paranoia und Konspiration, die das Regime Lenins und seiner Nachfolger von Anbeginn begleitete. Nach der Exekution wurden die sterblichen Überreste nicht den Angehörigen übergeben, sondern an einem unbekannten Ort verscharrt. „Jeder Mensch hat das Recht auf sein Grab, das ist so etwas wie ein Grundrecht“, sagt Günter Schmidt.

Nach dem Zusammenbruch der DDR untersuchten Staatsanwälte die anonymen Einäscherungen auf dem Südfriedhof. Mit Hilfe von Gerichtsurteilen und Zeugenaussagen fanden sie die Namen heraus. Da die Herkunft mehrerer Leichen nicht geklärt worden sei, will Tobias Hollitzer vom Leipziger Bürgerkomitee nicht ausschließen, dass es noch unbekannte Hinrichtungsopfer gibt. Konkrete Anhaltspunkte hierfür existieren nicht. Doch der ehemalige Dissident, der die Geschichte der Todesstrafe in seiner Heimatstadt untersuchte, hat bei der Aufarbeitung der Vergangenheit manch Unvorstellbares gesehen. Die DDR vollstreckte die Todesstrafe 160 Mal, überwiegend aus politischen Motiven oder wegen sogenannter Staatsverbrechen. Ab Mitte der siebziger Jahre wurde sie nur noch selten vollzogen. Vier der fünf letzten Opfer waren Geheimdienstleute, denen man Spionage vorwarf.

Der erste Mann im Staat – erst Ulbricht und dann Honecker – konnte jederzeit das Strafmaß verändern.

Auch Sabine Kampf kann die Erinnerung an die DDR nicht abschütteln. Sie war verheiratet mit dem Stasi-Hauptmann Werner Teske, der im Juni 1981 als Letzter in Leipzig hingerichtet wurde. Während im Kinofilm „Das Leben der Anderen“ ein Stasi-Hauptmann eine Überwachungsoperation unbemerkt austrickst, sah die Realität im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) anders aus. Es herrschte ein Misstrauen, das auch kleine Abweichungen von der Norm hart bestrafte.

Aus Frustration über seinen unbefriedigenden Job im Auslandgeheimdienst wandelte sich der ehrgeizige junge Ökonom Teske zum renitenten Kader. Er wollte Wissenschafter sein, nicht Spion. Hinzu kamen familiäre Probleme und Alkohol. Er schimpfte über die SED, vernachlässigte seine Arbeit und unterschlug 20 000 D-Mark, die für Agenten in der Bundesrepublik bestimmt waren. Er gehörte zu den Ermittlern, welche die Flucht eines Stasi-Offiziers in den Westen untersuchten. Auch Teske erwog überzulaufen, doch wollte er seine Frau nicht verlassen. Also blieb er, obwohl er sich dank einem Spezialausweis jederzeit hätte absetzen können.

Einen ersten „strengen Verweis“ erhielt Teske, weil er einen Dienstwagen für eine private Fahrt benutzt hatte. Allmählich kamen die anderen Unregelmäßigkeiten ans Licht. Bei der Durchsuchung der Wohnung fand man in der Waschküche Geheimpapiere, darunter Angaben zu 18 Agenten in Westdeutschland. Teske hatte das Material gesammelt, um es bei einer Flucht mitzunehmen. Damit stand das Urteil fest. Der Chef der Stasi, Erich Mielke, kannte in diesen Fällen keine Gnade: „Das ganze Geschwafel von wegen nicht Hinrichtung und nicht Todesurteil – alles Käse. Genossen, hinrichten, wenn notwendig auch ohne Urteil.“ Im Jahr nach Teskes Tod machte Mielke in einer internen Besprechung noch einmal deutlich, wie mit Verrätern in den eigenen Reihen zu verfahren sei.

Sabine Teske war unpolitisch, genoss die privilegierte Stasi-Existenz mit Westwaren und besuchte Konzerte der oppositionellen Liedermacher Wolf Biermann und Bettina Wegner. Bei offiziellen Feiern der Stasi fiel ihr auf, wie die Männer einheimische „Club“-Zigaretten statt „Marlboro“ rauchten und die Frauen ihren Schmuck aus dem Westen versteckten. Die alltägliche Heuchelei des Arbeiterstaates, nur auf gehobenem Niveau. Sabine Teske kam ebenfalls in Haft. Im Gefängnis blieb sie ohne Anklage und ohne Auskunft über das Schicksal ihres Mannes. Eines Tages brachte man sie so überraschend, wie die Verhaftung erfolgt war, in eine konspirative Wohnung. Ein Stasi-Mann sagte ihr, soeben sei ihr Mann wegen Spionage hingerichtet worden. Dann ließ man sie frei. Im Vollstreckungsprotokoll heißt es, die Exekution sei am 26. Juni 1981 um 10 Uhr 10 „ordnungsgemäß vollzogen“ worden.

Daraufhin begann die Stasi eine Vertuschung. Sabine Teske musste ihren Mädchennamen Kampf annehmen und von Berlin nach Schwerin umziehen. Sie wurde gezwungen, den Kontakt zu Freunden abzubrechen. Ihren Verwandten durfte sie nur die offizielle Version der Todesursache mitteilen: Selbstmord in Haft. Die Stasi durchsuchte ihre Wohnung und wählte eine Arbeitsstelle für sie aus. Die Überwachung war total. Das MfS fuhr sie zur psychotherapeutischen Behandlung nach Berlin, einer ihrer Aufpasser sagte, sie müsse über das Erlebte reden.

 

Sabine Kampf wehrte sich auf ihre Weise. Sie pöbelte Polizisten an und verhielt sich auffällig, bis die auf Konspiration bedachte Stasi den Umzug nach Halle gestattete. Sie erzählt ihre Geschichte im ungerührten Tonfall, in dem Berliner über die Wechselfälle des Lebens reden. Doch manchmal ringt sie um Fassung.

Die DDR ist vor 30 Jahren untergegangen, Vergangenheit ist sie noch nicht. Der Konflikt um die Deutung der Geschichte hält bis heute an. Ein Vorposten in diesem Kampf befindet sich am Berliner Mehring-Platz, im Gebäude des früheren Zentralorgans „Neues Deutschland“, wo früher eine Marx-Büste und ein Volkspolizist den Eingang und den Sozialismus bewachten. Hier befinden sich die Büros der Selbsthilfeorganisationen, mit denen die ostdeutsche Nomenklatura das ihr in der Bundesrepublik angetane Unrecht anprangert. Die GRH, die Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung, kümmert sich um die vor Gericht gestellten Staatsfunktionäre. Hilfe erhielt auch der Militärstaatsanwalt, der die Anklage gegen Teske und Trebeljahr vertreten hatte und deshalb 1998 zu vier Jahren Haft wegen Rechtsbeugung verurteilt wurde.

Nach dem Tod des Militärjuristen schrieb der GRH-Vorsitzende Hans Bauer, der Verstorbene habe „an vorderster Front gegen Feinde und Verräter unseres Staates“ gestanden und sei deshalb von der westdeutschen Klassenjustiz verfolgt worden. Bauer, einst stellvertretender Generalstaatsanwalt seines Staates, will die Todesurteile nicht als Unrecht bezeichnen. „Die DDR hat Recht gesprochen. Das ist für mich bindend und nicht das, was ein BRD-Gericht dazu findet“, sagt er freundlich, aber ohne den Anflug eines Zweifels. Die GRH hat 1500 Mitglieder und bildet ein Netzwerk, in dem sich zahlreiche hohe Stasi-Offiziere organisieren. Inzwischen propagiert die Gesellschaft ihr Geschichtsbild auch öffentlich. Bekannt wurde sie durch Aktionen gegen die Gedenkstätte im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, wo auch das Ehepaar Teske einsaß, ohne voneinander zu wissen.

Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein. Darin unterscheidet sich der kommunistische Generalstaatsanwalt nicht von Hans Filbinger, dem nationalsozialistischen Militärrichter. Die deutsche Justiz kennt Kontinuitäten über Systemgrenzen hinweg. Nach dem Ende der Diktatur kam die Aufarbeitung der Regierungskriminalität schleppend in Gang. Bundesregierung und Bundesländer überließen die Aufgabe zunächst Berlin, nur zögerlich stellten sie Personal für eine Sonderstaatsanwaltschaft bereit. Es dauerte, bis der Bundesgerichtshof Leitlinien für die Aburteilung eines untergegangenen Staates formuliert hatte. Er suchte einen Mittelweg zwischen Bürgerrechtlern und Betroffenen, die der DDR-Justiz jede Rechtmäßigkeit absprechen, und den Altkadern, die über die Siegerjustiz klagen.

Der Bundesgerichtshof entschied, sämtliche Formen von Regierungskriminalität nach DDR-Recht abzuurteilen. Es sollte kein „Feind-Strafrecht“ zur Anwendung kommen. Vor allem das Verbot der rückwirkenden Bestrafung sollte unangetastet bleiben. Anderseits machte man einen naturrechtlichen Vorbehalt: Wo schwerstes Unrecht vorlag, hätten die ostdeutschen Juristen dies erkennen müssen. Gemäß seiner Politik des pragmatischen Mittelwegs hielt der Bundesgerichtshof auch die Anwendung der Todesstrafe in der DDR prinzipiell für legal. Er urteilte aber, dass sie gegen Teske und Trebeljahr nicht hätte verhängt werden dürfen, weil diese die Spionage nie ausgeführt hätten.

Wegen der Todesurteile wurde nur eine Handvoll Richter und Staatsanwälte belangt. „Viele Leute haben dies als ungenügend empfunden“, erklärt Christoph Schaefgen, der die Berliner Sonderstaatsanwaltschaft leitete. Aber er gibt zu bedenken, dass die meisten Verantwortlichen tot oder aus Altersgründen verhandlungsunfähig waren. Immerhin setzte man mit dem Strafrecht das in den Nürnberger Prozessen zunächst für das Völkerrecht entwickelte Prinzip durch, dass kein Staat die Machthaber und ihre Helfershelfer vor nachträglicher Verfolgung schützen kann. Funktionäre wie Honecker und Krenz wurden ebenso zur Rechenschaft gezogen wie Mauerschützen oder Richter. Diese Leistung regulärer Gerichte steht in einer Reihe mit den Sondertribunalen zu den Kriegsverbrechen in Jugoslawien und Rwanda. Gewürdigt wird dies in Deutschland kaum, weil das in der Wiedervereinigung Erreichte weniger beachtet wird als das Unzulängliche und Unvollendete.

Sabine Kampf wollte den Tod ihres Mannes lange nicht wahrhaben. Bis in die neunziger Jahre gab sie sich der Hoffnung hin, ihr Mann werde eines Tages auftauchen. In den Wirren der Wende wandte sie sich an das Ostberliner Militärgericht, wurde dort aber abgewimmelt. Erst als Schaefgens Team Kontakt zu ihr aufnahm und den verantwortlichen Militärstaatsanwalt wegen Rechtsbeugung anklagte, begann sie das Unabänderliche zu akzeptieren. Bei der Stasi hatte sie sich verpflichten müssen, über ihr Schicksal zu schweigen. „In dem Prozess wegen der Todesurteile brach alles aus mir heraus.“ Ein später Akt der Befreiung, mit den Mitteln der Justiz.

Unsere Berichte bringen Licht ins Dunkel der Kriminalgeschichte des Arbeiter- und Bauernstaates und fokussiert dabei auf Morde aus sexuellen Motiven. Doch jeder Fall erzählt auch ein Stück Geschichte. Authentische Dokumente aus dem umfangreichen Stasi-Unterlagen-Archiv, Gerichtsurteile und Vernehmungsprotokolle zeigen auf, unter welchen Umständen diese Fälle aufgeklärt wurden.

Doch lesen Sie die Fälle selbst.

13. Die Hinrichtung des Wolfgang M.

Wir sind in Leipzig und schreiben das Jahr 1972. Am 29. September stirbt der Stasi-Oberleutnant Wolfgang M., angeblich eines natürlichen Todes. Als Ursache stehen Bluthochdruck und Unterzuckerung im Totenschein. Doch diese Angabe ist falsch.

Wolfgang M. war zum Tode verurteilt worden und wurde hingerichtet. Still und heimlich.

Man ging natürlich in der DDR nicht mit der Todesstrafe hausieren, denn sie kratzte am Image.

Bei Wolfgang M. wurde Unterzuckerung angegeben, bei anderen Hingerichteten stand im Todesschein Herzversagen. Eine gewisse Prosa medizinischer Art gehörte zum Standardmodell sozialistischer Objektivität. Herzversagen, dass stimmt eigentlich immer, wenn man einen Kopfschuss bekommt.

Die Todesstrafe wird in der DDR erst 1987 abgeschafft. Doch schon vorher wird sie nur im Geheimen vollstreckt, um den Ruf des Landes nicht zu schädigen. Die Verurteilten werden in Leipzig, wie schon geschrieben, hingerichtet und anonym bestattet.

Das statistische Jahrbuch der DDR wies auch die Todesstrafen aus, aber wer hat das schon gelesen, wem hat das wirklich interessiert? Es wurde alles was im Zusammenhang mit Mord und Totschlag zusammenhing, versschwiegen. Das war wichtig, um die Bevölkerung um die Bevölkerung in den Glauben zu halten, dass es so etwas im Sozialismus nicht gibt.

Die Todesstrafe wird nur bei besonderen Vergehen verhängt. Im Fall von Wolfgang M. ist das Westspionage und der Mord an seiner Frau. Die Tragödie beginnt im Frühjahr 1971 an der Ostsee. Stasi-Oberleutnant und Familienvater Wolfgang M. aus Berlin ist mit seinem Sohn in Urlaub, ohne Ehefrau Renate. Und wie es der Zufall so will, lernt er die Lehrerin Regina kennen.

Die Beiden verliebten sich ineinander und hatten sich nach dem Urlaub geschworen, Kontakt zu halten. Die ledige Lehrerin wusste allerdings nicht, dass er noch verheiratet war. Die heimliche Liebe geht nach dem Urlaub weiter. Eine Scheidung will Wolfgang aber vermeiden. Ein tadelloser Ruf als systemtreues und klassenbewusstes Mitglied der SED gehört zur Stasi-Karriere dazu. Auch ein Genosse der Staatssicherheit durfte ein Wechsel bei den Geschlechtern vornehmen. Und er durfte sich auch scheiden lassen.

Aber unser Oberleutnant hatte ja eine Parallelbeziehung geführt und dann wäre schon die Frage aufgetaucht, ob so eine Genosse noch geeignet ist oder ob er eine andere Aufgabe zugewiesen bekommt, denn die Partei war ja auch ein Erziehungsbetrieb. Die größte Eheberatung, die man sich vorstellen kann.

Zurück in Berlin schreibt Wolfgang M. seiner Geliebten regelmäßigen Briefe. Eines Tages kommt ihm seine Frau Renate auf die Schliche. Sie will die Scheidung, doch statt zuzustimmen schmiedet Wolfgang einen perfiden Plan. Er wollte seine Frau aus dem Weg räumen und hat das akribisch geplant. Die Tatvorbereitungsphase begann im Prinzip damit, dass er sie zur Absicherung der Kosten für die Beerdigung noch eine Lebensversicherung abschließen ließ.

M. täuscht sogar eine Bedrohung seiner Familie vor durch Staatsfeine vor. Ein angeblicher Drohbrief mit dem Inhalt: „Wir hängen euch auf, Staatssicherheitsschweine!“ soll das beweisen. In seiner Dienststelle spielt er den besorgten Ehemann, der wegen der Morddrohung um das Leben der Gattin fürchtet.

Der Täter glaubt also, dass der Tod der Ehefrau für ihn die gewinnbringendste Lösung wäre. Er hatte die Entscheidung getroffen, sie zu töten und musste sie nur noch in die Tat umsetzen.

Renate M. ist eine resolute Frau, sie arbeitet in der Textilindustrie, will zur Ingenieurin umschulen und ist auch in der Partei aktiv. Sie ist sogar in einer DDR-Doku über Frauen im VEB Treff-Modelle zu sehen. Privat macht sie sich aber Sorgen um das seltsame Verhalten ihres Mannes. Die Arbeitskollegen haben sich natürlich auch dementsprechend geäußert, dass Frau M. ihnen mitteilte, dass ihr Mann in letzter Zeit so komisch ist und sie abends immer so komische Ausflüge machten.

M. will mit seiner Frau immer ins Grüne fahren, sie wundert sich zwar, durchstreift aber dennoch die Wälder rund um Berlin mit ihm. Was sie nicht ahnt ist, dass M. im Trabant bereits Mordwerkzeug deponiert. Nun sucht der Offizier an der Seite seines ahnungslosen Opfers den geeigneten Ort für die geplante Bluttat. Zunächst erfolglos. Es hat ihm nicht gefallen, dass die Strecke so beleuchtet war und zu viel Fahrverkehr dort herrschte.

In M. reift dann der Plan, seine Frau in der Nähe eines Schießstandes mit seiner Dienstwaffe zu töten. Deshalb hat der Oberleutnant jetzt auch immer seine „Makarow“-Pistole dabei, die Standardhandfeuerwaffe für Volkspolizei, NVA und Stasi.

Und endlich, am Abend des 3. Mai 1971 bietet sich die perfekte Gelegenheit. Es wurde schon schummrig, als sie in die Gegend um Wandlitz fuhren. Dort täuschte er eine KFZ-Panne vor, lies das Auto in einem Waldweg rollen und bat seine Frau mit der Taschenlampe in den Motorraum zu leuchten. Und während die Frau in den Motorraum leuchtete, ging er noch mal in das Auto, entnahm seine Dienstwaffe und tötete seine Frau auf 50cm Entfernung von hinten mittels Kopfschuss.

Nachdem er den Schuss gesetzt hat, schleifte er seine Frau nach Unterholz und bei ihr noch Lebenszeichen. Er ging zum Auto zurück, entnahm ein Beil und mit der stumpfen und der scharfen Seite des Beiles schlug er seiner Frau auf dem Kopf.

Als er sie im Laub verscharren will, bemerkt er wieder Lebenszeichen und würgt sie mit einem Schal. Was geht im Kopf des Täters in diesen Minuten vor? Er will sie töten und vollzieht eine Tötungshandlung nach der anderen.

Nach der Tötung hat Wolfgang M. schon die nächsten Schritte geplant. Nach er die Leiche mir Laub und Ästen abgedeckt hat, das Beil hat er in den Wald geworfen, fuhr er nach Hause. Er legte sich schlafen, weckte am nächsten Morgen die Kinder, denen er sagte, dass die Mutter heute schon früher zur Arbeit musste.

M. geht wie gewohnt zur Arbeit ins MfS und meldet seine Frau als vermisst. Er sagt, dass er sie am Vorabend mit 1.000 Mark bei einer Arbeitskollegin abgesetzt hat, die sich das Geld leihen wolle und beteiligte sich dann auch aktiv an der Suche nach seiner Frau, indem er Arbeitskollegen anrief und nach den Verbleib seiner Frau fragte.

Vielleicht mimt er den besorgten Ehemann zu perfekt, denn schnell schöpft man im Büro Verdacht. Stasi-Kollegen nehmen ihm in die Mangel. Rund um die Uhr. Schließlich knickt Wolfgang M. ein. Er führt die Ermittler zum Tatort. Hier finden sie die Leiche von Renate M. Akribisch werden die Spuren gesichert. Nur zwei Tage nach dem Mord ist der Fall aufgeklärt.

M. droht ein hohes Strafmaß. Noch vor dem Prozess wird er in Unehren vom Ministerium für Staatssicherheit aus dem Dienst entlassen. So einen hatten sie in ihren Reihen, der mit dem Beil durch den Wald geht. Das hätte im Osten wie im Westen das Image von Mielkes Mannes enorm beschädigt.

Anstelle des wahren Familiendramas erzählt M. bei der Vernehmung eine abenteuerliche Spionagegeschichte. Er behauptet, der westdeutsche Geheimdienst BND habe ihm angeworben, erpresst und gezwungen, seine Frau umzubringen.

Die Funktion des Personenschutzes beinhaltete keine weiteren Kenntnisse, wie ein anderer Nachrichtendienst in der DDR arbeitete. Das Wissen von M. resultierte aus Defa-Filmen, die man im Fernsehen anschauen konnte und diversen Schriften. In den Ermittlungen und Vernehmungen wurde ziemlich deutlich, dass das Thema Spionage ein Fantasy Produkt von M. war. Eine Erfindung und Schutzbehauptung.

 

Wolfgang M. will angeblich in einer Berliner Gaststätte einen Herrn Junge kennen gelernt und sich mit ihm über seine Briefmarkensammlung ausgetauscht haben. Im Laufe des Gesprächs soll sich Junge als BND-Agent zu erkennen gegeben und M. angeworben haben für den westdeutschen Nachrichtendienst zu spionieren.

Auch wie er M. das wiedergibt, wie er sich mit den Agenten Junge vor der Dienststelle in Berlin-Weißensee getroffen habe und diese Junge ihm angerufen hat, so hat der BND definitiv in der DDR nicht gearbeitet, sondern man ist schon wesentlich konspirativer vorgegangen und nicht so dilettantisch. M. glaubt, dass ihm seine Märchengeschichte helfen wird und er nicht allein die Verantwortung für die Straftat übernehmen muss. Welsch ein armer Irrer.

Trotz der Entspannungspolitik zwischen den beiden deutschen Staaten, Anfang der 70iger Jahre, tobt der Agentenkrieg zwischen Ost und West weiter. Sowohl die DDR, als auch die BRD versuchen immer wieder Spione im anderen deutschen Teil einzuschleusen. Und da hatte die DDR wesentlich bessere Karten und Erfolge. Letztendlich blieb die Spionageangst in den Köpfen der Nation bis zum Schluss präsent. Es gab ja auch in den achtziger Jahren spektakuläre Austauschaktionen auf der Glienicker Brücke, der sogenannten Agentenbrücke.

Am 10. Februar 1962 wurde Oberst Rudolf Iwanowitsch Abel, Spitzenspion der Sowjets in den USA, gegen Francis Gary Powers, einen amerikanischen Piloten, der bei einem Spionageflug mit der U-2 über der Sowjetunion abgeschossen worden war, ausgetauscht. Obwohl die Aktion größtmöglich geheim gehalten werden sollte, sorgte der Austausch für Schlagzeilen in den Medien.

Nach mehr als 20 Jahren erfolgte wieder auf der Glienicker Brücke ein Austausch von Häftlingen beider Lager. Der DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel hatte vereinbart, dass 25 in der DDR und Polen inhaftierte westliche Agenten (u. a. Eberhard Fätkenheuer und Werner Jonsek) gegen vier im Westen von der CIA verhaftete Spione (u. a. Alfred Zehe und Alice Michelson ausgetauscht werden. Am 11. Juni 1985 erfolgte der Austausch von nunmehr 23 Inhaftierten gegen vier Spione.

Am 11. Februar 1986 wurden die vier im Osten inhaftierten Personen Anatoli Schtscharanski (UdSSR, Dissident, Regimekritiker, Oppositioneller, aus Sicht der UdSSR ein Agent, verurteilt wegen Verrats und antisowjetischer Agitation, später israelischer Handelsminister Natan Sharansky), der DDR-Bürger Wolf-Georg Frohn, der Tschechoslowake Jaroslav Javorský sowie der BRD-Bürger Dietrich Nistroy gegen fünf Häftlinge aus dem Westen ausgetauscht. Es handelte sich um Hana Koecher, KGB-Agentin, Heimat: Tschechoslowakei, Karel Koecher, KGB-Agent, Heimat: Tschechoslowakei, Jewgeni Semljakow, Computerspezialist der UdSSR, Jerzy Kaczmarek, Geheimdienstler der Polen und Detlef Scharfenorth. Lange war zuvor gestritten worden, ob Anatoli Schtscharanski als Freiheitskämpfer (Sicht der USA) oder Agent (sowjetische Auffassung) zu behandeln sei. Die Amerikaner setzten sich mit ihrer Auffassung durch und erwirkten, dass Schtscharanski vor den drei anderen zur Grenzlinie an der Glienicker Brücke gefahren wurde. Dort ließen ihn die Vertreter des KGB mit zu weiten Hosen und ohne Gürtel über die Brücke laufen, sodass er vor den laufenden Fernsehkameras ständig seine Hosen festhalten musste. Während die westlichen Medien ausführlich vom Ort des Geschehens berichteten, druckte im Osten lediglich das SED-Parteiorgan Neues Deutschland einige Zeilen über den Austausch auf der Glienicker Brücke: „Auf Grund von Vereinbarungen zwischen den USA und der BRD sowie der UdSSR, der ČSSR, der VRP und der DDR fand am Dienstag, den 11.2.1986 ein Austausch von Personen statt, die durch die jeweiligen Länder inhaftiert worden waren. Darunter befanden sich mehrere Kundschafter.“

Mit selbst produzierten Agenten-Lehrfilmen schult die Stasi ihre Mitarbeiter, um den Staat vor Schaden zu bewahren.

Das heißt im Fall von M., dass man seine Agentengeschichte ernst nimmt. So soll es zumindest in den Akten stehen, auch wenn es keinerlei Beweise dafür gibt. Und so hat M. mir seiner Märchengeschichte erreicht, dass er nun wegen Spionage und Mord verurteilt wird. Solche niederen Motive wie Mord darf es nicht geben, als muss ein anderes Ziel dahinter stecken und die seitenlange Anklageschrift erfindet noch einige Spionagemärchen dazu, obwohl M. nach unzähligen Verhören seine Spionage Story widerruft. Alles frei erfunden. Doch die Anklage wegen Spionage lässt sich nun nicht mehr stoppen.

Die Staatsanwaltschaft beantragt bei Erich Honecker persönlich, die Todesstrafe für M. Doch der Staatsratsvorsitzende lehnt ab. Dass die Todesstrafe zuletzt immer seltener zur Anwendung kam, hatte insofern etwas mit Honecker zu tun, weil das Ziel der staatlichen Anerkennung der DDR unter seiner Führung eine sehr hohe Priorität hatte. Und dazu zählten auch die Anerkennung der Menschenrechte und die Einhaltung einer gewissen Rechtsstaatlichkeit.

Trotzdem wird Wolfgang M. vom Obersten Gericht der DDR unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen eines Verbrechens der Spionage im besonders schweren Fall und wegen eines Verbrechens des Mordes zum Tode verurteilt. Man beachte, dass das Hauptaugenmerk auf der erfundenen Geschichte der Spionage liegt und auch warum Honeckers Nein zur Todesstrafe ignoriert wurde, bleibt ungeklärt.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?